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Bald kam ein Arzt. Er war offensichtlich weder russischer noch ukrainischer Herkunft. Er untersuchte das Opfer und sagte verbittert:

„Lieber Himmel! Warum tun die so was? So eine schöne junge Frau! Sie muss ins Krankenhaus“, wandte sich der gütige alte Mann an die Leibwache.

„Behandle sie hier!“

„Das würde ich ja gerne tun, aber es wird nicht klappen. Das Mädchen hat eine Blutung!“

„Wird sie sterben?“

„Im Falle eines starken Blutverlustes ist ein letaler Ausgang nicht ausgeschlossen.“

„Tu, was du kannst. Jetzt. Sorg dafür, dass sie bis heute Abend überlebt, dann kommt sie in eine Privatklinik zu einem Doktor, der mit dem Boss gut bekannt ist.“

„Halt durch, Liebes. Ich gebe dir eine Spritze. Versuch zu schlafen.“

„Lassen Sie mich nicht allein! Ich bitte Sie!“, flüsterte das Mädchen und packte den gütigen Mann am Arm.

„Das kann ich nicht. Entschuldigen Sie. Halten Sie durch. Bald bringt man Sie ins Krankenhaus.“

Er gab ihr die Spritze und verließ die Wohnung, voll Bedauern und Mitleid.

Sie lag in einer Blutlache am Boden und bewegte sich nicht. Ihr ganzes Leben lief vor ihren Augen ab. Sie schloss die Augen vor diesen bitteren Gedanken und aus Angst. Sie wollte das Blut nicht sehen, in dem sie, wie ihr schien, versank, während sie langsam auf der Treppe zum Himmel oder zur Hölle schritt.

Nach einiger Zeit spürte sie, wie starke Hände sie auf eine Trage legten. Alles war wie im Delirium. Infusionen, Spritzen.

Das Mädchen wachte am Morgen mit heftigsten Schmerzen in den Schläfen auf und ihr wurde übel. Es war höllisch, nur dieser Vergleich passte zu der Realität, in der sie sich befand. Ihr Körper war bedeckt mit blauen Flecken und offenen Wunden. Ihr Gesicht schien ein einziger blauer Fleck zu sein. Sie versuchte, sich aufzurichten. Mit Mühe gelang es ihr. Wegen der Kanülen, die in ihren Armen steckten, konnte nicht aus dem Bett steigen. Sie riss sie heraus und stand auf. Ihr wurde schwindlig und sie sank auf den Fußboden. Dann kroch sie zur Tür. Natalja wollte nur eins: nach Hause zu ihrer Mutter und den Verwandten und ein Glas frische Mich trinken. Den Milchgeruch spürte sie so deutlich, als ob die graue Aluminiumkanne mit Milch irgendwo hier in der Nähe stünde. Kniend zerrte sie an den Türgriff. Vergebens, die Tür war von außen abgeschlossen. Sie fühlte sich wie ein Häftling. Vor lauter Verzweiflung und Hilflosigkeit brach sie in Tränen aus. Vor der Tür hörte sie Schritte. Ängstlich wich sie von der Tür zurück, als ob ihr nichts weh täte, und starrte panisch den sich bewegenden Türgriff an.

„Oh Gott!“ Das ist er!“

In einer Sekunde liefen die Ereignisse des gestrigen Abends vor ihren Augen ab. Die Tür ging auf. Ein Mann im weißen Kittel kam mit lächelndem Gesicht herein.

„Sind Sie schon wach, Prinzessin?“

„Wer sind Sie?“

„Ich bin Ihr behandelnder Arzt. Mein Name ist Dmitri Iwanowitsch. Haben Sie keine Angst. Ich tue ihnen nichts Böses.“

„Dann lassen Sie mich hier raus!“, schrie das Mädchen auf. Sie hatte die Wachen im Korridor bereits bemerkt.

„Lassen Sie sich Zeit. Ich würde Ihnen empfehlen, in Ihrer Verfassung nirgendwo hinzugehen. Und stehen Sie bitte vom Fußboden auf“, sagte der Arzt in beruhigendem Ton, als ob er ihr helfen wollte. „Nach der Operation dürfen Sie dort nicht sitzen.“

„Nach was für einer Operation?“

„Leider haben Sie das Kind verloren. Es tut mir sehr leid.“

Ihre Augen wurden rund wie Münzen.

„Was? Haben Sie mir eine Abtreibung gemacht?“

„Ja, es tut mir sehr leid“, wiederholte der Arzt.

„Sie wurden gestern in einem äußerst kritischen Zustand zu uns gebracht, nach dem Angriff einer Straßenbande. Leider konnten wir das Kind nicht retten.“

„Wer hat mich angegriffen?“

„Rowdys. Sie haben Sie auch ausgeraubt.“

„Ah! Alles klar!“ Bastard!“, kam es aus dem Nataljas Mund.

„Was haben Sie gesagt?“, fragte der Doktor verwirrt und beugte sich zu ihr, als ob er sie besser hören wollte.

„Nicht wichtig! Alles in Ordnung!“ Das Mädchen verdeckte ihr Gesicht mit den Händen und schluchzte. Für einen Augenblick dachte sie, es wäre ein Traum.

„Genau! Ich schlafe!“

Sie schüttelte den Kopf, um aufzuwachen. Aber nein, es war kein Traum…

Vier Tage verbrachte Natalja hinter Schloss und Riegel. Erst dann kam sie langsam zu sich und begann, das Geschehe zu begreifen. Die Schuld an dieser verfluchten Liebe gab sie sich selbst. Wie hatte sie sich nur auf diese Scheiße einlassen können? Warum hatte sie sich in diesen sadistischen Kanaken verliebt? Aber während sie so mit sich ins Gericht ging, empfand sie doch etwas Mitleid mit ihm. Ganz sicher war es ihm sehr unangenehm zu erfahren, dass seine zukünftige Frau es mit einem Zuhälter trieb, während er Geld verdiente, um ihre gemeinsame Zukunft zu sichern. Sehr unangenehm, beleidigend und erniedrigend.

„Artschik, du Arschloch!“ Wie konnte er so etwas tun? Sie hatte ihm doch ein ganzes Vermögen eingebracht! Was für eine Grausamkeit! Solche Typen hatten nicht Menschliches an sich! Weder Herz, noch Prinzipien!

Was die Prinzipien anging, hatte sie selbst allerdings auch nichts vorzuweisen. Die Manieren des Schmetterlings waren alles andere als edel.

Einige Tage vergingen. Man legte ihr Dokumente zum Unterschreiben vor. Es war das Protokoll ihrer angeblichen Aussagen über den Raubüberfall einer Straßengang, deren Mitglieder sie nicht hatte sehen könne, da alles nachts passiert und sie zu Tode erschrocken gewesen sei.

Sie unterzeichnete die Unterlagen schweigend. Ihr war klar, dass sie sonst so lange weggesperrt bleiben würde, bis sie sich dem Willen ihres ehemaligen Lebensgefährten beugte.

Der Untersuchungsrichter ging. Die Tür blieb offen. Natalja schaute in den Korridor und sah, dass die Schläger verschwunden waren. Das Gefühl der Freiheit und die emotionale Spannung überwältigten sie.

„Endlich! Ich bin frei! Hurra!

Sie zog sich an und ging hinaus, schlich die ihr völlig unbekannten Straße entlang. Sie wusste nicht, wo sie sich befand, hatte weder Geld noch ein Handy dabei.

„Wo soll ich überhaupt hin? Zu Saweli darf ich nicht, er ist ja verheiratet! Was jetzt? Natalja begann vor Wut zu kochen. Unterwegs schimpfte sie laut schimpfte: „Hat mich ausgesetzt wie einen Hund, ohne meine Sachen und ohne U-Bahnticket! Mistkerl! Stinkiger Armenier-Arsch!“

Sie erreichte eine Bushaltestelle und sah ein Taxi. Sie setzte sich auf den Rücksitz und nannte die Adresse von Artschik.

Gott sei Dank, er war zu Hause. Er bezahlte das Taxi und fragte erstaunt:

„Mein Gott! Schatz, was ist passiert?“

„Halt die Fresse, du Schwuchtel! Du weißt genau, was passiert ist!“, erwiderte Natalja mit gefletschten Zähnen wie eine Wölfin. Sie konnte sich kaum davon zurückhalten, diesen Mistkerl zu beißen.

Er versicherte ihr, er hätte bis gestern Abend nichts gewusst, dann hätte Schakro ihn besucht, ihm gedroht und versucht, ihn zu verprügeln.

„Seine Schläger haben dich aufgespürt, Schatzi! Hast du etwa nicht gemerkt, dass sie dich beschatten? Sie haben jeden deiner Schritte verfolgt vom ersten Tag an, als du aus dem Wohnheim in den Käfig gezogen bist. Hast du nicht kapiert, dass jeder Atemzug von dir aufgezeichnet wird? Ich hätte dir nie etwas Böses getan“, sagte der Schuft liebevoll, „hätte nie deinen kleinen zarten Körper verraten.“ Er zog sie nah zu sich heran und küsste auf die Stirn.

Sie brach in Tränen aus und schmiegte sich an ihn, als ob er ihr nächster Verwandter wäre. Durch die Tränen fragte sie: „Artschik, kann ich wieder bei dir anfangen?“

Diese Worte klangen für ihn wie himmlische Musik. Wie lange hat er darauf gewartet! Dem Himmel sei Dank!

Er schob das Mädchen abrupt von sich und sagte:

„Entschuldige, aber du kannst nicht mehr für mich arbeiten, schon gar nicht so, wie du jetzt aussiehst! Du hast ja zwei Schrammen im Gesicht. Ich habe einen Elite-Escort-Service, keinen Schlupfwinkel für verschrammte Idiotinnen, die Kaukasus-Affen gehen!“

„Wie kannst du so etwas sagen? Die sieht man doch kaum! Und überhaupt, wenn erst die Fäden gezogen sind, merkt man gar nichts mehr davon.“

„Okay. Aber nur, weil du es bist. Eine Andere hätte ich längst rausgeschmissen. Ich weiß noch, wie du gearbeitet hast, und wenn du dich wieder ganz erholt hast, brichst du die alten Rekorde bestimmt noch. Aber bis dahin ziehe ich dir zehn Prozent vom Lohn ab. Die Kunden brauchen frisches Fleisch, kein aufgeschlitztes, halbtotes mit blauen Flecken!“

„Abgemacht! Einverstanden! Danke für alles, mein Schatz! Was hätte ich bloß ohne dich gemacht? Mit meinem ramponierten Körper! Bitte entschuldige, dass ich so schlecht von dir gedacht habe. Natürlich würdest du mich nie verraten! Ich weiß… Wer hätte auch gedacht, dass Schakro alles so gründlich geplant hatte! Ließ mich sogar beschatten! Paranoider Irrer!“

„Kein Problem, Püppchen. Schon gut.“

„Artschik, ich kann nirgendwo hin. Kann ich bitte bei dir wohnen, bis ich das Problem mit der Wohnung gelöst habe?“

„Hmm.“

Es entstand eine Pause.

Die Idee gefiel ihm offensichtlich nicht sehr. Ihn besuchten schließlich oft verschiedene Frauen. Die neuen Mädchen probierte er gleich zu Hause aus. Er betrachtete sie, tastete sie ab, um den richtigen Preis festzusetzen. Bei dieser Arbeit spielte das Aussehen nicht immer die wichtigste Rolle. Unter den Mädchen waren Models, die verschiedenste Schönheitswettbewerbe gewonnen, an Modenschauen teilgenommen und sogar das eine oder andere Magazin-Cover geschmückt hatten, und die doch keiner mehr als ein Mal vögeln wollte. Niemand brauchte diese steifen Holzklötze im Endeffekt, die Kunden klagten über sie und verlangten Ersatz. Deswegen kümmerte sich Artschik höchstpersönlich darum, für seine Ware den richtigen Preis festzulegen. Er suchte Brillanten wie die schöne Natalja. Aber leider gab es davon nicht viele auf dieser Erde.

„Gut, du hast eine Woche, um eine neue Wohnung zu finden. Und ich ziehe von deinem Lohn 100 Dollar ab.“

„Du bist doch ein Arschloch“, sagte Natalja leise.

„Kätzchen, bleib locker!“

„Fick mich, Artschik!“

„Du hast lange keinen Sex gehabt, oder?“

„Das letzte Mal mit dir.“

„Tanzt du, kleine Schlange?“

„Ich habe Angst, dass ich in diesem Zustand von der Stange in deinem Schlafzimmer falle. Ich bin noch nicht zu Kräften gekommen.“

„Machen wir ein Verkleidungsspiel?“

„Willst du mein Doktor sein? Oder der Sanitäter?“

„Der Krankenpfleger, der dir die Wunden leckt? Ich leck dich ganz ab, Kleine!“

Der Sex heilte alle Wunden Nataljas. Artschik hatte ein besonderes Talent für den Cunnilingus. Man hätte ihn mit einer Bulldogge oder einem anderen sabbernden Hund vergleichen können. Sie versank in seinen Liebkosungen und blieb.

Die Zeit verging, das Mädchen erholte sich und vergaß das Geschehene fast ganz. Sie studierte und arbeitete. Sie hatte mit verschiedenen Kunden zu tun, manche waren kompliziert und launisch: alte Perverslinge oder junge Sadomasochisten, die Vergnügen an Peitschenhieben, an Hoden- und Peniseinschnürungen oder am Erwürgen hatten.

Es schien, als ob Artschick Natalja absichtlich zu den Kunden dieser Art schickte, weil sie Narben im Gesicht hatte.

Eines Tages kam sie zu einem Mann namens Slawik. Er arbeitete bei der Präsidialverwaltung. Natalja atmete erleichtert auf. Er sah zwar nicht schön aus, hatte aber ein ganz nettes Gesicht, nicht wie ein Perversling. Der dicke Familienvater fragte die Schöne nach ihrem Leben aus, warum sie sich gerade für diese Arbeit entschieden hatte, und erzählte ihr von vornehmeren Möglichkeiten, Geld zu verdienen.

„Ein redseliger Kauz“, dachte sie, „aber ein sehr netter!“

Sie plauderte gerne mit ihm über die verschiedensten Ideen und Unternehmungen. Irgendwann fragte er sie, ob sie nicht Lust hätte, eine seiner Bekannten mit dem Namen Stella kennenzulernen. Sie sei ein außergewöhnliches Mädchen, eine zielbewusste Persönlichkeit, besitze eine Heiratsvermittlungsagentur in Kiew und studiere außerdem an der Fakultät für Fremdsprachen der Nationalen Linguistischen Universität Kiew.

„So jung, und hat schon eine eigene Agentur?“

„Ja, sie ist ein ungewöhnliches Mädchen. Ich könnte euch zusammenbringen. Damit du dich nicht langweilst, ohne Freundinnen. Vielleicht macht ihr gemeinsam ein Geschäft auf und du kannst aufhören, als Callgirl zu arbeiten.“

Natalja mochte eigentlich keine weiblichen Wesen, schon gar nicht solche, die ihr irgendetwas voraushatten. Aber diese Frau erweckte ihr Interesse, weil sie Zugang zu ausländischen Männern hatte. Also genau das, was Natalja sich so sehr wünschte.

Außerdem organisierte Stella Einsätze im Ausland, in verschiedenen Schweizer Klubs.

Natalja schrieb sich die Telefonnummer auf. Sie wusste nicht, dass diese Nummer der einzigen Freundin gehörte, die sie in ihrem ganzen Leben haben würde.

Ohne lange zu überlegen, rief sie Stella am nächsten Morgen an. Aber anscheinend war diese Dame ständig beschäftigt. Sie verwies auf ihre hohe Arbeitsbelastung und machte einen Termin in einer Woche. An Stellas Stimme hörte Natalja gleich, dass diese ein ganz gerissenes Luder war und dieser Termin nicht zufällig zustande kam.

Einige Tage später, als sie gerade mit Saweli in einem Restaurant war, hörte sie ihr Handy klingeln. Stella rief an. Natalja dachte zuerst, Stella rede Unsinn, als sie ihr eine Arbeit vorschlug, die mit ihrem derzeitigen Gewerbe nicht zu tun hatte. Es handelte sich um eine Arbeit, bei der es eher um Schauspielerei ging und für die ein ziemlich hohes Honorar vorgesehen war.

Natalja stimmte dem Treffen am gleichen Abend gerne zu. Sie entschuldigte sich bei Saweli, der an Streiche seiner Geliebten schon gewöhnt war, und verabschiedete sich mit einem Winken.

Stella war erfüllt von Lebenskraft und Emotionen. Sie strahlte eine unglaubliche Energie aus, war Flut, Sturm und Hagel gleichzeitig. Ihre Augen funkelten wie Sterne. Sie erzählte Natalja die überaus verlockende Geschichte, wie sie in der Heiratsvermittlungsagentur die Ausländer ausnahm.

Der Kern der Sache bestand darin, dass ein Ausländer, der potenzielle Bräutigam, auf der Suche nach einer Frau auf die Webseite von Stellas Agentur ging. Anschließend schrieb er Briefe zu verschiedenen Themen: Kennenlernen, Treffen, gemeinsame Freizeit, Hochzeit usw. Ein Brief an das von ihm ausgewählte Mädchen kostete zwanzig Dollar.

Die Agentur erhielt die Briefe, übersetzte sie ins Russische oder Ukrainische und leitete sie weiter an die Auserwählte. Das Mädchen konnte in ihrer Muttersprache antworten. Diese Antwort wurde dann übersetzt und an den Auftraggeber, den Bräutigam geschickt. Die meisten Einwohner der Ukraine beherrschten keine Fremdsprache. Dieser Umstand ermöglichte es der Agentur, im Geschäft zu bleiben und Steuern zu zahlen. So konnte schon allein der Briefwechsel mehrere Tausend Dollar Gewinn bringen, bis der Mann die Entscheidung traf, das Mädchen persönlich kennenzulernen und zu diesem Zweck in die ukrainische Hauptstadt kam.

„Was für ein Blödsinn! Du hast ein Büro im Stadtzentrum, am Chreschtschatyk. Kann man mit den Briefen denn so viel Kohle verdienen?“

„Hör nur weiter zu! Fragen kannst du hinterher stellen.“

„Okay.“

Der Kern des Geschäfts beruhte keineswegs auf den Briefen. Mit diesen kamen Blumen und Geschenke für die Mädchen – verschiedene Kosmetiksets und Accessoires aller Art. Diese schönen, teuren Sachen wurden in Geschäften gemietet, nur zu dem Zweck, das Mädchen mit dem Geschenk in der Hand bei einem Luftkuss zu fotografieren, um dem Mann zu bestätigen, was sie sich von seinem Geld gekauft hat. Danach nahm der Verkäufer sämtliche Fotorequisiten zurück und erhielt seine Belohnung.

Die Ausländer überwiesen das Geld auf das Konto der Firma und bekamen glänzende Fotos der glücklichen Schönheiten mit Blumen und Geschenken. Natürlich bedankten sie sich beim jeweiligen Bräutigam mit einem Brief, der auf seine Kosten verschickt wurde. So bekam der Mann seine Portion Komplimente im Stil von: „Oh Gott! Was für ein Mann!“

Aber Natalja überraschten die Storys, die diesen Ausländern in der Ukraine passierten.

Bei ihrem Aufenthalt in Kiew erwarteten sie die unglaublichsten Abenteuer und zahlreiche unvorhergesehene Situationen, die Natalja den Atem verschlugen.

Zum Beispiel erfuhr der Ausländer gleich am Flughafen, dass das Mädchen, dem er das ganze Jahr über Briefe geschrieben hatte und das er nun heiraten wollte, aus einer ehrbaren, kirchentreuen Familie stammte, womit er natürlich nicht gerechnet hatte. Natalja schmunzelte.

„Da müsste ich nichts vortäuschen, ich komme tatsächlich aus so einer Familie.“

„Und gehst anschaffen“, stichelte Stella, die eine scharfe Zunge hatte.

„Und du siehst aus wie eine, die sich ganz ehrbar flachlegen lässt, oder?“

„Mein Rollenfach ist die gewöhnliche Gaunerin, keine Nutte.“

„Ich habe jetzt von dir geredet, nicht von deiner Show.“

„Ich rede ausschließlich von der Arbeit. Ich habe nicht vor, über mein Privatleben sprechen, schon gar nicht mit dir.“

Während Stella die Stirn runzelte, zeigte ihr Natalja ihr rosiges Züngchen.

Sie brachen in Gelächter aus. In diesem Augenblick schlossen sie Frieden. Man könnte sogar sagen, dass hier die Beziehung der beiden frischgebackenen Freundinnen entstand.

„Und jetzt erzähl weiter. Was passiert dann? Raus damit!“

„Also, der Ausländer wird von der ganzen Familie empfangen. Der Vater in Popenkutte, Mutter mit Kopftuch und die Tochter als potentielle Braut.“ Manchmal spielte Stella selbst die Rolle der Tochter und der Braut. Wenn nun der Bräutigam einem anderen Glauben angehörte und zum Beispiel Katholik, Protestant oder Jude war, forderten die Eltern der Braut nachdrücklich, dass der Bräutigam seinen Glauben ablegte und ein orthodoxer Christ würde. Die potenziellen Ehegatten erwarteten diese Wendung natürlich nicht. Sie reagierten geschockt und ratlos. Aber wenn man schon da war, was wollte man da machen, es musste eben sein. Besonders, wenn die Braut hübsch und jung war. Was tat man nicht alles für so ein nettes Kind. Die Bräutigame selbst waren meistens 50 oder älter. Mit ihnen gab es wenig Probleme. Die Alten stimmten allem zu, glaubten an Märchen und die wahre Liebe. Aufgedunsene Kinderschänder, Geschiedene oder einfach in ihrer Heimat ausrangierte, gewissenlose alte Arschlöcher. Sie nutzten die schwierige Situation im Land aus und kamen, um schöne zwanzigjährige Mädchen zu heiraten.

Nach dem Empfang im Flughafen lief eine ganze Theateraufführung ab. Stella mietete ein Haus, das das Haus der Eltern darstellen sollte und für die Unterbringung des Bräutigams während seines Aufenthalts vorgesehen war. Es lag weit außerhalb der Stadt, neben einem vergessenen, verfallenen Kirchlein, in dem die armen Ausländer den Glauben wechseln mussten, weil die Eltern auf einer kirchlichen Trauung vor der standesamtlichen bestanden. Um diesen Wunsch der Familie nach religiöser Einigkeit wurde nicht gestritten. Schließlich waren Forderungen dieser Art im Lauf der Kirchengeschichte keine Ausnahme.

Die Firma besorgte dem Bräutigam einen Dolmetscher und, wenn er wollte, einen Leibwächter – gegen angemessene Bezahlung. Auch sie waren Schauspieler und Betrüger.

Alle Teilnehmer der Aufführung begaben sich ins Dorf, um die Hochzeit zu feiern. Zuerst überreichte der Vater seinem angehenden Schwiegersohn ein Gebetbuch auf Englisch oder gegebenenfalls in einer anderen Sprache. Der musste es durchlesen und mit aller Ernsthaftigkeit zum Kern der Sache vorstoßen. Das Beten dauerte ein paar Tagen und alle kirchlichen Regeln wurden eingehalten. Bald verging dem Bräutigam alle Freude. Schlafen musste er ja auch allein und zuvor noch im Gebet versinken. Es war außerdem streng verboten, die Braut vor der Hochzeit zu berühren.

Dabei träumte von nichts anderem als davon, die prallen Titten anzufassen. Der Teufel sollte sie holen, diese verdammten Frömmler! Hätte er das vorher gewusst, hätte er eine andere ausgewählt.

„So ein Reinfall!“, fluchte der Ausländer beim Abendgebet und sein Doppelkinn wabbelte wie Sülze. Dabei wusste der arme Kerl noch gar nicht, dass die Überraschungen in der Ukraine für ihn gerade erst begonnen hatten. Nach der erfolgreichen Konversion fingen die Hochzeitvorbereitungen an. Einladungen wurden an arme Verwandten der Braut geschickt, von denen viele keine Möglichkeit hatten, Flugtickets zu kaufen, um bei der langersehnten Feier dabei zu sein. Das Geld für die Tickets musste natürlich das junge Paar schicken. Das Kleid und das Festessen für hundert Personen, dazu eine Limousine, waren ebenfalls zu bezahlen, achtzig Prozent des Preises sofort als Vorschuss. Die Geldangelegenheiten erledigte die Agentur. Sie hob die erforderlichen Summen vom Bankkonto des Ausländers gegen Unterschrift ab. In puncto Geld vertrauten die Ausländer der Agentur mehr als den zukünftigen Verwandten. Sie dachten, diese seien als Gottesdiener zu weit von weltlichen Sorgen entfernt.

Und so kam der Tag der Hochzeit. Der Brillantring am Finger. Der Bräutigam mit dem Spitznamen „Sülze“ hat sich Viagra besorgt, um die ganze Nacht fit zu sein und der jungen Frau zu beweisen, dass er noch ein ganzer Kerl war. Ein altes Sprichwort lautet: „Mit einem alten Hund hat man sicherste Jagd!“ Wenn er seine Tabletten bekommt, wird er schon wenigstens ein Mal im Monat seine Gattenpflicht erfüllen können.

Natalja saß da wie versteinert, auch wenn sie nicht wusste, warum, und hörte der lebhaften Stella zu. Ihr fiel auf, wie diese das Wort „Gattenpflicht“ aussprach und dabei das Gesicht verzogt und die Nase rümpfte! Es war ihr klar, dass Stella die alten Idioten ohne weiteres bestrafte, und das von ganzem Herzen und mit Eifer.

„Warum sprichst du über dich in der dritten Person?“

„Ich versuche, dir ein Bild der Situation zu vermitteln, und so geht es einfacher.“

„Bisher gefällt mir das alles schon sehr!“

„Also. Die Hochzeit ist jetzt für morgen angesetzt“, setzte Stella ihre unglaubliche Erzählung fort. „Aber es kommt anders! Es stirbt die Mutter der Braut, oder der Vater, die Schwester, der Bruder. Egal wer. Kommt bei einem Autounfall um oder ertrinkt, stirbt bei einem Brand, es spielt keine Rolle.

Trauer! Hochzeit wird abgesagt! Welch ein Kummer! Und zu so einem Zeitpunkt kann doch kein Bräutigam seine Braut im Stich lassen. Da muss man sich um die Beerdigung kümmern, was denn sonst! Die Beerdigung geht auch auf Kosten des Bräutigams, dieses Mal mit Tränen in den Augen aller Verwandten, mit der Bitte, ihnen Geld zu borgen, und Versprechungen wie: ‚Wir schwören, ein Päckchen mit Bündeln voller Geld aus Wladiwostok an Ihre Adresse zu schicken. Ganz bestimmt, irgendwann‘. Der Ausländer stellt gewöhnlich die Bedingung an die Agentur, dass die Hochzeit unbedingt gleich nach dem Begräbnis stattzufinden hat, weil er wieder zur Arbeit muss.

Die Firma stellt ihm ein Dokument aus, in dem seine Forderung vereinbart und niedergeschrieben wird. Er beruhigt sich und beschäftigt sich mit dem Begräbnis.

‚Was habe ich mir da nur eingebrockt!‘, denkt Sülze und weiß nicht, dass er noch nicht alle Geschenke im Rahmen dieses ukrainischen Spektakels bekommen hat.

Währenddessen werden im Theater die Leidenschaften angefacht. Stella bestellt einen Sarg. Gewöhnlich ist er geschlossen. Das wird damit erklärt, dass die Leiche verstümmelt und die zerfetzten Fleischstücke nicht schön anzuschauen wären. Bei diesen Worten gefriert Sülze das Blut in den Adern. Er ist überaus froh, dass der Sarg geschlossen ist.“ So war es möglich, eine Kiste mit oder noch besser ohne Ziegelsteine zu begraben, denn die Dorfalkis, die die Verwandten der Braut aus Nowosibirsk oder Wladiwostok spielten, die auf Kosten des Bräutigams zur Hochzeit gekommen waren, hatten in der Regel nicht genug Kraft, um einen Sarg mit Ziegelsteinen hochzuheben. Das hätte die tadellos durchdachte Aufführung der talentierten Regisseurin vollkommen ruinieren können!

Wowan, der Friedhofswächter, hielt immer ein Erdloch für das Begräbnis parat. Dafür bekam er ein Honorar, das aus drei Kisten Schnaps für ihn und ein paar Tüten Süßigkeiten für seine Kinder bestand. Und Blumen für seine Frau konnte er, sobald die Zeremonie vorbei war, ganz nach Geschmack auswählen, bitte sehr! Frische Blumen! Er hatte überhaupt nichts dagegen, eines guten Menschen zu gedenken. Nur die angeheuerten Klageweiber nervten ihn. Sie brachten den sensiblen, besoffenen Wowan jedes Mal fast zum Herzinfarkt.

„Ja, ich weiß doch, dass ihr Betrügerinnen seid! Abzockerinnen! Und dass der Sarg leer ist! Die Weiber heulen aber so bitterlich zur Musik, dass mir selber ohne Ende die Tränen kommen! Ich versteh gar nicht, warum. Ich bin wohl zu empfindlich geworden auf meine alten Tage.

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