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Die Weltensegler. Drei Jahre auf dem Mars.
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Die Weltensegler. Drei Jahre auf dem Mars.

Язык: Английский
Год издания: 2019
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„Wer sich selbst aufgibt, ist überhaupt von vornherein schon verloren. Wo sich nur immer ein Schimmer von Hoffnung zeigt, und wäre er noch so klein und schwach, da sieht der mutige Mensch noch die Möglichkeit eines Ausweges und einer Rettung, während der Mutlose der Verzweiflung anheimfällt. War ich denn schwach und feige, oder bin ich es wirklich?“ fragte Professor Stiller sich. „Wovor fürchte ich mich eigentlich? Vor dem Tode, vor dem Verlust meines Lebens, das im Dienste der Forschung, der Allgemeinheit allerdings wertvoll war, von mir persönlich aber niemals hoch eingeschätzt wurde?“

Der großartige Gedanke dieser Reise, der sinnreiche Bau des Weltenseglers, der sich bis zur Stunde so ausgezeichnet bewährt hatte, das alles war doch schließlich sein ureigenstes Werk, dem er in jeder Beziehung so viele Opfer gebracht hatte. Schon vor Ausführung der Reise hatte er ja mit der Möglichkeit eines Scheiterns der Expedition gerechnet. Trotzdem war er voll Mut und Hoffnung auf Überwindung aller Gefahren von der Heimat abgefahren. Und nun, wo die Sache anfing kritisch zu werden, da sollte ihm wie einem Schwächlinge der Mut sinken? Wie stand er eigentlich vor sich selbst da? Eine Röte der Scham stieg bei diesem Gedankengange in sein Gesicht. Weg mit allem, was nach Schwäche, nach Feigheit aussah! War es ihm wirklich vom Schicksal bestimmt, schon jetzt sterben zu müssen, in der Blüte und Vollkraft der Jahre, nun dann in Gottes Namen! Aber dann war auch die Art des Unterganges seiner würdig: sie war ebenso groß wie eigenartig. Sein und seiner Gefährten Namen würden, wenn sie selbst schon längst im Weltraume verschollen waren, für immer achtungsvoll unten auf der Erde genannt werden. Mit goldenen Lettern waren sie in den Annalen der Weltgeschichte und der Wissenschaft als kühne, wenn auch unglückliche Weltensegler eingetragen. Der Gedanke daran war auch ein Trost und zwar ein großer, stolzer und zugleich erhebender. Da gelobte sich Professor Stiller von neuem, mit Entschlossenheit und offenen Auges der Zukunft entgegenzugehen, mochte sie bringen, was sie wollte. Eine wunderbare Ruhe kam allmählich über ihn. Sie ließ ihn wieder klarer denken und überlegen. Zunächst begann er, den noch vorhandenen Vorrat an elektrischer Kraft auf das sorgfältigste festzustellen. Tagelang rechnete er hin und her. Die Entfernung des Weltenseglers vom Mars betrug noch rund achtzehn Millionen Kilometer. Die Wirkung der Anziehungskraft des Planeten auf den Weltensegler konnte von diesem aus gesteigert werden, wenn man sich entschloß, einen Teil der gebannten, festgelegten elektrischen Kraft zu opfern, hinaus in den Weltraum, dem Mars entgegen zu senden. Allerdings war dieser Versuch, wie Professor Stiller sich selbst gestand, sehr gewagt: es verringerte den für die Beleuchtung und Erwärmung des Gondelinnern so notwendigen Energievorrat außerordentlich rasch. Aber es konnte kein Schwanken mehr für ihn geben, nachdem er sich zu der Erkenntnis durchgerungen hatte, daß die Opferung eines großen Teiles der elektrischen Energiemengen noch die einzige Möglichkeit der Rettung des Lebens und des Gelingens der Expedition in sich schließe. Es war ein Va-banque-Spiel, aber es mußte unter diesen Verhältnissen gespielt werden. Es blieb keine andere Wahl.

Professor Stiller machte sich sofort an die Arbeit. Anfangs schauten die Herren der neu erwachten, energischen Tätigkeit ihres Genossen stumm, nahezu gleichgültig zu. Nach und nach aber erwachte in ihnen doch wieder die Neugier und damit das eingeschlafene Interesse an der Wissenschaft.

„Stiller, was machen Sie da?“ fragte man den Professor aus den verschiedenen Ecken der Gondel heraus, in denen die Herren herumlagen.

„Ich arbeite an unserer Rettung,“ entgegnete kurz der Gefragte.

„Fürwahr, ein löbliches Werk!“ bemerkte Frommherz mit schwacher Stimme.

„Erklären Sie uns Ihr Unternehmen!“ bat Professor Dubelmeier.

„Lassen Sie mich nur ruhig gewähren, werteste Freunde! Meine Auseinandersetzungen müßte ich mit so vielen Zahlen belegen, daß Ihnen der Kopf brummen würde, und der bedarf bei uns allen jetzt ganz besonderer Schonung.“

„Stiller hat recht!“ entschied Professor Piller. „Reichen Sie mir lieber aus dem Schrank, an dem Sie sitzen, eine Flasche unseres heimischen Weines. Ich will wieder Lethe trinken, Lethe!“

„Piller, Sie trinken entschieden zuviel,“ mahnte Dubelmeier, entsprach aber doch der Bitte des Freundes, indem er ihm eine Flasche mit dem hellroten „Zuckerle“ hinüberreichte „Der Alkohol ist ein Feind des Gehirns, das sollten Sie doch als Medizinmann am besten wissen.“

„Meinetwegen!“ gähnte Professor Piller. Dann verriet ein lauter, gurgelnder Ton aus der Ecke den kräftigen Zug des Trinkenden. „So, das hat geschmeckt. Es geht eben doch nichts über einen guten Tropfen,“ brummte Piller. „Und nun, Dubelmeier, rate ich Ihnen dringend, mit dieser Art von Gehirnfeind ebenfalls nähere Bekanntschaft zu machen. Göppinger Wasser allein tut’s freilich nicht, uns und unsern Denkkasten auf dieser vermaledeiten Reise mobil zu erhalten.“ Nach diesen Worten schloß Professor Piller wieder die Augen und schlief ruhig ein. Auch die andern Herren sanken rasch wieder in den alten lethargischen Zustand zurück.

Unterdessen hatte Professor Stiller die Wirkung seines Versuchs beobachtet. Der Schnelligkeitsmesser notierte tatsächlich eine nennenswerte Vermehrung der Geschwindigkeit gegenüber der bisherigen. Bereits wiegte sich der Professor in der Hoffnung auf das Gelingen des Experimentes, – da trat ein neues Ereignis ein.

„Was, Teufel, ist denn wieder los?“ fragte Piller, plötzlich aus seiner Lethargie auffahrend, als sich ein seltsames, donnerähnliches Rauschen in der Gondel hören ließ.

„Das klingt ja wie das Brausen eines Bergstromes, der ungezählte Trümmer mit sich führt!“ warf der bergkundige Dubelmeier ein.

Kaum war das Wort gesprochen, als ein schwerer Gegenstand die Gondel traf. Erregt sprang Professor Stiller auf.

„Schnell, Freunde, helft die Fenster schützen! Trügt mich nicht alles, so ist ein kosmischer Regen im Anzuge.“

Die Herren stürzten nach den vier Fenstern der Gondel und ließen blitzschnell die Schutzvorrichtung herunterklappen. Ein von der Seite kommender, kurzer, prasselnder Regen ging über den Weltensegler, mehr noch über die Gondel nieder. Schon glaubte Herr Stiller jede Gefahr abgewendet, als wiederum ein neuer, aber gewaltigerer Schlag, als es der erste war, die Gondel traf. Ihm folgte ein Klirren und ein lauter Schmerzensschrei. Der Ort, an dem sich der Geschwindigkeitsmesser in der Gondel befand, war durch einen kleinen Meteoriten getroffen worden. Durch die furchtbare Erschütterung war das Instrument verletzt und seine innere Glaseinfassung zersplittert worden. Einer der Splitter hatte Professor Frommherz getroffen, der nun stöhnend und blutüberströmt auf dem Boden der Gondel lag.

Durch den Schlag war die Gondel so heftig auf die Seite geworfen worden, daß eine heillose Verwirrung im Innern entstand. Erst nach einiger Zeit hörte die schaukelnde Bewegung der Gondel auf und machte wieder der alten, ruhigen Lage Platz. Weitere Schläge erfolgten nicht mehr, und Professor Stiller konnte annehmen, daß der Weltensegler auch aus dieser Gefahr unerwartet glücklich hervorgegangen sei.

Erst jetzt konnte Piller den Verwundeten untersuchen. Er stellte fest, daß die Verletzung zum Glück nicht so schlimm war, wie sie den Anschein hatte.

„Sie jammern im umgekehrten Verhältnis zu Ihrer Wunde, Frommherz,“ spottete Piller, nachdem er die Wunde untersucht hatte.

„O Himmel, das fehlte gerade noch!“ stöhnte der Verwundete, als Piller die Nadel durch die Wundränder stieß. „Haben Sie Unmensch denn gar kein Gefühl für mein Leiden?“

„Bah,“ entgegnete Herr Piller trocken, „Unmensch hin, Unmensch her! Danken Sie Ihrem Schöpfer, daß Sie noch mit einem solchen Schmisse weggekommen sind! Er wird sich auf Ihrer Stirn recht kühn ausnehmen, dieser länglich rote Streifen.“

„Was wird man dann von mir denken?“

„Was man will! So, nun schneiden Sie kein solches Jammergesicht mehr. Die Wunde ist genäht, der Verband befestigt. Watte, mit Göppinger Wasser getränkt, entfernt aus Ihrem Antlitze die Blutspuren. Dann sehen Sie reinlicher aus als wir. Nach einigen Tagen entferne ich die Fäden, und die Sache hat ein Ende.“

„Ach, wäre es nur erst vorüber!“

„Wenn Sie damit die Reise meinen, so bin ich ganz Ihrer Ansicht. Einmal aber muß diese vermaledeite Fahrt ihr Ende nehmen, so oder so,“ brummte der Medizinmann unmutig in den Bart.

Das Schlimme war, daß der Geschwindigkeitsmesser unbrauchbar, funktionsunfähig gemacht worden war. An eine Reparatur des Werkes während der Fahrt war gar nicht zu denken. Dieses peinliche Ereignis zog einen bösen Strich durch alle Berechnungen Professor Stillers und raubte ihm jede Möglichkeit der Kontrolle. Nun war alles dem blinden Zufall ausgeliefert. An die Stelle genauer Berechnung trat jetzt ausschließlich die Vermutung. Diese aber öffnete wieder allen trüben Gedanken Tür und Tor.

Weiter rollte die Zeit und weiter der Ballon auf seinem Wege. Die Lebensmittel waren schon derart zusammengeschmolzen, daß trotz der geringen Eßlust der Gondelbewohner in kürzester Zeit Nahrungsmangel eintreten mußte. Auch der Vorrat an elektrischer Energie nahm in schreckenerregender Weise ab. Wollte also Professor Stiller sich und seinen Gefährten nur noch für wenige Tage Licht und Wärme erhalten, so mußte sofort mit der Abgabe der elektrischen Kraft in den Ätherraum hinaus aufgehört werden. Schweren Herzens stellte daher der Gelehrte die Verbindung nach außen hin ab.

Was werden die nächsten Tage bringen? In ihrem dunklen Schoße lag das Schicksal, das Glück oder der Untergang der Expedition. Das elektrische Licht in der Gondel fing an schwächer zu werden; eine empfindliche Kälte, die sich trotz der Pelzkleidung der Männer nicht länger mehr bannen ließ, machte sich mehr und mehr geltend. Ein dumpfer, gleichgültiger Zustand hatte sich aller Gondelinsassen bemächtigt, der nach und nach in eine Art von Bewußtlosigkeit überzugehen begann. Langsam schien das Ende für die Dulder heranzukommen. Lange, bange Stunden verstrichen so; kein Laut ließ sich mehr in der Gondel vernehmen. Da auf einmal ein gewaltiger Stoß. Ballon und Gondel flogen zur Seite und schienen sich zu überschlagen. Die armen Männer in der Gondel flogen übereinander, schlugen gegenseitig aufeinander auf und begannen aus ihrem todesartigen Schlummer aufzuwachen.

Furchtbar erschrocken über die heftige Erschütterung, gelang es den Herren nach langen Anstrengungen sich endlich aufzurichten. Als sie schließlich mühsam die Augen zu öffnen vermochten, da fiel durch die zertrümmerten Fenster der Gondel helles, strahlendes Sonnenlicht herein. Es bedurfte einiger Zeit, bis die schmerzenden Augen der Reisenden sich an das so lange entbehrte Licht der Sonne wieder gewöhnt hatten. Dann aber war plötzlich alle Lethargie von ihnen gewichen.

Professor Stiller war der erste auf den Füßen. Unbekümmert um eine mögliche Gefahr, streckte er mutig den Kopf zu einem Fenster hinaus, um die Ursache des Zusammenstoßes des Weltenseglers mit einem andern, fremden Körper zu erforschen; denn daß ein solcher stattgefunden haben mußte, war dem Gelehrten sofort klar.

„Hurra! Hurra!“ rief er, aufgeregt vom Fenster zurücktretend, seinen Gefährten zu. „Hurra! Wir sind gerettet! Wir haben den kleinen Marsmond Phobus, glücklicherweise nur sehr leicht, gestreift. Die äußerste Hülle unseres Ballons ist allerdings gerissen und auch sonst ist, wie ich sehe, vielerlei Schaden entstanden, aber das ist gleichgültig! Seht hier hinab, da unten, da unten liegt der Mars! Gerettet, ge . . . .“ Professor Stiller fiel zurück. Eine tiefe Ohnmacht umfing ihn.

Professor Pillers energischen Anstrengungen gelang es endlich, den Bewußtlosen dem Leben zurückzugeben.

„Wo sind wir?“ fragte Professor Stiller mit schwacher, kaum vernehmbarer Stimme.

„Das wissen wir selbst nicht recht. Jedenfalls noch immer in der Luft und noch nicht auf festem Boden,“ antwortete Professor Piller.

„So müssen wir die Ventile öffnen und den Weltensegler langsam und vorsichtig zum Fallen bringen,“ entschied Stiller.

„Aber fühlen Sie sich auch wieder so kräftig, die Leitung des Ganzen übernehmen zu können?“

„Es muß einfach sein!“ Mit diesen Worten erhob sich Professor Stiller, um sich zunächst durch einen Blick aus dem Fenster über die örtliche Lage des Ballons zu orientieren.

Richtig, da unten, nur wenige Kilometer vom Weltensegler entfernt, hob sich scharf und deutlich eine breite, mächtige Wasserstraße ab, eine dunkelgrüne, subtropische Vegetation umrahmte den Flußlauf. Dazwischen eingestreut zeigten sich, vom warmen Sonnenschein übergossen, wohlbebaute Felder und Gärten. Eigenartige, von weitem blendend weiß erscheinende Bauten bewiesen die Nähe belebter Wesen. Die laute Begeisterung, die die kühnen Weltfahrer einst bei der Passage des Erdmondes erfaßt hatte, machte hier einer stummen Bewunderung Platz, als sie dankerfüllten Herzens gegen das Geschick, das sie im letzten Augenblicke noch vor dem Äußersten bewahrt hatte, von ihrer Gondel auf die märchenhaft schöne Landschaft hinabschauten, der sie nun in raschem Fluge näherkamen.

Viertes Kapitel

Auf dem Mars

Vom Mars aus – denn er war es wirklich – hatte man das Luftschiff schon längst bemerkt. Als es sich nun dem Boden näherte, strömte eine Anzahl von Menschen, die hier herum wohnten, dem Orte zu, an dem das Luftschiff niederging. Der Weltensegler hielt auf eine große, grüne Wiese zu, auf der Gruppen edelster Viehrassen weideten. Professor Stiller warf das Kabel mit dem Anker in weitem Bogen von der Gondel ab und deutete durch Zeichen und Gebärden den untenstehenden Menschen an, was sie ungefähr tun sollten, um das Luftschiff festzumachen. Die Marsleute begriffen auch sofort, was der fremde Mann in seiner stummen Sprache von ihnen begehrte. Ohne jede Hast, aber doch rasch und auffallend gewandt, war dem Wunsche des Professors entsprochen worden. Nun lag das Fahrzeug fest und sicher vor Anker.

Die Strickleiter wurde aus der Gondel herabgelassen und an den hiezu bestimmten Metallklammern befestigt. Die sieben Männer aus dem fernen Schwabenlande stiegen nacheinander an ihr herab, um als die ersten Erdgeborenen den Boden des Mars zu betreten. Eine weiche, balsamische, von Wohlgerüchen erfüllte Luft umfing die kühnen Reisenden, als sie aus ihrer Gondel herabgeklettert waren. Ein Gefühl der Wonne, des Geborgenseins, unsäglicher Befriedigung zog in die Brust der armen, halbtoten Männer, als sie nach so vielen Wochen zum erstenmal wieder festen Boden unter ihren Füßen spürten. Ja, sie mußten sich selbst erst überzeugen, daß es wirkliche Erde sei, auf der sie standen. Mit den Händen griffen sie nach dem Boden, um sich von seiner erdigen Beschaffenheit zu überzeugen. Nein, es war kein Traum, es war Wirklichkeit: sie standen auf richtigem Boden. Tausend-, abertausendmal Dank dem Himmel, der sie ihr Ziel erreichen ließ! Tränen des Glückes, der reinsten Freude liefen den hartgeprüften Männern über die bärtigen Wangen, die seit langer Zeit nicht mehr gepflegt worden waren.

„Donnerwetter, wie sehen wir aus!“ rief voll Entsetzen Professor Piller, als er seine Genossen genauer im Lichte der Sonne betrachtete.

Dann aber brachen die Herren in lautes Lachen über die Komik ihres eigenen Äußern aus. Professor Stiller begann nun, die ihn und seine Genossen umgebenden Menschen zu mustern. In der Tat, das waren Menschen von Fleisch und Blut, die hier herumstanden und mit freundlichem Lächeln die Erdensöhne betrachteten.

„Sauberer, großer und schöner als wir sind sie entschieden. Oder sollten wir am Ende gar zu den Göttern des Olymps und nicht nach dem Mars gekommen sein?“ bemerkte Professor Hämmerle, nachdem er seine Brillengläser geputzt und die Brille auf die Nase gesetzt hatte.

„Warum das?“ fragte Professor Dubelmeier.

„Eine Gesellschaft von Göttern scheinen mir diese Wesen hier zu sein. Sehen Sie nur einmal diese geradezu klassisch schönen Gesichter, diese prachtvollen Körperformen und die sie nur schwach verhüllenden antiken Gewänder!“

„Der Vergleich hat entschieden viel für sich,“ antwortete Professor Stiller, „aber nach dem Olymp hätten wir viel näher gehabt als nach dem Mars; diese eine Tatsache schon mag Sie aus Ihrem Wahn reißen, lieber Hämmerle.“

Dabei zog er seinen Chronometer. Er wies auf die achte Stunde.

„Es ist noch früh am Morgen. Wir wollen sehen, was uns dieser erste Tag auf dem Mars an merkwürdigen Erlebnissen bringen wird. Versuchen wir einmal eine sprachliche Verständigung mit unsern neuen Freunden; denn daß sie das sind, zeigt mir ihre freundliche und wohlwollende Haltung.“ Mit diesen Worten trat Professor Stiller zu den vordersten Marsmenschen vor, die ihn in vornehmer Ruhe, ohne die geringste Furcht und ohne irgendein Zeichen des Erstaunens an sich herankommen ließen.

„Wir sind doch auf dem Mars, nicht wahr?“ Diese etwas banale Frage richtete er in deutscher Sprache an die Leute. Aber diese schüttelten den Kopf und erwiderten in wohllautender Sprache etwas, das Stiller wiederum nicht verstand, das aber klang, als ob sie bedauerten, den Fremden nicht begriffen zu haben.

„Die können nicht deutsch, natürlich. Das hätten Sie sich doch von vornherein selbst sagen müssen, Stiller,“ warf Professor Hämmerle tadelnd ein.

„Nun, so examinieren Sie einmal, Hämmerle! Vielleicht gelingt es Ihnen mit Ihren vielseitigen Sprachkenntnissen festzustellen, in welchem Idiom mit den Leuten hier eine Verständigung möglich ist.“

Mit kraftvoller Stimme hub Hämmerle auf Altgriechisch an: „Freunde, wir grüßen euch in herzlichster Art, wir, die von der fernen Erde hergeflogen sind, um euch zu besuchen.“ Keine Antwort, nur ein eigentümliches Lächeln als Zeichen des Nichtverstehens. Jetzt deklamierte Hämmerle seine Begrüßungsformel in lateinischer Sprache. Wiederum dieselbe Stille und dasselbe Lächeln als Antwort.

„Vielleicht gelangen wir mit einer unserer modernen Sprachen eher zum Ziele, da klassische Bildung diesen Wesen völlig abzugehen scheint,“ sprach Hämmerle, ärgerlich geworden über die Ergebnislosigkeit seiner ersten Versuche. Aber auch Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Russisch, schließlich sogar Arabisch und Hebräisch führten zu keinem Ziele.

„Das fängt gut an!“ murrte Professor Brummhuber.

„Wir müssen allem Anscheine nach die Marssprache erlernen,“ bemerkte Thudium.

„Wahr gesprochen!“ bestätigte Frommherz.

„Aber siehe da, was kommt denn da für ein altes Haus?“ rief Dubelmeier.

Ein älterer Mann von achtunggebietender Gestalt, mit weißem Haar und Bart, ohne jegliche Kopfbedeckung, durchbrach die Reihe seiner Gefährten und schritt stolz auf die sieben Schwaben zu. Gekleidet war der Alte wie seine übrigen Genossen. Ein blusenartiges, schneeweißes Hemd aus feinster Wolle mit purpurfarbenem Besatze hüllte den hohen, edlen Körper ein. Um die Hüften war es durch ein breites Band von purpurner Farbe gehalten. An den nackten Füßen trug er Sandalen aus feinem, gelbem Leder. Voll Ehrfurcht machten ihm seine Gefährten Platz, und die Herren aus dem Schwabenlande erkannten daraus sofort, daß ihnen in dem Alten ein Mann von hoher sozialer Stellung entgegentrat.

Sie entblößten nun als Zeichen der Hochachtung das Haupt und erwarteten voll Spannung die weitere Entwicklung der Szene. Der Alte ließ zuerst seine Blicke über den Weltensegler gleiten, dann richteten sich seine klaren, dunkelblauen Augen, aus denen ebensoviel Geist als Herzensgüte sprach, auf die sieben Fremden, die er in einer harmonischen Sprache anredete, wobei er hin und wieder auf das mächtige Luftschiff deutete und schließlich ihnen durch eine freundliche Gebärde zu verstehen gab, ihm zu folgen.

Die Herren zogen nun mit dem Alten als Führer an der Spitze von dannen. Ihnen schlossen sich in ruhiger, würdevoller Haltung die Marsbewohner an, die beim Niedergange des Weltenseglers so bereitwillig hilfreiche Hand geleistet hatten. Den Professoren schien es, als ob ein Märchen aus Tausend und einer Nacht lebendig geworden wäre. Sie konnten sich nicht satt sehen an all dem Schönen und Eigenartigen, das ihnen hier auf Schritt und Tritt begegnete. Von der Wiese kamen sie auf einen mit feinem, weißem Sande bestreuten, mit prächtigen, früchtebehangenen Bäumen eingefaßten schattigen Pfad. Dieser führte auf eine große Anzahl von Gebäuden zu, die voneinander getrennt und von prächtigen Gärten umgeben waren. Ihrer stattlichen Größe nach zu urteilen, schienen es öffentliche Bauten zu sein, die sich da in ihrem reinlichen Weiß aus dem Grün ihrer Umgebung abhoben.

Überall wuchsen hochstämmige Palmen, dazwischen prächtige, hellgrüne Bananen und Farnbäume, vermischt mit einer Blumenpracht, wie sie die Tübinger Professoren in dieser üppigen Entfaltung noch nie zuvor gesehen hatten. Rosen-, lilien-, myrten- und lorbeerartige Gewächse, Orchideen und eine Menge anderer Blumen wetteiferten miteinander an Glanz und Schönheit der Farben und an Wohlgeruch. Schmetterlinge in allen Größen und Farben wiegten sich in der warmen, herrlich zu atmenden Luft, und buntschillernde Vögel ließen von den Bäumen herab ihr schmetterndes Morgenlied ertönen.

„Ein Paradies, in das wir gelangt sind,“ sprach Professor Stiller leise zu dem neben ihm schreitenden Professor Piller. „Ich muß meinen Gefühlen Luft machen, meiner Bewunderung Worte verleihen. Sagen Sie, Piller, ist es Ihnen nicht auch so wunderbar, so feierlich zumute wie mir, haben Sie nicht auch ein Gefühl ungefähr so, wie es unser unsterblicher Uhland in seinem Sonntagsliede zu so ergreifendem Ausdruck gebracht hat?“

„Na, na!“ entgegnete Piller trocken. „Auch mir gefällt ja dieser Einzug auf dem Mars gar nicht übel. Im übrigen aber haben wir heute zufällig Sonntag. Wußten Sie das nicht, Stiller?“

„Nein! Mir entfiel die Zeitrechnung in den letzten Wochen vollständig. Woher aber wissen Sie das?“

„Nun, als Sie heute früh in tiefer Ohnmacht lagen, da habe ich mit der Uhr in der Hand Ihre Herztätigkeit kontrolliert. Meine Uhr zeigt aber zufällig außer den üblichen Stunden, Minuten und Sekunden auch noch Monate und Tage. Wir haben heute Sonntag, den 7. März.“

„Sonntag, den 7. März! Die heilige Siebenzahl in allem. Möge sie uns auch weiter schirmend und schützend umgeben!“ rief Professor Stiller.

„Vor allem wünsche ich mir ein gutes Essen nebst solidem Trunk; das frischt die Lebensgeister besser auf und schützt sie gründlicher vor Verbrauch als Ihre Siebenzahl. Wir haben in unserer Gondel zuletzt ein heilloses Leben an Entsagung geführt; es ist höchste Zeit, wieder in einen guten Hausstand und an einen richtigen Herd zu gelangen.“

„O Sie ewig Prosaischer!“ erwiderte lächelnd Professor Stiller. „Hungern und dürsten werden Sie hier oben nicht. Da sehen Sie einmal nach den Früchten da drüben!“

Professor Piller folgte mit den Blicken der angegebenen Richtung. „Donnerwetter!“ entfuhr es seinen Lippen. „Sollen diese kolossalen Beeren, die da herunterhängen, am Ende gar zu einer Weintraube gehören?“

„Nichts anderes! Das, was Sie sehen, ist eine Weintraube, wie sie in dieser Größe eben nur dem subtropischen Klima eigen ist.“

„Dann leb’ wohl, Zuckerle, Trank meiner Heimat!“ rief Herr Piller so laut, daß ihn die andern Kollegen hörten. „Leb’ wohl, Zuckerle, denn den Tropfen, den man hier aus diesen Ungeheuern von Beeren preßt, der muß ja einem wie flüssiges Feuer durch die Adern rinnen, Halbtote, wie wir sind, wieder zu freudigstem Lebensgenuß erwecken. Auf diesen Trunk freue ich mich.“

„Nektar und Ambrosia scheinen wir hier zu finden,“ flötete Frommherz.

„Wollen gerne auf dieses griechische Götterzeug verzichten, wenn es nur sonst hier was menschlich Anständiges für unsern Magen gibt,“ antwortete Piller.

Unter solchen Gesprächen gelangten die Herren mit ihrer Begleitung zu den ersten Häusern. Zu ihrem Erstaunen mußten sie sich überzeugen, daß die Gebäude, die sie aus der Ferne für öffentliche Bauten gehalten hatten, nichts anderes waren als großartige Einfamilienhäuser oder Villen. Aus weißen, sorgfältig behauenen Steinen ausgeführt, hatten sie vorn hohe, säulengetragene Hallen, die einen überaus einladenden Eindruck machten und von der Vorliebe der Bewohner für frische Luft und für freie und uneingeengte Räume Zeugnis ablegten. Für das warme Klima waren solche offene Hallen das einzig Richtige und Zweckmäßige. Breite Marmorstufen führten zu ihnen empor und dienten blühenden Kindern, die nur mit einem hellfarbenen, leichten, durch einen Gürtel um die Lenden festgehaltenen Hemde bekleidet waren, als Spielplatz. Marmorfiguren hoben sich stimmungsvoll zwischen den Bogen der Hallen ab. Alles atmete ruhige Schönheit und Freude und verfehlte nicht seine tiefe Wirkung auf die Reisenden.

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