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Aus meinem Leben. Erster Teil
Aus meinem Leben. Erster Teil

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Aus meinem Leben. Erster Teil

Язык: Немецкий
Год издания: 2018
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Weihnachten rückte heran, und es sollte wie üblich vom Verein eine Weihnachtsfeier veranstaltet werden. Im Verein hatte sich eine kleine Musikkapelle und ein Gesangverein gebildet. Diese sollten bei jener Gelegenheit Vorträge zum besten geben. Außerdem sollten nach Dr. Schöpfs Vorschlag eine Anzahl Mitglieder, die verschiedenen deutschen Volksstämmen angehörten, Deklamationen vortragen. Ich wurde als Repräsentant der Rheinländer hierzu ausersehen. Ich hatte ein Gedicht „Die Zigarren und die Menschen“ vorzutragen. Die Uebungen fanden in Dr. Schöpfs Wohnung statt, wobei er uns mit Bier und Brot regalierte. Bei diesen Uebungen passierte mir, daß ich fast immer einen Fehler im Schlußreim machte, indem ich ein Wort anwandte, das wohl zum Reim, aber nicht zum Sinne des Gedichtes paßte. Dr. Schöpf warnte mich nachdrücklich, doch ja am Festabend den Fehler nicht zu machen. Der Festtag (19. Dezember) kam. Dem Fest wohnte eine illustre Gesellschaft bei! Der Fürstbischof von Salzburg, der Abt von Sankt Peter und eine Anzahl anderer Geistlicher, auch Vertreter der Behörden. Endlich kam auch mein Vortrag an die Reihe. Kurz vor meinem Auftreten ermahnte mich Dr. Schöpf nochmals, mich ja in acht zu nehmen, was ich ihm feierlichst versprach. Aber mit des Geschickes Mächten ist kein ew'ger Bund zu flechten, und das Schicksal eilet schnell. Abermals machte ich den Sprechfehler, worauf im Hintergrund des Saales Dr. Schöpfs Arm auftauchte, der mir mit der Faust drohte. Das Unglück war aber geschehen, ich glaube, die meisten haben es nicht einmal bemerkt. Im übrigen verlief die Feier sehr gemütlich, und ich ging, ohne Schaden an meiner Seele genommen zu haben, vergnügt nach Hause.

Im März ist der St. Josefstag, der in Oesterreich ein hoher Feiertag ist. St. Josef ist, wie ich schon anführte, der Schutzpatron der katholischen Gesellenvereine. Einige Zeit vor diesem Tage hielt Schöpf eine eindringliche Rede an die katholischen Mitglieder des Vereins, daß sie an diesem Tage vollzählig zur Kirche gehen möchten. Er wisse wohl, äußerte er, daß junge Leute sich gern darum drückten, aber diesmal gehe es nicht, man dürfe ihn nicht blamieren, denn die Kaiserin – die Witwe des Kaisers Ferdinand, die in Salzburg wohnte —, die viel für den Verein tue, werde es sicher erfahren. Den Nachmittag, setzte er schmunzelnd hinzu, machen wir dann eine Wallfahrt nach Maria-Plain, ein Wallfahrtsort, dessen Kirche auf einem Hügel mitten in der Ebene, eine gute Stunde von Salzburg, prachtvoll gelegen ist. Dort werde auf Kosten der Kasse ein Faß Bier ausgelegt, das zweite zahle er, er sei sicher, hierbei fehle niemand. Alle lachten. Ich glaube, er behielt recht. Die Wallfahrt fand statt, wir Nichtkatholiken marschierten wohlgemut und vollzählig im Zug, hinter der Fahne, die der Altgeselle trug, auf der der heilige Josef mit dem Christkind auf dem Arme abgebildet war. In Maria-Plain angekommen, besahen wir uns die überreich geschmückte Kirche. Dann ging es zum Trunk. Die Fässer wurden rasch geleert, gar mancher ging wankenden Schrittes nach Salzburg zurück. Der Zug war aufgelöst. Wie die Fahne mit dem heiligen Josef wieder nach Salzburg kam, weiß ich bis heute nicht.

Dr. Schöpf, ich und ein Hannoveraner traten zusammen den Rückweg an. In der Stadt angekommen, führte er uns in ein Café, in dem wir eine Partie Billard spielten. Es war für mich die erste und letzte, die ich in meinem Leben spielte. Natürlich verloren wir zwei, aber Dr. Schöpf zahlte.

Ende Februar 1860 reiste ich nach Hause. Einige dreißig Jahre später schickte mir ein Ritter v. Pfister aus Linz einen Brief nach Berlin, in dem es hieß: er habe nach Berlin reisen wollen und habe bei dieser Gelegenheit mir einen Gruß vom Domherrn Dr. Schöpf in Salzburg überbringen sollen, er sei aber durch Krankheit an der Reise verhindert worden, so schicke er mir brieflich dessen Gruß. Wieso Dr. Schöpf sich meiner erinnerte, ist mir ein Rätsel geblieben. Er konnte unmöglich annehmen, daß der neunzehn- bis zwanzigjährige junge Drechslergeselle – wenn er sich überhaupt dessen entsann – der spätere sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete war. Solch tiefen Eindruck hatte ich sicher nicht auf ihn gemacht. Ich nehme vielmehr an, daß Kollegen aus dem Zentrum, denen ich gelegentlich meine Salzburger Erlebnisse erzählte, den Domherrn davon unterrichtet hatten. Als ich Anfang dieses Jahrhunderts nach langer Zeit wieder einmal nach Salzburg kam, war Dr. Schöpf einige Jahre zuvor gestorben. Die joviale, heitere Natur und die volle Lebensfreude soll er sich bis an sein Ende bewahrt haben.

Ich will die Mitteilungen über meinen Salzburger Aufenthalt nicht schließen, ohne noch eines Vorgangs zu erwähnen, der damals unter uns jungen Leuten erzählt und viel belacht wurde. Zu jener Zeit lebte im Sommer König Ludwig I. von Bayern, der bekanntlich wegen der Lola-Montez-Affäre die Regierung niederlegte, in Schloß Leopoldskron, in nächster Nähe Salzburgs. Der König, ein hoch aufgeschossener Herr, der im grauen Sommeranzug, den Kopf mit einem großen, etwas ramponierten Strohhut bedeckt und mit einem starken Krückstock in der Hand, öfter an unserer Werkstatt vorbeipassierte, liebte es, in der Umgebung Salzburgs allein Spaziergänge zu machen. Eines Tages machte er wieder einen solchen und sieht, wie ein Knabe sich abquält, Aepfel von einem Baume herunterzuwerfen. Der König tritt zu dem Knaben und sagt: „Schau, das mußt du so machen!“ und schleudert seinen Krückstock mit bestem Erfolg in die Aeste des Baumes. Das hatte aber aus dem in der Nähe liegenden Hause die Bäuerin beobachtet, die jetzt hochrot vor Zorn in die Tür trat und dem König, den sie nicht kannte, zurief: „Du alter Lackl, schamst di net, den Buam bein Aepflstehln z'helfe!“ Der König nahm seinen Krückstock und trollte sich von dannen. Am nächsten Morgen erschien ein Diener und brachte der Bäuerin einen Gulden mit der Bemerkung: das sei für die Aepfel, die gestern der Herr vom Baum geschlagen habe. Auf ihre Frage, wer denn der Herr gewesen sei, erfolgte die sie höchst überraschende Antwort: der König Ludwig.

Wenn ich hier einen verstorbenen Bayernkönig des Obstfrevels bezichtige, will ich wahrheitsgemäß hinzufügen, daß auch ich in dieser Beziehung nicht ohne Fehl und Sünde war. Es waren die prachtvollen Pfirsiche im Mirabellengarten, der dem Fürstbischof gehörte, die es mir angetan hatten. Ich konnte bei mehreren Spaziergängen in dem Garten der Versuchung nicht widerstehen, einige der Früchte mir anzueignen. Ich nehme an, dem Fürstbischof hat mein Obstfrevel nicht geschadet, und mir bekamen die Früchte vorzüglich. Auch meine Gewissensbisse verschwanden, als ich las, daß der heilige Ambrosius, der gegen Ende des vierten Jahrhunderts Bischof von Mailand gewesen war, geäußert habe:

„Die Natur gibt alle Güter allen Menschen gemeinsam; denn Gott hat alle Dinge geschaffen, damit der Genuß für alle gemeinschaftlich sei. Die Natur hat also das Recht der Gemeinschaft erzeugt, und es ist nur die ungerechte Anmaßung (usurpatio), die das Eigentumsrecht erzeugte.“

Konnte mein Tun glänzender entschuldigt, ja gerechtfertigt werden?

Zurück nach Wetzlar und weiter!

Am 27. Februar 1860 trat ich die Heimreise an. Bahnen gab es zu jener Zeit im südöstlichsten Bayern noch nicht, außerdem reiste damals der Handwerksbursche am billigsten zu Fuß, wenn er sich ein bißchen mit aufs Fechten verlegte. Das Wetter war wieder miserabel. Als ich eines Tages bei stürmischem Schneewetter, das mir ins Gesicht schlug, die Hände in den Hosentaschen, den Stock unter dem Arme und die Hutkrempe ins Gesicht gezogen, auf der Straße über den fränkischen Landrücken stapfte, wurde ich plötzlich am Arm gepackt und in den Straßengraben geschleudert. Als ich verwundert aufschaute, war es das Pferd vor einem mir entgegenkommenden Fuhrwerk, das mich klugerweise am Arme gepackt und beiseite geschleudert hatte. Bei dem stürmischen Wetter hatte ich das herankommende Fuhrwerk weder gesehen noch gehört.

Um Mitte März kam ich nach mehr als zweijähriger Abwesenheit wieder in Wetzlar an.

Bei der Militäraushebung wurde ich wegen allgemeiner Körperschwäche um ein Jahr zurückgestellt. Dasselbe passierte mir die nächsten Jahre bei der Gestellung in Halle a.S., so daß ich schließlich als militäruntauglich entlassen wurde. Einstweilen trat ich, da eine Arbeitsstelle in Wetzlar nicht zu haben war, bei einem jüdischen Drechslermeister in Butzbach, zwei Meilen von Wetzlar, in Arbeit. Als aber die Jahreszeit immer schöner wurde und eines Tages drei meiner Schulfreunde mit dem Berliner auf dem Rücken in die Werkstatt traten und mir mitteilten, daß sie sich auf der Wanderschaft nach Leipzig befänden, „da zog es mich mächtig hinaus“, wie es im Handwerksburschenlied heißt, und ihnen nach. Ich versprach meinen Freunden, binnen drei Tagen zu folgen, und hoffte sie einzuholen, falls sie nicht zu große Märsche machten. Ich konnte dieses Angebot riskieren, denn im Marschieren war mir zu jener Zeit keiner über.

Ich hatte bisher nicht die geringste Sehnsucht gehabt, Leipzig und Sachsen kennen zu lernen, und wäre es auf mich angekommen, ich hätte damals Leipzig und Sachsen nicht gesehen. Und doch war diese Reise in mehr als einer Richtung entscheidend für meine ganze Zukunft. So entscheidet sehr oft der Zufall über das Schicksal des Menschen.

Ich möchte hier einschalten, daß ich von dem Satze: der Mensch ist seines Glückes Schmied, blutwenig halte. Der Mensch folgt stets nur den Umständen und Verhältnissen, die ihn umgeben und ihn zu seinem Handeln nötigen. Es ist also auch mit der Freiheit seines Handelns sehr windig bestellt. In den meisten Fällen kann der Mensch die Konsequenzen seines momentanen Handelns nicht übersehen; er erkennt erst später, zu was es ihn geführt hat. Ein Schritt nach rechts statt nach links, oder umgekehrt, würde ihn in ganz andere Verhältnisse gebracht haben, die wiederum bessere oder schlechtere sein könnten als jene, in die er auf dem eingeschlagenen Wege gekommen ist. Den klugen wie den falschen Schritt erkennt er in der Regel erst an den Folgen. Oftmals kommt ihm aber auch die richtige oder falsche Natur seines Handelns nicht zum Bewußtsein, weil ihm die Möglichkeit des Vergleichs fehlt. Der Selfmade-man existiert nur in sehr bedingtem Maße. Hundert andere, die weit ausgezeichnetere Eigenschaften haben als der eine, der obenauf gekommen ist, bleiben im verborgenen, leben und gehen zugrunde, weil ungünstige Umstände ihr Emporkommen, das heißt die richtige Anwendung und Ausnutzung ihrer persönlichen Eigenschaften verhinderten. Die „glücklichen Umstände“ geben erst dem einzelnen den richtigen Platz im Leben. Für unendlich viele, die diesen richtigen Platz nicht erhalten, ist des Lebens Tafel nicht gedeckt. Sind aber die Umstände günstig, so muß allerdings die nötige Anpassungsfähigkeit vorhanden sein, sie auszunutzen. Das kann man als das persönliche Verdienst des einzelnen ansehen.

Ich holte die drei Freunde ein, noch ehe sie Thüringen erreicht hatten, und kam gerade recht, um den einen, der bereits wunde Füße hatte, hilfreich unter den Arm zu nehmen, was beim Durchwandern der Orte bei den Bewohnern öfters Heiterkeit erregte. Wir passierten Ruhla, Eisenach, Gotha und kamen nach Erfurt. Hier übernachteten wir zum ersten Male in der Herberge eines christlichen Jünglingsvereins. Aber nur einmal und nicht wieder. Das muckerische, schleichende Wesen des Herbergsvaters widerte mich an. Am Abend mußten wir auf Kommando gemeinsam zu Bett gehen. Als wir die erste Etage erstiegen hatten, öffnete sich die Tür zu einem kleinen Saal, und eine Choralmelodie tönte uns entgegen, die ein glatt gescheitelter, hellblonder Jüngling auf einem Harmonium spielte. Ueberrascht traten wir ein, neugierig auf die Dinge, die da kommen würden. Darauf trat der Herbergsvater auf ein Podium und las aus einem Gesangbuch einen Vers Zeile für Zeile vor. Die zitierte Zeile hatten wir unter Begleitung durch das Harmonium nachzusingen. Aehnliches war mir in einem katholischen Gesellenvereinshaus nicht passiert. In München zum Beispiel war an der Wand der Stube, in der wir zu zweit schliefen, ein gedrucktes Gebet angeschlagen mit dem Ersuchen, es vor dem Zubettgehen zu beten. Von einem moralischen Zwang keine Spur. Ich wiederhole, wie es seitdem in den katholischen Gesellenvereinen geworden ist, weiß ich nicht.

In Erfurt fing der geschilderte Vorgang an, uns zu amüsieren. Wir brüllten wie Löwen die vorgespielte Melodie mit dem zitierten Text. Dann ging's höher hinauf in den Schlafsaal. Nachdem vorschriftsmäßig unsere Hemdkragen auf fremde Bewohner untersucht worden waren, stiegen wir zu Bett. Darauf entfernte sich der Herbergsvater mit dem Licht, und schwarze Dunkelheit herrschte. Jetzt ging aber unter den Dutzenden junger Leute, unter denen fast alle deutschen Landsmannschaften vertreten waren, ein Ulken und Spotten los, wie es mir bisher noch nicht zu Ohren gekommen war. Die Heiterkeit erreichte ihren Höhepunkt, als in der entfernteren Ecke des Saales ein Schlafgenosse aus Württemberg im unverfälschtesten Schwäbisch einige humoristische Bemerkungen machte. Erst spät nahm der Lärm ein Ende. Nächsten Tages marschierten wir nach Weimar. Hier erklärten meine Begleiter, nicht weitergehen zu können, denn alle drei hatten sich die Füße wundgelaufen; sie wollten mit der Bahn nach Leipzig fahren. Ich protestierte dagegen, denn mein Geld war sehr knapp, und was dann, wenn es in Leipzig keine Arbeit gab? Doch mein Protest half nichts, wollte ich nicht allein reisen, so mußte ich mitfahren. Am 7. Mai 1860, abends 11 Uhr, kamen wir in Leipzig an und frugen uns durch nach der Herberge in der Großen Fleischergasse. Als wir nächsten Tages beim herrlichsten Maiwetter die Stadt und die in voller Frühjahrspracht stehenden Promenaden besichtigten, gefiel mir Leipzig ungemein. Ich hatte auch Glück und bekam Arbeit, und zwar in einer Werkstatt, in der ich den Artikel kennen lernte, auf den ich mich später selbständig machte. Traf ich vierundzwanzig Stunden später in Leipzig ein, so wäre die Stelle von einem anderen besetzt worden. So entschied hier wieder „ein Augenblick des Glückes“ über meine Zukunft. Zum zweitenmal arbeitete ich in einer größeren Werkstatt. Es wurden fünf Kollegen und ein Lehrling neben mir beschäftigt. Meister und Kollegen gefielen mir, die Arbeit auch, bei der sich etwas lernen ließ. Was mir aber nicht gefiel, war der schlechte Kaffee, den wir morgens erhielten, und das an Quantität und Qualität äußerst mangelhafte Mittagessen. Frühstück, Vesper und Abendbrot mußten wir uns selbst stellen. Die Schlafstelle war beim Meister; wir schliefen sieben Mann in einer geräumigen Bodenkammer. Ich fing sehr bald an, gegen die Kost zu rebellieren. In einigen Wochen hatte ich die Kollegen so weit, daß sie sich zu einer gemeinsamen Beschwerde bei dem Meister verstanden, wobei wir erklärten, gemeinsam die Arbeit einzustellen, falls unsere Beschwerde keinen Erfolg hätte. Wir drohten also mit Streik, noch ehe einer von uns dieses Wort gehört hatte. Die Form der Abwehr ergab sich eben aus der Sache selbst. Der Meister war äußerst betreten, er erklärte, er verstehe die Klagen nicht, ihm schmecke das Essen ausgezeichnet. Das war natürlich. Er aß mit seiner Familie später als wir und bekam ein anderes Essen. Das wußte er nicht. Nach wiederholten Verhandlungen erreichten wir, daß wir gegen entsprechende Entschädigung von seiner Seite die Selbstbeköstigung durchsetzten, wobei er, wie er behauptete, finanziell noch profitierte. Er hatte seiner Frau mehr für unsere Verpflegung zahlen müssen, als wir forderten. Später erreichten wir durch hartnäckiges Liegenbleiben im Bett, daß der Beginn der Arbeitszeit von morgens 5 Uhr auf 6 Uhr hinausgeschoben wurde. Noch später setzten wir auch die Stückarbeit durch, auf die der Meister nicht eingehen wollte, weil er fürchtete, schlechte Arbeit geliefert zu bekommen, worin er sich täuschte, wie er sich nachher überzeugte. Schließlich erlangten wir auch das Wohnen außer dem Hause.

Mein Eintritt in die Arbeiterbewegung und das öffentliche Leben

Die Uebernahme der Regentschaft in Preußen durch den Prinzen Wilhelm von Preußen, den Bruder König Friedrich Wilhelms IV., sowie der italienische Krieg hatten das Volk mächtig aufgerüttelt. Der Druck der Reaktionsjahre, der seit 1849 auf dem Volke lastete, war gewichen. Insbesondere war es die liberale Bourgeoisie, die jetzt sich politisch zu regen begann, nachdem sie während der Reaktionsjahre ihre ökonomische Entwicklung nach Kräften gefördert hatte und sehr viel reicher geworden war. Immerhin kann ihre damalige Entwicklung keinen Vergleich aushalten mit der Entwicklung, die ihr Wirtschaftssystem nach 1871 und besonders seit den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erlangt hat.

Die Bourgeoisie verlangte jetzt ihren Anteil an den Staatsgeschäften, sie wollte nicht nur in Preußen parlamentarisch herrschen, in ihrer großen Mehrheit erstrebte sie auch eine Einheit Deutschlands unter preußischer Spitze, um ganz Deutschland politisch und wirtschaftlich zu einem von einheitlichen Grundsätzen geleiteten Staatswesen zu machen, wie das durch die Revolution von 1848 und 1849 und das damalige deutsche Parlament vergeblich versucht worden war. Dieses Bestreben kam durch die Gründung des Deutschen Nationalvereins im Jahre 1859 zum Ausdruck, dessen Präsident Rudolf v. Bennigsen wurde. Die Berufung des altliberalen Ministeriums Auerswald-Schwerin durch den Prinzregenten schwellte die Hoffnungen des Liberalismus. Das veröffentlichte Programm des Prinzregenten hätte freilich große Hoffnungen nicht gerechtfertigt, wogegen ihn auch seine Vergangenheit und namentlich seine Rolle in den Revolutionsjahren hätte schützen sollen. Aber die liberale Bourgeoisie sah eine neue Aera hereinbrechen.

Der Liberalismus ist stets hoffnungsselig, sobald ihm nur der Schein eines liberalen Regimentes winkt, soviel Enttäuschungen er auch im Laufe der Jahrzehnte erlebte. Weil ihm selbst der Mut und die Energie zu kräftigem Handeln fehlt und er vor jeder wirklichen Volksbewegung Angst hat, setzt er seine Hoffnungen stets auf die Regierenden, die ihm scheinbar oder wirklich etwas entgegenkommen. Durch den Enthusiasmus und das blinde Vertrauen, das er solchen Persönlichkeiten entgegenbringt, hofft er dieselben seinen Interessen dienstbar zu machen. Im vorliegenden Falle wurden die Blüten seiner Hoffnungen bald genug geknickt. Der Prinzregent, vom Scheitel bis zur Sohle Soldat, empfand zunächst das Bedürfnis einer gründlichen Militärreform auf Kosten der bis dahin geltenden Landwehreinrichtungen. Nach seiner Auffassung hatte sich die geltende preußische Heeresorganisation während und nach der Revolution, sowie bei der Mobilmachung im Jahre 1859 nicht bewährt. Die Verwirklichung seiner Pläne kostete aber nicht nur viel mehr Geld, sie verstießen auch gegen die Traditionen, die sich im Volke seit 1813 über die Brauchbarkeit der Landwehr gebildet hatten; außerdem wurde in der neuen Organisation die Verlängerung der Dienstzeit von zwei auf drei Jahre und für die Reserve von zwei auf vier Jahre verlangt.

Die Landwehr hatte allerdings in den Revolutionsjahren hier und da versagt, sie fühlte sich zu sehr eins mit dem Volke und war nicht ohne weiteres für reaktionäre Handstreiche zu haben, und für einen Krieg, der nicht populär war, war sie ebenfalls schwer zu brauchen. Das war es aber, was den Prinzregenten mit bewegte, sie bei der neuen Organisation nach Möglichkeit in den Hintergrund zu drängen. Als aber die Reorganisation ohne die ausdrückliche Zustimmung der Kammer, die, kurzsichtig genug, zunächst die Mittel provisorisch bewilligt hatte, definitiv eingerichtet wurde, begannen die Liberalen, die in der Zweiten Kammer die Mehrheit hatten, aufsässig zu werden. Allein der Prinzregent ließ sich nicht irre machen und reorganisierte weiter. Das rief den Konflikt hervor. Die Wahlen im Dezember 1861 verstärkten die Opposition. Obgleich die Regierung durch Gewährung liberaler Konzessionen (Ministerverantwortlichkeitsgesetz und eine neue Kreisordnung) die Kammer zu gewinnen suchte, lehnte diese jetzt die geforderten Kosten für die Heeresorganisation ab. Darauf erfolgte im März 1862 die Auflösung der Kammer, die aber das Resultat hatte, daß bei den Neuwahlen im Mai dieselbe noch weit radikaler zusammengesetzt wurde. Die Konservativen waren auf elf Mann zusammengeschmolzen.

Der Konflikt spitzte sich immer mehr zu, und der König, der keinen Rat mehr wußte, berief jetzt Herrn v. Bismarck, der preußischer Gesandter bei dem Bundestag in Frankfurt a. M. war – September 1862 —, an die Spitze des mittlerweile konservativ zusammengesetzten Ministeriums. Das war derselbe Bismarck, den schon 1849 Friedrich Wilhelm IV. als roten Reaktionär, der nach Blut rieche, bezeichnet hatte. Der Konflikt zwischen Regierung und Kammer erlangte damit seinen Höhepunkt.

In der deutschen Frage war mittlerweile ebenfalls die Bewegung in ganz Deutschland immer lebendiger geworden und schlug hohe Wogen. Der Nationalverein verlangte die Einberufung eines deutschen Parlamentes auf Grund der Reichsverfassung und des Wahlgesetzes von 1849. Zugleich sollte Preußens Rivale, Oesterreich, in Rücksicht auf seine starken nichtdeutschen Bevölkerungsteile aus diesem neuen Reiche hinausgedrängt werden. Die Mehrheit des Nationalvereins wollte ein Kleindeutschland bilden im Gegensatz zu jenen, die Deutsch-Oesterreich nicht ausgeschlossen sehen wollten und sich deshalb Großdeutsche nannten. Diese Gegensätze beherrschten die Kämpfe für die Lösung der deutschen Frage in der ersten Hälfte der sechziger Jahre. Daneben ging die sogenannte Triasidee, wonach neben Oesterreich und Preußen die Mittel- und Kleinstaaten eine Vertretung in der künftigen Reichsbildung forderten, die aus einem dreiköpfigen Direktorium bestehen sollte.

Den Umfang, den die Bewegung angenommen hatte, und die große Bedeutung, die sie noch erlangen konnte, veranlaßt die weitsichtigeren Liberalen, beizeiten ihr Augenmerk auf die Arbeiter zu richten und diese für ihre politischen Ziele zu gewinnen. Was sich in den letzten fünfzehn Jahren in Frankreich abgespielt hatte, die rapide Entwicklung der sozialistischen Ideen, die Junischlacht, der Staatsstreich Louis Bonapartes und seine demagogische Ausnutzung der Arbeiter gegen die liberale Bourgeoisie, ließ es den Liberalen ratsam erscheinen, womöglich ähnlichen Vorkommnissen in Deutschland vorzubeugen. So benutzten sie vom Jahre 1860 ab den Drang der Arbeiter nach Gründung von Arbeitervereinen und förderten diese, an deren Spitze sie ihnen zuverlässig erscheinende Personen zu bringen suchten.

Die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands hatte zwar in jener Zeit erhebliche Fortschritte gemacht, aber immerhin war Deutschland damals noch überwiegend ein kleinbürgerliches und kleinbäuerliches Land. Drei Viertel der gewerblichen Arbeiter gehörten dem Handwerk an. Mit Ausnahme der Arbeit in der eigentlichen schweren Industrie, dem Bergbau, der Eisen- und Maschinenbauindustrie, wurde die Fabrikarbeit von den handwerksmäßig arbeitenden Gesellen mit Geringschätzung angesehen. Die Produkte der Fabrik galten zwar als billig, aber auch als schlecht, ein Stigma, das noch sechzehn Jahre später der Vertreter Deutschlands auf der Weltausstellung in Philadelphia, Geheimrat Reuleaux, der deutschen Fabrikarbeit aufdrückte. Für den Handwerksgesellen galt der Fabrikarbeiter als unterwertig, und als Arbeiter bezeichnet zu werden, statt als Geselle oder Gehilfe, betrachteten viele als eine persönliche Herabsetzung. Zudem hatte die große Mehrzahl dieser Gesellen und Gehilfen noch die Ueberzeugung, eines Tages selbst Meister werden zu können, namentlich als auch in Sachsen und anderen Staaten anfangs der sechziger Jahre die Gewerbefreiheit zur Geltung kam. Die politische Bildung dieser Arbeiter war sehr gering. In den fünfziger Jahren, das heißt in den Jahren der schwärzesten Reaktion groß geworden, in denen alles politische Leben erstorben war, hatten sie keine Gelegenheit gehabt, sich politisch zu bilden. Arbeitervereine oder Handwerkervereine, wie man sie öfter nannte, waren nur ausnahmsweise vorhanden und dienten allem anderen, nur nicht der politischen Aufklärung. Arbeitervereine politischer Natur wurden in den meisten deutschen Staaten nicht einmal geduldet, sie waren sogar auf Grund eines Bundestagsbeschlusses aus dem Jahre 1856 verboten, denn nach Ansicht des Bundestags in Frankfurt a.M. war der Arbeiterverein gleichbedeutend mit Verbreitung von Sozialismus und Kommunismus. Sozialismus und Kommunismus waren aber wieder uns Jüngeren zu jener Zeit vollständig fremde Begriffe, böhmische Dörfer. Wohl waren hier und da, zum Beispiel in Leipzig, vereinzelte Personen, wie Fritzsche, Vahlteich, Schneider Schilling, die vom Weitlingschen Kommunismus gehört, auch Weitlings Schriften gelesen hatten, aber das waren Ausnahmen. Daß es auch Arbeiter gab, die zum Beispiel das Kommunistische Manifest kannten und von Marx' und Engels' Tätigkeit in den Revolutionsjahren im Rheinland etwas wußten, davon habe ich in jener Zeit in Leipzig nichts vernommen.

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