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Die Weltensegler. Drei Jahre auf dem Mars.
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Die Weltensegler. Drei Jahre auf dem Mars.

Язык: Английский
Год издания: 2019
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Stiller war von der gediegenen Pracht und Großartigkeit der gesamten Einrichtung überrascht. Wie gering erschien ihm dagegen seine Sternwarte da unten auf Stuttgarts Bopserhöhe! Er trat auf eines der Riesenteleskope zu, prüfte es kurz und gestand sich, daß dessen Linsen an Schärfe nichts zu wünschen übrig ließen, ja sogar alles übertrafen, was er in dieser Beziehung überhaupt bis jetzt kennengelernt hatte. Welch eine Summe von Intelligenz mußte auf dem Mars vorhanden sein, die so feine, auf genauester wissenschaftlicher Berechnung beruhende optische Arbeit auszuführen ermöglichte!

Der Professor betrachtete aufmerksam den Himmel. Da und dort flammten Sternbilder und einzelne Sterne auf, die ihm bekannt waren. Ein auffallend großer, rotleuchtender Stern stand tief im Westen und erregte die vollste Aufmerksamkeit des Gelehrten. Es konnte nur ein Planet sein, der da funkelnd im unermeßlichen Weltraum hing, und möglicherweise war es der auffallenden Nähe wegen gar die Erde. Das Riesenfernrohr wurde daraufhin sorgfältig eingestellt. Die Vermutung Professor Stillers war richtig. Dank den unübertrefflich scharfen Linsen und der Reinheit der Marsatmosphäre erkannte er deutlich die Mutter Erde. Gut konnte er auf ihr die verschiedenen Meere und Kontinente unterscheiden. Vom Nordpol abwärts ließen sich sogar die Umrisse der einzelnen Länder gegen das Eismeer sowie gegen den Atlantischen Ozean hin feststellen, und das da, – ja, jetzt hatte er es – was sich jetzt zeigte, im Fernrohr scharf abzeichnete, mußte die Heimat, mußte dem ganzen Aussehen nach Deutschland sein.

Voll freudiger Aufregung teilte Stiller seinen Gefährten die gemachte Beobachtung mit und lud sie ein, einen Blick auf das ferne teure Vaterland hinunterzuwerfen. Einer nach dem andern folgte dieser Aufforderung.

„Unglaublich, aber wahr! Diese Fernsicht ist wirklich einzig in ihrer Art! Zum ersten Male sehen wir aus weiter, weiter Ferne die Erde und die Heimat,“ rief Hämmerle begeistert.

„Die Großartigkeit dieses Bildes wirkt geradezu feierlich,“ äußerte Thudium.

„So ist es auch,“ bestätigte Piller.

Die Astronomen vom Mars und der Patriarch, warfen nun ebenfalls nacheinander einen Blick durch das Teleskop. Sie wußten ja schon, woher die sonderbaren Fremden heute früh gekommen waren, und konnten aus ihrer Aufregung bei der Beobachtung eines bestimmten Teiles des fernen Gestirnes leicht schließen, daß dieser Teil, der sich augenblicklich im Gesichtsfelde des Fernrohres befand, die engere Heimat ihrer Gäste sein müsse.

„Es ist jammerschade, daß wir uns mit den Kollegen hier nicht unterhalten können! Welch interessanter, gewinnbringender Meinungsaustausch käme dabei heraus!“ sprach Stiller zu seinen Gefährten, als sie nach stummem Abschiede das Observatorium verließen.

„Wir müssen in erster Linie so rasch wie möglich die Sprache der Marsbewohner erlernen. Ihre Kenntnis ist die unumgängliche Voraussetzung für unsere Forscherzwecke,“ antwortete Hämmerle.

„Wahr gesprochen, Meister der Sprachforschung!“ erwiderte Piller, und auch die andern Herren nickten zustimmend mit dem Kopfe.

Die beiden Trabanten des Mars standen nun als volle Monde am Himmel, als die Herren heimwärts schritten. Gewaltigen, übereinandergestellten Leuchtkugeln gleich, hingen sie oben am Himmel und warfen ihr silberglänzendes Licht über die stille Landschaft. Während Phobos, der innere, kleinere Mond, sich in rascher Bewegung von West nach Ost befand, zog der große, äußere Deimos, weniger hastend als sein Gefährte, auf stiller Bahn den umgekehrten Weg. Es war ein Anblick, so wunderbar und einzig in seiner Art, daß die Erdensöhne in lautes Entzücken über diese bezaubernde Mondnacht ausbrachen. Langsam schlenderten sie nach Hause und genossen in vollen Zügen die Wunder einer Marsnacht.

Fünftes Kapitel

Lumata und Angola

Die folgenden Wochen verflossen für die Gäste des Patriarchen in angenehmem Verkehr mit diesem selbst und den Bewohnern der Marskolonie. Die Fremden waren aufs eifrigste bestrebt, sich mit ihren neuen Freunden sprachlich zu verständigen. Sie schrieben zunächst alle Bezeichnungen für die verschiedensten Dinge nieder, wie sie eben ihr Ohr vernahm. Hierauf brachten sie die Dinge mit ihrer Tätigkeit und ihren Eigenschaften in Verbindung und erhielten so auf diese einfache Weise nach und nach den Schlüssel zur Sprache selbst. Ging auch die Verständigung anfänglich sehr langsam und mühsam von statten, so gewährte ihnen doch das allmähliche Begreifen der klangvollen Sprache viel Freude und lohnte ihnen dadurch die große Mühe wieder, die sie für ihr Studium aufwenden mußten.

Alles geht in der Welt der Menschen nur schrittweise vorwärts; nirgends marschiert der wahre Fortschritt mit Siebenmeilenstiefeln. Die Wahrheit dieses Satzes erfuhren die sieben gelehrten Schwaben nicht nur an sich selbst bei ihren Studien, sondern konnten sie auch bei den Marsbewohnern beobachten. Waren sie auch erst kurze Zeit da und in ihren Bewegungen auf einen verhältnismäßig kleinen Raum beschränkt gewesen, so konnten sie sich doch unschwer davon überzeugen, daß die Bewohner des Mars eine ganz bedeutende Höhe in der Kultur erreicht hatten, die nur das Ergebnis einer jahrtausendelangen geistigen Entwicklung sein konnte.

In dem Maße, wie die Herren im Verstehen ihrer Umgebung vorwärts schritten, wuchs auch ihre Bewunderung und Wertschätzung dieser in jeder Beziehung so hochstehenden Menschen. Immer mehr drängte sich ihnen die Überzeugung auf, daß die Masse der Marsbewohner, wenigstens die, deren Gäste sie waren, in idealster Weise als Menschen das erfüllte, was auf der Erde nur die Besten und Edelsten, also immer nur vereinzelte Individuen, leisteten.

Was sie selbst vom Schönen, Wahren und Guten unten auf der Erde geträumt hatten, hier oben fanden sie alles in die Wirklichkeit umgesetzt; denn überall und in allem offenbarte sich ihnen die wunderbarste Harmonie, alles atmete Schönheit, Güte und Wahrhaftigkeit, und das ganze Leben trug den Stempel vornehmer, ruhiger Tätigkeit. Zweifellos mußte eine weise Regierung dieses große Staatswesen leiten, obwohl die Herren von Behörden, wie sie sich unten in der Heimat breit machten, hier oben nicht das geringste wahrnahmen.

Ob dieses Lebensbild voll Licht und Schönheit wohl auch seine Schatten, seine dunkle Seite hatte? Diese Frage wurde von den Herren am Abend bei der gemeinsamen Unterhaltung im großen Bibliotheksaale ihres Heims wiederholt aufgeworfen. Ihre endgültige Beantwortung mußte aber immer wieder verschoben werden, denn die Meinungen liefen schließlich stets darauf hinaus, daß man erst die Sprache vollständig beherrschen müsse, bevor man sich ein abschließendes Urteil bilden könne. Hier oben auf dem Mars lag eben alles anders als auf der Erde.

Die sieben Schwaben fühlten sich in ihrem neuen Wohnorte außerordentlich wohl, so wohl, daß sie an die Möglichkeit einer Rückkehr gar nicht mehr zu denken schienen. Wenigstens äußerte sich keiner der Herren mehr darüber. Von den Marsiten, wie sie die Marsbewohner nannten, wurden sie wie liebe, alte Freunde, ganz wie ihresgleichen behandelt, und die Gastfreundschaft wurde ihnen gegenüber in so zartfühlender Weise geübt, daß sie die Empfindung von etwas Drückendem gar nicht aufkommen ließ, im Gegenteil zu frohem Genusse förmlich einlud.

Auch der Weltensegler hatte unterdessen zweckmäßige Unterkunft gefunden. Eine geräumige, mit Glas bedeckte, aus Eisen luftig konstruierte Halle war in aller Stille auf der Wiese errichtet worden, auf der das Luftschiff niedergegangen war. In dieser Halle war das Fahrzeug untergebracht worden. Die verschiedenen großen und kleinen Schäden am Ballon wie an der Gondel hatten die Marsiten in so meisterhafter Weise ausgebessert, daß Herr Stiller zuerst sprachlos vor Erstaunen darüber war. Die Leute hier oben kamen ihm in ihrer Geschicklichkeit und Erfahrung in den schwierigsten Dingen der Aeronautik wie Zauberer vor. Wenn schon die Techniker auf dem Mars so viel Wissen und Können offenbarten, wie es die schwierigen Reparaturen des Weltenseglers erforderten, um wieviel verblüffender mußten die Ergebnisse der forschenden Wissenschaft sein! Wie viel konnten sie selbst hier noch lernen! Diese Aussicht enthielt so viel Verführerisches, daß Stiller kaum die Zeit erwarten konnte, die ihm und seinen Gefährten den näheren Verkehr mit den Männern der Wissenschaft, mit ihren Marskollegen, bringen sollte.

Die Frage, wie sie die ihnen erwiesene Gastfreundschaft ausgleichen könnten, beschäftigte Schwabens Söhne oft; denn das war den Herren klar, daß sie sie auf die Dauer nicht ohne Gegenleistung genießen durften. Sie beschlossen daher, sich später in irgendeiner Weise, jeder nach seinem Berufe, den Marsiten nützlich zu machen, ihre dankbare Anerkennung in einer passenden Form zum Ausdruck zu bringen. Das einstweilen noch unklare Wie würde sich möglicherweise eines Tages von selbst ergeben.

Die Zeit verging. Sie brachte ihnen mancherlei weitere Erfahrungen und Einblicke in die eigenartig neue Welt, die sie umgab. Zunächst konnten sie feststellen, daß ihr Wohnort auf der nördlichen Halbkugel des Mars lag, und zwar auf dem fünfzehnten Breitengrade. Da der eigentliche Tropengürtel des Mars gegenüber dem der Erde nur die Hälfte beträgt, so lag der fünfzehnte Grad nördlicher Breite hier bereits in der subtropischen Zone. Die gemäßigte Zone des Mars reichte nördlich wie südlich nur bis zum fünfunddreißigsten Breitengrade. Über diesen Grad hinaus begann die kühle Region. Während diese nur spärlich und nur von einer bestimmten Klasse von Marsbewohnern bevölkert war, wie den Gelehrten mitgeteilt wurde, lebte die Hauptmasse der Marsiten innerhalb der fünfunddreißig Breitengrade nördlich und südlich vom Äquator. Es war also ein verhältnismäßig kleiner Raum des Planeten, der bewohnt und wirklich kultiviert wurde, er genügte aber vollständig, um der auf nur zweihundertundfünfzig Millionen geschätzten Bewohnerzahl des Mars eine gute Existenz zu gewähren.

Daß diese Existenz an die Riesenkanäle gebunden sein müsse, hatten die von Professor Stiller und andern Forschern schon früher angestellten Marsbeobachtungen vermuten lassen. Diese Vermutungen wurden jetzt zur Gewißheit, als Professor Stiller in der Lage war, die elementarsten Lebensbedingungen des Mars persönlich zu erforschen.

Die Atmosphäre des Mars war der der Erde ähnlich. Da es aber auf dem Mars nur kleinere Ozeane und Binnenmeere gab, so enthielt der Luftkreis, der diesen Planeten umschloß, im allgemeinen weniger Wasserdampf oder Feuchtigkeit als die Erdatmosphäre. Eine wunderbar klare, durchsichtige Luft, die die fernsten Gegenstände nähergerückt erscheinen ließ, ein tief dunkelblauer Himmel waren die natürlichen Folgen dieser Tatsache, gleichzeitig aber auch ein gewisser Mangel an starkem Regen. Wohl taute es in den herrlich kühlen Nächten so reichlich, daß dadurch die Pflanzenwelt in schönster Frische erhalten wurde, aber dieser Niederschlag allein genügte nicht den Ansprüchen der Pflanzen an Wasser. So waren die Marsbewohner im Kampfe um ihre Existenz gezwungen, diesen natürlichen Mangel durch die Kunst auszugleichen. Auf diese Weise entstanden die Kanäle, die sich bis zu den polaren Zonen hinzogen und von diesen das im Sommer abschmelzende Wasser der dort abgelagerten gewaltigen Eismassen nach allen Richtungen hin leiteten.

Schon die ganze großartige Ausführung dieser uralten, Tausende von Kilometer langen Wasserstraßen, die da und dort in Riesenseen, künstlichen Zentralsammelbecken, zusammenflossen, die Art und Weise ihrer sorgfältigen Instandhaltung zeigte allein schon den hohen Grad von Intelligenz und den Gemeinsinn der Marsbewohner.

Die Regelung des Wasserstands war genau dem Bedarf und der Jahreszeit angepaßt. Dank dieser Einrichtung und der Unmasse kleiner Wasseradern, die sich überallhin abzweigten, herrschte nie Wassermangel auf dem Mars. Die Folge davon war jener üppige, prachtvolle Pflanzenwuchs, den die Schwaben immer und immer wieder bewundern mußten. Dazu kam das völlige Fehlen wilder Tiere, giftiger Reptile und gefährlicher Insekten. Es war ein Eldorado, in das die Erdensöhne geraten waren, und auf das die Worte Homers trefflich paßten:

„Wo in behaglicher Ruhe den Menschen das Leben dahinfließt:Dort ist kein Schnee, kein schneidender Sturm, kein strömender Regen,Sondern der Ozean sendet empor zur Erquickung der MenschenImmer den luftigen Hauch des frisch hinwehenden Zephyrs.“

Und diese zahlreichen Wasserstraßen waren zugleich auch die besten und einfachsten Verbindungswege der Marsbewohner untereinander. Kein Wunder daher, daß sich auf den Kanälen ein lebhafter Schiffsverkehr abwickelte. Aber die auf den klaren Fluten der tiefen Wasserläufe dahinziehenden Schiffe verdarben die köstliche Luft nicht durch qualmende Schornsteine. Sämtliche Fahrzeuge, mochten sie nun für Personen- oder Lastenbeförderung bestimmt sein, wurden durch Elektrizität in Bewegung gesetzt und vermittelten den Verkehr in ruhiger und rascher Weise.

Auf diesen ebenso zweckmäßig wie bequem und gefällig eingerichteten Fahrzeugen hatten die sieben Schwaben schon so manche weite Reise ausgeführt. Sie hatten dabei aber das übrige Land und seine Bewohner nur flüchtig kennengelernt, weil diese Fahrten eben hauptsächlich zur allgemeinen Orientierung unternommen worden waren. Was sie aber sahen, das verstärkte nur ihre ersten guten Eindrücke und befestigte ihre Überzeugung, sich in einem großangelegten Staatswesen von tadelloser Verwaltung zu befinden. Nicht nur waren die Marsbewohner trotz der Verschiedenheit der Zonen überall gleichartig, d. h. sie sprachen dieselbe Sprache und schienen auch unter ähnlichen sozialen Lebensbedingungen zu stehen wie ihre Brüder in Lumata, – so hieß die Kolonie, in der die Herren aus dem Schwabenlande angesiedelt waren, – sondern an all den vielen verschiedenen Orten, die die Fremden besuchten, fiel diesen auch eine gewisse Gleichmäßigkeit des Besitzes auf, und sie empfanden das völlige Fehlen wirklicher Dürftigkeit oder Armut sehr angenehm.

Die geologische Beschaffenheit des Mars glich der der Erde. Den kristallinischen Massengesteinen standen die Sedimentformationen gegenüber, die in ähnlicher Weise übereinander gelagert waren wie auf der Erde. Die geologische Entwicklungsgeschichte des Mars schien also mit der Erde übereinzustimmen, nur hatte der Mars seine Entwicklungsphasen offenbar schneller und früher durchgemacht als diese. Dafür sprach auch das Fehlen von aktiven Vulkanen. Dagegen war der Mars reich an heißen Quellen aller Art; an Fumarolen (d. h. Bodenöffnungen auf vulkanischem Gesteine, aus denen Wasserdämpfe ausströmen, die oft mit chemischen Verbindungen beladen sind) und an Mofetten (Kohlensäure ausströmenden Gasquellen) war auch kein Mangel.

Große Städte, wie sie in den sogenannten Kulturstaaten der Erde zu finden sind, gab es auf dem Mars nicht. Es bestanden lediglich kleinere oder größere Gruppierungen von Häusern, die aber überall frei für sich im Grünen lagen. Nur an einem großen See, zwei Tagereisen von Lumata nach Süden zu, hatten die Schwaben den einzigen Anklang an eine Stadt gefunden. Dort war eine größere Kolonie mit zahlreichen architektonisch hervorragenden Bauten, die sich an regelmäßig angelegten Straßenzügen erhoben. Eine Stadt von Palästen, wirkte sie namentlich durch die vornehme Ruhe, die in ihr herrschte, durch ihre peinliche Sauberkeit und den Glanz und die Pracht ihrer öffentlichen Gärten.

Die Erdensöhne konnten mit ihren noch mangelhaften Sprachkenntnissen nur so viel herausbekommen, daß dieser Ort, Angola mit Namen, der Zentralsitz der Stämme der Weisen, der Heitern und der Ernsten sei. Was waren aber das für Stämme? Nach Hause zurückgekehrt, befragten sie hierüber Eran, den Patriarchen. Dieser lächelte eigentümlich bei der Frage und erwiderte den neugierigen Herren, daß er sie später selbst einmal nach Angola führen werde, um sie mit seinen Brüdern dort bekannt zu machen, die übrigens von ihrer Anwesenheit in Lumata sowie von ihrer Herkunft und ihrer Reise nach dem Mars längst unterrichtet seien.

Anfangs waren die Tübinger Herren von ihren Ausflügen, dem Niederschreiben ihrer täglichen Beobachtungen und gewonnenen neuen Eindrücke und dem Erlernen der Sprache vollständig in Anspruch genommen. Aber nach und nach begann in ihnen doch eine gewisse Sehnsucht nach dem alten, trauten, ihnen zur zweiten Gewohnheit gewordenen Berufe zu erwachen, den sie mit so großem Erfolge in ihrer Heimat ausgeübt hatten. An ernste, rege Tätigkeit gewöhnt, kam ihnen das angenehme und ideal schöne Leben auf dem Mars mehr und mehr wie eine Art Schlaraffentum vor. Die Mühseligkeiten der Herreise verblaßten immer mehr in der Erinnerung, je länger sie sich auf dem Mars befanden.

Schon war ein ganzes Jahr vergangen, seit sie vom Cannstatter Wasen aus ihre Marsfahrt angetreten hatten. Aber während unten auf der heimatlichen Erde der Winter mit Schnee und Kälte vor der Türe stand, herrschte hier oben in Lumata ein ewiger Frühling, obgleich die Marsiten die Jahreszeit, in der sie sich gerade befanden, ebenfalls als die vorgerücktere bezeichneten.

War es nur Zufall, daß die sieben Schwaben auch auf dem Mars in den wichtigsten Einteilungen der Siebenzahl begegneten? Herr Stiller konnte sich diese auffallende Tatsache nicht erklären und begnügte sich damit, sie festgestellt zu haben.

Auf dem Mars wurde das Jahr in sieben Abschnitte geteilt, die die Tätigkeit wie auch die Ruhe der Natur zum Ausdruck brachten. Nach Erdenmaß gerechnet umfaßte ein solcher Zeitabschnitt die ungefähre Zahl von zweiundfünfzig Tagen. Die einzelnen Perioden hießen:

1. Die Zeit des Erwachens.

2. Die Zeit der Saaten.

3. Die Zeit des Knospens und der Blüten.

4. Die Zeit der Früchte.

5. Die Zeit der Garben.

6. Die Zeit der Ernten oder Freuden.

7. Die Zeit der Ruhe.

Nach und nach hatten die Erdensöhne so bedeutende Fortschritte in der Marssprache gemacht, daß sie nun auch gründliche Einblicke in die staatliche Organisation des Marsvolkes tun konnten. Vor ihren Augen enthüllte sich immer mehr ein großangelegtes, riesiges demokratisches Gemeinwesen, das nicht auf die Gewalt gestützt war, sondern ausschließlich durch den freien Willen des Volkes und durch das Band gemeinschaftlicher Interessen zusammengehalten wurde. Jedes einzelne Individuum ordnete sich hier dem Gemeinwohl unter und leistete ihm nach seinen Fähigkeiten Dienste. So stellte sich das Staatswesen als eine zwar große, aber doch wieder engverbundene Familie voll schönster Eintracht dar. An der Spitze des gesamten Staatswesens stand der Stamm der Weisen oder der Hüter des Gesetzes.

Die Bevölkerung des Mars schied sich in folgende sieben Stämme:

1. Stamm der Weisen oder der Hüter des Gesetzes.

2. Stamm der Heitern (Bildende Künste: Maler, Bildhauer, Komponisten).

3. Stamm der Ernsten (Gelehrte aller Richtungen).

4. Stamm der Frohmütigen (Darstellende Künste: Musiker, Schauspieler).

5. Stamm der Sorgenden (Acker- und Gartenbauer und Dienende).

6. Stamm der Flinken (Handel- und Verkehrtreibende).

7. Stamm der Findigen (Industrielle).

Die sechs letzten Stämme standen einander im Ansehen völlig gleich. Der erste Stamm rekrutierte sich aus den erfahrensten, ältesten, vor allem aber den geachtetsten und durch ihre Lebensführung hervorragenden Individuen männlichen wie weiblichen Geschlechts der übrigen sechs Stämme.

Der größte Stamm, der an Zahl seiner Angehörigen alle andern Stämme zusammen weit übertraf, war der der Sorgenden.

Die Zulassung zu den einzelnen Stämmen, den der Weisen allein ausgenommen, wurde lediglich durch die Neigung und den Nachweis der Fähigkeit entschieden. Ein Übertritt von dem einen Stamm in den andern konnte auf Grund einer Prüfung jederzeit an einem bestimmten Zeitpunkt stattfinden. Fest gebunden war niemand, und gerade dieser völlige Mangel an Zwang schien hier oben eine der Hauptursachen für die Entwicklung der verschiedenen Berufsarten zu sein.

Ein natürlicher, vernünftiger Ehrgeiz, das Bestmögliche zu leisten, beherrschte die Marsbewohner und hielt nicht nur das Streben des Einzelnen wach, sondern regelte es auch in gesunder Weise.

Da auf dem Mars kein Geld in Umlauf war, so gab es auch nicht das widerliche, Geist wie Körper gleichmäßig aufreibende Hasten und Jagen nach dessen Besitz wie unten auf der Erde. Geldsorgen waren auf dem Mars unbekannt. Die verschiedenartigsten Leistungen des einzelnen wurden durch Anweisungen auf seine sämtlichen Lebensbedürfnisse aufgewogen. Zu diesen Bedürfnissen wurde aber auch eine gewisse Summe von Lebensfreude gerechnet, wie sie die bildenden und darstellenden Künste und dergl. zu bieten vermögen.

Der höchste Ruhm und die größte Ehre bestand in der allgemeinen Anerkennung und Wertschätzung. Diese konnte sich aber jeder durch treue Erfüllung seiner Pflichten und Obliegenheiten erringen. Für die Leistungen, die über die allgemeine Pflichtarbeit hinausgingen, also da, wo das wirkliche Verdienst um das große Ganze beginnt, erhielten die Marsiten durch den Stamm der Weisen Auszeichnungen in Form öffentlicher Belobungen, die den Inhaber in vorgeschrittenerem Lebensalter zum Eintritt in diesen allgemein hoch verehrten Stamm berechtigten.

Das gesamte Leben auf dem Mars war in seiner so eigenartigen Form nur dadurch möglich, daß es unter dem ausschließlichen Zeichen des Zusammenhalts stand. Der allgemeine Grundsatz, daß das einzelne Individuum alles tun muß, was das Gesamtwohl fördert, alles zu unterlassen hat, was dem Nebenmenschen Schaden und Schmerzen bereitet, war hier oben schon seit undenklicher Zeit in die Praxis umgesetzt. Dabei wurde die Eigenliebe, ein gesunder, berechtigter Egoismus, nicht vernichtet. Der natürliche Selbsterhaltungstrieb des einzelnen wurde durch die einfache Erkenntnis machtvoll gefördert, daß vom Wohl und Wehe des Nächsten auch das eigene Wohl und Wehe abhänge, daß das Blühen und Gedeihen der andern das eigene Blühen und Gedeihen mit einschließe, und daß ihr Elend gleichbedeutend mit dem eigenen sei.

Diese klare, natürliche Moral, die zu reiner Nächstenliebe (Altruismus) führt, und die jeden geistig normalen Menschen instinktiv das Gute tun und das Schlechte meiden läßt, bestand in vollster Anwendung auf dem Mars. Die Quelle aller Übel auf der Erde, die rohe Selbstsucht, die die Unsumme von Gesetzesparagraphen nötig machte, bestand beim Marsvolke nicht. Nächstenliebe, Wahrheit, ein gewisser Frohmut schlossen den niederen Egoismus völlig aus.

Ein Bund von Brüdern und Schwestern schien das Volk hier oben zu sein, wissend, wahr, frei und gut, das Ideal reinen Menschentums verwirklichend. Wie klein kamen sich die Söhne der Erde vor, als sie nach und nach die Pfeiler kennenlernten, auf denen das Staatswesen sowie das öffentliche und private Leben der Marsiten so fest ruhte! Und diese festen Pfeiler waren hervorgegangen, herausgebaut aus einer großartig organisierten, allgemeinen und freien Schulung der Marsjugend. Die ideale Schule der Zukunft, von der Professor Hämmerle in Tübingen so viel schon geträumt, – hier auf dem Mars begegnete er ihr als einer alten, bewährten Einrichtung.

Der leitende Grundsatz der Marsschulen war, die Jugend geistig und körperlich gleich gut zu bilden; denn je gebildeter und körperlich kräftiger zugleich ein Individuum ist, desto fähiger ist es, seine Lebensaufgaben und seine Pflichten als Mitglied des Staates zu erfüllen. Der Unterricht beschränkte sich daher nicht nur auf die einfacheren, elementaren Kenntnisse, sondern er erstreckte sich auch auf die Geschichte und die Kenntnis der Einrichtungen des Staatswesens, auf die Einführung in die Gesetze der Natur und auf die Bekanntschaft mit den poetischen und prosaischen Meisterwerken der Marsliteratur. Hand in Hand damit ging der Unterricht in der allgemeinen Körperpflege und in der Gesundheitslehre, der den Altersstufen der Jugend entsprechend angepaßt war.

Gymnastische Spiele aller Art füllten die Nachmittage aus, an denen der Unterricht wegfiel. Am Ende einer bestimmten Schulzeit wurden Wettprüfungen vorgenommen. Wer aus ihnen als Sieger hervorging, rückte zu den höheren Unterrichtsklassen vor. Auf diese einfache Weise war eine klare Scheidung zwischen den wirklich talentierten und den weniger begabten Schülern durchgeführt. Den ersteren stand dann der Weg zu den Kunstschulen oder zu den verschiedenartigen höheren wissenschaftlichen Lehranstalten offen. Die höhere Bildung war Gemeingut des ganzen Volkes, und keine anmaßende Mittelmäßigkeit konnte sich auf dem Mars breitmachen.

„Wir Erdgeborene sind die reinen Stümper gegen diese Prachtkerle hier oben. Was für ein Leben hier im Verhältnis zu dem da unten auf der Erde! Hier hellster Sonnenschein, dort trüber Nebel. Wie unendlich weit zurück steht die so gepriesene Kultur unserer führenden Nationen gegen die des Marsvolkes!“ äußerte sich eines Tages Brummhuber, als die Herren gerade beim Mahle saßen.

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