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Gaunerinnen
Nach einer Stunde brachte sie die Pennerin mit gelben Fingernägeln und faulen Zähnen, ausstaffiert mit einem gefälschten Gucci-Kleid, ins Restaurant, wo die Hochzeit gefeiert wurde.
Beim Anblick der Strolchin verschlug es vielen Gäste die Sprache. Der Schweizer zog bloß ratlos eine Augenbraue hoch, Stella dagegen erstarrte. Und plötzlich rief die Scheuche, die nur drei Zähne, dafür aber eine gewaltige Fahne hatte, laut in Richtung Stella:
„Guten Tag, Töchterchen!“
Völlig schockiert von diesem Auftritt war der Mann, der die Rolle des Vaters der Mädchen, eines armen, intelligenten Lehrers spielte. Er wurde fast ohnmächtig. Diese Erscheinung sollte seine Frau sein! Der Schweizer brach das Schweigen mit dem schlichten, zurückhaltenden Satz:
„Dass so schöne Töchter so eine Mutter haben können!“
Stella erklärte mit bitterer Stimme und Tränen in den Augen:
„Eigentlich solltest du sie gar nicht zu sehen bekommen. Sie ist Schande unserer Familie! In ihren jungen Jahren war sie die erste Schönheit der Hauptstadt!“
Bei diesen Worten fiel dem angeblichen Brautvater das Sektglas aus den Fingern. Das Mütterchen mit seiner Neigung zum Alkohol starrte voll Bedauern auf den Boden, wo die prickelnde Flüssigkeit zerrann. Den Ereignissen um sich herum schenkte sie keine Aufmerksamkeit.
„So war das nicht abgemacht“, begehrte jetzt der „Papa“ auf. „Mit solchen Hauptstadtschönheiten habe ich nie geschlafen. Pfui!“
Da kapierte Natalja, dass es um einen Skandal nicht herumgekommen würde und schrie:
„Das Brautpaar soll sich küssen! Küssen!“ Sie gab den Musikanten ein Handzeichen, dass sie spielen sollten. Der Vater schenkte sich ein Glas Wodka ein, trank es auf einen Zug aus, beruhigte sich wieder und begann eine Unterhaltung mit dem Schweizer. Dabei kannte er nur zwei Wörter auf Englisch: „Yes, yes.“
Jedes Mal, wenn sich die Freundinnen an diesen Vorfall erinnerten, lachten sie lange und erzählten einander sämtliche Details aufs Neue. Und sie hatten jede Menge solcher Geschichten. Natalja lernte andere Mitglieder ihrer lustigen Gesellschaft kennen. Bei einer guten Flasche Wein war es keine Sünde, sich über Onkel Wowa, den Leiter des Friedhofs, lustig zu machen. Und wer war der Leiter des Friedhofs? Natürlich der Wächter. Ein witziger Typ. Er murrte ständig, regte sich auf.
„Ich hab es satt, für euch Gotteslästerinnen Löcher zu buddeln! Ihr beerdigt Leute wie am Fließband! Schämen solltet ihr euch!“
„Die Särge sind doch alle leer, Onkel Wowa!“
„Gott sei Dank, dass sie leer sind!“
Aber beim Anblick eines 100-Dollar-Scheins veränderte er sich rasant, seine Stimme und Körperhaltung bekamen die Würde eines Mannes, der Geld in frei konvertierbarer Währung besitzt. Dann sagte er:
„Ihr macht alles richtig! Sie haben es verdient! Geschieht ihnen recht, diesen alten Perverslingen! Sie kommen hierher, holen unsere jungen Mädchen weg und machen mit ihnen weiß Gott was! Dort in diesem Amerika!“
Sie lachten über ihn bis zum Umfallen. In Wirklichkeit mochte er das Begräbnistheater, das die Mädchen erfunden hatten. Dabei konnte man sich ordentlich die Kehle anfeuchten, fürstlich essen und etwas mit nach Hause nehmen. Dafür hatte er ein paar große Tragetaschen parat. Das einzige, worüber sich Onkel Wowa beschwerte, waren die Klageweiber. Er sagte:
„Wegen der Weiber, die für Geld weinen, kriege ich noch einen Herzinfarkt. Ich heule ja selber mit und beweine die leeren Särge. Sie jammern einfach so traurig! Schlampen! Es zerreißt einem die Seele! Ich weiß noch, wie sogar ein Kunde von euch, ein Deutscher, Drecksnazi, feuchte Augen bekam! Und ich habe auch noch ein slawisches Herz! Das wird das Gejammer nicht mehr lange ertragen! Und wenn ich sterbe, wer soll euch dann für die paar Groschen Löcher buddeln?“
Die Freundinnen lachten so laut, dass es auf dem ganzen Friedhof zu hören war.
Natalja sollte bald ihr Studium beenden. Saweli war froh darüber und konnte es kaum erwarten, seine unbegabte Studentin in nächster Zukunft loszuwerden. Die Situation an der Universität war für ihn ungünstig und seine Muse hatte ihn enttäuscht.
„Geistloses, billiges Miststück“, dachte er. „Und ich bin ein alter Trottel!“ Manchmal kam ihm der Gedanke, dass er wegen Überschreitung seiner Befugnisse im Gefängnis landen könnte. „Dank mir hatte sie ja immer die besten Noten. Werden ihre Kenntnisse geprüft, kommt sofort heraus, dass ich ein alter Wüstling und ein korruptes Schwein bin. Diese blonde Studentin mit ihren rosigen Brustwarzen war offensichtlich unfähig, einen Hochschulabschluss zu erwerben. Und drogenabhängig war sie außerdem!“
Einmal hatte er sie auf der Toilette mit Amphetamin ertappt. Danach verlor er das Interesse an Natalja, begann sich sogar vor ihr zu scheuen und sie zu meiden.
Sie wiederum erklärte ihm, sie könne unter dieser Droge schneller lesen.
„Lesen allein reicht nicht, um sich Wissen anzueignen! Du musst den Sinn verstehen! Um dich mit einem Text auseinanderzusetzen, musst du vollkommen nüchtern sein! Aber du verstehst gar nicht, worum es sich handelt“, hatte der Dekan sie einmal angefahren.
Worauf er eine Antwort bekam, die zu hören er mehr als alles andere im Leben fürchtete:
„Schatz, sieh es ein. Ich muss mein Studium abschließen, koste was es wolle! Und du hilfst mir dabei! Sonst müsste ich doch einmal deine Frau kennenlernen und bei einer Tasse Tee ein nettes, aber ganz bestimmt langes Gespräch mit ihr führen.“
Er wusste, dass sie zu dieser Gemeinheit sehr wohl fähig war. Und er wollte auf keinen Fall seine Familie verlieren, die für ihn letztendlich eine Art Rückendeckung war. Sein Haus empfand er als eine Art Tempel der Ruhe.
Vielleicht würde ihm seine Frau den Seitensprung verzeihen, aber wahrscheinlich würde sie ihn nie mehr in Ruhe lassen. Er bekäme garantiert Vorwürfe zu hören und würde ständig überwacht. Wenn seine gescheite Frau auch nur den kleinsten Anlass zu einem Verdacht fände, würde sie sicher noch interessante Dinge entdecken. Er war nun einmal nicht der frömmste und treuste Ehemann.
Natalja hatte wohl ein bisschen Mitleid mit ihm, aber er ließ ihr keine Wahl. Sie musste sie den Langweiler unter Druck setzen und beschenkte ihn mit den verschiedensten Sachen – mit Schweizer Schokolade, Käse, fruchtigen Likören, allerlei Delikatessen, die sie von den Ausländern erhielt. Außerdem lutschte sie sein schlaffes Glied einmal in der Woche, nach Stundenplan, wie sie es auch in den vergangenen Jahren immer getan hatte.
„Meiner Meinung nach ist das mehr als ein guter Preis für ein Diplom! Ich habe den alten Langweiler viel zu sehr verwöhnt!“
Saweli beschwerte sich im Prinzip auch nicht, er hatte nur Angst, seine Stelle zu verlieren, bevor er in den Ruhestand ging.
Endlich hatten die Mädchen genug Geld zusammengespart, um sich Autos leisten zu können!
Was für eine Freude! Und stolz waren sie ebenfalls! Die beiden parkten jetzt ganz souverän ihre gleich aussehenden schwarzen Lexus-Offroader vor der Uni. Das Leben auf den eigenen vier Rädern war noch cooler als vorher! Für sie schien es geradezu Geld zu regnen. Mit solchen Schlitten konnten sie überall und mit allen Kontakte knüpfen. Sie schlossen Verträge mit Hotels, Restaurants, Shops, machten überall Gewinn, waren von vielen Ausländern umgeben. Sie hatten Spaß und amüsierten sich.
„Das nenne ich einen Job!“, sagte Nata. „Das reinste Kinderspiel!“
Die Freundinnen kauften für das Geld der Kunden verschiedene Waren ein und gaben sie am nächsten Tag zurück. Auf diese Weise wanderten Hunderte von Dollar in ihre Taschen.
Stella war eine leidenschaftliche Person mit einer besonderen Vorliebe für Spielbanken. Sie spielte manchmal betrunken, setzte das ganze Geld auf Rouge und Noir und verlor ständig.
Natalja legte jeden Groschen auf die Seite. Sie hatte gemischte Gefühle hinsichtlich der Verluste ihrer Freundin und Rivalin. Es war ihr selbst nicht klar, ob sie ihr Freude bereiteten oder doch eher Missfallen erregten. Aber nach einem verlorenen Spiel endete Stellas Abend gewöhnlich mit einer angenehmen Bekanntschaft. Das schmeichelte ihr und ärgerte ihre Freundin.
Ihre Beziehung mit Sergej ging letzten Endes in die Brüche. Als er erfuhr, dass sie Männer ausnahm, stellte er eine Bedingung:
„Entweder ich oder dein Job.“
Damit verurteilte er sich selbst zum Leiden. Stella trauerte einige Monate, aber dann wurden ihre Gefühle von der Vernunft besiegt. Es war noch zu früh, eine Familie zu gründen. Außerdem war der wichtigste Grund ihrer Gefühle für Sergej die Tatsache, dass er die Schlampe an den Heizkörper gefesselt hatte. Als Mann passte er kaum zu ihr. Er war ein eifersüchtiger Typ, der davon träumte, sie zu Hause bei Kindern und Eintopf einzusperren.
„Nein! Das lasse ich nicht zu! Ich werde ein bisschen leiden, und danach wird alles gut.“
Sie mochte Männer von höherem Niveau, die reich, beredt und weit gereist waren. Gewöhnlich traf sie solche Männer im Kasino. Stella hielt sich für wohlhabend, aber sie wusste von ihrem Hang, mit Geld leichtsinnig umzugehen. „Geld heckt Geld“, war ihr Motto. Das war eine Tatsache des Lebens, so oder so.
Natalja dagegen würde ohne einen Sponsor nicht einmal bei McDonalds essen gehen. Deshalb gingen sie normalerweise getrennt aus und trafen sich nur zu dem einen Zweck, mit neuer Beute zu prahlen – sei es ein Banker, ein ausländischer Tycoon oder ein ähnliches Opfer. Dabei liebten es die beiden Mädchen, ihre Eroberungen auszuschmücken. Nicht selten war ein junger Erdöl-Tycoon in Wirklichkeit nur der betagte Inhaber von einem Dutzend Ständen auf dem Markt, die allerlei Kram verkauften, oder ein Biergartenbesitzer. Lustig war es trotzdem!
Natalja überlegte, was sie machen würde, nachdem sie ihr langersehntes Diplom bekommen hätte. Sie wollte ihrem Beruf nachgehen und die erworbenen Kenntnisse in der Praxis einsetzen. Dabei war sie sich hundertprozentig sicher, dass sie im Vergleich zu den anderen die Beste wäre. Sie behauptete, dass sie ihre Diplomarbeit ohne jede Hilfe von Saweli selbst verfasst hätte. Als dieser das hörte, staunte er mächtig. Aber er wusste ja, dass alle dummen und ungebildeten Menschen sich für großartig halten. Wirklich kluge Köpfe dagegen waren bescheiden.
Stella wiederum war der Meinung, dass Frechheit und Selbstvertrauen die Schlüssel zum Erfolg seien. Wer diese Eigenschaften hatte, konnte ein schwarzes Viereck auf ein weißes Blatt Papier malen und mit größter Selbstverständlichkeit für Millionen Rubel verkaufen, während die Bilder, an denen andere tage-, wochen-, monate-, gar jahrelang mühevoll gearbeitet hatten, für ganze tausend Hrywnja an der U-Bahn-Station verscherbelt wurden. Darum bestand die Genialität eines genialen Menschen zweifellos in seiner listigen Natur und im Selbstvertrauen. Denn das Leben ist ungerecht. Im Unterschied zu Saweli glaubte Stella, Natalja hätte die erforderlichen Fähigkeiten, nicht nur bei einer Bank zu arbeiten, sondern eine leitende Position zu bekleiden. Zu dieser Überzeugung kam sie aufgrund ihrer persönlichen Lebenseinstellung.
Natalja wurde tatsächlich einmal zu einem Vorstellungsgespräch für eine Anstellung als Bankkassiererin eingeladen und seltsamerweise auch sofort eingestellt. Aber es gab eine Unannehmlichkeit. Der Lohn betrug mickrige hundert Dollar, berechnet in US-Währung.
Natalja war geschockt. Sie erzählte ihrer Freundin fast unter Tränen, diesen Betrag hätte sie problemlos verdienen können, auch ohne an einem Schalter neben fetten alten Kassiererinnen zu sitzen.
„Hahaha!“ Stella bekam feuchte Augen vor Lachen. „Du vergeudest deine Zeit, Natalja! So eine Stelle kannst du annehmen, wenn deine persönliche Bank zwischen deinen Beinen keinen Gewinn mehr bringt. Wozu brauchst du das jetzt?“
„Ich will aufhören, Stella! Ich habe Angst!“
„Wovor?“
„Vor der Strafe Gottes.“
„Das fällt dir ja rechtzeitig ein, Mädchen.“
„Spotte bitte nicht.“
„Also gut, Spott beiseite. Geh ruhig für einen Hunderter malochen, ich hab nichts dagegen.“
„Stella, versteh doch. Den Leuten geht allmählich auf, dass unsere Agentur reine Betrügerei ist. Sie schreiben böse Kommentare auf unserer Webseite. Ich fürchte, dass die Bullen uns bald schnappen. Dann sind wir sind erledigt! Tschüss, Mama! Schick mir Briefe ins Gefängnis!“
„Jetzt erschreck mich nicht! Ich habe keine Lust auf Knast.“
„Du weißt doch selber, vor dem Gefängnis ist niemand sicher.“
„Das weiß ich, aber sitzen würde ich nicht. Lieber sterben.“
„Jetzt erschreckst du mich.“
Stella wurde nachdenklich. Sie wog das Für und Wider ab und sagte:
„Du hast recht. Wir haben jetzt weniger Leute und der Ruf der Firma ist alles andere als erfreulich, da lässt sich nicht leugnen. Wir nehmen alle um uns herum aus, bezahlen unser Studium, trinken, spielen in Kasino und geben Geld aus.“
„Bitte nicht verallgemeinern. Ich spare.“
„Also gut, ich gebe mein Geld aus. Aber was du dir zusammengespart hast, würde dir bei deinen Ansprüchen auch nicht zum Leben reichen, oder?“
„Natürlich nicht.“
„Das bedeutet, dass wir eine andere Einnahmequelle brauchen.“
„Ja, ja! Wir müssen die Firma dichtmachen, Stella! Mein Herz sagt mir, dass etwas nicht stimmt.“
„Gut, lass mich überlegen, was wir unternehmen könnten.“
Stella verließ ihre Freundin etwas verwirrt und missgelaunt. Die Gedanken drehten sich in ihrem Kopf auf der Suche nach einer Idee. Sie wollte nicht ohne Natalja weitermachen, die beiden arbeiteten ja trotz aller Meinungsverschiedenheiten ganz gut zusammen, verstanden einander auf Anhieb. Natalja könnte mit einer normalen Arbeit problemlos Geld verdienen und dazu noch ihr altes Gewerbe am Wochenende betreiben. Aber Stella hätte damit Schwierigkeiten. Sie ging nur mit Männern ins Bett, die sie wirklich mochte. Das einzige, womit sie gut verdienen konnte, waren Gaunereien, ihre Theateraufführungen, wo sie ihre Kunst, Tränen zu vergießen, wann immer sie es brauchte, geschickt einsetzte. Nicht damit, ihren Körper zu verkaufen. Das war nicht ihr Ding. Das Bett, Küsse, intime Beziehungen endeten für sie nicht mit Phrasen wie: „Ihre Zeit ist abgelaufen. Möchten Sie verlängern?“ – „Nein, zieh dich an und hau ab, du Schlampe!“
Sie musste noch ein Jahr in Kiew arbeiten, wenn sie ihr Studium nicht abbrechen wollte. Ihr war es wichtig, die Universität abzuschließen. Natalja sollte ihr Diplom in diesem Jahr erhalten, Stella erst im nächsten.
„Was jetzt? Denk gefälligst!“, befahl Stella, die konservative Strategin, sich selbst.
Hurr!
Der Erhalt ihres Diploms war ein großes Ereignis in Nataljas Leben. Endlich hatte sie sich aus dem Netz dieses verdammten Studiums befreit, dem sie sowieso nur flüchtig nachgegangen war, weil eine ganz andere Tätigkeit sie voll auslastete. „Diese fünf Jahre waren eine reine Hölle! Ein Rattenrennen!“ Selbst ein Hamster in seinem Laufrad war nicht so müde, körperlich und psychisch, wie Natalja. Gott sei Dank hatte sie immerhin keine Geldprobleme! Das war die Hauptsache.
Sie weinte und lachte gleichzeitig. Offenbar hatte das Amphetamin ihre Nerven endgültig zerstört. Sie wurde aggressiver und schrie unwillkürlich Menschen an.
Das fiel ihr selbst auf und sie hatte Angst davor, durchzudrehen. Um sich zu beruhigen, ging sie zu den zwei hübschen Jungs, mit denen sie gleichzeitig und völlig gratis schlief. Für die Seele.
Die Jungs hatten immer Ecstasy dabei. Sie pumpten Natalja damit voll und fickten sie dann in alle ihre Löcher. Danach fuhr sie weiter feiern, zog von einem Klub zum anderen, soff sich total zu und fiel von Barhockern. Das war ihre Spezialität. Es passierte gewöhnlich dann, wenn sie stockbetrunken am Tresen saß und versuchte, abgestützt auf ihren nicht mehr kippsicheren Ellenbogen, anständig auszusehen. Krabummm!
Sie krabbelte zurück, klammerte sich an die dünne Querstange des Barhockers und zog sich wie eine Stripperin hinauf. Ein hartes Stück Akrobatik. Aufgerüttelt von ihrem Sturz, wurde Natalja etwas nüchterner, zog sich aus, verscheuchte die Stripperinnen von der Stange und tanzte nackt. Dann kroch sie nach Hause, mit Männern, die sie immer wieder bestahlen, aber sie wusste nicht einmal deren Namen. Am Morgen rief sie Stella an und beschwerte sich über die zwei Jungs, bei denen sie am Abend zuvor gewesen war und die beim Rundfunk arbeiteten. Stella rief ihrerseits die Jungs an und hörte jedes Mal neue blamable Abenteuer ihrer Freundin in respektablen Etablissements. Die Freunde hatten einfach keine andere Wahl, als sie stockbesoffen und unter Drogen zurückzulassen und wegzugehen.
„Ach, bist du mal wieder beraubt worden? Und weißt nicht von wem? Bist du sicher, dass du dir noch kein AIDS geholt hast? Das würde mich wundern!“
„Verpiss dich, Stella! Den Pips sollst du kriegen! Ich habe immer Kondome dabei. Oh! Ich habe Bier im Kühlschrank gefunden. Komm rüber, wir trinken eins!“
„Bin schon unterwegs.“
Wenn sie an die verrückte Natalja dachte, kam sie zu dem Schluss, dass sie wahrscheinlich nicht von nur einem Mann beraubt worden war. Vielleicht waren es eher fünf oder sechs im Laufe der Nacht gewesen. Diese Dame war verwöhnt und auf Drogen völlig inadäquat.
„Hallo!“
„Oh! Stella, komm rein. Schau mal, wie leer es jetzt bei mir ist. Wenigstens die Möbel haben sie stehenlassen, diese Arschlöcher! Aber die Gläser, die du mir geschenkt hast, haben sie geklaut.“
„Ja, ich weiß noch, diese Gläser habe ich dir nach dem vorigen Raub geschenkt“, sagte Stella sarkastisch, als sie die Tränen im Nataljas Gesicht bemerkte.
„Du bist fies, Stella! Du hast nichts, was geklaut werden könnte, und darum machst du dich über mich lustig! Meine Wohnung ist gut ausgestattet, ich habe alles.“
„Ich sehe nur jede Menge Kram. So viel könnte kein Dieb mitnehmen! Deine Wohnung ist der reinste Flohmarkt!“
„Und du, Stella, wenn du betrunken bist, verschenkst du alles. Du bist schon mehr als einmal in einer leeren Wohnung aufgewacht.“
„So werde ich jedenfalls nicht ausgeraubt.“
Die Mädchen lachten.
„Ich habe dir doch den Rat gegeben, die Wertsachen entweder bei der Bank zu deponieren oder zu mir zu bringen. Fremde Sachen verschenke ich nicht.“
„Wer weiß!“
Natalja hatte nicht so viel Vertrauen in Stella. Und noch weniger in alle anderen auf diesem Planeten. In ihrem Leben gab es keinen Platz für einen solchen Menschen. Sie war kleinlich und krämerhaft. Sie versteckte all ihre Ersparnisse in Socken und Wänden. Während ihre Nachbarn bei der Arbeit waren, bohrte Natalja eigenhändig mit dem Schlagbohrer die Löcher in die Wände und gab das als Renovierung aus. Bevor sie anfing, beobachtete sie genau und verfolgte mit unverwandtem Blick jeden, der aus dem Haus ging. Dann klingelte sie der Reihen nach an allen Türen in der Nachbarschaft, um zu überprüfen, ob die Nachbarn wirklich ihre Wohnungen verlassen hatten.
Eine Wendung im Leben der Gaunerinnen
Eines Abends chattete Stella mit Schenka Kosonoschkin, einem ihrer Klassenkameraden aus Lugansk. Zu ihrem großen Erstaunen stellte sich heraus, dass der unverbesserliche Fünfenschreiber und Chaot bei einem führenden Lebensmittelgroßhändler arbeitete. Zu allem Überfluss leitete er die Vertriebsabteilung.
„Kosa, wie hast du das geschafft? Ich kann es gar nicht glauben! Wenn mir jemand gesagt hätte, dass du im Knast sitzt, würde mich das weniger wundern! Und jetzt so was! Direktor Kosa! Ahahaha!“
„Sehr witzig, Stella! Du warst schon immer originell in deinen Äußerungen!“
„Danke für das Kompliment. Aber jetzt mal im Ernst, wie bist du da hingekommen? Raus mit der Sprache!“
„Ein Dekan an einer Privatuniversität in Lugansk hat mir ein Diplom für zweitausend Dollar verkauft. Er hat mir versichert, das Diplom sei echt und entspreche den Standards. Ich ließ mir ein bisschen Privatunterricht geben, lernte zum Thema alles, was nötig war, und voilà Mademoiselle! Ich bin jetzt nicht mehr der Kosa, mit dem du geschwänzt und hinter der Schule eine geraucht hast! Ich bin jetzt Evgeni Wladimirowitsch.“
„Hahaha! Du hast mich zum Lachen gebracht! Aber das war natürlich ein genialer Gedanke! Sehr gut! Ich freue mich für dich. Aber für mich bleibst du Kosa wie früher. Ahahaha!“
„Abgemacht, Stella Flinkfinger!“
„Schreib mir, vergiss das nicht!“
„Tschüss.“
Stella verarbeitete diese Informationen und begann, einen genialen Plan zu schmieden. Ihre Gedanken waren auf ein einziges fernes Ziel ausgerichtet – die Welt der Zasterhasen.
Außerdem hatte sie bereits eine gewisse Erfahrung beim Kauf von Dokumenten. Ihren Führerschein kaufte sie bei der Staatlichen Verkehrsinspektion der Stadt Cherson durch Beziehungen. Dabei hatte sie diese Stadt nie besucht.
Sie rief Natalja an und erzählte ihr von ihrer genialen Idee, mit der ihrer Meinung nach ein neuer Lebensabschnitt beginnen würde, in dem kein Platz für Habenichtse vorgesehen war.
Der Kern der „Geschäftsidee“ bestand darin, zwei Hochschuldiplome in Rechtswissenschaften zu kaufen und ein Notariat zu gründen. Dort sollten dann Mitarbeiter mit einer echten juristischen Ausbildung angestellt werden, deren Aufgabe es wäre, sich direkt mit den Dokumenten zu befassen.
„Und wir werden klug dreinschauen und den Stempel daruntersetzen. Wie findest du die Idee, Freundin?“
„Stella! Was hast du für einen klugen Kopf! Ich bin schockiert!“
„Ja. Daran ist nichts auszusetzen!“
„Das wird uns ein Haufen Geld bringen!“
„Aber es gibt ein Problem! Um die Berechtigung zur Benutzung eines Notarsiegels zu erhalten, muss man mindestens zwei Jahre Arbeitserfahrung in einem Notariat haben.“
„Puh, Stella, da hast du mich beinahe erschreckt! Ich dachte, es gäbe ein echtes Problem! Wir brauchen doch bloß einen kleinen Notar in irgendeinem Dorf zu ficken, damit er uns die erforderliche Berufserfahrung bestätigt.“
„Hahaha! Daran habe ich gar nicht gedacht.“
„Dann legen wir los?“
„Ich bin bereit!“
Natalja war entzückt. Sie stellte sich vor, wie sie in einem strengen Kostüm aussehen würde, wohl ähnlich wie Stella: ein eiskaltes, unnahbares Luder von unwiderstehlicher Schönheit. Wenn es aber einer wagte, sie zu berühren, wurde er um sein gesamtes Vermögen gebracht und ihm die Schuld dafür gegeben. Die Genialität ihrer Kollegin verärgerte sie ein wenig.
„Ich bin mir sicher, dass ich ihr in diesem Geschäft einen Vorsprung geben könnte!“, dachte sie mit einem giftigen Lächeln. „Aber warum komme ich nicht auf solche Ideen?“, fragte sich Natalja ärgerlich. Gleichzeitig gefiel ihr es, so eine Freundin zu haben. Nicht umsonst lautet das Sprichwort: Sag mir mit wem du umgehst…
Übrigens hatte Natalja keine große Auswahl. Alle Frauen außer Stella hassten sie. Welches normale Mädchen würde die Freundschaft zu einer prinzipienlosen Nymphomanin aushalten?
Die beiden verwirklichten ihren Plan mit rasendem Tempo. Stella fuhr in ihre Heimatstadt Lugansk, die sie schon lange nicht mehr besucht hatte. Dort wohnten noch ihre Mutter und ihre drogensüchtige ältere Schwester, die schon die Hälfte ihrer Zähne verloren hatte. Leider konnte Stella der Schwester nicht helfen. Alle Versuche waren vergeblich. Sie fixte Heroin und hatte außerdem anscheinend einen Dachschaden. Die ältere Schwester hasste die jüngere schon seit ihrer Kindheit. Stella war gewiss ein Problemkind gewesen. Sie flog von vier Schulen. Zur letzten von ihnen musste sie einige Kilometer zu Fuß zurücklegen. Sie lungerte mit Jungs in Kellern herum, trug immer Sportklamotten, und zwar nur drei Marken, die auf dem Stadtmarkt zu kaufen waren: Puma, Adidas und Montana. Im kurzen Haar in Stellas Nacken prangte ein Dreieck, das ihr ihre Freunde im Keller des Hauses Nummer neun im Saretschny-Viertel rasiert hatten. Stella versuchte die Vereiterung der Kopfhaut vor ihrer Mutter zu verbergen und trug darum sogar zu Hause eine Mütze.
Sie war überraschend gut in der Schule, schwänzte aber viel und war ständig in Schlägereien und Konflikte verwickelt. Sie war Dauergast im Dienstzimmer von Anatoli Nikolajewitsch Borisow, dem Leiter der Jugendinspektion der damaligen Miliz. Jedes Mal drohte er, sie in die Jugendstrafanstalt zu schicken. Er machte seine Drohung aber nie wahr, also schaute Stella immer wieder mit einem netten Lächeln im Gesicht bei ihm vorbei und hörte sich eine stundenlange Tirade über das schwere Leben hinter Gittern an.
Zwei Wochen blieb Stella in Lugansk, bis die Diplome fertig waren. Jeden Tag trank sie mit den Freunden ihrer Kindheit. Sie besuchte sie der Reihe nach und traf sie auf verschiedenen Partys. Einmal begegnete sie auch ihrem ersten Freund, genauer gesagt ihrem „ersten Kuss“. Der Mann sah schrecklich müde aus. Er war heroinabhängig. Mit schwerem Herzen blickte sie auf die lebende Leiche. Sie hatte manchmal ein ungutes Gefühl, wenn sie beobachtete, wie junge Burschen durch das ekelhafte Zeug starben, das die verfluchten Drogendealer vertrieben. Nur einer von hundert schaffte es, die Abhängigkeit loszuwerden. Die anderen waren so gut wie zum Tode verurteilt. Stella selbst hatte eine Neigung zum Alkohol und probierte damals einige Drogen aus, wie das in den Discos verbreitete Amphetamin und Ecstasy-Tabletten. Aber sie liebte das Leben so sehr, dass sie es nicht gegen Drogen eintauschen würde.