Obenan saß der Präsident; die feierliche Geschäftsmiene war zu Hause geblieben; er hatte den freundlichen, gefälligen Gesellschaftsmenschen angezogen und tafelte, zum großen Trost der jüngern Glieder seines Kollegiums, wie ein Junger.
Das behagliche runde Gesicht durchblitzte oft schnell wie ein Gedanke ein satirisches Lächeln, wenn er und der Hofrat Ida zum süßen brüsselnden Schaumwein nötigten.
Es war nicht möglich, etwas Liebreizenderes zu sehen, als das Mädchen, eine ewig junge Hebe, zwischen den alten, fröhlichen Herren. Es war jetzt ganz das wählige, mutwillige Kind wieder wie vor drei Jahren, wenn es dem Papa oder dem alten Hagestolz Berner auf dem Schoße saß; Madeirasekt und Xeres hatten ihr, weil Berner keinen der schweren Weine über die Purpurbarrieren ihrer Lippen gelassen hatte, alles Blut in die Wangen getrieben; es zischte und gischte in ihren Adern so warm und wohltuend, daß das Auge von Lust und Liebe strahlte und die rosige Tiefe des Schelmengrübchens alle Augenblicke sich zeigte. Der Champagner, den sie auf den Trimadeira setzte, war auch nicht aus seinen Kreidebergen geholt worden, um ein fröhlichglühendes Engelsköpfchen abzukühlen und einen in ewigwechselnder Wonne Flut und Ebbe wogenden Busen zur Ruhe zu bringen. Wußte sie doch selbst nicht, was sie so fröhlich machte! Die Rückkehr ins Vaterhaus allein war es nicht, auch nicht, daß die Blicke der jungen Freilinger Stadtkinder alle auf sie flogen; es war noch etwas anderes; war es nicht ein bleiches, wunderschönes Gesicht, das sich immer wieder ihrer Phantasie aufdrängte, das sie wehmütig durch Tränen anlächelte? Warum mußte er aber auch gehen, gerade als es zur Tafel ging, wo sie ihn hätte sehen und sprechen können!—
"Ei, Kind," sagte der Präsident und weckte sie aus ihren Träumen, "da sitzest du schon eine geschlagene Glockenviertelstunde, starrst auf den Teller hin, als läsest du in der Johannisbeermarmelade so gut als im Kaffeesatz deine Zukunft, und lächelst dabei, als machten dir alle ledigen Herren, unsern Hofrat mir eingeschlossen, ihr Kompliment!"
Die Glutröte stieg ihr ins Gesicht; sie nahm sich zusammen und mußte doch wieder heimlich lächeln über den guten Papa, der doch auch kein Spürchen von ihren Gedanken haben konnte. Aber als vollends der Hofrat ihr von der andern Seite zuflüsterte: "Der alte Herr hat fehlgeschossen; wir alle könnten uns den Rücken lahm komplimentieren und die Knie wund liegen, mein stolzes Trotzköpfchen gönnte keinem einen halben Blick oder ein Viertelchen von dem Engelslächeln, das hier in den Teller ging. Aber da darf nur so ein interessanter Fremder in einem Landau weinen, so ein Signor Bleichwangioso—"
"Ach, wie garstig, Berner! An den habe ich gar nicht mehr gedacht!" rief sie, ärgerlich, daß der Kluge ins Schwarze geschossen haben sollte. Jener aber wischte seine Brille ab, schaute auf Idas silbernen Teller und deutete lachend auf den Rand—
"Gar nicht mehr an ihn gedacht? Welcher Graveur hat denn da gekritzelt, Fräulein Lügenhausen? He!"
Nun, da hatte sich das Mädchen wieder vergaloppiert, hatte, ohne daß sie es im geringsten wußte, unter ihrer Gedankenreihe das Dessertmesser in die Hand bekommen, auf dem Teller herumgekritzelt, und da stand mit hübschen, deutlichen Buchstaben: Emil v. Mart—
"Nein, wie einem doch der Zufall bei bösen Leuten Streiche spielen kann!" replizierte sie mit der unverschämtesten Unbefangenheit, kratzte, indem sie sich selbst über ihre furchtbare Kunst, zu verdrehen, wunderte, in aller Geschwindigkeit ein Schnirkelchen hin, wies dem kurzsichtigen Hofrat den Teller und sagte: "Sehen Sie! Da war irgend einmal eine reisende Prinzeß hier, welcher man auf Silber servierte, und um den merkwürdigen Tag ihrer Anwesenheit zu verewigen, schrieb sie die paar Worte hieher: Emilie v. Mart., heißt offenbar: Emilie, am fünften März."
"Gott im Himmel, was hättest du für einen Rechtskonsulenten und Rabulisten gegeben!" antwortete Berner und setzte vor Schrecken den frischeingeschenkten Kelch, den er schon halbwegs gehabt, wieder nieder. "Habe ich nicht gesehen, wie du das Ding da kritzeltest; und jetzt täte es not, ich deprezierte den falschen Verdacht?" Doch Engelsköpfchen Ida sah ihm so bittend ins Auge, daß er unwillkürlich wieder gut wurde; in den süßesten Schmeicheltönen bat sie ihm die Unart ab, versprach, sich nie mehr aufs Leugnen zu legen, wenn er gelobe, dem Papa nichts zu sagen, der sie wenigstens acht Tage lang mit ihrer Silberschrift necken würde. Er gelobte, mahnte aber, jetzt sich zum Kotillon zu rüsten. "Nur noch ein Viertelstündchen!" bat Ida, weil sie dem widerwärtigen Kreissekretär habe zusagen müssen. Aber das Sträuben half nichts; die Hörner erklangen im Tanzsaal, und die Tafel rüstete sich, aufzubrechen. Da stand der Präsident auf. "Noch einen Kelch, meine Damen!" rief er über die Tafel hin, "noch einen echten Toast aus den guten alten Zeiten: die Gläser hoch—der Liebe und der Freude!" Die Trompeten schmetterten ihren Freudenruf unter den Jubel; aber mitten durch das Geschmetter, durch das donnerschlagähnliche Wirbeln der Pauken, mitten in dem schrankenlosen Hallo der bechampagnerten Gäste war es Ida, als hörte sie hinter sich tief seufzen, und als sie, von einer plötzlichen Ahnung ergriffen, sich schnell umsah, begegnete sie Emils Auge, der wehmütig, tränenschwer in das Gewühl der Freude schaute. Alles Blut jagte die Überraschung dem Mädchen aus den Wangen, es hatte keinen Atem mehr, und doch konnte es um keinen Preis ihr Auge wieder von ihm abwenden. Doch ehe sie noch ihrer Verlegenheit Meister werden konnte, gerade als sie der schöne junge Mann anreden zu wollen schien, riß ihn das Gedränge der Aufstehenden aus ihrer Nähe; der Kreissekretär kam mit seinem widrigen, sauersüßen Gesicht, schätzte sich glücklich, den Kotillon errungen zu haben, und führte seine Tänzerin im Triumph durch die dicken Reihen seiner Neider. Sie aber folgte ihm, noch immer über diese Erscheinung, über die Gewalt dieser dunkeln Flammensterne sinnend. "Wahrhaftig!" sagte sie zu sich. "Der Hofrat hat doch recht, es muß Menschen geben, die Häkchen im Auge haben, von welchen man sich gar nicht losreißen kann, und dieser muß einen von den großen Angelhaken haben."
* * * * *DER KOTILLON
In rauschenden Tönen klangen die Hörner und Trompeten durch den Saal; in verschlungenen Gruppen, bald suchend, bald fliehend, hüpften die Paare den fröhlichen Reigen, und Idas liebliche Gestalt tauchte auf und nieder in der Menge der Tanzenden wie eine Nixe, die neckend bald dem Auge sich zeigt, bald in den Fluten verschwindet. Oft, wenn der Augenblick es gestattete, wagte sie einen Viertelsseitenblick über den Saal hinüber nach ihm, zu welchem ein unerklärbares Etwas sie noch immer hinzog, und wenn die Flöten leiser flüsterten, wenn die weichen, gehaltenen Töne der Hörner süßes Sehnen erweckten, da glaubte sie zu fühlen, daß diese Töne auch in seiner Brust widerklingen müssen. In glänzender Kette schwebten jetzt die Mädchen in der Runde, bis die Reihe sich löste und sie den Saal durchschwärmten, um selbst sich Tänzer zu suchen. Emil stand wieder an seine Säule gelehnt. Kaum den Boden berührend, schwebte eine zarte Gestalt, auf dem Amorettengesichtchen ein holdes, verschämtes Lächeln, auf ihn zu—es war Ida. Lächelnd neigte sie sich, zum Tanze ihn einzuladen; er schien freudig überrascht, eine flüchtige Röte ging über sein bleiches Gesicht, als er das holde Engelskind umschlang und mit ihr durch den Saal flog.
Aber ängstlich war es Ida in seinen Armen; kalt war die Hand, die in der ihrigen ruhte, schaurige Kälte fühlte sie aus des Fremden Arm, der ihre Hüfte umschlang; in sie eindringen, scheu suchte ihr Auge den Boden; denn sie fürchtete, seinem Flammenblicke zu begegnen. Jetzt erst fiel ihr auch ein, daß es sich doch nicht so recht schicke, den ganz fremden Menschen, der ihr von niemand noch vorgestellt war, zuerst zum Tanze aufgefordert zu haben.
Aber ein freudiges Geflüster des Beifalls begleitete sie durch die Reihen; bedeutender schien des Fremden edles Gesicht, von der Bewegung des Tanzes leicht gerötet, bedeutender erschien seine edle Gestalt, sein hoher königlicher Anstand, und dem schönen Mann gegenüber erschien auch Ida in noch vollerem Glanz der Schönheit. Mit dankendem Blick schied er, als er sie an den Platz zurückführte; wieviel stiller Gram, wieviel Wehmut lag in diesem langen Blick! Ja, wenn sie sich den Ausdruck seines Auges noch einmal zurückrief, wieviel Dank lag darin, wieviel Lie—
Sie drückte geschwind die Augen zu, um nur den Gedanken zu entgehen, die sie unablässig verfolgten; sie tanzte rascher und eifriger, nur um sich durch den raschen Wirbel zu zerstreuen; aber da wisperte von der einen Seite der Xeres, von der andern kicherte der Champagner ihr ins Ohr: er liebt dich, du bist es ja, nach welcher er immer sieht, wegen dir ist er noch einmal auf den Ball gekommen.—Der Kotillon hatte jetzt seine glänzendste Höhe erreicht; eine Tour, die in Freilingen noch nie getanzt worden, sollte eingeschoben werden. Die Dame, welche die Reihe traf, setzte sich, von ihrem Tänzer geführt, auf einen in die Mitte des Kreises gestellten Sessel; mit einem seidenen Tuche wurden ihr die Augen verbunden und dann Tänzer jeglicher Gattung zur blinden Wahl vorgeführt. Die Ausgeschlagenen stellten sich als Gefangene und besiegt hinter den Stuhl, der Erwählte flog mit der von der Binde erlösten Tänzerin durch den Saal. Die Tour an sich war gerade nicht so kühn erfunden, um durch sich selbst sehr bedeutungsvoll zu werden; sie ward es aber dadurch, daß der Vortänzer, ein gerade von Reisen zurückgekommener Herr aus Freilingen, behauptete, in Wien werde diese Tour für sehr verhängnisvoll gehalten; denn es gelte dort bei dieser blinden Wahl das Sprichwort: "Der Zug des Herzens sei des Schicksals Stimme," und mehr denn hundertmal habe er den Spruch bei dieser Tour eintreffen sehen. Die Freilinger Schönen machten zwar Spaß daraus und behaupteten, die Wiener Damen werden unter dem Tuch hervorgesehen haben; doch mochten sie abergläubisch genug sein und wünschen, des Schicksals Stimme möchte dem Zug ihres Herzens nachgeben und ihnen den schönen Major oder den Jagdjunker mit dem Stutzbärtchen oder einen dergleichen vor die blinden Augen führen.
Auch an Ida kam jetzt die Reihe, sich niederzusetzen; der sauersüße Kreissekretär führte sie zum Stuhl, fragte mit schalkhaft sein sollendem Lächeln, das aber sein Gesicht zur scheußlichen Fratze verzog, ob er den Herrn Hofrat Berner bringen solle, band ihr das Tuch vor die Augen, und in wenigen Augenblicken standen schon drei arme Unglückliche, von der spröden, blinden Mamsell Amor-Justitia verschmäht, hinter dem Stuhl. Es war ihr wohl auch der Gedanke an Martiniz durch das Köpfchen gezogen; aber sie hatte sich selbst recht tüchtig ausgescholten und vorgenommen, ihr Herzchen möge sie ziehen, wie es wolle, das Schicksal möge noch so gebietend rufen, sie lasse drei ablaufen und den vierten wolle sie endlich nehmen.
"Numero vier, gnädiges Fräulein!" meckerte der Kreissekretär. Sie ließ die Binde lösen, sie schlug die Augen auf und sank in Emils Arme, der sie im schmetternden Wirbel der Trompeten, im Jubelruf der Hörner im Saal umherschwenkte; die Sinne wollten ihr vergehen, sie hatte keinen deutlichen Gedanken als das immer wiederkehrende: "Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme." Ach! so hätte sie durch das Leben tanzen mögen; ihr war so wohl; so leicht; wie auf den Flügeln der Frühlingslüfte schwebte sie in seinem Arme hin, sie zitterte am ganzen Körper; ihr Busen flog in fieberhaften Pulsen, sie mußte ihn ansehen, es mochte kosten, was es wollte. Sie hob das schmachtende Gesichtchen. Ein süßer Blick der beiden Liebessterne traf den Mann, der ihr in wenigen Stunden so wert geworden war; das edle Gesicht lag offen vor ihr, wenige Zoll breit Auge von Auge, Mund von Mund; ach, wie unendlich hübsch kam er ihr vor, wie fein alle seine Züge, wie schmelzend sein Auge, sein Lächeln; sie hätte mögen die paar Zöllchen breite Kluft durchfliegen, ihn zu lieben, zu kü—
Klatsch, klatsch, mahnten die ungeduldigen Herren, indem sie die glacierten Handschuhe zusammenschlugen, daß die zarten Nähte sprangen; will denn dies Paar ewig tanzen? Ach, ihr Kurzsichtigen, wenn ihr wüßtet, wieviel namenlose Seligkeit in einer solchen kurzen Minute liegt, wie die Pforten des Lebens sich öffnen, wie die Seele hinter die durchsichtige Haut des Auges heraufsteigt, um hinüberzufliegen zu der Schwesterseele—wahrlich, ihr würdet diesen Moment des süßesten Verständnisses nicht durch euer Klatschen verscheuchen.
Der Ball war zu Ende; der Hofrat nahte, Ida den Schal anzulegen und das wärmende Mäntelchen umzuwerfen; er nahm dann ihren Arm, um sie zur Abkühlung noch ein wenig durch den Saal zu führen. "Sie haben mit ihm getanzt, Töchterchen?"—"Ja," antwortete sie, "und wie der tanzt, können Sie sich gar nicht denken; so angenehm, so leicht, so schwebend!"—"Idchen, Idchen!" warnte der Hofrat lächelnd. "Was werden unsere jungen Herren dazu sagen, wenn Sie sie über einem Landfremden so ganz und gar vergessen?"—"Nun, die können sich wenigstens über das Vergessen nicht beklagen; denn ich habe nie an sie gedacht! Aber sagen Sie selbst, Hofrat, ist er nicht ganz, was man interessant nennt?"—"Ihnen wenigstens scheint er es zu sein," antwortete der neckische Alte.—"Nein, spaßen Sie jetzt nicht! Ist nicht etwas wunderbar Anziehendes an dem Menschen, etwas, das man nicht recht erklären kann?" Der Hofrat schwieg nachdenklich. "Wahrhaftig, Sie können recht haben, Mädchen," sagte er; "habe ich doch den ganzen Abend darüber nachgesonnen, warum ich diesen Menschen gar nicht aus dem Sinne bringen kann."
"Aber noch etwas," fiel Ida ein; "wissen Sie nicht, wo er so plötzlich mit dem alten Diener hinging?"—"Das ist es eben!" sagte jener. "Eine ganz eigene Geschichte mit dem Grafen da; kommt auf den Ball, tanzt nicht, geht fort, bleibt über eine Stunde aus, kommt wieder—und wo blieb er? Wo meinen Sie wohl? Er war im Münster!!"
"Jetzt eben, in dieser Nacht?" fragte Ida erschrocken und an allen Gliedern zitternd.
"Heute nacht, auf Ehre! Ich weiß es gewiß; aber reinen Mund gehalten, Gold-Idchen! Morgen komme ich dem Ding auf die Spur."
Der Wagen war vorgefahren; der Präsident kam in einer Weinlaune. "Hofrätchen," rief er, "wenn du nicht anderthalbmal ihr Vater sein könntest, wollte ich dir Ida kuppeln!"
"Hätte ich das doch vor dem Ball gewußt!" jammerte der Hofrat; "aber da gab es allerlei interessante Leute usw." Errötend sprang Ida in den Wagen, auf den losen Hofrat scheltend, und umsonst gab sich Papa auf dem Heimweg Mühe, zu erfahren, was jener gemeint habe. Trotzköpfchen hätte mögen laut lachen über die Bitten des alten Herrn; es biß die scharfen Perlenzähne in die Purpurlippen, daß auch kein Wörtchen heraus konnte.
Nicht mehr so fröhlich als in früheren Tagen und dennoch glücklicher, legte Ida das Lockenköpfchen auf die weichen Kissen. Es war ihr so bange, so warm; mit einem Ruck war der seidene Plumeau am Fußende des Bettes, und auch die dünne Seidenhülle, die jetzt noch übrig war, mußte immer weiter hinabgeschoben werden, daß die wogende, entfesselte Schwanenbrust Luft bekam.
Aber wie, ein Geräusch von der Türe her? Die Türe geht auf, im matten Schimmer des Nachtlichtes erkennt sie Martiniz' blendendes Gesicht; sein dunkles, wehmütiges Auge fesselt sie so, daß sie kein Glied zu rühren vermag, sie kann die Decke nicht weiter heraufziehen, sie kann den Marmorbusen nicht vor seinem Feuerblick verhüllen; sie will zürnen über den sonderbaren Besuch, aber die Stimme versagt ihr. Aufgelöst in jungfräuliche Scham und Sehnsucht, drückt sie die Augen zu; er naht, weiche Flötentöne erwachen und wogen um ihr Ohr, er kniet nieder an ihrem bräutlichen Lager, "der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme," flüstert er in ihr Ohr; er beugt das gramvolle, wehmütige Gesicht über sie hin, heiße Tränen stürzen aus seinem glühenden Auge herab auf ihre Wangen, er wölbt den würzigen Mund—er will sie kü—
Sie erwachte, sie fühlte, daß ihre eigenen heftigströmenden Tränen sie aus dem schönen Traume erweckt hatten.
* * * * *DIE BEICHTE
Am andern Morgen sehr früh stand der Hofrat schon vor des Präsidenten Haus und zog die Glocke. Er mußte ja sein holdes Idchen fragen, wie es zum erstenmal wieder in Freilingen geschlafen habe. Nebenbei hatte er so viel zu fragen, so viel mitzuteilen, daß er nicht wußte, wo ihm der Kopf stand. Nur soviel war ihm klar, als er den hellpolierten Handgriff der Glocke in der Hand hielt, daß er um keinen Preis von dem interessanten Herrn von gestern zuerst sprechen werde; sie soll mir daran, sagte er, sie soll mir beichten. Er tat sich auf seinen Witz nicht wenig zugut und lächelte noch still vor sich hin, als er die breite Treppe hinanstieg.
Der Präsident sei schon in die Session gefahren, gaben ihm die Bedienten auf seine Anfrage zur Antwort, aber gnädiges Fräulein nehme ihn vielleicht an, obwohl ihre Toilette noch nicht fertig sei.
Man meldete ihn; er wurde sogleich vorgelassen. In ihrem kleinen, aufs geschmackvollste dekorierten Boudoir saß Ida auf einer Estrade am Fenster, das Lockenköpfchen in die Hand gestützt. War es doch, als sei das Mädchen in dieser Nacht noch tausendmal schöner geworden! Der Hofrat bekam ordentlich Ehrfurcht vor ihrer Schönheit; es lag so viel Schmachtendes in ihrem Auge, so viel ernste Sanftmut auf dem lieben Gesichtchen, das ihn begrüßte, daß er gar nicht wußte, woher dies alles das Wunderkind gestohlen hatte.
Er sagte ihr auch, wie schön er sie finde; sie aber lachte ihm geradezu ins Gesicht; sie finde, daß sie weit bleicher aussehe als sonst, der Ball könne einesteils daran schuld sein, sagte sie; dazu komme, daß sie heute nacht so dumm geträumt habe und alle Augenblicke aufgewacht sei. Sie wollte bei dieser Behauptung recht ernst aussehen; aber das kleine Schelmchen flog ihr doch beinahe unmerklich um den Mund, als wüßte es, was dem hübschen Engelskind geträumt habe.
Der Hofrat sprach vom gestrigen Ball, von Herren und Damen, von allen möglichen Schönen; aber er hätte sich lieber die Zunge abgebissen, ehe er von Martiniz zuerst angefangen hätte, obgleich er wohl sah, daß Ida darauf warte.
Er sah sich daher, als alle Tänze und Touren bekrittelt waren und das Gespräch zu stocken drohte, im Zimmer umher. "Nein," sagte er, "wie wunderschön Ihnen Papa das Boudoir da dekorieren ließ, die bronzierte Lampe am gewölbten Plafond, die freundliche Tapete! Wie werden sich Ihre Besucher erfreuen, wenn man sich nicht mehr um den Rang auf dem Sofa streiten darf! denn jener von hellbraunem Kasimir, der sich an drei Wänden hinzieht, den eleganten Teetisch von Zedernholz in der Mitte, kann ja eine ganze Legion von Dämchen in sich aufnehmen. Der französische Kamin mit dem deckenhohen Spiegel scheint aber nicht sehr warm geben zu wollen; doch Hoffart muß schon auch ein wenig Schmerz leiden. Die geschmackvolle Etagere dort haben Sie gewiß selbst erst aus der Residenz geschickt; denn hier wüßte ich niemand, der solche Arbeit lieferte."
Das ging ja dem alten Herrn aus dem Mund wie Wasser; schade nur, daß er den tauben Wänden predigte; denn Ida schaute stillverklärt durch die Scheiben und hatte weder Augen noch Ohren für ihren alten Freund. Dieser sah sich um, sah das Hinstarren des Mädchens, folgte ihrem Auge und—drüben in der ersten Etage des ehrsamen Gasthofes "Zum goldenen Mond" hatten sich die rot und weißen Gardinen aufgetan, und im geöffneten Fenster stand—nein, er machte es gerade zu, als der Hofrat hinsah, und ließ die Gardine wieder herab; das selige Kind drehte jetzt das Köpfchen, und ihr Blick begegnete dem lauernden Auge des Hofrats. Die Flammenröte schlug ihr ins Gesicht, als sie sich so verraten sah; aber dennoch sagte Trotzköpfchen kein Wort, sondern arbeitete eifrig an einer Zentifolie. Nun, dachte der Alte, wenn du es durchaus nicht anders haben willst,—auf den Zahn muß ich dir einmal fühlen, also sei's!
"Sie haben brave Nachbarschaft, Ida," sagte er, "da können Sie Ihre astronomischen Beobachtungen nach den Glutsternen des Herrn von Martiniz recht kommode anstellen; ich habe zu Haus einen guten Dolland, er steht zu Diensten, wenn Sie etwa—"
"Wie Sie nur so bös sein können, Berner!" klagte das verschämte Mädchen. "Wahrhaftig, ich habe bis auf diesen Augenblick gar nicht gewußt, daß er nur im Mond logiert; und daß ich gestern diesen Mann schon wegen seines Äußeren gehaltvoller gefunden habe als unsere jungen Herren hier, um die ich nun einmal kein Flöckchen Seide gebe, —ist das denn ein so schweres Verbrechen, daß man es noch am andern Tage büßen muß? Ist es denn so arg, wenn man Mitleiden hat mit einem Menschen, der so unglücklich scheint?"
"Nun, da bringen Sie mich just auf den rechten Punkt," sagte der Hofrat; "daß der junge Herr im Mond drüben gestern nacht in der Münsterkirche war, habe ich Ihnen gesagt; aber was er dort tat, das wissen Sie nicht,—und was bekomme ich, wenn ich es sage?"
"Nun, was wird er viel dort getan haben?" antwortete Ida, vergeblich bemüht, ihre Neugierde zu bekämpfen. "Er hat sich wahrscheinlich die Kirche zeigen lassen, wie die Fremden auf der Durchreise immer tun?"
"Durchreise? Als ob ich nicht wüßte, daß Herr von Martiniz die drei Zimmer Ihnen gegenüber auf vier Wochen gemietet hat—"
"Auf vier Wochen?" rief Ida freudig aus, erschrak aber im nämlichen Augenblick über die laute Äußerung ihrer Freude. "Vier Wochen?"– setzte sie gefaßter hinzu. "Wie freut mich das für die gute Mondwirtin! Sie muß immer Schelte hören von ihrem Mann, daß ihre Table d'hôte nicht so gut sei wie im Hôtel de Saxe, und kein Mensch bleibe recht lange; da hat sie nun doch einen Beweis für sich."
"Die arme Mondwirtin," spottete der Hofrat, "die gute Seele! Muß sie jetzt auch noch zur Entschuldigung dienen, wenn man seine Freude nicht recht verbergen kann! Und, um aufs vorige zurückzukommen, Sie glauben also, der Mann im Monde da drüben habe sich als durchreisender Fremder unsern Münster zeigen lassen und dazu die glückliche Stunde nachts von zwölf bis ein Uhr gewählt, habe den Küster mit seiner Laterne alles beleuchten lassen, nur um die Finsternis desto deutlicher zu sehen?"
Der kleine Schalk lachte verstohlen auf seine Arbeit hin und ließ den Hofrat immer fortfahren—
"Heute in aller Früh war ich beim Küster, dem ich vorzeiten einmal einen Prozeß geführt und ein Kind aus der Taufe gehoben hatte; gewiß, ohne diese Empfehlung wäre ich bei dem Alten nicht durchgedrungen. 'Gevatter!' sagte ich zu ihm, 'Er kann mir wohl sagen, was der Fremde, der Ihn gestern nacht noch besuchte, im Münster getan hat.' Der Mann wollte im Anfang von gar nichts wissen; ich rief aber meinen alten Balthasar,—Sie kennen ihn ja, wie geschickt er ist, alles aufzuspüren,—diesen rief ich her und konfrontierte beide; der Balthasar hatte den Bedienten des Fremden in des Küsters Haus gehen und beide bald darauf mit dem Fremden im Münster verschwinden sehen. Er gab dies zu, bat mich aber, nicht weiter in ihn zu dringen, weil es ein furchtbares Geheimnis sei, das er nicht verraten dürfe. So neugierig ich war, stellte ich mich doch ganz ruhig, bedauerte, daß er nichts sagen dürfe, weil es ihm sonst eine Bouteille Alten (seine schwache Seite) eingetragen hätte; da gab er weich und erzählte—"
"Nun, fahren Sie doch fort!" sagte Ida ungeduldig, "Sie wissen von früher her, daß ich für mein Leben gerne Geschichten höre, namentlich geheimnisvolle, die bei Nacht in einer Kirche spielen."
"So, so? Man hört gerne Geschichten von interessanten, geheimnisvollen Leuten? Nun ja, hören Sie weiter! Der Küster, der für seine Mühe einen harten Taler bekam, führte gestern nacht einen Herrn, der bleich wie der Tod, aber so vornehm wie ein Prinz ausgesehen haben soll, in den Münster. Dort habe sich der Fremde auf die Altarstufen gesetzt und in voller Herzensangst gebetet. Dann sei ein Sturm gekommen, wie er fast noch nie einen gehört; er habe an den Fenstern gerüttelt und geschüttelt und die Scheiben in die Kirche hereingeschlagen; der Herr aber habe wunderliche Reden geführt, als reite der Teufel draußen um die Kirche und wolle ihn holen.
"Der Küster glaubt auch daran wie ans Evangelium und weint wie ein Kind um den bleichen jungen Mann, der schon so früh in die Hölle fahren solle. Dabei verspricht er aber ganz getrost, wenn der Herr alle Nacht bei ihm einkehre und sich in den Schutz seines Münsters begebe, solle ihm vom Bösen kein Haar gekrümmt werden. Sehen Sie, das ist die Geschichte; da werde jetzt einer klug daraus! Was halten Sie davon?"
In ängstlicher Spannung hatte Ida zugehört; in hellem Wasser schwammen ihr die großen blauen Augen, die volle schöne Schwanenbrust hob sich unter der durchsichtigen Chemisette, als wolle sie einen Berg von sich abwälzen; die Stimme versagte ihr; sie konnte nicht gleich antworten.