bannerbanner
Der kleine Ritter
Der kleine Ritter

Полная версия

Der kleine Ritter

Язык: Немецкий
Год издания: 2017
Добавлена:
Настройки чтения
Размер шрифта
Высота строк
Поля
На страницу:
11 из 12

Und gerade weil ihm bekannt war, wie der kleine Ritter sich zu Fräulein Drohojowska hingezogen fühlte, wollte er nun so schnell wie möglich eine Frau Ketling aus ihr machen. Aber die Antwort, die er etliche Tage später von Skrzetuski erhielt, machte ihn in seiner Annahme ein wenig schwankend. Skrzetuski riet ihm, seine Hand davon zu lassen, denn er fürchtete, daß im anderen Falle Zwistigkeiten zwischen den Freunden entstehen könnten. Das wünschte auch Sagloba nicht, und so wurden in ihm gewisse Vorwürfe laut, die er etwa so zu beruhigen bemüht war:

»Wenn Michael und Christine sich einander versprochen hätten, und wenn ich dann Ketling wie einen Keil zwischen sie hineintriebe, so würde ich nichts sagen! Der weise Salomo sagt: stecke deine Nase nicht in fremde Dinge – und er hat recht; aber wünschen darf ein jeder. Übrigens, was habe ich eigentlich getan? – das soll mir jemand sagen, was?«

Dabei stemmte Sagloba die Hände in die Seite, schob die Lippe vor, blickte herausfordernd auf die Wände seines Zimmers, als erwarte er von diesen Vorwürfe; da aber die Wände nichts antworteten, sprach er selbst weiter:

»Ich habe Ketling gesagt, daß ich den kleinen Heiducken für Michael bestimme; soll ich dazu kein Recht haben? Ist es etwa nicht wahr? Wenn ich Michael etwas anderes wünsche, so soll mich das Podagra kneipen!«

Die Wände drückten ihm durch vollkommenes Schweigen ihre Zustimmung aus. Er aber fuhr fort:

»Ich habe dem kleinen Heiducken gesagt, Ketling sei von Fräulein Drohojowska verwundet; – ist es etwa nicht wahr? Hat er es nicht zugestanden, hat er nicht geseufzt, als er vor dem Ofen saß, so daß die Asche ins Zimmer flog? Und was ich gesehen habe, habe ich den anderen erzählt. Skrzetuski ist ein Realist, aber auch mein Witz ist nicht für die Katze, ich weiß allein, was man sagen darf, und was man lieber verschweigt … Hm, er schreibt, ich solle die Hände davonlassen! Das kann geschehen, ich will meine Hände davonlassen, aber wenn wir mal zu dreien, Christine, Ketling und ich, im Zimmer bleiben, so will ich hinausgehen und sie allein lassen, mögen sie ohne mich fertig werden – bah, ich denke, sie werden sich zu helfen wissen, sie brauchen gar keine Hilfe, denn ohnehin drängt's einen zum anderen, daß ihnen die Augen flimmern. Und zum Überfluß kommt der Frühling, wo nicht bloß die Sonne, sondern auch die menschlichen Triebe heftiger zu brennen beginnen … Nun gut, ich will es lassen, aber wir wollen sehen, welchen Erfolg es haben wird …«

Der Erfolg sollte sich in kurzem zeigen. In der Karwoche zog die ganze Gesellschaft aus Ketlings Hause nach Warschau und nahm im Gasthaus an der Langen Straße Wohnung, um in der Nähe der Kirchen zu sein und nach Herzenslust an der Andacht teilzunehmen, gleichzeitig aber auch die Augen an dem Festtrubel der Stadt zu weiden.

Ketling spielte auch hier den Wirt, denn obgleich Ausländer von Geburt, kannte er doch die Hauptstadt am besten und hatte überall Bekannte, durch die er alles leichter erreichen konnte. Er übertraf sich in Höflichkeiten und erriet fast die Gedanken der Gefährtinnen, besonders Christinens. Sie gewannen ihn auch alle aufrichtig lieb. Frau Makowiezka, die von Sagloba schon vorbereitet war, blickte auf ihn und auf Christine mit immer freundlicherem Auge, und wenn sie bisher kein Wort mit dem Mädchen gesprochen hatte, so war es nur geschehen, weil auch er immer noch schwieg. Aber es erschien dem braven »Tantchen« als eine so natürliche und geziemende Sache, daß der junge Ritter um das Fräulein werbe, besonders weil es sich um einen wahrhaft glänzenden Kavalier handelte, dem auf Schritt und Tritt Zeichen der Hochachtung und Freundschaft entgegengebracht wurden, nicht bloß von Niederen, sondern auch von Höheren. So verstand er durch seine wahrhaft wunderbare Schönheit und feine Sitte, durch Würde, Freigebigkeit, durch Milde im Frieden, durch Tapferkeit im Kriege alle Herzen zu gewinnen.

»Wie Gott geben und mein Mann beschließen wird, soll es werden,« dachte die Frau Truchseß bei sich, »aber ich will ihnen nicht hinderlich sein.«

Dank dieser Anschauung der Frau Truchseß war Ketling jetzt häufiger und länger mit Christine zusammen als im eigenen Hause.

Sagloba reichte gewöhnlich der Frau Truchseß selber den Arm, Ketling Christinen, und Bärbchen als die jüngste ging allein, bald ein Stück vorauseilend, bald vor den Schaukästen stehen bleibend, um die Waren und mannigfachen ausländischen Wunderdinge anzuschauen, die sie bisher nirgends gesehen hatte. Christine gewöhnte sich allmählich an Ketling, und wenn sie sich jetzt auf seinen Arm stützte, wenn sie seiner Rede zuhörte oder in sein edles Gesicht schaute, klopfte das Herz nicht mehr mit der alten Unruhe in ihrer Brust, verließ sie ihre Klarheit nicht mehr, ergriff sie nicht mehr Verlegenheit, sondern eine ungeheure und berauschende Wonne. Sie waren ununterbrochen beisammen, sie knieten nebeneinander in den Kirchen, und ihre Stimmen vereinigten sich bei der Andacht und den frommen Gesängen.

Ketling war sich über den Zustand seines Herzens vollständig klar. Christine sagte sich, sei es aus Mangel an Mut, sei es, daß sie sich selbst täuschen wollte: ich liebe ihn nicht – und doch liebten sie sich innig. Da zugleich zwischen ihnen eine große Freundschaft bestand, da sie, über die Liebe hinaus, einander noch sehr gern hatten, und über die Liebe bisher nicht ein Wort gesprochen, so ging ihnen die Zeit hin wie ein Traum, und es leuchtete ihnen beständiger Sonnenschein.

Bald sollten ihn für Christine die Schatten der Gewissensbisse verdunkeln, aber jetzt war die Zeit der Ruhe. Gerade durch die Annäherung an Ketling, durch den gewohnten Verkehr mit ihm, durch diese Freundschaft, die zugleich mit der Liebe zwischen ihnen aufgekeimt war, hatte Christinens Unruhe ein Ende, waren die Eindrücke nicht so gewaltsame, war der Zwiespalt ihres Blutes und ihrer Einbildung verstummt. Sie waren einander nahe, sie fühlten sich nebeneinander wohl, und Christine gab sich mit ganzer Seele der freundlichen Gegenwart hin und wollte nicht daran denken, daß sie je enden könne, und daß es zur Zerstreuung der Täuschung nur des einen Wörtchens von Ketling bedürfe: Ich liebe dich.

Und dieses Wort wurde bald gesprochen. Einmal, als Frau Truchseß mit Bärbchen bei einer kranken Verwandten waren, beredete Ketling Christine und Herrn Sagloba, das königliche Schloß zu besuchen, welches Christine bisher nicht gesehen hatte, und von dessen Wunderdingen man im ganzen Lande erzählte. Sie gingen also zu dreien hin; Ketlings Freigebigkeit öffnete ihnen alle Türen, und Christine wurde von so tiefen Verbeugungen der Diener begrüßt, als wäre sie eine Königin und betrete ihre eigene Residenz. Ketling, der das Schloß genau kannte, führte sie durch die prächtigen Säle und Zimmer. Sie betrachteten das Theater, die königlichen Bäder, sie blieben vor den Bildern, welche die Schlachten und Siege Siegmunds und Wladislaus' über die Barbaren des Ostens darstellten, sie gingen hinaus auf die Terrassen, von denen der Blick in unermeßliche Fernen schweifte. Christine war außer sich vor Bewunderung; er aber erklärte ihr alles. Von Zeit zu Zeit schwieg er und schaute in ihre dunkelblauen Augen, als wollte er mit dem Blicke sagen: Was bedeuten alle diese Wunder gegen dich, du Wunder, was bedeuten alle diese Schätze gegen dich, du Schatz!

Das Mädchen aber verstand diese stumme Sprache. Ehe er sie in eines der königlichen Zimmer führte, blieb er vor einer in der Wand verborgenen Tür stehen und sagte:

»Hier kann man bis in die Kathedrale gelangen; ein langer Korridor, der in einen schmalen Gang ausläuft und bis zu dem großen Altar hinführt. Hier hören der König und die Königin gewöhnlich die Messe.«

»Ich kenne diesen Weg gut,« antwortete Sagloba, »denn da ich mit Johann Kasimir in vertrauter Freundschaft lebte, und Marie Luise mich außerordentlich gern hatte, haben sie mich beide oft zur Messe eingeladen, um sich an meiner Gesellschaft zu erfreuen und an meiner Frömmigkeit zu erbauen.«

»Wünschet Ihr einzutreten?« fragte Ketling, indem er dem Türhüter ein Zeichen gab zu öffnen.

»Gehen wir hinein!« antwortete Christine.

»Geht allein,« sagte Sagloba, »Ihr seid jung und habt kräftige Beine; ich hab' mich schon müde gelaufen. Geht, geht, ich bleibe hier bei dem Diener. Wenn ihr auch mehrere Paternoster betet – ich will euch nicht zürnen wegen der Verzögerung, denn ich kann während der Zeit ausruhen.«

Sie gingen also hinein. Ketling nahm ihren Arm und führte sie durch den langen Korridor. Er drückte ihre Hand nicht ans Herz; er ging ruhig und in andächtiger Sammlung. Die Seitenfensterchen beleuchteten von Zeit zu Zeit ihre Gestalt, dann wieder tauchte sie im Dunkel unter. Ihr schlug das Herz ein wenig, denn sie waren zum erstenmal allein geblieben, aber seine Ruhe und Milde beruhigten auch sie. Endlich kamen sie in den schmalen Gang zur rechten Seite der Kirche, unmittelbar hinter dem Gitter in der Nähe des Hochaltars.

Zuerst knieten sie nieder und begannen zu beten. Die Kirche war still und leer. Zwei Lichter brannten vor dem Altar, aber der ganze Hintergrund des Kirchenschiffes lag in feurigem Halbdunkel. Nur durch die Regenbogenscheiben fiel farbiger Glanz auf diese beiden wunderbaren Gesichter, die in Andacht versunken waren, und in ihrer Ruhe Ähnlichkeit mit den Gesichtern der Cherubim hatten.

Ketling erhob sich zuerst und begann zu flüstern, denn er wagte nicht, in der Kirche seine Stimme zu erheben.

»Seht Ihr, diese Samtgewänder, hier sind die Spuren, wo die beiden Häupter des königlichen Paares sich gestützt haben. Die Königin saß auf dieser Seite, dem Altar näher. Ruht Ihr auf ihrem Platze …«

»Ist es wahr, daß sie ihr ganzes Leben unglücklich gewesen,« flüsterte Christine, indem sie niedersaß. »Ich habe ihre Geschichte gehört, als ich noch ein Kind war; man erzählte sie in allen Adelsschlössern. Es kann wohl sein, daß sie unglücklich war, denn sie konnte nicht dem die Hand reichen, den ihr Herz liebte.« Christine stützte ihren Kopf auf dieselbe Stelle, an welcher die Vertiefung war, welche der Kopf Marie Luisens gebildet hatte, und schloß die Augen; ein schmerzliches Gefühl bedrückte ihre Brust, ein kalter Zug wehte plötzlich aus dem leeren Kirchenschiff her und machte den Frieden, der noch vor einer Weile ihr ganzes Wesen erfüllt hatte, zu Eis erstarren.

Ketling schaute sie schweigend an, es entstand eine wahrhaft kirchliche Stille. Dann beugte er sich langsam zu Christinens Füßen und begann mit tiefer, bewegter, aber ruhiger Stimme:

»Es ist keine Sünde, wenn ich an heiligem Orte vor dir niederkniee, denn wohin sollte reine Liebe segenheischend flüchten, wenn nicht in die Kirche? Ich liebe dich mehr als mein Leben, ich liebe dich mehr als alles Irdische, mit meiner ganzen Seele, mit meinem ganzen Herzen; nur hier im Angesicht dieses Altars bekenne ich dir meine Liebe!«

Christinens Antlitz wurde bleich wie Linnen; den Kopf auf den Samt der Lehne gestützt, blieb das unglückselige Mädchen unbeweglich. Er aber fuhr fort:

»Ich umfasse deine Kniee und flehe dich an um dein Urteil. Darf ich davongehen voll himmlischer Freude oder mit einem unerträglichen Schmerz, den ich nie und nimmer zu überleben vermöchte?«

Eine Weile harrte er der Antwort, als sie aber nicht kam, neigte er sein Haupt so tief, daß er fast Christinens Füße berührte, und eine sichtlich wachsende Rührung ergriff ihn ganz. Seine Stimme zitterte, als fehlte seiner Brust der Atem.

»In deine Hand empfehle ich mein Glück, mein Leben; deiner Zuneigung harre ich entgegen, denn mir ist furchtbar schwer …«

»Laß uns um Gottes Erbarmen beten!« rief plötzlich Christine, indem sie in die Kniee sank.

Ketling hatte sie nicht begriffen, aber er wagte nicht, Widerstand zu leisten und kniete voll Erwartung und Unruhe neben ihr nieder. Und sie begannen wieder zu beten.

In dem leeren Kirchenraum hörte man manchmal ihre Stimmen sich erheben, und das Echo gab ihnen seltsamen, traurigen Widerhall.

»Gott, sei gnädig!« sagte Christine.

»Gott, sei gnädig!« wiederholte Ketling.

»Erbarme dich unser!« – »Erbarme dich unser!«

Und sie fuhren leise in ihrem Gebete fort; aber Ketling bemerkte, daß ihre ganze Gestalt vom Weinen erschüttert wurde. Sie konnte sich lange Zeit nicht beruhigen, und dann, als sie ruhig geworden, kniete sie noch lange unbeweglich. Endlich erhob sie sich und sagte:

»Gehen wir.«

Und sie traten wieder hinaus auf jenen langen Korridor. Ketling hoffte auf dem Wege eine Antwort zu erhalten und blickte ihr in die Augen, aber vergeblich. Sie ging eilig, als sehnte sie sich danach, so schnell wie möglich in das Zimmer zu gelangen, in welchem Sagloba auf sie wartete. Als sie nicht mehr weit von der Tür entfernt waren, ergriff der Ritter den Zipfel ihres Kleides.

»Fräulein Christine!« sagte er, »bei allem, was heilig ist!«

Da wandte sich Christine um, ergriff so schnell seine Hand, daß er nicht Zeit hatte, ihr Widerstand zu leisten, und drückte sie in einem Augenblick an den Mund.

»Ich liebe dich aus ganzer Seele, aber ich werde nicht die deine werden,« sagte sie.

Und ehe Ketling in seinem Erstaunen ein Wort zu sagen vermochte, fügte sie hinzu:

»Vergiß alles, was geschehen!«

Gleich darauf waren beide im Zimmer. Der Türhüter schlief in einem Stuhl, Sagloba in dem anderen; aber das Eintreten der jungen Leute weckte sie. Sagloba öffnete seine Augen und begann bei halbem Bewußtsein mit ihnen zu zwinkern; allmählich kehrte ihm das Gedächtnis an Zeit und Menschen zurück.

»Ha, ihr seid es!« sagte er und zog seinen Hut zurecht, »mir träumte, es sei ein neuer Kandidat für den Königsstuhl aufgetreten, und das war ein Piast. Waret ihr im Kirchengang?«

»So ist's.«

»Und ist euch die Seele Marie Luisens nicht erschienen?«

»O ja,« antwortete Christine mit dumpfer Stimme.

Nachdem sie aus dem Schloß getreten waren, empfand Ketling das Bedürfnis, seine Gedanken zu sammeln und sich von dem Erstaunen frei zu machen, in das ihn Christinens Benehmen versetzt hatte. Er verabschiedete sich von ihr und Sagloba gleich vor dem Tor; diese aber begaben sich zurück in das Gasthaus. Bärbchen und die Frau Truchseß waren von der Kranken schon heimgekehrt, und die Frau Truchseß begrüßte Herrn Sagloba mit folgenden Worten: »Ich habe einen Brief von meinem Manne bekommen, der bei Michael im Grenzquartier ist; sie sind beide gesund und versprechen in kurzem hier zu sein. Es liegt auch ein Brief von Michael an Euch hier, an mich nur ein Postskriptum in dem Briefe meines Mannes. Mein Mann schreibt auch, daß die Differenz, welche wegen des Guts von Bärbchen mit den Zubers bestanden, glücklich ausgeglichen ist. Jetzt stehen dort die Landtage bevor … er schreibt auch, daß dort der Name des Herrn Sobieski ungeheure Bedeutung hat, und so wird auch der Landtag in seinem Sinne ausfallen. Alle Welt rüstet sich zur Wahl, aber unsere Gegend wird auf seiten des Kronmarschalls stehen. Es ist schon warm dort und Regenwetter … In Werschutko sind einige Gebäude bei uns abgebrannt. Ein Knecht hat das Feuer angezündet, und da windiges Wetter war …«

»Wo ist Michaels Brief an mich?« fragte Sagloba, indem er den Strom von Neuigkeiten unterbrach, den die brave Frau Truchseß in einem Atem hervorbrachte.

»Da ist er,« antwortete die Frau Truchseß, indem sie ihm den Brief reichte. – »… da Wind war, und die Leute auf dem Jahrmarkt …«

»Wie sind die Briefe hierhergekommen?« fragte Sagloba wieder.

»Sie sind in Ketlings Haus gebracht worden, und von da hat sie ein Knecht hergebracht – nun weil aber, sage ich, Wind war …«

»Wollt Ihr hören?«

»O gewiß, ich bitte.«

Sagloba erbrach das Siegel und begann zu lesen, erst mit halber Stimme für sich, dann lauter für alle:

»Es ist dies der erste Brief, den ich Euch sende; hoffentlich gibt es auch keinen zweiten, denn hier sind die Posten unsicher, und ich denke auch in kurzer Zeit persönlich bei Euch zu erscheinen. Es ist gut hier im Felde, aber doch zieht mich das Herz mächtig zu Euch, und die Gedanken und die Erinnerungen, die mir die Einsamkeit angenehmer machen als die zahlreiche Gesellschaft, sind ohne Ende. Die versprochene Arbeit ist vorbei, denn die Horden sitzen ruhig, nur kleinere Haufen pirschen auf den Wiesen, und wir haben sie zweimal so glücklich aufgescheucht, daß auch nicht ein Zeuge der Niederlage übrig geblieben ist.«

»Da haben sie ihnen warm gemacht,« rief Bärbchen erfreut, »es geht nichts über den Soldatenstand!«

»Die Banden des Doroschenko« – las Sagloba weiter – »möchten gern mit uns anbinden, aber ohne die Horde wagen sie's nicht, und die Gefangenen sagen aus, daß keine einzige größere Schar unterwegs sei, und auch ich denke, wenn etwas hätte kommen sollen, so wäre es schon gekommen, denn das Gras ist seit einer Woche grün, und die warmen Winde wehen, die die Pferde träge machen, und das sind die sichersten Anzeichen des Frühlings. Die Erlaubnis habe ich schon einholen lassen, und sie muß jeden Tag eintreffen: dann mache ich mich bald auf den Weg … Herr Nowowiejski wird mich in meinem Wächteramt vertreten; es gibt so wenig zu tun, daß Makowiezki und ich den ganzen Tag die Füchse gehetzt haben, bloß zu unserem Vergnügen, denn der Pelz nützt uns zum Frühling nichts. Es fehlt auch nicht an Trappen, und mein Bursche hat einen Pelikan geschossen. – Ich umarme Euch von ganzem Herzen, küsse meiner Frau Schwester die Hand, auch Fräulein Christine, deren Zuneigung ich mich sehr empfehle, und bitte Gott nur darum, daß ich sie mit unverändertem Sinne wiederfinde. Grüßen Sie auch Fräulein Bärbchen von mir; Herr Nowowiejski hat seine Wut über den Korb, den er in Mokotow erhalten, zehnfach an den Nacken der Schurken ausgelassen, aber er ist noch immer nicht beruhigt, noch hat er es nicht ganz verwunden. – Ich empfehle Euch Gott und seiner heiligen Gnade.

P. S. Von durchreisenden Armeniern habe ich einen prächtigen Hermelinbesatz gekauft, – den bringe ich als Willkommengruß Fräulein Christine mit, und auch für unseren kleinen Heiducken werden sich türkische Südfrüchte finden.«

»Die mag Herr Michael allein aufessen, ich bin kein Kind,« versetzte Bärbchen, deren Wangen erglühten, als wäre ihr plötzlich etwas Unangenehmes widerfahren.

»So siehst du ihn nicht gerne wieder? Bist du ihm böse?« fragte Sagloba.

Aber sie brummte nur leise vor sich hin und geriet wirklich in Zorn bei dem Gedanken daran, wie leichthin Michael sie behandle; bald dachte sie wieder an die Trappen und an den Pelikan, der ganz besonders ihre Neugier erweckt hatte.

Christine saß während des Vorlesens mit geschlossenen Augen da, dem Lichte abgewandt. Es war ein wahres Glück, daß die Anwesenden ihr Gesicht nicht sehen konnten, sonst hätten sie unschwer erkannt, daß in ihr etwas Außerordentliches vorgehe. Was in der Kirche geschehen war, dann Wolodyjowskis Brief – das waren für sie gleichsam zwei kräftige Keulenschläge. Der wundervolle Traum war zerstoben, und seit diesem Augenblick stand das Mädchen von Angesicht zu Angesicht der unglückschweren Wahrheit gegenüber. Sie konnte nicht sofort ihre Gedanken sammeln, und nur unklare, dämmerhafte Gefühle tobten in ihrem Herzen. Wolodyjowski samt seinem Versprechen der Ankunft und dem Hermelinbesatz erschien ihr flach, ja nahezu widerwärtig. Ketling aber war ihr nie teurer. Teuer war ihr der bloße Gedanke an ihn, seine Worte, sein geliebtes Gesicht, teuer seine Betrübnis. Und nun wird man das Lieben, die Verehrung lassen müssen, das lassen, wozu das Herz sich drängt, dem die Arme sich entgegenstrecken; den geliebten Mann in Verzweiflung lassen, in ewiger Trauer, in Gram, und die Seele und den Körper einem anderen hingeben, der darum allein, weil er ein anderer ist, geradezu hassenswert erscheint.

»Ich werde es nicht verwinden,« rief es in Christinens Seele.

Und sie hatte die Empfindung, die eine Gefangene hat, der man die Hände bindet, und doch hatte sie sich selbst gebunden. Hätte sie doch damals Wolodyjowski sagen können, daß sie ihm eine Schwester sein wolle, nicht mehr. Hier kam ihr jener Kuß in Erinnerung, den sie empfangen und zurückgegeben, und es erfaßte sie Scham und Verachtung ihrer selbst. Hatte sie damals Wolodyjowski schon geliebt? – Nein, in ihrem Herzen war keine Liebe; neben dem Mitleid waren es nur Neugier und Leichtsinn, die sich hinter dem Schein schwesterlicher Zuneigung verbargen; jetzt erst erkannte sie, daß zwischen einem Kuß aus großer Liebe und einem Kuß aus der Erregung des Blutes ein Unterschied sei, wie zwischen Engel und Teufel. Und zu der Verachtung trat der Zorn in Christinens Herz, aber auch ihr Stolz empörte sich gegen Wolodyjowski. Auch er war schuldig; warum sollte alle Reue, warum sollten alle Gewissensbisse, alle Täuschungen auf sie zurückfallen, warum sollte nicht auch er den bitteren Trank teilen? Hätte sie nicht das Recht, ihm bei seiner Heimkehr zu sagen:

»Ich habe mich geirrt: Mitleid hielt ich für Zuneigung und auch du hast geirrt, und nun lasse mich, wie ich dich gelassen habe.«

Plötzlich erfaßte sie die Furcht vor der Rache des furchtbaren Mannes, nicht Furcht um sich selber, sondern um das geliebte Haupt, auf welches unfehlbar diese Rache zurückfallen würde. Sie sah in ihrer Einbildung Ketling, wie er zum Kampfe bereit stand mit dem furchtbaren und unvergleichlichen Kämpfer, sie sah ihn dann niedersinken, wie eine Blume hinsinkt unter der Hand des Schnitters, sie sah sein Blut, sein blasses Gesicht, seine Augen auf ewig geschlossen, und ihre Leiden überstiegen alles Maß. Sie erhob sich so schnell als möglich und ging in ihr Zimmer, um den Menschen aus den Augen zu kommen, um nicht mit anzuhören, wie sie von Wolodyjowski und seiner bevorstehenden Rückkehr plauderten. In ihrem Herzen wuchs der Zorn gegen den kleinen Ritter immer mächtiger an.

Aber die Gewissensbisse und das Leid folgten ihr auf der Spur, sie verließen sie nicht, wenn sie betete, sie setzten sich an ihr Bett, wenn sie sich müde und matt zur Ruhe begab, und begannen ihr zuzuflüstern:

»Wo ist er?« fragte das Leid – »sieh, noch ist er nicht heimgekehrt; er wandert durch die Nächte und ringt die Hände. Du wolltest ihn dem Himmel näher bringen, dein Herzblut für ihn hingeben, und du hast ihm den giftigen Trank bereitet, hast ihm das Messer ins Herz gestoßen.«

»Wärest du nicht voll Leichtsinn, würdest du nicht jeden an dich locken wollen, dem du begegnest« – so sprachen die Gewissensbisse – »wie anders könnte alles sein; nun bleibt dir nichts als die Verzweiflung, deine eigene Schuld, deine eigene große Schuld. Nun gibt es keine Hilfe mehr, keine Rettung, dir bleiben nur die Schmach, der Schmerz, die Tränen – «

»Wie er vor dir kniete in der Kirche« – sagte wieder das Leid – »ein Wunder, daß dir das Herz nicht brach, als er dir in die Augen blickte und um Erbarmen bat. War es recht, mit einem Fremden Mitleid zu haben, um wieviel mehr mit ihm, dem Geliebten, dem Teuersten! Gott segne ihn, Gott gebe ihm Trost.«

»Wärest du nicht leichtsinnig gewesen, so könnte dieser Teuerste in Freuden einhergehen« – wiederholten die Gewissensbisse – »und du könntest in seine Arme sinken als die Erwählte, als die Gattin …«

»Und ewig mit ihm sein« – fügte das Leid hinzu.

Und die Gewissensbisse: »Deine Schuld!« —

Und das Mitleid: »Weine, Christine!«

Und wieder sagten die Gewissensbisse: »Damit tilgst du die Schuld nicht.«

Und wieder sprach das Leid: »Tue, wie du willst, aber tröste ihn.« —

»Wolodyjowski wird ihn töten,« antworteten sogleich die Gewissensbisse.

Kalter Schweiß bedeckte Christine, und sie setzte sich in ihrem Bette auf; das helle Licht des Mondes fiel in das Zimmer, das bei dem blassen Scheine seltsam gespensterhaft aussah.

»Was ist das?« dachte Christine. »Dort schläft Bärbchen; ich sehe sie, denn der Mond scheint ihr ins Gesicht, und ich weiß nicht, wann sie gekommen ist, wann sie sich entkleidet und niedergelegt hat; ich habe doch keinen Augenblick geschlafen. O, ich sehe, mein armer Kopf ist zu nichts mehr gut.«

Und wieder legte sie sich mit diesen Gedanken hin, aber bald ließen sich auch Leid und Gewissensbisse auf den Rahmen ihres Bettes nieder, zwei Göttinnen gleichend, die nach Belieben im Glanze des Mondes auftauchten oder aus dem silbernen Strom emporkamen.

»Ich werde heute gar nicht schlafen,« sagte Christine zu sich.

Und sie begann an Ketling zu denken und immer mehr zu leiden.

Plötzlich ertönte durch die Stille der Nacht die klagende Stimme Bärbchens:

»Christine! – Schläfst du nicht?«

»Mir träumte, daß irgend ein Türkenhund Herrn Michael mit einem Pfeil getroffen habe; – o Jesus Christus, Träume sind Schäume! Aber es schüttelt mich wie im Fieber – laß uns ein Gebet sprechen, damit Gott das Unheil wende!«

Christine flog wie ein Blitz der Gedanke durch den Kopf: wenn ihn doch einer getötet hätte! Aber sofort erschrak sie vor ihrer eigenen Schlechtigkeit, und obgleich sie sich zu übermenschlicher Kraft erheben mußte, um in diesem Augenblick um die glückliche Heimkehr Wolodyjowskis zu beten, antwortete sie doch: »Gut, Bärbchen.«

На страницу:
11 из 12