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Der Mann im Mond
Der Mann im Mond

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Der Mann im Mond

Жанр: сказки
Язык: Немецкий
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Walzer um Walzer waren getanzt; noch immer stand die fremde gebietende Gestalt unbeweglich an die Säule gelehnt. Es war, als hätte er sich nur in Schwarz und Weiß geteilt und kenne keine andere Farbe. Sein Haar, sein Auge war so dunkel als das feine glänzende Tuch seines Kleides; das blendend bleiche Gesicht, wunderschöne Wäsche, welche durch ihre Weiße, durch ihre zierlichen Fältchen den Freilinger Damen schon von weitem Bewunderung einflößte, kontraktierten sonderbar mit jener dunkeln Farbe; nur die feinen Lippen schmückte ein gesundes, freundliches Rot. Er schien ganz ohne Teilnahme in das bunte Gewühl hineinzustarren; aber dennoch begegnete nicht leicht einer diesem scharfen Blick, ohne das eigne Auge überrascht vor diesem furchtbaren Ernst, dieser sprühenden Glut niederzuschlagen.

Wie es aber zu gehen pflegt, die Damen fingen nachgerade an, nicht viel von dem Fremden zu halten, weil er nicht tanzte, die jungen Herren machten sich über ihn lustig, und beide Teile hatten so viel an der neuen Erscheinung der wunderlieblichen Ida zu schauen, zu bekritteln, zu bewundern, daß man bald nicht mehr an jenen dachte. Nur Idas Blicke streiften öfter nach jener Säule hinüber; ein Blick zu ihm schien sie für das Geschwätz der Freilinger Stutzer, die ihr heute unendlich fade vorkamen, zu entschädigen. Doch betrachtete sie ihn immer nur von der Seite; denn wenn Auge auf Auge traf, so trieb es ihr unwiderstehlich die Glut ins Gesicht, und sie war froh, daß die Musik so laut war; denn sie meinte in solchen Momenten, man müsse ihr siedendes, glühendes Blut an ihr Herzchen pochen hören. Waren es die Tränen, die sie gestern in diesen dunklen Wimpern sah, war es der wehmütige Ernst auf seinem Gesicht, was sie so rührte? Hatte der Hofrat recht mit den Häkchen, die in gewissen Augen sitzen, und hatte sie zu tiefe Beobachtung angestellt und war geangelt worden und gef— Nein! lächelte sie schelmisch vor sich hin, gefangen? Da hat es keine Not! Es ist ja nur das natürliche Mitleiden, was mich immer nach ihm hinsehen heißt.

Elf Uhr war vorüber; es sollte noch eine Ekossaise vor dem Souper getanzt werden. Stürmisch drängten sich die Herren um das Wunderkind; aber Trotzköpfchen Ida blieb fest dabei, diesmal auszusetzen, und ließ die Herren ablaufen. Der Hofrat setzte sich zu ihr, und unwillkürlich waren sie wieder mitten im Gespräch über den Fremden.

"Ach, sehen Sie nur," sagte Ida mit der himmlischen Gutmütigkeit ihres Engelköpfchens, "sehen Sie nur, ich meine, er wird zusehends immer blässer; wenn er nur nicht krank wird." Der Hofrat fand ihre Bemerkung richtig, er zeigte ihr aber, wie dieser feste, heldenmäßige Körper nicht so leicht von einem Krankheitsanfall gestört werden könne; aber Ida wurde immer unruhiger, sie sah, wie Martiniz die Lippen zusammenpreßte, als wolle er einen Schmerz verbeißen; der Ernst in seinem Gesicht wurde nach und nach zur Trauer, das Wehmütige, der tränenschwere Trübsinn in seinem Auge wurde immer unverkennbarer.

"O Gott, sehen Sie ihn nur an, guter Berner, ist mir doch, als sollte ich zu ihm gehen und fragen: Was fehlt dir, daß du nicht fröhlich bist mit den Fröhlichen? Wie gern wollte ich alles tun, dir zu helfen."—

Der Mensch denkt's, Gott lenkt's!!!

Auch der Hofrat wurde jetzt unruhig; denn mit einem Ruck hatte sich der bleiche Fremde aufgerafft und stand nun in seiner ganzen Größe, in gebietender und doch graziöser Haltung da; aber sein Auge heftete sich furchtbar starrend nach der Saaltüre. Berner wollte eben aufstehen und zu ihm hin—

Da öffnete sich die Tür, ein alter, reichgekleideter Bedienter, derselbe, welchen Ida gestern gesehen, trat ein, ging auf den Fremden zu und neigte sich schweigend vor ihm. Dieser riß eine Uhr heraus, warf einen Blick auf sie und einen zweiten voll Wehmut auf Ida herüber und verließ langsamen Schrittes den Saal.

Ehe noch der Hofrat seiner Nachbarin seine Vermutungen über diesen sonderbaren Abzug mitteilen konnte, war die Ekossaise zu Ende. Der Präsident kam und führte sein liebes, holdes, wunderherziges Töchterchen zur Tafel.

* * * * *

DIE KIRCHE

Der alte Küster am Münster zu Freilingen saß in dieser Nacht nach seiner Gewohnheit noch lange in seinem kleinen Stübchen; der Abendsegen war schon vor einer Stunde seiner Ehehälfte vorgelesen, er hatte sich jetzt hinter die alte Chronik gesetzt und las mit brummender Stimme halblaut vor sich hin, wie man den herrlichen, vierhundert Schuh hohen Münsterturm erbaut und wie solches viel Zeit und Geld gekostet habe. Eben wollte die Alte den weiß- und blaugestreiften Umhang der zweischläfrigen Himmelbettlade auseinanderschlagen, um ihren Ehezärter zu ermahnen, sein gewohntes Lager zu suchen, als man stark an den Fensterladen des niedern Parterrestübchens pochte. "Macht auf, Meister Küster! Seid so gut und macht auf!" rief eine tiefe, aber bescheidene Stimme draußen. "Wird wohl ein Bote von einem Kranken sein," näselte der Küster, "der die Sakramente noch will." Er legte die Brille ins Chronikbuch, daß die Stelle nicht verblättere; denn er hatte von dem Kalk gelesen, den man mit Wein angemacht habe, und hatte dabei unmutig an das Dünnbier gedacht, das seine Ursula ihm, einem Nachkommen dieser Weinmaurer, tagtäglich vorsetzte. Draußen schob er die mächtigen Schlösser und Riegel der Haustür auf, und herein trat ein kleiner ältlicher Mann in reichbordiertem Bedientenrock. "Was soll's so spät?" fragte der Küster.

"Kamerad," antwortete der Bediente, indem er den Küster aus dem kalten Hausgang in die wärmere Stube hineinzog, "Kamerad, wollt Ihr mir und noch jemand einen Liebesdienst erweisen?" Zugleich legte er einen blanken, harten Taler auf den Tisch.

Der Küster wog den Taler in der Hand, ließ ihn wieder auf den Tisch fallen, daß es einen wohllautenden Klang gab, und sagte: "Wenn's nichts gegen Amt und Gewissen ist, warum nicht!"

"So nehmt Eure Schlüssel," fuhr der andere fort, "und schließt die Münsterkirche auf!"

"Jetzt in dieser Stunde?" rief der Alte mit Entsetzen. "Jetzt in dieser stürmischen Nacht? Geht nicht, Kamerad, so wahr ich—nein, es geht nicht, mich bringt kein Hund hinüber!"

"Beileibe," rief die Küsterin aus dem Bette und riß den Umhang zurück, daß man das ganze Paradiesgärtlein ihres geblümten Bettes übersehen konnte, "führe uns nicht in Versuchung! Alter, laß dich nicht betören! Wer weiß, was draußen lauert?"

"Hätte nicht geglaubt, daß Ihr, ein so stattlicher Mann, unter dem Weiberregimente stündet," sprach der alte Diener. "Glaubt mir, es ist auch ein Gottesdienst, wenn Ihr mitgeht, und bringt Euch guten Lohn." Noch einmal wog der Küster den Taler auf der Fingerspitze und schien sich zu besinnen. "Es wird zwar gleich zwölf Uhr brummen, und da ist es gar nicht geheuer drüben in der Kirche; denn ich weiß, was ich weiß, und habe gesehen, was ich gesehen habe; aber weil Ihr sagt, es sei ein Gottesdienst, so kommt!" Indem hatte er schon die Laterne zurechtgemacht. Er hing noch einen warmen Mantel um und ergriff die gewichtigen, wunderlich geformten Schlüssel.

"Ei du meine Güte, läßt er sich doch verblenden vom Mammon," seufzte die Alte im Bette. Der Küster aber trat zu ihr mit dem größten seiner Schlüssel: "Du schweigst, Ursel! Der Herr da soll sehen, daß unsereiner nicht unterm Pantoffel steht," brummte er und verließ mit dem Diener das Haus.

Die Nacht war grimmigkalt, der Himmel jetzt ganz rein, nur einzelne dunkle Wölkchen tanzten im Wirbel um den Mond. Schweigend schritten die beiden durch die Nacht der Kirche zu. Wenige Schritte, so standen sie am Portal des Münsters. Der Küster schrak zusammen, als dort aus dem Schatten eines Pfeilers eine hohe, in einen dunklen Mantel gehüllte Gestalt hervortrat. Es war jener Fremde, der Idas Interesse in so hohem Grade erregt hatte.

"Schließ auf, schließ auf," sprach Martiniz, "denn es ist hohe Zeit!" Indem er sprach, fing es an zu surren und zu klappern, dumpf rollte gerade über ihnen im Turme das Uhrwerk, und in tiefen, zitternden Klängen schallte die zwölfte Stunde in die Lüfte.

"Schließ auf!" schrie Martiniz, "schnell auf! Dort kommt er schon um die Ecke!"

Seufzend ging die hohe Türe auf; in einem Sprung war jener in der Kirche. Der Küster schloß behutsam wieder hinter sich ab und ging dann voraus mit der Laterne; stille folgten ihm die Fremden. In wunderlichen Schatten und Figuren spielte das schwache Licht der Laterne an den hohen Säulen des Doms, nur auf wenige Schritte verbreitete es Helle und verschwebte dann in matte Dämmerung, bis es sich in der tiefen Nacht des Gewölbes verlor. Manchmal schien es, als schritten hohe Gestalten in weiten, schleppenden Gewändern hinter den Säulen ihnen nach. Scheu blickte Emil von Martiniz nach allen Seiten und ging dann schneller hinter dem Küster her. Dumpf schallten ihre Schritte auf dem hohlen Boden, unter welchem eine alte Gruft sich befand, und ein vielfaches Echo gab diese Töne aus allen Ecken zurück.

So waren sie bis an den Altar gekommen. Martiniz setzte sich dort auf die Stufen; das Gesicht, das bei dem Schein der trübe brennenden Laterne auch viel bleicher erschien, stützte er auf die Hand, daß die glänzend rabenschwarzen Ringellocken darüber herabfielen. Der Diener winkte dem Küster, zog ihn auf eine Bank an der Seite zu sich nieder und gab ihm durch Zeichen zu verstehen, daß er schweigen und sich ganz ruhig verhalten möchte.

Tiefe Stille herrschte mehrere Minuten in den großen dunklen Hallen, tiefe Stille draußen in der Nacht. Nur vom Altar her hörte man ein leises Wispern; Martiniz schien zu beten. Bald aber erhob sich lauter die Nachtluft und wehte um die Kirche. Je lauter es wurde, desto unruhiger wurde Emil. Er seufzte, er blickte einigemal auf und lauschte nach der Seite hin, wo der Luftzug stärker wehte.

Näher und näher heulte der Wind, die Fenster bebten, das Licht der Laterne wehte seine Schatten her und hin, die alten verblichenen Banner, die an der Mauer hingen, rollten sich auf und bewegten ihre zerfetzten Bilder an der schwach beleuchteten Wand.

Jetzt brauste der Sturm auf in gewaltigen Stößen. Krachend stürzte ein Fenster des Chors auf die breiten Quader des Bodens, daß der Schall durch die Halle tönte und—mit fürchterlichem Lachen des Wahnsinns fuhr der am Altar auf und sprang die Stufen hinan. Gellend tönten diese hohlen Töne der Verzweiflung durch die Gewölbe. "Er kann nicht herein, er kann nicht herein zu mir," schrie er, "darum hat er die Wolken aufgezäumt, auf dem Sturmwind reitet er um die Kirche, ça ça! Holla, Antonio—wie schäumt das Purpurblut deiner Wunde! Rase, tobe durch die Lüfte, du kannst doch nicht herein zu meiner Freistatt!"

Der Sturm legte sich, ferner und ferner rollte der Wind, und säuselnd zog die Nachtluft durch die Kirche. Der Mond schien freundlich durch die hellen Scheiben, und mit des Sturmes Toben schien auch der Sturm in Emils Brust gewichen zu sein. "Seht Ihr," sprach er wehmütig und zeigte an die vom Mond beschienenen Fenster hinauf, "seht Ihr, wie er so ernst und zürnend auf mich herabsieht! Kannst du denn nicht vergeben, Antonio?"

Immer leiser wurde seine Klage, bis er weinend am Altare niedersank. Jetzt stand der alte Diener, dem während der schrecklichen Szene die Tränen in den grauen Wimpern gehangen, von seinem Sitze auf und unterstützte seinen Herrn. Er wischte ihm den kalten Schweiß von der Stirne und die Tränen aus dem gebrochenen Auge und flößte ihm aus einer kristallenen Phiole mildernde Tropfen ein.

Der Ohnmächtige richtete sich wieder auf, hüllte sich tiefer in seinen Mantel und schritt durch die Kirche.

Der alte Diener aber trat zu dem Küster. "Ich danke, Alterle," sagte er, "du hast jetzt gesehen, daß wir nichts Unrechtes in deinem Gotteshaus gemacht haben; dafür halte aber reinen Mund! Und wenn du niemand ein Sterbenswörtchen hören lässest von dem, was du hier gesehen und gehört hast, so kommen wir vielleicht morgen und manche Nacht wieder, und du sollst pflichtgemäß deinen Harten haben."

"Das kann sich unsereiner schon gefallen lassen," antwortete der Küster im Weitergehen; "so viel merke ich, daß Euer Herr entweder nicht richtig unter dem Hut ist, oder daß er mit dem Gottseibeiuns hier Versteckens spielt. Nun, hier, denke ich, soll er ihn nicht holen; kommt nur morgen nacht wieder! Was das Stillschweigen betrifft, so seid außer Sorgen, von mir erfährt es kein Mensch, vor allem meine Ursel nicht: denn ich denke: was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß."

Der alte Diener lobte den Entschluß des Küsters und nahm am Portal mit einem Händedruck von ihm Abschied. "Ist doch schade um ein so junges schönes Blut," brummte dieser vor sich hin, indem er seinem Häuschen zuschritt; "so jung und hat schon Affären mit Herrn Urian. Nun, er soll ihn immer noch ein Halbjährchen reiten; um die harten Taler kann man zur Not so guten Wein kaufen, als die Freilinger Maurermeister hatten, um den Kalk zu meinem Münster festzumachen."

* * * * *

DAS SOUPER

Es schlug ein Uhr, als der Fremde und sein Diener von dem Münster zurück über den Marktplatz gingen. An den Fenstern des erleuchteten Museums drängten sich Gestalten an Gestalten geschäftig hin und her, verworrenes Gemurmel vieler Stimmen tönte herab auf den stillen Platz, hie und da zeigten laute Ausbrüche der Fröhlichkeit, mit Trompeten vermischt, daß eine Gesundheit oder ein Toast ausgebracht worden sei.

"Robert!" begann der Graf, "ich will noch einmal hinaufgehen; die süßen Töne der Flöten, die klagenden Klänge der Hörner haben etwas Beruhigendes für mich, und mitten im Gewühl der fröhlichen Menge vergesse ich vielleicht auf Augenblicke, daß ich unter den Glücklichen der einzige Unglückliche bin."

Umsonst bat der alte Robert seinen Herrn, er möchte doch seine Gesundheit bedenken und sich jetzt zur Ruhe legen; er schien es gar nicht zu hören, schweigend warf er in der Haustüre den Mantel ab, gab ihn dem Alten und eilte die Treppe hinan. Kopfschüttelnd folgte ihm der Diener; hatte er doch seit einer langen, traurigen Zeit nicht bemerkt, daß sein armer Herr Freude an rauschender Lustbarkeit hatte; es mußte etwas Eigenes sein, das ihn noch einmal dahinauf zog; denn wenn er sich sonst auch in das fröhlichste Gewühl gestürzt hatte, so war er doch immer nach einem halben Stündchen wieder zurückgekommen. Und heute hatte er ihn sogar an die Stunde mahnen müssen; heute ging er zu einer Zeit, wo er sonst, erschöpft von Kummer und Unglück, dem Schlaf in die Arme geeilt war, noch einmal auf den Tanzboden. "Gott gebe, daß es zu seinem Heil ist!" schloß der treue Diener seine Betrachtungen und wischte sich die Augen.

Der Saal war noch leer, als Emil oben eintrat, nur die Musikanten stimmten ihre Geigen, probierten ihre Hörner und ließen die Schlegel dumpf auf die Pauken fallen, um zu sondieren, ob das tiefe C recht scharf anspreche; mittendurch netzten sie auch ihre Kehlen mit manchem Viertel; denn ein ellenlanger Kotillon sollte den Ball beschließen. Löffel- und Messergeklirr, das Jauchzen der Anstoßenden tönte aus dem Speisesaal. Ein schwermütiges Lächeln zog über Emils blasses Gesicht; denn er gedachte der Zeiten, wo auch er keiner fröhlichen Nacht ausgewichen war, wo auch er unter frohen, guten Menschen den Becher der Freude geleert und, wenn kein liebes Weib, doch treue Freunde geküßt hatte und mit fröhlichem Jubel in das allgemeine Millionenhallo und Welthurra der Freude eingestimmt hatte; unter diesen Gedanken trat er in den Speisesaal. In bunten Reihen saßen die fröhlichen Gäste die lange Tafel herab; man hatte soeben die hunderterlei Sorten von Geflügel und Braten abgetragen und stellte jetzt das Dessert auf. Gewiß, man konnte nichts Schöneres sehen, als die Präzision, mit welcher die Kellner ihr Dessert auftrugen; die Bewegungen auf die Flanken und ins Zentrum gingen wie am Schnürchen, die schweren Zwölfpfünder der Torten und Kuchen, das kleinere Geschütz der französischen Bonbons und Gelees werde mit Blitzesschnelle aufgefahren; in prachtvoller Schlachtordnung, vom Glanz der Kristallüsters bestrahlt, standen die Guß-, Johannisbeeren-, Punsch-, Rosinentorten, die Apfelsinen, Ananas, Pomeranzen, die silbernen Platten mit Trauben und Melonen. Aber Hofrat Berner hatte sie auch eingeübt, und den ungeschicktesten Kellnerrekruten schwur er hoch und teuer, in acht Tagen so weit bringen zu wollen, daß er, einen bis an den Rand gefüllten Champagnerkelch auf eine spiegelglatte silberne Platte gesetzt, die Treppe heraufspringen könne, ohne einen Tropfen zu verschütten, was in der Geschichte des Servierens einzig in seiner Art ist. Wenn die Festins, die er zu arrangieren hatte, herannahten, hielt er auf folgende Art völlige Übungen und Manoeuvres: Er setzte sich in den Salon, wo gespeist werden sollte, ließ eine Tafel zu dreißig bis vierzig Kuverts decken, und wie den Rekruten ein fingierter Feind mit allen möglichen Bewegungen gegeben wird, so zeigte er ihnen auch Präsidenten, Justizräte, Kollegiendirektoren, Regierungsräte und Assessoren mit Weib und Tochter, Kind und Kegel und mahnte sie, bald diesem ein Stück Braten, jener eine Sauciere zu servieren, bald einem Dritten und Vierten einzuschenken und dem Fünften eine andere Sorte vorzusetzen; da sprangen und liefen die Kellner sich beinahe die Beine ab; aber—probatem est—wenn der Tag des Festes herannahte, durfte er auch gewiß sein zu siegen. Wie jener große Sieger, der nur mit feierlichem Ernst die Worte sprach: "Heute ist der Tag von Friedland!" oder "Sehet die Sonne von Austerlitz!" so bedurfte es von seinem Munde auch nur einiger ermahnenden, tröstlichen Hindeutungen auf frühere Bravouren und gelungene Affären, und er konnte darauf rechnen, daß keiner der zwanzig Kellnergeister über den andern stolperte oder ihm die Aalpastete anstieß, aber daß sie mit Sauce und Salat einander anrannten, purzelten und auf den Boden die ganze Bescherung servierten.

Mit dieser Präzision war also auch heute die Tafel serviert worden; der Nachtisch war aufgetragen, die schweren Sorten, als da sind Laubenheimer, Nierensteiner, Markobrunner, Hochheimer, Volnay, feiner Nuits, Chambertin, beste Sorten von Bordeaux, Roussillon würden weggenommen und der zungenbelebende Champagner aufgesetzt. Hatte schon der aromatische Rheinwein die Zungen gelöst und das schwärzliche Rot des Burgunders den Liliensammet der jungfräulichen Wangen und die Nasen der Herren gerötet, so war es jetzt, als die Pfröpfe flogen und die Damen nicht wußten, wohin sie ihre Köpfe wenden sollten, um den schrecklichen Explosionen zu entgehen, als die Lilienkelche, bis an den Rand mit milchweißem Gischt gefüllt, kredenzt würden, wie auf einem Basar im asiatischen Rußland, wo alle Nationen untereinander plappern und maulen, gurren und schnurren, zwitschern und näseln, plärren und jodeln, brummen und rasaunen, so schwirrte in betäubendem Gemurmel, Gesurre und Brausen in den höchsten Fisteltönen bis herab zum tiefsten, dreimalgestrichenen C der menschlichen Brust das Gespräch um die Tafel.

* * * * *

DAS URTEIL DER WELT

Aber der größte Teil der Konversation, wenigstens am untern Ende des Tisches, galt Präsidents Ida. Dort gingen die zahnlosen Mäulchen der Tanten und Mütter wie oberschlächtige Mühlen, und die Posaunen- Seraph-Gesichter der Töchter nickten ihren Konsens aus den kleinen Kalmückenäuglein. Wie hatte doch das Mädchen vor Gott gesündigt und gefrevelt dadurch, daß es so wunderhübsch geworden war! Wäre sie zurückgekommen wie eine wilde Hummel oder wie so manche, die man als Gagak in die Residenz schickt, um sie Bildung und Blumenmachen lernen zu lassen, und die als Gagak wiederkehrt, da hätte es geheißen: "An der ist Hopfen und Malz verloren, mich dauern nur die Eltern." Jetzt, wo sie mit ihrem Tannenwuchs, mit ihrer unnachahmlichen Grazie bescheiden und doch voll so erhabener Würde hereintrat, das strahlende Diadem in den geschmackvoll geordneten Ringellocken und Löckchen, im feuersprühenden Auge Geist und Liebe, verschmolzen mit schuldloser, anspruchsloser Natürlichkeit, die Wangen von Gesundheit gerötet, in den feinen Grübchen den kleinen, kleinen Schelm, den Mund so würzig, so kußlich, die aphroditische Schwanenbrust mit dem fürstlichen Schmuck, mit dem Pariser Hofkleid umschlossen—Nein! das Mädchen durfte nicht schön, durfte nicht unschuldig und tugendhaft sein—"Ha, ha, ha, Frau Oberforstmeisterin!" lachte die Kammerdirektorin, ohne darauf zu achten, daß sie die acht unschuldigen Ohren ihrer erwachsenen Töchterlein beleidigen könnte— "Tugendhaft? Wir kennen die Residenztugend noch aus unserer Zeit! Da müßten sich die Steine umgekehrt haben, die Garde-Ulanen-Rittmeister müßten ihre engschließende Uniform ausgezogen und die Herren Archidiakonen und Superintendenten um ihr ehrbares Kostüm ersucht haben, müßten in schwarzen Mäntelein, weißen Beffchen, kurzen Höschen und seidenen Wädchen, die Bibel unter dem Arm, einhergehen, wenn man bei siebzehnjährigen Mädchen Tugend finden sollte in Sodom!"

"Wahrhaftig, Sie haben recht," schnatterte es über die Tafel herüber. "Und die gerühmte Schönheit? Ist alles Lug und Trug; das kann man alles dort ums liebe Geld haben; meinen Sie denn, diese Locken dort, die Zöpfe seien echt? Bewahre! Man hat ja gesehen, was für Haar Mamsell Sausewind in die Residenz nahm; wo sind die gelben Zähne hingekommen? Meinen Sie etwa, ein so herrlicher Mund voll, wie jene hat, schiebe sich im sechzehnten, siebzehnten Jahre noch nach? Lauter Seehund, nichts als Seehund."

"Ja, Frau Gevatterin," unterbrach eine dritte, "und die handbreiten Brüsseler Kanten, der Amethystschmuck, mit welchem man meinen Torweg pflastern könnte—von der Fürstin Romanow soll er sein! Ha, ha, ha, man hat auch seine Nachrichten; die Fürstin, Gott halte sie in Ehren, ist eine splendide Frau; auch reich, steinreich, gebe alles zu—aber so einem naseweisen Kind, das kaum hinter den Ohren trocken ist, dieses Diadem, diese Ohrenringe, dieses Kollier, dieses Kreuz zu schenken—nein, dazu ist die Frau Fürstin Hoheit doch zu vernünftig. Haben Sie aber nie von ihrem Neffen, dem Prinzen Ferdinand, gehört? Soll ein splendider, artiger Herr sein, der Prinz, und wenn man nur gegen ihn gefällig ist, ist er es wohl auch wieder, ha, ha, ha—"

Und der ganze Zirkel lachte und stieß an auf den gefälligen, splendiden Prinzen.

Nein, wahrhaftig, es war nicht zum Aushalten; ein schönes, engelreines Geschöpf, voll Milde, Sanftmut und Mitleiden so schonungslos zu verdammen! Emil hatte in einer Fenstervertiefung, wo er sich hingestellt hatte, um die Tafel zu übersehen, alles mit angehört; er hätte mögen der Frau Gevatter den einzigen Zahn, den sie noch hatte, mit welchem sie aber nichtsdestoweniger den Ruf einer jungen Dame tapfer benagte, ein wenig einschlagen; er rückte, nur um die giftigen Bemerkungen nicht zu hören, um ein Fenster weiter hinaus. Aber hier kam er vom Regen in die Traufe. Frau von Schulderoff setzte dort ihrem Sohn, dem Dragonerleutnant, weitläufig auseinander, daß er, um den gesunkenen Glanz ihres Hauses wieder auf den Strumpf zu bringen, notwendig eine gute, sehr gute Partie machen müsse, und dazu sei die Ida ganz wie gemacht.

Dem jungen Schulderoff, der neben dem gesunkenen Glanz seines Hauses bei Juden und Christen einige tausend Tälerchen mehr stehen hatte, als sein Gageabzug auf siebzig Jahre wahrscheinlicherweise aufwiegen konnte, schien mit dem Vorschlag ganz zufrieden; nur das Wie wollte ihm nicht recht einleuchten.

Aber die gnädige Mama wußte Rat. "Erstens; recht oft mit ihr getanzt, namentlich im Kotillon recht oft geholt! Das heißt Attention beweisen; das Mädchen wird dann mit dir aufgezogen, sie wird aufmerksam auf dich. Zweitens: morgens zehn Uhr im kurzen Galopp am Haus vorbei! Dort verlierst du, im Staunen über sie, die Reitpeitsche; du voltigierst ja so gut, hältst also nicht an, sondern herab vom Gaul, Peitsche ergriffen, wieder hinauf, einen Feuerblick dem Fräulein zugeworfen, und davon im gestreckten Galopp! Wenn nur ihr Herzchen aus Angst für dich einmal schneller pulsiert, dann hast du sie schon im Sack. Drittens: in einer schönen Nacht mit der ganzen Regimentsmusik vors Haus! Einige mutige Stücke, einige zärtliche Arien aufgespielt, und sie kommt hinter die Jalousien, darauf wette ich meinen ganzen Schmuck, der jetzt zufällig bei Levi ist. Einige Kameraden tun dir schon den Gefallen und gehen mit; sie rufen: 'Schulderoff! Schulderoff! Wo steckst du denn? Ach siehe, der arme Junge weint.' 'Ach, laßt mich, tapfere Kameraden,' antwortest du, 'mir ist so weh und so wohl in ihrer Nähe.' So kommt es in allen Ritterbüchern, wo der Adel noch allein liebte und die dummen Bürgerlichen noch kein Geld hatten."

"Auf Ehre, Mama, Sie haben recht," antwortete der Leutnant und wichste sich den Schnurrbart; "sehen Sie, dann kann ich auch so angr—"

Emil wurde, er wußte nicht warum, ganz bange ums Herz, als er den Eroberungsplan des Wildfangs hörte; er rückte um einige Fenster weiter hinauf und war dort dem Gegenstand nahe, den die Schmähsucht der Weiber zu zerreißen, der Eroberungsgeist der Schulderoffs zu gewinnen suchte.

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