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Friedrich Arnold Brockhaus – Erster Theil
Ich bin 1774 geboren.8 Mein Vater, Sohn eines benachbarten Predigers, hatte meine Mutter, die Tochter eines angesehenen Kaufmanns, als Witwe geheirathet. Zwei Kinder erster Ehe waren gestorben, und aus dieser Ehe entsprangen zwei Söhne, von denen ich der jüngste bin, und der älteste mein noch in Dortmund lebender Bruder ist. Mein Vater, der erst 1811 gestorben, war ein sehr braver und wackerer Mann, aber nicht transcendent. Meine Mutter dagegen war eine geistreiche, vortreffliche Frau, und ihr Bild steht noch immer als das Ideal einer vollendeten Hausfrau vor meiner Seele.
Ich war ein aufgeweckter Knabe mit einem brennenden Durst nach Kenntnissen aller Art, und einer wahren Bücherwuth. Noch schwebt es mir wie gestern in Andenken, und gibt dies zugleich ein Bild jener Zeit, wie ich das erste Buch kaufte und wie es ablief. Ich mußte für den Vater in den Bücherauctionen Folianten und Quartanten erstehen, die er in seinem Laden als Maculatur gebrauchte. Hier kam nun auch Voltaire's Leben von Karl XII. in der alten Uebersetzung unter den Hammer. Niemand bot etwas. Ich hatte das größte Gelüste nach dem Buch und wagte es, 2 Groschen zu bieten, und siehe da, ich erhielt es und war der glückliche Besitzer! Aber der Vater, ein strenger Mann, vermerkte es sehr übel, wie ihm überhaupt mein vieles Lesen in den Tod zuwider war, verwies mir meine Verschwendung, und ohne das Dazwischentreten der immer guten und verständigen Mutter hätte ich wol noch eine Ohrfeige dazu erhalten. Es ist, als ob ein Jahrhundert dazwischen läge zwischen dem, wie es damals war, und jetzt ist.
Im funfzehnten Jahre kam ich nach Düsseldorf in eine dortige große Schnitthandlung, die zugleich Bankiergeschäfte machte, in die Lehre. Mein Lehrherr hieß Hofmann, er lebt noch und ist mein Freund geblieben. Er zeichnete mich unter sechs andern Commis und Burschen sehr aus, und zu sehr. Er bekam den Einfall, sein Geschäft zu erweitern, da er ein sehr wohlhabender Mann war, und eine Großhandlung neben der bestehenden Schnitt- und Wechselhandlung zu errichten, und er warf auf mich, den jüngsten Lehrburschen, die Augen, dazu die ersten Reisen zu machen, weil in dortigen Gegenden Alles durch Reisediener besorgt werden muß, da die Messen zu fern liegen. So wurde ich unerfahrener Mensch in einem Alter von kaum 17 Jahren auf ziemlich große Reisen, die sich bis Hannover, Kassel, Koblenz, Lüttich, Cleve ausdehnten, geschickt, um die neuen Geschäfte zu gründen. Diese so frühen Reisen haben sehr nachtheilig auf mich eingewirkt. Meine Bildung war noch nicht vollendet und wurde dadurch ganz zerrissen, indem ich oft in Monaten nicht zu Hause kam, und anstatt geführt zu werden, wie es dem Jünglinge ziemt, mußte ich mich selbst führen. Gegen jetzt war damals eine große Sittenreinheit, aber dagegen wieder eine größere Roheit. Die gänzliche Freiheit, worin sich der siebzehnjährige Jüngling aber auf diesen Reisen befand, das fortwährende Gasthofleben und die stete Gesellschaft mit andern Reisedienern wirkte nothwendig nachtheilig auf Sitten und Charakter.
Indessen vollzog ich meine Geschäfte zur höchsten Zufriedenheit meines Herrn, ich bildete mich zu einem tüchtigen Geschäftsmann, und mir ward vor Ablauf der Lehrzeit und noch nicht 20 Jahr (der Auftrag?), das Geschäft auch nach Braunschweig auszudehnen und dort die Messen zu beziehen. Mein Herr blieb dabei fein zu Hause, und mir ganz allein war das schwierige und kitzliche Geschäft der ganzen ersten Organisation übertragen. Und unser Geschäft war höchst bedeutend. Auch hier ging Alles gut, und ich erntete Ehre und Lob die Fülle. Auf der vierten Messe hatte ich das Unglück, daß mir 100 Louisdor gestohlen wurden. Ich empfange solche vor Tisch, eben wie zum Essen geläutet wird, und bin dadurch behindert, sie in mein Bureau zu verschließen, lasse sie also auf dem Tische stehen. Wie ich nach Tisch wiederkomme, sind sie weg. Dieser Vorfall hatte auf mein Schicksal großen Einfluß. Herr Hofmann war darüber hart und ungerecht gegen mich, ich indignirte mich deshalb und bot ihm den successiven Ersatz an. Er war kleinsinnig genug, es anzunehmen, und dies empörte mich vollends. Ich sagte ihm auf und verließ sein Haus. Wäre dieser Vorfall nicht eingetreten, so wurde ich nach einigen Jahren gewiß Compagnon, und dies um so leichter, da sich eine zarte Neigung zu einer nahen Verwandten des Herrn Hofmann, Marie Sibel, in meiner Brust gebildet hatte, die gebilligt und mit Innigkeit erwiedert wurde. Ich hatte gegen Herrn Hofmann Unrecht, obgleich er nicht großmüthig handelte. Mein kecker Trotz kam mir später theuer zu stehen.
Ich ging in das väterliche Haus zurück. Meine gute Mutter sah ich nicht wieder! Meine Liebe für Literatur und die Wissenschaften hatte indessen nie geschlummert, und ihr, dieser Liebe, danke ich es gewiß, daß ich auf den vielen Reisen und bei dem steten Herumschwärmen nicht moralisch untergegangen war. Je mehr ich aber immer las, je mehr fühlte ich auch die Lücken in meinem Wissen, da nirgends ein solider Grund gelegt war. Der erste Schulunterricht war nach damaliger Zeit sehr schlecht gewesen, und ich hatte keine Zeit gefunden, ihn nachzuholen. Ich fühlte aber, daß ich mehr wissen müsse, um meinem aufstrebenden Geiste Genüge zu leisten und höhern Aufgaben des Lebens entsprechen zu können. So ungewöhnlich es daher auch war, so bewog ich meinen Vater doch dahin, daß er mir erlaubte, ein Jahr eine Akademie zu beziehen, und ich ging nun nach Leipzig, wo ich au 5me in der Petersstraße bei einem Perrückenmacher anderthalb ganz glückliche Jahre zubrachte und, ich darf es sagen, musterhaft lebte und musterhaft fleißig war. Ich erwarb mir insbesondere die neuern Sprachen und erlangte darin eine ziemliche Vollkommenheit im mündlichen und schriftlichen Ausdruck; außerdem saß ich stets zu Platner's und Hindenburg's und Eschenbach's Füßen, trieb Philosophie, Physik und Chemie, was aber aus Mangel an gründlicher Elementarbildung, die sich später nie ersetzen läßt, nicht tiefe Wurzeln gefaßt hat.
Nach Verlauf dieser glücklichen anderthalb Jahre engagirte ich mich bei einem englischen Hause in Manchester und war bestimmt, die Geschäfte desselben in Italien zu leiten. Wir gaben uns in Leipzig das Rendez-vous in Amsterdam, und ich reiste ab, um die Erlaubniß meines Vaters einzuholen und von ihm Abschied zu nehmen. Dieser, ein Mann im alten Stil, sah diesen Plan nicht gerne. Ich war zu einem Manne herangereift und galt für einen schönen Mann, ich hatte und zeigte mehr Talent und Geist und Bildung, als in meiner Vaterstadt an der Tagesordnung war — was war natürlicher, als daß der gute Vater auf mich Pläne baute und mich um sich zu behalten suchte? Bonaparte unterstützte ihn und trat mir hier zuerst in meinen Weg. Er war eben zum Heerführer der Armee ernannt, die gegen Italien focht. Seine Siege führten ihn schnell über die Alpen und ganz Italien wurde von ihm überzogen. Mein Haus in Manchester hob seine Commandite in Livorno, wohin ich gehen sollte, auf, meldete mir dies und bot mir en attendant mieux eine Stelle auf seinem Comptoire an. Die mochte ich nicht, und ich folgte nun williger den Wünschen des Vaters und um so leichter, da ich in unserm Städtchen eine Art Phänomen war und meine Eitelkeit täglich Triumphe feierte.
Es dauerte nicht lange, als sich Gelegenheit zu einer Handelsverbindung zeigte. Diese wurde auch geschlossen mit einem wackern Freunde, Namens Mallinckrodt, und des Kapitals wegen, da die unserigen nicht zuzureichen schienen, mit einem Dritten, Namens Hiltrop, einem sehr reichen Menschen, den wir für dumm hielten und glaubten auf diese Weise benutzen zu dürfen. Dies war ein großes Unglück, dem ich unsägliche Leiden verdanke, denn dieser Mensch war freilich dumm, aber zugleich ein verworrener Phantast und von dem allerschlechtesten Charakter. Unser Geschäft bestand in englischen Manufacturwaaren im Großen, insbesondere in groben Wollartikeln, die in jenen Gegenden stark gebraucht wurden. Ich besorgte die Comptoirgeschäfte, Mallinckrodt die Reisen und das Waarengeschäft. Unsere Handlung hatte den glänzendsten Fortgang. Wir glaubten Hiltrop (den dritten Compagnon) entbehren zu können; wir separirten uns also von ihm und fanden ihn ab. Alles in der höchsten Ordnung und Rechtlichkeit.
Wir heiratheten nun. Ich meine Sophie, er (Mallinckrodt) eine Freundin von ihr. Sophie war 19, ich eben 24 Jahre alt.9 Sie war aus der angesehensten Familie meiner Vaterstadt, ehemaligen Patriciern. Sie war liebenswürdig, selbst schön, nicht geistreich, aber verständig und von einem edlen und festen Charakter, der sich in den schwierigsten Lebensverhältnissen erprobt hat. Dabei brachte sie mir ein für dortige Gegenden sehr bedeutendes Vermögen zu. Wir waren die glücklichsten Menschen unter der Sonne. Ach, wenn ich dieser Rosenzeit meines Lebens, die drei volle Jahre dauerte, gedenke, so rollen, wie auch jetzt, die hellen Thränen aus meinen Augen, denn in ihnen genoß ich des höchsten menschlichen Glückes. In diesen Zeitraum fällt die Geburt von Auguste und von Fritz.
Aber nicht länger sollte unser Glück dauern. Unser Geschäft hatte einen höchst genialen Charakter angenommen, etwa oder ganz in der Art, wie ihn jetzt mein Buchhandel hat. Wir machten unerhörte Geschäfte, hatten einen grenzenlosen Credit und gewannen große Summen. Unser Geschäft hatte sich vorzüglich nach Holland gezogen; wir etablirten ein Haus in Arnheim, und mein Associé zog dahin. In dieser Epoche fielen die ungeheuern Bankrotte in Hamburg vor, von denen Sie wol mal werden gehört haben. Wir wurden zwar nicht direct, aber in einer indirecten Weise darin verflochten, die unserm Schicksal eine ganz andere Richtung gab. Jener unser erster Associé Hiltrop hatte nach seiner Trennung von uns ein ähnliches Geschäft, als es das unserige war, begonnen, aber freilich nicht mit unserer adresse und unserm Geiste; er hatte sich also bald verfitzt, und als vollends sein Bankier in London, ein Vetter der Bethmann in Frankfurt, die ihn aber ruhig fallen ließen, Bankrott machte und er an diesem 15000 Thaler zu verlieren befürchten mußte, kam er in Verzweiflung, und nicht fähig, sich selbst zu retten, warf er sich uns in die Arme. Wir retteten ihn, übernahmen seine Sachen, auch mit einem Verlust von nur einem Drittel seine Forderung an den falliten Bethmann, da wir mit diesem auch in Verbindung waren und uns schmeichelten, die Rechnungen compensiren zu können. Wir arrangirten sein Creditwesen und handelten in jeder Hinsicht mit der höchsten Großmuth und Liberalität, ohne jedoch das kaufmännische Princip dabei aus den Augen zu lassen.
Dieses accomodement für und mit Hiltrop sollte für uns die Ursache unübersehbarer Verdrießlichkeiten und Unglücks werden. Dortmund war damals noch eine Reichsstadt, und das Unwesen in den Gerichtsformen und bei Processen war bei der absoluten Unabhängigkeit der Reichsstädte in den ersten Instanzen dort grenzenlos. Unsere Handlung hatte einen Schwung genommen, von dem man sich in der altväterischen Stadt nie eine Idee gemacht hatte, und ob wir gleich, ich darf das sagen, unser Glück nicht durch Uebermuth geltend machten, im Gegentheil allenthalben helfend mit der höchsten Uneigennützigkeit eingriffen, so führte doch unsere Existenz und unser Geschäft einen train de vie mit sich, der dort neu war, großes Aufsehen machte und uns die heftigsten Neider und daraus Verleumder zuzog. Man hetzte jenen Phantasten Hiltrop, den wir vom Elend und Versinken allein und mit der vollkommensten Rechtlichkeit gerettet hatten, gegen uns auf, und dieser klagte nun gegen uns über jene stattgefundene Cession seiner Forderung an uns, und daß wir ihn dabei verletzt hätten. Der Proceß darüber nahm seinen Anfang, und da der Bürgermeister, die Seele von Allem, was in dem Städtchen geschah, mein erbitterter und entschiedener Feind war, so erwuchsen aus der Führung dieses unglücklichen Processes für mich (denn mein Associé war in Arnheim) namenlose Verdrießlichkeiten, und ich entschloß mich endlich, Dortmund ganz zu verlassen und nach Holland zu ziehen. Aber kaum verlautbarte dieser Entschluß, als mir erstlich eine ganz übertriebene Cautionsleistung für den obschwebenden Proceß abgefordert wurde und man sofort mit der Forderung von 10 Procent von unserm Vermögen auftrat. Beide Forderungen wurden mit einer Art von fanatischer Wuth bei unsern Widersprüchen verfolgt. An Hülfe war gar nicht zu denken, denn der Magistrat hatte und erkannte keine andere Behörde über sich als das Reichskammergericht in Wetzlar oder den Reichshofrath in Wien. Ich mußte Kränkungen über Kränkungen erleiden. Erst wurde unser ganzes Waarenlager mit Arrest belegt, meine Handlungsbücher wurden uns fortgenommen und untersucht, ich selbst am Ende persönlich arretirt. Ich mußte mich beugen und wenigstens die Caution für die 10 Procent Vermögenssteuer leisten. Der andern (Maßregel?) entging ich zu meinem Glücke durch Consequenz und Klugheit.
So verließen wir unsere Vaterstadt und kamen fast wie Geächtete in Arnheim an. Die Geschichte hatte das ungeheuerste Aufsehen gemacht, der Haufen der Menschen war, wie ganz in der Regel, gegen uns, die man hochfahrige, überklugseinwollende, vorwitzige Personen nannte, denen hier Recht geschehen sei; unser Credit litt dadurch außerordentlich, und im Auslande, wo man sich solchen Unsinn, als der dortmunder Magistrat begangen, gar nicht denken konnte, mußte man ganz irre werden, als wir anzeigen mußten, wir wohnen nicht mehr in Dortmund, sondern jetzt in Arnheim. Dazu kamen nun die reellen äußern Zerstörungen, die mit dieser gewaltsamen Geschäftsverpflanzung verbunden sein mußten, und der Umstand, daß Alles allerdings auf die Spitze getrieben war, indem wir das Geschäft aus dem Gesichtspunkt betrieben hatten: man muß das Eisen schmieden, solange es glühend ist; — kurz, unsere Lage wurde bei diesen Umständen höchst kritisch. Mein Associé, der blos das Waarengeschäft geleitet und von der einen Seite die großen geernteten Vortheile kannte, nicht aber alle die Fäden, die ich angesponnen, um das Geschäft in dieser Höhe zu erhalten, war nun höchst befremdet über die Stockungen in unserm Creditsystem. Er war unbillig genug gegen mich, der so unendlich gelitten und Alles allein hatte erdulden müssen, mir Vorwürfe zu machen, und ich war schwach genug, darüber so erbittert zu werden, daß ich ihm die Compagnieschaft aufsagte. Wir separirten uns also. Ich zahlte ihm ein Abfindungsquantum von baaren 60000 Gulden und übernahm das ganze Geschäft und zog nach Amsterdam. Dies war im Winter 1801 auf 1802.
Zweiter Abschnitt.
In Amsterdam
1.
Kaufmännische Thätigkeit
Als Brockhaus im Winter von 1801 auf 1802 Arnheim verließ und nach Amsterdam übersiedelte, um hier das früher mit Mallinckrodt betriebene Geschäft in englischen Manufacturen en gros allein und auf günstigerm Boden fortzusetzen, hatte er einen schweren Stand. Durch den Hiltrop'scheu Proceß und die Verlegung seines Geschäfts von Dortmund nach Arnheim hatte sein Credit schon leiden müssen, da die kaufmännische Welt die nähern Umstände und die eigentliche Veranlassung dazu nicht kannte. In Amsterdam hatte er somit eigentlich wieder von vorn anzufangen. Indeß verlor er den Muth nicht, und das Glück schien ihm auch bald wieder lächeln zu wollen.
Es waren damals die letzten Jahre der Batavischen Republik unter ihrem trefflichen Leiter, dem Großpensionär Schimmelpenninck; die frische Luft des Freistaats, der lebhafte Verkehr der großen Handelsstadt sagten ihm weit mehr zu, als die engen Verhältnisse der kleinen Provinzialstadt Arnheim und seiner freilich ebenfalls »freien« Vaterstadt Dortmund. Außerdem stand er in Amsterdam ganz auf eigenen Füßen und befand sich in neuer Umgebung; er hatte auf keinen Associé Rücksicht zu nehmen und wurde in der ersten Zeit wenigstens fast durch nichts mehr an frühere widrige Verhältnisse erinnert.
Alles das gab ihm eine zuversichtliche Stimmung. In dieser schreibt er am 18. Mai 1802 an seinen Bruder Gottlieb in Dortmund, mit dem er fortwährend in den herzlichsten Beziehungen verblieb:
Wir fügen uns in unsere hiesigen neuen Verhältnisse Alle recht gut, und wenn ich mal diejenigen der alten Handlung ganz in Ordnung habe sowie mein properes Geschäft in gehörigem Vertrieb, so hoffe ich, wird mir endlich Zufriedenheit und Ruhe zutheil werden; ich werde gewiß mich für abermalige zu große Geschäfte hüten. Darin fehlte Mallinckrodt und verführte er mich auch hauptsächlich. O ich danke Gott, daß ich von ihm ab bin und allein handeln kann, wie ich jetzt will. Ich könnte ihm große Vorwürfe machen — ich thue es nicht und ergebe mich in mein Schicksal. Die Zukunft verspricht mir auch ja so viel Gutes und ich hoffe, daß, wenn wir uns mal wiedersehen, wir Beide glücklicher sein werden als wie wir uns trennten.
Auch materiell unterstützte ihn der Bruder durch seinen Credit und wie er es sonst vermochte. Im Sommer 1804 besuchte er ihn in Amsterdam. Folgender bald nach dessen Abreise geschriebene Brief von Arnold Brockhaus an seinen Bruder Gottlieb (vom 4. September 1804) gibt von dem herzlichen Verhältniß zwischen Beiden und von der warmen Empfindung des Schreibers Zeugniß:
Theuerster Bruder!Freilich: unsere höchsten Freuden grenzen oft nur um eine Linie an den herbsten Schmerz. Wie glücklich verflossen uns die wenigen Tage, die wir hier zusammen lebten und — was mir unschätzbar bleibt — auch mit einander verlebten. Aber der Abschied von Dir, theuerster Bruder, am Sonntag Morgen, — der zerriß mir die Seele. Bin ich doch nie von Schmerz, Betrübniß und Wehmuth so hingerissen, so aufgelöst gewesen, als in den Stunden. Mir selbst fast unbegreiflich war auch die Stimmung, worin ich mich befand. War es mir doch, als ob mit Dir alle meine Hoffnungen, alle meine Freuden, alle Annehmlichkeiten des Lebens dahinschwänden, als ob die Zukunft von jetzt an nur Grausen und Schrecknisse für mich haben werde, als ob wir uns nie wieder sehen würden, — als ob ich nichts Theueres mehr auf der Welt hätte!
Ich konnte mich auch nicht erholen. Nicht eine, sondern mehrere Stunden lang saß ich in Schmerz versunken, ohne ein anderes Bewußtsein auf der Seele, als daß oft unwillkürlich und gedankenlos helle Thränenbäche mir aus den Augen stürzten. Nur die Liebkosungen der Kinder, an dem Arme ihrer guten, mir so lieben Mutter, brachten mich endlich wieder zu mir selbst. Der Tag verfloß uns so in feierlicher Stille, und nur Du warst der Gegenstand unserer traulichen Reden. Könnten wir Dich doch in unserer Mitte haben! Könnten wir doch nur zusammen leben! Das war der ewige Wiederholungspunkt, worin sich unsere Wünsche alle begegneten.
Du eiltest in der Zwischenzeit der friedlichen Heimat zu. Jetzt ist der Bruder da, nun ist er da. Nun ist er in Amersfoort, Arnheim, Wesel — nun eilt er in die Arme seiner lieben Frau, seiner geliebten Kinder, jetzt drückt er sie froh an sein Herz, nun sind sie zu Hause im kleinen Stübchen, jetzt erzählt der Bruder von uns — und von Amsterdam, dem horchenden Lottchen, den erstaunenden Freunden! So warst Du uns stündlich und täglich gegenwärtig, so begleiteten wir Dich allenthalben und lebten in der süßesten Täuschung. Denn ach, — wie schrecklich mußte der Uebergang von der Stimmung sein, mit welcher Du in Bochum ankamst, bis Du es wieder verließest. Erinnerst Du Dich des Vorfalls, den Du uns von dem Bauer in Brakel erzähltest, der bei seiner Zurückkunft, wo er sein liebes Weib und seine Kinder zu überraschen gedachte, ersteres und seinen Liebling von diesen todt fand? War es mir doch, als Du es erzähltest, als ob mir eine geheime Ahndung aufstieg. Das Herz brach mir fast, als Du es erzähltest! Gott, wie schrecklich hattest Du hier selbst fühlen können, du gefühlvoller, edler, einfacher Mensch, was Du mit so innigem Affecte von Andern darstellen konntest!
Wir Alle, theuerster Bruder, haben an diesem Deinem harten Schicksale den innigsten Theil genommen und nehmen ihn noch immer. Gebe nur der gute Gott, daß sich noch Alles zum Besten lenke. Gebe er Dir Seelen- und Körperstärke, um die Gegenwart und die Zukunft ertragen zu können!
Wir bitten Dich innigst, uns doch jeden Posttag, wäre es auch nur mit wenigen Zeilen, die Lage der Umstände zu melden. Wir befürchten zwar Alles, hoffen aber auch noch Alles.
Ein weiteres sprechendes Zeugniß der Liebe zu seinem Bruder Gottlieb bietet ein Blatt, das dieser in seiner Wohnstube unter Glas und Rahmen aufbewahrte. Es enthält eine bekannte Stelle aus Schiller's »Braut von Messina« mit der Ueberschrift: »A. B. — G. B.« und wurde ihm wahrscheinlich einmal von seinem Bruder zum Geburtstage übersandt. Die Worte (von Isabella nach dem zweiten Auftreten des Chors gesprochen) lauten:
Feindlich ist die Welt Und falsch gesinnt! Es liebt ein Jeder nur Sich selbst; unsicher, los und wandelbar Sind alle Bande, die das leichte Glück Geflochten — Laune löst, was Laune knüpfte — Nur die Natur ist redlich! Sie allein Liegt an dem ew'gen Ankergrunde fest, Wenn alles And're auf den sturmbewegten Wellen Des Lebens unstet treibt. Die Neigung gibt Den Freund — es gibt der Vortheil den Gefährten; Wohl dem, dem die Geburt den Bruder gab! Ihn kann das Glück nicht geben — anerschaffen Ist ihm der Freund, und gegen eine Welt Voll Kriegs und Truges steht er zwiefach da.Sein nicht mehr bedeutendes Betriebskapital wußte Brockhaus auf geschickte Weise zu vergrößern, indem er das Vertrauen benutzte, das man ihm in Amsterdam von allen Seiten entgegenbrachte. So hatte sich schon in Dortmund ein französischer Emigrant an ihn angeschlossen und ihm nach und nach eine größere Summe anvertraut, worüber nun in Amsterdam am 1. Juni 1802 ein Document ausgestellt wurde; es war dies der frühere Prevôt von Valenciennes, Pierre Antoine Louis Lehardy de la Loge. Freilich entstanden ihm später manche Unannehmlichkeiten aus diesem Geldgeschäfte, da die nach dem Tode seines Freundes von dessen Erben geforderten Rückzahlungen des Kapitals gerade in eine sehr schwierige Zeit fielen. In ähnlicher Weise bot ihm ein anderer französischer Emigrant, ein früherer Militär, Charles Louis Remy la Motte de la Tournelle aus Rheims, ein kleines Kapital gegen eine Jahresrente an und Brockhaus schloß am 15. März 1802 darüber einen Vertrag mit ihm.
Aber auch in der kaufmännischen Welt gewann er rasch wieder bedeutenden Credit. Allerdings ließ er sich dadurch verleiten, trotz seiner guten Vorsätze wieder weiter zu gehen, als seine Kräfte erlaubten, und zudem traten bald politische Verhältnisse ein, die das kaufmännische Geschäft überhaupt sehr erschwerten. Es war die Zeit der Continentalsperre, jener rücksichtslosen Maßregel Bonaparte's gegen England, durch welche er dessen Macht zu brechen hoffte. Natürlich war es sein Streben, auch die Nachbarländer zu gleichem Vorgehen gegen England zu bestimmen, da er sich nur dann den gewünschten Erfolg versprechen konnte. So bot er auch seinen ganzen Einfluß auf, um die schwache Batavische Republik zu ähnlichen Maßregeln zu bringen, und diese vermochte dem Drängen des mächtigen Nachbars auf die Länge nicht zu widerstehen. Die strengsten Verordnungen wurden erlassen, um allen englischen Waaren den Eingang in die Republik unmöglich zu machen.
Dies war natürlich ein tödlicher Schlag für Brockhaus' eben im Wiederaufblühen begriffenes Geschäft, dessen Hauptbezugsquelle immer England gewesen war. Trotzdem verlor er den Muth nicht gleich, er suchte den veränderten Umständen gemäß neue Wege auf und noch bis in den Herbst des Jahres 1804 gelang es ihm, der ungünstigen Conjunctur die Spitze zu bieten. Allein die Verlegenheiten mehrten sich.
Unterm 30. September entwirft er dem Bruder folgendes anschauliche Bild seiner Lage:
Seit Deiner Abreise, lieber Bruder, habe ich viel Sorgen gehabt und noch sind sie leider nicht vorbei. Ich will mich mit Dir sehr offen unterhalten, gerade als ob wir traulich nebeneinander in der Mitternachtstunde säßen, wie wir es bei Deinem Hiersein so manchmal thaten.
Ich habe unglücklicherweise noch immer nicht die goldene Kunst erlernt, die Segel einzuziehen, wenn der Wind am vortheilhaftesten hineinweht. Durch das günstige Geschäft in diesem Jahre verführt, habe ich mich unglücklicherweise wieder zu tief hineingesteckt, und es ist mir deshalb was über dem Kopf zusammengeschlagen. Dazu kam die verdammte Speculation auf die Ladung des hier verkauften Schiffes, wovon mir noch 12000 Gulden in Leipzig festsitzen und die im Ganzen doch nicht gut rentirt. Drittens hatte es mir Anstrengung gekostet, um an Hofmann & de Bri gleich eine Summe von circa 1500 £ zu übermachen, in Absicht eines brillanten Debüts, da ich sonst noch ein paar Monate das Geld hätte halten können. Auch habe ich das Jahr zu viel comptant oder auf kurze Zeit gekauft ... Ich habe mich inzwischen gehalten, allen Engagements Genüge geleistet und denke, so Gott will, glücklich herauszukommen ... Es ist das Alles sehr schlimm gewesen und noch ist es nicht wieder im rechten Haken, allein so wie das Schlimme sehr nahe am Guten grenzt, so auch umgekehrt. Es wird hieraus für mich wahrscheinlich viel Gutes hervorgehen. Die Lehre, die ich jetzt erhalten, war scharf: meine Existenz stand auf einer Nadelspitze — die habe ich erhalten — , aber mein Credit hat tief gelitten und das ersetzt sich schwerer, ob ich gleich hier auf dem Platze keines besondern Credits bedarf. Ich habe es nämlich mir selbst, meinem theuern Weibe, meinen geliebten Kindern heilig gelobt: von jetzt an nur ein kleines Geschäft, das nur halb so groß ist als mein jetziges, haben zu wollen. Ich werde nicht wieder wankend werden, zuverlässig nicht, dazu ist mein Vornehmen diesmal zu bestimmt und raisonnirt. Das Gute wird also aus meinen gehabten Verlegenheiten sicher hervorgehen und ich blicke wirklich seit der Zeit schon mit mehr Heiterkeit in die Zukunft als vorher. Ich habe allen Ideen von weitläufigem und ausgebreitetem Geschäft auf das feierlichste entsagt, und fortan werde ich mich nie wieder dazu verführen lassen, noch von dem geraden Wege in meinen Transactionen abgehen ... Dies, lieber Bruder, waren die Sorgen und die Verlegenheiten, worin ich mich befunden habe. Sie waren groß, da sie alle wie ein Gewitter auf mich zusammenstürzten, allein sie waren auch nicht größer als ich sie Dir geschildert, und ich hoffe, daß ich so ziemlich dadurch bin. Ich habe außer dem brüderlichen Hange, Dir auch nichts verschweigen zu wollen, was mir Gutes und Uebles auf der Welt widerfährt, auch noch die Ursache, Dir darüber zu schreiben, da es möglich wäre, daß durch Königshoff oder sonst Jemanden etwas darüber nach Dortmund berichtet würde, und damit Du dann weißt, was davon zu halten.