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Von Bagdad nach Stambul
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Von Bagdad nach Stambul

Язык: Немецкий
Год издания: 2016
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»Was soll ich dann tun?«

»Sitzen bleiben, außer wenn ich laut nach dir rufe. Jetzt steige hinauf!«

Ich nahm den Hund ganz hart an mich heran und schlich mich weiter. Es war allerdings eine gefährliche Sache, am hellen, lichten Tage sich so nahe an ein feindliches Lager zu wagen, daß man es genau übersehen und beobachten konnte.

Nach einiger Zeit sah ich die erste Hütte durch die Bäume blicken. Sie war in Pyramidenform sehr urwüchsig aus Zweigen errichtet. Jetzt zog ich mich wieder zurück, um zunächst einen weiteren Halbkreis um den Ort zu ziehen; denn ich mußte sehen, ob sich etwa Bebbeh in der Tiefe des Waldes befänden. In diesem Falle hätte ich sie in meinem Rücken gehabt und wäre jedenfalls von ihnen entdeckt worden.

Ich schlich von Baum zu Baum, immer die stärksten Stämme aussuchend und mit aller Aufmerksamkeit in die Einsamkeit des Forstes hineinhorchend. Bald bemerkte ich, daß meine Vorsicht gar nicht überflüssig gewesen sei; denn ich glaubte Menschenstimmen zu vernehmen, und zu gleicher Zeit stieß Dojan mich mit der Schnauze an. Das edle Tier wußte durch seinen Instinkt, daß es jetzt keinen Laut von sich geben dürfe, und sah mich mit seinen großen, klugen Augen unverwandt an.

Als ich mich in der Richtung hielt, aus der die Laute gekommen waren, sah ich bald drei Männer unter einem Baume sitzen, den von drei Seiten ein junges, ungefähr fünf Fuß hohes Kirschlorbeergehölz umgab. Dieser Ort war wie geschaffen zum Belauschen. Und da ich annahm, daß das gestrige Ereignis auf alle Fälle der Gegenstand des Gespräches sei, so huschte ich von weitem um sie herum, legte mich sodann zu Boden und kroch bis zu den Kirschlorbeerbüschen heran, wo ich ihre Worte ganz deutlich vernehmen konnte.

Wie erstaunte ich, als ich in einem von ihnen den Kurden erkannte, der zweimal unter Dojan gelegen hatte und den ich frei ließ, weil er sich für einen Dschiaf ausgab! Auch Dojan erkannte ihn wieder, denn seine Augen funkelten feindselig zu ihm hinüber, obgleich er keinen Laut von sich gab. Allo hatte also recht gesehen. Dieser Kurde war ein Bebbeh und hatte jedenfalls auf Wache gestanden, um unsere Ankunft zu melden. Ganz gewiß hatte er seitwärts im Verborgenen ein Pferd stehen gehabt und war uns vorausgeritten, während wir glaubten, daß er nordwärts gehe.

»Sie waren dumm, alle!« hörte ich ihn sagen. »Am dümmsten aber war der Mann, welcher den schönen Rappen reitet.«

War da vielleicht ich selbst gemeint? Sehr schmeichelhaft.

»Wenn er die zurückgebliebenen Bejat nicht gefangen genommen und beleidigt hätte,« fuhr der Sprecher fort, »so hätten sie uns dann auch nicht sein Gespräch erzählt, welches sie belauscht hatten, und in welchem er den Weg angab, den sie einschlagen wollten.«

Jetzt war auch dieses Rätsel gelöst. Als wir uns besprachen, uns von den Bejat zu trennen, war unser Plan belauscht worden. Die Bejat hatten ihn dann als Gefangene den Bebbeh verraten, jedenfalls um sich die Milde ihrer Besieger zu erwerben.

»Dumm war er ferner,« meinte der Nachbar des vorigen, »daß er sich von dir betrügen ließ.«

»Ja. Aber dumm war auch Gasahl Gaboya, daß er uns befahl, die Reiter und den Rappen zu schonen. Um die Männer war es nicht schade, sondern nur um das Pferd. Nun sind uns vier entflohen, der Anführer mit ihnen, und weil sie keine Pferde mehr haben, ist es ihnen möglich, über die wildesten Berge zu fliehen. Mit den Pferden aber mußten sie den Weg einhalten, den wir ihnen unten verlegt haben.«

Die drei Bebbeh hatten Pilze gesammelt, welche sie hier ausschnitten und reinigten, ehe sie dieselben in das Lager bringen wollten. Dies gab Zeit und Gelegenheit zu einem vertraulichen Austausche der Meinungen.

»Was hat der Scheik nun beschlossen?« fragte der dritte.

»Er hat einen Boten hinab gesandt. Die andere Abteilung soll warten, bis die Sonne am höchsten steht. Hat sich dann von den Entflohenen noch keiner gefunden, so sollen die andern aufbrechen und zu uns stoßen, denn dann sind die Flüchtlinge sicher entkommen. Wir aber kehren heute noch zurück.«

»Was geschieht mit den beiden Gefangenen?«

»Das sind vornehme Männer, denn sie haben noch kein Wort gesprochen. Sie werden uns aber noch sagen, wer sie sind, und ein schweres Lösegeld bezahlen müssen, wenn sie nicht sterben wollen.«

Ich hatte nun genug gehört und zog mich vorsichtig wieder zurück. Diese drei waren mit ihrer Arbeit fast zu Ende, und wenn sie sich erhoben, so konnte ich sehr leicht von ihnen bemerkt werden.

Also ich war dumm, der dümmste von uns allen! Ich mußte dieses erfreuliche Kompliment leider hinnehmen, ohne es jetzt erwidern zu können. Am meisten machte mir der Umstand zu schaffen, daß bereits um Mittag aufgebrochen werden solle. Bis dahin also mußten die Haddedihn frei sein. Aber auf welche Weise?

Jetzt erhoben sich die drei Männer; ich hatte mich also gar nicht zu früh entfernt. Der, der sich für einen Dschiaf ausgegeben hatte, sagte:

»Geht! Ich werde erst nach den Pferden sehen.«

Ihm folgte ich von weitem. Er führte mich, freilich ohne sein Wissen, nach einer Bodensenkung, auf deren Sohle ein Wässerchen floß. Hier waren über achtzig Pferde an die Stämme der Bäume und Sträucher gebunden, und zwar in je einer solchen Entfernung, daß sie genug Grünes fanden, ohne sich nahe kommen zu können. Der Platz war hell und sonnig, und vom ersten bis zum letzten Pferde hatte man vielleicht achthundert Schritte zu gehen.

Ich konnte von oben alles genau betrachten. Es waren ganz prachtvolle Pferde da, und im Geiste las ich mir schon die sechs besten aus. Am meisten befriedigte es mich, daß nur ein einziger Kurde die Aufsicht über die Tiere hatte. Es war gar nicht schwer, ihn zu überwältigen.

Mein unfreiwilliger Führer machte sich mit einem Braunblässen zu schaffen, der vielleicht das beste Pferd des ganzen Trupps war. Jedenfalls war er der Herr desselben und ich beschloß, ihm um seines liebenswürdigen Kompliments willen Gelegenheit zu geben, auf seinen eigenen Beinen nach Hause zu reiten.

Er sprach einige Worte mit der Wache und ging dann dem Lager zu. Ich folgte ihm auch jetzt und hatte nun die Ueberzeugung, daß mir in der weiteren Umgebung des Lagers kein Mensch mehr begegnen würde. Ich konnte mich also in die unmittelbare Nähe desselben wagen.

Nach einer sorgfältigen und sehr langsamen Rekognoszierung hatte ich sechzehn Hütten gezählt, die unter den Bäumen eine Art von Halbkreis bildeten. In der größten Hütte wohnte jedenfalls Scheik Gasahl Gaboya, denn sie war an ihrer Spitze mit einem alten Turbantuche geschmückt. Sie stand auf dem innersten Punkte des Halbkreises, so daß ich ihr leicht nahe kommen konnte, und neben ihr erhob sich die, in der sich die Gefangenen befanden; denn vor derselben saßen zwei Kurden, mit den Gewehren im Arme.

Jetzt konnte ich zu Halef zurückkehren. Er saß noch auf dem Baume, von dem er nun herabstieg. Ich setzte ihm meinen freilich sehr kühnen und gefährlichen Befreiungsplan auseinander, dann versteckten wir uns an einem Platz, wo wir den Weg überblicken konnten. Und mit Ungeduld warteten wir auf die Zeit des Handelns. Ein solches Warten hat stets etwas Aufregendes, Verzehrendes, während der Augenblick der Tat die Nerven kalt und ruhig macht.

Gegen zwei Stunden waren vergangen, da sahen wir ganz unten einen einzelnen Reiter erscheinen.

»Dieser wird die Ankunft verkünden sollen,« meinte Halef.

»Möglich. Hast du die hohe Eiche gesehen oberhalb der Einsenkung, in der sich die Pferde befinden?«

»Ja, Sihdi.«

»Schleiche dich jetzt hin und erwarte mich dort. Ich muß hören, was dieser Reiter zu sagen hat. Hier, nimm Dojan mit. Ich kann ihn jetzt nicht brauchen. Auch die Gewehre nimm zu dir!«

Er nahm den Hund und entfernte sich; ich aber beeilte mich, dem Zelte des Scheik so nahe zu kommen, daß ich hören konnte, was gesprochen wurde. Es gelang mir, soweit dies möglich war. Kaum hatte ich hinter einem Baumstamme Posto gefaßt, so kam der Reiter herangaloppiert. Er sprang vom Pferde.

»Wo ist der Scheik?« hörte ich ihn fragen.

»Dort in seinem Zelte!«

Gasahl Gaboya trat heraus und ihm entgegen.

»Was bringst du?«

»Die Krieger werden gleich erscheinen.«

»So habt ihr keinen der Entronnenen gesehen?«

»Keinen.«

»Ihr habt die Augen geschlossen gehalten.«

»Wir haben gewacht die ganze Nacht und bis jetzt. Wir haben alle Seitentäler besetzt, aber niemand gesehen.«

»Jetzt kommen sie!« rief es draußen vor dem Lager.

Auf diesen Ruf eilte alles hinaus auf die Lichtung; sogar die beiden Wächter schlossen sich an. Sie wußten ihre beiden Gefangenen ja gefesselt!

Die Gelegenheit war günstiger, als ich gehofft hatte. Mit einem Sprunge stand ich hinter dem Zelte der Gefangenen – zwei Messerschnitte, und ich befand mich in dem Innern desselben. Da lagen sie nebeneinander, an Händen und Füßen gebunden.

»Mohammed Emin, Amad el Ghandur, auf! Schnell!«

Zwei Sekunden genügten, die Stricke zu durchschneiden.

»Kommt, schnell!«

»Ohne Waffen?« fragte Mohammed Emin.

»Wer hat sie euch abgenommen?«

»Der Scheik hat sie.«

Ich trat wieder hinten aus dem Zelte heraus und spähte in die Runde. Kein Mensch hatte acht auf das Lager.

»Heraus und mir nach!«

Ich sprang hinüber zum Zelte des Scheiks und huschte hinein, die Haddedihn mir nach. Sie befanden sich in einer fieberhaften Aufregung. Hier hingen ihre Waffen, auch zwei ausgelegte Pistolen und eine lange, persische Flinte, dem Scheik gehörig. Ich nahm Pistolen und Flinte an mich und blickte wieder hinaus; noch immer waren wir unbeachtet. Wir schlichen uns wieder hinaus und rannten dann dem Tale zu. Dies war wohl fünf Minuten entfernt, aber in zwei Minuten waren wir bei Halef.

»Maschallah! Wunder Gottes!« rief er.

»Jetzt zu den Pferden!« sagte ich.

Der Wächter saß unten, mit dem Rücken gegen uns gekehrt. Auf einen Wink sprang der Hund hinab, und sofort lag der Mann am Boden. Er hatte einen Schrei ausgestoßen, zu einem zweiten hatte er wohl den Mut nicht. Ich bezeichnete die sechs besten Pferde und rief Amad el Ghandur zu:

»Halte sie einstweilen! Halef, Mohammed, schnell die andern in den Wald!«

Die beiden verstanden mich sofort. Eben erhob sich hinter uns ein lautes Bewillkommnungsgeschrei, als wir von Pferd zu Pferd sprangen, um die Leinen durchzuschneiden. Fünfundzwanzig Leinen pro Mann, das war sehr schnell abgetan, dann jagten wir die freien Tiere mit Schlägen und Steinwürfen in den Wald. Amad el Ghandur hatte Mühe, seine sechs Tiere festzuhalten. Ich hatte drei Gewehre umzuhängen und zwei Pistolen einzustecken. Dann bestieg ich den Blässen und nahm noch ein zweites Pferd an die Leine.

»Auf und vorwärts! Es ist die höchste Zeit!«

Ohne mich umzusehen, trieb ich meine Pferde die steile Böschung empor; dann nahm der schützende Wald uns auf. Hier ging es wegen des bösen Bodens nur langsam vorwärts, zumal wir einen Umweg machen mußten. Doch gelangten wir bald auf einen besseren Pfad, wo wir unsere Tiere ausgreifen lassen konnten.

Da hörten wir hinter uns ein lautes Geschrei, aber uns blieb keine Zeit, über dessen wahre Ursachen Vermutungen anzustellen. Vorwärts!

Wir hatten einen weiten Bogen zu reiten gehabt, und ganz dahinten, wo dieser Bogen begann, zeigten sich jetzt zwei Reiter. Sobald sie uns bemerkten, kehrte der eine wieder um, während der andere uns folgte.

»Galopp, den schärfsten Galopp, sonst komm‘ ich um meinen Hengst!« rief ich. »Wir werden die Bebbeh gleich auf den Hacken haben!«

Unsere Wahl war eine gute gewesen, denn die Pferde zeigten sich als vorzügliche Renner. Bald kam unsere Waldecke in Sicht. Wir erreichten sie und hielten hinter den Bäumen an. Ich sah nur Allo.

»Wo ist der Emir?« fragte ich ihn.

»Droben beim Pferde.«

»Hier hast du eine Flinte. Steige auf diesen Fuchs; er ist dein!«

Ich gab ihm die Flinte des Scheiks und rannte dann bergauf, der Höhle zu. Sie war eine Viertelstunde entfernt, aber ich glaube, ich war nicht später als in fünf Minuten oben. Da saß Lindsay.

»Schon da, Master? Oh! Ah! wie gegangen, heh?«

»Gut, gut! Aber wir haben jetzt keine Zeit, denn wir werden verfolgt. Rennt aus allen Leibeskräften hinab, Sir; unten steht ein Pferd für Euch!«

»Verfolgt? Ah! Schön! Prächtig! Pferd für mich? Gut! Well!«

Er stürzte mehr, als er ging, den Berg hinab. Ich band meinen Rappen ab und führte ihn den Berg hinunter. Das ging leider nicht so schnell, als ich es wünschte, und als ich unten anlangte, saßen die andern schon längst auf ihren Tieren, und Halef hielt das sechste Pferd an der Hand.

»Das dauerte lang, Effendi,« sagte Mohammed Emin. »Sieh, es ist bereits zu spät!«

Er deutete hinaus, wo eben der erste Reiter, welcher uns gefolgt war, sichtbar wurde. Ich blickte ihn scharf an und erkannte meinen Mann.

»Erkennt ihr diesen Menschen?« fragte ich.

»Ja, Sihdi,« antwortete Halef. »Es ist der Dschiaf von gestern.«

»Er ist ein Bebbeh und hat uns verraten. Laßt ihn vorüber, und dann wird er unser.«

»Aber wenn mittlerweile die andern kommen?«

»So schnell geht das nicht. – Sir David! Wir reiten voran und nehmen diesen Reiter zwischen uns. Will er sich wehren, so schlagen wir ihm die Waffen aus der Hand.«

»Schön, Master! Prächtig! Yes!«

Jetzt verschwand der Bebbeh hinter der nächsten Krümmung des Weges, und wir verließen unser Versteck. Als ich mit Lindsay diese Krümmung erreichte, waren wir ihm auf fünfzig Schritte nahe. Er hörte uns kommen und drehte sich um. Er erkannte uns und war über unsern Anblick so erschrocken, daß er unwillkürlich sein Pferd anhielt. Er hatte uns vor sich geglaubt und erblickte uns nun hinter sich. Ehe er die Fassung wieder erlangte, hatten wir ihn gepackt.

Da griff er nach dem Messer. Ich faßte seine Faust und drückte sie ihm so, daß er es fallen ließ. Und während Lindsay ihm die Lanze entwand, zerschnitt ich den Riemen, an dem seine Flinte ihm über den Rücken hing; sie fiel herab. Er war entwaffnet und sein Pferd jagte mit den unsrigen in vollem Lauf dahin. Da ergab er sich in sein Schicksal.

So ging es immer dem Süden zu, und als wir einen tüchtigen Vorsprung gewonnen zu haben glaubten, mäßigten wir unser Tempo, und Allo ritt als Wegweiser voran.

»Was tun mit diesem Kerl, Master?« fragte nun Lindsay.

»Bestrafen!«

»Yes! Falscher Dschiaf! Welche Strafe?«

»Weiß es nicht. Wir werden darüber beraten.«

»Schön! Session! Oberhaus! Unterhaus! Well! Wie habt Ihr die Haddedihn losgemacht?«

Ich erzählte es ihm in kurzen Umrissen. Als ich an das Unschädlichmachen der Pferdewache kam, hielt ich plötzlich in meinem Berichte inne.

»O wehe! Was habe ich getan!«

»Was, Master? War ja alles gut!«

»Ich habe in der Eile vergessen, meinen Hund von dem Manne wegzurufen!«

»Oh! Ah! Unangenehm! Wird nachkommen!«

»Nie! Er ist bereits tot, und die Wache auch.«

»Warum gleich tot?«

»Sobald er angerührt oder sonst bedroht wird, zerreißt er dem unter ihm liegenden Mann die Gurgel. Dann werden ihn die Bebbeh natürlich erschossen haben. Ich könnte wahrhaftig nur dieses Hundes wegen umkehren und mich in die größte Gefahr begeben. Aber leider wäre es erfolglos!«

Ueber den Verlust des treuen, klugen Hundes geriet auch Halef in Bestürzung, und ich verbrachte die noch übrigen Stunden des Nachmittags in tiefer Verstimmung. Am Abend machten wir Halt, und nun erst wurde der Bebbeh gefesselt. Trotz unserer Eile hatte Halef Zeit gehabt, dem ledigen Pferde den erst angeschnittenen Rehbock aufzuladen, und so war für einen hinreichenden Imbiß gesorgt.

Nach dem Mahle wurde der Gefangene ins Verhör genommen. Er hatte bisher noch kein Wörtchen gesprochen. Jedenfalls ließ er nur deshalb alles so geduldig über sich ergehen, weil er hoffte, daß die Seinen sehr bald erscheinen und ihn befreien würden.

»Höre, Mann,« begann ich die Verhandlung, »was bist du? Ein Dschiaf oder ein Bebbeh?«

Er antwortete nicht.

»Beantworte meine Frage!«

Er zuckte nicht mit der Wimper.

»Halef, nimm ihm den Turban ab und schneide ihm die Haarlocke herunter!«

Das ist die größte Entehrung, die einem Kurden und überhaupt einem Muselmann widerfahren kann. Als Halef, das Messer in der Rechten haltend, mit der Linken nach der Locke griff, bat der Mann:

»Herr, laß mir mein Haar! Ich will antworten.«

»Gut! Welchen Stammes bist du?«

»Ich bin ein Bebbeh.«

»Du hast uns gestern belogen!«

»Einem Feinde braucht man nicht die Wahrheit zu sagen.«

»Deine Grundsätze sind diejenigen eines Schurken. Du hast ferner das, was du behauptetest, bei dem Barte des Propheten beschworen!«

»Einen Schwur, den man einem Ungläubigen gibt, braucht man nicht zu halten.«

»Du hast ihn auch Gläubigen gegeben; es sind deren vier unter uns!«

»Das geht mich nichts an.«

»Ferner hast du mich einen Dummkopf genannt!«

»Das ist eine Lüge, Herr!«

»Du sagtest, wir alle seien dumm, ich aber sei der allerdümmste! Es ist wahr, denn diese meine eigenen Ohren haben es gehört – hinter dem Lager, als ihr dort die Pilze schnittet. Ich lag hinter dem Busche und hörte euch zu; dann nahm ich euch eure Gefangenen und eure Pferde. Du magst also sehen, ob ich wirklich ein so großer Dummkopf bin!«

»Verzeihe, Herr!«

»Ich habe dir nichts zu verzeihen, denn das Wort aus deinem Munde kann einen Emir aus Frankhistan nie beleidigen. Gestern ließ ich dich frei, weil du mir leid tatest; heut befindest du dich wieder in meiner Hand. Wer ist da wohl der Kluge von uns? – Bist du der Bruder des Scheik Gasahl Gaboya?«

»Ich bin es nicht.«

»Hadschi Halef, schneide ihm die Locke ab!«

Das half auf der Stelle.

»Wer hat dir gesagt, daß ich es bin?« fragte er.

»Einer, der dich kennt.«

»So sage, welches Lösegeld verlangst du?«

»Ihr wolltet für diese beiden Männer« – ich deutete auf die Haddedihn – »Lösegeld verlangen; ihr seid Kurden. Ich nehme nie ein Lösegeld, denn ich bin ein Christ. Ich nahm dich nur deshalb gefangen, um dir zu zeigen, daß wir mehr Klugheit, Mut und Geschick besitzen, als ihr denkt. Wer hat heute zuerst bemerkt, daß die Gefangenen fort waren?«

»Der Scheik.«

»Wie bemerkte er es?«

»Er trat in sein Zelt, da fehlten die Waffen der Gefangenen und auch die seinigen.«

»Ich habe sie genommen.«

»Ich denke, ein Christ nimmt nie etwas!«

»Das ist richtig. Ein Christ nimmt nie unrechtes Gut, aber er läßt sich auch von keinem Kurden berauben. Ihr habt uns unsere Pferde erschossen, die uns lieb waren, und ich habe dafür sechs andere genommen, die uns nicht lieb sind. Wir hatten in unsern Satteltaschen viele Dinge, die wir notwendig brauchen; ihr habt sie genommen, und dafür habe ich mir die Flinte und die Pistolen des Scheik angeeignet. Wir haben getauscht; ihr habt diesen Tausch mit Gewalt begonnen, und ich habe ihn mit Gewalt beendet.«

»Unsere Pferde sind besser, als die eurigen waren!«

»Das geht mich nichts an, denn ehe ihr die unserigen getötet habt, fragtet ihr auch nicht danach, ob sie schlechter waren, als diejenigen, die ich euch dafür nehmen würde. Warum wurde mein Pferd nicht erschossen?«

»Der Scheik wollte es haben.«

»Glaubte er wirklich, daß er es bekommen werde? Und wenn dies der Fall gewesen wäre, so hätte ich es mir sicher wieder geholt. Wer entdeckte heute die Abwesenheit der Pferde?«

»Auch der Scheik. Er lief in das Zelt der Gefangenen, und als dieses leer war, rannte er zu den Pferden; sie waren fort.«

»Fand er gar nichts?«

»Den Wächter, der unter einem Hunde lag.«

»Was geschah mit ihm?«

»Er wurde unter dem Hunde liegen gelassen zur Strafe dafür, daß er nicht aufgepaßt hatte.«

»Fürchterlich! Seid ihr Menschen?«

»Der Scheik hat es so geboten.«

»Was wird da mit dir geschehen, der du auch nicht aufgepaßt hast? Ich habe hinter dem Kirschlorbeer gelegen, einen einzigen Schritt von dir entfernt; ich bin dann hinter dir zu den Pferden gegangen, von denen ich nicht wußte, wo sie waren, und dann bin ich dir nach dem Lager gefolgt.«

»Herr, laß das den Scheik nicht wissen!«

»Sei ohne Sorge! Ich habe es nur allein mit dir zu tun. Ich werde jetzt meinen Gefährten deine Antworten sagen, und dann mögen sie dein Urteil sprechen. Du sollst nicht von uns zwei Christen, sondern von diesen vier Muselmännern gerichtet werden!«

Ich verdolmetschte meine Unterredung mit dem Bebbeh in das Arabische.

»Was willst du mit ihm tun?« fragte mich Mohammed.

»Nichts,« erwiderte ich ruhig.

»Emir, er hat uns belogen, betrogen und dem Feinde in die Hand geliefert. Er hat den Tod verdient.«

»Und was noch mehr ist,« fügte Amad el Ghandur hinzu, »er hat bei dem Barte des Propheten falsch geschworen. Er hat den dreifachen Tod verdient.«

»Was sagst du dazu, Sihdi?« fragte Halef.

»Jetzt nichts. Bestimmt ihr, was mit ihm werden soll!«

Während die vier Mohammedaner beratschlagten, erkundigte sich auch der Engländer bei mir:

»Nun? Was wird mit ihm?«

»Ich weiß es nicht. Was würdet Ihr mit ihm tun?«

»Hm! Niederschießen!«

»Haben wir das Recht dazu?«

»Yes! Sehr!«

»Der Weg des Rechtes ist folgender: Wir beschweren uns bei unsern Konsulaten; von da geht die Beschwerde nach Konstantinopel, und dann erhält der Pascha von Sulimania den Befehl, den Uebeltäter zu bestrafen – wenn er ihn nicht belohnen soll.«

»Schöner Weg des Rechtes!«

»Aber der allein erlaubte für uns als Bürger unserer Staaten. Und ferner: Was werdet Ihr als Christ mit diesem Feinde tun?«

»Geht mir mit Euren Fragen, Master! Ich bin Englishman. Macht, was Ihr wollt!«

»Und wenn ich ihn nun laufen lasse?«

»So mag er laufen! Ich fürchte mich nicht vor ihm; er braucht also meinetwegen nicht ganz totgeschlagen zu werden. Macht es lieber möglich, daß ich ihm meine Nase aufhängen kann; das wäre die beste Strafe für diesen Menschen, der uns gestern eine Nase gedreht hat, welche zwanzigmal imposanter war, als die meinige! Yes!«

Der Bebbeh schien mittlerweile die Geduld zu verlieren. Er wandte sich in der jetzt eintretenden Pause wieder an mich:

»Herr, was wird mit mir geschehen?«

»Das wird ganz auf dich ankommen. Von wem willst du gerichtet sein? Von den vier Männern, die ihr Gläubige nennt, oder von den zwei Männern, denen ihr den Schimpfnamen »Giaur« zu geben pflegt?«

»Chodih, ich bete zu Allah und dem Propheten; es mögen nur solche Männer über mich bestimmen, welche wahre Gläubige sind!«

»Du sollst deinen Willen haben! Wir beide hätten dir verziehen und dich morgen früh zu den Deinigen zurückkehren lassen. Ich sage mich los. Mag dir werden, was du gewünscht hast, und mögest du nicht bereuen, das Wort eines Christen bezweifelt und seine Nachsicht von dir gewiesen zu haben!«

Endlich waren die anderen zu einem Entschluß gekommen.

»Emir, wir erschießen ihn!« sagte Mohammed.

»Das leide ich auf keinen Fall!« antwortete ich.

»Er hat den Propheten geschändet!«

»Seid ihr die Richter darüber? Er mag dies mit dem Imam, mit dem Propheten oder mit seinem Gewissen abmachen!«

»Er hat den Spion gemacht und uns verraten!«

»Hat einer von uns sein Leben dadurch verloren?«

»Nein; aber wir haben anderes verloren.«

»Wir haben Besseres dafür genommen. Hadschi Halef Omar, du kennst meine Meinung; es betrübt mich, dich so blutgierig zu sehen.«

»Sihdi, ich wollte es nicht!« entschuldigte er sich eifrig. »Nur die Haddedihn und der Bannah wollten es.«

»So ist meine Meinung, daß der Bannah hierbei nichts zu sagen hat. Er ist unser Führer und wird dafür bezahlt. Aendert euer Urteil!«

Sie flüsterten von neuem zusammen; dann teilte mir Mohammed Emin das Resultat mit:

»Emir, wir wollen sein Leben nicht, aber er soll entehrt werden. Wir nehmen ihm die Locke und schlagen ihn mit Ruten in das Gesicht. Wer solche Schwielen trägt, hat keine Ehre mehr.«

»Das ist noch fürchterlicher als der Tod und hat doch keinen Erfolg. Ich habe einem Bebbeh Ohrfeigen gegeben, weil er meinen Glauben beleidigte, und gestern kämpfte er doch an der Seite des Scheiks gegen mich. Haben ihn also diese Schläge geschändet?«

»Die abgeschnittene Locke wird ihn sicher schänden!«

»Er wird den Turban aufbehalten, so daß man es nicht sieht.«

»Du selbst wolltest sie ihm doch vorhin abschneiden lassen!«

»Nein; ich hätte es nicht getan. Es war nur eine Drohung, um ihn zum Sprechen zu zwingen. Ueberhaupt – warum wollt ihr diese Bebbeh noch mehr gegen uns erbittern? Sie fühlen sich im Rechte gegen uns, weil sie glauben, daß wir Verbündete der Bejat gewesen sind. Sie können es nicht wissen, daß wir einen solchen Raubzug nie gebilligt hätten; sie können es nicht wissen, daß ich dem Khan Heider Mirlam offen in das Gesicht gesagt habe, ich hätte die Bebbeh gewarnt, wenn es mir möglich gewesen wäre; sie haben uns bei Räubern getroffen und behandeln uns als Räuber. Jetzt sind wir ihnen glücklich entkommen, und vielleicht lassen sie von uns ab; wollt ihr sie durch eure Grausamkeit zwingen, uns weiter zu verfolgen?«

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