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Der kleine Ritter
Er wird bald wiederkommen, dachte Christine, und sie griff zu dem Stickrahmen, und begann ein goldenes Kästchen zu sticken, welches sie Herrn Michael für die Reise schenken wollte. Aber immer wieder hob sie ihre Augen von der Arbeit auf und ließ sie bis zu der Danziger Uhr hinschweifen, die in der Ecke von Ketlings Wohnzimmer stand und mit gemessenem Ernste tickte.
Aber eine Stunde um die andere verging, und Michael ließ sich nicht sehen.
Das Mädchen legte ihre Arbeit in den Schoß, kreuzte die Arme und sagte leise: »Er fürchtet sich; aber ehe er Mut faßt, können sie wieder hier sein, und wir haben uns nichts gesagt, oder Herr Sagloba erwacht …«
In diesem Augenblick schien es ihr, als hätten sie wirklich über eine ernste Angelegenheit zu sprechen, die durch Wolodyjowskis Schuld verzögert werden könnte.
Endlich wurden Schritte in dem Nachbarzimmer vernehmbar. »Er geht hin und her,« sagte das Mädchen und begann wieder fleißig zu sticken.
Wolodyjowski ging wirklich hin und her; er schritt das Zimmer auf und ab und wagte nicht einzutreten. Unterdessen rötete sich die Sonne immer mehr und neigte sich zum Untergang.
»Herr Michael!« rief plötzlich Christine.
Er trat ein und traf sie bei der Arbeit.
»Ihr habt mich gerufen, Fräulein?«
»Ich wollte nur wissen, ob nicht ein Fremder dort herumgeht … Ich bin seit zwei Stunden hier allein.«
Wolodyjowski rückte einen Stuhl heran und setzte sich auf den Rand desselben. Es ging eine lange Zeit vorüber; er schwieg, rückte nur ein wenig mit den Füßen und näherte sich immer mehr dem Tische. Christine hörte auf zu sticken und erhob die Augen zu ihm. Ihre Blicke trafen sich, und plötzlich ließen beide die Augen sinken.
Als Wolodyjowski sie wieder emporrichtete, fielen auf Christinens Gesicht die letzten Sonnenstrahlen; sie war schön in deren Glanze. Ihre Haare blitzten wie goldig.
»In einigen Tagen werdet Ihr abreisen,« sagte sie so leise, daß Michael es kaum hören konnte.
»Es kann nicht anders sein.«
Und wieder trat ein Schweigen ein, das Christine endlich brach.
»Ich habe in den letzten Tagen gedacht, daß Ihr mir böse seid!«
»O Gott,« rief Wolodyjowski, »ich wäre nicht würdig, einen Blick von Euch zu empfangen, wenn ich dies getan hätte. Aber nicht das war es.«
»Was war es denn?« fragte Christine und richtete wieder ihre Augen auf ihn.
»Ich will aufrichtig sprechen, denn ich denke, die Aufrichtigkeit ist immer mehr wert als die Verstellung. Aber … aber das vermag ich nicht auszusprechen, wieviel Trost Ihr mir ins Herz gegossen habt, und wieviel Dankbarkeit ich für Euch empfunden habe!«
»O, daß es doch immer so bliebe!« antwortete Christine, indem sie über der Arbeit die Hände kreuzte.
Und Michael erwiderte in tiefer Traurigkeit:
»O, wenn es doch, wenn es doch so bliebe! Aber mir hat Herr Sagloba gesagt – ich spreche zu Euch wie zu einem Priester – mir hat Sagloba gesagt, daß die Freundschaft mit Frauen ein gefährlich Ding ist, denn leicht, wie die Glut unter der Asche, kann sich ein heißeres Gefühl darunter verbergen. Ich aber habe gedacht, Sagloba könne recht haben und – verzeiht, Fräulein, einem schlichten Soldaten, ein anderer würde es vielleicht feiner sagen können – mir, mir blutet das Herz, daß ich Euch in den letzten Tagen zurückgesetzt habe … Und das Leben wird mir schwer, schwer.«
Bei diesen Worten bewegte sich Michaels Schnurrbart so schnell hin und her, wie kein Käfer seine Fühlhörner bewegt.
Christine ließ den Kopf sinken, und zwei kleine Tränen flossen über ihre Wangen.
»Wenn Euch das Ruhe geben kann, und Ihr glaubt, daß meine schwesterliche Neigung nichts nütz ist, so will ich sie verbergen …«
Und wieder flossen zwei Tränen über ihre rosigen Wangen. Aber dieser Anblick zerriß Michael das Herz.
Er sprang auf Christine zu und ergriff ihre Hände. Ihr Stickrahmen fiel von ihrem Schoß bis in die Mitte des Zimmers; der Ritter aber achtete nicht darauf, er drückte nur die warmen, weichen Sammethände an seine Lippen und wiederholte:
»Weint nicht, Fräulein, um Gottes willen, weint nicht!«
Er hörte aber auch nicht auf, die Hände zu küssen, als Christine, wie das Menschen zu tun pflegen, wenn sie Kummer haben, ihre Hände auf dem Kopfe zusammenlegte; im Gegenteil, er küßte sie um so heißer, bis die Wärme, die aus Kopf und Stirn strahlte, ihn wie Wein berauschte und seine Sinne verwirrte.
Dann wußte er selbst nicht, wie und wann seine Lippen auf ihre Stirn geraten waren und sie noch heißer küßten. Dann gelangten sie auf ihre weinenden Augen, und alles tanzte um ihn her. Dann fühlte er jenen zarten, weichen Flaum über ihrem Munde, dann berührten sich ihre Lippen und drückten sich lang und kräftig aneinander. Es wurde still im Zimmer, nur die Uhr tickte in gemessenem Ernste.
Plötzlich hörte man im Flur Bärbchen trampeln, und ihre kindliche Stimme rief:
»Die Kälte, die Kälte!«
Wolodyjowski sprang von Christine zurück wie ein Luchs, der von seinem Opfer aufgescheucht wird, und in diesem Augenblick stürzte Bärbchen lärmend ins Zimmer und wiederholte unaufhörlich:
»Die Kälte, die Kälte!«
Da stolperte sie plötzlich über den Stickrahmen, welcher mitten im Zimmer lag; sie blieb stehen und blickte verwundert bald auf das Körbchen, bald auf Christine, bald auf den kleinen Ritter und sagte:
»Was, habt Ihr aufeinander gezielt wie mit dem Wurfspieß?«
»Und wo ist Tantchen?« fragte Fräulein Drohojowska, indem sie sich bemühte, aus ihrer wogenden Brust einen ruhigen, natürlichen Ton hervorzubringen.
»Tantchen kriecht aus dem Schlitten heraus,« antwortete gleichfalls mit veränderter Stimme Bärbchen, und ihre beweglichen Nasenflügel gingen lebhaft hin und her. Sie blickte noch einige Male auf Christine und Herrn Wolodyjowski, der inzwischen das Körbchen aufgehoben hatte; dann ging sie plötzlich aus dem Zimmer.
Aber in diesem Augenblick schleppte sich die Frau Truchseß durch die Tür; auch Sagloba kam von oben herunter, und das Gespräch kam auf die Frau Kämmerer von Lemberg.
»Ich habe gar nicht gewußt, daß sie die Patin des Herrn Nowowiejski ist,« sagte die Frau Truchseß, »der ihr viel gebeichtet haben muß, denn sie hat Bärbchen furchtbar mit ihm aufgezogen.«
»Und was hat Bärbchen gesagt?« fragte Sagloba.
»Ei was, Bärbchen, der Springinsfeld. Sie hat der Frau Kämmerer gesagt, er habe keinen Bart und ich keinen Verstand, und Gott wisse, wer von uns zuerst dazu komme.«
»Das wußte ich wohl, daß sie ihre Zunge nicht verlieren würde, aber wer weiß, was sie in Wirklichkeit denkt? Frauenlist!«
»Wie das Herz denkt, so spricht die Zunge – so steht's mit Bärbchen! Übrigens habe ich Euch schon gesagt, daß sie Gottes Willen noch nicht empfindet; eher Christine.«
»Tantchen!« sagte plötzlich Christine.
Das weitere Gespräch verhinderte ein Diener, welcher ankündigte, daß das Abendbrot bereit sei. Sie gingen also alle in das Speisezimmer; nur Bärbchen war nicht da.
»Wo ist Bärbchen?« fragte die Frau Truchseß den Diener.
»Das Fräulein ist im Stall. Ich habe dem Fräulein gesagt, daß das Abendbrot da sei; das Fräulein sagte »Gut!« und ging in den Stall.«
»Sollte ihr etwas Unangenehmes begegnet sein? Sie war so lustig,« sagte Frau Makowiezka zu Sagloba gewendet. Da sagte der kleine Ritter, der ein unruhiges Gewissen hatte:
»Ich will nach ihr sehen.«
Und er ging hinaus; er fand sie wirklich gleich an der Stalltür auf einem Bund Heu sitzend. Sie war so in Gedanken versunken, daß sie ihn gar nicht bemerkte, als er eintrat.
»Fräulein Barbara!« sagte der kleine Ritter und neigte sich über sie.
Bärbchen fuhr zusammen, als sei sie aus dem Schlafe erwacht, und erhob zu ihm die Augen, in welchen Wolodyjowski zu seinem größten Erstaunen zwei Tränen, groß wie Perlen, bemerkte.
»Ums Himmels willen, was ist Euch, Fräulein, Ihr weint?«
»Ich denke gar nicht daran!« rief Bärbchen aufspringend, »ich denke gar nicht daran, – das kommt von der Kälte.«
Und sie lachte heiter; aber dieses Lachen war ein wenig erzwungen. Dann zeigte sie, um die Aufmerksamkeit von sich abzulenken, auf ein Gitter, hinter welchem der Apfelschimmel stand, den Wolodyjowski von dem Hetman zum Geschenk erhalten hatte, und sagte lebhaft:
»Ihr habt gesagt, man könne zu diesem Pferde nicht hineingehen? Wir wollen doch sehen.«
Und ehe Michael sie zurückhalten konnte, sprang sie über das Gitter. Das wilde Tier begann sogleich sich zu bäumen, mit den Füßen auszuschlagen und die Ohren zu senken.
»Um Gottes willen, er kann Euch töten!« schrie Wolodyjowski und sprang ihr nach.
Aber Bärbchen hatte schon begonnen, mit der flachen Hand dem Apfelschimmel auf den Hals zu klopfen und wiederholte: »Mag er mich töten, mag er mich töten!«
Das Pferd aber wendete ihr die dampfenden Nüstern zu und wieherte leise, als freue es sich der Liebkosung.
5. Kapitel
Nichts waren alle Nächte, die Wolodyjowski durchlebt hatte, im Vergleich zu der, die er nach jenem Ereignis mit Christine verbrachte. Er hatte das Angedenken seiner Verstorbenen verraten, deren Erinnerung er doch liebte; er hatte das Vertrauen dieser Lebenden getäuscht, die Freundschaft mißbraucht; er war Verpflichtungen eingegangen, er hatte gehandelt wie ein gewissenloser Mensch. Mancher andere Soldat hätte sich aus einem solchen Kuß nichts gemacht, er hätte bei der Rückerinnerung an ihn höchstens seinen Bart gedreht; aber Wolodyjowski war, besonders seit Ännchens Tode, sehr peinlich, wie jeder Mensch, dessen Seele von Schmerz erfüllt, dessen Herz zerrissen ist. Was blieb ihm nun zu tun? Wie sollte er handeln?
Es fehlten nur noch wenige Tage zu seiner Abreise, zu der Abreise, die alles zerstören und beendigen konnte. Aber ziemte es sich, davonzugehen und Christine nicht ein Wort zu sagen, sie so zurückzulassen, wie man das erste beste Mädchen zurückläßt, der man einen Kuß gestohlen hat? Gegen diesen Gedanken sträubte sich das tapfere Herz des kleinen Ritters. Selbst in dem Widerstreit, in dem er sich in diesem Augenblick befand, erfüllte ihn der Gedanke an Christine mit Wonne, und die Erinnerung an jenen Kuß durchrieselte ihn mit einem Schauer der Wollust. Es erfaßte ihn eine Wut gegen sich selbst, und doch konnte er sich gegen dies Gefühl der Seligkeit und Wonne nicht wehren. Übrigens nahm er die ganze Schuld auf sich.
»Ich habe Christine dazu verleitet,« wiederholte er mit Bitterkeit und Schmerz, »ich habe sie dazu verleitet, deshalb geziemt es mir auch, nicht abzureisen, ohne ein Wort zu sprechen.«
Wie also? Christine einen Antrag machen und als ihr Verlobter in die Ferne ziehen?
Hier erstand vor den geistigen Augen des kleinen Ritters, in weißer Kleidung und selbst ganz weiß, wie aus Wachs geformt, die Gestalt Ännchen Borschobohatas, ganz so, wie er sie in den Sarg gelegt hatte.
»Das kommt mir zu,« sagte jene Gestalt, »daß du mich beweinst und mir nachtrauerst. Erst wolltest du Mönch werden, mich das ganze Leben hindurch beweinen, nun nimmst du eine andere, ehe mein kleines Seelchen zu den Toren des Himmels hinaufzuschweben vermocht. Ach warte, laß mich erst in den Himmel gelangen, laß mich aufhören, diese Erde zu sehen!«
Und es schien ihm, als sei er ein Meineidiger dieser reinen Seele gegenüber, deren Andenken er ehren und bewahren sollte wie ein Heiligtum. Es erfaßte ihn ein unermeßlicher Schmerz, Scham und Selbstverachtung. Er sehnte sich nach dem Tode.
»Ännchen,« wiederholte er auf den Knieen, »ich werde nicht aufhören dich zu beweinen bis in den Tod; aber was soll ich jetzt tun?«
Die weiße Gestalt antwortete nichts, sie entflatterte wie leichter Nebel, und dafür erschienen in der Phantasie des Ritters Christinens Augen und ihre Lippen, von leichtem Flaum bedeckt, und mit ihnen die Versuchungen, die der arme Kämpfer von sich abschüttelte wie die Pfeile der Tataren.
So schwankte das Herz des Ritters nach beiden Seiten in Ungewißheit, Gram und Qual. Manchmal kam ihm der Gedanke, zu Sagloba zu gehen, ihm alles zu bekennen und diesen Mann um Rat zu fragen, dessen Verstand alle Schwierigkeiten zu überwinden schien. Hatte er doch alles vorausgesehen, alles vorausgesagt, was es heiße, mit den Weibern Freundschaft pflegen.
Aber gerade diese Rücksicht hielt den kleinen Ritter zurück. Er erinnerte sich, wie streng er Sagloba zugerufen hatte: »Beleidigt Christine nicht!« Und nun, wer hatte Christine gekränkt? Wer dachte jetzt darüber nach, ob es nicht besser sei, sie wie ein beliebiges Mädchen zurückzulassen und davonzugehen?
»Wäre es nicht um jene Ärmste, so würde ich mich keine Minute bedenken,« sagte der kleine Ritter zu sich, »und ich würde mich auch gar nicht kränken, im Gegenteil, ich würde mich in der Seele freuen, daß ich solch einen Schatz gekostet habe.«
Nach einer Weile aber murmelte er:
»Ich würde ihn gern noch tausendmal kosten!«
Da er jedoch sah, daß ihn die Versuchung von neuem anfocht, schüttelte er sie von sich ab und begann zu erwägen:
»Es ist geschehen. Da ich nun einmal gehandelt habe wie jemand, der nicht Freundschaft begehrt, sondern auf Cupidos Genüsse hofft, so muß ich schon diesen Weg weitergehen und Christine sagen, daß ich sie nehmen will.«
Hier sann er einen Augenblick nach, dann fuhr er weiter fort:
»… durch welche Erklärung auch die Vertraulichkeit von heute vollkommen den Charakter der Ehrbarkeit annimmt, und morgen kann ich mir dann schon neue erlauben …«
Hier schlug er sich mit der Hand auf den Mund.
»Pfui,« sagte er, »da sitzt mir ein ganzes Regiment Teufel im Nacken.«
Aber der Gedanke der Erklärung ließ ihn nicht mehr los; er machte sich einfach klar, daß, wenn er dadurch der geliebten Verstorbenen zu nahe träte, er sie durch Messen und Frömmigkeit versöhnen könne, wodurch er ihr zugleich beweisen würde, daß er ihrer stets gedenke und zu gedenken nicht aufhören werde.
Im übrigen, wenn sich auch die Menschen wundern werden, wenn sie darüber lachen werden, daß er vor einigen Wochen noch vor Traurigkeit ein Mönch werden wollte, und daß er jetzt schon einer zweiten seine Liebe erklärt, so würde die Schande doch nur auf ihn fallen, während im entgegengesetzten Falle die unschuldige Christine Schande und Schuld mit ihm teilen müßte.
»Ich will mich also morgen erklären, es kann nicht anders sein,« sagte er endlich.
Das beruhigte ihn sehr; er sprach sein Gebet für Ännchen mit großer Andacht und schlief ein.
Als er am anderen Morgen erwachte, wiederholte er:
»Heute will ich mich erklären.«
Aber das war nicht so einfach, denn Michael wollte es nicht allen kundgeben, er wollte zuvor mit Christine sprechen und nachher handeln, wie es sich ergeben würde. Indessen kam schon am anderen Morgen Nowowiejski und war überall.
Christine ging in seltsamer Stimmung den ganzen Tag umher; sie war blaß, müde und hielt die Augen zu Boden gerichtet; bisweilen errötete sie bis über die Stirn, bisweilen zitterten ihre Lippen, als wollten sie weinen; dann wieder war sie wie schläfrig und abwesend.
Dem Ritter wurde es schwer, sich ihr zu nähern, besonders aber längere Zeit mit ihr unter vier Augen zu bleiben. Er hätte sie ja aus dem Hause zu einem Spaziergang begleiten können, denn das Wetter war herrlich, und er hätte das auch früher ohne Skrupel getan; aber jetzt wagte er es nicht, es war ihm, als müßten alle gleich erraten, was vorging – alle gleich merken, daß er vor der Erklärung stehe.
Zum Glück trat Nowowiejski für ihn ein; er führte die Frau Truchseß zur Seite und unterhielt sich mit ihr sehr lange. Dann kamen sie beide ins Zimmer zurück, in welchem der kleine Ritter mit den beiden Damen und mit Herrn Sagloba saß, und die Frau Truchseß sagte:
»Ei, ihr Jungen solltet zu zwei Paaren eine Schlittenfahrt machen, der Schnee leuchtet nur so unter der Sonne.«
Da neigte Wolodyjowski sich schnell zu Christinens Ohr und sagte:
»Ich bitte Euch, Fräulein, mit mir einen Schlitten zu besteigen … ich habe so viel auf dem Herzen.«
»Gut,« antwortete Fräulein Drohojowska. Sie eilte mit Nowowiejski in den Stall, Bärbchen folgte ihnen, und in wenigen Minuten fuhren zwei Schlitten vor dem Hause vor. Wolodyjowski und Christine bestiegen den einen, Nowowiejski und der kleine Heiduck den zweiten, und sie fuhren los ohne Kutscher.
Da wandte sich Frau Makowiezka zu Sagloba und sagte: »Nowowiejski hat um Bärbchen angehalten.«
»Wie das?« fragte Sagloba beunruhigt.
»Die Frau Kämmerer von Lemberg, seine Patin, soll morgen hierher kommen, um mit mir zu sprechen; nun hat mich Herr Nowowiejski gebeten, sich wenigstens ungefähr mit Bärbchen verständigen zu dürfen, denn er sieht wohl selbst ein, daß, wenn Bärbchen ihm nicht wohlgesinnt ist, alle Bemühungen und Bewerbungen vergeblich sein werden.«
»Und darum habt Ihr die Schlittenfahrt angeordnet?«
»Darum. Mein Mann ist äußerst peinlich; oft hat er mir gesagt: »Das Vermögen will ich verwalten, aber den Mann mag sich jede selbst wählen; wenn er brav ist, will ich nichts dagegen haben, wenn auch in den Verhältnissen ein Unterschied sein sollte.« Im übrigen: Bärbchen und Christine sind in dem Alter und können über sich verfügen.«
»Und was gedenkt Ihr der Frau Kämmerer von Lemberg zu antworten?«
»Mein Mann kommt im Mai her, ich werde es ihm überlassen; aber ich denke, wenn Bärbchen will, so geschieht's.«
»Nowowiejski ist sehr jung.«
»Aber Michael hat gesagt, daß er ein ausgezeichneter, durch Kriegstaten berühmter Soldat sei. Er hat ein ansehnliches Vermögen, und seine Beziehungen hat mir die Frau Kämmerer alle auseinandergesetzt. Seht Ihr, das ist so: sein Urgroßvater, von der Fürstin Sieniut geboren, war in erster Ehe …«
»Aber was gehen mich seine verwandtschaftlichen Beziehungen an!« unterbrach Sagloba; er vermochte seine schlechte Laune nicht zu verbergen. »Er ist mir weder Bruder noch Schwester, und ich sage Euch, ich habe den kleinen Heiducken für Michael bestimmt; denn wenn es unter den Mädchen, die auf zwei Beinen in dieser Welt umherlaufen, eine Bessere und Bravere gibt als sie, so will ich von diesem Augenblick anfangen, als Ursus auf allen vieren zu laufen!«
»Michael denkt an so etwas gar nicht, und wenn er auch daran dächte, so sticht ihm Christine mehr in die Augen … Je nun, Gott wird es fügen, seine Wege sind unerforschlich!«
»O, wenn dieser Milchbart mit einem Korbe davonginge, ich würde mich vor Freude betrinken!« fügte Sagloba hinzu.
Inzwischen wurden in beiden Schlitten die Schicksale der Ritter bestimmt. Wolodyjowski konnte lange das Wort nicht finden; endlich begann er:
»Glaubt nicht, Fräulein, ich sei ein leichtsinniger Mensch, ein Windbeutel; ich bin auch nicht mehr in den Jahren …«
Christine antwortete nichts.
»Verzeiht mir, was ich gestern getan habe, denn das geschah aus so außerordentlicher Zuneigung zu Euch, daß ich es gar nicht unterdrücken konnte … Mein liebes Fräulein, meine geliebte Christine, erwägt, wer ich bin! Ich bin ein schlichter Kriegsmann, dem das Leben im Kampfe dahinfloß; … Ein anderer hätte erst eine Rede gehalten, dann wäre er vertraulicher geworden, – ich habe bei den Vertraulichkeiten angefangen … Bedenkt auch das; wenn ein Pferd, selbst ein zugerittenes, mit dem Reiter manchmal aufbäumt und mit ihm durchgeht – wie sollte die Liebe nicht mit uns durchgehen, die Liebe, deren Gewalt größer ist. So ist auch die Liebe mit mir durchgegangen, eben darum, weil Ihr mir teuer seid … Meine geliebte Christine, du bist eines Burgvogts, eines Senators würdig; wenn du aber den Kriegsmann nicht verachtest, der, wenn auch nicht hohen Standes, dem Vaterland nicht ohne Ruhm gedient hat, so liege ich hier zu deinen Füßen, küsse deine Füße und frage: willst du mich? Kannst du freundlich an mich denken?«
»Herr Michael!« antwortete Christine, und ihre Hand glitt aus dem Ärmel und sank in die Hände des Ritters.
»Du willst?« fragte Wolodyjowski.
»Ich will!« antwortete Christine, »und ich weiß, daß ich einen Braveren im ganzen Lande nicht hätte finden können.«
»Gott lohne es dir, Gott lohne es dir, Christinchen!« sagte der Ritter und bedeckte die Hand mit Küssen. »Kein größeres Glück hätte mir begegnen können! Sage mir nur, daß du nicht zürnest für die Vertraulichkeiten von gestern, damit auch mein Gewissen Ruhe habe.«
Christine senkte die Augen. »Ich zürne nicht,« sagte sie.
Eine Zeitlang fuhren sie schweigend dahin; die Eisen knirschten im Schnee, und unter den Hufen der Pferde stoben die Schollen wie Hagel.
Dann begann Wolodyjowski von neuem:
»Ist es nicht seltsam, daß du mich lieb hast?«
»Weit seltsamer,« erwiderte Christine, »daß Ihr mich so schnell lieb gewonnen habt.«
Da wurde Wolodyjowskis Antlitz ernst, und er begann zu sprechen:
»Christine, vielleicht erscheint es auch dir schlecht, daß ich kaum den Schmerz um die eine überwunden und schon eine andere liebe. Ich bekenne dir auch, als ob ich beichtete, daß ich einstmals leichtsinnig war. Aber jetzt ist es anders; ich habe jene Verstorbene nicht vergessen, und ich werde sie nicht vergessen. Ich liebe sie noch heute, und wenn du wüßtest, wieviel Leid ich um sie trage, du würdest selbst um mich leiden.«
Hier versagte dem kleinen Ritter die Stimme, denn er war sehr erschüttert und bemerkte vielleicht darum nicht, daß diese seine Worte auf Christine keinen zu großen Eindruck zu machen schienen.
Und wieder herrschte Schweigen. Dieses Mal unterbrach es Christine:
»Ich werde mich bemühen, Euch zu trösten, so gut ich kann.«
»Eben darum habe ich dich so schnell lieb gewonnen, weil du vom ersten Tage an begannst, meine Wunden zu verbinden. Was war ich dir? Nichts! Aber du gingst ans Werk, weil du im Herzen Mitleid mit dem Unglückseligen hattest. O, ich verdanke dir viel, sehr viel! Wer das nicht weiß, wird mich vielleicht tadeln, daß ich im November Mönch werden wollte und im Dezember zum Altar schreiten will. Sagloba wird der erste sein, der mich verspottet, denn er treibt gern seine Possen, wenn sich Gelegenheit bietet; aber mag er immerhin spotten, ich kehre mich nicht daran, besonders weil der Tadel nicht dich trifft, sondern mich …« sagte der kleine Ritter.
Hier blickte Christine gen Himmel und wurde nachdenklich; endlich erwiderte sie:
»Müssen wir durchaus den Menschen von unserem Bunde Kunde geben?«
»Wie anders?«
»Ihr reist doch in wenigen Tagen fort?«
»Wenn auch ungern – ich muß!«
»Und ich trage Trauerkleider für den verstorbenen Vater. Wozu den Leuten Gelegenheit zur Verwunderung geben? Mag es zwischen uns feststehen, und mögen die Menschen nicht eher etwas davon erfahren, als bis Ihr aus Reußen zurückkehrt. Nicht wahr?«
»So soll ich auch der Schwester nichts sagen?«
»Ich will es ihr selbst sagen, aber erst nach Eurer Abreise.«
»Und Herr Sagloba?«
»Herr Sagloba würde an mir Armen seinen Witz auslassen, sagen wir lieber nichts; auch Bärbchen würde mir zusetzen, und sie ist ohnehin in der letzten Zeit so merkwürdig und hat so veränderliche Launen wie nie zuvor. Lieber gar nichts sagen!«
Hier hob Christine wieder ihre dunkelblauen Augen gen Himmel:
»Gott ist unser Zeuge, und die Menschen brauchen es nicht zu wissen.«
»Ich sehe, daß dein Verstand deiner Schönheit gleichkommt. Gut denn, Gott sei unser Zeuge – Amen! Lehne dich mit deinem Arm an mich, denn da das Versprechen feststeht, gestattet es auch die Sitte. Fürchte dich nicht; was ich gestern tat, könnte ich heut' nicht tun, selbst wenn ich es wollte, denn ich muß auf die Pferde acht haben.«
Christine genügte dem Wunsche des Ritters, und dieser sagte weiter:
»Immer, wenn wir allein sein werden, nenne mich mit dem Vornamen.«
»Es wird mir schwer,« antwortete sie lächelnd, »ich werde den Mut nicht haben.«
»Und ich habe den Mut gehabt.«
»Ja, Ihr seid ein Ritter, Ihr seid tapfer, Ihr seid ein Soldat …«
»Christinchen, meine liebe, liebe …«
»Mich …«
Aber Christine wagte nicht, das Wort zu beenden, und bedeckte ihr Gesicht mit dem Ärmel. Nach einiger Zeit wendete Michael den Schlitten, um heimzufahren; sie sprachen nicht mehr viel unterwegs, nur beim Umwenden sagte der kleine Ritter noch:
»Und gestern … weißt du? Warst du sehr betrübt?«
»Verschämt und betrübt, aber … ein seltsames Gefühl,« fügte sie leiser hinzu.
Und bald machten sie gleichgültige Gesichter, damit niemand erkenne, was zwischen ihnen vorgegangen.
Aber diese Vorsicht war überflüssig, es achtete niemand ihrer.
Sagloba und die Frau Truchseß waren zwar in den Flur hinausgelaufen, den beiden Paaren entgegen, aber ihre Augen waren nur auf Bärbchen und Nowowiejski gerichtet.
Bärbchen war hochgerötet – ob vor Kälte oder vor Rührung, konnte niemand sagen – und Nowowiejski war verstimmt. Er nahm auch gleich im Flur Abschied von der Frau Truchseß; vergeblich redete sie ihm zu, dazubleiben, auch Wolodyjowski, der bei vortrefflicher Laune war, bat ihn, zum Abendbrot zu bleiben, er entschuldigte sich mit Dienstpflicht und fuhr davon.