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Der Mann im Mond
Der Mann im Mond

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Der Mann im Mond

Жанр: сказки
Язык: Немецкий
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"Ja, wenn's das allein wäre!" seufzte der alte Diener und wischte sich das Wasser aus dem Auge. Doch, als hätte er schon zu viel gesagt, zog er murrend den zweiten Koffer, der die Kleider enthielt, heran und schloß auf. Die Wirtin hätte für ihr Leben gerne gewußt, was sonst noch für Unglück den bleichen Herrn verfolge, daß der Verlust aller Verwandten klein dagegen aussehe. Aber sie wagte nicht, den alten Brktzwisl, dessen Name ihr schon gehörig imponierte, darüber zu befragen; auch schloß der Anblick, der sich jetzt darbot, ihr den Mund.

Die schwarze Kleidung hatte ihr an dem ernsten, stillen Gast nicht so recht gefallen wollen; sie hatte sich immer gedacht, ein buntes Tuch, ein hübsches helles Kleid müßten ihn von selbst freundlicher machen. Aber da blinkte ihr eine Uniform entgegen—nein! Sie hatte geglaubt, doch auch Geschmack und Urteil in diesen Sachen zu haben. Sie hatte in früherer Zeit, als sie noch bei ihrer Mutter war, die Franzosen im Quartier gehabt, schöne Leute, hübsch und geschmackvoll gekleidet; später, als sie schon auf den Mond geheiratet hatte, waren die Russen und Preußen dagewesen, große stattliche Männer wie aus Gußeisen. Freilich hatten sie nicht die lebhaften Manieren wie die früheren Gäste; aber die knappsitzenden Spenzer und Kutkas waren denn doch auch nicht zu verachten. Aber vor der himmlischen Pracht dieser Uniform verblichen sie samt und sonders zu abgetragenen Landwehr- und Bürgermilizkamisölern. Sie hob den Uniformsfrack vom Sessel auf, wohin ihn Brktzwisl gelegt hatte, und hielt ihn gegen das Licht; nein, es war nicht möglich, etwas Schöneres, Feineres zu sehen als dieses Tuch, das wie Samt glänzte, das brennende Rot an den Aufschlägen, die herrliche Posamentierarbeit an der Stickerei und den Achselschnüren.

"Das ist die polnische Garde bei uns zu Haus in Warschau," belehrte sie der alte Diener, dem dieser Anblick selbst das Herz zu erfreuen schien. "Möchte man da nicht gleich selbst in die mit Seide gefütterten Ärmel fahren und das spannende Jäckchen zuknöpfen? Und, weiß Gott! So wie mein Herr gewachsen, war keiner unter allen! Der Schneider wollte sich selbst nicht glauben, daß die Taille so fein und schmal sei, gab noch einen Finger zu und brachte unter Zittern und Zagen, es möchte zu eng sitzen, sein Kunstwerk; aber Gott weiß, wie es zugeht, sie war zwar über seine breite Heldenbrust gerade recht, aber hier in den Weichen viel zu weit, und dabei ist an kein Schnüren zu denken, mein Herr verachtet diese Kunststücke. Der Schneider machte einen Sprung in die Höhe vor Verwunderung; er konnte es rein nicht begreifen. Die andern Herren beim Regiment ließen sich Korsette machen mit Fischbein, schnürten sich zusammen, daß man hätte glauben sollen, der Herzbündel wolle ihnen zerspringen, und dennoch rissen die Knöpfe alle drei Tage, wenn sie nur ein wenig mehr als zu viel gegessen hatten—mein Herr war immer der Fixeste, gedrechselt wie eine Puppe, und alles ohne ein Lot Fischbein, so wahr ich lebe!"

"Es ist unbegreiflich, was es für herrliche Leute unter den Militärs gibt," unterbrach ihn die Wirtin, andächtig staunend.

"Und dann, Madame, lassen Sie ihn erst noch die Galabeinkleider da anlegen, den Federhut aufsetzen, seine goldenen Sporen mit den silbernen Rädchen an den feinen Absätzchen,—denn Füßchen hat er trotz einer Dame,—lassen Sie mich ihm den St. Wladimir in Diamanten auf die Brust hängen, den Ehrensäbel, den sein Herr Vater vom Kaiser bekommen und den er aus hoher Gnade als Andenken tragen darf, um den Leib schnallen—Frauchen, wenn ich ein Mädchen wäre, ich flöge ihm an den Hals und küßte ihm die schwarzen Locken aus der schönen Stirne. Und dabei war er so fröhlich, die Wangen so rot, das Auge so freudig blitzend, und alles hieß ihn nur den schönen, lustigen Martiniz. Das alles ist jetzt vorbei," setzte der treue Brktzwisl seufzend hinzu, indem er die Staatsuniform der Wirtin abnahm und in die Kommode legte, "da liegt das schöne Kleid, nach dem Zehntausend die Finger leckten; so liegt es seit drei Vierteljahren, und wie lange wird es noch so liegen!"

"Aber sagen Sie doch, lieber Herr Wiesel,—Sein Vorderteil kann ich nicht aussprechen,—sagen Sie doch, warum dies alles? Warum sieht Sein Herr so bleich und traurig? Warum kleidet er sich wie ein junger Kandidat, da er unsere ganze Garnison in den Boden glänzen könnte? Warum denn?"

Der Alte sah sie mit einem grimmigen Blick an, als wollte er über diesen Punkt nicht gefragt sein. Aber die junge, reinliche, appetitliche Wirtin mochte doch dem tauben Mann zu zart für eine derbe Antwort vorkommen. "Bassa manelka!" sagte er unfreundlich. "Warum? Weil—ja, sehen Sie, Madame, weil, weil wir, richtig—weil wir als Zivil reisen," und nach diesem war auch kein Sterbenswörtchen mehr aus ihm herauszubringen.

* * * * *

DER POLNISCHE GARDIST

Dies alles hatte die Wirtin dem Hofrat erzählt, der sich in dem schönen Speisesaal wohl eine Stunde früher als die übrigen Gäste zur Abendtafel eingefunden hatte, um so allerlei Nachrichten, die ihm dienen konnten, einzuziehen. Er hatte sie ganz aussprechen lassen und nur hie und da seinen Graukopf ein wenig geschüttelt; als sie zu Ende war, dankte er für die Nachrichten. "Und ihn selbst, Ihren wunderlichen Gast, haben Sie noch nicht gesprochen oder beobachtet? Ich kenne Ihren Scharfblick; Sie wissen nach der ersten Stunde gleich, was an diesem oder jenem ist, und auch über Leben und Treiben fangen Sie hie und da ein Wörtchen weg, aus dem sich viel schließen läßt."

Die Geschmeichelte lächelte und sprach: "Es ist wahr, ich betrachte meine Gäste gern, und wenn man so seine acht oder zehn Jährchen auf einer Wirtschaft ist, kennt man die Leute bald von außen und innen. Aber aus dem da droben in der Beletage werde ein anderer klug. Mein Mann, der sich sonst auch nicht übel auf Gesichter versteht, sagt: 'Wenn es nicht ein Polack wäre, so mußte er mir ein Engländer sein, der den Spleen hat.' Aber nein, wir hatten auch schon Engländer, die den Spleen faustdick hatten, tage-, wochenlang bei uns; aber die seien griesgrämig, unzufrieden in die Welt hinein; aber die Frauen, nehmen Sie nicht übel, Herr Hofrat, haben darin einen feinern Takt als mancher Professor. Der Graf sieht nicht spleenigt und griesgrämig aus, nein, da wette ich, der hat wirkliches Unglück; denn die Wehmut schaut ihm ja aus seinen schwarzen Guckfenstern ganz deutlich heraus. Denke ich den Nachmittag, du gehst einmal hinauf und sprichst mit ihm, vielleicht, daß man da etwas mehr erfährt als von dem alten Burrewisl. Im Teezimmer sitzt mein stiller Graf am Fenster, die Stirne in die hohle Hand gelegt, daß ich meine, er schläft oder hat Kopfweh. Drüben spielte gerade die Fräulein Ida auf dem Flügel so wunderschön und rührend, daß es eine Freude war. Dem Grafen mußte es aber nicht so vorkommen; denn die hellen Perlen standen ihm in dem dunklen Auge, als er sich nach mir umsah."

"Wann war denn dies?" fragte der Hofrat.

"So gegen vier Uhr ungefähr; wie ich nun so vor ihm stehe und er mich mit seinem sinnenden Auge maß, da muß ich feuerrot geworden sein; denn da fiel mir ein, daß doch nicht so leicht mit vornehmen Leuten umzugehen sei, wie man sich sonst wohl einbildet; er ist auch nicht so ein Herr Obenhinaus und Nirgendan wie unsere jungen Herren, mit denen man kurzen Prozeß macht; nein, er sah gar zu vornehm aus. 'Ich wollte nur gefälligst fragen, ob Ew. Exzellenz mit Ihrem Logis zufrieden seien?' hub ich an.

"Er stand auf, fragte mich, ob ich Madame wäre, holte mir,—denken Sie sich, so artig, als wäre ich eine polnische Prinzeß,—einen Stuhl und lud mich zum Sitzen ein. Es ist erstaunend, was der Herr freundlich sein kann; aber man sieht ihm doch an, daß es nicht so recht von Herzen gehen will.

"An dem Logis hatte er gar nichts auszusetzen, und auch die Straße gefiel ihm. Das Gespräch kam auf die Nachbarschaft und auch auf Präsidents Haus; ich erzählte ihm von dem wunderschönen Fräulein, die erst aus der Pension gekommen, und wie sie so gut und liebenswürdig sei, von dem alten Herrn drüben, und daß die gnädige Frau schon lange tot sei, und ich hatte mich so ins Erzählen vertieft, daß ich gar nicht merkte, wo die Zeit hinging, und statt ihn auszufragen, hatte ich die Gelegenheit so dumm verplaudert!"

"Schade! Jammerschade!" lachte Berner über die sprachselige Wirtin.

"Und wie gut der Herr ist! Denken Sie sich nur, hinten im Garten, wo es nun freilich zu jetziger Jahreszeit nicht mehr schön ist, sitzt mein Luischen,—das Dingelchen ist jetzt acht Jahre und schon recht vernünftig,—sitzt es im Garten und weiß nicht, daß ein so vornehmer Herr hinter ihm steht. Ich war in der Küche und sah alles mit an; mein Luischen kann allerhand schnackische Lieder, auch ein schwäbisches, ich weiß nicht, wer sie es gelehrt hat; wie nun der Graf hinter ihr steht, fängt der Unband an zu singen:

"''n bissel schwarz und 'n bissel weiß, 'n bissel polnisch und 'n bissel deutsch, 'n bissel weiß und 'n bissel schwarz, 'n bissel falsch ist mei Schatz!'

"Ich glaube, ich muß vor Scham in den Wurstkessel springen, daß mein Kind so ungebildetes Zeug singt; was mußte nur der Graf von meiner Erziehung denken! Ihm aber schoß das helle, klare Schmerzenswasser in die Augen; er bog sich nieder, nahm das Dingelchen auf den Arm, herzte und küßte es; daß mir brühsiedheiß wurde, und fragte, wo sie das Liedchen her habe.

"Das Kind weiß vor Schrecken gar nicht zu antworten; mein Herr Graf aber langt in die Tasche, kriegt einen blanken Taler heraus und verspricht, wenn es das Verschen noch einmal deutlich sage und zweimal singe, so bekomme es den Taler. Ich hätte ihm befehlen mögen, wie ich hätte mögen, es hätte nicht gesungen. Der Taler aber tat seine Wirkung; sie sagte ihr Sprüchlein ganz mir nichts dir nichts auf und sang nachher das 'bissel polnisch und 'n bissel deutsch', wie wenn es so sein müßte. Den Taler bekam es richtig; er liegt in der Sparbüchse, in ein Papier geschlagen, und darauf steht deutlich, daß sie es in zwölf Jahren noch lesen und einmal ihren Kindern noch zeigen kann: Den 12. November 1825 bekommen vom polnischen Gardeoffizier, Grafen von Martiniz."

* * * * *

DER HOFRAT AUF DER LAUER

Die Gäste waren nach und nach alle zur Abendtafel herbeigekommen. Madame trennte sich von dem Hofrat mit dem Versprechen, ihm nächstens wieder zu erzählen. Der Hofrat sann nach über das, was er gehört; die Szenen und Winke, die ihm Madame Plappertasche vorgesetzt hatte, gingen ihm wie ein Mühlenrad im Kopfe herum; sinnend kam er an seinen Platz und setzte sich nieder. "Vater tot, Mutter tot, Schwestern tot, und dennoch hatte der alte Diener gesagt: 'Ja, wenn es dies allein wäre!', Was konnte ihm denn sonst noch gestorben sein? Etwa eine Gel—Nein! Geliebt konnte er nicht haben; denn wie könnte er nach drei Vierteljahren,—so lange hatte der Diener gesagt, sei er traurig,—wie könnte er nach so kurzer Frist schon wieder um eine Gräfin Aarstein auf die Freite gehen? Unmöglich!—Hätte, wenn jenes doch der Fall wäre, hätte Ida auf ihn einen solchen Eindruck—"

Ja, was wollte er eigentlich, der gute Hofrat? Ida hatte bestimmt auf ihn einen großen Eindruck gemacht, das war auf dem Ball ganz und gar sichtbar; denn er schaute ja nur nach ihr und immer wieder nach ihr, und sein ernstes Gesicht, wie klärte es sich auf, als sie ihn im Kotillon holte! Heute früh, hatte er nicht einen Feuerblick gegen sie heraufgeworfen, als hätte er eine Congrevesche Batterie hinter den Wimpern aufgefahren? War es ihm selbst nicht, als sollte die Schokolade in seiner Hand, von diesen Brennspiegeln getroffen, anfangen zu sieden?

Heute abend, wer hatte denn da hinter den roten Gardinen auf des Mädchens gefühlvolles Spiel gelauscht als er? Wer war so gerührt davon, daß ihm die hellen Tränen hervorperlten, als der gute Graf Martiniz? Und Idchen—nun, die war ja rein weg in den Mondgast verschossen. "Die Aktien stehen gut!" lachte der Hofrat in sich hinein und rieb sich unter dem Tisch die Hände; "bin neugierig, ob diesmal der alte vergessene Hofrat nicht weiter kommt mit seinem guten, ehrlichen Hausverstand als der Herr Minister-Staatssekretär Superklug und Übergescheit in der Residenz mit seinen diplomatischen, extrafeinen Kniffen; mir muß das Goldfischchen in das Netz, mir muß—"

"Wenn ich nicht irre, mein Herr, so hatte ich gestern schon das Vergnügen—" tönte dem alten Träumer, der über seinen staatsklugen Plänen die Tafel, Nachbarschaft und alles vergessen hatte und jetzt erschrocken auffuhr und sich umsah, ins Ohr—es war Martiniz, der sich unbemerkt neben ihn gesetzt hatte. Er hätte vor Schrecken in den Boden sinken mögen; denn sein erster Gedanke war, dieser müsse seine Gedanken erraten haben, besonders da er sich nicht mehr deutlich erinnern konnte, ob er nicht etwa, was ihm oft passierte, laut mit sich selbst gesprochen habe.

Die Nähe des Fremden übte eine beinahe magische Gewalt auf den Hofrat aus, die sinnende, kluge Miene, das neben seinem schwärmerischen Glanz Verstand und Nachdenken verratende Auge imponierte ihm, jedoch auf eine Weise, die ihm nicht unangenehm war; es war ihm, als müsse er sich vor dem jungen Manne recht zusammennehmen, um nirgends eine Blöße zu geben oder einen seiner Pläne zu verraten. Die gewöhnlichen Fragen, wie sich der Gast hier gefalle, Komplimente über seine Reitfertigkeit, mit welcher er heute früh einem Kinde das Leben gerettet, und dergleichen, waren bald abgemacht, ohne daß er über des Fremden Gesinnungen nähern Aufschluß bekommen hätte. Es kam an die Gegend des Freilinger Kreises, es wurde gelobt, gepriesen, einzelne Güter, die durch Lage und Ertrag sich auszeichneten, näher beschrieben; aber auch hier ging der Gast nicht ein; er verlor kein Wörtchen, als wolle er sich nur um einen Taler Land mieten oder kaufen.

Der Hofrat haute sich jetzt einen neuen Weg ins Holz, er lobte die Residenz, das angenehme Leben dort, die Schönen der Stadt und des Hofes; jetzt mußte er etwas sagen, es mußte sich zeigen, ob er die Aarstein—Der Gast sprach von der Residenz, von den schönen Anstalten dort, von der Militärverfassung, schien namentlich über die Kavallerie sich gerne genauere Aufschlüsse geben zu lassen, aber kein Wörtchen über die Damen. Endlich, der Hofrat hatte gerade eine trefflich bereitete Ortolane à la Provençale, seine Leibspeise, am Mund und einen tüchtigen Biß hineingetan, da wandte sich Martiniz zu ihm herüber und fragte, ob er nicht in der Residenz die schöne Ar– schnell wie der Wind fuhr Berner mit seiner Ortolane auf den Teller, wischte den Mund ab und war ganz Ohr; denn jetzt mußte ja die Gräfin aufs Tapet kommen—"ob er nicht die schöne Armenanstalt kenne, die er in solcher Vollkommenheit nirgends gesehen habe."

Dem Hofrat war es auf einmal wieder froh und leicht um das Herz; denn solange er ja über das Verhältnis des Polen zur Gräfin Aarstein nichts Gewisses wußte, durfte er immer der Hoffnung Raum geben. Als die Abendtafel zu Ende war, rief Martiniz nach Punsch und lud seinen Nachbar ein, mit ihm noch ein Stündchen zu trinken. Berner sagte zu und hat es nie bereut; denn hatte ihm der interessante junge Mann zuvor durch seine äußere Persönlichkeit imponiert, so gewann er jetzt ordentlich Respekt vor ihm, da jener, wie es schien, von dem Punsch, dem die Mondwirtin eine eigene geheimnisvolle Würze zu geben verstand, aufgetaut, eine so glänzende Unterhaltungsgabe entwickelte, wie sie dem Hofrat, obgleich er in seinem Leben vieles gesehen und gehört hatte, selten vorgekommen war. Wie freudig war aber sein Erstaunen, als er nach einer Viertelstunde schon bemerkte, daß er und sein Nachbar die Rollen getauscht zu haben schienen. Der kluge Alte bemerkte nämlich bald, daß der Graf auf allerlei Umwegen sich immer nur einem Ziele, nämlich Ida, nähere. Er konnte dieses Flankieren dem Ulanenoffizier gar leicht verzeihen; hatte er doch nicht den Dienst der schweren Kavallerie gelernt, die, wenn "Marsch, Marsch" geblasen wird, im Karriere gradaus sprengt, das feindliche Viereck durch ihre eigene Wucht und Schwere im Chok zu zerdrücken. Der Ulan umschwärmt seinen Feind, sticht nach ihm, wo er eine Blöße entdeckt, und sucht auf geflügeltem Roß das Weite, wenn der Feind sich zu einer Salve sammelt. So der Garde-Ulan Martiniz. Aber der tapfere Pole mochte sich tummeln, wie er wollte, seine Angriffe so versteckt machen, als er wollte, sein Gegner durchschaute ihn; auf Idchen ging es los, und dem alten Mann pochte das Herz vor Freude, als er es merkte: auf Idchen ging es los, sie wollte der Pole rekognoszieren.

Er glaubte den Hofrat drüben am Fenster gesehen, auch gestern auf dem Ball ein engeres Verhältnis bemerkt zu haben; er pries des Mädchens königlichen Anstand, der sie vor den übrigen Freilinger Damen so hoch erhebe; er lobte die Zurückhaltung, mit welcher sie die ungestümen Herren zurückgewiesen habe, pries ihr Spiel und ihren Gesang, womit sie unbewußt sein einsames Zimmer erheitert habe—eine schöne Röte war durch das warmgewordene Gespräch auf den Wangen des jungen Mannes aufgegangen, jener Zug von Unglück und Wehmut, der sich sonst um seinen schönen Mund gelagert hatte, war gewichen und hatte einem feinen, holden Lächeln Platz gemacht, das Auge strahlte von freudigem Feuer; er ergriff das Glas, als er ausgesprochen hatte, und zog es bis zum letzten Tropfen so andächtig aus, als hätte er in seinem Herzen einen Toast dazu gesprochen.

* * * * *

DER SELIGE GRAF

"Herzensjunge! liebstes, bestes Gräfchen! Söhnchen! Goldpoläckchen!" alle Schmeichelnamen hätte der Hofrat ausschreien, den trefflichen Redner an sein Herz reißen und mit väterlichen Küssen bedecken mögen —aber das 'ging nicht; ein Diplomat vom Fach—und das war er ja bei seinen jetzigen Negoziationen durch und durch—durfte seine Freude über eine glückliche Entdeckung, über einen unverhofften, köstlichen Fund nicht laut werden lassen; er schluckte alle jene Ausbrüche des Vergnügens wieder hinunter, faßte den Grafen nur mit einem recht zärtlichen, seligen Blick und bestätigte weitläufig sein treffendes Urteil. Er beschrieb ihm das Mädchen, wie er es, seit es den ersten Schrei in die Welt getan, kenne, wie es früher ein lustiger, fröhlicher Zeisig war, wie es jetzt zur ernsten Jungfrau herangewachsen sei; ihre Anmut, ihre Geschicklichkeit in Sprachen und allen Dingen, die ein Mädchen zieren, als da sind: Stricken, Nähen, Schneidern, Sticken, Kochen, Früchteeinmachen, Backen, Blumenmachen, Zeichnen, Malen, Tanzen, Reiten, Klavier- und Gitarrespielen; wie es in der Residenz trotz der hohen Stellung, die es in der Gesellschaft eingenommen, doch immer seinem Sinn für reine Weiblichkeit gefolgt sei, wie es seinen reinen, keuschen, kindlichen Sinn auf dem Boden, wo schon so manches gute Kind ausgeglitscht sei, bewahrt habe.

"Es ist mir unbegreiflich," setzte er, von dem Eifer, der ihn beseelte, fortgerissen, hinzu, "rein unbegreiflich, wie dieses, für alles Schöne und Gute glühende Herz sich in der Residenz so vor aller Liebe bewahrt hat. Unsere jungen Herren schreien gewöhnlich bei solchen Mädchen über Eiskälte und Phlegma; aber Gott weiß, diesem Mädchen kann man dieses nicht nachsagen. Aber unsere jungen Herren sind meistens selbst daran schuld. Kraft- und marklos schlendern sie einher auf den Bällen, stehen sie scharweise zusammen, gucken durch Gläser von Nr. 4 und 5, die für Blinde scharf genug geschliffen wären, nach den Reizen der Ballschönen, lassen ganze Reihen sitzen und tanzen nicht, und geben sie sich auch einmal zu einem Walzerchen und Kotillönchen her, so meint man, sie wollen den letzten Atem ausschnaufen, so wogt es in den ausgedörrten Herzkammern. Kann solche Lumperei einem jungen, schönen, in der Fülle der Kraft strotzenden Mädchen, das zwei solcher Flederwische an die Wand schleuderte, gefallen? Kann man es einem folgen Engelskind, das sich so gut wie jede andere abends im Bettchen mit verschlossenen Augen und verstohlenem Lächeln sein Ideal vormalt und vorträumt, kann man es ihr verargen, wenn sie solche Vogelscheuchen gering achtet und kalt abweist?

"Ein solches Mädchen soll dann kalt sein wie Eis, soll kein Feuer im Leib haben! Habe ich doch über mein Goldmädchen gestern abend solche Urteile hören müssen; geschossen hätte ich mich um sie, wäre ich nur dreißig Jahre jünger gewesen. Sie hätte kein Feuer? Habe ich nicht gesehen, wie sie heute früh, als Sie, Herr Graf, das Kind retteten, das Fenster aufriß und beinahe hinaussprang aus purem Mitgefühl! Und dies es Mädchen hätte kein Feu—"

"Das hat sie getan?" fragte der glückliche Martiniz, bis an die Stirn errötend. "Sie hat das Fenster ein wenig geöffnet und herausgesehen?"

"Was öffnen und heraussehen! Dazu braucht man zwei Minuten; aber aufgerissen hat sie das Fenster, daß sie mir den Schokoladebecher beinahe aus der Hand schlug, sie war in zwei Sekunden fertig! Sehen Sie, so ist das Mädchen; Feuer und Leben, wo es etwas Schönes, wahrhaft Freudiges, Erhabenes gilt, schwärmerisch empfindsam, wenn sie wahre Leiden der Seele sieht aber kalt und abgemessen, wenn die leere, schale Alltäglichkeit sich ihr aufdrängen will."

Mit einem Feuerblick an die Decke, die Rechte auf das lautpochende Herz gelegt, trank Graf Martiniz wieder einen stillen Toast, der nirgends widerklang, als in seinem tiefen Herzen; aber dort traf er so viele Anklänge, daß dieses wehmütige, traurige Herz, das solange nichts kannte—als die Wehmut und den Kummer heimlicher Tränen, im stillen, aber vollen Jubel aufschwoll und sich stolz wie vor Zeiten unter dem Ordensband hob, das es von außen zierte.

Er sagte dem Hofrat, daß er, wenn es möglich wäre, während seines hiesigen Aufenthalts gerne von einem Empfehlungsschreiben an den würdigen Herrn Präsidenten Gebrauch machte, das er heute durch den Gesandten seines Herrn von dem Minister-Staatssekretär bekommen habe. Der Hofrat versprach freudig, ihn dort einzuführen und seine Abende im Umgange mit diesem trefflichen Menschen erheitern zu helfen. Bei sich lachte er aber über den Staatssekretär, der seine Sachen so geschickt einzufädeln wisse; der Graf soll dem Lande bleiben mit seinen drei Milliönchen, aber die Gräfin soll ihn nicht bekommen, dafür steht der Hofrat Berner. Auch trank er jetzt im stillen ein Toastchen und ließ mit einem freundlichen, wohlwollenden Seitenblick die künftige Frau Gräfin leben. Vivat hoch! scholl es in allen Winkeln. seines alten treuen Herzens, hoch und abermal h—

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