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Privat- und Prozessrecht
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Werden im Rahmen freundschaftlicher Beziehungen oder gesellschaftlichen Kontakts Absprachen getroffen, so ist es ein Gebot des Anstands, sich daran zu halten.

Gemeinsames Urlaubsvorhaben; Verabredung zum Tennismatch oder zum Skatabend; Bereitschaft, den Nachbarn im Pkw in die Stadt mitzunehmen.

Maßgebliches Kriterium für das Vorliegen einer Willenserklärung bzw. eines Schuldverhältnisses ist das Vorliegen des Willens der Beteiligten, sich rechtlich binden zu wollen (Rechtsbindungswille). Wo er fehlt, ist von einem Gefälligkeitsverhältnis auszugehen, wo er vorhanden ist, liegt ein Schuldverhältnis vor. Da der Rechtsbindungswille nicht ausdrücklich formuliert wird, ist er anhand von Indizien zu ermitteln. Solche Indizien, die für oder gegen einen Rechtsbindungswillen sprechen, sind beispielsweise die Art, der Grund oder der Zweck der fraglichen Verabredung, die rechtliche Bedeutung für einen von beiden, die Umstände, unter denen die Verabredung getroffen wird, oder auch der Wert einer anvertrauten Sache.

Die Verabredung zwischen Nachbarn, auf die Wohnung während der Urlaubsabwesenheit des anderen aufzupassen, ist wegen der bedeutenden Werte, die dem Beauftragten anvertraut werden, keine Gefälligkeit, sondern ein Auftragsvertrag nach § 662 BGB.

Eine Einladung zum Abendessen unter Freunden, die der Eingeladene zwar annimmt, aber dann nicht erscheint, ist aufgrund des gesellschaftlichen Hintergrunds infolge fehlender rechtlicher Bedeutung reine Gefälligkeit.

Wer sich bereit erklärt, für einen Nachbarn zwecks schnellerer Beförderung einen wichtigen Brief in einer Terminsache beim Hauptpostamt einzuwerfen, schließt wegen der rechtlichen Bedeutsamkeit für den Auftraggeber wiederum einen Auftragsvertrag nach § 662 BGB.

Liegt mangels Rechtsbindungswillens eine Gefälligkeit vor, so besteht kein Erfüllungsanspruch, weshalb bei Nichterfüllung (Fernbleiben vom verabredeten Tennismatch oder Skatabend, Absage des gemeinsamen Urlaubs, Vergessen der Mitnahme des Nachbarn in die Stadt) regelmäßig auch keine Schadensersatzansprüche aus § 280 BGB gegeben sind, weil es am Tatbestandsmerkmal „Schuldverhältnis“ fehlt. Es ist in solchen Fällen daher jederzeit möglich, ohne rechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen, vom Vorhaben wieder einseitig Abstand zu nehmen.

Wer zum Abendessen als Gast nicht erscheint, muss die überflüssigerweise gekochten Speisen im Wege des Schadensersatzes nicht bezahlen.

Es entsteht auch kein Schadensersatzanspruch, wenn der Freund seine Zusage zum gemeinsamen Skatspiel nicht einhält und die bitter enttäuschten Mitspieler sich in ihrer „Not“ bei der Studentenvermittlung einen Ersatzpartner gegen Bezahlung besorgen.

Wer allerdings den ihm zur Wohnungsbeaufsichtigung während des Urlaubs übergebenen Schlüssel verliert und damit einem Finder den Diebstahl von Einrichtungsgegenständen ermöglicht, haftet auf Schadensersatz, weil der Auftragsvertrag ein Schuldverhältnis darstellt.

Wer den wichtigen Brief beim Postamt einzuwerfen vergisst, obwohl er auf die Wichtigkeit ausdrücklich hingewiesen worden ist, begeht aus demselben Grund eine Pflichtverletzung.

In den Grenzbereich zwischen Rechtsbindung und Gefälligkeitsverhältnis fällt das vom Bundesgerichtshof entschiedene Problem des leichtfertigen Teilnehmers einer Lotto-Tippgemeinschaft, der es übernommen hat, für die Freunde jede Woche mit im Voraus festgelegten gleichbleibenden Zahlen die Lottoscheine auszufüllen. Ausgerechnet in der Woche, in der auf diese Zahlen der Hauptgewinn fiel, war er nicht dazu gekommen, die Scheine abzugeben. Der Bundesgerichtshof hat ein Gefälligkeitsverhältnis angenommen und eine Schadensersatzpflicht verneint: Der Mitspieler hätte die Aufgabe nicht übernommen, wenn von vornherein an eine solche Schadensersatzpflicht gedacht worden wäre (fehlender Rechtsbindungswille).

4.5.2 Unvollkommene Verbindlichkeiten (Naturalobligationen)

Das Gesetz kennt verschiedene Ansprüche, die bestehen und auch erfüllt werden sollen. Obwohl ein Schuldverhältnis vorliegt, können Ansprüche daraus aber nicht erfolgreich bei Gericht eingeklagt werden. Diese Ansprüche werden unvollkommene Verbindlichkeiten oder Naturalobligationen genannt.

Verjährte Forderungen (§§ 194 ff. BGB), Spiel- und Wettschulden (§ 762 BGB: „wird eine Verbindlichkeit nicht begründet“), Ehemaklerlohn (§ 656 BGB: „wird eine Verbindlichkeit nicht begründet“).

Wiederholungsfragen zum 4. Kapitel

1. Was ist eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung?

2. Woraus besteht eine Willenserklärung?

3. Wodurch wird eine Willenserklärung wirksam?

4. Wodurch unterscheiden sich empfangsbedürftige und nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen?

5. Wann ist eine Willenserklärung zugegangen?

6. Wie kann man das Wirksamwerden einer bereits abgesandten Willenserklärung verhindern?

7. Wodurch kommt ein Vertrag zustande?

8. Wie nennt man die Willenserklärungen, die zusammen einen wirksamen Vertragsabschluss ausmachen?

9. Welche rechtliche Bedeutung haben „Angebote“ in Prospekten und Zeitschriften, Schaufensterauslagen, Katalogen, Onlineshops, Speisekarten?

10. Wie lange ist ein Anbietender an seinen Vertragsantrag gebunden

a) gegenüber einem Anwesenden?

b) gegenüber einem Telefonpartner?

c) gegenüber einem Abwesenden?

d) wenn der Antrag mit einer Fristbestimmung abgegeben wird?

11. Welche Bedeutung hat es, wenn der Anbietende seinem Vertragsantrag die Worte „freibleibend“ oder „unverbindlich“ hinzufügt?

12. Wann ist eine Vertragsannahme verspätet?

13. Wie wird eine verspätete Vertragsannahme rechtlich behandelt?

14. Was bedeutet eine Vertragsannahme, die mit Änderungen verbunden ist?

15. Wann liegt „offener Dissens“, wann „versteckter Dissens“ vor?

16. Welche Bedeutung hat eine schriftliche Auftragsbestätigung?

17. Was bedeutet Schweigen auf einen Vertragsantrag

a) unter Privatleuten?

b) gegenüber einem Kaufmann?

18. Wie soll ein Kaufmann auf ein „Bestätigungsschreiben“ reagieren, wenn sein Inhalt von den mündlich getroffenen Absprachen abweicht? Begründung!

19. Besteht die Möglichkeit, sich einseitig aus einem abgeschlossenen Vertrag wieder zu lösen?

20. Was versteht man unter einem Gefälligkeitsverhältnis? Wodurch unterscheidet es sich von einem Schuldverhältnis?

21. Wann spricht man von unvollkommenen Verbindlichkeiten und wie können sie durchgesetzt werden?

(Siehe auch „Privat- und Prozessrecht – Übungsaufgaben mit Lösungen“, Fälle 23 bis 30)

5.Rechtsgeschäftliches Handeln durch Stellvertreter

5.1 Arten der Vertretung

Im Regelfall treten die Rechtswirkungen einer Willenserklärung bei demjenigen ein, der die Erklärung abgibt. Es gibt jedoch Fälle, in denen Personen nicht rechtsgeschäftlich handeln können und deshalb selbst zur Teilnahme am Rechtsverkehr nicht in der Lage sind: Minderjährige, juristische Personen. Das sind die Fälle der gesetzlichen Vertretung.

Darüber hinaus besteht zuweilen ein Bedürfnis, durch Einsatz von Hilfskräften im Geschäftsverkehr den eigenen Handlungsbereich zu erweitern. Hier beruht die Vertretungsmacht auf dem Willen des Vertretenen, man spricht deshalb von rechtsgeschäftlicher oder auch „gewillkürter“ Vertretung. In beiden Fällen wirkt das Vertreterhandeln unmittelbar für und gegen den Vertretenen (vgl. § 164 Abs. 1 BGB).


5.2 Gesetzliche Vertretung

Eltern sind die gesetzlichen Vertreter ihrer minderjährigen Kinder. Ihre Vertreterstellung ergibt sich aus § 1629 BGB.

Ebenso sind die Organe juristischer Personen durch gesetzliche Regelung zur Vertretung befugt: Vereinsvorstand (§ 26 Abs. 2 BGB), Vorstand der Aktiengesellschaft (§ 78 AktG), Geschäftsführer der GmbH (§ 35 GmbHG). Bei OHG und KG als Personenhandelsgesellschaften herrscht „Selbstorganschaft“: Die Gesellschafter selbst sind zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigt (§§ 125 Abs. 1, 161 Abs. 2 HGB).

Soweit Eltern oder Organe von juristischen Personen als gesetzliche Vertreter handeln, werden nicht sie selbst, sondern unmittelbar das vertretene Kind oder die juristische Person aus dem für sie abgeschlossenen Rechtsgeschäft berechtigt und verpflichtet.

Erteilen die Eltern als gesetzliche Vertreter dem Stuckateurmeister den Auftrag, an dem ihrem minderjährigen Sohn gehörenden Haus die Fassade zu erneuern, so geht die Rechnung an den Sohn; dieser ist auch zu verklagen, wenn das Geld nicht eingeht.

Als gesetzliche, also vom Gesetz angeordnete Vertretung ist es auch anzusehen, wenn ein Ehegatte ein Rechtsgeschäft vornimmt, das zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie dient („Schlüsselgewaltgeschäft“) und für das gemäß § 1357 BGB stets auch der andere Ehegatte einzustehen hat. Hier werden also beide Ehegatten aus dem Geschäftsabschluss berechtigt und verpflichtet.

Die Ehefrau erteilt dem Installateur den Auftrag, den tropfenden Wasserhahn zu reparieren. Für die Reparaturkosten kann sowohl die Ehefrau als auch ihr Ehemann in Anspruch genommen werden.

5.3 Rechtsgeschäftliche („gewillkürte“) Vertretung

5.3.1 Begriff und Abgrenzungen

Auch durch Erteilung einer Vollmacht besteht die Möglichkeit, andere für sich handeln zu lassen mit der Wirkung, als hätte man das Geschäft selbst vorgenommen (§ 164 Abs. 1 BGB).

Durch eine solche „gewillkürte“, nicht durch das Gesetz, sondern vom Willen bestimmte Stellvertretung können der eigene Wirkungskreis und die Aktivitäten im Rechtsverkehr vervielfacht werden.

Ein Kaufmann, der Staubsauger verkauft, kann pro Tag selbst höchstens 10 Geschäfte abschließen. Bei 10 Vertretern mit gleicher Verkaufsleistung kann er es auf 100 Abschlüsse pro Tag bringen. Wer einen Computer anschaffen möchte, davon aber nichts versteht, kann einen Fachmann bevollmächtigen, für ihn das geeignete Gerät zu kaufen.

Der Vertreter muss geschäftsfähig sein, weil er eine eigene Willenserklärung in fremdem Namen auf fremde Rechnung abgibt. Da er jedoch durch sein Handeln als Vertreter selbst keine Verpflichtung eingeht, genügt beschränkte Geschäftsfähigkeit (§ 165 BGB).

Keine Stellvertretung ist möglich bei sogenannten höchstpersönlichen Geschäften: Eheschließung, Testamentserrichtung.

Vom Stellvertreter zu unterscheiden ist der Bote. Während der Stellvertreter bei sich selbst den Willen zum Abschluss des Geschäfts bildet und dann die Erklärung abgibt, ist der Bote an der Willensbildung selbst nicht beteiligt. Er überbringt lediglich die Erklärung des Geschäftsherrn. Geschäftsfähigkeit ist dazu nicht erforderlich (vgl. § 120 BGB: „… die zur Übermittlung verwendete Person“). Auch ein entsprechend abgerichteter Hund kann Bote sein, indem man ihm am Halsband eine Mitteilung befestigt.

5.3.2 Erteilung der Vollmacht

Die Erteilung der Vollmacht ist kein Vertrag, sondern geschieht durch einseitige Willenserklärung (§ 167 Abs. 1 BGB).

Sie bedarf keiner besonderen Form, kann also auch mündlich erteilt werden, selbst wenn das Geschäft, zu dem die Vollmacht gegeben wird, formbedürftig ist (z. B. Vollmacht zum Kauf eines Grundstücks, § 167 Abs. 2 BGB)!

Der Grundstückskäufer bevollmächtigt seinen Rechtsanwalt mündlich, den Kaufvertrag vor dem Notar (§ 311b Abs. 1 Satz 1 BGB) in seinem Namen abzuschließen: wirksame Bevollmächtigung.

Üblich ist jedoch bei gewichtigen Vorgängen, dass die Vollmacht schriftlich erklärt wird (Vollmachtsurkunde, § 172 Abs. 1 BGB). Bis zur Rückgabe besteht dann aber dem redlichen Geschäftspartner gegenüber eine Rechtsscheinwirkung: Er und auch der Bevollmächtigte dürfen auf das Bestehen der Vollmacht so lange vertrauen, bis die Urkunde zurückgegeben oder vom Gericht für „kraftlos“ erklärt worden ist (§ 172 Abs. 2 BGB).

Bei einseitigen Rechtsgeschäften (Kündigung, Rücktrittserklärung) gilt eine besondere Regelung: Wird dem Erklärungsempfänger vom Vertreter nicht eine schriftliche Vollmachtsurkunde vorgelegt, so kann er aus diesem Grund die Erklärung zurückweisen. Dies muss aber unverzüglich bei Zugang der Erklärung geschehen (§ 174 BGB).

Der Rechtsanwalt kündigt im Namen seines Mandanten, eines Mieters, den Mietvertrag am letzten Tag der Kündigungsfrist, ohne eine schriftliche Vollmacht beizulegen. Weist der Vermieter deshalb die Kündigung zurück, ist die Kündigung unwirksam und die Kündigungsfrist versäumt.

5.3.3 Vollmacht und Innenverhältnis

Die Vollmacht wirkt nach außen. Im Innenverhältnis beruht die Vollmacht regelmäßig auf einem besonderen Vertragsverhältnis zwischen Vollmachtgeber und Bevollmächtigtem:

> Dienst- oder Arbeitsverhältnis des Chefs mit dem bei ihm angestellten bevollmächtigten Verkäufer (§ 611 BGB);

> Auftrag (§ 662 BGB) an den sachkundigen Freund, einen geeigneten PC für den Auftraggeber (Vollmachtgeber) zu kaufen.

Zwischen der Vollmacht und diesem Innenverhältnis besteht ein Zusammenhang: Mit dem Ende des Innenverhältnisses (z. B. Kündigung des Angestellten durch den Chef, Widerruf des Kaufauftrages) erlischt auch die Vollmacht (§ 168 Satz 1 BGB).


Nicht jedoch erlischt mit dem Widerruf der Vollmacht das Grundverhältnis. Es kann also auch bei fortbestehendem Innenverhältnis die Vollmacht widerrufen werden (z. B. angestellter Verkäufer wird in den Innendienst versetzt, § 168 Satz 2 BGB).


5.3.4 Offenlegungsgrundsatz

5.3.4.1 Grundsatz

Wirksame Stellvertretung setzt in der Regel voraus, dass der Vertreter gegenüber dem Geschäftspartner offenlegt, dass er in fremdem Namen handelt. Wer als Vertreter nicht deutlich macht, dass er für eine andere Person rechtsgeschäftlich handeln will, kann sich hinterher dem Geschäftspartner gegenüber nicht auf seine – nicht offengelegte – Vertreterposition berufen, er wird selbst Vertragspartner (§ 164 Abs. 2 BGB).

5.3.4.2 Ausnahme von der Offenlegungspflicht

> Erkennbare Umstände: Es genügt für die Offenkundigkeit, wenn sich die Vertreterstellung aus den Umständen ergibt (§ 164 Abs. 1 Satz 2 BGB).

> Geschäft, für den, den es angeht: Ausnahmsweise ist eine Offenlegung bei geringwertigen Bargeschäften des täglichen Lebens nicht erforderlich: Hier interessiert den Verkäufer die Identität des Kunden gar nicht, weil der Geschäftspartner ja die Gegenleistung sofort in bar bewirkt.

> Mittelbare Stellvertretung: Bei der direkten Stellvertretung muss die Person des Vertretenen offenkundig sein, weil sie ja aus dem Geschäft berechtigt sein soll und sie auch die Verpflichtungen treffen sollen. Möchte der „Vertretene“ nach außen nicht in Erscheinung treten, so kann nur „mittelbare Vertretung“ infrage kommen: Der mittelbare Stellvertreter handelt, anders als der unmittelbare Vertreter, nicht im fremden Namen, sondern im eigenen Namen, aber auf fremde Rechnung.

Der verarmte Adelige sieht sich genötigt, alten Familienschmuck zu verkaufen, will dies jedoch nicht öffentlich bekannt werden lassen. Er beauftragt einen Juwelier mit dem Verkauf. Zwischen dem Käufer und dem mittelbar vertretenen Adeligen entstehen dann keinerlei direkte Rechtsbeziehungen. Vielmehr wird der Vertrag zwischen dem Käufer und dem mittelbaren Vertreter Juwelier direkt abgeschlossen.

5.4 Vollmacht kraft Rechtsscheins

Allein der Anschein einer Vollmacht kann ausreichen, um für das Handeln einer anderen Person einstehen zu müssen („Rechtsscheinsvollmacht“). Die Rechtsprechung hat zwei Fälle einer Haftung kraft Rechtsscheins entwickelt:

Duldungsvollmacht: Wer vom Auftreten eines nicht bevollmächtigten „Vertreters“ weiß, aber dagegen nicht einschreitet, duldet das Vertreterhandeln. Er muss das Vertreterhandeln gegen sich gelten lassen.

Der Leiter A der IT-Abteilung des Industrieunternehmens E nimmt wahr, dass der Servicemitarbeiter einer Fremdfirma O, die ständig die Server des Unternehmens betreuen soll, im Namen des Unternehmens E Ersatzteile für die IT-Anlage kauft, wogegen A jedoch nichts unternimmt.

Anscheinsvollmacht: Wer vom Handeln eines nicht bevollmächtigen „Vertreters“ zwar keine Kenntnis hat, aber bei gehöriger Sorgfalt dies hätte erkennen und dagegen einschreiten müssen, muss dessen Handeln ebenfalls gegen sich gelten lassen, weil der Anschein besteht, er habe den Vertreter bevollmächtigt oder dulde dessen Agieren.

Der Unternehmer vergisst, vom entlassenen Handelsvertreter die Geschäftsunterlagen zurückzufordern, weshalb dieser weiterhin auf Geschäftsbögen Verträge schließt.

Einen gesetzlich geregelten Fall für den Anschein einer Bevollmächtigung enthält im Handelsverkehr § 56 HGB: Der Angestellte eines Ladens oder eines offenen Warenlagers gilt als ermächtigt zu den in seinem Wirkungsbereich üblichen Geschäften (vgl. unten 5.6.1.3).


5.5 Vertreter ohne Vertretungsmacht – Eigenhaftung des Vertreters

Tritt jemand als Vertreter für einen anderen auf, ohne von diesem Vollmacht zu haben (Vertreter ohne Vertretungsmacht, „falsus procurator“), so wirkt sein Handeln nicht für und gegen den „Vertretenen“.

Allerdings kann der „Vertretene“ das Geschäft noch genehmigen, wenn er nachträglich doch einverstanden ist. Dann gilt das Geschäft für ihn (§ 177 Abs. 1BGB). Lehnt er jedoch eine Genehmigung ab, so ist der falsche Vertreter selbst dem Vertragspartner („anderer Teil“) nach dessen Wahl zur Erfüllung oder zum Schadensersatz verpflichtet (§ 179 Abs. 1 BGB). Dies gilt nur dann nicht, wenn der Vertragspartner den Mangel der Vollmacht kannte oder kennen musste (§ 179 Abs. 3 BGB).

Die volljährige Friseurpraktikantin Griseldis bestellt, ohne dass sie vom Friseurmeister dazu bevollmächtigt worden wäre oder er dies mitbekommen hätte, in dessen Namen telefonisch 100 Flaschen Meertangshampoo zum Preis von 5.000,– €. Als sie geliefert werden, ist der Friseur empört und lehnt eine Genehmigung ab. Der Lieferant kann nun entscheiden, ob Griseldis privat 100 Flaschen Shampoo zum Preis von 5.000,– € abnehmen und bezahlen muss (Erfüllung) oder nur den entgangenen Gewinn des Lieferanten zu ersetzen hat, ohne dass die Flaschen geliefert würden (Schadensersatz).


Ausnahmsweise kann es auch sonst zu einer Eigenhaftung des Vertreters kommen, wenn dieser ein erhebliches und unmittelbares eigenes wirtschaftliches Interesse am Zustandekommen des Vertrages hatte und bei den Vertragsverhandlungen dem Vertragspartner gegenüber in besonderem Maße persönliches Vertrauen in Anspruch genommen hat und die Verhandlungen dadurch beeinflusst worden sind (sog. „Sachwalterhaftung“, vgl. § 311 Abs. 3 BGB).

Der Gebrauchtwagenhändler, der ein in Zahlung genommenes Fahrzeug im Namen des Kunden verkauft, haftet als „Quasi-Verkäufer“ unter den genannten Umständen auch persönlich dem Käufer des Gebrauchtwagens auf Schadensersatz (§ 280 BGB), wenn ihm beim Verkaufsvorgang diesem gegenüber eine Pflichtverletzung zur Last gelegt werden muss.

5.6 Handelsrechtliche Vertretungsverhältnisse

5.6.1 Prokura und Handlungsvollmacht

5.6.1.1 Besonderheiten der Prokura

Dem Kaufmann steht eine besonders weitreichende Form der Vollmachtserteilung zur Verfügung: die Prokura (§§ 48 ff. HGB). Für die Prokura gelten grundsätzlich die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts zur Stellvertretung (§§ 164 ff. BGB), ergänzt durch die §§ 48 ff. HGB. Wegen der umfassenden Vertretungsbefugnis kommen für die Erteilung der Prokura nur besonders vertrauenswürdige Mitarbeiter infrage, denen dadurch gegenüber anderen Mitarbeitern im Unternehmen auch eine herausgehobene Position zukommt.

Für die Prokura gelten folgende Besonderheiten:

> Prinzipalgeschäft: Nur ein Kaufmann selbst kann Prokura erteilen (§ 48 Abs. 1 HGB).

> Ausdrückliche Erteilung: Die Prokura-Erteilung muss ausdrücklich, wenn auch nicht zwingend schriftlich geschehen (§ 48 Abs. 1 HGB).

> Deklaratorische Handelsregisteranmeldung: Die Prokura ist zur Eintragung im Handelsregister anzumelden (§ 53 HGB). Diese ist jedoch nicht Voraussetzung für die Wirksamkeit der Prokura-Erteilung („deklaratorisch“).

Der Geschäftsführer einer GmbH (Organ des Formkaufmanns GmbH) erklärt bei einer Betriebsversammlung den anwesenden Mitarbeitern mündlich, dass Frau P ab sofort mit Prokura ausgestattet sei. Darauf wird das Glas erhoben, und alle feiern Frau P: Wirksame, ausdrückliche Prokura-Erteilung, obwohl zu diesem Zeitpunkt sicher noch keine Handelsregistereintragung vorliegt.

> Allumfassender Umfang: Der Prokurist ist das „andere Ich“ des Kaufmanns. Die Prokura ermächtigt daher zu allen Rechtshandlungen, die der Betrieb eines Handelsgewerbes – und nicht nur des konkret infrage stehenden Handelsgewerbes – mit sich bringt. Auch Prozesshandlungen vor Gericht sind mit umfasst.

Der Prokurist des Maschinenbauunternehmens Z bestellt Buchsbäume im Wert von 6.000,- € bei Baumschule B zur Gestaltung der Außenanalagen des Fabrikgebäudes: zulässig, obwohl Z kein Gartenbauunternehmen ist.

> Einschränkungen des Umfangs: Prinzipalgeschäfte, z. B. Erteilung einer Prokura; private und höchstpersönliche Geschäfte des Unternehmers, z. B. Testamentserrichtung, Eheschließung; Geschäfte, die nicht „zum Betrieb“ des Handelsgeschäfts gehören, z. B. Verkauf des Unternehmens; Filialprokura (§ 50 Abs. 2 HGB); Gesamtprokura für mehrere zusammen (§ 48 Abs. 2 HGB); Veräußerung und Belastung von Grundstücken (§ 49 Abs. 2 HGB). Insoweit braucht auch der Prokurist eine eigenständige Vollmacht nach § 164 BGB.

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