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Der kleine Ritter
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Der kleine Ritter

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Язык: Немецкий
Год издания: 2017
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Henryk Sienkiewicz

Der kleine Ritter / (Herr Wolodyjowski) – Historischer Roman

Einleitung

Nach dem ungarischen Kriege, nach welchem die Trauung des Herrn Andreas Kmiziz mit Fräulein Alexandra Billewitsch stattgefunden hatte, sollte auch der nicht minder berühmte und um die Republik ebenso verdiente Ritter Herr Georg Michael Wolodyjowski mit Fräulein Anna Borschobohata-Krasienska in die Ehe treten. Aber es stellten sich mancherlei Hindernisse und Schwierigkeiten ein, welche die Sache verzögerten. Fräulein Borschobohata war ein Zögling der Fürstin Jeremias Wischniowiezka, ohne deren Zustimmung sie keineswegs in die Verbindung einwilligen wollte. So mußte Herr Michael wegen der unruhigen Zeiten die Braut in Wodockt lassen und selbst nach Samoschtsch reisen, um die Erlaubnis und den Segen der Fürstin einzuholen.

Aber es leuchtete ihm kein günstiger Stern, denn er traf die Fürstin in Samoschtsch nicht an; sie war wegen der Erziehung ihres Knaben nach Wien an den kaiserlichen Hof gereist. Der geduldige Ritter folgte ihr auch nach Wien, obwohl ihm das eine tüchtige Spanne Zeit raubte. Dort erledigte er glücklich seine Angelegenheiten und kehrte frohen Mutes ins Vaterland zurück.

Aber die Zustände, die er zu Hause antraf, waren schlecht; das Heer wurde zusammenberufen, in der Ukraine dauerten die Unruhen fort – im Osten war der Brand noch nicht erloschen. Man hatte neue Truppen zusammengezogen, um die Grenzen einigermaßen zu schützen. Ehe also Herr Michael auf seiner Heimreise nach Warschau gelangt war, hatte ihn das Aufgebot getroffen, welches im Auftrag des Wojewoden von Reußen auf seinen Namen ausgestellt war. Da er der Ansicht war, daß dem Vaterland der Vorrang vor persönlichen Dingen gebühre, ließ er den Gedanken an eine schleunige Hochzeit fallen und zog nach der Ukraine. Viele Jahre verbrachte er dort in Kriegsarbeit und hatte kaum von Zeit zu Zeit Gelegenheit, an das sehnsüchtig harrende Mädchen zu schreiben, denn er lebte beständig im Feuer, in unsäglichen Mühen und Arbeiten.

Dann ging er als Abgesandter in die Krim, später kam der unglückliche Bürgerkrieg mit Herrn Lubomirski, in welchem er auf seiten des Königs gegen jenen Nichtswürdigen und Landesverräter kämpfte; dann wieder zog er unter Sobieski in die Ukraine.

Sein Ruf wuchs durch diese Taten so, daß man ihn allgemein für den ersten Krieger der Republik ansah; aber – seine Jahre flossen ihm in Sorge, in Seufzern und Sehnsucht hin. Endlich kam das Jahr 1668. Da wurde er auf Befehl des Herrn Burgvogts auf Urlaub geschickt, und er fuhr mit dem Anfang des Sommers zu seiner lieben Braut, holte sie von Wodockt und eilte mit ihr nach Krakau.

Die Fürstin Griseldis, welche aus den kaiserlichen Landen bereits heimgekehrt war, hatte ihn nämlich dorthin zur Hochzeit gebeten; sie bot sich selbst dem Fräulein als Brautmutter an.

Die Kmiziz blieben in Wodockt. Sie erwarteten nicht so bald Nachricht von Wolodyjowski und waren ganz von der bevorstehenden Ankunft eines neuen Gastes in Anspruch genommen, der sich in Wodockt angesagt hatte.

Die Vorsehung hatte ihnen bisher Kinder versagt; jetzt sollte eine glückliche, ihren Wünschen entsprechende Wendung eintreten.

Es war ein ungewöhnlich fruchtbares Jahr; das Getreide gab so reichliche Ernten, daß die Scheunen es nicht fassen konnten, und das ganze Land in seiner Länge und seiner Breite von Schobern bedeckt war. In den Gegenden, die der Krieg verwüstet hatte, wuchs der junge Wald in einem Frühjahr so bedeutend, wie er zu anderen Zeiten in zwei Jahren nicht zu wachsen vermocht hatte. In den Wäldern war ein Reichtum von Wild und Pilzen, im Wasser ein Reichtum an Fischen, als habe die ungewöhnliche Fruchtbarkeit der Erde sich allen Wesen mitgeteilt, die sie bewohnten.

Wolodyjowskis Freunde hatten daraus günstige Vorzeichen für seine Heirat geweissagt. Aber das Schicksal hatte es anders beschlossen.

1. Kapitel

An einem schönen Herbsttage saß unter dem schattigen Dache seiner Laube Herr Andreas Kmiziz, trank zum Vesper seinen Met und blickte durch die mit dichtem Hopfen bewachsenen Stäbe auf seine Gattin, die auf dem schön gefegten Stege vor der Laube auf und nieder ging.

Frau Kmiziz war über die Maßen schön. Ihr helles Haar umrahmte ein freundliches, fast engelhaftes Gesicht. Langsam und vorsichtig schritt sie einher, denn sie war erfüllt von Ernst und Segen.

Herr Andreas Kmiziz schaute ihr mit furchtbar verliebten Blicken nach. Wohin sie sich wandte, folgte sein Auge ihr mit einer solchen Anhänglichkeit, wie dasjenige eines Hundes seinem Herrn zu folgen pflegt. Von Zeit zu Zeit lächelte er, denn er war überaus froh bei ihrem Anblick und strich den Schnurrbart in die Höhe, und dann zeigte sich immer in seinem Gesicht der Ausdruck loser Schelmerei. Man sah, der Ritter war von Natur ein Schalk und mußte wohl in jüngeren Jahren so manchen tollen Streich verübt haben.

Die Stille im Garten wurde nur durch den Widerhall herabfallender überreifer Früchte und durch das Summen der Insekten unterbrochen. Das Wetter war wunderbar schön geworden. Es war im Anfang des September. Die Sonne glühte nicht mehr zu heiß, warf aber noch immer reichlich ihre goldenen Strahlen. In diesen Strahlen glänzten die roten Äpfel durch das grüne Laub in so großer Zahl, daß es aussah, als seien die Bäume ringsherum mit Früchten beklebt. Die Zweige der Pflaumenbäume bogen sich unter der Last ihrer Früchte, die wie mit grauem Wachs umhüllt schienen.

Die ersten Fäden der Spinnweben, die sich von Ast zu Ast zogen, schwankten bei dem leisen Wehen eines Windes, der nicht einmal die Bäume rauschen machte. Vielleicht mochte auch dies herrliche Wetter Herrn Kmiziz mit solcher Heiterkeit erfüllen, denn sein Antlitz leuchtete immer mehr auf. Endlich trank er seinen Met aus und sagte zu seiner Gattin:

»Komm doch einmal her, Olenka!1 Ich will dir etwas sagen.«

»Nur nicht etwas, was ich nicht gern höre,« entgegnete sie.

»Bei Gott nicht! Höre nur!«

Bei diesen Worten faßte er sie um die Hüfte, legte seinen Schnurrbart an ihr helles Haar und flüsterte:

»Wenn es ein Knabe sein wird, soll er Michael heißen.«

Sie aber wandte das Gesicht, das ein wenig rot geworden war, ab und flüsterte:

»Du hast doch versprochen, nichts dagegen einzuwenden, daß er Heraklius heiße.«

»Ja, siehst du, wegen des Wolodyjowski.«

»Aber geht nicht das Andenken des Großvaters vor?«

»… Und meines Wohltäters … hm, gewiß … Aber der zweite muß Michael heißen, es geht nicht anders.«

Hier erhob sich Olenka und versuchte sich aus den Händen Kmiziz' zu befreien; er aber zog sie noch kräftiger an sich und begann sie auf Mund und Augen zu küssen, indem er immer und immer wiederholte:

»Du mein Sonnenschein, mein Tausendschön, mein einzig Geliebtes!«

Das weitere Gespräch unterbrach ein Bursche, der sich am Ende der Straße zeigte und eilig auf die Laube zuschritt.

»Was willst du?« fragte Kmiziz, indem er seine Frau losließ.

»Herr Charlamp ist gekommen; er wartet im Zimmer,« antwortete der Bursche.

»Sieh, da ist er schon selbst!« rief Kmiziz, als er den Mann gewahrte, der auf die Laube zukam. »Du lieber Gott, wie sein Bart grau geworden ist! Willkommen, teurer Freund, willkommen, alter Kriegskamerad!«

Er stürzte aus der Laube und eilte Herrn Charlamp mit ausgebreiteten Armen entgegen. Aber Herr Charlamp verneigte sich erst tief vor Olenka, die er vor langen Jahren am Hofe von Kiejdan bei dem Fürst-Wojewoden von Wilna gesehen hatte, dann drückte er ihre Hand an seinen riesigen Schnauzer, und nun erst warf er sich Kmiziz um den Hals und schluchzte an seiner Schulter.

»Beim Himmel, was ist Euch!« rief der erstaunte Hausherr.

»Dem einen hat Gott den Segen gegeben,« antwortete Charlamp, »den er dem anderen entzieht. Meiner Trauer Ursache aber kann ich nur Euch allein erzählen.«

Hier blickte er Frau Olenka an; sie aber erriet, daß er in ihrer Gegenwart nicht sprechen wolle, und sagte zu ihrem Manne:

»Ich will den Herren Met herausschicken; jetzt lasse ich euch allein.« Kmiziz zog Herrn Charlamp in die Laube, bot ihm auf der Bank einen Platz und rief:

»Was ist dir? Brauchst du Hilfe? Auf mich kannst du zählen wie auf einen Bruder.«

»Mir fehlt nichts,« antwortete der alte Soldat, »ich brauche auch keine Hilfe, solange ich mit dieser Hand und mit diesem Degen schaffen kann; aber unser Freund, der würdigste Ritter der Republik, ist in schwerer Not, und ich weiß nicht, ob er noch atmet.«

»Bei allen Wunden Christi! Wolodyjowski ist ein Unglück widerfahren?«

»So ist's,« antwortete Charlamp, und seine Tränen flossen in neuen Strömen. »Wisse, Freund, Fräulein Anna Borschobohata hat dieses Jammertal verlassen.«

»Sie ist gestorben!« schrie Kmiziz auf und faßte sich mit beiden Händen an den Kopf.

»Wie ein Vogel vom Pfeil getroffen.«

Es trat eine Pause des Schweigens ein. Nur die herabfallenden Äpfel schlugen hier und da schwer auf den Boden, und Charlamp stöhnte immer vernehmlicher, da er seine Tränen hemmen wollte. Kmiziz aber rang die Hände und wiederholte, beständig mit dem Kopfe schüttelnd:

»Du lieber Gott, du lieber Gott, du lieber Gott!«

»Wundere dich nicht über meine Tränenströme!« begann endlich Charlamp; »denn wenn dir auf die bloße Nachricht von dem Ereignis der Schmerz unerträglich die Brust zusammenschnürt, was soll ich erst, der ich ihr Hinscheiden und ihr Leiden gesehen habe, das alles Maß überstieg.«

Jetzt trat der Diener ein, der eine Kanne und ein zweites Glas brachte; ihm folgte Frau Olenka, die ihre Neugier doch nicht hatte überwinden können. Da sie jetzt dem Manne ins Antlitz sah und darin einen tiefen Schmerz wahrnahm, sagte sie sogleich:

»Was für Nachrichten habt Ihr gebracht? Schickt mich nicht fort, ich will Euch trösten, wenn ich es vermag, oder ich will mit Euch weinen oder Euch mit einem Rate dienen.«

»Auch in deinem Kopfe wird es wohl keinen Rat dafür geben,« antwortete Herr Andreas; »aber ich fürchte, du könntest durch den Schmerz deine Gesundheit schädigen.«

Sie aber antwortete: »Ich kann viel ertragen. Schlimmer ist's, in Ungewißheit zu leben.«

»Ännchen ist gestorben,« sagte Kmiziz.

Frau Kmiziz wurde bleich und sank schwer auf die Bank nieder. Kmiziz glaubte, die Kräfte verließen sie, aber der Schmerz gewann in ihr die Oberhand über die überraschende Nachricht, und sie begann zu weinen, und beide Ritter weinten mit ihr.

»Olenka,« sagte endlich Kmiziz, um den Gedanken seiner Gattin eine andere Richtung zu geben; »glaubst du denn nicht, daß sie im Paradiese ist?«

»Ich beweine sie nicht, ich weine ihr nur nach, und ich weine über das Schicksal des Herrn Michael. Denn was die ewige Glückseligkeit betrifft, so wollte ich, ich hätte so sichere Hoffnung der Erlösung für mich, wie ich sie für sie habe. Es gab kein braveres Mädchen als sie, kein besseres Herz. O mein Ännchen, mein geliebtes Ännchen.«

»Ich habe sie sterben sehen,« sagte Charlamp; »gebe Gott niemand einen minder frommen Tod!«

Dann schwiegen sie alle drei, bis endlich Kmiziz, nachdem sein Leid sich in Tränen gelöst hatte, wieder begann, von Zeit zu Zeit bei den traurigsten Stellen zutrinkend:

»Erzählt uns doch, wie es kam.«

»Ich danke,« antwortete Charlamp; »von Zeit zu Zeit will ich dir Bescheid tun, wenn du mir zutrinkst, denn der Schmerz greift nicht bloß ans Herz, sondern auch an die Gurgel, wie der Wolf, und wen er greift, kann er ohne Rettung erwürgen. Es war so: Ich fuhr von Tschenstochau in die Heimat, um meine alten Tage in Frieden hinzuleben und auf meinem Gute zu sitzen. Ich habe genug vom Krieg, denn ich begann als junger Bursche und habe jetzt einen grauen Schädel. Wenn ich's gar nicht ausgehalten hätte, so wäre ich noch einmal mitgezogen; aber jene Kriegszüge zum Schaden des Vaterlandes und zur Freude der Feinde, und jene Bürgerkriege haben mir die Bellona ganz und gar verleidet … Du lieber Himmel, der Pelikan nährt seine Kinder mit dem eigenen Blute, es ist wohl wahr, aber dieses Vaterland hat gar kein Blut mehr in seiner Brust. Swiderski war ein großer Krieger … mag ihn der Himmel richten.«

»Mein liebes Ännchen,« unterbrach Frau Kmiziz weinend, »wenn du nicht gewesen wärest, was wäre aus uns allen geworden? Du warst mir Zuflucht und Schutz! Mein liebes, gutes Ännchen!«

Als Charlamp dies hörte, weinte er wieder laut auf, aber Kmiziz unterbrach ihn mit der Frage:

»Und wo seid Ihr denn Wolodyjowski begegnet?«

»Wolodyjowski traf ich ebenfalls in Tschenstochau, wo sie beide zu rasten gedachten, denn sie hatten dort beide unterwegs Gelübde getan. Er sagte mir, er zöge mit der Verlobten aus eurer Gegend nach Krakau zur Fürstin Griseldis Wischniowiezka, ohne deren Zustimmung und Segen das Fräulein keineswegs getraut sein wollte. Das Mädchen war damals noch gesund und er fröhlich wie ein Vogel. »Siehst du,« sagte er, »so hat mir Gott für meine Arbeit meinen Lohn gegeben.« Wolodyjowski rühmte sich auch, Gott verzeih's ihm, und neckte mich, weil wir, ihr wißt's ja, um das Fräulein seinerzeit gestritten hatten; wir sollten uns sogar schlagen… Wo ist sie jetzt, die Arme?«

Und wieder weinte Herr Charlamp laut auf, aber wieder nur kurz, denn Kmiziz unterbrach ihn wieder:

»Sie war also gesund? Wie kam es denn so plötzlich?«

»Ja plötzlich, ganz plötzlich. Sie wohnte bei der Frau Martin Samojska, die damals mit ihrem Manne in Tschenstochau war. Wolodyjowski steckte den ganzen Tag bei ihr, klagte ein wenig über den Aufenthalt und meinte, sie würden wohl gar erst über ein Jahr nach Krakau gelangen, da alle Menschen unterwegs sie aufhielten. Kein Wunder auch! Einen solchen Kriegshelden wie Wolodyjowski bewirtet jeder gern, und wer ihn einmal hat, der hält ihn fest. Auch mich brachte er zu dem Fräulein und drohte mir lachend mich niederzuschlagen, wenn ich mich um ihre Liebe bemühte. Aber sie sah in der Welt nichts außer ihm. Mir ist wohl manchmal traurig geworden, wenn ich daran dachte, daß der Mensch im Alter wie der Nagel an der Wand vereinsamt ist. Nun, es kann nicht anders sein! Plötzlich in der Nacht stürzt Wolodyjowski in fürchterlicher Erregung zu mir herein:«

»Um Gottes willen, weißt du nicht einen Arzt?«

»Was ist geschehen?«

»Sie ist krank, sie weiß nicht, was vorgeht!«

»Ich frage, wann sie krank geworden. Soeben, sagt er, habe man's ihm von Frau Samojska gemeldet, mitten in der Nacht. Wo einen Arzt hernehmen! In der ganzen Stadt war nur das Kloster unversehrt, überall mehr Trümmerhaufen als Menschen. Endlich fand ich einen Feldscher, und der wollte nicht einmal mitgehen. Ich mußte ihn zwingen, mit an den Ort zu kommen. Aber da war der Priester schon notwendiger als der Arzt; wir trafen einen würdigen Pauliner Mönch, der sie durch sein Gebet wieder zum Bewußtsein zurückrief, so daß sie das heilige Abendmahl empfangen und von Herrn Michael herzlichen Abschied nehmen konnte. Am anderen Tag um Mittag war's schon um sie geschehen. Der Feldscher behauptete, es müsse ihr jemand etwas angetan haben, was doch nicht möglich ist, denn in Tschenstochau hat der Zauber keine Macht. Aber was nun mit Herrn Wolodyjowski vorging, was der angab … ich will hoffen, daß ihm das nicht angerechnet werde, denn der Mensch wägt die Worte nicht, wenn ihn der Schmerz packt … o, ich sage euch,« hier senkte Herr Charlamp die Stimme, »… er lästerte.«

»Um Gottes willen, er lästerte!« wiederholte Kmiziz leise.

»Er stürzte von ihrer Leiche fort in den Flur, vom Flur in den Hof und wälzte sich wie ein Betrunkener. Dort hob er die Fäuste in die Höhe und schrie mit entsetzlicher Stimme: »Ist das der Lohn für meine Wunden, meine Mühen, für mein Blut, für meine Liebe zum Vaterland?! Das eine Lamm«, sagte er, »hatte ich, und das hast du mir genommen, Herr. Einen streitbaren Mann hinstrecken,« sagte er,»der stolz über die Erde dahinschreitet, das ist«, sagt er, »würdig der Hand Gottes: aber die unschuldige Taube kann auch die Katze und der Habicht und der Geier erwürgen.««

»Bei allen Wunden Christi,« rief Frau Kmiziz, »wiederholt das nicht, denn Ihr bringt Unglück über unser Haus!«

Charlamp bekreuzigte sich und sprach weiter:

»Der Arme dachte sich's redlich verdient zu haben – und das war sein Lohn … ha! Gott weiß am besten, was er tut, wenn auch der menschliche Verstand es nicht fassen, die menschliche Gerechtigkeit es nicht ermessen kann. Und gleich nach dieser Lästerung wurde er starr und sank auf die Erde, und der Priester sprach und beschwor über ihm, damit die unreinen Geister nicht in ihn fahren, die seine Lästerung ihn zu verderben benutzen könnten.«

»Kam er schnell zu sich?«

»Eine Stunde lag er wie leblos da. Dann erwachte er, ging in sein Quartier und wollte niemand sehen. Während des Begräbnisses sprach ich ihn an. »>Herr Michael,« sage ich, »habe Gott im Herzen!« Er antwortete nichts. Noch drei Tage saß ich in Tschenstochau, denn es tat mir weh, ihn allein zu lassen; aber ich pochte vergebens an seine Tür, er wollte mich nicht einlassen. Ich wußte nicht, was tun, ob noch länger an der Tür harren oder abreisen … wie kann man einen Menschen so ohne Trost zurücklassen. Da ich aber einsah, daß ich nichts erreichen würde, so beschloß ich, zu Skrzetuski zu reisen. Er ist ja sein bester Freund, er und Sagloba; vielleicht können sie ihm zu Herzen reden, besonders Herr Sagloba, denn er ist ein scharfsinniger Mann und weiß die Worte wohl zu setzen.«

»Waret Ihr bei den Skrzetuskis?«

»Ich war dort, aber auch hier gab Gott kein Glück; denn sie waren beide mit Herrn Sagloba in die Gegend von Kalisch zu Herrn Stanislaus, dem Hauptmann, gereist. Niemand wußte, wann sie wiederkommen würden; da dachte ich mir, mich führt auch so der Weg nach der Smudz, ich will bei Euch vorsprechen und erzählen, was geschehen ist.«

»Das wußt' ich längst, das Ihr ein würdiger Ritter seid,« sagte Kmiziz.

»Nicht um mich handelt es sich, sondern um Wolodyjowski,« antwortete Charlamp, »und ich muß Euch gestehen, ich bin sehr besorgt um ihn, daß er nicht irre wird.«

»Gott möge ihn behüten!« sagte Frau Olenka.

»Wenn er ihn davor schützt, so wird er sicher ins Kloster gehen, denn das sage ich Euch, solchen Schmerz habe ich mein Lebtag nicht gesehen… Schade um den Krieger, schade!«

»Warum schade, wenn Gottes Ruhm dabei wächst?« begann Frau Olenka wieder.

Charlamp schüttelte den Schnauzbart und rieb die Stirn:

»Seht, werte Frau, ob Gottes Ruhm wächst oder nicht wächst … zählt nur nach, wieviel Heiden und Ketzern er in seinem Leben den Garaus gemacht hat, wodurch er sicherlich unseren Heiland und die Mutter Gottes mehr erfreut hat, als so mancher Priester mit seiner Predigt … hm, es verlohnt wohl, darüber nachzudenken. Diene jeder Gottes Ruhme, so gut er kann. Seht, unter den Jesuiten findet sich immer eine ganze Menge, die klüger ist, als er, aber einen zweiten solchen Degen gibt es in der Republik nicht.«

»Das ist wahr, bei Gott!« antwortete Kmiziz. »Weißt du nicht, ob er in Tschenstochau geblieben oder abgereist ist?«

»Er war dort bis zum Augenblick meiner Abreise; was er nachher getan hat, weiß ich nicht. Ich weiß nur, wenn eine Krankheit über ihn kommt, oder der Irrsinn, der so häufig der Verzweiflung folgt, dann ist er allein, ganz allein, ohne Hilfe, ohne Verwandte, ohne Freunde, ohne Trost.«

»Möge dich die heilige Jungfrau an einen Wunderort retten, teurer Freund, der du mir so viel erwiesen hast, wie kein Bruder erweisen kann!« rief plötzlich Kmiziz.

Frau Olenka war in tiefes Sinnen versunken, und es dauerte lange, bis sie endlich ihr blondes Haupt erhob und sagte:

»Andreas, denkst du noch, wieviel wir ihm schuldig sind?«

»Wenn ich's vergesse, so will ich von einem Hund die Augen leihen, denn mit den meinigen werde ich nicht mehr wagen, einen braven Menschen anzusehen.«

»Andreas, du darfst ihn nicht so lassen!«

»Warum nicht?«

»Reise zu ihm.«

»O welch ein braves Frauenherz, was für ein braves Weib!« rief Charlamp, ergriff die Hände der Frau Kmiziz und bedeckte sie mit Küssen.

Aber Kmiziz wollte der Rat nicht gefallen. Er schüttelte den Kopf und sagte:

»Ich würde um seinetwillen bis ans Ende der Welt reisen … aber du weißt doch selbst, wenn du gesund wärst, dann sagte ich nichts, aber du weißt doch selbst! Verhüte Gott irgend einen Schrecken, einen Zufall, ich verginge vor Unruhe… Die Frau geht über den besten Freund; mir tut es weh um Michael, aber du weißt doch selbst!«

»Ich bleibe unter dem Schutze der Laudaer Väter hier zurück. Jetzt ist's hier ruhig, und ich erschrecke ja auch nicht bei jeder Kleinigkeit. Ohne Gottes Wille fällt mir kein Haar vom Haupte, und Herr Michael braucht dort vielleicht Hilfe.«

»O, ob er sie braucht!« warf Charlamp ein.

»Hörst du, Andreas, ich bin gesund, mir wird nichts Böses geschehen. Ich weiß ja, du reisest nicht gern …«

»Ich ginge lieber mit einem Rührlöffel gegen Kanonen,« unterbrach sie Kmiziz.

»Glaubst du nicht, wenn du hierbleibst, es wird dich quälen, so oft du daran denkst: ich habe den Freund in der Not im Stich gelassen, und Gott wird in gerechtem Zorn dir seinen Segen versagen.«

»Du machst mir Angst. Gott, sagst du, wird mir seinen Segen versagen?«

»Das fürchte ich. Ein solcher Freund wie Herr Michael – ist es nicht heilige Pflicht, ihn zu retten?« »Ich liebe Michael von ganzem Herzen – es geschehe. Wenn es denn sein muß, dann gleich, denn hier handelt es sich um jede Stunde. Ich gehe sofort in die Ställe. Beim lebendigen Gott, gibt es denn keinen anderen Rat mehr? Der Teufel hieß die dort nach Kalisch reisen! Nicht um mich bin ich besorgt, aber um dich, mein Geliebtes! Ich wollte lieber ein Vermögen verlieren, als einen Tag ohne dich atmen. Wenn mir jemand sagte, daß ich dich verlasse nicht um des Vaterlandes willen – ich stieße ihm den Griff des Schwertes bis übers Kreuz in den Mund! Pflicht sei es, sagst du, nun denn – es sei! Ein Narr, wer sich lange umsieht. Wäre es nicht für Michael, für einen anderen tät ich es nicht!«

Hier wandte er sich an Charlamp.

»Lieber Freund, komm mit mir in die Ställe, wir wollen die Pferde aussuchen, und du, Olenka, laß mir das Ränzel schnüren; möge jemand von den Laudaern sich der Ernte annehmen. Herr Charlamp, zwei Wochen müßt Ihr schon hier bleiben, um mein Weib zu beschützen; vielleicht findet sich auch hier in der Gegend eine Pacht – nehmt Lubitsch, was!? Komm in den Stall; in einer Stunde geht's ab. Wenn es sein muß, muß es sein!«

Ein gutes Stück noch vor Sonnenuntergang machte sich der Ritter auf den Weg. Seine Gattin verabschiedete sich von ihm mit Tränen und segnete ihn mit einem Kreuze, in welchem Splitter vom heiligen Holz in Gold gefaßt waren. Und da Kmiziz aus alten Zeiten her an plötzlichen Aufbruch gewöhnt war, so eilte er davon, als gelte es die Verfolgung beutebeladener Tataren.

Von Wilna ging's nach Grodno, nach Bialystock, und von da zog er nach Siedlez. Als er durch Lukow kam, erfuhr er, daß die Familie Skrzetuski mit ihren Kindern und mit Herrn Sagloba gerade einen Tag zuvor heimgekehrt sei; er beschloß also, bei ihnen einzukehren, denn mit wem hätte er erfolgreicher über die Rettung Wolodyjowskis beraten können, als mit ihnen?

Sie empfingen ihn mit Verwunderung und Freude, die sich aber bald in tiefen Schmerz verwandelte, als er ihnen den Zweck seiner Reise mitteilte. Sagloba konnte sich den ganzen Tag nicht beruhigen und weinte am Teich beständig so bitterlich, daß er später selbst sagte, der Teich habe zugenommen, und man habe die Schleusen öffnen müssen. Nachdem er sich ausgeweint hatte, ging er mit sich zu Rate und dachte:

Johann kann nicht reisen, denn er ist ins Wahlkapitel gewählt, und Händel wird es die Menge geben, denn nach so viel Kriegen fehlt es nicht an unruhigen Geistern. Aus dem, was Herr Kmiziz sagt, darf man wohl annehmen, daß die Störche den Winter über in Wodockt bleiben werden, denn man hat sie dort zum Arbeitsinventar gezählt, und sie müssen ihr Amt erfüllen. Kein Wunder, daß es ihnen bei solcher Wirtschaft ungelegen kam, auf die Reise zu gehen, besonders da man gar nicht wissen kann, wie lange sie dauern mag. Es beweist Euer großes Herz, daß Ihr gereist seid, aber wenn ich aufrichtig raten soll, so sage ich, kehrt wieder heim, dort bedarf's eines näheren Vertrauten, der es sich nicht zu Herzen nimmt, wenn man ihn anschreit, wenn man ihn nicht sehen will. Dort ist Geduld nötig und große Erfahrung. Ihr aber habt nur Freundschaft für Michael, was in einem solchen Falle nicht viel nützen kann. Ärgert Euch nicht, Freund, Ihr müßt selbst gestehen, daß Johann und ich ältere Freunde sind, und daß wir mehr miteinander erlebt haben. Du lieber Gott, wie oft habe ich ihn und er mich aus der Not gerettet.

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