bannerbanner
Von Bagdad nach Stambul
Von Bagdad nach Stambul

Полная версия

Von Bagdad nach Stambul

Язык: Немецкий
Год издания: 2016
Добавлена:
Настройки чтения
Размер шрифта
Высота строк
Поля
На страницу:
4 из 10

Ich entriß dem an der Erde liegenden Gasahl Gaboya seinen Dolch, um ein Andenken an diesen unglücklich beginnenden Tag mitzunehmen, und sprang auf mein Pferd. Um den gehörigen Anlauf zu bekommen und zugleich auch den Freunden Luft zu verschaffen, zog ich den Rappen empor, gab ihm die Sporen und trieb ihn mitten in die Bebbeh hinein. Hier ließ ich ihn nach allen Seiten ausschlagen, bis ich die vier Gefährten beritten sah, und trieb ihn dann mit einem weiten Satze in den Busch hinein, den er mit seinen Hufen niederriß. Draußen mußte ich sofort halten, da man nur im Schritte vorwärts kommen konnte; doch erhielten die vier Kameraden immerhin Raum genug, um mir augenblicklich folgen zu können.

Sobald ich die Felsen hinter mir hatte und mich mit einem Blick überzeugte, daß alle vier entkommen waren, gab ich dem Hengste die Schenkel und galoppierte in die offene Ebene hinaus. Die Andern folgten.

Eine kurze Umschau erklärte mir den ganzen Sachverhalt. Dieser Scheik Gasahl Gaboya war wirklich ein kluger Mann; denn anstatt seine Abteilung zu warnen, die doch zum Widerstande zu schwach gewesen wäre, war er bemüht gewesen, die ganze Umgegend in Aufruhr zu versetzen, und während die mit Beute beladenen Bejat ahnungslos ihrem Lager zuzogen, war dasselbe bereits von drei Seiten, wenn auch in sehr weiter Entfernung, so eingeschlossen, daß die Räuber froh sein mußten, mit dem nackten Leben zu entkommen. Hinter uns tobte der Kampf. Wie es den Bebbeh dort gelungen war, unbemerkt und plötzlich an die Bejat zu kommen, das zu untersuchen, hatte ich keine Zeit. Links von uns sah ich eine breite Linie von Reitern im Galopp sich dem Kampfplatze nahen. Und rechts von uns war die ganze Gegend bis hinaus zum äußersten Horizont mit beweglichen Punkten bestreut; auch das waren Reiter.

»Vorwärts, Effendi!« rief Mohammed Emin. »Sonst schließen sie uns ein! Bist du mit heiler Haut davongekommen?«

»Ja. Und du?«

»Eine kleine Schramme.«

Wirklich blutete er an der Wange, aber der Riß konnte nicht gefährlich sein.

»Kommt heran!« bat ich. »Wir bilden eine gerade Linie. Wer uns von der Seite sieht, wird uns von weitem für einen einzigen Reiter halten.«

Diese List wurde befolgt, aber die Bebbeh, welche sich hinter uns befanden, konnten nicht getäuscht werden, und wir bemerkten gar bald, daß wir von einer ansehnlichen Schar verfolgt wurden.

»Sihdi, werden sie uns einholen?« fragte Halef.

»Wer weiß es! Es kommt darauf an, welche Art von Pferden sie reiten. Aber, Hadschi Halef Omar, was ist‘s mit deinem Auge? Ist es schlimm?«

Sein Auge war geschwollen, trotzdem nur wenige Minuten seit dem Ueberfalle vergangen waren.

»Es ist nichts, Sihdi,« antwortete er. »Dieser Bebbeh war fünfmal länger als ich und hat mir einen kleinen Hieb gegeben. Hamdulillah, er wird es nicht wieder tun!«

»Du hast ihn doch nicht getötet?«

»Nein. Ich weiß, daß du dies nicht willst, Effendi.«

Es gewährte mir allerdings eine nicht geringe Freude, daß keiner der Feinde von uns an seinem Leben geschädigt worden war. Dies mußte uns, selbst vom Standpunkte der reinen Berechnung aus betrachtet, lieb und beruhigend sein; denn wenn wir den Bebbeh ja in die Hände fielen, so hatten sie doch wenigstens keine Blutrache an uns zu nehmen.

Wir setzten unsern Galopp wohl über eine Viertelstunde lang fort. Der Kampfplatz war uns dabei aus den Augen geschwunden, aber die Verfolger waren hinter uns geblieben. Sie hatten sich geteilt. Diejenigen, welche gute Pferde hatten, waren uns näher gekommen, während die Anderen weit zurückblieben.

»Emir, sie werden uns einholen, wenn wir nicht schneller reiten,« meinte Amad el Ghandur.

»Wir dürfen unsere Tiere nicht jetzt gleich zu sehr anstrengen. Uebrigens haben sich die Verfolger getrennt, und es ist besser, einmal mit ihnen zu reden, als sich von ihnen abhetzen zu lassen.«

»Maschallah! Du willst mit ihnen sprechen?« rief Mohammed Emin.

»Allerdings. Ich hoffe, sie so weit zu bringen, daß sie von der Verfolgung abstehen. Reitet weiter! Ich werde hier halten bleiben.«

Sie ritten im gleichen Tempo weiter. Ich aber stieg vom Pferde, nahm meine Waffen zu mir, setzte mich zur Erde und richtete das Gesicht gegen die Verfolger.

Als sie noch ungefähr tausend Schritte entfernt waren, nahm ich mein Turbantuch herab und wehte damit durch die Luft. Sie fielen sofort aus dem Galopp in Schritt und hielten auf der Hälfte der soeben angegebenen Entfernung an. Nach einer kurzen Besprechung kam einer von ihnen näher herbeigeritten und fragte:

»Warum sitzest du an der Erde? Ist es List oder Wahrheit?«

»Ich will mit euch reden.«

»Mit uns allen oder nur mit einem?«

»Mit einem, den ihr euch wählen und mir dann senden werdet.«

»Du hast deine Waffen bei dir.«

»Er kann die seinigen auch mitbringen.«

»Lege sie weit von dir; dann wird einer von uns kommen.«

»Dann muß auch er die Waffen zurücklassen!«

»Er wird sie ablegen.«

Ich erhob mich, legte die beiden Dolche und die Revolver auf die Erde und hing die Büchse und den Stutzen an den Sattel. Dann setzte ich mich wieder nieder. Diese Leute konnten unmöglich wissen, wie viele und was für Waffen ich bei mir trug; es wäre mir also leicht gewesen, wenigstens die Revolver bei mir zu behalten; aber ich wollte ehrlich gegen sie sein, um von ihnen ebenso ehrlich behandelt zu werden.

Ich zählte elf Mann. Der mit mir gesprochen hatte, kehrte zu ihnen zurück und sprach mit ihnen. Dann stieg er ab, legte seine Büchse, seinen Wurfspieß und sein Messer nieder und kam langsam auf mich zugeschritten. Er war ein schöner, schlank gebauter Mann von vielleicht fünfzig Jahren. Seine schwarzen Augen funkelten mich feindselig an, aber er setzte sich still und wortlos grad vor mich hin.

Da ich schwieg und er ungeduldig war, begann er doch endlich die Unterhaltung, indem er fragte:

»Was willst du von uns?«

»Ich will mit dir sprechen.«

»So sprich!«

»Ich kann nicht.«

»Allah! Warum?«

Ich zeigte hinter mich.

»Siehe, ich trug mehr Waffen bei mir, als ihr erwarten konntet, und habe sie alle von mir getan. Auch du hast mir versprochen, die deinigen abzulegen. Seit wann sind die Bebbeh Lügner geworden?«

»Lüge ich etwa?«

»Was tut die Keule unter deinem Gewande?«

Ich sah an einer Erhöhung seines Brustkleides, daß er eine Keule darunter verborgen hatte. Er errötete sichtlich, griff unter das Gewand und warf die Waffe hinter sich.

»Ich hatte sie vergessen,« entschuldigte er sich.

Der Umstand, daß er sie fortwarf, überzeugte mich, daß es nicht auf eine Treulosigkeit gegen mich abgesehen gewesen war. Er hatte mir nicht getraut und sich also heimlich vorsehen wollen. Ich begann:

»So! Nun sei Frieden zwischen uns, bis unsere Unterredung zu Ende ist. Versprichst du mir dies?«

»Ich verspreche es.«

»Reiche mir deine Hand darauf!«

»Hier, nimm sie!«

»Warum verfolgt ihr uns?« fragte ich nun.

Er blickte mir ganz erstaunt in das Angesicht.

»Bist du toll?« rief er. »Ihr beraubt uns; ihr kommt als Feinde, als Räuber über unsere Grenzen, und du fragst, warum wir euch verfolgen!«

»Wir kamen weder als Räuber noch als eure Feinde.«

Er machte ein noch viel überraschteres Gesicht.

»Nicht? Allah ‚l Allah! Und nahmt uns doch unsere Herden und unsere Zelte nebst allem, was darinnen war!«

»Du irrst! Nicht wir, sondern die Bejat haben dies getan!«

»Aber ihr seid doch Bejat!«

»Nein! Wir sind fünf friedliche Männer. Einer von ihnen und ich sind Krieger aus dem fernen Frankistan; der dritte ist mein Diener, ein Araber, der jenseits weit hinter Mekka geboren wurde, und die beiden letzten sind Beni Arab aus dem Westen von hier, die noch niemals eure Feinde gewesen sind.«

»Das sagst du, um mich zu täuschen. Auf diese Weise werdet ihr uns nicht entkommen. Ihr seid Bejat!«

Ich warf den Burnus zurück und schob den weiten Aermel meiner Jacke empor; dann entfernte ich auch das Unterkleid.

»Hat ein Bejat, ein Kurde, oder ein Araber einen solchen Arm?« fragte ich.

»Er ist weiß,« antwortete er. »Ist dein ganzer Körper so?«

»Natürlich. Kannst du lesen?«

»Ja,« antwortete er stolz.

Ich nahm mein Notizbuch heraus und hielt es ihm hin.

»Ist dies die Schrift eines Kurden oder Arabers?«

»Das ist eine fremde Schrift.«

Ich steckte das Buch wieder ein und öffnete den Paß.

»Kennst du dieses Siegel?«

»Katera Allah – bei Gott! Das ist das Siegel des Großherrn!«

»Und dieses Siegel mußt du achten, denn du bist ein Krieger des Pascha von Sulimania, der dem Sultan Rechenschaft geben muß. Glaubst du nun, daß ich kein Bejat bin?«

»Ich glaube es.«

»Ebenso wahr ist auch das, was ich dir von den Andern sagte.«

»Aber ihr wart ja bei den Bejat!«

»Wir trafen sie eine Tagreise im Norden von hier. Sie nahmen uns als ihre Gäste auf und sagten, daß sie zu einem Feste der Dschiaf reiten wollten. Wir wußten nicht, daß sie Feinde der Bebbeh sind; wir ahnten also auch nicht, daß sie euch überfallen und berauben wollten. Gestern abend schliefen wir unter ihrem Schutze ein; sie aber schlichen sich fort, und als sie wiederkehrten, erkannten wir erst, daß wir das Brot von Räubern und Dieben gegessen hatten. Ich zankte darüber mit Khan Heider Mirlam, und unterdessen wurden wir von euch angegriffen.«

»Oh! Allah gebe, daß Heider Mirlam uns nicht entkommt! Habt ihr euch gegen die Unserigen gewehrt?«

»Ja. Wir mußten es, weil sie uns angriffen.«

»Habt ihr einen getötet?«

»Keinen einzigen.«

»Beschwöre es!«

»Ich schwöre nicht; ich bin ein Christ.«

»Ein Christ!« meinte er überrascht und mit einer mitleidigen Miene. »O, nun weiß ich, daß du wirklich kein Kurde und kein Turkomane bist, denn ein Moslem wird niemals sagen, daß er ein Christ sei. Nun glaube ich auch, daß ihr keinen von den Unserigen getötet habt, sondern geflohen seid. Wie kann ein Christ einen Moslem töten!«

Es lag so viel Verachtung in seinem Tone, daß ich ihm am liebsten eine kräftige Ohrfeige gegeben hätte; aber um unseres eigenen Vorteiles willen mußte ich seine Beleidigung ruhig ertragen. Ich befand mich in einer keineswegs sehr angenehmen Lage, denn die zurückgebliebenen Bebbeh waren mittlerweile auch herbeigekommen und hatten sich mit den Andern vereinigt, so daß nur fünfhundert Schritte von mir entfernt über dreißig Feinde hielten. Die geringste Unvorsichtigkeit konnte mein augenblickliches Verderben sein.

»Du siehst also, daß wir nicht eure Feinde sind, und wirst uns ungehindert gehen lassen?«

»Wohin wollt ihr gehen?«

»Gegen Bagdad hin.«

»Bleibe hier. Ich werde mit den Bebbeh reden!«

Er stand auf und ging zurück, ohne im Vorüberschreiten seine weggeworfene Keule eines Blickes zu würdigen. Es war eine lange, sehr lange Unterredung, die nun erfolgte; man sprach für und wider, wie ich aus den Gebärden ersah, und es war über eine Viertelstunde vergangen, ehe er zu mir zurückkehrte.

Er setzte sich nicht wieder; darum stand ich gleichfalls auf.

»Du könntest gehen,« entschied er; »aber wir haben deine Gefährten noch nicht gesehen. Rufe sie herbei! Auf meinen Wink werden auch vier Bebbeh erscheinen; dann sind wir gleich.«

Dieser Vorschlag war ganz außerordentlich gefährlich. Ich hatte mich gar noch nicht wieder nach den Gefährten umgesehen, um nichts an Respekt bei dem Abgesandten einzubüßen; aber als ich mich jetzt umdrehte, sah ich sie in einer Entfernung von wenigstens zweitausend Schritten von uns halten. Sollten sie diesen günstigen Vorsprung aufgeben, um sich vielleicht fangen zu lassen? Ich mußte vorsichtig handeln.

»Du irrst,« antwortete ich; »dann sind wir nicht gleich.«

»Warum nicht? Ihr seid fünf und wir auch.«

»Sieh den Vorsprung, den meine Brüder jetzt haben, und denke an den, welchen sie dann haben werden, wenn sie hier sind und ihr ihnen nicht den Frieden bietet!«

Er machte eine Armbewegung der unendlichsten Geringschätzung.

»Fürchte nichts, Giaur! Wir sind Bebbeh und keine Bejat. Wir werden euch ganz denselben Vorsprung wieder lassen.«

Unter andern Verhältnissen hätte ich diesem Manne für seinen »Giaur« sicherlich ganz anders geantwortet; jetzt aber hielt ich es für das Klügste, diese Beleidigung gar nicht gehört zu haben. Darum erwiderte ich nur:

»Ich traue dir! Werden deine vier Männer bewaffnet kommen?«

»Wie du es willst.«

»Sie mögen ihre Waffen behalten, und auch wir beide wollen die unserigen wieder nehmen.«

Er nickte stumm und kehrte zurück. Ich steckte Dolche und Revolver wieder in den Gürtel und stieg zu Pferde. Dann winkte ich den Gefährten. Die Atmosphäre war so rein und klar, daß sie selbst auf eine solche Entfernung hin meine Armbewegung erkennen konnten. Sie folgten dem Winke und kamen herbei. Bald hielten wir in einer Reihe nebeneinander und fünf Bebbeh uns gegenüber.

»Welcher ist der andere Franke?« fragte der Anführer.

Ich deutete auf Lindsay und antwortete:

»Dieser!«

Ueber die ernsten Züge der Kurden glitt eine Art von Lächeln, und der Sprecher meinte:

»Ich glaube, daß er ein Franke und ein Christ ist, denn er hat die Nase eines Khansir[16], die man Rüssel nennt.«

Das war denn doch mehr, als ich ihm erlauben durfte.

»Diese Art von Nasen habe ich in Alep und Diarbekr bei vielen Gläubigen gesehen,« antwortete ich.

Er fuhr empor:

»Schweig, Giaur!«

Ich ließ mein Pferd einen Schritt vortreten.

»Höre, Mann, du sagtest vorhin, daß du lesen könnest. Hast du vielleicht auch den Kuran gelesen?«

»Was geht es dich an!«

»Ich frage allerdings nicht viel nach dem Buche des Propheten, denn ich bin ein Christ; du aber bist ein Moslem und solltest tun, was Mohammed befiehlt! Hat er nicht gesagt: »Wer einen Feind ehrt, den lieben die Tapferen; wer aber einen Feind schändet, den lieben die Feiglinge!« Du hast deine Lehre von dem Propheten erhalten und denkst, du hättest die richtige; wir haben die unserige von Isa Ben Marryam erhalten und glauben, daß sie die richtige sei; wir haben also beide das Recht, uns Giaurs zu nennen. Du hast es getan, ich aber nicht; denn es ist nicht fein und schön, einen Menschen ärgern zu wollen. Wer seinen Mitmenschen in den Staub tritt, der beschmutzt sich selbst. Merke dir das, Bebbeh!«

Er blieb vor Erstaunen über meine vermeintliche Kühnheit eine ganze Weile wortlos; dann aber riß er zornig den Dolch aus dem Gürtel.

»Mensch, willst du, du, du mir Lehren geben? Du, ein Christ, den Allah und der Prophet verdammen mögen! Soll ich dich zerreißen, wie man einen Lappen zerreißt? Ich war bereit, euch ziehen zu lassen; nun aber gebiete ich euch: Macht euch von hinnen, ihr Unreinen! Euren Abstand sollt ihr wieder erhalten; dann aber möge euch der Scheïtan in die Dschehenna führen!«

Ich sah, daß dies seinen vier Männern aus dem Herzen gesprochen war; aber ich sah auch, daß die Blicke der beiden Haddedihn und Halefs mit zorniger Erwartung auf mir hafteten. Auch der Engländer beobachtete mich scharf, um sein Tun ganz nach dem meinigen zu richten. Da er von der Unterhaltung nichts verstand, so mußte ich ihn aufmerksam machen:

»Sir, wenn ich schieße, so schießt auch, aber nur auf die Pferde!«

»Yes! Schön! Prachtvoll!« antwortete er.

Nun erklärte ich dem Bebbeh in ruhigem Tone:

»Gut, wir werden reiten; vorher aber muß ich dir eins erst sagen: Glaube nicht, daß wir um Frieden gebeten haben, weil wir uns vor euch fürchten! Wir lieben nur deshalb den Frieden, weil wir nicht das Blut von Menschen vergießen wollen. Du hast es anders gewollt; so siehe nun, was die Folgen sind!«

»Ihr? Euch nicht fürchten?« höhnte er. »Hast du nicht hier dich vor uns in den Staub gesetzt und um Barmherzigkeit gebeten, Giaur?«

»Sage dieses Wort nicht noch einmal, Bebbeh, sonst kommt es über dich wie der Blitz über den Baum! Ich wollte den Frieden haben, um euretwillen, und ich will euch beweisen, daß wir euch verachten. Wir wollen nicht einen Vorsprung von euch geschenkt haben, sondern der Kampf mag sofort beginnen. Kommt heran!«

»So sei es!« rief er und griff nach seinem Dolch. In demselben Augenblick aber schoß mein Pferd mit einem langen Satze an dem seinigen vorüber; ich ergriff ihn beim Arm und riß ihn vom Pferde. Vier Schüsse krachten – noch zwei, und als ich den Rappen rasch wandte, sah ich die Pferde der Bebbeh sich mit ihren Reitern am Boden wälzen.

»Fort! Schnell!«

Wir jagten vorwärts. Ich riß den Bebbeh zu mir empor und gab ihm einige saftige Ohrfeigen mit den Worten: »Das ist für den »Giaur«!« Dann ließ ich ihn fallen. Er kam hart neben den Hufen des Pferdes, doch ohne von ihnen verletzt zu werden, zur Erde nieder. Das alles war so schnell geschehen, daß erst jetzt die Bebbeh unter einem lauten Wutgeheul ihre Pferde in Bewegung setzten.

»Habe ich recht oder unrecht gehandelt?« fragte ich die Haddedihn während des Reitens.

»Emir,« antwortete Mohammed Emin, »du hast recht gehandelt; der Mann hat nicht nur dich, sondern auch uns beleidigt. Er darf kein Krieger mehr sein, denn er ist von einem Christen in das Gesicht geschlagen worden. Das ist schlimmer als der Tod und wird fürchterlich gerächt. Hüte dich, jemals in die Hände der Bebbeh zu fallen; du müßtest unter entsetzlichen Martern sterben!«

In zehn Minuten hatten die Bebbeh wieder zwei Abteilungen gebildet; nur war die vordere jetzt weniger zahlreich, da fünf ihrer Pferde erschossen waren. Ich wartete noch eine Weile, bis der Abstand zwischen ihnen sich noch mehr vergrößert hatte, und gebot dann Halt. Die sechs vordersten Reiter hätten uns den ganzen Tag nicht aus den Augen verloren, denn ihre Pferde waren ausgezeichnet. Darum mußten wir diese Tiere erschießen. Dies erklärte ich den Haddedihn, stieg vom Pferde und ergriff die Büchse.

»Schießen?« fragte Lindsay, der diese Anstalt beobachtete.

»Ja. Die Pferde weg.«

»Yes! Interessant! Viel Geld wert!«

Ich bat noch, nicht eher loszudrücken, als bis jeder sicher sei, nicht den Mann, sondern das Pferd zu treffen.

Die Verfolger kamen herbeigesaust und befanden sich bereits in Schußweite, als sie unsere Absicht zu ahnen begannen. Anstatt zerstreut abzuschwenken, hielten sie an.

»Fire!« kommandierte Master Lindsay.

Obgleich die Araber das englische Wort nicht verstanden, wußten sie doch, was es zu bedeuten habe. Wir drückten ab, ich und Lindsay noch einmal, und bemerkten sofort, daß kein Fehlschuß gefallen war: – die sechs Pferde bildeten mit ihren Reitern auf dem Boden einen Knäuel, dessen Entwirrung abzuwarten, es uns leider an der nötigen Zeit gebrach.

Nun stiegen wir wieder zu Pferde. Bald blieben die Verfolger weit zurück, und nach einer Weile befanden wir uns allein auf der Ebene.

Diese erreichte jedoch sehr bald ihr Ende. Es erhoben sich Berge vor uns, und auch von den Seiten traten Höhen zu uns heran. Wir hielten unwillkürlich die Pferde an, ohne uns irgend ein Zeichen dazu gegeben zu haben.

»Wohin?« fragte Mohammed.

»Hm!« brummte ich.

Ich war noch nie im Leben so unsicher über die einzuhaltende Richtung gewesen, wie jetzt.

»Ueberlege, Emir!« sagte Amad. »Wir haben jetzt Zeit. Unsere Pferde mögen sich verschnaufen.«

»Ebenso leicht könnte ich sagen, ihr sollt überlegen,« antwortete ich. »Ich weiß nicht genau, in welcher Gegend wir uns befinden, aber ich denke, daß im Süden von uns Nweizgieh, Merwa, Beytosch und Deira liegen. Diese Richtung würde uns nach Sulimania bringen – —«

»Dahin gehen wir nicht!« unterbrach mich Mohammed Emin.

»So haben wir uns für den Paß zu entschließen, von dem wir gestern abend sprachen. Wir können unsere gegenwärtige Richtung beibehalten, bis wir den Fluß Berozieh erreichen, den wir eine Tagreise lang aufwärts verfolgen müssen, um hinter Banna in die Berge zu kommen.«

»Ich stimme bei,« sagte Mohammed.

»Dieser Fluß hat für uns auch den Vorteil, daß er Persien von dem Ejalet scheidet, und wir können also die Ufer wechseln, je nachdem es unsere Sicherheit erfordert.«

Wir ritten nun weiter gegen Süden. Die Gegend stieg aus der Ebene immer mehr zur Höhe; Berge und Täler wechselten in immer größerem Gegensatze. Am späten Nachmittag befanden wir uns mitten im Gebirge und kamen, kurz vor Sonnenuntergang, auf einer einsamen, dicht bewaldeten Höhe zu einer kleinen Hütte, aus deren Dachöffnung Rauch emporstieg.

»Hier wohnt jemand, Sihdi,« meinte Halef.

»Jedenfalls ein Mensch, der uns nichts schaden kann. Ich werde mir ihn ansehen; bleibt bis dahin hier halten!«

Ich stieg ab und schritt auf das Häuschen zu. Es war aus Steinen erbaut, deren Ritzen man mit Moos verstopft hatte. Das Dach wurde von einer mehrfachen Lage dichter Zweige gebildet, und die Türöffnung war so niedrig, daß kaum ein Kind aufrecht eintreten konnte.

Als meine Schritte im Innern des primitiven Bauwerkes zu hören waren, erschien an der Tür der Kopf eines Tieres, das ich für einen Bären hielt; bald aber überzeugte mich die Stimme dieses zottigen Geschöpfes, daß ich es mit einem Hund zu tun habe. Dann erklang von innen ein scharfer Pfiff, und an Stelle dieses Kopfes erschien ein zweiter, den ich beim ersten Anblick ebensowenig zu klassifizieren vermochte. Ich sah nämlich weiter nichts als Haare, die verworrener gar nicht gedacht werden konnten, und eine tiefschwarze, breite Nase und zwei funkelnde Aeuglein, die denen eines zornigen Schakals glichen.

»Ivari ‚l ker – guten Abend,« grüßte ich.

Ein tiefes Brummen antwortete.

»Wohnst du allein hier?«

Das Brummen stieg noch um einige Töne tiefer.

»Gibt es noch andere Häuser hier in der Nähe?«

Jetzt wurde das Brummen wahrhaft fürchterlich; ich glaube, die Stimme dieses Geschöpfes reichte wenigstens bis zum großen C herab. Dann kam die Spitze eines Spießes zum Vorschein – sie ward immer weiter hervorgeschoben, bis sie sich grad vor meiner Brust befand.

»Komm heraus!« bat ich im höflichsten Tone.

Wahrhaftig, das Brummen stieg noch eine kleine Terz tiefer, also Contra-A, und die Spitze der Waffe zielte grad auf meine Kehle. Das war mir denn doch zu ordnungswidrig. Ich faßte also den Spieß und zog. Der rätselhafte Bewohner der Hütte hielt seine Waffe fest, und da er mir nicht gewachsen war, so zog ich ihn aus der Türe: erst das Haargestrüpp mit der schwarz glänzenden Nase, dann zwei Hände von ganz derselben Farbe und mit breiten Krallen; hierauf folgte ein zerlöcherter Sack, ähnlich denen, worin unsere Kohlenhändler ihre Ware aufzubewahren pflegen, dann zwei schmierige Lederfutterale, parallel miteinander, und endlich zwei Gegenstände, über die ein anderer sicher im unklaren geblieben wäre, die ich als Scharfsinnigster der Scharfsinnigen infolge ihrer Umrisse sofort als die Stiefel erkannte, die der Koloß von Rhodus einmal getragen haben mußte.

Sobald diese Stiefel die Tür passiert hatten, richtete sich das Wesen vor mir empor, und nun hatte auch der Hund Platz genug, sich in ganzer Figur zu zeigen. Auch bei ihm sah man nur einen jedem Gleichnis spottenden Haarfilz, eine schwarze Nase und zwei Augen, und beide Kreaturen schienen sich mehr vor mir zu fürchten, als ich vor ihnen.

»Wer bist du?« fragte ich jetzt im barschesten Tone.

»Allo[17]!« brummte es, aber es waren doch menschliche Laute.

»Was bist du?«

»Kümürdar[18].«

Ah, das war also die einfache Erklärung der schwarzen Nase und der dito Hände; aber diese Nägel brauchte er sich doch nicht wachsen zu lassen. Ich merkte, daß ihm meine Barschheit imponierte. Er war ganz zusammengeknickt, und auch sein Hund zog den Schwanz ein.

»Gibt es hier noch Leute?« erkundigte ich mich weiter.

»Nein.«

»Wie lange muß man gehen, um zu Menschen zu kommen?«

»Mehr als einen Tag.«

»Für wen brennst du die Kohlen?«

»Für den Herrn, der Eisen macht.«

»Wo wohnt er?«

»In Banna.«

»Du bist ein Kurde?«

»Ja.«

»Bist du ein Dschiaf?«

»Nein.«

»Ein Bebbeh?«

»Nein.«

Aber bei diesem Worte spuckte er mit einem sehr feindseligen Räuspern aus. Diese ästhetische Anstrengung erregte, wie ich leider gestehen muß, unter den gegenwärtigen Umständen meine innerste Sympathie.

»Zu welchem Stamme gehörst du denn?«

»Ich bin ein Bannah.«

»Blick einmal da hinüber, Allo! Siehst du die vier Reiter?«

Er kratzte sich die langen Haarzotteln aus dem Gesicht, um seinen Augen einen größeren Spielraum zu geben, und richtete den Blick nach der von mir angedeuteten Richtung. Trotz des Kohlenüberzuges, hinter dem sich seine eigentliche kurdische Oberhaut verbarg, sah ich doch, daß ein tiefer Schreck über seine Physiognomie zuckte.

»Sind es Kurden?« fragte er besorgt.

Ah, jetzt hatte ich ihn doch so weit, daß er freiwillig redete. Als ich seine Frage verneinte, fuhr er fort:

На страницу:
4 из 10