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Von Bagdad nach Stambul
Er atmete erleichtert auf.
»Ich danke dir, Herr! Wohin sind die Köpfe eurer Pferde gerichtet?«
»Nach Süden.«
»Ihr kommt von Mitternacht herunter?«
»Ja. Wir kommen aus dem Lande der Tijari, Berwari und Chaldani.«
»So seid ihr sehr mutige und tapfere Männer. Welchem Stamme gehört ihr an?«
»Dieser Mann und ich, wir sind Emire aus Frankhistan, und die andern sind unsere Freunde.«
»Aus Frankhistan! – Herr, wollt ihr mit uns ziehen?«
»Wird dein Khan mir seine Hand öffnen?«
»Er wird es. Wir wissen, daß die Franken große Krieger sind. Soll ich gehen und ihm von euch sagen?«
»Geh, und frag ihn, ob er uns empfangen will!«
Er stand auf und eilte davon. Die Andern zeigten sich mit dem, was ich getan hatte, einverstanden, und besonders Mohammed Emin freute sich darüber.
»Effendi,« sagte er, »ich habe von den Bejat oft gehört. Sie leben mit den Dscherboa, Obeïde und Beni-Lam in immerwährendem Unfrieden, und darum werden sie uns nützlich sein. Dennoch aber wollen wir nicht sagen, daß wir Haddedihn sind; es ist besser, sie wissen es nicht.«
»Auch jetzt müssen wir vorsichtig sein, denn noch wissen wir nicht, ob der Khan uns freundlich aufnehmen wird. Holt die Pferde herbei, und legt euch die Waffen bereit, um für alle Fälle gerüstet zu sein!«
Die Bejat schienen unsertwegen eine ungewöhnlich lange Beratung zu halten, denn ehe sie ein Lebenszeichen von sich gaben, war unser Lamm gebraten und auch verzehrt. Endlich hörten wir Schritte. Der Turkomane, welcher bei uns gewesen war, erschien mit noch drei Kameraden.
»Herr,« sagte er, »der Khan sendet mich. Ihr sollt zu ihm kommen und uns willkommen sein.«
»So geht voran, und führt uns!«
Wir stiegen zu Pferde und folgten ihnen, die Gewehre in der Hand. Als wir die Waldecke hinter uns hatten, war von keinem Lagerplatze etwas zu bemerken; nachdem wir aber einen dichten Gebüschstreifen durchschnitten hatten, erreichten wir einen rings von Sträuchern eingefaßten Platz, auf dem ein mächtiges Feuer brannte. Dieser Lagerort war sehr gut gewählt, da er von außen her nicht leicht bemerkt werden konnte.
Das Feuer diente nicht zum Erwärmen der Leute, sondern zur Bereitung des Nachtmahles. Zweihundert dunkle Gestalten lagen im Grase umher, und etwas abseits der flackernden Flamme saß der Khan, welcher sich bei unserm Erscheinen langsam erhob. Wir ritten hart an ihn heran und sprangen von den Pferden.
»Friede sei mit dir!« grüßte ich ihn.
»Mi newahet kjerdem – ich mache mein Kompliment!« antwortete er, indem er sich verbeugte.
Das war persisch. Vielleicht wollte er mir damit beweisen, daß er wirklich ein Bejat sei, dessen Hauptstamm man in Khorassan suchen müsse. Der Perser ist der orientalische Franzose. Seine Sprache ist biegsam und wohlklingend, weshalb sie auch die Hofsprache der meisten asiatischen Fürsten geworden ist. Aber das höfliche, schmeichelnde und oft kriechende Wesen des Persers hat nie einen vorteilhaften Eindruck auf mich gemacht; die gerade, rauhe Ehrlichkeit des Arabers tat mir viel wohler.
Auch die Andern waren aufgesprungen, und alle Hände streckten sich dienstfertig aus, um sich unserer Pferde zu bemächtigen; doch hielten wir die Zügel fest, da wir noch keineswegs wußten, ob dies gastfreundlich oder hinterlistig gemeint sei.
»Gib ihnen immerhin die Pferde! Sie sollen für dieselben sorgen,« sagte der Khan.
Ich wollte mir gleich Gewißheit verschaffen; darum fragte ich, nun auch in persischer Sprache:
»Hesti irschad engiz – gewährst du uns Sicherheit?[8]«
Er verneigte sich zustimmend und erhob die Hand.
»Mi saukend chordem – ich beschwöre es! Setzt euch zu mir, und laßt uns reden!«
Die Bejat nahmen die Pferde; nur das meinige blieb in der Hand Halefs, der recht gut wußte, was mir lieb und angenehm war. Wir Andern nahmen bei dem Khan Platz. Die Flamme leuchtete hell auf uns herüber, so daß wir einander ganz genau erkennen konnten. Der Bejat war ein in den mittleren Jahren stehender Mann von sehr kriegerischem Aussehen. Seine Züge waren offen und Vertrauen erweckend, und die achtungsvolle Entfernung, in welcher sich seine Untergebenen von ihm hielten, ließ auf einen ehrliebenden und selbstbewußten Charakter schließen.
»Kennst du bereits meinen Namen?« erkundigte er sich.
»Nein,« antwortete ich.
»Ich bin Heider Mirlam[9], der Neffe des berühmten Hassan Kerkusch-Bey. Hast du von ihm gehört?«
»Ja. Er residierte in der Nähe des Dorfes Dschenijah, welches an der Poststraße von Bagdad nach Tauk liegt. Er war ein sehr tapferer Krieger, aber er liebte dennoch den Frieden, und jeder Verlassene fand guten Schutz bei ihm.«
Er hatte mir seinen Namen gesagt, und nun erforderte es natürlich die Höflichkeit, ihm auch den meinigen zu nennen. Darum fuhr ich fort:
»Dein Kundschafter wird dir bereits gesagt haben, daß ich ein Franke bin. Man nennt mich Kara Ben Nemsi – — —«
Er konnte trotz der bekannten orientalischen Selbstbeherrschung einen Ausruf des Erstaunens nicht unterdrücken:
»Ajah – oh! Kara Ben Nemsi! So ist dieser andere Mann, der eine rote Nase hat, der Emir aus Inglistan, welcher Steine und Schriften ausgraben will?«
»Hast du von ihm gehört?«
»Ja, Herr; du hast mir nur deinen Namen genannt, aber ich kenne dich und ihn. Der kleine Mann, welcher dein Pferd hält, ist Hadschi Halef Omar, vor dem sich so viele Große fürchten?«
»Du hast es erraten.«
»Und wer sind die beiden Andern?«
»Das sind Freunde von mir, welche ihre Namen in den Kuran legten[10]. Wer hat dir von uns erzählt?«
»Du kennst Ibn Zedar Ben Huli, den Scheik der Abu Hammed?«
»Ja. Er ist dein Freund?«
»Er ist nicht mein Freund und nicht mein Feind. Du brauchst dich nicht zu sorgen; ich habe ihn nicht an dir zu rächen.«
»Ich fürchte mich nicht!«
»Das glaube ich. Ich traf mit ihm bei Eski Kifri zusammen, und da erzählte er mir, daß du schuld bist, daß er Tribut zu zahlen hat. Sei vorsichtig, Herr! Er wird dich töten, wenn du in seine Hände fällst.«
»Ich befand mich in seiner Hand, ohne daß er mich getötet hat. Ich war Gefangener; aber er konnte mich nicht festhalten.«
»Ich habe es gehört. Du hast den Löwen getötet, ganz allein und in der Dunkelheit, und bist dann mit der Haut desselben davongeritten. Glaubst du, daß auch ich dich nicht halten könnte, wenn du mein Gefangener wärest?«
Dies klang verdächtig, doch ich antwortete ruhig:
»Du könntest mich nicht halten, und ich wüßte auch nicht, wie du es anfangen solltest, um mich gefangen zu nehmen.«
»Herr, wir sind zweihundert, ihr aber seid nur fünf!«
»Khan, vergiß nicht, daß zwei Emire aus Frankhistan unter diesen fünf sind, und daß diese zwei so viel zählen wie zweihundert Bejat!«
»Du sprichst sehr stolz!«
»Und du fragst sehr ungastlich! Soll ich an der Wahrheit deines Wortes zweifeln, Heider Mirlam?«
»Ihr seid meine Gäste, obgleich ich die Namen dieser beiden Männer nicht kenne, und sollt Brot und Fleisch mit mir essen.«
Ein rücksichtsvolles Lächeln umspielte seine Lippen, und der Blick, welchen er auf die beiden Haddedihn warf, sagte mir genug. Mohammed Emin war infolge seines prachtvollen, schneeweißen Bartes unter Tausenden zu erkennen.
Auf einen Wink des Khan wurden einige viereckige Lederstücke herbeigebracht. Auf diesen servierte man uns Brot, Fleisch und Datteln, und als wir ein Weniges davon genossen hatten, wurde uns für unsere Pfeifen Tabak gereicht, für den uns der Khan eigenhändig Feuer gab.
Jetzt erst konnten wir uns als seine Gäste betrachten, und ich gab Halef einen Wink, mein Pferd zu den übrigen Rossen zu bringen. Er tat dies und nahm dann auch bei uns Platz.
»Welches ist das Ziel eurer Wanderungen?« erkundigte sich der Khan.
»Wir reiten nach Bagdad zu,« antwortete ich vorsichtig.
»Wir ziehen nach Sinna,« hob er wieder an. »Wollt ihr mit uns reiten?«
»Wirst du es erlauben?«
»Ich werde mich freuen, euch bei mir zu sehen. Komm, reiche mir deine Hand, Kara Ben Nemsi! Meine Brüder sollen deine Brüder sein und meine Feinde deine Feinde!«
Er reichte mir seine Hand entgegen, und ich schlug ein. Er tat dasselbe auch mit den Andern, die sich mit mir herzlich freuten, hier so ganz unerwartet einen Freund und Beschützer gefunden zu haben. Wir sollten es später zu bereuen haben. Der Bejat meinte es nicht böse mit uns; aber er glaubte, an uns eine gute Erwerbung gemacht zu haben, die ihm großen Nutzen bringen werde.
»Welche Stämme trifft man von hier bis Sinna?« erkundigte ich mich.
»Hier ist ein freies Land, wo bald dieser und bald jener Stamm seine Herden weidet; wer der Stärkere ist, der bleibt.«
»Zu welchem Stamme seid ihr geladen?«
»Zu dem der Dschiaf.«
»So freue dich deiner Freunde; denn der Stamm der Dschiaf ist der mächtigste des ganzen Landes! Die Scheik-Ismael, Zengeneh, Kelogawani, Kelhore und sogar die Schenki und Hollali fürchten ihn.«
»Emir, warst du bereits einmal hier?«
»Noch niemals.«
»Aber du kennst ja alle Stämme dieser Gegend!«
»Vergiß nicht, daß ich ein Franke bin!«
»Ja, die Franken wissen alles, selbst das, was sie nicht gesehen haben. Hast du auch vom Stamme der Bebbeh gehört?«
»Ja. Er ist der reichste Stamm weit und breit und hat seine Dörfer und Zelte in der Umgebung von Sulimania.«
»Du bist recht berichtet. Hast du Freunde oder Feinde unter ihnen?«
»Nein. Ich bin noch nie mit einem Bebbeh zusammengetroffen. »
»Vielleicht werdet ihr sie kennen lernen.«
»Werdet ihr ihnen begegnen?«
»Vielleicht, obgleich wir gern ein Zusammentreffen vermeiden.«
»Kennst du den Weg nach Sinna ganz genau?«
»Ganz genau.«
»Wie weit ist es von hier bis dahin?«
»Wer ein gutes Pferd hat, der reitet in drei Tagen hin.«
»Und wie weit ist es bis Sulimania?«
»Du kannst es schon in zwei Tagen erreichen.«
»Wann brecht ihr morgen auf?«
»Sobald die Sonne erscheint. Wünschest du, zur Ruhe zu gehen?«
»Wie es dir angenehm ist.«
»Der Wille des Gastes ist Gesetz im Lager, und ihr seid müde, denn du hast die Pfeife bereits fortgelegt. Auch der Amasdar[11] macht schon seine Augen zu. Ich gönne euch die Ruhe.«
»Bejatend schirinkar – die Bejat haben angenehme Sitten. Erlaube, daß wir unsere Decken ausbreiten!«
»Tut es. Allah aramed schumara – Gott gebe euch Schlaf![12]«
Auf einen Wink von ihm wurden ihm Teppiche gebracht, aus denen er sich ein Ruhelager bereitete. Meine Gefährten machten es sich so bequem wie möglich; ich aber verlängerte die Zügel meines Pferdes durch den Lasso, dessen Ende ich mir um das Handgelenk band, und legte mich dann außerhalb des Lagerkreises nieder. So konnte der Rappe weiden, und ich war seiner sicher, zumal der Hund an meiner Seite wachte.
So verging eine Weile.
Ich hatte die Augen noch nicht geschlossen, so näherte sich mir jemand. Es war der Engländer, der seine beiden Decken neben mir niederlegte.
»Schöne Freundschaft das,« brummte er. »Sitze da, verstehe kein Wort! Denke, es soll mir erklärt werden! Da aber machte sich der Kerl aus dem Staube. Hm! Danke sehr!«
»Verzeiht, Sir! Euch hatte ich wahrhaftig vergessen!«
»Mich vergessen! Seid Ihr blind, oder bin ich nicht groß genug?«
»Na, in die Augen fallt Ihr schon, besonders seit Ihr den Leuchtturm im Gesichte habt. Also was wollt Ihr wissen?«
»Alles! Uebrigens mit dem Leuchtturme, das laßt sein, Master! Was habt Ihr denn mit diesem Scheik oder Khan besprochen?«
Ich erklärte es ihm.
»Well, das ist günstig. Nicht?«
»Ja. Drei Tage lang sicher sein oder nicht, das ist ein Unterschied.«
»Ihr habt also gesagt: nach Bagdad? Meint Ihr das wirklich, Master?«
»Es wäre mir allerdings das Liebste, aber es geht nicht.«
»Warum nicht?«
»Wir müssen zu den Haddedihn zurück, denn Ihr habt Eure Diener noch dort, und sodann fällt es mir auch sehr schwer, mich von Halef zu trennen. Wenigstens verlasse ich ihn nicht eher, als bis ich ihn gesund und sicher bei seinem jungen Weibe weiß.«
»Richtig! Yes! Braver Kerl! Zehntausend Pfund wert. Well! Möchte auch sonst gern wieder hin.«
»Warum?«
»Wegen Fowling-bulls.«
»Oh, Altertümer sind in der Nähe von Bagdad auch zu finden; zum Beispiel in den Ruinen bei Hilla. Dort hat Babylon gestanden, und es gibt da Trümmerfelder von einem Umkreise von mehreren geographischen Meilen, obgleich Babylon nicht so groß gewesen ist, wie Niniveh.«
»Oh! Ah! Hinreiten! Nach Hillah! Nicht?«
»Darüber läßt sich noch nichts sagen. Die Hauptsache ist zunächst, daß wir den Tigris glücklich erreichen. Das Weitere wird sich dann finden.«
»Schön! Wir gehen aber hin! Yes! Well! Good night!«
»Gute Nacht!«
Der gute Lindsay dachte heute nicht, daß wir eher und unter ganz andern Umständen, als er jetzt meinte, nach jenen Gegenden kommen würden. Er wickelte sich in seine Decke und ließ bald ein lautes Schnarchen vernehmen. Auch ich schlief ein, gewahrte aber vorher, daß vier Männer von den Bejat sich zu Pferde setzten und fortritten.
Als ich erwachte, graute der Tag, und einzelne der Turkomanen waren bereits mit ihren Pferden beschäftigt. Halef, der auch schon munter war, hatte gleichfalls am Abend das Wegreiten der vier Bejat bemerkt und meldete es mir nun. Dann fragte er:
»Sihdi, warum senden sie Boten fort, wenn sie es ehrlich mit uns meinen?«
»Ich glaube nicht, daß diese vier just unsertwegen fortgeritten sind. Wir wären ja auch so schon vollständig in der Gewalt des Khan, wenn er Uebles gegen uns vorhätte. Sorge dich nicht, Halef!«
Ich dachte mir, daß die Reiter wegen der Gefährlichkeit der Gegend als Kundschafter vorausgeschickt worden seien, und hatte damit auch wirklich das Richtige getroffen, wie ich auf meine Erkundigung von Heider Mirlam selbst erfuhr.
Nach einem sehr schmalen Frühstück, welches nur aus einigen Datteln bestand, brachen wir auf. Der Khan hatte seine Leute in einzelne Trupps geteilt, welche sich in Abständen von einer Viertelstunde folgten. Er war ein kluger, vorsichtiger Mann, der für die Sicherheit der Seinen nach besten Kräften sorgte.
Wir ritten ohne Rast bis Mittag. Als die Sonne am höchsten stand, machten wir Halt, um unsern Pferden die nötige Ruhe zu gönnen. Wir waren während unseres Rittes auf keinen einzigen Menschen gestoßen und hatten an gewissen Stellen, an Büschen, Bäumen oder am Boden Zeichen der vier vorausgesandten Reiter gefunden, welche uns dadurch die Richtung angaben, der wir folgen mußten.
Diese Richtung war mir rätselhaft. Von unserm gestrigen Ruheplatze aus hatte Sinna im Südosten gelegen, aber anstatt infolgedessen diese Richtung einzuhalten, waren wir fast ganz genau nach Süd geritten.
»Du wolltest zu den Dschiaf?« erinnerte ich den Khan.
»Ja.«
»Dieser wandernde Stamm befindet sich jetzt in der Gegend von Sinna?«
»Ja.«
»Aber wenn wir so fortreiten, kommen wir nie nach Sinna, sondern nach Banna oder gar Nweizgieh!«
»Willst du sicher reisen, Herr?«
»Das versteht sich!«
»Wir auch. Und aus diesem Grunde ist es geraten, daß wir die feindlichen Stämme umgehen. Wir werden noch bis heut abend sehr scharf zu reiten haben und dann können wir uns ausruhen; denn wir müssen morgen erwarten, daß der Weg nach Ost frei wird.«
Diese Erklärung wollte mir nicht ganz einleuchten; aber es war mir nicht möglich, seine Gründe zu widerlegen, und so schwieg ich.
Nach einer zweistündigen Ruhe brachen wir wieder auf. Unser Ritt war ein sehr scharfer, und ich bemerkte, daß er uns oft im Zickzack führte; es hatte also viele Punkte gegeben, von denen uns die vier Kundschafter fernhalten wollten.
Gegen Abend mußten wir eine hohlwegähnliche Vertiefung durchreiten. Ich befand mich an der Seite des Khans, der bei der vordersten Abteilung war. Wir hatten diese Stelle fast zurückgelegt, als wir auf einen Reiter trafen, dessen bestürztes Gesicht uns verriet, daß er nicht gedacht hatte, hier an diesem Orte Fremden zu begegnen. Er drängte sein Pferd zur Seite, senkte die Lanze und grüßte:
»Sallam!«
»Sallam!« antwortete der Khan. »Wohin geht dein Weg?«
»In den Wald. Ich will mir ein Bergschaf[13] erjagen.«
»Zu welchem Stamme gehörst du?«
»Ich bin ein Bebbeh.«
»Wohnest du, oder wanderst du?«
»Wir wohnen zur Zeit des Winters; im Sommer aber führen wir unsere Herden zur Weide.«
»Wo wohnest du im Winter?«
»In Nweizgieh. Im Südost von hier. In einer Stunde kannst du es erreichen. Meine Gefährten werden euch gern willkommen heißen.«
»Wie viel Männer seid ihr?«
»Vierzig, und bei andern Herden sind noch mehr.«
»Gib mir deine Lanze!«
»Warum?« fragte der Mann erstaunt.
»Und deine Flinte!«
»Warum?«
»Und dein Messer! Du bist mein Gefangener!«
»Maschallah!«
Dieses Wort war ein Ausruf des Schreckens. Sogleich aber blitzte es in seinen scharfen Zügen auf; er riß sein Pferd empor, warf es herum und sprengte zurück.
»Fange mich!« hörten wir noch den Ruf des schnell handelnden Mannes.
Da nahm der Khan seine Flinte zur Hand und legte auf den Fliehenden an. Ich hatte kaum Zeit, den Lauf zur Seite zu schlagen, so krachte der Schuß. Natürlich ging die Kugel an ihrem Ziel vorüber. Der Khan hob die Faust gegen mich, besann sich aber sofort eines Besseren.
»Khyangar[14]! Was tust du?« rief er zornig.
»Ich bin kein Verräter,« antwortete ich ruhig. »Ich will nicht haben, daß du eine Blutschuld auf dich ladest.«
»Aber er mußte sterben! Wenn er uns entkommt, so müssen wir es büßen.«
»Lässest du ihm das Leben, wenn ich ihn dir bringe?«
»Ja. Aber du wirst ihn nicht fangen!«
»Warte!«
Ich ritt dem Flüchtigen nach. Er war nicht mehr zu sehen; aber als ich die Schlucht hinter mir hatte, bemerkte ich ihn. Vor mir lag eine mit weißem Krokus und wilden Nelken bewachsene Ebene, jenseits der die dunkle Linie eines Waldes sichtbar wurde. Wenn ich ihn den Wald erreichen ließ, so war er wohl für mich verloren.
»Rih!« rief ich, indem ich meinem Rappen die Hand zwischen die Ohren legte. Das brave Tier war längst nicht mehr bei vollen Kräften; auf dieses Zeichen hin aber flog es über den Boden, als ob es wochenlang ausgeruht habe. In zwei Minuten war ich dem Bebbeh um zwanzig Pferdelängen nahe gekommen.
»Halt!« rief ich ihm zu.
Dieser Mann war sehr mutig. Statt weiter zu fliehen oder zu halten, warf er sein Pferd auf den Häcksen herum und kam mir entgegen. Im nächsten Augenblick mußten wir zusammenprallen. Ich sah ihn die Lanze heben und griff zu dem leichten Stutzen. Da nahm er sein Pferd um einige Zoll nur auf die Seite. Wir sausten aneinander vorüber; die Spitze seines Speeres war auf meine Brust gerichtet; ich parierte glücklich, nahm aber sofort mein Pferd herum. Er hatte eine andere Richtung eingeschlagen und suchte zu entkommen. Warum bediente er sich nicht seiner Flinte? Auch war sein Pferd zu wenig schlecht, als daß ich es unter ihm hätte erschießen mögen. Ich nahm den Lasso von der Hüfte, befestigte das eine Ende desselben am Sattelknopfe und legte dann den langen, unzerreißbaren Riemen in die Schlingen. Er blickte sich um und sah mich näher kommen. Er hatte wohl noch nie von einem Lasso gehört und wußte also auch nicht, wie man dieser so gefährlichen Waffe entgehen kann. Zur Lanze schien er kein Vertrauen mehr zu haben, denn er nahm sein langes Gewehr, dessen Kugel ja nicht zu parieren war. Ich maß die Entfernung scharf mit dem Auge, und grad, als er den Lauf erhob, schwirrte der Riemen durch die Luft. Kaum hatte ich mein Pferd zur Seite genommen, so fühlte ich einen Ruck: ein Schrei erscholl, und ich hielt an – der Bebbeh lag mit umschlungenen Armen am Boden. Einen Augenblick später stand ich bei ihm.
»Hast du dir wehe getan?«
Diese meine Frage mußte unter den gegenwärtigen Umständen allerdings wie Hohn klingen. Er suchte seine Arme zu befreien und knirschte:
»Räuber!«
»Du irrst! Ich bin kein Räuber; aber ich wünsche, daß du mit mir reitest.«
»Wohin?«
»Zum Khan der Bejat, dem du entflohen bist.«
»Der Bejat? Also gehören die Männer, welche ich traf, zu diesem Stamme! Und wie heißt der Khan?«
»Heider Mirlam.«
»Oh, nun weiß ich alles. Allah möge euch verderben, die ihr doch nur Diebe und Schufte seid!«
»Schimpfe nicht! Ich verspreche dir bei Allah, daß dir nichts geschehen soll!«
»Ich bin in deiner Gewalt und muß dir folgen.«
Ich nahm ihm das Messer aus dem Gürtel und hob die Lanze und die Flinte vom Boden; sie waren ihm beim Sturze entfallen. Dann löste ich den Riemen und stieg schnell zu Pferde, um auf alles gefaßt zu sein. Er schien keinen Gedanken an Flucht zu hegen, sondern pfiff seinem Pferde und schwang sich auf.
»Ich traue deinem Worte,« sagte er. »Komm!«
Wir galoppierten nebeneinander zurück und fanden die Bejat am Ausgange der Vertiefung auf uns warten. Als Heider Mirlam den Gefangenen erblickte, klärte sich sein finsteres Gesicht auf.
»Herr, du bringst ihn wirklich!« rief er.
»Ja, denn ich habe es dir versprochen. Aber ich habe ihm mein Wort gegeben, daß ihm nichts geschehen soll. Hier sind seine Waffen!«
»Er soll später alles wieder haben, jetzt aber bindet ihn, damit er nicht entfliehen kann!«
Diesem Befehle wurde sogleich Gehorsam geleistet. Unterdessen war die zweite unserer Abteilungen herangekommen, und ihr wurde der Gefangene mit dem Bedeuten übergeben, ihn zwar gut zu behandeln, ihn aber ebenso gut zu bewachen. Dann ward der unterbrochene Ritt fortgesetzt.
»Wie ist er in deine Gewalt gekommen?« fragte der Khan.
»Ich habe ihn gefangen,« antwortete ich kurz; denn ich war verstimmt über sein Verhalten.
»Herr, du zürnst,« meinte er; »du wirst aber noch erkennen, daß ich so handeln mußte.«
»Ich hoffe es!«
»Dieser Mann darf nicht ausplaudern, daß die Bejat in der Nähe sind.«
»Wann wirst du ihn entlassen?«
»Sobald es ohne Gefahr geschehen kann.«
»Bedenke, daß er eigentlich mir gehört. Ich hoffe, daß mein ihm gegebenes Wort nicht zu Schanden werde!«
»Was würdest du tun, wenn das Gegenteil geschähe?«
»Ich würde einfach dich —«
»Töten?« fiel er mir in die Rede.
»Nein. Ich bin ein Franke, das heißt, ich bin ein Christ; ich töte nur dann einen Menschen, wenn ich mein Leben gegen ihn verteidigen muß. Ich würde dich also nicht töten, aber ich würde die Hand, mit welcher du dein Versprechen mir bekräftigt hast, zu Schanden schießen. Der Emir der Bejat wäre dann wie ein Knabe, der kein Messer zu führen versteht, oder wie ein altes Weib, auf dessen Stimme nichts gegeben wird.«
»Herr, wenn mir das ein Anderer sagte, so würde ich lachen; euch aber traue ich es zu, daß ihr mich mitten unter meinen Kriegern angreifen würdet.«
»Allerdings täten wir das! Es ist keiner unter uns, der sich vor deinen Bejat fürchten möchte.«
»Auch Mohammed Emin nicht?« erwiderte er lächelnd.
Ich sah mein Geheimnis verraten, aber ich antwortete gleichmütig:
»Auch er nicht.«
»Und Amad el Ghandur, sein Sohn?«
»Hast du jemals vernommen, daß er ein Feigling sei?«
»Nie! Herr, wäret ihr nicht Männer, so hätte ich euch nicht bei uns aufgenommen; denn wir reiten auf Wegen, welche gefährlich sind. Ich wünsche, daß wir sie glücklich vollenden!«
Der Abend brach herein, und eben, als es so dunkel wurde, daß es die höchste Zeit zum Lagern war, gelangten wir an einen Bach, der aus einem Labyrinth von Felsen in das Freie sich ergoß. Dort lagerten die vier Bejat, welche uns vorausgeritten waren. Der Khan stieg ab und trat zu ihnen, um sich längere Zeit leise mit ihnen zu unterhalten.
Warum tat er so heimlich? Hatte er etwas vor, was nur sie allein wissen durften? Endlich gebot er seinen Leuten, abzusteigen. Einer der vier schritt uns voran, in das Felsengewirr hinein. Wir führten die Pferde hinter uns und gelangten nach einiger Zeit in eine große, ganz von Felsen eingeschlossene freie Rundung. Dieser Ort war das sicherste Versteck, das jemals gefunden werden konnte, freilich viel zu klein für zweihundert Mann und deren Pferde.
»Bleiben wir hier?« fragte ich.
»Ja,« antwortete Heider Mirlam.
»Aber nicht alle!«
»Nur vierzig; die andern werden in der Nähe lagern.«
Diese Antwort mußte mich zufriedenstellen; nur wunderte es mich, daß trotz der Sicherheit unserer Lage kein Feuer angebrannt wurde. Dies fiel auch den Gefährten auf.
»Schöner Platz!« sagte Lindsay. »Kleine Arena. Nicht?«
»Allerdings.«
»Aber feucht und kalt hier am Wasser. Warum nicht Feuer anmachen?«
»Weiß es nicht. Vielleicht sind feindliche Kurden in der Nähe.«
»Was aus ihnen machen? Niemand kann uns sehen. Hm! Gefällt mir nicht!«