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Hannibals Elefantenmädchen Buch Eins
Hannibals Elefantenmädchen
BuchEins
Tin Tin Ban Sunia
von
Charley Brindley
charleybrindley@yahoo.com
www.charleybrindley.com
Editiertvon
Karen Boston
Website https://wordslayers.net/
Übersetzt von
Carolin Kern
Einbanddesign von
© 2019 by Charley Brindley alle Rechte vorbehalten
Für die englische Originalausgabe »Hannibal’s Elephant Girl Book One Tin Tin Ban Sunia«
© 2019 Charley Brindley alle Rechte vorbehalten
Gedruckt in denVereinigten Staatenvon Amerika
ErsteAusgabe März 2019
Für die deutsche Übersetzung
© 2021Carolin Kern
Herausgegeben von Tektime
alle Rechte vorbehalten
Dieses Buch ist
Brittney und Autumn Davis
gewidmet
Kapitel Eins
Ich ergriff einen toten Baum und trieb auf dunklen Wassern durch die ruhige Nacht, strengte mich an das geringste Geräusch zu hören. Aber Stille umfing mich wie ein dicker, nasser Mantel.
Warum bin ich im Fluss? War ich das einzige Mädchen, das hinübergeworfen wurde?
Der Fluss bewegte sich unter mir wie eine erwachende Schlange. Ich steckte eine Strähne nassen Haares hinter mein Ohr und blickte mich in der gefährlichen Dunkelheit um.
Ein Geräusch wie entfernter Donner wuchs in ein tiefes Rumpeln.
Was ist dieses Geräusch?
Der Holzstamm, auf den ich während der Nacht geklettert war, drehte sich in einer langsamen Bewegung, trieb in Richtung des schlammigen Ufers. Ich dachte, dass ich endlich dem eiskalten Wasser entkommen konnte, aber dann fiel der Fluss ab und stürzte nach vorne, zog mich in die rasante Strömung. Was ich im schummrigen Licht der Dämmerung sah, versetzte mich in Schrecken.
»Stromschnellen!«, schrie ich auf.
Massive Felsbrocken erhoben sich wie glänzende schwarze Zähne. Ich stürzte mich vom Stamm, versuchte wegzukommen, aber der wütende Fluss schien entschlossen mich zu verschlucken.
Ein riesiger Fels zeichnete sich geradeaus ab. Ich schrie, griff nach irgendetwas, um mich zu retten. Ich drehte mich weg, aber mein Kopf schlug auf den Stein, schickte Schmerzensblitze durch meinen Schädel.
Als ich meine Augen öffnete, war ich durch einen anderen Stamm an den Felsen geheftet. Ein schleimiger grüner Bewuchs bedeckte die verrottende Rinde und zwei zerklüftete Äste standen wie gebrochene Armknochen ab. Während ich mich anstrengte ihn wegzuschieben, schoss ein scharfer Schmerz von meinem Kopf in meine Schultern.
Der tosende Strom erfasste meine Beine, zog mich in die Stromschnellen. Ich griff nach dem Stamm, aber verfehlte ihn.
Ich krachte auf die Felsbrocken und tauchte durch schäumendes Wildwasser, bis ich in ein tiefes Becken purzelte.
Als ich nach Luft ringend an die Oberfläche kam, tauchte der schleimige Stamm plötzlich neben mir auf. Ich schnappte ihn, ließ den Wirbel mich in einem langsamen Kreis umhertragen.
Jede Bewegung verursachte von meinem Hinterkopf über meine Schläfen entsetzliche Schmerzen. Während ich mich mit einer Hand festhielt und mich im Wasser zurücklehnte, rotierten Wolken und ausladende Bäume im morgendlichen Sonnenschein.
Vögel zwitscherten in den Palmen und eine sanfte Brise brachte den erdigen Geruch von trockenem Land und blühenden Pflanzen mit sich. Warum bin ich im Fluss? Mein Kopf tat weh, als ich versuchte mich zu konzentrieren. Alles, woran ich mich erinnerte, waren zwei Männer, die mich von einer Brücke geworfen haben. Was ist mit den anderen passiert?
Ausgelaugt davon gegen den Fluss zu kämpfen, hatte ich keine Energie mehr. Der Wille weiterzumachen – der war auch weg. Also nahm ich einen flachen Atemzug und ließ los. Während ich in die kalten Tiefen sank, kam Befreiung über mich, als die sich spiralförmig bewegende Welt zu Dunkelheit verschwamm.
Plötzlich schreckte mich etwas auf, das sich durch das Wasser bewegte. Eine Kreatur ergriff mich um die Taille. Ich kämpfte und drückte dagegen, dachte, dass mich eine Wasserschlange festhielt. Die Schlange riss mich durch die Oberfläche. Ich versuchte zu schreien, aber hustete nur und würgte vom Wasser, das ich verschluckt hatte.
Die Schlange verstärkte ihren Griff, versuchte mich zu zerquetschen. Ich drückte gegen den sich windenden Körper, aber sie war zu stark. Sie hob mich hoch, bis ich in große Augen blickte, die von faltiger, grauer Haut umgeben waren. Verängstigt durch dieses fürchterliche Bild konnte ich nichts tun, als im Griff dieser Kreatur zu zittern.
Das Biest blinzelte und verlagerte seinen Griff um meinen nassen Bauch, hielt mich weiter weg. Zwei lange Hörner streckten sich aus seinem Mund und bogen sich entlang beider meiner Seiten.
Ich schob mit meiner ganzen Kraft. »Lass los!«
Meine kreischende Stimme schreckte einen Schwarm Schwalben von den Palmen auf. Ihre Flügel schlugen in einem gedämpften Aufruhr des Abflugs in der Luft.
Der Lärm musste dem Tier Angst gemacht haben, denn es gab mich frei und brüllte so laut, dass mein Inneres durchgerüttelt wurde. In dem Augenblick, in dem es mich losließ, ergriff ich das, was keine Schlange war, sondern ein langer, sich kringelnder Rüssel. Ich wollte nicht, dass das Monster michfrisst, aber ich wollte auch nicht auf eines dieser Hörner fallen.
Ich schrie, während das Biest trompetete, sich spritzend und krachend seinen Weg zum Flussufer bahnte und versuchte mich abzuschütteln. Ich hielt mich fest, als es seinen Rüssel hoch in die Luft riss und aufheulte, als ob es von etwas gebissen wurde.
Möglicherweise hatte ich in meiner Verzweiflung in seinen Rüssel gebissen, aber ich konnte nicht genug Schmerz verursacht haben, um solch ein Herumtoben zu rechtfertigen. Die Kreatur stolperte über den Sand, krachte durch das Gestrüpp, bis sieihr Hinterteil gegen einen gewaltigen Johannisbrotbaum rammte. Der Baum erbebte bis zu den obersten Zweigen, wackelte so heftig, dass ein toter Abschnitt wegbrach und fiel, dabei auf dem Kopf der Kreatur einschlug.
Sie wankte. Ihre Augen schlossen sich flatternd, dann kippte sie um und krachte in einer Wolke aus Staub, Blättern und Zweigen zu Boden. Der Kopf des Tieres schlug auf einem Felsen auf und sein eingerollter Rüssel, mit mir angehängt, kam auf der Oberseite seines riesigen Gesichts zum Liegen.
Ich setzte mich auf, versuchte zu Atem zu kommen, während ich mir mein nasses Haar aus meinen Augen wischte. Ich blicke zur reglosen Gestalt des grauen Biests herüber.
»Habe ich ihn umgebracht?«
Gelächter erschallte hinter mir und ich drehte mich um und sah sechs Soldaten. Sie trugen dicke Brustharnische aus Leder mit eingeritzten Kampfszenen, zusammen mit verzierten Metallstulpen, die ihre Handgelenke und Schienbeine schützten.
»Habt ihr jemals einen solchen Anblick gesehen?«
Ein rotbärtiger Mann zeigte mit einem knotigen Finger auf mich. Er trug einen glänzenden Helm, an dem oben langes Tierhaar abstand und hinten in einer Reihe nach unten verlief. Jeder Mann trug einen Speer und hatte ein Schwert in seinem Gürtel.
Ein weiterer Soldat warf sein Schild in den Sand, lachte so heftig, dass er kaum sprechen konnte. »Obolus, der mächtige Kriegselefant, aufgebahrt von einem Kind!« Er klatschte eine Hand auf die Schulter seines Kameraden. »Und ein wertloses Halbmädchen noch dazu. Ich bezweifle, dass sie überhaupt zwölf Sommer alt ist.«
Breite Lederstreifen mit silbernemRand hingen an den Gürteln der Soldaten, um schützende Röcke über kurzen Tuniken zu bilden.
»Der mutige Obolus«, sagte der erste Mann, »so tapfer im Kampf, dass er hundert Männer in einer Reihe zertrampelt, aber ein schreckliches Mädchen ergreift seinen Rüssel und er stirbt sogleich vor Furcht.« Das rief mehr Gelächter hervor.
Ich wollte wegrennen, aber sie umringten mich.
»Heute Abend haben wir ein Festmahl!«, schrie ein stämmiger Mann mit öligem schwarzem Haar. Er hängte seinen Helm auf die Spitze seines Speers und winkte damit in der Luft. »Mit gebratenem Bein des Biests und Elefantenohren-Eintopf.«
»Oh ja. Zwei sehr große Ohren«, sagte der rotbärtige Mann.
Er zog seinen Dolch und machte eine Schneidbewegung in der Luft. Die wenigen Zähne, die er hatte, waren farblos und schief, einer davon abgebrochen, was einen zerklüfteten Stumpen hinterließ. Knopfaugen und eine schiefe Nase ließen es scheinen, als ob er schielte.
Er kam auf mich zu, bedeutete den anderen ihm zu folgen. Ein Schauer kratzte wie ein eisiger Fingernagel an meiner Wirbelsäule entlang.
Was werden sie mit mir tun?
Ich trug nur einen kleinen Lendenschurz, der noch immer nass vom Fluss war.
Wo bin ich?
Als ich versuchte mich zu konzentrieren, schmerzte mein Kopf bis tief ins Innere. Während ich mich nach einem Weg umschaute, um zu fliehen, verengten die Männer ihren Kreis um mich.
»Das könnte in der Tat eine ernste Angelegenheit sein.« Rotbart schaute seine Freunde an, wartete augenscheinlich, um sicherzugehen, dass er deren Aufmerksamkeit hatte. »Wir müssen hoffen und beten, dass wir es in unserem nächsten Kampf nicht mit einer Legion halbnackter Mädchen aufnehmen müssen.« Die Männer lachten. »Denn dann würden unsere Kriegselefanten uns alle sicherlich zu Tode trampeln, in deren Massenpanik solch einem entsetzlichen Gefecht zu entfliehen.«
Gerade als er sein Messer in den Griffkippte, um zuzustechen, schritt ein großer Mann mit einem Stab durch den Ring der Männer. Die Farbe seines Gewands war ein unübliches rotviolett und sein Turban war mit einem goldenen Emblem an der Vorderseite geschmückt. Ein mit Juwelen besetzter Dolch schwang an einem geflochtenen Ledergürtel um seiner Taille. Er war viel älter als die Soldaten, aber seine Haltung war gerade und unbiegsam.
Die Soldaten wurden still, als er vor sie trat. Sie wichen zurück, beobachteten den großen Mann intensiv. Rotbart ließ sein Messer in seine Scheide gleiten.
Der alte Mann schüttelte seinen Kopf und schaute von dem Biest zu mir. »Ein böses Omen«, murrte er. »Das ist gewiss. Aufgrund dieses Zeichens der Göttin Tanit werden viele als Opfer ihr Ende finden.«
Die Männer flüsterten einander zu und ich konnte an ihrer Aufmerksamkeit sehen, dass seine Worte ein großes Gewicht trugen.
Ich glitt von dem Tier und trat weg, um seinen gewaltigen Körper zu studieren. Sogar als er auf seiner Seite lag, ragte er über meinem Kopf auf.
Ein »Elefant« … haben sie es so genannt?
Eine Hand berührte meine Schulter und ich sprang weg. Als sich mich umdrehte, hielt mir ein junger Mann, den ich zuvor nicht gesehen hatte, seinen Mantel hin. Er war kein Soldat, also dachte ich, dass er mit dem Mann mit Turban angekommen sein musste. Ich nahm den Umhang und schlang ihn um mich, während ich vor Furcht vor den Soldaten und wegen des kalten Flusses zitterte.
Der Mantel brachte Wärme, aber ich spürte einhundert verschiedene Schmerzen von den ganzen Schnitten und Prellungen. Mein Rücken, Kopf … alles tat weh und Ermüdung schwächte meine Beine.
Der Mann in dem Turban hob sein Gesicht zum Himmel und begann einen schwermütigen Singsang. Die Soldaten beteten, lehnten ihre Speere in ihre Armbeugen und verschränkten ihre Hände vor sich. Während die anderen gen Himmel murmelten, senkte der rotbärtige Soldat seinen Kopf, um mich anzustarren. Ein hungriges Tier hätte mir nicht mehr Angst einjagen können.
»Geh jetzt«, flüsterte der junge Mann.
Ich trat zurück, verhedderte meine Füße und ließ mich beinahe selbst stolpern. »Wohin?«, fragte ich.
Im Gegensatz zu den anderen Soldaten, die buschige Gesichter hatten und lärmend waren, war er sauber rasiert und sprach leise. Seine braunen Augen – in der Farbe von Mandeln und Honig – waren angenehm, wenn man hineinschaute. Er trug keine Waffen oder Rüstung, aber er hatte eine Schärpe um die Taille seiner weißen Tunika. Die Schärpe war aus demselben ungewöhnlichen Stoff gemacht wie das Gewand des großen Mannes.
Er legte seine Hand auf meinen Rücken und führte mich von den Soldaten weg, hinüber an den Waldrand. »Eile entlang des Pfads zum Lager und frag nach der Frau, die Yzebel genannt wird. Sie wird etwas für dich zum Essen finden. Geh schnell, bevor Hannibal hierherkommt und einen seiner Elefanten aufgebahrt auf dem Boden liegen sieht.«
Da es ein schmerzlicher Gedanke war, rannte ich entlang des Pfads in die Wälder. Ich war dankbar für denKomfort seines Umhangs und wusste, dass ich ihm hätte danken sollen. Der dicke Mantel war scheckig mit Blattgrün und Nuancen von Hellbraun. Er erstreckte sich beinahe bis zum Boden, bedeckte mich von den Schultern bis zu den Knöcheln.
Ich hielt an und schaute zurück, aber der junge Mann war verschwunden.
Die große Beule an meinem Hinterkopf schmerzte mehr als je zuvor. Als ich sie berührte, schoss Schmerz über meine Stirn und in meine Augen, was mir schwindelig werden ließ.
Wenn ich mich nur hinlegen und für eine kleine Weile schlafen könnte.
Ein Flecken Gras, wie ein weiches grünes Bett, lag unterhalb einer nahen Eiche. Als ich einen Schritt auf das Gras zumachte, hörte ich Geräusche in der Ferne. Ein Hund bellte und das Klirren von Metall erschallte durch den Wald.
Das Lager muss in der Nähe sein.
Ich ging in Richtung der Geräusche, war zu erschöpft, um weiterhin zurennen.
In der Nähe des Pfads sammelte ein Junge Holz. Er trug eine braune Tunika und hatte sein struppiges Haar mit einer Lederschnur zurückgebunden. Er zeigte mir ein herablassendes, höhnisches Lächeln und ich fragte mich, warum. Einer der Stöcke fiel aus seinem Arm. Er schnappte ihn vom Boden und neigte ihn nach hinten über seine Schulter, so als ob er ihn auf mich werfen wollte. Ich behielt meine Augen auf ihm und las einen zerklüfteten Stein in der Größe meiner Faust auf und hob ihn trotzig hoch. Nachdem ich den Fluss, den Elefanten mit seinen langen Hörnern und die furchteinflößenden Soldaten überlebt hatte, würde ich nicht von einem Jungen eingeschüchtert werden. Er war größer als ich, aber ich hatte den Stein.
Fastam Ende des Weges brachte eine leichte Brise den köstlichen Geschmack von Essen, was meinen leeren Magen vor Hungerschmerzen verkrampfen ließ.
Der Pfad kam aus dem Kiefernwald heraus, wand sich neben einem großen grauen Zelt und einen leichten Hang in das Hauptlager herunter. Viele Zelte und hölzerne Hütten sprenkelten eine Reihe niederer Hügel und breiteten sich wie eine kleine Stadt über die Landschaft aus.
Ich folgte dem Aroma kochenden Essens zu dem grauen Zelt, wo eine Frau im morgendlichen Sonnenschein neben einem Feuer stand. Sie schnitt Gemüse in einen köchelnden Topf. Einige Tische mit hölzernen Bänken kreisten die Feuerstelle ein.
Sie griff nach einer Rübe und blickte in meine Richtung. Ihre Honig-Mandel-Augen verengten sich auf mich.
»Wo hast du diesen Umhang her?«
Ich schaute nach unten, rutschte mit meinen Füßen im Schmutz herum. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
Die Frau kam in meine Richtung, mit dem Messer in ihrer Hand. Ich trat zurück.
»Das ist Tendaos Umhang. Wo hast du ihn her?«
Ich zog den Umhang enger um mich, erinnerte mich dann an den jungen Mann. Er hatte mir gesagt, dass ich nach einer Frau fragen soll, die mir etwas zu essen geben würde.
»Kennst du eine Yzebel?«
»Ich bin Yzebel. Warum trägst du Tendaos Umhang und fragst nach mir?«
Sie kam näher und ergriff den Mantel. Ich schaute auf das Messer in der Hand der Frau, dann wieder in ihr Gesicht. Knoten traten in ihrem zusammengepressten Kiefer hervor und ihre Stirn runzelte sich, was ihr schönes Gesicht verzerrte.
Ich hielt den Umhang geschlossen, aber Yzebel war zu stark für mich. Sie öffnete ihn mit einem Ruck. Die plötzliche Veränderung, die ich in ihr sah, erstaunte mich. Ihre ernsten Züge veränderten sich so vollständig, dass es schien, als ob eine andere Person ihren Platz eingenommen hätte. Die Verärgerung und Wut erweichten sich schnell zu Mitgefühl und Zärtlichkeit.
»Große Mutter Elissa!« Yzebel starrte auf meinen zerschundenen Körper. »Was ist mir dir geschehen?«
Kapitel Zwei
Yzebel trug ein Flickwerk-Kleid aus verblasstem Gelb und Braun mit einer zerlumpten Schürze, die um ihre schmale Taille gebunden war. Sie hatte ihr langes dunkles Haar in eine komplizierte Drehung aus Zöpfen um ihren Scheitelhochgebunden. Sie war nicht alt, nicht einmal in der Mitte ihres Lebens, aber was ich am bemerkenswertesten fand, war ihr faltenloses Gesicht; die Farbe cremigen Zimts, ihre weichen Züge, wie Mondlicht auf Seide.
Ich schaute an meinem Körper herunter und sah die vielen Schnitte und Prellungen. Erst dann realisierte ich, welch schreckliche Tortur ich durchgemacht hatte. Mir tat alles weh, besonders mein Hinterkopf. Ich erinnerte mich daran krank gewesen zu sein und mir war heiß, so unglaublich heiß, bevor sie mich in den Fluss geworfen haben. Aber darüber hinaus verblieb wenig Erinnerung. Schwäche fegte über mich und ich fühlte mich spröde, wie ein zerbrochener Ast in einem kalten Wind. Ich schüttelte meinen Kopf als Erwiderung auf Yzebels Frage.
»Du bist so dünn.« Yzebel zog sanft den Umhang zu und legte ihre Arme um mich.
Falls mich je zuvor jemand umarmt hatte, konnte ich mich nicht erinnern. Ich ließ meinen Stein los und hoffte, dass sie nicht hörte, wie er auf dem Boden aufschlug.
»Dein Haar ist nass.« Sie nahm eine lange Strähne, glättete sie über meine Schulter, griff dann nach meiner Hand. »Komm hier herüber, wo es warm ist.«
Yzebel führte mich zur Feuerstelle, wo ich mich setzte und gegen einen Holzklotz lehnte. Das Feuer wärmte meinen schmerzenden Körper und der Rauch von den knisternden Kieferknorren hüllte mich in einen angenehmen, beruhigenden Geruch. Ich starrte tief in das Feuer, beobachtete, wie die Flammen hüpften und tanzten. Das Feuer schien wie das Flackern des Lebens selbst.
Wo geht das Feuer hin, wenn alles Holz verbrannt ist?
»Kannst du Contu Luca mit Wuhasa essen?«, fragte sie.
»Ja.« Ich hatte niemals von Contu Luca gehört, aber ich wusste, dass ich alles essen konnte.
Yzebel hob eine töpferne Schüssel auf und wischte sie mit der Ecke ihrer Schürze aus. Sie benutzte einen hölzernen Löffel, um sie mit dampfendem Getreide gemischt mit Fleischstücken zu füllen. Ein Topf aus Ton, der auf einem flachen Stein am Feuer stand, enthielt eine dicke rote Soße. Sie verteilte einen Löffelvoll der Soße über die Schüssel mit Essen.
Ich nahm ihr die Schüssel ab und tauchte meine Finger hinein. Das Essen war zu heiß, aber ich konnte es nicht erwarten es in meinen Mund zu bekommen. Der köstliche Geschmack des weichen Hartweizens und die herzhaften Stücke des Hammels wärmten meine Seele und die heiße Wuhasa-Soße hatte einen pikanten Hauch. Ich schluckte, ohne zu kauen und griff wieder in die Schüssel. Bevor ich einen zweiten Bissen nehmen konnte, rebellierte mein leerer Magen gegen das Essen. Ich fühlte mich schwindelig. Mein Bauch verkrampfte sich und wurde aufgewühlt. Ich versuchte die Schüssel auf den Tisch zu stellen, aber Yzebel streckte ihre Hand aus, um das Essen zu nehmen, bevor ich es fallen ließ.
Ich griff nach meinem Magen und stolperte zur Seite des Zelts, wo ich das bisschen Essen, das ich gegessen hatte, erbrach. Mein Magen krampfte und bebte weiterhin.
Yzebels sanfte Worte des Trosts und das nasse Tuch in meinem Nacken halfen mir, dass ich mich besser fühlte. Bald beruhigte sich mein Magen und sie drehte mich um, um mein Gesicht zu waschen.
»Wann hast du zuletzt gegessen?«
Ich versuchte nachzudenken. »Nicht heute.«
»Komm mit. Ich denke du solltest etwas Rosinenwein trinken, bevor du Nahrung in deinen leeren Magen gibst. Ein bisschen Wein hat einen beruhigenden Effekt, aber zu viel und du wirst betrunken wie der Rabe sein, nachdem er fermentierte Trauben gegessen hat.«
Ich lächelte, als ich an einen betrunkenen Raben dachte, der durch die Luft taumelte. Als ich aufschaute, zwinkerte Yzebel mir zu.
Ich saß mit Tendaos Umhang, der um mich geschlungen war, am Feuer und nippte an dem süßen Wein, den sie für mich verdünnt hatte.
»Nimm nur ein bisschen«, sagte Yzebel. »Lass uns warten, um zu sehen, ob deinem Magen der Wein nicht gefällt, so wie es mit dem Essen war.«
Ich nickte und stellte die Trinkschale zur Seite. Eine feurige Wärme beruhigte meinen Bauch und es schien, dass der Wein nicht mehr hoch kommen würde. Ich griff nach einem Messer, das auf einem Stein der Feuerstelle lag und nahm eine der Rüben aus einem Korb, um sie zu schälen, so wie Yzebel es zuvor getan hatte. Sie lächelte mich an, während sie Karottenscheiben in den großenTontopf schnitt. Der Eintopf roch köstlich, aber ich hatte nicht die Absicht meinen Magen ein zweites Mal zu verärgern.
»Ich glaube, ich habe nie jemanden getroffen, der so ruhig ist«, sagte Yzebel. »Hast du denn nichts zu sagen?«
Ich schnitt meine Rübe scheibenweise in den Topf, versuchte nachzudenken. Meine Gedanken waren noch immer vernebelt und mein Kopf schmerzte mehr als zuvor. Yzebel dachte wahrscheinlich, dass ich ein Schwachkopf oder ein Trottel war.
Schließlich fragte ich: »Was isst ein Elefant?«
Yzebels gehobene Augenbraue war das einzige Anzeichen, dass sie die Frage merkwürdig fand. »Der Elefant?«, sagte sie. »Nun ja, er isst alles, was wächst. Wenn er hungrig genug ist, wird er die ganze Krone eines ausgewachsenen Baums essen.« Sie griff nach einer weiteren Karotte. »Ein großer Kriegselefant kann einen Ochsenkarren voller Melonen oder ein halbes Feld Hartweizen fressen. Manchmal sogar einen ganzen Heuhaufen.«
»Aber würde er ein Mädchen essen?«
Yzebel lachte. »Nein, er wird kein Fleisch jeglicher Art essen; nur grüne und gelbe Dinge, die vom Boden wachsen. Er würde niemals ein Kind essen. Trink ein wenig mehr von dem Wein, aber nicht zu rasch.«
Ich tat, wie sie sagte, und bald fühlte sich mein Kopf, zusammen mit meinem Bauch, besser an.
»Jetzt«, sagte Yzebel, »nimm ein bisschen vom Contu Luca, aber kau es dieses Mal, bevor du schluckst.«
Das Essen war noch immer warm und sehr lecker. Ich nahm nur einen kleinen Bissen und stellte die Schüssel ab.
»Wie nennt man dich?«, fragte Yzebel, während sie nach einer großen gelben Zwiebel griff. Sie schnitt den Strunk ab und blickte mich an.
Meine Erinnerungen hörten an dem Punkt auf, wo diese Männer mich in den Fluss geworfen hatten, aber so wie ich Worte benutzen konnte, um mit Yzebel zu sprechen, kannte ich auch andere Dinge. Wie dieser Rosinenwein – ich erkannte den Geschmack und erinnerte mich, wie man ihn machte.
Manches Wissen kam zu mir zurück, stückchenweise. Ich wusste, dass kränkliche Mädchen zusammen mit zerbrochener Töpferware und der Asche des Vortags weggeworfen wurden, aber ich hatte keine Erinnerung jemals einen Namen gehabt zu haben.
Ich schüttelte meinen Kopf.
Yzebels Ausdruck wurde weicher und sie senkte ihre Augen. Vielleicht war die Zwiebel, die sie in den Topf schnitt, ein wenig stärker als normal. Sie schaute sich an der Feuerstelle um, als ob sie nach etwas suchte, und nahm schließlich einen alten Holzlöffel auf. Sie untersuchte den Riss im Stiel für einige Zeit, bevor sie sprach.
»Du hast keinen Namen?«
Ich wischte mir mit dem Rücken meiner Finger über die Wange. »Nein.«
»Na ja«, sagte Yzebel, »dann lass uns einen Namen für dich finden. Ich glaube, dass es eine große Ehre ist, wenn die Götter beschließen, dass ein Mädchen seinen eigenen Namen aussuchen soll. Denkst du nicht?«