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Von Bagdad nach Stambul
»Wenn dies wahr wäre! Irrst du dich nicht?«
»Es ist möglich, aber ich meine, recht gesehen zu haben.«
Ich teilte den andern die Vermutung des Köhlers mit und fügte hinzu:
»Fast möchte ich diesem Manne nachreiten!«
Mohammed Emin schüttelte den Kopf.
»Warum willst du die Zeit verschwenden und wieder umkehren? Wenn dieser Mann wirklich ein Bebbeh wäre, wie wollte er wissen, daß Heider Mirlam von den Dschiaf eingeladen ist? Solche Dinge werden vor dem Feinde stets geheim gehalten.«
»Und,« fügte Amad el Ghandur hinzu, »wie könnte uns dieser Mann Schaden bringen? Er geht nach Norden, und wir reiten nach Süden. Man würde uns nicht einholen können, selbst wenn er in Banna von uns erzählte.«
Diese Gründe waren allerdings sehr triftig, und daher gab ich es auf, wieder umzukehren. Nur der Engländer schien nicht befriedigt zu sein.
»Warum den Kerl laufen lassen?« zürnte Sir David, als ich ihm alles erklärt hatte. »Hätte den Kerl erschossen. Ist nicht schade darum. Jeder Kurde ist ein Spitzbube! Yes!«
»War der Bey von Gumri auch einer?«
»Hm! Ja!«
»Sir, Ihr seid sehr undankbar!«
»Geht Euch nichts an! Dieser gute Bey hätte uns nicht so gut empfangen, wenn er nicht durch Marah Durimeh von uns gehört hätte. Gutes Weib, einziges Weib, diese alte Grand-mother[22]!«
Durch den Namen Marah Durimeh wurden Erinnerungen in mir erweckt, welche mich für den Augenblick die Gegenwart vergessen ließen. Ich gab mich denselben schweigend hin, bis der Engländer daran mahnte, daß es Zeit sei, die Mittagsrast zu halten.
Er hatte recht. Es war heute trotz des schlechten Weges eine tüchtige Strecke zurückgelegt worden, und so konnten wir uns und den Pferden die verdiente Ruhe gönnen. Wir fanden einen Platz, welcher ganz dazu geeignet war; da stiegen wir ab und legten uns, die Wache abgerechnet, zu einem kurzen Schlummer hin.
Zweites Kapitel: Ein Ueberfall
Als wir geweckt wurden, hatten sich die Tiere wieder erholt. Ich beschloß, einen Versuch zu machen, ob das neu erworbene Pferd den Köhler nun aufsitzen lasse. Er gelang. Das Tier mochte gemerkt haben, daß es bei uns nicht gequält werde. So konnte ich meinen Rih wieder besteigen, und dies war ein Glück, wie ich bald einsehen sollte.
Die vorher so kahlen Höhen bewaldeten sich immer mehr, je weiter wir nach Süden kamen; es gab mehr Wasser hier. Infolgedessen wurde unser Ritt beschwerlicher. Von einem gebahnten Wege war keine Rede. Bald mußten wir eine schroffe Höhe erklettern, bald drüben wieder hinuntersteigen; bald ging es zwischen Felsen hindurch, bald durch sumpfiges Land oder über halb verfaulte Bäume hinweg. So gelangten wir am Nachmittag in ein schmales Tal, das nur in seiner Mitte einen wiesenähnlichen Streifen zeigte, hüben und drüben aber mit üppigem Baumwuchse bestanden war. In der Ferne erhob sich in bläulicher Färbung ein großer Berg, der uns mit seinen Vorhügeln den Weg zu verlegen schien.
»Kommen wir dort vorüber?« fragte ich Allo.
»Ja, Herr. Links gehen wir an seinem Fuße hin.«
»Was sagt der Mann?« fragte Lindsay.
»Daß unser Weg dort am linken Fuße des Berges vorüber gehe.«
»Brauchen wir nicht zu wissen!« brummte er mürrisch.
Er sollte sehr bald einsehen, daß diese Bemerkung des Führers für ihn von der größten Wichtigkeit gewesen war; denn kaum öffnete ich die Lippen, um eine Entgegnung auszusprechen, so krachten von beiden Seiten viele Schüsse, und zu gleicher Zeit sprengten mehr als fünfzig Reiter rechts und links unter den Bäumen hervor, um uns zu umzingeln.
Das war eine fürchterliche Ueberraschung! Die sämtlichen Pferde meiner Gefährten waren getroffen und nur das meinige nicht. Ich hatte dies, wie ich später erfuhr, nicht dem Zufalle zu verdanken. Die Reiter suchten sich von den Bügeln zu befreien und zu ihren Waffen zu kommen. Wir waren im Nu von allen Seiten umgeben, und grad auf mich zu kamen zwei Reiter, welche ich augenblicklich wieder erkannte: Scheik Gasahl Gaboya und der Bebbeh, mit dem ich während unserer Verfolgung die Friedensunterhandlung geführt hatte.
Man hatte nur auf unsere Pferde geschossen; man wollte uns also lebendig gefangen nehmen. Infolgedessen ließ ich den Stutzen hangen und griff zur schweren Büchse.
»Wurm, jetzt hab ich dich!« rief der Scheik. »Du entkommst mir nicht wieder!«
Er holte mit der Keule aus, aber in demselben Augenblick sprang Dojan an ihm empor und faßte mit seinen Zähnen den Oberschenkel des Feindes. Dieser stieß einen Laut des Schmerzes aus, und der Hieb, welcher mir gegolten hatte, traf den Kopf meines Pferdes. Es wieherte laut auf, schnellte sich mit allen vieren in die Luft und ließ mir also Zeit, dem Bebbeh einen Kolbenschlag auf die Schulter zu versetzen – dann stürmte es davon, vor Schmerz keiner Führung mehr gehorchend.
»Dojan!« rief ich noch laut hinter mich, denn den braven Hund wollte ich nicht verlieren; dann streckten sich mir viele Lanzenspitzen entgegen; ich schlug sie mit der Büchse von mir ab, mehr wußte ich nicht; aber den Ritt, welcher nun kam, will ich mein Leben lang nicht vergessen. Kein Graben war zu tief, kein Stein zu hoch, kein Riß zu breit, kein Felsen zu glatt und kein Sumpf zu trügerisch – alles, alles, Bäume, Büsche, Felsen, Berg und Tal flogen an mir vorüber, bis ich nur nach und nach wieder die Herrschaft über das rasende Tier gewann. Dann befand ich mich allein in einer wilden, unbekannten Gegend; aber die Richtung hatte ich mir gemerkt, aus welcher ich gekommen war, und grad vor mir lag jener hohe Berg, von dem wir kurz vorher gesprochen hatten.
Was war zu tun? Den Gefährten beispringen? Das war nicht mehr möglich, sondern es stand vielmehr zu erwarten, daß die Bebbeh auch mich verfolgen würden. Aber wie kamen diese Kurden so tief zwischen die Berge herein? Wie hatten sie erfahren, daß wir diesen Weg einschlagen würden? Das war mir ein Rätsel.
Augenblicklich konnte ich für meine Kameraden nicht das Mindeste tun. Sie waren entweder tot oder gefangen. Vor allem mußte ich mich versteckt halten und erst morgen sehen, was auf dem Kampfplatze zu entdecken sei. Dann erst konnte ich etwas für sie tun.
Zunächst untersuchte ich den Kopf meines Pferdes. Es war eine tüchtige Beule aufgelaufen. Ich führte den Hengst an ein nahes Wasser, wo er sich niederlegen mußte. Hier machte ich ihm Umschläge mit derselben Sorgfalt, mit welcher eine Mutter für ihr Kind bedacht wäre. Darüber war wohl eine Viertelstunde vergangen, als ich von ferne her ein Geräusch vernahm. Es war ein Aechzen und Schnauben, als wenn jemand den Atem verlieren will – im nächsten Augenblick kam es dahergesaust, stieß ein lautes Freudengeheul aus und sprang mit solcher Gewalt auf mich ein, daß ich in das Gras stürzte.
»Dojan!«
Der Hund heulte und winselte – seine Freude war nicht zu bändigen. Er sprang einmal auf mich und das andere Mal wieder auf das Pferd ein; ich mußte ihn gewähren lassen, bis er sich allmählich von selbst beruhigte. Auch er war ohne alle Verletzung davongekommen.
Das kluge Tier schien sehr bald zu merken, weshalb ich mich um das Pferd bemühte; denn nachdem Dojan mir eine Weile zugesehen hatte, richtete er sich empor und begann die betroffene Stelle an dem Kopfe seines Freundes sehr sorgsam zu belecken. Rih litt es ruhig und stieß sogar von Zeit zu Zeit ein freundliches Schnauben aus.
So lagen wir noch eine lange Zeit, bis ich es für geraten hielt, diesen Ort zu verlassen. Es war jedenfalls das beste, den Fuß jenes Berges aufzusuchen, von dem der Köhler gesprochen hatte. Ich setzte mich also wieder auf und ritt diesem nahen Ziele entgegen.
Die Seiten des Berges waren mit dichtem Walde bedeckt, und nur tief unten im Tale, durch das uns jedenfalls unser Weg geführt hätte, war Raum zur freien Bewegung vorhanden. Dort erblickte ich eine weit vorstehende Waldesecke, von der aus man jeden Ankommenden bemerken konnte; ich hielt auf sie zu. Als ich sie erreichte, stieg ich ab, zunächst besorgt, für das Pferd ein sicheres Versteck zu suchen. Kaum aber war ich einige Schritte in den Forst eingedrungen, so gab mir Dojan das bekannte Zeichen, daß er etwas Auffälliges wittere. Die Sache war mir zu bedenklich, als daß ich ihn sich selbst überlassen mochte. Ich nahm ihn also an die Leine, band das Pferd an einen Baum und folgte ihm, mit dem schußfertigen Stutzen in der Hand.
Ich schritt dem Hunde zu langsam vorwärts. Er zog so stark an der Schnur, daß sie zu zerreißen drohte; dann gab er zwischen zwei hohen Pinien Laut. Dort standen mehrere Farrn beieinander, und als ich die Wedel derselben mit dem Stutzen auseinander stieß, gewahrte ich, daß ein Loch, das zwei Fuß im Durchmesser haben mochte, hier schräg in die Erde führte.
War ein Tier darin? Wohl nicht. Aber als ich mit dem Stutzen hineinstieß, fühlte ich doch, daß irgend ein Körper darin vorhanden sei, und dieser konnte nichts Feindliches sein, wie ich an dem Gebaren des Hundes bemerkte. Ich bedeutete ihm, hineinzugehen; aber er tat es nicht, sondern wedelte mit dem Schwanze und warf einen freundlichen, erwartungsvollen Blick in das Loch.
Da entschloß ich mich, hineinzugreifen. Ich tat es und erfaßte – einen stark behaarten, zottigen Kopf. Ah, nun war das Rätsel gelöst! Es war der Hund des Köhlers, welcher da drinnen stak. Das Tier war entflohen, als es die Schüsse hörte, und von seiner Angst zufällig hierher geführt worden.
»Eisa!« rief ich.
Ich hatte nämlich beobachtet, daß der Köhler seinen Hund bei diesem Namen rief. Es blieb still in dem Loch; aber als ich den Ruf wiederholte, begann es sich zu regen. Ich schob die Farrnwedel beiseite, und was erblickte ich? Zunächst vernahm ich ein sehr vergnügtes Brummen im großen C oder Kontra-A; dann erschien ein wirres Haargestrüpp, zwischen dem nur eine breite Nase und zwei Aeuglein zu erkennen waren; hierauf kamen zwei Hände, die mit breiten Krallen versehen waren, und sodann ein zerlöcherter Sack, zwei schmierige Lederfutterale, parallel miteinander, und endlich an jedem der Futterale einer der bekannten Koloß-von-Rhodus-Stiefel – Allo stand vor mir, wie er leibte und lebte.
Es war ein freudiger Schreck, der mich bei seinem Anblick ergriff; denn wenn dieser Mann sich gerettet hatte, so konnte es auch den andern gelungen sein, zu entkommen.
»Allo, du hier?« rief ich.
»Ja,« antwortete er ebenso einfach wie richtig.
»Wo ist dein Hund?«
»Zertreten, Chodih!« sagte er mit einem starken Anflug von Trauer in seinem Tone.
»Wie bist du entkommen?«
»Als alle hinter dir herritten, sah niemand auf uns, und ich sprang in die Büsche. Ich kam dann hierher, weil ich dir gesagt hatte, daß wir hier vorüber müßten. Ich dachte, daß du kommen würdest, wenn die Bebbeh dich nicht fänden.«
»Wer ist noch entkommen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wir müssen hier warten, ob sich noch einer zu uns finden wird. Suche mir ein Versteck für mein Pferd.«
»Ich weiß ein sehr gutes, Chodih.«
»Ah! Du bist hier bereits bekannt?«
»Ich habe auch hier schon Kohlen gebrannt. Folge mir mit dem Pferde!«
Er führte mich eine Strecke von vielleicht einer Viertelstunde aufwärts. Dort fand sich eine Felsenwand, die dicht und vollständig mit langen Brombeerranken bewachsen war. Er schob an einer Stelle die Ranken auseinander, und es war eine sehr beträchtliche, spaltenähnliche Vertiefung zu sehen, in der ein Pferd ganz gut Platz haben konnte.
»Hier wohnte ich,« erklärte er mir. »Binde das Pferd da drinnen an; ich werde ihm Futter schneiden.«
Es waren in der Spalte mehrere Hölzer eingeschlagen, die früher wohl als Tischbeine gedient haben mochten, obgleich dieser Tisch nach orientalischer Weise gewiß sehr niedrig gewesen war. An diese Tischbeine band ich das Pferd fest, so daß es das Versteck nicht ohne mein Wissen verlassen konnte. Draußen fand ich den Kurden beschäftigt, mit seinem Messer fettes Luftgras zu schneiden.
»Gehe hinab, Chodih,« bat er. »Es könnte unterdes jemand kommen. Ich folge nach, sobald ich fertig bin.«
Ich gehorchte seinem Rate und nahm in der Waldecke einen solchen Platz, daß ich alles sehen konnte, ohne selbst bemerkt zu werden. Nach einer Viertelstunde kam der Köhler.
»Ist das Pferd sicher?« fragte ich und setzte, als er bejahte, hinzu: »Hast du Hunger?«
Ein zweifelhaftes Brummen war die Antwort.
»Ich habe leider nichts. Wir müssen uns gedulden bis morgen.«
Er brummte abermals und sagte dann vernehmlich:
»Chodih, werde ich auch für heute zwei Piaster erhalten?«
»Du sollst vier bekommen.«
Jetzt hörte man dem Brummen ein gelindes Entzücken an; dann blieb es lange zwischen uns still.
Es wurde Nacht, und als eben das letzte Licht des scheidenden Tages im Verlöschen war, dünkte mir, als ob jenseits der schmalen Lichtung, welche uns zur Linken lag, eine Gestalt zwischen den Bäumen hindurchgehuscht wäre. Das war trotz der hereinbrechenden Dunkelheit so täuschend, daß ich mich erhob, um mich zu überzeugen. Der Kurde erhielt die Weisung, bei meinen Gewehren, welche mich gehindert hätten, zurück zu bleiben. Ich nahm den Hund wieder an die Leine und schlich mich vorwärts.
Ich hatte eine tiefe Einbuchtung der Lichtung zu umgehen, war aber noch nicht bis zur Hälfte dieses Weges gekommen, als ich die betreffende Gestalt über die Lichtung herüberhuschen sah. Einige rasche Sprünge brachten mich nahe an die Stelle, an welcher die Gestalt vorüber mußte. Jetzt, jetzt langte sie in meiner unmittelbaren Nähe an. Ich wollte bereits zugreifen, als Dojan mich daran verhinderte. Er stieß ein freudiges Winseln aus. Die Gestalt hörte es und blieb erschrocken stehen.
»Zounds! Wer ist hier?«
Dabei streckten sich zwei lange Arme nach mir aus.
»Lindsay! Sir David! Seid Ihr es wirklich?« rief ich.
»Oh! Ah! Master! Yes! Well! Ich bin es! Und Ihr? Ah! Ah! Well! Ihr seid es auch! Yes!«
Er war ganz bestürzt vor Freude, und mich machte er vor Ueberraschung bestürzt, denn er umfaßte mich, drückte mich an sich und versuchte, mir einen Kuß zu geben, wobei ihm seine kranke Nase keineswegs sehr förderlich und dienlich war.
»Das hätte ich nicht gedacht, Sir David, Euch hier zu finden!«
»Nicht? Der Gorilla – o no! Der Köhler hatte doch gesagt, daß wir hier vorüber müssen.«
»Sehet Ihr, wie gut das war! Aber sagt, wie Ihr Euch gerettet habt!«
»Hm! Das ging schnell. Pferd unter mir erschossen; würgte mich hervor; sah, daß alle hinter euch her waren, und sprang auf die Seite.«
»Ganz so wie Allo!«
»Allo? Auch so gemacht? Auch hier?«
»Dort drüben sitzt er. Kommt!«
Ich führte ihn zu unserem Observatorium. Die Freude des Kurden war groß, als er einen zweiten Gefährten gerettet sah. Er drückte sie durch Töne aus, die sich nur mit dem Brummen eines invaliden Spulrades vergleichen lassen.
»Wie ist es Euch ergangen?« fragte mich Lindsay.
Ich erzählte es ihm.
»Also Euer Pferd unbeschädigt?«
»Außer der Beule, ja.«
»Das meinige tot! Braves Tier! Werde diese Bebbeh erschießen! Alle! Yes!«
»Habt Ihr denn Euer Gewehr noch?«
»Gewehr? Werde ihnen meine Büchse lassen! Hier liegt sie.«
Ich hatte während der Dunkelheit diesen glücklichen Umstand gar nicht bemerkt.
»So seid froh, Sir! Diese Büchse wäre unersetzlich gewesen.«
»Habe auch Messer, Revolver und Patronen noch hier im Beutel.«
»Welch ein Glück, daß Ihr sie nicht in der Satteltasche hattet! Aber habt Ihr keine Ahnung, ob noch einer von uns entkommen ist?«
»Keiner. Halef lag noch unter seinem Pferde, und die Haddedihn staken mitten zwischen den Bebbeh.«
»O wehe, dann sind alle drei verloren!«
»Abwarten, Master! Allah akbar – Gott ist groß, sagen die Türken.«
»Ihr habt recht, Sir. Wir wollen hoffen, dann aber, wenn wir uns täuschen sollten, auch alles tun, um die Gefährten zu befreien, im Falle sie noch leben und gefangen sein sollten.«
»Richtig! Jetzt aber schlafen. Bin müde; habe weit laufen müssen! Schlafen ohne Decke! Armselige Bebbeh! Miserable Gegend! Yes!«
Er schlief ein, und der Kurde mit ihm. Ich hingegen wachte noch lange und stieg später abermals mühsam empor, um nach dem Pferde zu sehen. Dann versuchte auch ich, zu schlafen, dem treuen Hunde das Wachen überlassend. Mein Schlaf wurde durch eine sehr energische Berührung gestört, welche ich an meinem Arme fühlte. Ich erwachte. Der Tag war erst im Grauen.
»Was ist‘s?« fragte ich.
Statt der Antwort deutete der Kurde zwischen die Bäume hindurch nach dem gegenüberliegenden Rande des Gebüsches – ein Rehbock war hervorgetreten und stand im Begriff, zur nahen Tränke zu gehen. Wir brauchten Fleisch, und obgleich ein Schuß uns verraten konnte, griff ich doch zur Büchse. Ich legte an und drückte ab. Bei dem Schalle fuhr Lindsay kerzengrad aus dem Schlafe empor.
»Was ist‘s? Wo ist Feind? Wie? Wo? Yes!«
»Da drüben liegt er, Sir.«
Er sah in der angegebenen Richtung hin.
»Ah! Roe-buck – Rehbock! Prächtig! Können sehr gut gebrauchen! Nichts gegessen seit gestern mittag. Well!«
Allo eilte fort, um das erlegte Wild herbeizuholen. Schon einige Minuten später brannte an einer geschützten Stelle ein Feuer, über dem ein saftiger Braten schmorte. Nun war dem Hunger mit einem Male abgeholfen, und auch Dojan konnte befriedigt werden.
Während des Essens kamen wir zu dem Entschluß, bis Mittag noch zu warten, dann aber nachzuforschen, wie es mit den Bebbeh stehe. Unter dem Gespräche erhob sich Dojan plötzlich und sah in die Tiefe des Waldes. Einige Zeitlang schien es, als sei er mit sich selbst im unklaren; dann sprang er mit einem Satz fort, ohne mich nur vorher angesehen zu haben. Ich erhob mich schnell, um nach dem Gewehr zu greifen und ihm nachzueilen, blieb aber sofort wieder stehen, als ich anstatt des erwarteten Angstrufes das laute, freudige Gewinsel des Tieres vernahm.
Gleich darauf trat zu uns – mein kleiner Hadschi Halef Omar, zwar ohne sein Pferd, aber in voller Ausrüstung mit Büchse, Pistolen und mit dem Messer im Gürtel.
»Hamdulillah, Sihdi, daß ich dich finde und daß du lebst!« begrüßte er mich. »Mein Herz war voll von Sorge um dich; aber es tröstete mich die Ueberzeugung, daß kein Feind deinen Rih einholen kann.«
»Der Hadschi!« rief Lindsay. »Oh! Ah! Nicht massakriert! Herrlich! Unvergleichlich! Gleich mit Braten essen! Well!«
Der gute Lindsay faßte die Sache sofort von ihrer praktischen Seite an. Halef war nicht wenig erfreut, ihn und den Führer wohl erhalten zu sehen; doch verschmähte er auch die leibliche Erquickung nicht, sondern langte gleich nach dem Bratenstücke, welches der Engländer ihm entgegenstreckte.
»Wie bist du entkommen, Halef?« fragte ich ihn.
»Die Bebbeh schossen auf unsere Pferde,« antwortete er. »Auch das meinige stürzte, und ich blieb im Bügel hangen. Sie bekümmerten sich nicht um uns, sondern sie wollten nur dich und deinen Rih haben; darum schlug Allah sie mit Blindheit, daß sie nicht sahen, wie dieser Kurde und der Master entkamen. Auch ich machte mich endlich frei, nahm meine Waffen und entfloh.«
Welch eine Unachtsamkeit von den Bebbeh! Sie hatten nur auf die Pferde geschossen, um die Reiter lebendig zu fangen, und ließen diese doch entkommen!
»Hast du nichts von den Haddedihn bemerkt, Halef?«
»Ich sah noch während des Fliehens, daß man sie gefangen nahm.«
»Oh, dann dürfen wir keine Zeit verlieren, sondern wir müssen aufbrechen!«
»Warte, Sihdi, und laß dir erzählen! Als ich glücklich entronnen war, dachte ich, daß es wohl klüger sei, zu bleiben und die Feinde zu beobachten, als zu fliehen. Ich stieg also auf einen Baum, dessen Laub mich ganz verdeckte. Da blieb ich bis gegen den Abend; erst als es ziemlich dunkel war, konnte ich den Baum wieder verlassen.«
»Was hast du gesehen?«
»Die Bebbeh wollen nicht fort. Sie haben ein Lager geschlagen. Ich habe an achtzig Krieger gezählt.«
»Woraus besteht das Lager?«
»Sie haben sich Hütten aus Zweigen gebaut. In einer solchen Hütte liegen die Haddedihn gefangen, an den Händen und Füßen gebunden.«
»Weißt du das genau?«
»Ja, Sihdi. Ich habe gar nicht geschlafen, sondern das Lager während der ganzen Nacht umschlichen, weil ich glaubte, vielleicht bis zu den Gefangenen kommen zu können. Es ging nicht. Nur dir könnte es vielleicht gelingen, Sihdi; denn du hast mich dieses Anschleichen ja erst gelehrt.«
»Konntest du nicht aus irgend einem Umstande auf den Grund ihres Verbleibens schließen? Ich kann nicht begreifen, warum sie den Ort nicht gleich verlassen haben.«
»Ich auch nicht, Sihdi; aber ich habe nichts erfahren können.«
»Ich muß dich übrigens loben, Hadschi Halef Omar, daß es dir gelungen ist, uns so nahe zu kommen, ohne daß wir dich bemerkten. Woraus schlossest du, daß ich mich grad hier befinden werde?«
»Weil ich deine Art und Weise kenne, Sihdi, dir immer einen Ort zu suchen, wo du nicht gesehen wirst und dennoch alles sehen kannst.«
»Ruhe dich jetzt aus. Ich will mir überlegen, was zu tun ist. Allo, führe mein Pferd zur Tränke und gib ihm neues Futter!«
Der Köhler hatte sich noch gar nicht erhoben, um diesem Befehle Folge zu leisten, als der Hund leise anschlug. Am obersten Punkte unsers engen Gesichtskreises erschien ein Reiter, der sich schnell näherte und im Trabe an uns vorüberritt.
»Hallo! Soll ich ihn wegputzen, Master?« fragte Lindsay.
»Um keinen Preis!«
»Ist aber ein Bebbeh!«
»Laßt ihn! Wir sind keine Meuchelmörder!«
»Hätten aber ein Pferd!«
»Werde schon Pferde bekommen.«
»Hm!« lächelte er. »Keine Meuchelmörder, aber doch Spitzbuben! Will Pferde stehlen! Yes!«
Jetzt gab mir dieser eine Bebbeh von neuem zu denken. Weshalb hatte er die Seinigen verlassen, und wohin wollte er?
Nach vielleicht einer Stunde wurde mir das Rätsel gelöst, denn er kehrte wieder zurück und ritt vorüber, ohne Ahnung, daß wir ihm so nahe seien.
»Was hat er da unten gesagt, dieser Kerl?« sagte Lindsay.
»Er ist ein Bote.«
»Bote? Von wem?«
»Von dem Scheik Gasahl Gaboya.«
»An wen?«
»An die Abteilung der Bebbeh, welche ungefähr eine halbe Stunde weiter unten den Weg besetzt hält.«
»Woher wißt Ihr dies?«
»Ich vermute es. Dieser Scheik hat auf irgend eine Weise erfahren, daß wir kommen werden, und den Weg an zwei Stellen verlegt, damit die zweite Truppe die gefangen nehme, die der ersten entgehen.«
»Schön ausgedacht, Sir, wenn es wahr ist!«
Dies mußte ich erforschen. Es ward nun verabredet, der Engländer solle nebst Allo bei meinem Pferde in unserem bisherigen Versteck bleiben, während ich mit Halef auf Kundschaft ausginge. Wenn ich aber bis zum Mittag des andern Tages nicht wieder zurückgekehrt sei, so möge Sir David unter Führung des Köhlers auf meinem Rappen nach Bistan reiten und dort bei Allos Bruder vierzehn Tage auf mich warten. »Komme ich mit Halef auch dann noch nicht,« – fügte ich bei – »so sind wir tot, und Ihr, Sir David, könnt mein Erbe antreten.«
»Hm! Testament! Schauderhaft! Könnte ganz Kurdistan erschlagen! Erbe? Was denn?« fragte der wackere Sohn Albions.
»Mein Pferd,« antwortete ich.
»Mag es nicht! Wenn Ihr tot seid, soll dieses Land zugrunde gehen! Alle Pferde mit! Auch Ochsen, Schafe, Bebbeh, alles! Well!«
»Nun wißt Ihr alles. Jetzt habe ich nur noch den Bannah-Kurden zu instruieren.«
»Macht es ihm nur richtig klar, Sir! Kann kein einziges Wort mit ihm reden. Schöne Unterhaltung! Famoses Vergnügen! Prächtig! Konnte daheim in Alt-England bleiben! Brauche keine Fowling-bulls! Yes!«
Ich war gezwungen, ihn seiner gelinden Verzweiflung zu überlassen. Nachdem ich Allo unterrichtet hatte, warf ich die beiden Gewehre über, um mich der Führung Halefs anzuvertrauen.
Dieser leitete mich ganz genau auf demselben Wege zurück, den er am Morgen eingeschlagen hatte, und lieferte mir dabei den Beweis, daß er mir ein sehr gelehriger Schüler gewesen sei. Er hatte jede, auch die kleinste Deckung benutzt, das Terrain scharfsichtig beurteilt und die Füße immer so vorsichtig gehalten, daß es selbst einem Indianer nur mit Anstrengung gelungen wäre, die Fährte ohne Stocken zu verfolgen.
Wir gingen beständig unter Bäumen, aber immer so, daß wir zwischen den Stämmen hindurch die offene Gegend vor Augen behielten. Ich hatte den Hund bei mir, und da wir gegen Wind gingen, so brauchten wir vor einer Ueberraschung keine Angst zu haben.
Endlich waren wir der Gegend nahe gekommen, wo wir überfallen worden waren. Halef wollte mich noch weiter begleiten, ich aber gestattete es nicht.
»Sollte ich gefangen werden,« sagte ich zu ihm, »so weißt du, wo du den Engländer zu finden hast. Für jetzt ist es das beste, du kletterst auf eine jener Pinien, welche so eng beisammen stehen, daß ihre Aeste ein dichtes Versteck bilden. Du kannst ja sehr gut den Knall meiner Büchse oder die raschen Laute meines Stutzens von der Stimme eines andern Gewehres unterscheiden. Ich bin nur dann in Gefahr, wenn du mich schießen hörst.«