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Die Weltensegler. Drei Jahre auf dem Mars.
Der Alte geleitete seine Gäste zu einem zweistockigen, palastartigen Gebäude, das rings von üppigstem Pflanzenwuchs umgeben war und in seiner Pracht einem Fürstensitz glich. Es war aber das Haus des Alten selbst, das dieser den Fremdlingen zur ausschließlichen Benützung anwies. Auf breiten Marmorstufen gelangten die Professoren in einen von Säulen getragenen, offenen, großen Hof, in dessen Mitte ein mächtiger Springbrunnen sein Wasser rauschen ließ. Rings um den Hallenhof lagen saalartige Zimmer, deren Türen auf den Hof hinausführten. Rechts an der Halle befand sich die Haupttreppe. Sie bestand aus zwanzig breiten Stufen, jede aus einem Stein von vier Meter Länge. Sie führte zu einem Absatze mit einem großen Fenster. Von diesem Absatze führten weitere zwanzig Stufen in die obere, geschlossene Galerie, die durch große Fenster erhellt wurde und mit einer prächtigen Kassettendecke geschmückt war. Von der Galerie aus gelangte man in eine Reihe von Prunkgemächern, an die sich die Schlafzimmer und Baderäume anschlossen. Der ganze Bau war voll Licht und Bequemlichkeit.
Auf ein Händeklatschen des Alten eilten einige jüngere Männer herbei, die wahrscheinlich die dienenden Geister dieses Palastes waren. Der Alte sprach mit den jungen Männern lange und eindringlich und bedeutete endlich seinen Gästen durch Zeichen und Gebärden, sich hier häuslich niederzulassen. Darauf verließ er sie nach einer freundlichen Verbeugung. Auch die Diener verschwanden, erschienen aber bald wieder und brachten duftende, reine Kleider und Sandalen, ähnlich denen, die sie trugen. In stummer, aber zuvorkommender Art wiesen sie den Fremden den Weg zum Bade.
„Ich bin wirklich neugierig, was da noch alles kommen wird!“ sprach Piller lachend zu Professor Stiller. „Würde ich nicht wachen, wäre ich nicht nüchtern wie ein Pudel und bei klarstem Verstande, ich würde glauben, daß alles, was ich hier bis jetzt erlebt und, gesehen habe, nichts anderes als ein tolles Spiel meiner Einbildungskraft ist.“
„Warten wir ab, Piller! Schlecht aufgehoben sind wir für den Anfang nicht, im Gegenteil. Ich höre bereits in unserer Nähe Tische rücken. Wahrscheinlich wird für unser Mahl gedeckt. Baden wir zuerst, reinigen wir uns vom letzten Erdenstaube und den Schlacken der Reise, und beginnen wir dann unser neues, so viel Interessantes versprechendes Leben auf dem Mars!“
„Mit Speise und Trank,“ ergänzte Piller den Freund. „Jawohl, Stiller, wenn Sie Idealist es auch nicht gern hören, ewig wahr bleibt es doch: Speise und Trank bedarf der Sterbliche zuerst und vor allem, will er etwas leisten und fest auf seinen Füßen stehen. Hoffentlich munden uns Kost und Trank auf dem Mars. Also bis nachher!“ Mit diesen Worten verschwand Piller in seinem Badezimmer. Stiller sowie die übrigen Herren folgten diesem Beispiele und plätscherten wenige Augenblicke später in dem angenehm erwärmten Wasser ihrer geräumigen marmornen Badewanne.
Wunderbar gestärkt durch das Bad und eingehüllt in ihre frischen, bequemen Kleider, fanden sich die Gelehrten eine halbe Stunde später in dem hohen, luftigen Speisesaale des Hauses zusammen. Die Decke dieses Saales trug farbenprächtige Gemälde in Medaillenform, die Fenster wiesen edle Glasgemälde auf, und der Boden bestand aus Platten von verschiedenfarbigem Marmor. In der Mitte des Saales stand der Tisch, gedeckt mit blankem Silbergerät. Auch Teller und Pokale waren aus demselben kunstvoll verarbeiteten Edelmetalle hergestellt. Auf Fruchtschalen aus feinstem Kristallglas lagen die herrlichsten Früchte, und aus geschliffenen Karaffen funkelte verlockend eine klare, goldgelbe Flüssigkeit. Schwere Armstühle aus schwarzem, eigenartigem Holze mit vergoldeten Lehnen standen um den Tisch.
„Das nenne ich fürstliche Pracht,“ rief entzückt Frommherz, nachdem er im Saale und auf dem Tische Umschau gehalten hatte. „Hier, Freunde, wollen wir uns niederlassen, hier ist es gut sein! Der Erde fern und doch dem Paradiese nahe.“
„Nun, Sie scheinen mir ganz in Verzückung geraten zu sein,“ meinte lächelnd Hämmerle.
„Lassen Sie unsern Frommherz phantasieren! Ich meinerseits bin auf das Essen gespannt,“ sprach, sich am Tische niederlassend, der nüchterne Piller. „Sechzig Millionen Kilometer von unserer Erde entfernt, wird man wohl hier oben einen andern Speisezettel haben als bei uns unten am Strande des Neckars.“
„Stiller, Sie setzen sich als Präses oben hin,“ entschied Brummhuber, als Professor Stiller in gewohnter bescheidener Weise sich zwischen den andern Kollegen niederlassen wollte.
„Natürlich!“ pflichtete Professor Piller bei. „Ehre, wem Ehre gebührt! Unser Freund Stiller hat seine Sache bis jetzt ganz ordentlich gemacht, er stehe deshalb auch ferner unserer Korona vor!“ Mit diesen Worten goß er sich von dem Inhalt der vor ihm stehenden Karaffe etwas in seinen Pokal ein und hielt ihn prüfend an die Nase.
„Hm . . . hm! Der Trank riecht wirklich nicht übel . . . hat feines Bouquet.“ Vorsichtig nahm er einen Schluck.
„Es ist Wein, tatsächlich Wein und zwar so eine Art Trockenwein, beinahe wie Sherry, nur noch bedeutend feiner und milder,“ entschied Piller, nachdem er getrunken. „Von schlechten Eltern stammt er nicht, aber mein Zuckerle ist entschieden süffiger als dieser Marstropfen. Immerhin, er kann bleiben, wie er ist; lieber solchen Wein als gar keinen!“
„Seien Sie froh, Piller, Sie Alkoholiker, daß Sie überhaupt etwas zu trinken haben! Wir sind doch wahrlich nicht des Weines wegen nach dem fernen Mars gekommen!“ warf Professor Dubelmeier ein. „Ihr ewiger Durst und Ihre unstillbare Sehnsucht nach dem Zuckerle hätten Sie eigentlich da unten auf der Erde festhalten sollen.“
„Schweigen Sie, Sie fanatischer Anhänger des Göppinger Wassers!“ rief Piller voll Grimm. „Was verstehen Sie denn von . . .“
Aber Professor Stiller ließ den Zornigen nicht ausreden. Er erhob sich. „Meine lieben Freunde! Ich bitte um Ruhe und Frieden und wünsche Ihnen allerseits einen recht gesegneten Appetit zu dem bevorstehenden Mahle. Weihen wir unserer glücklichen Ankunft auf dem Mars den ersten Schluck! Der zweite soll dem Gedenken an unsere engere und weitere Heimat, dem lieben Schwabenlande und Deutschland, gelten. Bitte, füllen Sie ihre Pokale und tun Sie mir Bescheid!“
„So, das laß ich mir gefallen,“ brummte Piller; „Stiller ist wirklich ein vernünftiger Knabe.“
„Und nun, meine Freunde, setzen wir uns zum Mahle!“ Nach dem Beispiele des Alten von vorhin klatschte Herr Stiller in die Hände, und herein traten sieben Diener, für jeden Herrn einer. Sie trugen Platten in den Händen, auf denen wohlriechende Fische lagen. Herrn Pillers Zorn verrauchte schnell angesichts der warmen, so einladenden Speise. Er und die übrigen Herren langten tüchtig zu. Alle waren darüber des Lobes voll, daß die Fischspeise ausgezeichnet geschmeckt habe.
Auf den Fisch folgten einige eigenartige, aber äußerst schmackhaft zubereitete Mehlspeisen, dann Gemüse, Obst und Backwerk.
Als das Frühstück beendet war, füllte Piller seinen Pokal mit dem goldschillernden Wein, rückte seinen Stuhl etwas vom Tische zurück und stand auf.
„Silentium, meine Herren!“ Die laute, anregende Unterhaltung der Herren verstummte und machte einer aufmerksamen Stille Platz. „Meine lieben Freunde und Genossen! Ich erfülle nur einen Akt der Pflicht,“ hub Piller an, wurde aber plötzlich von seiner Rede abgelenkt, als sich von außen her zuerst unendlich zarte, wundervolle Töne hören ließen, die nach und nach in mächtige Akkorde übergingen. Es war Musik, ein Spiel, so feierlich und schön, daß die Herren unter dessen Banne ruhig, fast unbeweglich an ihren Plätzen verharrten, um durch kein auch noch so leises Geräusch die ergreifenden Töne zu stören, die mit ihren Klängen aus der Gegenwart emporzuheben schienen zu jenen blauen, seligen Gefilden der unbegrenzten Freude. Leise, einem Flüstern gleich, erstarben nach und nach die Akkorde.
„So empfängt uns der Mars!“ rief in heller Begeisterung Professor Stiller, als die Musik geendet hatte. „Kann es einen schöneren und zugleich erhebenderen Willkommen für uns hier oben geben als dieses göttergleiche Saitenspiel?“
„Nein, gewiß nicht!“ erwiderten die Gefährten einstimmig und voll Begeisterung. Dann eilten sie an die Fenster des Saales, um nach den Veranstaltern des hohen Genusses Umschau zu halten. Ein Dutzend Harfenspieler waren es, die sich da langsam und würdevoll mit ihren Instrumenten von der Terrasse des Hauses entfernten.
„Piller, das war entschieden ein schönerer und edlerer Ohrenschmaus, als es die Rede gewesen wäre, die Sie im Begriffe waren, uns zum besten zu geben,“ foppte Dubelmeier den Freund.
„Was wissen Sie denn, was ich zu sagen hatte! Die Rede bekommen Sie übrigens über kurz oder lang doch einmal zu hören. Aber danken Sie es der eben gehörten Musik, die mein Gemüt so friedlich gestimmt hat, daß ich auf Ihre Herausforderungen nicht so antworte, wie Sie es verdienen, Sie – Sie unverbesserlicher Wasserphilister.“
Die Herren lachten über den Disput der beiden Gefährten, die sich im Grunde ihres Herzens trotz allen Reibereien sehr zugetan waren.
Von mehreren ehrwürdigen Männern begleitet, erschien der Greis wieder im Rahmen der großen Türe des Saales. Ein Lächeln huschte über das ernste, ausdrucksvolle Gesicht des alten Mannes, als er die sieben Fremden wieder erblickte, die da, ähnlich gekleidet wie er, achtungsvoll vor ihm standen. Der Greis neigte leicht den Kopf zum Zeichen des Grußes und lud die Herren durch eine Handbewegung ein, ihm zu folgen. Es ging den Weg zurück, den sie diesen Morgen gekommen waren.
„Am Ende werden wir gleich wieder dahin abgeschoben, wo wir hergekommen sind,“ bemerkte besorgt Professor Frommherz.
„Darüber brauchen Sie sich nicht zu ängstigen,“ erwiderte Professor Stiller. „In diesem Falle wären wir nicht so liebenswürdig aufgenommen worden.“
Die Gesellschaft war nun auf der Wiese angelangt, auf der sich der Weltensegler kaum merkbar am Ankerkabel bewegte. Der Alte gab den Herren zu verstehen, daß sie ihr Eigentum aus der Gondel herausnehmen sollten. Zu diesem Zwecke und der besseren Verständigung wegen stieg der Greis mit seiner Begleitung die Strickleiter zur Gondel hinauf und brachte aus ihr verschiedene Dinge herab, die den Erdmenschen gehörten. Nun begriffen diese den Greis.
„Sehen Sie, daß ich recht hatte?“ Mit diesen Worten wandte sich Stiller an seinen Kollegen Frommherz. „Man kommt doch nicht von der Erde zu so freundlichen, gastfreien Menschen, wie es die Marsbewohner zu sein scheinen, um gleich wieder kehrtmachen zu müssen. Übrigens könnten wir in unserer jetzigen Verfassung an eine sofortige Rückkehr überhaupt nicht denken.“
„Vor dieser bewahre uns für immer der Himmel in Gnaden!“ antwortete Frommherz, emsig damit beschäftigt, seine Habseligkeiten zusammenzupacken.
Bald nachher war das bescheidene Gepäck der Marsreisenden unten auf dem Boden. Mit Aufmerksamkeit betrachtete der Greis die verschiedenen Instrumente, die da zum Vorschein kamen. Ganz besonderes Interesse erregte bei ihm das Fernrohr. Stiller suchte ihm dessen Gebrauch klarzumachen. Aber der Greis schüttelte zu diesen stummen Auseinandersetzungen nur den Kopf und wies endlich mit der Rechten nach einem fernen Bau, dessen kuppelförmiges Dach der Professor jetzt zum erstenmal erblickte.
„Beim Zeus, die haben ja hier oben auch eine Sternwarte und zwar in nächster Nähe!“ rief Stiller erfreut. „Freunde, da müssen wir noch heute abend hingehen, um von dort aus unsere Mutter Erde in weiter Ferne als leuchtenden Stern erster Größe betrachten und bewundern zu können.“
Stiller machte dem Greise diesen Wunsch sofort begreiflich. Er deutete zuerst nach dem Himmel, dann auf sein Fernrohr und schließlich auf die Kuppel des Gebäudes. Endlich entnahm er seinem Gepäck eine große Himmelskarte, die er entfaltete. Mit dem Zeigefinger der Rechten wies er auf die Planeten hin, deren Bahnen um die Sonne auf einem besonderen Abschnitt der Karte verzeichnet waren. Nun verstand ihn der Greis sofort und nickte bejahend mit dem Kopfe. Jetzt suchte ihm auch der Professor begreiflich zu machen, woher er und seine Gefährten gekommen seien. Er zeigte auf die eingezeichnete Erde, dann auf die sie umschließende Bahn des Mars, auf diesen selbst, endlich auf das Luftschiff. Ein lauter Ton des Erstaunens kam über die Lippen des Greises. Er hatte Professor Stiller vollkommen verstanden und reichte ihm zum erstenmal mit Worten, die wie ein herzliches Willkommen klangen, die Hand, die dieser warm, drückte.
Der Greis übersetzte seinen Begleitern, was der Fremde ihm da in seiner stummen Zeichensprache erklärt hatte, und auf den offenen, ehrlichen Gesichtern trat ein gewisser Ausdruck der Achtung vor den kühnen Fremden, die so weit hergekommen waren, hervor. Die Weltensegler wurden wieder in ihr Heim zurückgeführt, in dem sie sich mit den aus ihrer Heimat mitgebrachten Sachen häuslich einzurichten begannen. Darüber war es spät am Mittag geworden. Keine lästige Neugier hatte die Herren bei ihrer Einrichtung gestört. Mit unendlichem Behagen streckten sie sich nach Beendigung dieser Arbeit auf die weichen Ruhebetten in ihren Zimmern, um in dem so lange entbehrten Genusse eines ausgezeichneten Lagers kurze Zeit zu schwelgen.
Inzwischen war die Tischzeit herangekommen. Das Mittagsmahl verlief ähnlich wie das Frühstück, nur war es reichlicher. Voll Befriedigung über die ihnen gebotenen Tafelfreuden wollten sich die Herren gerade erheben, als sie eine neue Überraschung an ihre Plätze bannte. Draußen, vom Hallenhofe des Hauses her, erschallte a capella der Gesang menschlicher Stimmen. Es war ein Lied voll Innigkeit und Tiefe. Die tongewordene Barmherzigkeit selbst schien es zu sein, die da an die Herzen der Gelehrten so mächtig pochte, daß sie ihre große Ergriffenheit nur schlecht zu bemeistern vermochten. Als das Lied verklungen war, wischten sich einige der Herren verstohlen die Tränen aus den Augen.
„Darauf muß ich noch einen Schluck nehmen,“ erklärte Piller, seinen Pokal füllend. „Seelische Erregungen rufen bei mir das Bedürfnis nach materieller Stärkung hervor. Dubelmeier, schneiden Sie kein so sonderbares Gesicht; tun Sie mir lieber Bescheid!“
„Bewahre mich der Himmel davor, diesen hehren Augenblick durch Alkohol zu entweihen!“
„Ganz wie Sie wollen, lieber Dubelmeier!“ erwiderte Piller gegen seine sonstige Gewohnheit milde.
Die Gelehrten verließen das Haus, um den schönen Abend zu einem Spaziergang zu benützen und die Gegend etwas näher kennenzulernen, die voraussichtlich längere Zeit ihren Wohnort bilden würde. Auf diesem Spaziergange wurde es ihnen mehr und mehr klar, daß ihr Luftschiff in der Nähe einer viel größeren Niederlassung gelandet war, als sie anfänglich geglaubt hatten. Es mußte eine Art von Stadt sein; denn trotz des garten- oder parkartigen Charakters des Ganzen bewiesen die vielen Häuser, die stets allein für sich standen, daß hier eine verhältnismäßig dichte Bevölkerung vorhanden sein müsse.
In dieser Auffassung wurden die Herren auch durch die zahlreichen Menschen unterstützt, die sie noch mit den verschiedensten Arbeiten beschäftigt antrafen. Niemand war hier untätig. Die Hast aber schien ein unbekannter Begriff zu sein, denn bei aller Arbeit trat ein gewisses Maß vornehmer Ruhe hervor. Wie wohltuend stach diese gegen das lärmende Treiben der Menschen auf der Erde ab! Überall, wohin auch die Gelehrten ihre Blicke richteten, erschien ein gleichmäßig verteilter Wohlstand; selbst die relative Armut mußte hier unbekannt sein. Nicht nur in den Häusern, deren offene Hallen dem neugierigen Auge ungehinderten Einblick gestatteten, nein, auch um die Wohnungen herum, auf allen Wegen und Stegen herrschte eine geradezu peinliche Sauberkeit.
Ihr Spaziergang führte die Herren auch an den breiten Strom, den sie heute in der Frühe des Tages vom Luftschiff aus gesehen hatten. Es mußte einer der berühmten Marskanäle sein; denn soweit sie sehen konnten, war der Strom kunstvoll eingedämmt, schnurgerade seine Ufer. Eine kühn geschwungene steinerne Brücke, auf vielen Pfeilern ruhend, ein architektonisches Meisterwerk, führte hinüber an das andere Ufer. Auf dem Mars schien alles unter dem Zeichen gemessener Ruhe zu stehen: auch die klaren, hellgrünen Gewässer des mächtigen Kanales flossen still und ruhig dahin und trugen auf ihrem Rücken eine Menge geschmackvoll gebauter Schiffe.
An der Brücke lag ein Schiff, aus dem einige Männer Platten verschieden gefärbten Marmors, Blöcke von Granit und Syenit ans Ufer schafften und zwar mit einer Leichtigkeit, die auf die sieben Schwaben geradezu verblüffend wirkte. Sollten diese Marsbewohner über ungewöhnliche Körperkräfte verfügen, eine Art Athleten sein?
„Welch großartig entwickelten Brustkorb diese Leute haben! Sehen Sie einmal genauer hin!“ Mit diesen Worten zeigte Piller auf die Arbeiter. „Es ist mir heute früh schon aufgefallen, wie herrlich gebaut und wie breitschultrig diese Menschen hier sind. Auch die Kinder zeichnen sich in dieser Beziehung gegenüber den unsern auf der Erde vorteilhaft aus. Die reinste Züchtung einer lungenstarken Rasse, die der Schwindsucht kaum zugänglich sein dürfte,“ fuhr Piller fort.
Unterdessen war Brummhuber zu den arbeitenden Marsiten getreten und versuchte, eine der Steinplatten zu heben.
„Mir kommt dieser Marmor merkwürdig leicht vor. Sollte es vielleicht eine andere Art von Stein sein als bei uns?“ rief er fragend seinen Gefährten zu.
Diese kamen, neugierig geworden, näher und untersuchten die Steine.
„Nein, es ist tadellos schöner Marmor. Betrachten Sie nur das feine Korn und die zartgefärbten Adern, die ihn durchziehen!“ entgegnete Piller nach eingehender Prüfung.
„Und dieser prächtige rote Stein hier ist bester Syenit, oder ich müßte geradezu kein mineralogisches Unterscheidungsvermögen mehr besitzen,“ warf Herr Hämmerle ein, der an dem Steine herumgeklopft hatte.
„Versuchen wir einmal, die Steine zu heben!“ entschied Piller.
„Richtig, die scheinen hier oben ein geringeres spezifisches Gewicht zu haben als unten bei uns. Nun begreife ich, warum diese Leute die Lasten so leicht zu heben vermögen. Woher das wohl kommen mag? Wissen Sie vielleicht die Ursache, Stiller?“
„Der Grund dieser Erscheinung liegt meines Erachtens in der Dichtigkeit des Mars, die nur o,7 von der der Erde beträgt,“ antwortete Herr Stiller.
„Nun geht mir auch ein Licht auf, warum mir heute bei unserm Mahle die Pokale, unsere Silbergeräte überhaupt, so eigentümlich leicht vorkamen,“ fügte Thudium bei. „Ich hatte aber keine Zeit, über diese auffallende Erscheinung nachzudenken, denn die Musik nahm mich zu sehr gefangen.“
„So ging es auch mir,“ bestätigte Stiller.
„Und wie steht es mit der Dichtigkeit der Marsatmosphäre?“ forschte Frommherz. „In dieser Beziehung finde ich keinen Unterschied gegenüber unserer Heimatluft im Sommer. Im Gegenteil, ich atme leichter, freudiger hier oben als unten.“
„Der Luftkreis, der diesen Planeten umgibt, ist von bedeutend geringerer Höhe als der unserer Erde. Denken Sie sich bei uns auf einen Berg von mäßiger Höhe gestellt, so wird die etwas dünnere Luft dort ungefähr der hier entsprechen. Unsere Erdbarometer sind leider nicht für den Mars so verwendbar, daß wir zu ganz sichern Vergleichen und Schlüssen kommen könnten,“ entgegnete Stiller.
„Sei dem wie ihm wolle! Aus Ihren Worten kann ich mir auch ganz ungezwungen die wunderbare Entwicklung des Brustkorbes unserer Marsfreunde erklären: Anpassung der Lungen an die äußeren Lebensbedingungen. So werden sich auch in derselben einfachen Weise andere Eigentümlichkeiten der Marsleute erklären lassen, die uns noch da und dort entgegentreten werden,“ erwiderte Piller, sich in Marsch setzend, während die übrigen Herren seinem Beispiele folgten.
„Übrigens, meine Freunde, haben Sie noch nicht die auffallend schönen Augen unserer Marsmenschen bewundert?“ fragte Piller im Weiterschreiten.
„Ihre Größe und ihr schöner Glanz stechen allerdings stark gegen Größe und Glanz der unsern ab. Ein merkwürdiges Leuchten geht aus diesen Spiegeln der Seele bei unsern Marsleuten hervor.“
„Ganz richtig beobachtet, Stiller! Das satte Blau der Iris habe ich in dieser vollendeten Schönheit früher noch niemals gesehen. Es ist die Idealfarbe des edeln Auges. Und dieses lockige, reiche Haar! Wahre Zeus- und Junogestalten! Frommherz hatte heute recht mit seinem Vergleiche.“
„Nicht wahr?“ rief dieser erfreut über Pillers laute Anerkennung. „Körperlich wie geistig gleich hochstehende Menschen scheinen mir die Marsbewohner zu sein.“
„Für diese Gegend wenigstens scheint Ihr Urteil zu stimmen nach dem, was wir heute erfahren haben,“ erwiderte Stiller.
Da die Sonne untergegangen war, so beschlossen die Herren aus dem Schwabenlande, für heute den Spaziergang zu beenden und in ihr Heim zurückzukehren. Dort wollten sie den Besuch des würdigen Greises erwarten, um von ihm auf die Sternwarte geführt zu werden. Sie befanden sich noch unterwegs, als die Nacht ihre dunklen Schwingen über die Landschaft auszubreiten begann. Im Osten wurde es hell und heller. Der Mond tauchte auf und warf sein klares Licht auf die stille, friedvolle Gegend.
„Das ist der große Marsmond, Deimos genannt, der uns da leuchtet,“ erklärte Professor Stiller seinen Gefährten. „Wenige Augenblicke nur, und Sie werden den zweiten Trabanten des Mars sehen, mit dem wir, wenn auch glücklicherweise höchst oberflächlich, letzte Nacht in peinliche Berührung gekommen sind.“
Richtig, da kam auch der kleine Phobos über den Horizont gestiegen.
„Welch prachtvolles Schauspiel!“ rief voll Entzücken Stiller. „Wahrlich, die Marsbewohner brauchen keine künstliche Beleuchtung ihrer Nächte! Sie haben nicht nur jede Nacht vollen Mondschein, sondern sie besitzen auch gleich zwei Himmelsleuchten.“
„Ein merkwürdiger Weltkörper, dieser Mars, fürwahr!“ entgegnete Piller, einen Augenblick stehen bleibend und die beiden Monde betrachtend, deren fast taghelles Licht eigenartige, reizvolle Schattenbilder hervorbrachte.
„Ein lebendig gewordenes Märchen. Das wäre wieder ein neuer Anlaß für Sie zu trinken, Piller,“ spottete Dubelmeier.
„Warum denn nicht, alter Freund, warum denn nicht? Es scheint mir aber nach dem, was wir heute schon erlebt haben, auf dem Mars so viel Bewunderungswürdiges zu geben, daß die Anlässe zum Trinken sich denn doch zu bedenklich mehren dürften. Mein Wahlspruch aber ist gleich dem des alten griechischen Weisen: Nichts zuviel!“
Dubelmeier lachte laut auf.
„Lachen Sie nicht so töricht, altes Wasserhuhn, und folgen Sie selbst lieber diesem Beispiele in Ihrer übertriebenen Wassertrinkerei! Das rate ich Ihnen schon vom Standpunkte der modernen Heilkunde aus.“
„Die Monde kommen mir hier oben bedeutend größer vor als z. B. unten unser Trabant,“ bemerkte Frommherz, die eingetretene Stille unterbrechend.
„Nur Täuschung, mein Lieber!“ erklärte Stiller. „Die Monde des Mars sind beträchtlich kleiner als der Mond unserer Erde, sie sind aber bedeutend näher am Hauptplaneten, als dies bei unserm Monde der Fall ist. Phobos hier ist vom Mars nur etwas über 9000 Kilometer, der große Deimos nicht mehr als etwa 23500 Kilometer entfernt. Daher kommt es, daß diese Trabanten des Mars so übermäßig groß erscheinen.“
Unter diesen Gesprächen gelangten die Herren vor ihr stattliches Heim. Dort erwartete sie bereits ihr aufmerksamer Gastgeber, der ihnen heute schon so viel Gutes erwiesen hatte. Im Mondschein erschien den Herren die hohe Gestalt des Alten womöglich noch feierlicher als im Lichte des Tages, das lange, wallende weiße Haar noch silberner, glänzender.
„Sieht er nicht aus wie ein Patriarch aus der alten jüdischen Zeit, in der Sittenreinheit und Einfachheit des Volkes herrlichste Tugenden waren?“ fragte Professor Stiller leise seinen Kollegen Frommherz.
„Wahrhaftig, Sie haben recht!“ entgegnete dieser. „Nennen wir unsern Alten, dessen Namen uns noch unbekannt ist, einfach Patriarch. Diese Bezeichnung paßt prächtig auf ihn, hat er uns doch heute unter seinen väterlich milden Schutz genommen.“
Nach einer kurzen, stummen Begrüßung geleitete der Alte die Erdensöhne nach dem mit einem Kuppelbau versehenen Hause. Der Weg dahin führte durch eine Art von Wald voll großer wohlgepflegter Bäume, auf deren dunkelgrünen, glänzenden Blättern die zitternden Strahlen der Monde ihr neckisches Spiel trieben. Millionen von Leuchtkäfern schwirrten in der weichen Nachtluft unter den Bäumen, und das bläulich schillernde Licht der lautlos dahinhuschenden Tiere machte den Eindruck kleiner, in rascher Bewegung begriffener Sternchen. Muntere Bächlein, über die zierliche Brücken führten, kreuzten oft den Weg.
Der eigenartig schöne Weg hatte ungefähr eine Stunde Zeit in Anspruch genommen. Das in Form eines Rundbaus angelegte Gebäude trug in seinem Erdgeschoß eine Reihe von Büsten auf roten Marmorsockeln. Sie schienen die Männer darzustellen, die hier am Observatorium gewirkt hatten. Breite Stufen führten in den eigentlichen Beobachtungsraum hinauf, in dem einige Männer bereits an ihrer stillen Arbeit saßen. Der Patriarch mußte mit ihnen bereits Rücksprache genommen haben, denn sie erhoben sich sofort beim Eintritt der Fremden und luden diese durch freundliche Handbewegung ein, ihre Plätze einzunehmen.