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Gaunerinnen
„Du solltest nicht so viel trinken, Onkel Wowa!“, lachte Stella.
„Wie nicht so viel trinken? Ihr macht doch hier die üppigen Gelage! Die Tische sind übervoll. Töchterchen, bitte! Lad diese unerträglichen alten Weiber nicht mehr ein“, flehte Wowan sie an. „Für eine Kiste Wodka heule ich dir selber wie ein Wolf, zwei Stunden am Stück, wenn es sein muss! Schau, euer Amerikaner, der vorige Bräutigam, hat lauthals geweint. Ihr habt sogar diesen zwei Meter hohen Kampfstier fertiggemacht!“
„Hahaha!
Geh nach Hause, du bist schon ganz blau! Laberst Unsinn! Deck morgen das Erdloch ab, dass es niemand sieht.“
„Wer soll das sehen? Das ganze Dorf feiert morgen bei eurem Begräbnis! Sie wachen erst nächste Woche wieder auf.“
„Hahaha!“, lachte Natalja. Sie hörte Stella gespannt zu. Sie sah in ihr einen starken Menschen, der vor nichts Angst hatte und kämpferisch durchs Leben ging. Sie verdiente ihr Geld als Gaunerin und nicht als Nutte. Sie hatte keine ausgeprägte Sexualität. Die spitze Habichtsnase bezeugte ihren unerschütterlichen Charakter. Helles Haar, direkter Blick, schöne große, braune Augen und ein schlanker Körper.
Unwillkürlich dachte Natalja: „Was findet er an ihr, dieser Slawik aus der Präsidentenadministration? Er sprach von ihr mit so viel Begeisterung und Respekt.“
Die beiden Mädchen saßen sich gegenüber und begriffen, dass sie sich gegenseitig ergänzen könnten. In ihrem Inneren erkannten sie, dass dies eine schicksalhafte Begegnung für sie beide war. Sie waren absolut unterschiedliche und doch vollkommen gleich eiskalte Luder.
„Und was passiert dem Ausländer als nächstes?“, fragte Natalja. Sie brannte darauf, auch den Rest zu hören.
„Nach der Beerdigung gehen alle zum Bräutigam schlafen. Nachts kommt eine Prostituierte, angeblich um mit ihm zu reden, und verführt ihn im Schlafzimmer. Die Nutte spielt, sagen wir mal, die Rolle einer unverheirateten Cousine der Braut. Laut Textbuch versucht sie bereits beim Begräbnis, mit Sülze zu flirten. Bei ihren üppigen Kurven schmilzt er dahin. Später am Abend kommt die Braut plötzlich herein, um ihrem Geliebten gute Nacht zu sagen und ertappt ihn mit der nackten Cousine. Der treulose Möchtegern-Ehemann bekommt seine wohlverdiente Ohrfeige. Allerdings darf man sie nicht zu fest schlagen. Die Armen haben schon genug Angst vor den unsrigen. Der Bräutigam darf uns nicht ins Gras beißen. Gott bewahre, dann müssten wir doch noch einen echten Toten begraben! Im Endeffekt ist die Braut geschockt, hat einen Nervenzusammenbruch. In diesem Fall braucht sie dann von ihm unbedingt noch eine Kurreise nach Truskawez, für mindestens drei Wochen. Um die Nerven ein wenig zu regenerieren.“
Natalja hielt sich den Bauch vor Lachen.
„Du, Stella, nicht einmal die vom Bolschoi-Theater machen dir Konkurrenz!“
„Ich bin keine talentierte Schauspielerin, ich bin Dramaturgin… In solchen Fällen ist die Agentur nicht verpflichtet, dem Bräutigam sein Geld zu erstatten. Der Typ wird zum Flughafen begleitet und muss ledig nach Hause fliegen. Natürlich ist er empört und droht der Agenturdirektorin, sie zu verklagen. ‚Verfluchte Deppen! Warum habt ihr mir nicht gesagt, dass sie aus einer Idiotenfamilie stammt?‘
‚Sie wollten ein Mädchen aus einer anständigen Nichttrinkerfamilie kennenlernen! Entsprachen die Gottesdiener etwa nicht Ihren Anforderungen?‘
‚Mal haben sie Feier, mal ein Begräbnis! Wofür habe ich eigentlich bezahlt? Und was jetzt?‘
‚Laut Aussage der Verwandten, haben Sie Ihre Auswahl zugunsten der Cousine der Braut geändert. Die Braut musste einen Psychiater aufsuchen. Sie haben ihr ein schweres seelisches Trauma zugefügt. Die Genesung wird lange dauern. Seien Sie froh, dass sie mit Ihnen nichts zu tun haben will und sie nicht vor Gericht verklagt hat, wie es die Verwandten der vor dem Altar verlassenen Märtyrerin ohne Zweifel wünschen.‘
‚Was sagen Sie? Märtyrerin? Ich habe dieser frommen Schlampe und ihren bettelarmen Verwandten Kleidung und Schuhe gekauft! Einige von ihnen betteln mich jeden Morgen um Geld an!‘
‚Diese verdammten hirnlosen Dorfalkis! Die kriegen auch nie genug!‘, dachte die Agenturdirektorin, sagte aber kein Wort.
‚Es tut mir sehr leid, aber Ihre Schuld ist offensichtlich, deshalb steht Ihnen keine Rückzahlung zu. Apropos: Sie können den Kontakt zu der nackten Person, die in Ihrem Zimmer angetroffen wurde, weiter pflegen. Wir bieten Ihnen die Dienstleistungen unserer Agentur auch zu diesem Zweck an.‘
‚Oh no! Thanks! Ich habe die Nase voll von Ihren anständigen Prostituierten! Sie ist schnurstracks nackt in mein Schlafzimmer gekommen! Gotteslästerin!‘
‚Augenzeugen berichten, Sie wären gar nicht abgeneigt gewesen, diese Gotteslästerin in Ihrem Schlafzimmer zu sehen, eher im Gegenteil… hm. Sie hätten sie ja aus Ihrem Schlafzimmer werfen und sich bei Hochwürden über das verirrte Schaf beschweren können. Der hätte sie ordentlich verprügelt.‘
‚Solche Schäfchen wirft man nicht aus dem Schlafzimmer!‘, lächelt Sülze über das ganze Gesicht voll künstlicher Zähne, als in seinem Gedächtnis jene verhängnisvolle Nacht aufscheint, die seine einzige angenehme Erinnerung an diese Reise auf der Suche nach reiner Liebe darstellt.
‚Da Sie selbst zugeben, dass Sie der Unzucht und der Untreue schuldig sind, können Sie keinerlei Ansprüche gegenüber unserer Agentur erheben. Außerdem wurden alle diese Punkte vertraglich vereinbart und von Ihnen persönlich unterzeichnet. Nicht wahr?‘
‚Ich weiß nicht mehr, was da stand. Sobald ich in den USA lande, zeige ich Ihre Dokumente meinem Rechtsanwalt!‘
‚Gut, Mister Cloud. Ich wünsche ihnen einen angenehmen Flug.
‘Auf Wiederhören.‘“
„Ihr seid wirklich unglaublich!“, schrie Natalja. „Es war echt super! Als ob ich mit dir einen Krimi geschaut hätte! Einfach toll!“
„Und das war nur einer von mehreren Fällen. Die Aufführungen sind immer unterschiedlich, werden für jedes einzelne Opfer extra entwickelt. Wir untersuchen Gewohnheiten, Horoskop, Hobbys und Charakter im Laufe seines Briefwechsels mit der Braut.“
„Du bist eine wahre Psychologin, verdammt! Bravo!“
„Danke.“ Stella lächelte nett. Aufmerksam betrachtete sie die ideale Kandidatin für ihren nächsten genialen Plan, die ihr gerade gegenübersaß.
Stella war eine gute Menschenkennerin, deswegen weihte sie Natalja in ihre hinterhältigen Spiele ein. Es fehlte ihr eine kluge professionelle Nutte an ihrer Seite. Lange hatte sie eine berechnende Nymphomanin gesucht, denn diese sind sehr selten anzutreffen. Mädchen, die der Prostitution nachgehen, zeichen sich oft nicht durch Intelligenz aus. Mit einer wie Natalja dagegen ließ sich jede Sache flott und raffiniert deichseln. Für den vollen Erfolg fehlte Stella die erforderliche Hemmungslosigkeit in Beziehungen mit Männern. Im Unterschied zu Natalja hatte sie keine Affären. Vielleicht wollte sie tief im Innersten welche haben, aber die Männer reagierten anders auf sie. Sie verwickelten Stella in längere Liebesbeziehungen, die zur Familiengründung führen sollten. Stella brauchte genau diese Art von Partnerin, keine ordinäre Straßenschlampe. Sie erkannte in Natalja sofort jene Züge, die Männer anlockten, und die sie selbst nicht hatte.
Stella war von der Krim zum Studium nach Kiew gekommen, genau wie Natalja. Zuerst wohnte sie in einem Studentenwohnheim, später zog sie zusammen mit ihrer Freundin aus dem Kinderheim Olja in eine Mietwohnung. Gemeinsam betrieben sie dubiose Geschäfte.
In Stellas Umgebung waren immer viele Jungen, aber die betrachteten sie eher als Kumpel oder Kameraden. Sie war eine freche Göre. Die Jungen hatten Respekt vor ihr und hörten auf ihre Meinung wie auf eine Führungsperson. Sie hielt Wort wie ein Junge und folgte harten, gerechten Lebensgrundsätzen, sowohl in der Freundschaft als auch in der Liebe. Deshalb konnte sie nicht viele ihrer eigenen Schranken übertreten, die das Leben und erst recht das Überleben eigentlich nur komplizierter machten.
Natalja zum Beispiel war sich sicher, dass jeder Mann auf dem Weg durch das Bett zu kriegen ist. Stella dagegen benutzte andere Tricks, um hochwertige Männer in die Finger zu bekommen. Sie drückte sich klar und redegewandt aus, schaute den Männern direkt in die Augen, sagte in einfachen, gut verständlichen Sätzen, was sie brauchte und wie sie sich ihr Ideal vorstellte.
Die Männer verfingen sich leicht in ihrem Netz, wie unter Hypnose. Sie sahen in ihr eine Seelenverwandte, die unkompliziert und ungezwungen war. Sie erfüllten alle ihre Wünsche, trugen sie auf Händen. Dieses Mädchen besaß eine unglaubliche Macht über Männer. Viele von ihnen litten nach der Trennung mit ihr so schwer, dass sie jahrelang keinen Ersatz finden konnten.
Bald wurde aus Freundschaft und gemeinsamem Geschäft ein Duell zweier heimtückischer Persönlichkeiten. Natalja beneidete Stella darum, dass die Männer sie fast wie eine Königin behandelten. Sie dagegen wollten alle gleich flachlegen. Von Eifersucht und Neid erfüllt, versuchte sie, alle Männer in Stellas Umfeld durchzuficken, als ob sie der Freundin ihre Überlegenheit beweisen wollte. Stella ärgerte sich natürlich, zeigte es aber nicht, sondern blieb kalt und beobachtete schweigend die Geschehnisse. „Ein Mann, der den Reizen dieser Schnalle nicht standhalten kann, ist bestimmt nicht mein Mann“, redete sich Stella ein. Ihre Lebenseinstellung war idealistisch und ihr Mann sollte treu und würdig sein. Wenn nicht, wollte sie lieber alleine bleiben. Besser allein, als mit dem nächsten Besten zusammen sein. Es wäre unerträglich, jeden Augenblick nur den einen Gedanken im Kopf zu haben: „Hat mein lieber Ehemann vielleicht irgendwo unterwegs eine sexgierige Nymphomanin getroffen, die mein Familienidyll zur Hölle machen wird? Einen Ehebruch könnte ich einfach nicht verzeihen, niemandem, niemals. Aber meinen Mann beschatten will ich auch nicht. Das ist schäbig, das machen nur Feiglinge.“
Natürlich verbarg Stella, dass Nataljas Verhalten sie kränkte, und äußerte keine Ansprüche an Natalja. Sie wusste, dass diese nur darauf wartete, dass sie aufgab, wütend wurde und ihr alles ins Gesicht sagte. Stella wollte Natalja blamieren. Dafür war sie bereit, alles zu tun, sogar zuzugeben, dass sie einem Vergleich mit Freundin nicht standhalten würde. Sie war der Meinung, dass nur ein starker Mensch seine Schwäche zugeben kann.
Einmal versuchte sie, Kleider mit größerem Ausschnitt zu tragen, obwohl sie sich darin unwohl fühlte. Doch ihr Charakter setzte sich durch. Stella wurde schnell wieder sie selbst. Sie lernte, diese für sie so beleidigende Situation auszunutzen. Sie brachte jeden Typen, der mit ihr ausgehen wollte, zu Natalja.
Sie tat so, als ob sie bei einer Freundin kurz vorbeischauen müsste, um etwas zu holen. Sie hätte am Tag zuvor ihre Sachen dort liegen lassen. Sie hatte es satt, von Menschen enttäuscht zu werden und darunter leiden zu müssen. Stella entschloss sich, die Männer gleich sozusagen auf Zuverlässigkeit zu prüfen, bevor eine Bindung mit ihnen entstand, und brachte sie direkt zu Nata. Kaum jemand konnte ihr widerstehen, deshalb fing Stella an, Leute auszusuchen, die sie für sich und ihr Geschäft gebrauchen könnte. Zum Beispiel den Besitzer eines Autohauses, der sie um ein Date bat. Schnell fand er sich in den Armen der Verführerin, oder besser gesagt, im Maul des Hais. Dieser Einsatz half Stella aber sehr beim Autokauf. Danach fühlten sich die Männer schuldig ihr gegenüber und halfen ihr danach bei allem. Stella mit ihrem analytischen Verstand war damit zufrieden, und manchmal machte es ihr sogar Spaß. Natalja dagegen war überrascht, dass ihre Freundin so viele gutaussehende Verehrer hatte, die außerdem aus guten und wohlhabenden Familien stammten. Als ein weiterer süßer Junge mit Stella vor ihrer Tür stand, lächelte sie über das ganze Gesicht und bat die beiden auf ein Glas Sekt herein. Etwas später fand Stella einen Grund, für eine Weile fortzugehen, und ließ den Jungen allein mit ihrer geilen Freundin. Je länger diese Weile dauerte, desto besser. Jedes Mal gab es eine Überraschung für sie. Ein Typ zum Beispiel lag splitternackt auf Natalja, den Pimmel an Ort und Stelle, als Stella zurückkam. Danach besaß er noch die Frechheit, Stella nachzurennen und sie um Verzeihung zu bitten. Dabei rechtfertigte er sich damit, dass er es mit dem Alkohol übertrieben habe. Es war für Stella wie für jede andere Frau sehr unangenehm und kränkend, aber auf diese Weise konnte sie Zeit sparen und die Idioten gleich aussieben.
Für all diese Leiden wurde sie durch einen interessanten Fall entschädigt. Stella lernte einen jungen Mann namens Sergej kennen. Sie mochte ihn so gern, dass sie sich nicht dazu durchringen konnte, ihn zu Natalja, dem ausgekochten Luder, zum Testen zu bringen.
Bald schöpfte Natalja Verdacht, dass Stella jemanden hatte. Sie überschüttete die Freundin mit Fragen:
„Stella! Du verhältst dich irgendwie merkwürdig! Da stimmt doch etwas nicht!“
„Wie kommst du denn darauf? Ich habe einfach geschäftlich viel zu tun.“
„Ja, ja! Alte Märchentante!“
„Was willst du denn? Langweilst du dich oder was?“
„Oh nein! Mit einer Freundin wie dir langweile ich mich doch nie!“
„Dann ist doch alles bestens.“
Eines schönen Morgens brauchte Natalja dringend den Büroschlüssel.
Sie rief Stella an und diese nannte im Halbschlaf die Adresse, wo sie gerade war.
„Was ist das denn für eine Adresse?“
„Von Sergej.“
„Aha! Jetzt hab ich dich! Ich wusste doch, dass du mir etwas verbirgst!“
Das Treffen mit der Freundin verhieß für Stella nichts Gutes. Natalja stürmte wie eine Furie in das Haus und betrachtete den Burschen wie ein Stück frisches Fleisch. Stella wollte ihn unwillkürlich schützend an ihren Busen drücken. Sergej begrüßte den Gast und bot eine Tasse Kaffee an. Ohne den Blick von ihm zu wenden, leerte Natalja auf einen Zug eine Tasse Espresso, nahm die Schlüssel und fuhr wieder weg. Stella wurde schwer ums Herz. Der letzte Rest ihrer Seelenruhe verließ sie, als sie sich vorstellte, wie die beiden zusammen im Bett lagen und einander liebkosten.
„Stella? Stella?“, hörte sie eine Stimme. Sie klang, als ob der Sprecher sehr weit weg wäre.
„Was?“
„Bist du in Ordnung? Du starrst die Wand an und bist ganz grün geworden!“
„Ich? Grün geworden? Wo?“
„Na ja, blass-grün. Du bist doch nicht etwa schwanger?“ Mit kindischem Lächeln und Grübchen in den Wangen schaute Sergej ihr aus drei Zentimetern Entfernung direkt in die Augen.
„Ich hoffe nicht“, antwortete Stella kalt.
„Warum nicht?“ Er rückte beiseite, als ob sie ihn mit kaltem Wasser begossen hätte. Seine Frage klang still und enttäuscht. Er hat keine solche Antwort erwartet.
Stella strömten die Tränen aus den Augen wie ein Platzregen.
„Weil ich keine alleinerziehende Mutter sein will!“, schrie sie. Ihre Wangen waren schwarz vor verschwommener Wimperntusche.
„Was redest du da? Was ist los mit dir?“
„Ihr seid doch alle abgefuckte untreue Schweinehunde! Sobald ihr einen geilen Arsch seht, vergesst alles um euch herum!“
„Halt den Mund! Du bist ja hysterisch!“
Stella rannte aus dem Haus. Wie sie am helllichten Tag mitten auf der Straße so bitterlich weinte, wurden unweigerlich Passanten auf sie aufmerksam. Einige fragten, ob sie Hilfe bräuchte, andere zeigten ihr einen Vogel, wieder andere schlugen vor, psychiatrische Hilfe zu holen.
„Die Leute wieder! Jeder weiß was zu sagen!“
Sie schämte sich sehr für ihr Verhalten, für diese Reaktion. Dabei brach in diesem Augenblick die ganze Bitterkeit aus ihr heraus, die sich in der Zeit angehäuft hatte, als sie vorgab, dass alles in Ordnung wäre, und sich zwang, die entstandene Situation auszunutzen, nur um sich irgendwie zu beruhigen. Aber gerade ihn wollte sie nicht testen! Sie wünschte, sie könnte sich mit ihm vor ihrer verfaulten Welt verstecken…
Nach dem, was geschehen war, trafen sich Sergej und Stella nicht wieder und telefonierten nicht einmal mehr miteinander. Was hatte sie sich da wieder für ein Zeug vorgestellt! „Mit wem und wo? Und wie? Und warum?“ Ihr Gedankengang wurde unterbrochen. Ihr Handy meldete sich mit dem Spruch: „Was für eine hässliche Fresse“, dem Filmzitat, das sie Sergejs Nummer als Klingelton zugewiesen hatte. Sie blickte kalt auf das Handy und wartete eine Weile, bevor sie annahm:
„Hallo!“
Seine kalte Stimme am Apparat machte sie nervös.
„Kannst du jetzt zu mir kommen?“
„Ist was passiert?“
„Nicht am Telefon. Ich muss persönlich mit dir reden. Diese Freundin von dir ist übrigens hier.“
Stella legte auf.
„Oh Gott! Nicht das, bitte!“ Das Herz blieb ihr fast stehen. Hatte Natalja ihn doch in die Finger gekriegt? Es war ein Schlag ins Gesicht! So eine Hure!
Sie rief schnell ein Taxi. Eigentlich hätte sie vom Büro aus zu Fuß zu seinem Haus gehen können, aber sie zitterte viel zu sehr. Sie war außer sich vor Wut.
„Ich bring die Schlampe um! Ich habe sie zu dem gemacht, was sie ist, sie von der Straße geholt, diese dreckige Hure, und ich bringe sie um! Dieses Mal schweige ich nicht, und ihn mache ich auch kalt!“
Das alles murmelte Stella vor sich hin und setzte sich auf den Rücksitz des Taxis. Die Adresse des Bastards nannte sie dagegen fast schreiend. Nach einer Minute bat sie den Taxifahrer anzuhalten. Sie wollte aussteigen, nicht zu Sergeij fahren, dieses erniedrigende Spektakel nicht sehen. Ganz sicher hatte Natalja ihn schon gefickt und ihn dazu gebracht, sie anzurufen, um alles zu gestehen wie ein anständiger Mensch. Sie wusste sogar, wie diese Schlange ihn bearbeitet hatte:
„Mein Gott! Was haben wir getan? Arme Stella! Wir müssen ihr gemeinsam die Wahrheit sagen. Sie wird es nicht gern hören, aber wir müssen ehrlich zu ihr sein. Ruf sie sofort an!“ Stella stellte sich das Gesicht ihrer Freundin vor, das vor Freude strahlte. Ein wahrer Triumph, neuer Sieg über die hochnäsige Eiskönigin, die niemand will.
Stella dachte zehn Minuten nach und beruhigte sich etwas. Sie begann die Situation nüchtern zu analysieren.
„Woran ist Natalja eigentlich schuld? Daran, dass die Männer Scheiße sind? Und dass sie dafür den lebenden Beweis hat? Ein Beweis aus dem realen Leben! Nicht aus dem Leben, wie es in schönen Romanen beschrieben wird, sondern aus dem wirklichen Leben, an das man nicht glauben will, das man idealisiert, um nicht verrückt zu werden.“ Stella dachte, dass sie nie einen Mann finden würde, der ihrer Lebenseinstellung entsprach. Sie wollte keinen Märchenprinzen auf einem weißen Ross. Heute waren sie sowieso alle eher auf Weißwein. Entweder war einer ein Depp oder ein Alki. Sie brauchte einen ergebenen, guten Mann. Wie jede Frau wollte sie geliebt werden, wollte die einzige sein und ihrerseits nur einem Mann gehören. Sie hoffte doch, dass sie etwas Besseres war als ein Callgirl. Irgendjemand würde ihre guten, aber leider verborgenen Eigenschaften schon noch erkennen. Aber anscheinend interessierten sich die Männer nur für weibliche Genitalien.
Stella versuchte ihr Herz in den Griff zu bekommen, als sie mit verschwitzter Hand auf den Klingelknopf drückte und ein kaltes Gesicht aufsetzte, um vor seiner Tür auf die Hinrichtung ihrer Seele zu warten. Sie zitterte. Der Hass auf diesen Mann erfüllte sie.
Sergej öffnete die Tür, sie ging hinein. Erhobenen Hauptes, ohne die Schuhe auszuziehen, schritt sie ins Gästezimmer und schrie:
„Hallo Natalja! Wo bist du?
Keine Antwort. Dann drehte sie sich um und warf dem Mann einen so brennenden Blick zu, dass er einen Schritt zurück machte und flüsterte:
„Sie ist im Schlafzimmer.“
In diesem Moment verpasste ihre Hand ihm automatisch eine Ohrfeige, die so gewichtig und saftig war, dass die Handfläche rot wurde und die Fingerspitzen prickelte.
Mit kleinen Schritten ging sie ins Schlafzimmer und sah dort ihre völlig nackte, betrunkene Freundin auf dem Boden sitzen. Sie war mit Handschellen an den Heizkörper gefesselt. Daneben standen eine fast leere Flasche Wodka und ein Glas. Natalja hob den Kopf und zischte mit kaum beweglicher Zunge wie eine Schlange:
„Stella, ich hasse dich.“
Stella begann, fieberhaft zu lachen, sei es wegen dieses Anblicks oder wegen der Erkenntnis, dass sie nach so langer Zeit und so vielen Enttäuschungen diese auf männliche Genitalien versessene Kreatur endlich in die Enge getrieben hatte. Und dazu noch mit so einer Schmach!
Nach diesem Zwischenfall wurde Stella selbstbewusst. Sie war sich nun sicher, dass Nata für sie keine Rivalin war, in keinerlei Hinsicht. Und dass sie ihr Leben sie auf ihrem eigenen Weg führte. Aber Natalja kam nicht zur Ruhe. Diese Geschichte erbitterte sie gegen Stella. Sie achtete darauf, was diese trug, wie sie sich Männern gegenüber verhielt. Natalja fing an, sie teilweise zu kopieren und sich Markenkleidung zu kaufen, vor allem in Pastellfarben. Stella hatte nicht so viel anzuziehen: einige Blusen, Hosen und Röcke, aber alles von Designern. Natalja trug dagegen mit Vorliebe bunte Klamotten und viele davon, dazu vor allem Slips in grellen Farben.
So begann ein neuer Abschnitt in Nataljas Leben. Prostitution und Betrug unter Stellas Leitung brachten ihr gutes Geld. Natalja selbst glaubte freilich, sie wäre die Chefin in diesem Geschäft. Stella lernte, Natalja perfekt zu manipulieren. Dabei ließ sie ihr volle Handlungsfreiheit. Die trivialen Wünsche der Freundin nach Sex und Geld verstand Stella gut. Deshalb war es nicht schwer, sie zu lenken. Stella wollte, dass Natalja Sex nach Stundenplan im Rahmen eines Geschäfts mit dem Titel „Besuch des Ausländers“ hatte und dafür ein Honorar in entsprechender Höhe erhielt. So waren beide zufrieden. Endlich hatten die Mädchen einen Mittelweg in ihrer Beziehung gefunden. Hand in Hand gingen sie einem Ziel entgegen. Dieses Ziel hieß Kohle.
Natalja war von dem neuen Hobby sehr begeistert. Sie nahm gern an den Theateraufführungen und dabei im Gespräch mit den Kunden auch noch ihre Sprachkenntnisse zu erweitern. Sie begann sogar einen Liebesbriefwechsel mit einem Franzosen, der in Genf in der französischsprachigen Schweiz in Genf wohnte. Um genau zu sein war seine Mutter Französin und der Vater war Iraner. Der hochgewachsene, gutaussehende, schwarzhaarige Mann besuchte Natalja oft. Sie versteckte ihn vor der aufdringlichen Stella, damit diese ihm kein amüsantes Spektakel vorführte, wie sie es bei ihren Kunden tat, mit Beerdigung, Hochzeit und ähnlichem. Sie erinnerte sich noch an einen lustigen Vorfall.
Bei einer der Aufführungen von Stellas Theatertruppe kam die Schauspielerin nicht, die die Mutter der Braut darstellen sollte. Natalja spielte die Braut, Stella deren Schwester. Die Hochzeit war gefälscht. Die Namen waren geändert worden. Die Gäste und selbst das Standesamt mitsamt der ganzen Zeremonie waren Teil der Aufführung, die Stella klug durchdacht hatte.
Für alles zahlte natürlich der Bräutigam aus der Schweiz. Es wurde angeblich als Geschenk für die Schwester seiner zukünftigen Ehefrau arrangiert. Die Hochzeit kostete 10.000 Dollar. Natürlich stimmte er nur widerstrebend zu, denn anfangs war nur von ein paar Tausend die Rede. Aber ihre armen Verwandten! Da blieb ihm nichts anderes übrig. Was tut man nicht alles für die Liebste, wenn sie bittet.
„Wo ist denn Ihre Mutter?“, fragte der Schweizer verwirrt.
„Sie ist wohl aufgehalten worden, oder sie ist so aufgeregt, dass ihr schlecht geworden ist. Ich schaue mal zu Hause nach.“
„Verdammt! Wo ist die blöde Kuh?“, sagte Stella Natalja ins Ohr. Vielleicht wollte sie, dass niemand sie hörte.
„Ich weiß nicht. Einfach abgehauen. Sie will wohl nicht unsere Mama spielen.“
„So eine Schlampe! Gerade vor der Unterschrift! Bestes Timing! Was jetzt? Wir müssen eine andere finden! Der Bräutigam hat sie noch nicht gesehen. Also kann es irgendjemand sein. Such! Schnell!“ Egal wo! Ich unterhalte inzwischen die Leute.“
Natalja rannte los, ihre Mutter suchen. Sie bot den ersten besten Frauen auf der Straße Geld an und bat sie, für ein paar Stunden ihre Mutter zu spielen. Aber es war gar nicht so einfach. Die Frauen wichen vor ihr zurück wie vor einer Wahnsinnigen. In einer Unterführung sah sie eine Bettlerin. Sofort lief sie zu ihr und erzählte, was sie vorhatte.
Die Frau öffnete vor Überraschung den Mund, aus dem es nach Aas roch. Natalja trat einen Schritt zurück und befahl:
„Mutter, mach dich bereit!“
Als sie den Betrag nannte, den die Bettlerin erwarten könnte, vergaß diese alle Zweifel und folgte schleunigst der schönen Tochter.
„Stella bringt mich um für so eine Mutter!“, sagte Nata laut ohne Rücksicht auf die Passanten. Was jetzt? Sie schaute auf die Uhr und beschloss, das Mütterchen in der nächsten Boutique aufzupeppen. Ein Kleid musste her! Man war ja nicht jede Woche Brautmutter!