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Der Aufstand Der Tapferen
Kyra wandte sich der Quelle am Ende des Stalls zu und in diesem Augenblick hörte sie Holz splittern. Sie sah, wie ein Tor zerbrach und Holz überall hin flog, und ein Tumult brach aus, als mehrere Männer hinübereilten, und versuchten, dass zerbrochene Tor zu schließen, während ein Pferd weiter mit den Hufen dagegentrat.
Kyra eilte auf den Tumult zu.
„Wo gehst du hin?“, fragte Baylor. „Die guten Pferde sind hier.“
Doch Kyra ignorierte ihn und ging mit pochendem Herzen schneller auf das Pferd zu. Sie spürte, dass es sie rief.
Baylor und die anderen folgten ihr, und als sie den Pferch erreichte, sah sie hinein und keuchte beim Anblick des Tiers. Es war ein Pferd, doch fast doppelt so groß wie die anderen, mit Beinen so dick wie Baumstämme. Es hatte zwei kleine, rasiermesserscharfe Hörner, die kaum sichtbar hinter seinen Ohren versteckt waren. Das Fell war nicht braun oder schwarz wie das der anderen Tiere, sondern tief scharlachrot und seine Augen glitzerten grün. Sie starrten sie an und ihre Intensität nahm ihr die Luft. Sie konnte sich nicht bewegen.
Die Kreatur stieß etwas aus, was wie ein Knurren klang und entblößte ihre Fangzähne.
„Was für ein Pferd ist das?“, fragte sie Baylor mit einer Stimme, die kaum lauter als ein Flüstern war.
Er schüttelte missbilligenden den Kopf.
„Das ist kein Pferd“, sagte er. „Das ist ein wildes Biest. Eine Laune der Natur. Ausgesprochen selten. Man nennt sie Solzor, und sie stammen aus den fernsten Gegenden Pandesias. Der Lord Regent muss einen als Trophäe behalten haben. Er könnte diese Kreatur nicht reiten – niemand kann das. Solzors sind wilde Kreaturen, die man nicht zähmen kann. Komm – du verschwendest kostbare Zeit. Zurück zu den Pferden.
Doch Kyra stand wie angewurzelt da und konnte den Blick nicht abwenden. Ihr Herz pochte, denn sie wusste, was das bedeutete.
„Ich wähle ihn“, sagte sie zu Baylor.
Baylor und die anderen keuchten und starrten sie an, als wäre sie verrückt geworden. Eine betretene Stille folgte.
„Kyra“, begann Anvin, „dein Vater würde dir nie erlauben –“
„Es ist meine Entscheidung, oder nicht?“, beharrte sie.
Er runzelte die Stirn und stemmte die Hände in die Hüften.
„Das ist kein Pferd“, betonte er. „Das ist ein wildes Tier.“
„Es würde dich umbringen“, fügte Baylor hinzu.
Lyra drehte sich zu ihm um.
„Warst nicht du derjenige, der gesagt hat, ich soll meinen Instinkten vertrauen?“, fragte sie. „Genau hier haben sie mich hingeführt. Dieses Tier und ich – wir sind füreinander bestimmt.“
Der Solzor stieg plötzlich auf und zertrümmerte ein weiteres Holztor, und schickte alle Männer unter dem Splitterregen in Deckung. Kyra war fasziniert. Er war wild und ungezähmt und prachtvoll. Ein Tier das zu groß war für den kleinen Pferch, zu groß für die Gefangenschaft und den anderen weit überlegen.
„Warum sollte sie ihn bekommen?“, sagte Brandon und stieß die anderen aus dem Weg. „Ich bin schließlich älter und ich will ihn haben.“
Bevor sie etwas erwidern konnte, stürmte Brandon an ihr vorbei, um ihn für sich zu beanspruchen. Er wollte auf seinen Rücken springen, doch der Solzor buckelte wild und warf ihn ab. Er flog durch den Stall und schlug gegen eine Wand.
Dann schob sich Braxton an allen vorbei, als ob er ihn auch für sich beanspruchen wollte, doch in diesem Augenblick wirbelte er seinen Kopf herum und schlitzte ihm mit seinen scharfen Zähnen den Arm auf.
Blutend und kreischend stürmte Braxton aus dem Stall und hielt sich den Arm. Brandon rappelte sich auf und folgte ihm. Nur knapp entkam er dem Solzor, der ihn beißen wollte.
Kyra stand wie hypnotisiert da, doch aus irgendeinem Grund hatte sie keine Angst. Sie wusste, dass er für sie bestimmt hatte und dass er sich bei ihr anders verhalten würde. Sie spürte eine Bindung zu dem Tier, ähnlich wie mit Theos.
Plötzlich machte sie einen Schritt vor und trat vor das Tier, direkt in Reichweite seiner tödlichen Fangzähne. Sie wollte dem Solzor zeigen, dass sie ihm vertraute.
„Kyra!“, stieß Anvin hervor. „Komm zurück.“
Doch Kyra ignorierte ihn und starrte dem Tier in die Augen.
Leise knurrend erwiderte er ihren Blick, als überlegte er, was er tun sollte. Innerlich zitterte Kyra vor Angst, doch sie hätte es den anderen nie gezeigt.
Sie zwang sich, ihren Mut zu zeigen. Sie hob langsam die Hand und berührte sein rotes Fell. Er knurrte lauter, entblößte seine Zähne, und sie konnte seine Wut und Frustration spüren.
„Macht seine Ketten los“, befahl sie den anderen.
„Was?!“, rief einer der Männer.
„Das ist keine gute Idee“, sagte Baylor mit Angst in der Stimme.
„Tut was ich sage!“, beharrte sie und spürte eine Kraft in sich aufsteigen, als würde der Willen des Tiers durch sie hindurch strömen.
Hinter ihre eilten ein paar Krieger mit Schlüsseln herbei, um seine Ketten zu lösen. Die ganze Zeit über wandte das Tier nicht seine wütenden Augen von ihr ab und knurrte, als ob er sie bewertete, als ob er sie herausforderte.
Sobald seine Ketten gelöst waren, stampfte er mit den Hufen, als drohte er anzugreifen.
Doch seltsamerweise tat er es nicht. Stattdessen starrte er Kyra in die Augen und langsam schien seine Wut stiller Toleranz zu weichen, vielleicht sogar etwas wie Dankbarkeit.
Er senkte kaum merklich den Kopf; es war eine Geste, die die meisten nicht einmal bemerkte, doch sie konnte sie verstehen.
Kyra trat vor, hielt sich an seiner Mähne fest und stieg in einer schnellen Bewegung auf.
Ein kollektives Keuchen erfüllte den Raum.
Zuerst zitterte das Tier und wollte sich aufbäumen, doch Kyra spürte, dass es nur Show war. Er wollte sie nicht abwerfen – sondern nur seinen Trotz zur Schau stellen, zu zeigen, wer die Kontrolle hatte. Er wollte sie wissen lassen, dass er eine Kreatur der Wildnis war, ein Wesen, das sich von niemandem zähmen ließ.
Ich will dich nicht zähmen, sagte sie stumm zu ihm. Ich möchte nur dein Partner in der Schlacht werden.
Der Solzor beruhigte sich, immer noch stampfend, doch nicht mehr so wild; es war, als hätte er sie verstanden. Bald blieb er stehen und war vollkommen ruhig. Er knurrte die anderen an, als wollte er sie beschützen.
Kyra saß auf dem Solzor und sah auf die anderen herab. Ein Meer geschockter Gesichter mit offenen Mündern starrte ihr entgegen.
Kyra strahlte – erfüllt von einem Gefühl des Triumpfs.
„Das“, sagte sie, „ist meine Wahl; und sein Name ist Andor.“
* * *Kyra ritt Andor langsam über den Hof von Argo, und alle Männer ihres Vaters, kampferprobte Krieger blieben stehen und beobachteten sie staunend. So etwas hatten sie noch nie gesehen.
Kyra hielt sich vorsichtig an seiner Mähne fest und versuchte, ihn zu beruhigen, als er die Männer leise anknurrte und sie böse anstarrte, als wollte er Rache nehmen dafür, dass er eingesperrt gewesen war. Kyra rutschte auf dem neuen Sattel hin und her, bis sie ein bequeme Position gefunden hatte und versuchte, sich daran zu gewöhnen, so hoch zu sitzen. Mit diesem Tier unter sich, fühlte sie sich mächtiger als je zuvor.
Deirdre ritt eine wunderschöne Stute neben ihr her, eine, die Baylor für ist ausgesucht hatte und sie ritten durch den Schnee, bis Kyra ihren Vater in der Ferne am Tor stehen sah. Er wartete mit seinen Männern auf sie, um sie zu verabschieden, und auch sie sahen mit Angst und Staunen zu ihr empor, sprachlos, dass sie dieses Tier reiten konnte. Sie sah die Bewunderung in ihren Blicken und es machte ihr Mut für die Reise, die sie vor sich hatte. Wenn Theos nicht zu ihr zurückkehrte hatte sie zumindest diese wunderbare Kreatur unter sich.
Kyra stieg ab, als sie ihren Vater erreichte und führte Andor an seiner Mähne, als sie Sorge in den Augen ihres Vaters aufflackern sah. Sie wusste nicht, ob es wegen dem Tier war oder wegen der Reise, die sie vor sich hatte. Doch seine Besorgnis zeigte ihr, dass sie nicht die einzige war, die sich vor dem fürchtete, was vor ihr lag, und dass er sich doch um sie sorgte. Einen kurzen Augenblick lang ließ er seinen Maske fallen und warf ihr einen Blick zu, den nur sie erkennen konnte – in ihm lag die Liebe eines Vaters. Sie spürte, dass es ihm nicht leicht fiel, sie auf diese Mission zu schicken.
Sie blieb kurz vor ihm stehen und sah ihn an. Alle schwiegen und sammelten sich um sie herum, um den Austausch zu beobachten.
Sie lächelte ihn an.
„Keine Sorge Vater“, sagte sie. „Du hast mich dazu erzogen, stark zu sein.“
Er nickte und tat so, als wäre er beruhigt, doch sie konnte sehen, dass er es nicht war. Er war immer noch mehr ihr Vater als ihr Kommandant.
Er blickte auf und suchte den Himmel ab.
„Wenn nur dein Drache jetzt hier wäre“, sagte er. „Du könntest Escalon in ein paar Minuten überqueren. Und besser noch – er könnte dich auf deiner Reise beschützen und zu Asche verbrennen, wer immer auch sich dir in den Weg stellt.“
Kyra lächelte traurig.
„Theos ist fort, Vater.“
Er sah sie fragend an.
„Für immer?“, fragte er, die Frage eines Kriegsherrn, der seine Männer in die Schlacht führte – eine Frage die er stellen musste, sie jedoch auszusprechen fürchtete.
Kyra schloss die Augen und versuchte eine Antwort zu erhalten. Sie bat Theos um eine Antwort.
Doch es kam nichts als ohrenbetäubende Stille. Sie fragte sich, ob sie je eine Verbindung zu Theos gehabt hatte, oder ob sie sich alles nur eingebildet hatte.
„Ich weiß es nicht, Vater“, antwortete sie ehrlich.
Er nickte und akzeptierte es mit der Miene eines Mannes der gelernt hatte, Dinge zu akzeptieren wie sie waren und sich nur auf sich selbst zu verlassen.
„Erinnere dich an was ich –“, begann ihr Vater.
„KYRA!“, hallte ein aufgeregter Schrei durch die Luft.
Kyra drehte sich um als die Männer Platz machten und ihr Herz machte einen Sprung, als sie Aidan sah, der mit Leo an seiner Seite durch das Stadttor gerannt kam. Er rannte auf sie zu und stolperte durch den Schnee, um Leo einzuholen, der viel schneller war und bereits Kyra angesprungen hatte.
Kyra lachte, als Leo sie umwarf. Er stand auf ihrer Brust und leckte ununterbrochen ihr Gesicht. Andor knurrte hinter ihr, schon bereit, sie zu beschützen. Leo sprang auf und stellte sich ihm knurrend gegenüber. Beide waren furchtlose Kreaturen, beide mit demselben Beschützerinstinkt, und Kyra fühlte sich geehrt.
Sie sprang auf und stellte sich zwischen sie, wobei sie Leo zurückhielt.
„Es ist okay, Leo“, sagte sie. „Andor ist mein Freund. Und Andor“, sagte sie und drehte sich um. „Leo ist auch mein Freund.“
Leo zog sich widerwillig zurück, während Andor weiter knurrte, wenn auch leiser.
„Kyra!“
Kyra drehte sich um, als Aidan ihr um den Hals fiel. Sie hielt ihn fest an sich gedrückt, während sich seine kleinen Hände an ihren Rücken klammerten. Es fühlte sich so gut an, ihren kleinen Bruder zu umarmen, denn sie war sich sicher, dass sie ihn nie wiedersehen würde. Er war das letzte bisschen, Normalität in dem Chaos, das aus ihrem Leben geworden war, das einzige, das sich nicht verändert hatte.
„Ich habe gehört, dass du hier bist“, sagte er eilig, „da bin ich ganz schnell gekommen. Ich bin so froh, dass du zurück bist.“
Sie lächelte traurig.
„Leider nicht für lange, kleiner Bruder“, sagte sie.
Besorgnis huschte über sein Gesicht.
„Du gehst schon wieder?“, fragte er niedergeschlagen.
Ihr Vater mischte sich ein.
„Sie ist auf dem Weg zu ihrem Onkel“, erklärte er. „Lass sie gehen.“
Kyra bemerkte, dass ihr Vater zu ihrem Onkel gesagt hatte, nicht zu eurem Onkel, und fragte sich, warum.
„Dann gehe ich mit ihr“, erklärte Aidan stolz.
Ihr Vater schüttelte den Kopf.
„Das wirst du nicht tun“, antwortete er.
Kyra lächelte auf ihren kleinen Bruder herab. Er war tapfer wie immer.
„Vater braucht dich anderswo“, sagte sie.
„An der Front?“, fragte Aidan und drehte sich hoffnungsvoll zu ihrem Vater um. „Du gehst nach Esephus“, sagte er eilig. „Ich habe es gehört! Ich will mit!“
Doch wieder schüttelte er den Kopf.
„Du bleibst in Volis“, antwortete er. „Du wirst dort bleiben, beschützt von meinen Männern, die ich dort zurücklasse. Die Front ist noch nichts für dich. Eines Tages…“
Aidan wurde rot vor Enttäuschung.
„Aber ich will kämpfen, Vater!“, protestierte er. „Ich muss nicht in einem leeren Fort mit Frauen und Kindern bleiben!“
Seine Männer kicherten, doch ihr Vater blieb ernst.
„Meine Entscheidung ist gefallen“, antwortete er kurz.
Aidan verzog das Gesicht.
„Ich darf Kyra nicht begleiten und ich kann nicht mit dir kommen“, beharrte er. „Was nutzt mir dann all der Unterricht über Schlachten und in Waffenkunde? Wofür war dann all mein Training?“
„Lass dir erst mal Haare auf der Brust wachsen, kleiner Bruder“, lachte Braxton, der mit Brandon an seiner Seite vortrat.
Gelächter ertönte und Aidan wurde hochrot, da Braxton ihn offensichtlich vor allen anderen in Verlegenheit gebracht hatte.
Kyra fühlte sich schlecht für ihren kleinen Bruder. Sie kniete sich vor ihn, sah in an und legte eine Hand auf seine Wange.
„Du wirst ein besserer Krieger werden als sie alle zusammen“, versicherte sie ihm leise, sodass nur er es hören konnte. „Sei geduldig, und pass in der Zwischenzeit auf Volis auf. Es braucht dich. Mach mich stolz. Ich werde zurückkehren, das verspreche ich, und eines Tages werden wir große Schlachten zusammen schlagen.“
Aidan schien sich ein wenig zu entspannen, denn er lehnte sich vor und umarmte sie erneut.
„Ich will nicht, dass du gehst“, sagte er leise. „Ich habe von dir geträumt. Ich habe geträumt…“ Er sah sie zögernd mit ängstlichen Augen an. „…dass du da draußen stirbst.“
Kyra erschrak bei seinen Worten, und besonders, als sie den Blick in seinen Augen sah. Er machte ihr Angst und sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
Anvin trat neben sie und legte ein dickes, warmes Fell über ihre Schulter, das sie wärmte. Sie stand auf und fühlte sich zehn Pfund schwerer, doch es hielt den Wind ab und sie fröstelte nicht mehr. Er lächelte.
„Deine Nächte werden lang sein, und das nächste Feuer vielleicht meilenweit weg“, sagte er und umarmte sie.
Ihr Vater trat schnell vor und umarmte sie ebenfalls, es war die starke Umarmung eines Kriegsherrn. In seinen Armen fühlte sie sich sicher und beschützt.
„Du bist meine Tochter“, sagte er fest. „Vergiss das nicht.“ Dann senkte er seine Stimme, damit die anderen ihn nicht hören konnten, und fügte hinzu, „Ich liebe dich.“
Sie war überwältigt von Gefühlen, doch bevor sie antworten konnte, drehte er sich schnell um und eilt davon. Im selben Augenblick winselte Leo, sprang sie an und stupste mit seiner Nase gegen ihre Brust.
„Er will mit dir kommen“, bemerkte Aidan. „Nimm ihn mit – du brauchst ihn viel mehr als ich, wenn ich in Volis eingepfercht bin. Er gehört sowieso dir.“
Kyra umarmte Leo. Sie konnte ohnehin nicht ablehnen, denn er weigerte sich, von ihrer Seite zu weichen. Der Gedanke, dass er sie begleiten würde, spendete ihr Trost, da sie ihn zutiefst vermisst hatte. Sie konnte ein weiteres Paar Augen und Ohren gut gebrauchen und niemand war treuer als Leo.
Sie war bereit.
Kyra kletterte in Andors Sattel und die Männer ihres Vater machten Platz. Sie hielten als Zeichen des Respekt Fackeln entlang der Brücke hoch, verscheuchten die Nacht und erleuchteten den Weg für sie. Sie blickte über sie hinweg und sah den Himmel, der sich schnell verdunkelte, die Wildnis, die vor ihr lag. Sie spürte Aufregung, Angst, und ein Gefühl der Pflicht, das alle anderen übertraf. Ein Zielbewusstsein. Vor ihr lag die wichtigste Aufgabe ihres Lebens, eine Mission, die sich nicht nur auf ihre Identität, sondern auf das Schicksal ganz Escalons auswirken würde. Der Einsatz hätte nicht höher sein können.
Ihr Stab hing über der einen Schulter, der Bogen über der anderen, Leo und Deirdre an ihrer Seite, auf Andor sitzend unter den Blicken der Männer ihres Vater ritt Kyra auf das Stadttor zu. Zuerst ritt sie langsam an den Männern mit den Fackeln vorbei, und hatte das Gefühl in einen Traum zu reiten, in ihr Schicksal. Sie drehte sich nicht um, denn sie wollte ihre Entschlossenheit nicht verlieren. Ein leises Horn, das einer der Männer ihres Vaters blies, war ein Segen für ihre Reise und Zeichen des Respekts.
Sie wollte Andor antreiben, doch er hatte ihren Wunsch schon gespürt. Zuerst fiel er in einen Trab, dann in einen Galopp.
Kurze Zeit später jagte Kyra durch den Schnee, durch die Tore von Argos, über die Brücke, auf das offene Feld, den kalten Wind in den Haare und vor ihr nichts als einer langen Straße, wilde Kreaturen und die aufziehende Dunkelheit der Nacht.
Kapitel Vier
Merk rannte durch den Walt, stolperte den Hügel hinunter und wand sich zwischen Bäumen hindurch, während die Blätter von Whitewood unter seinen Füßen knirschten, als er rannte, so schnell er konnte. Sein Blick war auf die fernen Rauchwolken am Horizont gerichtet, die vor dem blutroten Sonnenuntergang aufstiegen und er spürte ein Gefühl der Dringlichkeit in sich wachsen. Er wusste, dass das Mädchen irgendwo da unten war. Vielleicht wurde sie in diesem Augenblick umgebracht und er konnte seine Beine nicht zwingen, schneller zu laufen.
Das Töten schien ihn zu finden; es erwartete ihn hinter jeder Kurve, scheinbar jeden Tag – so wie andere Männer zum Abendessen gerufen wurden. Er hatte einen Termin mit dem Tod, pflegte seine Mutter zu sagen. Diese Worte hallten durch seinen Kopf; sie hatten ihn sein Leben lang verfolgt. War es eine selbsterfüllende Prophezeiung? Oder war er mit einem schwarzen Stern über seinem Haupt geboren worden?
Das Töten war für Merk ein natürlicher Teil seines Lebens, wie atmen oder zu essen, ganz egal, für wen er es tat oder wie. Je mehr er darüber nachdachte, desto stärker wurde seine Abscheu, als ob er sein ganzes Leben ausspeien wollte. Doch während alles in ihm ihn anschrie umzukehren, ein neues Leben anzufangen, seine Pilgerfahrt zum Turm von Ur fortzusetzen, konnte er es einfach nicht tun. Wieder einmal rief die Gewalt ihn, und jetzt war nicht die Zeit ihren Ruf zu ignorieren.
Merk rannte, die dicken Rauchschwaden kamen näher und erschwerten ihm das Atmen. Der Gestank des Rauchs brannte in seiner Nase und ein wohl bekanntes Gefühl begann, von ihm Besitz zu ergreifen. Es war nicht Angst und nach all diesen Jahren auch keine Aufregung. Es war ein Gefühl der Vertrautheit, des Mörders, der er geworden war. Das geschah immer, wenn er in die Schlacht zog – seinen eigene Schlacht. In seiner Version der Schlacht tötet er seinen Gegner von Angesicht zu Angesicht; er musste sich nicht hinter einem Visier oder einer Rüstung verstecken und brauchte auch nicht den Jubel der Menge wie diese eingebildeten Ritter. Seiner Ansicht nach war das die mutigste Schlacht von allen, die wahren Kriegern wie ihm vorbehalten war.
Und doch fühlte Merks sich heute anders. Normalerweise war es ihm egal, wer lebte oder starb; es war nur eine Mission. Damit konnte er einen klaren Kopf bewahren, frei von den Nebeln der Emotion. Doch diesmal war es anders. Zum ersten Mal solange er denken konnte, zahlte ihn niemand dafür. Er ging aus eigenem Antrieb vor, nur aus Mitleid für das Mädchen wollte er Gerechtigkeit üben. Er war gefühlsmäßig bei der Sache und es gefiel ihm nicht. Er bedauerte, dass er nicht früher gehandelt hatte. Wie hatte er sie nur fortschicken können?
Merk rannte mit gleichmäßiger Geschwindigkeit. Er trug keine Waffen bei sich und brauchte auch keine. Er hatte seinen Dolch in seinem Gürtel und das war genug. Vielleicht brauchte er nicht einmal den. Er bevorzugte es, sich ohne Waffen in die Schlacht zu stürzen und seine Gegner zu überraschen. Davon abgesehen konnte er seinen Gegnern die Waffen abnehmen und sie gegen sie verwenden. Damit hatte er sofort ein Arsenal zur Verfügung, ganz gleich wohin er ging.
Merk stürmte aus dem Wald hervor. Die Bäume wichen einer offenen Ebene mit sanften Hügeln und die große rote Sonne, die tief am Horizont hing, begrüßte ihn. Das Tal erstreckte sich vor ihm, der Himmel darüber schwarz, als wäre er wütend – voller Rauch und dann sah er die brennenden Überreste der Farm des Mädchens. Merk konnte sie von hier aus hören, das Jubeln der Männer, Verbrecher, deren Stimmen voller Blutdurst waren.
Mit seinem geübten Auge betrachtete er die Szene und sah sie sofort: ein Dutzend Männer, deren Gesichter von Fackeln erhellt wurden, als sie hierhin und dorthin rannten und alles in Brand setzten. Einige kamen von den Stallungen zum Haus, hielten Fackeln an die Strohdächer, während andere die unschuldigen Tiere mit Äxten schlachten. Einer von ihnen zerrte einen Körper an den Haaren über den aufgeweichten Boden.
Eine Frau.
Merks Herz raste, als er sich fragte, ob das das Mädchen war – und ob sie tot war oder lebte.
Der Mann zerrte sie zu einer Gruppen von Leuten, wahrscheinlich der Familie des Mädchens, die alle im Schuppen mit Seilen gefesselt waren. Dort waren der Vater und die Mutter und neben ihnen wahrscheinlich ihre Geschwister, kleiner, jünger, beides Mädchen. Als eine Windböe eine Wolke dunklen Rauchs fort blies, konnte Merk einen Blick auf die langen blonden Haare werfen, und wusste, dass es das Mädchen war.
Merk spürte den Adrenalinstoß als er den Hügel hinunter rannte. Er stürmte auf das schlammige Anwesen, rannte mitten in den Rauch hinein auf die Flammen zu, bis er endlich sehen konnte, was vor sich ging: die Familie des Mädchens, die alle an der Wand lehnten, waren bereits tot. Sie hatten ihnen die Hälse aufgeschlitzt. Eine Welle der Erleichterung erfasste ihn, als er sah, dass das Mädchen, das der Mann hinter sich her zerrte, noch am Leben war. Er sah einen Schurken, der mit einem Dolch auf sie wartete und wusste, dass sie die nächste war. Er war zu spät gekommen, um ihre Familie zu retten, doch nicht zu spät für sie.
Merk wusste, dass er die Männer überraschen musste. Er ging langsamer und marschierte in aller Ruhe auf das Anwesen, als hätte er alle Zeit der Welt und wartete darauf, dass sie ihn bemerkten. Er wollte sie verwirren.
Bald sah der erste ihn. Der Schurke drehte sich sofort um, irritiert vom Anblick eines Mannes, der so ruhig durch dieses Blutbad wanderte und rief seinen Kumpanen zu.
Merk spürte all die irritierten Blicke auf sich als er weiter lief und scheinbar entspannt auf das Mädchen zuging. Der Schurke, der sie hinter sich her zerrte, warf einen Blick über seine Schulter und als auch er Merk sah, ließ er sie los und in den Schlamm fallen. Er wandte sich von ihr ab und ging mit den anderen auf Merk zu, bereit zu kämpfen.
„Was haben wir denn hier?“ rief der Mann, der ihr Anführer zu sein schien. Es war derjenige, der das Mädchen fallengelassen hatte, und als er Merk sah, zog er ein Schwert von seinem Gürtel und näherte sich ihm, als die anderen ihn umzingelten.
Merk hatte nur Augen für das Mädchen; er wollte sich vergewissern dass sie am Leben und unverletzt war. Er war erleichtert, als er sah, wie sie den Kopf hob und ihn verwirrt ansah. Merk war erleichtert dass er zumindest nicht zu spät gekommen war um sie zu retten. Vielleicht war das der erste Schritt auf sehr langen Weg zur Erlösung. Vielleicht sollte dieser Weg nicht am Turm anfangen, sondern genau hier.
Als das Mädchen sich aufrappelte und sich ihre Blicke begegneten, sah er, wie sich ihre Augen mit Hoffnung füllten.
„Töte sie“, kreischte sie.
Merk blieb ruhig und ging langsam auf sie zu, als bemerkte er die Männer um ihn herum nicht einmal.
„Dann kennst du also das Mädchen“, rief der Anführer ihm zu.
„Bist du etwa ihr Onkel?“, rief einer.
„Ein lange verlorener Bruder?“, lachte ein anderer.
„Bist du gekommen, um sie zu beschützen?“, höhnte ein weiterer.
Dia anderen lachten und näherten sich ihm.
Auch wenn er es nicht zeigte, nahm er im Stillen Bestand seiner Gegner auf und bewertete sie aus dem Augenwinkel, zählte, wie viele und wie groß sie waren, wie schnell sie sich bewegten und welche Waffen sie trugen. Er analysierte, wie muskulös oder fett sie waren, wie sie gekleidet waren, wie beweglich sie in ihren Kleidern waren und wie schnell. Er bemerkte die Waffen, die sie hielten – die primitiven Messer, die Dolche, die schlecht geschärften Schwerter – und er beobachtete, wie sie sie hielten, an der Seite oder vor sich und in welcher Hand.
Er erkannte, dass die meisten blutige Amateure waren und keiner war wirklich Anlass zur Sorge für ihn – außer einem: der Mann mit der Armbrust. Merk wurde ihn als erstes töten.
Merk betrat eine andere Ebene, eine andere Denkweise, des Seins, die, die ihn natürlich erfasste, wann immer er in eine Auseinandersetzung geriet. Er tauchte ein in eine eigene Welt, eine Welt, auf die er keinen Einfluss hatte, eine Welt, in die er sich vollkommen ergab. Es war eine Welt, die ihm diktierte, wie viele Männer er wie schnell töten konnte und wie effizient. Wie er den größten Schaden mit der geringsten Anstrengung anrichten konnte.