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Der kleine Ritter
Der kleine Ritter

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Der kleine Ritter

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Язык: Немецкий
Год издания: 2017
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»Von solcher Liebe kannst du den Hunden Stiefeln nähen lassen.«

»Und doch,« begann der Ritter von neuem, »ist lieben schwer, so ist nichtlieben noch schwerer. Denn wen mag, ohne Liebe, die Freude, der Ruhm, Reichtümer, Wohlgerüche und Kleinodien befriedigen? Wer wird der Geliebten nicht sagen: Du bist mir mehr als ein Königreich, mehr als ein Szepter, mehr als die Gesundheit, mehr als ein langes Leben? Und da jeder von uns gern sein Leben hingäbe für die Liebe, so ist die Liebe mehr wert als das Leben.«

Ketling war zu Ende gekommen. Die Mädchen saßen eine an die andere geschmiegt und bewunderten das Gefühl, das aus seiner Rede sprach, und diese Liebesdeutungen, welche den polnischen Herren fremd waren; bis endlich Sagloba, der gegen das Ende eingeschlummert war, erwachte und mit den Augen blinzelnd bald die eine, bald die andere, bald den dritten anblickte und, seine Sinne sammelnd, mit lauter Stimme fragte:

»Nun, was sagt ihr?«

»Wir sagen Euch gute Nacht!« rief Bärbchen.

»Oho, ich weiß schon, wir sprachen von der Liebe. Wie war das Ende?«

»Das Unterfutter war besser als der Mantel.«

»Ohne Zweifel! Aber es hat mich müde gemacht, denn lieben heißt weinen und greinen. Und ich habe noch einen Reim gefunden: Kummer und Schlummer … und das letzte ist gewiß das beste, denn es ist spät. Gute Nacht, die ganze Gesellschaft, und laßt die Liebe schon in Frieden … Du lieber Gott, so lange der Kater miaut, frißt er den Speck nicht, und dann beleckt er sich … Auch ich war vor Zeiten Ketling ähnlich wie ein Wassertropfen dem anderen, und liebte so wahnsinnig, daß mich ein Schafbock eine Stunde lang von hinten hätte stoßen können, ehe ich's bemerkt haben würde. Aber im Alter ziehe ich es vor, mich auszuruhen, besonders wenn der höfliche Wirt mich nicht nur begleitet, sondern auch den Betttrunk bringt.«

»Zu Euren Diensten,« sagte Ketling.

»Gehen wir, gehen wir. Seht, wie hoch der Mond schon steht! Schönes Wetter für morgen, der Himmel ist mit Sternen besäet, und es ist hell wie am lichten Tag. Ketling würde euch die ganze Nacht hindurch von der Liebe sprechen, aber bedenkt, Mädchen, daß er müde ist.«

»Ich bin nicht müde, denn ich habe zwei Tage in der Stadt geruht; ich fürchte nur, daß die Damen nicht gewohnt sind zu wachen.«

»Die Nacht würde schnell dahingehen, wenn wir Euch zuhörten,« sagte Christine.

»Eine Nacht gibt es nicht, wo die Sonne scheint,« antwortete Ketling.

Dann trennten sie sich, denn es war in der Tat schon spät. Die Mädchen schliefen zusammen und plauderten gewöhnlich, bevor sie einschliefen. An diesem Abend aber konnte Bärbchen von Christine kein Wort herauslocken; so sehr die eine Lust hatte, sich zu unterhalten, so sehr war die andere schweigsam und antwortete nur mit hingeworfenen Worten. Wenn Bärbchen, von Ketling sprechend, witzig werden wollte und ihn ein wenig verspottete, auch ein wenig nachahmte, umfaßte Christine mit großer Zärtlichkeit ihren Hals und bat sie, die Torheiten zu lassen.

»Er ist hier Wirt, Bärbchen,« sagte sie, »wir wohnen unter seinem Dache, und ich habe bemerkt, daß er dich vom ersten Augenblicke liebgewonnen hat.«

»Woher weißt du das?« fragte Bärbchen.

»Wer würde dich nicht liebgewinnen! Dich lieben alle … auch ich sehr!«

Bei diesen Worten brachte sie ihr süßes Gesicht dem Gesicht Bärbchens näher, drückte sie an sich und küßte sie auf die Augen.

Endlich gingen sie zur Ruhe; aber Christine konnte lange Zeit nicht einschlafen. Eine Unruhe hatte sie erfaßt; bisweilen schlug ihr Herz so mächtig, daß sie beide Hände an ihre atlasweiße Brust preßte, um das Pochen zu dämpfen. Bald wieder schien es ihr, besonders, wenn sie die Augen zu schließen versuchte, als neigte ein Kopf, schön wie ein Traum, sich über sie, und als flüstere ihr eine Stimme ins Ohr: »Du bist mir teurer als ein Königreich, als ein Szepter, als die Gesundheit, als langes Leben.«

Einige Tage darauf schrieb Sagloba an Skrzetuski einen Brief, der also schloß:

»Wenn ich also vor der Wahl nicht nach Hause komme, wundert Euch nicht. Es geschieht nicht aus geringer Neigung zu Euch, sondern weil der Teufel die Hand im Spiele hat, und ich nicht mag, daß mir statt eines Vogels was Garstiges in der Hand bliebe. Es müßte schlimm sein, wenn ich Michael bei seiner Heimkehr nicht bald sagen könnte: die da ist verlobt, und der kleine Heiduck ist frei. Alles liegt in der Hand Gottes, und ich denke, es wird dann nicht nötig sein, Michael zu stoßen, noch lange Beobachtungen zu machen, und Ihr kommt dann schon zur fertigen Erklärung her. Indessen werde ich wie Ulyssus handeln müssen und allerhand Kniffe gebrauchen, auch ein wenig Farbe hinzutun, was mir nicht leicht werden wird; denn ich habe mein Leben lang die Wahrheit höher gestellt als alle Kostbarkeiten und stets mich nur von ihr genährt. Aber für Michael und den kleinen Heiducken werde ich auch das über mich gewinnen, denn sie sind beide pures Gold. Und nun umarme ich Euch beide und drücke Euch ans Herz, und empfehle Euch der Gnade des allerhöchsten Gottes.«

Nachdem er fertig geschrieben hatte, schüttelte Sagloba Sand über den Brief, dann schlug er mit der Hand darauf, las ihn noch einmal, indem er ihn fern von den Augen hielt, dann legte er ihn zusammen, nahm den Siegelring vom Finger, leckte mit der Zunge daran und bereitete sich zum Stempeln vor. Bei dieser Tätigkeit überraschte ihn Ketling.

»Guten Tag!«

»Guten Tag, guten Tag!« erwiderte Sagloba. »Das Wetter ist Gott sei Dank vortrefflich, und ich denke bald einen Boten an die Skrzetuskis zu senden.«

»Grüßt sie, bitte, von mir.«

»Das habe ich schon getan; ich habe mir bald gesagt: man muß von Ketling einen Gruß beifügen; die beiden werden sich freuen, wenn sie gute Nachrichten bekommen. Es ist doch klar, daß ich von dir gegrüßt habe, da die ganze Epistel von dir und dem Mädchen handelt.«

»Wie?« sagte Ketling.

Sagloba legte die Hände auf die Kniee, spielte mit den Fingern, senkte den Kopf und blickte von unten herauf zu Ketling.

»Mein lieber Ketling, man braucht nicht gerade ein Prophet zu sein, um vorherzusagen, daß, wo Feuerstein und Zunder ist, früher oder später Funken fallen werden. Du bist unter den Schönen der Schönste, und den Mädchen, denke ich, kannst du auch nichts nachsagen.«

Ketling geriet in große Verwirrung.

»Blind müßte ich sein oder ein großer Barbar,« sagte er, »wenn ich ihre Schönheit nicht sehen, nicht preisen sollte.«

»Ah, siehst du,« versetzte Sagloba, indem er Ketling lächelnd in das erglühende Antlitz schaute. »Wenn du kein Barbarus bist, so ziemt es dir nicht, beide zum Ziele zu wählen, denn so machen es nur die Türken.«

»Wie könnt Ihr vermuten …«

»Ich vermute auch nicht, ich sage bloß so zu mir selber. … Ei, du Verräter hast ihnen so viel von Liebesdingen vorgemacht, daß Christine seit drei Tagen bleich umhergeht, als nähme sie Arznei. Ha, kein Wunder! Als ich jung war, stand ich selbst im Frost unter dem Fenster einer Schwarzbraunen (sie hatte einige Ähnlichkeit mit Fräulein Drohojowska), und ich erinnere mich noch, wie ich sang: »Schläfst dort, Mädchen, hinterm Gitter, und ich spiele hier die Zither, hoc, hoc.« Willst du, so leihe ich dir dies Lied, oder ich komponiere dir ein neues, denn an Genie fehlt es mir nicht. Hast du bemerkt, daß Fräulein Drohojowska eine gewisse Ähnlichkeit mit dem früheren Fräulein Billewitsch hat? – Nur daß die andere flachsblonde Haare hatte, und daß ihr der Flaum über der Lippe fehlte. Aber es gibt Menschen, die darin eine hohe Schönheit sehen und das als eine Rarität betrachten. Sie scheint dir gewogen zu sein, – ich habe das soeben den Skrzetuskis geschrieben; – nicht wahr, ist sie nicht der Billewitsch ähnlich?«

»Im ersten Augenblick habe ich die Ähnlichkeit nicht bemerkt, aber es kann sein. In Wuchs und Haltung erinnert sie an jene.«

»Nun, so höre, was ich dir sagen will. Ich will dir die Geheimnisse der Familie auftun; aber da auch du mein Freund bist, so mußt du wissen: nimm dich in acht, daß du dem Wolodyjowski nicht mit Undank lohnest, denn Frau Makowiezka und ich haben eines dieser Mädchen für ihn bestimmt.«

Hier blickte Sagloba unverwandt forschend in Ketlings Augen; dieser aber wurde bleich und fragte:

»Welche?«

»Fräulein Dro – ho – jow – ska,« sagte Sagloba langsam.

Und indem er die Unterlippe vorschob, begann er unter den zusammengezogenen Augenbrauen mit seinem gesunden Auge zu blinzeln.

Ketling schwieg, bis endlich Sagloba fragte:

»Was sagst du dazu, nun?«

Und Ketling antwortete mit veränderter, aber kraftvoller Stimme:

»Ihr könnt sicher sein, daß ich mein Herz nicht zu Michaels Schaden lenken werde.«

»Bist du dessen gewiß?«

»Viel habe ich im Leben durchgemacht,« versetzte der Ritter, – »mein Ehrenwort.«

Da schloß Sagloba ihn in die geöffneten Arme.

»Ketling, laß deinem Herzenswunsche freien Lauf, soviel du willst! Ich habe dich nur erproben wollen; nicht Fräulein Drohojowska: den kleinen Heiducken haben wir für Michael bestimmt.«

Ketlings Antlitz leuchtete in aufrichtiger, tiefer Freude auf; er umarmte Sagloba, hielt ihn lange an seiner Brust und fragte endlich:

»Ist es gewiß, daß sie sich lieben?«

»Wer würde meinen kleinen Heiducken nicht lieben, wer?« entgegnete Sagloba.

»So ist die Verlobung schon gewesen?«

»Die Verlobung ist noch nicht gewesen, denn Michael hat sich kaum von seiner Trauer freigemacht; aber sie wird sein … überlaß das nur mir. Das Mädchen ist ihm – sie mag sich auch wie ein Wiesel drehen und wenden – höchlich geneigt, denn bei ihr gilt der Säbel.«

»Das habe ich bemerkt, bei Gott!« unterbrach ihn Ketling, vor Freude strahlend.

»Ha, hast du's bemerkt? Michael beweint noch immer die andere, aber wenn's ihm eine antut, so ist es sicher der kleine Heiduck, denn sie ist der anderen mehr ähnlich, nur daß sie weniger mit den Augen wirft, weil sie jünger ist. Das fügt sich alles gut, nicht wahr? Ich bin überzeugt, zur Wahl haben wir zwei Hochzeiten.«

Ketling sprach kein Wort. Er umarmte Sagloba wieder und legte sein schönes Gesicht an dessen rote Wangen, so daß der Alte ihn abschüttelte und fragte:

»So steckt dir Fräulein Drohojowska schon so tief im Herzen?«

»Ich weiß nicht, ich weiß nicht,« antwortete Ketling, »ich weiß nur eins: kaum, daß ihr himmlischer Anblick meine Augen erfreut hatte, sagte ich mir, daß mein gequältes Herz nur sie allein noch lieben könnte, und noch in dieser Nacht habe ich den Schlaf durch meine Seufzer weggescheucht und mich ganz der süßen Sehnsucht hingegeben. Sie hat die Herrschaft über mein ganzes Sein errungen, wie eine Monarchin über das untergebene Land und über ihre Getreuen waltet. Ist das Liebe, ist es etwas anderes – ich weiß es nicht.«

»Aber das weißt du doch, daß das kein Schlapphut und keine drei Ellen Tuch zu Pluderhosen sind, kein Gespann und keine Peitsche, keine Wurst mit Rührei noch ein Maß mit Schnaps. Wenn du dessen ganz gewiß bist, so frage über das andere Christine, und wenn du willst, so frage ich sie selbst.«

»Tut das nicht,« erwiderte Ketling lachend. »Wenn ich ertrinken soll, so laßt mich wenigstens noch ein paar Tage glauben, daß ich schwimme.«

»Ich sehe, in der Schlacht sind die Schotten tüchtig, aber in Liebesdingen taugen sie nichts. Die Frauen muß man wie den Feind tüchtig angreifen: veni, vidi, vici – das war meine Maxime.«

»Mit der Zeit, wenn sich meine heißesten Wünsche erfüllen sollten,« sagte Ketling, »werde ich vielleicht um die Hilfe eines Freundes bitten; obwohl ich das Heimatsrecht erhalten habe, adliges Blut in meinen Adern fließt, so ist doch mein Name hier unbekannt, und ich weiß nicht, ob die Frau Truchseß …«

»Frau Truchseß, Frau Truchseß …«, unterbrach ihn Sagloba, »darum sei unbesorgt; die Frau Truchseß ist eine wahre Spieldose; wie ich sie aufziehe, so spielt sie. Ich will sogleich zu ihr; man muß ihr sofort zuvorkommen, damit sie nicht scheel sehe auf deine Art mit dem Mädchen umzugehen, denn Eure schottische Art ist anders als die unsrige. Gewiß werde ich nicht gleich in deinem Namen die Werbung vorbringen, ich will nur so beiläufig erwähnen, daß dir das Mädchen in die Augen gestochen hat, und daß es gut wäre, dies Mehl zu Brot umzubacken. So wahr Gott lebt, ich gehe sofort, und du, ängstige dich nicht, ich kann ja doch sagen, was mir beliebt.«

Und obgleich Ketling noch immer zurückhielt, erhob sich Sagloba und ging.

Unterwegs begegnete er Bärbchen, die wie gewöhnlich in ausgelassener Fröhlichkeit war.

»Weißt du, Christine hat Ketling ganz und gar erobert.«

»Er ist nicht der erste!« erwiderte Bärbchen.

»Und du bist darüber nicht böse?«

»Ketling ist eine Puppe – ein artiger Kavalier, aber eine Puppe. – Da habe ich mir das Knie an der Deichsel zerschunden, das ist alles!«

Hier beugte Bärbchen sich nieder und begann das Knie zu reiben, indem sie gleichzeitig Sagloba anblickte; er aber sagte:

»Um des Himmels willen, sei vorsichtig! Wo rennst du wieder hin?«

»Zu Christine.«

»Und was macht sie?«

»Sie? Seit einiger Zeit küßt sie mich beständig und reibt sich an mir wie eine Katze.«

»Sage ihr nichts davon, daß sie Ketling erobert hat.«

»E – he, ob ich das aushalte?«

Sagloba wußte ganz gut, daß Bärbchen das nicht aushalten würde, gerade darum verbot er es ihr.

Er ging also weiter, sehr erfreut über seine Schlauheit, und Bärbchen platzte wie eine Bombe in Fräulein Drohojowskas Zimmer.

»Ich habe mir das Knie zerschunden, und Ketling ist sterblich in dich verliebt!« rief sie gleich an der Schwelle. »Ich habe nicht bemerkt, daß aus dem Wagenschuppen eine Deichsel hervorstand – schwapp, hatt' ich's! Es wurde mir ganz finster vor den Augen, aber es tut nichts. Herr Sagloba hat mich gebeten, dir nichts davon zu sagen. Habe ich nicht gleich gewußt, daß es so kommen wird? Ich hab's gleich gewußt, und du hast ihn mir einreden wollen; sei unbesorgt, man kennt dich! – Es tut noch ein wenig weh. Herrn Nowowiejski habe ich dir nicht einreden mögen, aber Ketling, oho! Der geht nun im ganzen Hause umher, hält sich den Kopf und spricht mit sich selber. Hübsch, Christine, sehr hübsch!«

»Wie bin ich unglücklich, o wie unglücklich!« rief plötzlich Christine und löste sich in Tränen auf.

Bärbchen begann sie zu trösten, aber es half nichts, das Mädchen schluchzte und weinte wie nie zuvor in ihrem Leben.

Wußte doch wirklich im ganzen Hause niemand, wie sehr sie unglücklich war. Seit einigen Tagen war sie in Fieberglut, ihr Gesicht war blaß, ihre Augen hohl, ihre Brust hob und senkte sich in kurzen Atemstößen; es war etwas Seltsames mit ihr vorgegangen. Wie eine plötzliche Krankheit war es über sie gekommen, nicht langsam zunehmend, sondern auf einmal, wie ein Sturmwind, wie ein Orkan hatte es sie mit sich gerissen, wie eine Flamme hatte es ihr Blut erhitzt, wie ein Blitz ihre Einbildung grell geblendet. Nicht einen Augenblick hatte sie vermocht, dieser Kraft Widerstand zu leisten, die so unbarmherzig plötzlich über sie hereingebrochen war. Die Ruhe hatte sie verlassen, ihr Wille war wie ein flügellahmer Vogel …

Sie wußte selbst nicht, ob sie Ketling liebe, ob sie ihn hasse, und eine furchtbare Angst vor dieser Frage hatte sie ergriffen; aber sie fühlte, daß ihr Herz nur durch ihn in so schnellen Schlägen pochte, daß ihr Kopf so haltlos nur an ihn denke, daß alles in ihr über ihn, von ihm erfüllt war. Und es gab keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Es wäre ihr leichter gewesen, ihn nicht zu lieben, als an ihn nicht zu denken, denn ihre Augen waren von seinem Anblick trunken, ihre Ohren von seiner Stimme berauscht, ihre ganze Seele voll von ihm … Der Schlaf befreite sie nicht von diesem Aufdringlichen, denn kaum hatte sie die Augen geschlossen, so neigte sich sein Antlitz über sie und flüsterte: Du bist mir teurer als ein Königreich, als ein Szepter, als Ruhm und Reichtümer … und dieses Haupt war so nah, daß selbst in der dunklen Nacht eine blutige Röte die Stirn des Mädchens übergoß. Sie war aus Reußenland, und ihr Blut war heiß, in ihrer Brust tobten unbekannte Gluten – von deren Dasein sie bisher nichts gewußt hatte, und unter deren Feuer sie zugleich Angst und Scham und eine große Zaghaftigkeit und Schwäche ergriff, die schmerzlich und süß war. Auch die Nacht brachte ihr keine Ruhe. Es hatte sie eine immer wachsende Müdigkeit ergriffen, wie nach einer schweren Arbeit.

»Christine, Christine, was ist mit dir geschehen!« rief sie sich selber zu. Aber sie war wie in einer Betäubung und in einer beständigen Sinnlosigkeit.

Noch war nichts geschehen, hatte sich nichts ereignet. Sie hatte mit Ketling allein noch nicht zwei Worte gewechselt, und obgleich der Gedanke an ihn sie ganz und gar erfaßt hatte, so flüsterte ihr doch ein unbestimmter Instinkt beständig zu: Hüte dich, weiche ihm aus … und sie wich ihm aus.

Daß sie mit Wolodyjowski versprochen war, daran hatte sie bis jetzt nicht gedacht, und das war ihr Glück; sie hatte darum nicht daran gedacht, weil bisher nichts geschehen war, und weil sie an niemand dachte, weder an sich noch an andere, sondern nur an Ketling.

Und sie verbarg das in tiefer Seele; nur der Gedanke, daß niemand ahnte, was in ihr vorging, daß niemand sie mit Ketling in Verbindung brachte, war für sie eine große Erleichterung gewesen. Plötzlich überzeugten sie Bärbchens Worte, daß es anders sei, daß die Menschen sie schon beobachteten, daß man sie in Gedanken schon mit ihm in Verbindung bringe, daß man ahne, und so hatten Kummer, Schmach und Schmerz zusammen ihren Willen gebrochen, und sie brach wie ein kleines Kind in Tränen aus.

Bärbchens Worte aber waren nur der Anfang der unzähligen Anspielungen, der bedeutungsvollen Blicke, des Augenzwinkerns und Kopfschüttelns, und endlich all der zweischneidigen Worte, die sie über sich mußte ergehen lassen. Gleich bei Tische begann das.

Die Frau Truchseß ließ ihren Blick von ihr zu Ketling und von Ketling zu ihr hinüberschweifen, was sie vorher nicht getan hatte. Herr Sagloba hüstelte bedeutungsvoll; bisweilen ward das Gespräch unterbrochen, ohne daß man wußte warum, und es trat Schweigen ein; und einmal rief Bärbchen während einer solchen Pause in ihrer Zerstreutheit über den ganzen Tisch:

»Ich weiß etwas, aber ich sage es nicht.«

Über Christinens Gesicht ergoß sich plötzlich glühende Röte: dann wurde sie blaß, als wäre eine drohende Gefahr an ihr vorübergegangen. Auch Ketling neigte den Kopf, beide empfanden sehr wohl, daß von ihnen die Rede war, und obgleich sie jede Unterhaltung miteinander vermieden, obwohl sie sich hütete, ihn anzublicken, war es doch für beide klar, daß zwischen ihnen etwas vorgehe, daß eine unbestimmte, gemeinsame Verlegenheit entstehe, welche sie verbindet, und gleichzeitig voneinander entfernt, weil sie dadurch ihre Freiheit verlieren und einander nicht mehr gewöhnliche Freunde sein können. Zum Glück für sie hatte kein Mensch Aufmerksamkeit für Bärbchens Worte, denn Sagloba rüstete sich zu einem Gange in die Stadt und sollte in zahlreicher adliger Gesellschaft zurückkehren, und das beschäftigte alle.

Am Abend erglänzte Ketlings Häuschen in hellem Lichte. Es waren viele Offiziere gekommen und Musik, die der höfliche Wirt zur Unterhaltung der Damen bestellt hatte. Tanz konnte man zwar nicht veranstalten, denn die große Faste und Ketlings Trauer gestatteten es nicht; aber man lauschte der Kapelle und vergnügte sich durch Unterhaltung. Die Damen hatten sich prächtig gekleidet, Frau Truchseß war in orientalischer Seide erschienen, der kleine Heiduck hatte sich buntfarbig geschmückt und stach den Soldaten mit seinem rosigen Mündchen und dem hellen Stirnhaar, das alle Augenblicke über die Wimpern fiel, in die Augen, erregte Lachen durch die Entschiedenheit seiner Rede und setzte sie in Erstaunen durch ein Benehmen, in welchem kosakische Kühnheit sich mit ungezwungener Anmut paarten.

Christine, deren Trauer um den Vater zu Ende ging, trug ein weißes, silberdurchwirktes Kleid. Die Ritter verglichen sie, die einen mit Juno, die anderen mit Diana, aber keiner näherte sich ihr zu sehr, keiner strich den Schnurrbart, keiner machte Kratzfüße, keiner warf die Frackschöße in die Höhe; keiner blickte sie mit blitzenden Augen an, keiner wechselte mit ihr süße Worte. Indessen hatten sie gleich bemerkt, daß diejenigen, welche sie mit Bewunderung und Hochachtung anschauten, dann gleich auf Ketling hinblickten, daß einige an ihn herantraten und ihm die Hände drückten, als wünschten sie ihm Glück, daß er die Arme hochzog und die Hände spreizte, als wiese er etwas von sich. Christine, die von Natur scharfsinnig und wachsam war, hatte die fast sichere Überzeugung, daß sie mit ihm über sie sprächen, daß sie sie beinahe als seine Verlobte betrachteten. Und da sie nicht ahnen konnte, daß Herr Sagloba schon jedem von den Gästen etwas ins Ohr geflüstert hatte, so konnte sie nicht begreifen, woher jene Vermutungen der Leute kämen.

»Steht mir etwas auf der Stirn geschrieben?« dachte sie beunruhigt, beschämt und besorgt.

Da trafen Worte ihr Ohr, die zwar nicht an sie gerichtet waren, aber doch ihr galten: »Glücklicher Ketling! … Ein Sonntagskind … kein Wunder, er ist auch ein schöner Mann …« und so weiter.

Andere höfliche Männer, die sie unterhalten und ihr etwas Angenehmes sagen wollten, sprachen mit ihr über Ketling, lobten ihn über die Maßen, rühmten seinen Mut, seine Gefälligkeit, seine höfischen Sitten und seine hohe Geburt. Und Christine mußte wohl oder übel zuhören, und ihre Augen suchten unwillkürlich den, von dem gesprochen wurde, und begegneten oft auch seinen Augen. Da erfaßte sie der Zauber mit neuer Gewalt, und ohne es selbst zu wissen, berauschte sie sich an seinem Anblick. Denn wie sehr unterschied sich Ketling von all den rauhen soldatischen Gestalten! »Der Prinz unter seinen Hofleuten,« dachte Christine, wenn sie dieses edle, aristokratische Haupt ansah und diese ehrgeizigen, melancholischen Augen und diese Stirn, die das üppige, blonde Haar umspielte. Das Herz im Busen zitterte ihr, als wäre dies für sie das teuerste Haupt auf Erden. Er hatte es gesehen, und da er ihre Verwirrung nicht vergrößern wollte, näherte er sich ihr nur, wenn auch ein anderer neben ihr saß. Wäre sie eine Königin gewesen, er hätte sie nicht mit größerer Zartheit umgeben können, als er es tat. Wenn er zu ihr sprach, neigte er den Kopf und zog einen Fuß zurück, als ob er andeuten wollte, daß er jeden Augenblick niederzuknieen bereit sei, und er sprach mit Würde, nie scherzend, obgleich er mit Bärbchen gern scherzte. In seinem Umgang mit ihr lag bei der größten Verehrung eher ein Schein süßer Traurigkeit. Dank dieser Würde wagte auch kein anderer irgend ein zu deutliches Wort, irgend einen zu kühnen Scherz, als hätte sich allen die Überzeugung mitgeteilt, daß sie ein Mädchen sei, das an Wert und Geburt alle anderen überstrahlte, der man nie artig genug entgegenkommen könne.

Christine war ihm dafür von Herzen dankbar. Im ganzen verfloß dieser Abend für sie angstvoll, aber angenehm. Als die Mitternacht herankam, hörte die Kapelle auf zu spielen, die Damen verließen die Gesellschaft, und unter den Rittern begann der Becher zu kreisen, und die Unterhaltung, in welcher Sagloba die Würde des Hetmans übernommen hatte, lauter zu werden. Bärbchen begab sich auf ihr Zimmer, lustig wie ein Vogel, denn sie hatte sich vortrefflich unterhalten. Ehe sie zum Abendgebet niederkniete, begann sie übermütig die verschiedenen Gäste nachzuahmen, und sagte endlich in die Hände klatschend zu Christine:

»Vortrefflich, daß dein Ketling gekommen ist, nun werden wir wenigstens an Soldaten keinen Mangel haben. O, laß nur erst die Fastenzeit zu Ende gehen, dann tanze ich auf den Tod, dann wollen wir lustig sein, und auf deiner Verlobung mit Ketling und auf deiner Hochzeit – ei, wenn ich das Haus nicht auf den Kopf stelle, so sollen mich die Tataren fortschleppen. Wie wäre es, wenn sie uns so fortschleppten? das wäre lustig, ha! Der liebe Ketling! Für dich hat er die Musikanten kommen lassen, aber ich genieße mit. Er wird für dich immer neue Wunder schaffen, bis er endlich so machen wird! …« Dabei fiel Bärbchen plötzlich vor Christine auf die Kniee, umfaßte ihre Hüften mit ihren Armen, und indem sie Ketlings Stimme nachahmte, begann sie:

»Mein Fräulein! Ich liebe Euch so, daß ich nicht atmen kann … Ich liebe Euch zu Fuß und zu Pferde, nüchtern und nach der Mahlzeit, ich liebe Euch schottisch und auf ewige Zeiten … Wollt Ihr die Meine werden?«

»Bärbchen, ich werde böse!« rief Christine.

Aber anstatt böse zu werden, faßte sie sie in ihre Arme, und während sie tat, als ob sie sie vom Boden aufheben wollte, küßte sie sie auf beide Augen.

7. Kapitel

Sagloba wußte sehr genau, daß der kleine Ritter mehr zu Christine als zu Bärbchen hinneige, aber gerade darum hatte er sich vorgenommen, Christine beiseite zu schieben. Er kannte Wolodyjowski durch und durch und war überzeugt, daß er, wenn ihm keine Wahl bliebe, sich unzweifelhaft Bärbchen zuwenden würde, in die der alte Graukopf selbst so blind vernarrt war, daß in seinem Kopfe der Gedanke gar nicht Raum finden konnte, wie irgend jemand ihr eine andere vorziehen könne. Er redete sich auch ein, er könne Wolodyjowski keinen größeren Dienst erweisen, als wenn er ihn mit dem kleinen Heiducken verlobe, und er schwamm in Wonne bei dem Gedanken an diese Ehe. Wolodyjowski zürnte er, Christinen auch; es war ihm zwar lieber, daß Michael Christine heirate, als daß er ledig blieb, aber er nahm sich selbst vor, alles zu tun, um ihn mit dem kleinen Heiducken zu verheiraten.

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