bannerbanner
Verhaltenssucht. Die Illusion der Freiheit
Verhaltenssucht. Die Illusion der Freiheit

Полная версия

Verhaltenssucht. Die Illusion der Freiheit

Язык: Русский
Год издания: 2025
Добавлена:
Настройки чтения
Размер шрифта
Высота строк
Поля
На страницу:
3 из 3

M. Romano und seine Kollegen stellten die Vermutung auf, dass Hunde möglicherweise vom spezifischen Fischgeruch des Fliegenpilzes angezogen werden. Was also japanischen Eichhörnchen möglich ist, ist für Haushunde in Kentucky keinesfalls zuträglich.

Der illegale Konsum von Rauschgiften hat weitreichende negative Folgen für die menschliche Gesellschaft weltweit und spielt eine unerwartete Rolle bei der Verschmutzung aquatischer Ökosysteme, in die Abwässer gelangen. In der Studie eines tschechischen Wissenschaftlerteams unter der Leitung von P. Horký, R. Grabic und K. Grabicová wurde die negative Auswirkung von Methamphetamin-Konzentrationen im Wasser auf das Verhalten von Forellen nachgewiesen.


Die Forscher erzielten Ergebnisse, die zeigen, dass Methamphetamin – eine globale Bedrohung für die menschliche Gesundheit – bei seinem Eintritt in Süßwasser-Ökosysteme das Bewegungsverhalten sowie das Verlangen nach Methamphetamin während des Entzugssyndroms bei Forellen erheblich beeinflusst. Die tschechischen Forscher führten ihren Versuch unter Laborbedingungen durch; sie leiteten kein Methamphetamin in Flüsse oder Gewässer ein. Die Fische, die sich während des Experiments in speziellen Inkubationsbecken befanden, wurden von den Forschern bei einem lokalen Fischlieferanten mit entsprechender Bescheinigung erworben, die belegt, dass die Fische gesund und frei von Ansteckungen sind.

Insgesamt beobachteten die Wissenschaftler im Experiment das Verhalten von 120 Fischen, die in zwei gleiche Gruppen à 60 Exemplare aufgeteilt wurden. In einem Inkubator waren die Forellen über acht Wochen hinweg Methamphetamin ausgesetzt, das im Wasser gelöst war. Die Forscher erneuerten jeden zweiten Tag zwei Drittel des Wasservolumens in diesem Inkubator.

Die übrigen 60 Forellen wurden keiner Methamphetamin-Einwirkung ausgesetzt und lebten unbehelligt in ihrem Inkubator, ohne berührt zu werden. Die Forellen, die in dem methamphetaminhaltigen Wasser lebten, zeigten im Versuchsverlauf – nachdem sie der für sie bedeutsamen Konzentration des Methamphetamins im Wasser entzogen wurden – ein charakteristisches Suchverhalten. Übertrug man das menschliche Abhängigkeitsmodell, so steigt beim Menschen bei Entzugssymptomen das Level an Angst und Stress. In der Studie an Forellen stellten die Wissenschaftler eine geringere Bewegungsaktivität fest, was von ihnen als Stresssymptom im Zusammenhang mit dem Methamphetamin-Entzug gedeutet wurde. G. Bosse und R. Peterson hatten in einer ähnlichen Untersuchung im Jahr 2017 beobachtet, dass bei Forellen nach dem Absetzen von Methamphetamin ein „gedrückter“ Zustand auftritt, der ebenfalls von den Wissenschaftlern als Ausdruck eines Entzugssyndroms bei Fischen interpretiert wurde.

Weshalb sind einige Tiere anfällig für die Wirkung psychotroper Substanzen, während andere keine Verhaltensänderungen zeigen und kein Verlangen nach Substanzen verspüren, die das Verhalten verändern können?

Mit dieser Frage beschäftigte sich im Jahr 2020 eine Gruppe kanadischer Wissenschaftler – M. Janiak, S. Pinto, G. Daichaeve, M. Carrigan und A. Melin – in ihrer Forschungsarbeit.


      Die Forscher führen genetische Belege für Unterschiede im Ethanolstoffwechsel unter Säugetieren an. Grundsätzlich verfügen einige Tiere über ein bestimmtes Gen namens ADH7, das für den Stoffwechsel verantwortlich ist und eine Berauschung bei Säugetieren verhindert. Dieses Gen steigert die Wirksamkeit des Enzyms gegen Ethanol im Körper einiger Säugetiere um das 40-Fache. Dank eben dieses ADH7 kann die Dosis des fermentierten Nektars der Bertam-Palme, die den menschlichen Organismus vergiften würde, von Spitzmäusen völlig unbeeinträchtigt und ohne jede Anzeichen von Trunkenheit aufgenommen werden. Wenn einige Tierarten Alkohol und verschiedene psychoaktive Substanzen in Früchten, Pilzen und Pflanzen ohne größeren Schaden konsumieren können, so kommt der menschliche Organismus nicht immer erfolgreich mit dem Einfluss psychotroper Substanzen zurecht, und bei systematischem Substanzkonsum entsteht beim Menschen ein Zustand der Verhaltenssucht.

Trotz der Vielfalt an Forschungsarbeiten in den Bereichen Biologie, Evolutionspsychologie und anderen interdisziplinären Wissenschaften ist der Einfluss von Alkohol, Rauschgiften und verschiedenen Toxinen auf den Organismus und das Verhalten von Insekten, Säugetieren und Fischen bis heute unzureichend erforscht.

Auch beim Menschen ist die Sachlage gegenwärtig nicht vollständig geklärt; die Meinungen von Wissenschaftlern und Ärzten sind widersprüchlich. So stellt beispielsweise der Neurowissenschaftler M. Lewis die Vorstellung von Sucht als Krankheit in Frage.

Das Krankheitskonzept definiert Verhaltenssucht als pathologischen Zustand des Gehirns. Dies wird dadurch begründet, dass Wissenschaftler bereits Belege für Veränderungen in den Hirnsystemen haben, die für die Verhaltenskontrolle und verzögerte Belohnung zuständig sind. Das Modell der Verhaltenssucht als Krankheit stützt sich auf biologische Daten. Im Rahmen dieses Konzepts haben viele Wissenschaftler genetische Unterschiede und Dispositionsfaktoren des Menschen analysiert – sei es für den Konsum psychotroper Mittel oder für impulsives Kaufverhalten und andere suchthafte Verhaltensstrategien.

Doch was, wenn wir Abhängigkeit nicht aus der Perspektive des Krankheitskonzepts betrachten, sondern aus der Sicht der menschlichen Entscheidung als Persönlichkeit? Was, wenn abhängiges Verhalten in erster Linie eine bewusste Entscheidung des Individuums ist? Warum entscheidet sich ein Mensch für die Abhängigkeit, was bewegt ihn dazu, Beschlüsse zu fassen, die in selbstzerstörerisches Verhalten münden? Auch hier ist die Sachlage nicht einfach; das Konzept der Entscheidung ist gewiss interessanter als das Krankheitskonzept. Zumindest bietet das Entscheidungskonzept die Hoffnung, dass die Wahl auch anders ausfallen und das Muster des Verhaltens und Denkens verändert werden kann, wohingegen das Krankheitskonzept gewissermaßen die Verantwortung für die Entscheidungsfindung vom Menschen nimmt, indem es ihm den Vorteil gewährt, krank zu sein – und dass es folglich nicht seine Schuld sei. Es sei eben so gekommen, es gäbe ja die Medizin, die Forschung, und vielleicht könnten sie dabei helfen, die Abhängigkeit wie eine Krankheit loszuwerden.

Mir als Autorin dieses Buches liegt ein umfassender Ansatz bezüglich der Ursachen von Verhaltenssucht näher. Hier spielen sowohl äußere Faktoren als auch die inneren Umstände der Persönlichkeit eine Rolle. Auf die Entstehung einer Verhaltenssucht können ein ungünstiges Umfeld, Stress, ein hohes Maß an Angst, die Unfähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, sowie das Fehlen bestimmter Fertigkeiten zum Widerstand gegen die Abhängigkeit einwirken. Doch Menschen sind keine Tiere; wir besitzen Bewusstsein und haben eine Wahl, wir können Entscheidungen treffen. Und wir treffen sie – zugunsten der Abhängigkeit oder zugunsten der Selbsterhaltung.

Abhängigkeiten in der Menschenwelt


Seien wir ehrlich: Wir sind keine Spitzmäuse und keine Federschwanz-Spitzhörnchen, auch wenn manche sich bis in einen tierähnlichen Zustand hinunterzutrinken vermögen. Doch mal ganz offen gesagt: Wie viele fermentierte Früchte müsste ein Mensch essen, um betrunken zu werden? Haben Sie jetzt ernsthaft an Dutzende Kilogramm Früchte gedacht? Glauben Sie, dass dies angesichts einer Million Alternativen, sich zuzudröhnen, für den modernen Menschen überhaupt relevant ist?

Wir empfinden Genuss beim Essen, beim kreativen Schaffen, beim Betrachten von Kunstwerken in Gemäldegalerien, bei Massagen und beim Schwimmen im Meer, bei Erwachsenenfilmen und Kinderfilmen, bei klassischer Musik und Punkrock. Manche finden Vergnügen am Tanzen oder Fallschirmspringen. Wir sind verschieden; wir alle möchten uns in einem Zustand des Wohlbehagens und Komforts befinden. So kommt es, dass der Kick für jeden individuell und unterschiedlich ist. Der eine bekommt seinen Dopaminstoß durch Erwachsenenfilme, der andere durch Korrelationsanalysen von Daten in wissenschaftlichen Studien. Die Belohnung ist für jeden eine andere.

Wenn man mehrere Menschen fragt: „Mögen Sie Törtchen?“, werden die Antworten unterschiedlich ausfallen. Der eine schwärmt vom Vergnügen einer Zitronen-Baisers, der nächste bevorzugt ein Windbeutelchen mit Sahnefüllung, ein dritter wählt ein Törtchen mit Beerengelee.

Selbst unser Verlangen nach Süßem und die Freude an Törtchen mit lockerer Creme können von Ernährungsexperten begründet oder aus biologischer Sicht als ein evolutionäres Relikt betrachtet werden. Im Evolutionsprozess sind wir darauf programmiert, Kalorien aus Nahrung zu gewinnen. Das ist völlig logisch: Zucker, Fett – alles, was viele Kalorien enthält, liefert viel Energie. Doch das Streben des Menschen, große Mengen Süßes für ein vollkommenes Geschmackserlebnis zu verzehren, ist in der modernen Welt nicht immer rational. Ja, diese Strategie mag in urzeitlichen Epochen berechtigt gewesen sein, als Jäger- und Sammlergruppen ums Überleben kämpften. In mageren Jahren blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich mit den Früchten, Pflanzen und Wurzeln satt zu essen, die sie fanden, da die Chancen, andere zu finden, gering waren. Den Urvölkern erging es schwerer als den modernen Menschen. In altertümlichen Zeiten erreichte der Mensch mitunter kein Alter von 30–35 Jahren – dies kann der bekannte russische Anthropologe, Wissenschaftsvermittler und schlichtweg ein guter Mensch, S. Drobyschewski, bestätigen. Die Gefahr, in der Urgesellschaft von Stammesgenossen oder Menschen anderer Stämme verspeist zu werden, die Möglichkeit, an einer unbekannten Krankheit zu sterben oder durch einen Schlag auf den Kopf ums Leben zu kommen, weil man ein Stück Fleisch nicht teilen wollte, war sehr hoch. Daher war es für den frühen Menschen eine sinnvolle Verhaltensstrategie, gefundene Früchte in großen Mengen rasch zu verzehren. Beim modernen Menschen jedoch führen das Verlangen, Stress „süß zu vertreiben“, oder die Verweigerung der Nahrungsaufnahme im Streben nach modischen Idealen von Schlankheit und Schönheit zu gestörtem Ernährungsverhalten, mitunter zu Essstörungen: Anorexie, Bulimie, anfallsweisem Überessen.

Es verhält sich nämlich so, dass Essstörungen bestimmte Verhaltensmuster darstellen, die den Menschen in eine gewisse Abhängigkeit führen. Über Essstörungen werden wir in einem der Kapitel dieses Buches ausführlich sprechen.

Wissenschaftler diskutieren bis heute, wozu der Mensch Rauschmittel benötigt: Handelt es sich um ein Überbleibsel aus vergangenen Zeiten oder um eine besondere evolutionäre Zugabe?

Übrigens ist die Annahme, der Orgasmus diene als Belohnung für die Fortpflanzung, eine sehr fragwürdige Hypothese. Mit dem männlichen Orgasmus als Belohnung während der Samenentleerung ist die Sache einigermaßen klar, doch welchen Zweck erfüllt er bei der Frau? Millionen Frauen auf dieser Welt werden ohne je einen Orgasmus erlebt zu haben auf natürliche Weise schwanger, tragen und gebären Nachwuchs. Manche verstehen gar nicht, wozu diese dienen sollen, und wissen nicht, was das ist. Und beim Selbstgeschlechtsverkehr – was man so schön als Selbstbefriedigung bezeichnet – erlebt der Mensch den Orgasmus ganz gewiss nicht als Belohnung für die Fortpflanzung. Wozu dient überhaupt der Orgasmus im Schlaf bei Heranwachsenden und Erwachsenen? Mit diesen Fragen und überhaupt mit Themen der Geschlechtlichkeit, Geschlechter und Fortpflanzung befassen sich die Mitarbeiter des Kinsey-Instituts seit dem Jahre 1947.

Übermäßige Abhängigkeit von Selbstbefriedigung und von Geschlechtsverkehr insgesamt kann nicht nur auf eine Fehlanpassung der Persönlichkeit hinweisen, sondern auch auf das Vorliegen einer seelischen Erkrankung – übrigens können auch organische Hirnstörungen Ursache für gesteigertes Verlangen sein.

Und was verbindet das Verlangen, sich bis zur Besinnungslosigkeit zu betrinken, Selbstbefriedigung bei Erwachsenenfilmen zu praktizieren, sich mit Süßigkeiten bis zur Übelkeit vollzustopfen oder im Spielkasino zu spielen? All diese Erscheinungen zählen zur Abhängigkeit. Abhängigkeit ist zumeist das, was die Gesellschaft als Laster bezeichnet, und Laster seinerseits ist das Bestreben, auf missbilligte Weise kurzfristig, hier und jetzt, Lustgewinn zu erlangen.

Pathologische Liebesbesessenheit mit krankhafter Überwachung des Geliebten (Stalking), mit maßlosem Besitzstreben und Anfällen von Eifersucht – dies stellt gleichfalls eine nichtstoffliche Abhängigkeit dar.

Zunächst gilt es, die Geschichte der Abhängigkeit von psychoaktiven Substanzen zu betrachten, also jene menschlichen Gewohnheiten, bei denen die Lustgewinnung auf einer Substanz beruht und nicht auf einem Verhaltensmuster.

Vertreter der Theorie evolutionärer Überreste sind der Auffassung, das Verlangen des Menschen nach Alkohol könnte für unsere Vorfahren begründet gewesen sein und half möglicherweise, sich an eine feindliche Umwelt anzupassen – obwohl dieses Verhaltensmuster, sich ständig zu berauschen, heute unvernünftig ist. Doch wir trinken nicht gemeinsam, um uns später unter Alkoholeinfluss sentimental Liebesgeständnisse zu machen, und auch nicht, weil Alleintrinken unschicklich ist (Alkoholiker hält das nicht ab), sondern weil es sich so im Evolutionsverlauf entwickelt hat. Der Biologe R. Dudley hat darüber geschrieben – wenn Sie das erste Kapitel gelesen haben, wissen Sie, von wem ich spreche. Seine Theorie ist freilich umstritten, und nicht alle Biologen stimmen ihr zu.

Nach R. Dudleys Auffassung trinken und essen wir gemeinsam, in Gesellschaft, weil es aus evolutionärer Sicht vernünftig ist, Nahrung mit der eigenen Familie, Sippe oder Gemeinschaft zu teilen. Im Rahmen des Evolutionsprozesses vollziehen wir diese atavistische Handlung auch heute noch unbewusst. Wir haben gewissermaßen das Bedürfnis, dass unsere Sippe, Familie, unser Stamm überlebt. Aus evolutionärer Sicht ist es für höhere Primaten – Menschen sind höhere Primaten – vorteilhaft, in Gesellschaft zu trinken, schon allein deshalb, weil man in alter Zeit, hätte man sich allein betrunken, leichte Beute für Raubtiere gewesen wäre; einer betrunkenen Sippe jedoch fällt es schwerer, anzugreifen.

Es gibt keine gesicherten Erkenntnisse darüber, wann der Mensch genau begann, berauschende Getränke zu sich zu nehmen. Niemand weiß, wie alles anfing; es ist unbekannt, ob der Mensch von selbst auf vergorene Flüssigkeiten stieß oder ob er darauf verfiel, sie aus gärenden Früchten herzustellen. Doch gibt es freilich eine bemerkenswerte Hypothese, wonach ihm die Bienen dabei halfen. Möglicherweise kam der Mensch das erste Mal mit Alkohol in Berührung, weil ein zufälliges Bienennest in einer Baumhöhle lebte und dieser Baum bei einem Gewitter zufällig zerstört wurde. Das Bienennest wurde mit Wasser überflutet, und der dortige Honig begann nach einiger Zeit zu gären – so entstand Met.

Es liegt auf der Hand, dass diese Hypothese in ihrer Glaubwürdigkeit dem Mythos der afrikanischen Bevölkerung über betrunkene, mit Marula-Früchten vollgefressene Elefanten gleicht. Kein einziger Beweis, nur Worte.

Schalten wir nun Logik und Rationalität ein: Damit eine zucker- und hefehaltige Flüssigkeit (denn ohne Hefe geht es nicht) gären und zu einem Gärgetränk werden kann, muss man sie in ein Gefäß füllen, und der Mensch muss zumindest aufhören, umherzuziehen, und sesshaft werden.

Möglicherweise erlernte dieser höhere Primat die Herstellung von Pflanzengränken erst, als er den Ackerbau beherrschte und beschloss, sesshaft zu werden. Doch auch Überlegungen dieser Art bleiben eine Hypothese, die trotz ihrer scheinbaren Logik irrig sein könnte. Es gibt jedoch eine andere, weitaus plausiblere Annahme.

In der heutigen Türkei existiert die älteste megalithische Kultstätte Göbekli Tepe. Dieser Tempelkomplex wird auf ein Alter von 12.000 Jahren geschätzt, etwa ins 9. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung. Archäologen ist dieser Kultort bereits seit den 1960er Jahren bekannt. Neben verschiedenen bedeutenden Artefakten wurden in der Anlage mehrere Steinwannen entdeckt, deren größte ein Fassungsvermögen von 180 Litern aufweist. Man könnte natürlich vermuten, dass die Menschen der Vorzeit darin badeten, gäbe es da nicht einen entscheidenden Umstand: Die Wände dieser Becken weisen Spuren von chemischen Verbindungen namens Oxalate auf. Nun, liebe chemiekundige Leser, die Sie diesen Abschnitt lesen – empören Sie sich nicht, wenden Sie sich mit allen Fragen an die Archäologen, es ist deren Hypothese. Die Oxalate in der steinernen Wanne der Türkei könnten dadurch entstanden sein, dass in ihr Gerste und Wasser zur Herstellung eines Gärgetränks vermengt wurden.

Kurzum, auch diese Theorie entbehrt stichhaltiger Beweise, und wir können uns gern ausmalen, dass die Menschen sich in Göbekli Tepe versammelten, um das urzeitliche Gärgetränk zu genießen, das als Vorläufer des Bieres gelten könnte. Man kann uns das Träumen nicht verbieten. Eins steht fest: Die Sumerer besaßen bereits Gaststätten – wie immer sie diese nannten, ist unbekannt. Doch sobald man beginnt, das sumerische Epos zu lesen, wird unmittelbar klar, dass alle nach Belieben Alkohol tranken – mit oder ohne Anlass.

Die Entstehung der europäischen Alkoholtradition und des Konsums psychoaktiver Substanzen ist in wissenschaftlichen Abhandlungen des Doktors der Geschichtswissenschaften W. M. Lowtschew, eines kasanischen Gesellschaftsaktivisten, dargelegt. W. M. Lowtschew ist, gestützt auf die Überlegungen S. N. Schewerdins, der Auffassung, dass der Mensch begann, Überschüsse zurückzulegen, sobald seine Arbeit durch eifrigen Ackerbau einen gewissen Mehrertrag erbrachte, was in manchen Fällen die Gärung der Erzeugnisse begünstigte. Den Überschuss wegzuwerfen, vermochte der Mensch nicht – die Nahrung war den urtümlichen Menschen zu kostbar –, und so verzehrte er die gegorenen Massen. Auf diese Weise, wie es scheint, machte der Mensch die Bekanntschaft mit Alkohol. Der Historiker ist der Meinung, Alkohol sei ein evolutionärer Fehlgriff, ein Irrtum, eine gewisse Zufälligkeit, die daher rührt, dass der frühe Mensch durch Versuch und Irrtum sowohl geniale Entdeckungen machte als auch solche, die sich später nachteilig auf den Menschen auswirkten.

Kehren wir zu den Sumerern zurück. In der sumerischen Mythologie gab es die Göttin Ninkasi, die für Bier und andere alkoholische Getränke zuständig war. Dank der Doktorin der Geschichtswissenschaften W. Afanassjewa, einer Dichterin und Übersetzerin aus dem Sumerischen und Akkadischen, besitzen wir heute den Text der Hymne an die Biergöttin Ninkasi.

“…Oh, welch herrliches Bier du braust!

Honigtrank und Wein, du vermengst sie,

Träufelnd gibst du sie tropfenweise ein.

Oh Ninkasi, welch herrliches Bier du braust!

Honigtrank und Wein, du vermengst sie,

Träufelnd gibst du sie tropfenweise ein…”

Hier können sich die Sumerer nicht herausreden – gemäß den Tatsachen und Belegen tranken sie zweifellos, brauten Bier und Wein. Durch das Studium der Schriftkultur des sumerischen Volkes als Zivilisationsmerkmal wissen wir heute nicht nur über das sumerische Epos, sondern auch, dass sie Schuldscheine verfassten, in denen nicht nur Gerste und Gold, sondern auch Bier verzeichnet waren.

Eine der frühesten Abbildungen eines Biergefäßes stammt aus der Zeit um 3200 v. Chr.; dieses Gefäß wies eine kegelförmige Gestalt auf. Mit fortschreitender Zivilisation wurde die Darstellung des Gefäßes auf den Tontafeln zunehmend schematischer und verwandelte sich in eine Art Sinnbild mit zwei Strichen. Von der ursprünglichen Abbildung des Gefäßes blieb so gut wie nichts erhalten; die Striche gingen in einen Buchstaben über.

Übrigens verfasste eine Frau namens Enheduana alkoholbezogene Dichtungen im alten Sumer. Woher sie die Zeit zum Dichten nahm, bleibt unklar, doch möglicherweise hatte die Dame deshalb Muße zum Schreiben, weil sie eine Königstochter und Tochter des akkadischen Monarchen Sargon von Akkad war. Kurzum, ob in altertümlichen Zeiten oder in der modernen Welt – die familiäre Nachfolge ist der Menschheit stets wichtig geblieben, und wenn jemand in einem angesehenen Unternehmen arbeitet, wird er sicherlich seine Verwandten oder Freunde dort unterbringen; seit der sumerisch-akkadischen Epoche hat sich also nichts geändert. Enheduana war eine Königstochter, und natürlich setzte ihr Vater sie als Hohepriesterin des Mondgottes Nanna in Ur ein. Sargon hatte eine Gemahlin – Taschulmut –, die ihm fünf Kinder gebar. Doch nur Enheduana unter ihnen verfasste pathetische Hymnen an die sumerischen Götter, die von W. K. Afanassjewa ins Russische übertragen wurden.

Nach Ansicht von O. Dietrich diente die Herstellung alkoholischer Getränke bei den Sumerern nicht der längerfristigen Vorratshaltung, sondern war durch einmalige Erzeugung großer Alkoholmengen für ein rituell geprägtes Gelage gekennzeichnet. Solche Trinkgelage gab es nicht nur in der sumerischen Zivilisation; später nutzten auch die Herrscher im Huanghe-Tal Chinas und die auf dem südamerikanischen Kontinent lebenden Inka die Alkoholherstellung und deren Konsum bei Festlichkeiten für politische Zwecke, beispielsweise um Verbindungen zu benachbarten Herrschern zu knüpfen. Die Herrscher setzten alkoholische Getränke auch zur Anwerbung von Arbeitskräften ein; so belohnten altchinesische Regenten ihre Untertanen für Gemeinschaftsarbeiten mit Alkohol.

Die Kultur der Betriebsfeiern ist tief sowohl in der modernen Gesellschaft als auch in Organisationen verwurzelt. Mancherorts gleicht die Betriebsfeier einem förmlichen Champagnerempfang mit höfischen Gesprächen, anderswo artet sie in ein neujährliches, trunkenes Bacchanal aus, an das die Mitarbeiter am Morgen danach kaum eine Erinnerung haben.

Wohl kaum sann der Mensch im Altertum unentwegt darauf, wie er sich betrinken könnte; Fragen des Überlebens und der Fortpflanzung als Art interessierten ihn letztlich mehr als der Alkohol. Doch das Verlangen, den eigenen Bewusstseinszustand zu verändern, ist im Menschengeschlecht seit sehr langer Zeit vorhanden. Die Zeremonie des Alkoholgenusses im Altertum war stark ritualisiert und wurde strikt unter Aufsicht der Obrigkeit zelebriert.

Конец ознакомительного фрагмента.

Текст предоставлен ООО «Литрес».

Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на Литрес.

Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.

Конец ознакомительного фрагмента
Купить и скачать всю книгу
На страницу:
3 из 3