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Blutregen
Syns Augen wurden schmal, als er hörte, wie sie der Nähe nachtrauerte, die sie mit dem Phönix geteilt hatte. Es war schade, dass sie die Tatsache vergessen hatte, dass er, Syn, ein sehr besitzergreifender Mann war, der sie noch nie mit anderen teilen hatte wollen. Er hatte schon früher Morde begangen, um sie zu behalten, und er würde es jederzeit ohne zu zögern wieder tun.
Er zog die Zügel um seine Macht enger, als sie versuchte, bei der Erinnerung aufzuflammen, und Syn erkannte, dass er an seine Grenzen stieß. Wie hatte sie es geschafft, ihn so schnell auf diesen ungeduldigen Zustand zu reduzieren?
„Du bist nicht wegen mir hierher gekommen.“ Angelica runzelte die Stirn, als sie das aussprach, was ihr offensichtlich erschien. „Du bist wegen deiner Jungs gekommen, wobei ich bemerken darf, dass sie genau so alt aussehen, wie du… eher wie deine Brüder, nicht deine Kinder. Und jetzt bleibst du hier, um Storm zu helfen, gegen die Dämonen zu kämpfen.“ Ihre Stimme versagte, als ihr Rücken die Wand im selben Moment traf, wie seine beiden Handflächen an ihren beiden Seiten dort auftrafen… sodass sie an der gestrichenen Felswand des Schlosses eingeschlossen war.
„Meine Partnerin ist diejenige, die Storm hilft… nicht ich“, knurrte Syn barsch. „Ich bin nur hier, um zu verhindern, dass sie sich wieder umbringen lässt!“
„Ich wurde noch nie umgebracht“, entgegnete Angelica scharf, dann zuckte sie, als die Wand unter seinen Handflächen knackte und dünne Linien durch den Fels neben ihrem Kopf und ihren Schultern liefen.
„Hör auf“, flüsterte sie kaum hörbar.
Etwas war eindeutig nicht in Ordnung mit ihm, aber anstatt ihr Angst zu machen… brach es ihr plötzlich das Herz. Sie atmete langsamer, wollte im Augenblick besser vorsichtig sein, denn sie fühlte, dass, wenn sie es nicht war, der mächtige Mann vor ihr zerbrechen würde, und das wäre der Beginn ihrer tiefsten Angst.
„Ich werde dich festhalten, bis ich mich wieder beruhigt habe“, warnte Syn sie einen Moment bevor er sich nach vorne beugte und sie an sich zog.
Als Angelica ihn gewähren ließ, fühlte Syn, wie ein Teil der überwältigenden Trauer seine angespannten Schultern verließ. Sie erinnerte sich zwar nicht an ihren Tod, aber für ihn war es eine Erinnerung, die er tief in sich selbst begraben halten wollte… um seinen Verstand zu bewahren. Sie noch immer in seinen Armen, senkte er sich auf seine Knie und zog sie mit sich. Er ließ eine zitternde Hand über ihren Rücken hoch in ihr seidiges, schwarzes Haar kriechen, um ihre Wange an seinen Hals zu drücken und seine Lippen auf ihren Scheitel zu legen.
Angelica blinzelte, als sie seinen Körper zittern fühlte und seinen schweren Atem in ihrem Ohr hörte. Es war, als kämpfte er gegen etwas, das sie nicht sehen konnte. Nachdem sie dies als Grund dafür nutzen konnte, im Moment einmal nachzugeben, entspannte sie sich langsam an ihm und ließ ihn sie festhalten. Sie war überrascht, wie warm und beschützt sie sich in seinen Armen fühlte. Er war so groß und so stark, doch sie fühlte auch seine Zurückhaltung, als er sie hielt.
Als sie den Mut gesammelt hatte, ihre Neugierde zu befriedigen, sprach sie mit leiser, ruhiger Stimme: „Ich verstehe nicht, was ich getan habe, um deine Aufmerksamkeit zu gewinnen.“
„Nein… das kannst du auch nicht verstehen“, bestätigte Syn und küsste sanft ihr dunkles Haar, ehe er seine Wange daran schmiegte.
Ein Teil von ihm wollte sie nicht an ihre schwierige Vergangenheit erinnern… wollte den Hass für das, was er getan hatte, in ihren Augen nicht sehen. Nicht, wenn er doch nicht die Absicht hatte, sie um Vergebung zu bitten. Sie hatten es verdient zu sterben… alle.
„Du bist nicht sehr hilfreich“, wies Angelica ihn hin, die sich langsam sehr müde fühlte, nach all den Adrenalinschüben der letzten Stunden.
Sie hatte nicht gelogen… sie hatte keine Angst vor ihm… nicht wirklich. Sie hatte zugesehen, wie er sich selbst fast getötet hatte, um einen Raum voller ermordeter Kinder wieder zum Leben zu erwecken. Wie konnte sie jemals Angst vor ihm haben, wenn sie sich doch kaum davon abhalten konnte, sich an ihn zu binden? Sie würde einen Weg finden müssen, sich permanent von ihm zu entfernen.
„Du bist grausam zu mir, Angelica“, flüsterte Syn, der ihre tiefsten Gedanken gehört hatte. „Wenn du deine Seele weiterhin wegsperren möchtest… wirst du herausfinden, wie grausam ich wegen dir geworden bin.“
Ihre Furcht erwachte bei diesen Worten und Angelica versuchte erfolglos, sich aus seinen Armen zu befreien. Wollte er ihre Seele nehmen, so wie die so vieler Menschen? War das der wirkliche Grund, weshalb er sie immer verfolgte?
„Meine Seele gehört nicht dir und das wird sie auch nie“, beharrte sie, als ihr Fluchtinstinkt sie dazu brachte, ihren Kampf um ihre Freiheit zu verstärken.
„Tut sie nicht?“, knurrte Syn, der fühlte, wie sein Verstand wackelte. „Soll ich noch eine weitere Welt zerstören, um es dir zu beweisen?“
Angelicas Augen weiteten sich und sie hielt still. Was meinte er damit, eine weitere Welt zerstören? Schnell beschloss sie, nicht zu fragen, denn ernsthaft… wer würde das schon wissen wollen? Sie fühlte ihre Angst immer noch an ihr kleben, nachdem sie die verstörenden Fragen in die dunkelsten Winkel ihres Gehirns verbannt hatte.
Er konnte fühlen, wie ihr Atem schneller ging, über seinen Nacken strich, und obwohl es ein beruhigendes Gefühl war, erhitzte es sein Blut, was im Moment nicht gut für seine Selbstkontrolle war. Diese Welt hatte ihn schon lange genug auf Abstand gehalten. Syn hielt sie fester und krümmte seinen Körper schützend um sie, als die kleinen Glühbirnen des hübschen Armleuchters in der Mitte des Zimmers explodierten und Funken in alle Richtungen sprühten, ehe es dunkel wurde.
Angelica wollte zur Decke hochsehen, aber Syn ließ sie ihren Kopf nicht heben, also blieb sie in seinen Armen und fragte sich, was sie tun sollte. Der Morgen dämmerte schon, sodass der Raum in dunkle Schatten getaucht war, aber nicht völlig dunkel.
„Kämpfen wir?“, fragte sie flüsternd. Denn wenn es so war, dann wusste sie schon, dass sie verlieren würde.
„Nein“, knurrte er grob, dann starrte er wütend auf den ovalen Spiegel über ihrer Kommode, als dieser es wagte, mit einem lauten Knacken zu zerspringen.
„Wie wäre es dann, wenn du mir erzählst, was los ist, bevor du wieder mein Schlafzimmer zerstörst?“, platzte es aus Angelica heraus.
Syn erstarrte, als er sie sagen hörte… wieder. Erinnerte sie sich endlich wieder an Dinge, die nicht in diesem Leben… oder auf dieser Welt geschehen waren? War ihre Seele stark genug, um endlich den Käfig ihres sterblichen Gefängnisses aufzubrechen? Vorsichtig ballte er die Hand, die in ihrem dunklen Haar verflochten war, zu einer Faust, damit er sich von ihr zurücklehnen und in ihren Augen nach der Wahrheit suchen konnte.
„Wieder?“ Seine Stimme klang selbst in seinen eigenen Ohren erschrocken.
„Was?“, fragte Angelica verwirrt. Mann… so wie er sie festhielt, war es wirklich schwierig, sich zu konzentrieren. Es war wirklich ermüdend.
„Du sagtest, ich soll dir sagen, was los ist, bevor ich… wieder dein Schlafzimmer zerstöre“, wiederholte er, wobei er das Wort ‚wieder‘ betonte.
„Habe ich das?“, flüsterte Angelica, als sie fühlte, wie ein kalter Schauder über ihre Arme lief. Ihre Lippen öffneten sich, um zu widersprechen, aber sie hatte ‚wieder‘ gesagt und konnte es jetzt nicht zurücknehmen, denn es fühlte sich plötzlich an, als wäre es die Wahrheit.
Syn ließ seine Frustration los und ein gemeines Lächeln hob seine Mundwinkel. Er hatte ihr Schlafzimmer mehr als nur einmal zerstört, obwohl er natürlich keine Ahnung hatte, welche Erinnerung nun versuchte, zurückzukommen, aber es war ihm egal. Gut oder schlecht, er wartete ungeduldig darauf, ebenso wie auf den Streit, den sie deshalb wahrscheinlich haben würden.
Ihre Seele war ihr innerstes Selbst und hatte ihm schon vergeben… es war der Rest von ihr, den er dazu zwingen würde müssen, aufzugeben.
Als sie ihn dabei erwischte, wie er über ihre Verwirrung grinste, löste Angelica sich schnell aus seinen Armen, war froh, dass er ihr Haar losließ, ehe sie sich das Genick verdrehen konnte.
„Gut, es gefällt dir, in deiner Freizeit Schlafzimmer umzugestalten… wie auch immer. Wenn du mich jetzt nicht alleine lässt, damit ich mich ausruhen kann, dann werde ich dich umgestalten.“ Sie runzelte die Stirn, als er prompt verschwand, wobei der Klang seines Lachens noch einen Moment im Zimmer hing.
Angelica lauschte dem warmen Gelächter bis es verklang. Sie konnte sich nicht erinnern, dass sie ihn jemals so lachen gehört hatte… oder auch nur lächeln gesehen hatte. Also wieso schmerzte bei dem Geräusch ihre Brust, als hätte sie etwas gleichzeitig wiedergewonnen und verloren, das sie liebte.
Nachdem sie sich völlig ausgelaugt fühlte, krabbelte sie hinüber zu ihrem Bett und kletterte hoch auf die Matratze, versuchte dabei, das Gefühl, dass sie die ganze Zeit rückwärts fiel, zu ignorieren. Sie sah in ihrem Geiste ein kurzes Bild von seinem warmherzigen Lächeln aufblitzen… einem Lächeln, von dem sie eben behauptet hatte, dass sie es noch nie gesehen hatte. Dieser kurze Vorgeschmack ließ sie sich danach sehnen mehr davon zu sehen.
Erschöpft schloss sie ihre Augen, gab sich selbst auf und ließ zu, dass sie dem folgte, was auch immer so unaufhörlich an ihr zog.
Syn erschien am Dach des Schlosses. Er hatte einen leichten Schimmer von Violett in ihren dunklen Augen gesehen und beschlossen, sie nicht zu stören, wenn sie in ihren Gedanken stöberte. Er hatte schon früher beobachtet, wie die Farbe ihrer Iris sich veränderte, aber nur, wenn sie ihre Macht benutzte. Das war scheinbar die einzige Zeit, wo sie es sich erlaubte, sie selbst zu sein und die mächtige Seele zu fühlen, die tief in ihr eingeschlossen war.
Er konnte verstehen, weshalb sie unbewusst ihre Seele vor einer Welt schützte, wo sterbliches Leben und Tod so schnell abliefen. Es war reiner Instinkt, aber diese Angst war nun nicht mehr angebracht. In derselben Sekunde, wie sie ihn aus dieser dunklen Höhle gerufen hatte… hatte er ihr seine Macht in der Gestalt der Markierung in ihrer Handfläche geschickt. Später hatte er diese Macht verstärkt, indem er seine Lebensenergie in sie geatmet hatte… obwohl sie die Bedeutung dieses Austauschs nicht verstanden hatte.
Sie hatte nun Fähigkeiten, derer sie sich nicht einmal bewusst war, und er hatte ihr aus rein egoistischen Gründen nicht geholfen, sie herauszufinden. Sie war jetzt schon zu unabhängig für seinen Geschmack. Obwohl die Zeit nun nicht mehr ihr Feind war und die meisten ihrer Verletzungen sofort heilen würden… stellten die mächtigen Unsterblichen, die der Stadt den Krieg erklärt hatten, immer noch eine Gefahr für sie dar.
Es gab noch eine weitere Sache, die er für sie tun konnte, um ihr zu helfen, größere Chancen zu haben, aber er versuchte, geduldig zu sein, denn er wusste, dass sie noch nicht bereit war, für die Nebenwirkungen davon, wenn er sein Blut mit ihrem vermischen würde. Er hatte diesen Fehler schon einmal gemacht. Es war nicht dasselbe, wie wenn ihre Kinder ihr Blut mit ihren Seelenfreundinnen teilten.
Er senkte seinen Blick auf das Dach, hörte die Stille, die aus dem Zimmer unter ihm kam. Außerdem, wenn er sie nun beißen würde, dann würde sie das als Beweis dafür sehen, dass er genau das war, wovon sie sich selbst überzeugt hatte… ein Monster.
Sanft mit ihr umzugehen, bedeutete für sie ein Risiko, und es würde nicht viel mehr brauchen, um ihn dazu zu drängen, zu dem Monster zu werden, das sie brauchte. Schließlich… hatte er diese Rolle schon einmal gespielt.
Kapitel 5
Kriss stand vor dem riesigen Panoramafenster ihrer Dachgeschosswohnung, eine Flasche von Kats berühmtem Heat in einer Hand und ein übergroßes Weinglas in der anderen. Er wollte sich betrinken, aber sein nervend schneller Metabolismus ließ nicht zu, dass er seine Gedanken und Gefühle für länger als ein paar Momente betäuben konnte.
Frustriert verkrampfte sich seine Hand um das Glas, sodass er es unabsichtlich zerbrach, als er sich daran erinnerte, wie er Vincents Gesicht zum ersten Mal nach unzähligen Jahren wiedergesehen hatte. Zugegeben, Vincent würde sich nicht an ihr Treffen erinnern, weil Storm die Zeit umgedreht hatte… aber Kriss würde den Ausdruck von Hass auf Vincents Gesicht, als er ihn angesehen hatte, nie wieder vergessen.
Um dem Hass etwas entgegenzusetzen, schaute er rebellisch zurück auf die Erinnerungen aus seiner Kindheit, zu jener Zeit, in der Vincent für ihn ganz andere Gefühle gehegt hatte.
Er war noch nicht lange auf dieser Welt gewesen, als Dean weggegangen war, um eine Horde von Dämonen aufzuhalten, die genau in ihre Richtung unterwegs gewesen waren. Er hatte gewartet, alleine, sich zwischen den Felsen am Fuße einer Felsklippe versteckt und Deans Anordnungen befolgt, war still geblieben, in der Hoffnung, dass er an diesem Ort sicher war.
Dean hatte großteils recht gehabt. Tagelang hatte Kriss nicht einmal ein Tier gesehen… und schon gar keine Menschen oder Dämonen. Es war das erste Mal in seinem Leben, dass er ganz alleine gewesen war. Die Stille, die ihn umgab, trug nur zu seiner Angst und Verlassenheit bei und er wartete… vermisste die Liebe, die er auf seiner eigenen Welt erfahren hatte… vermisste auch die Wärme und Sicherheit, die Dean ihm auf dieser Welt geschenkt hatte.
Es war mitten in der Nacht gewesen, als Kriss die Geräusche von fallenden Steinen gehört hatte, die über ihm erklangen. Er hatte sich gegen einen Felsbrocken gelehnt und auf die Felswand hochgesehen, die durch den Halbmond kaum erhellt wurde… nur um schattenhafte Finger zu erkennen, von Dämonen, die über die Wand zu ihm hinunterkletterten.
Seine Aufmerksamkeit wurde von ihren blutroten Augen in ihren Bann gezogen, als sie zusahen, wie er sie beobachtete, und von der Art, wie ihre fast menschlich aussehenden Körper sich gespenstisch verrenkten, als sie kletterten. Seine Augen wurden schärfer, sodass er erkennen konnte, wie ihre nackte Haut verbrannt und mit Narben übersät schien, als wären sie gerade aus einem unsichtbaren Feuer gekrochen. Kriss konnte sogar riechen, wie ihr Fleisch verbrannt und verwesend stank, als sie näherkamen.
Er fürchtete sich so sehr, dass er rückwärts über den hohen Felsbrocken kletterte und auf der anderen Seite herunterfiel, wobei er auf einer Ansammlung von kleinen, scharfen Steinen landete, die wie Stacheln aus dem Boden ragten. Als er erkannte, dass seine Haut an mehreren Stellen zerschnitten worden war, bemühte er sich, sich von den Steinen zu entfernen, ohne sich noch mehr zu verletzen.
In dem Moment, als der Geruch seines unbefleckten Blutes durch den Wind zu den Dämonen getragen wurde, konnte er hören, wie ihre Klauen sich schneller über den Fels bewegten, als sie mit mehr Eile zu ihm kletterten, und einige dumpfe Geräusche zeigten, dass einige von ihnen einfach gesprungen waren, um als erste bei ihm anzukommen.
Die Stille war nun weg… ihre verstörenden Schreie hallten von den Felsen wieder, sodass es klang, als wären da noch viel mehr, als sie tatsächlich waren.
Als er über die Felsbrocken kletterte um zu entkommen, schaffte er es nur, seine Kleidung und seine Haut noch weiter zu zerreißen, ehe er endlich auf festem Boden ankam und sicher stehen konnte.
Kriss drehte sich einmal im Kreis und erkannte, dass es zu spät war um wegzulaufen… er war umzingelt von Dämonen und sie waren so viel größer als seine kindliche Größe. Er stand wie angewurzelt da, als lange Finger mit langen Klauen sich von hinten um sein Gesicht schlossen. Die scharfen Klauen zerschnitten seine Nase und seine weichen Wangen, als der Dämon ihn rückwärts zog und dann plötzlich in die Luft riss, als würde er den anderen Dämonen eine Trophäe präsentieren.
Er hatte in seiner Welt nie kämpfen müssen und Dean hatte es ihm in dieser Welt nicht erlaubt zu kämpfen. Einen kurzen Moment lang fragte er sich, ob es nicht besser wäre, sich von ihnen umbringen zu lassen, als an diesem furchterregenden Ort alleine zu sein. Der Gedanke verschwand sofort, als der Schmerz ihn plötzlich aus seinem Schock erwachen ließ und sein Überlebensinstinkt in Aktion trat.
Mit tränenverschwommenem Blick gewann Kriss mit Mühe seinen ersten Kampf auf Leben und Tod. Stille herrschte wieder über dem Land und er schielte gerade rechtzeitig hinunter auf seine Hand, um zu sehen, wie sein leuchtendes Schwert aus seinen blutigen Fingern verschwand.
Nachdem er fühlte, wie etwas seine andere Hand schwer machte, drehte er langsam seinen Blick dorthin und sah dämonische Augen, die ihn starr anstarrten. Seine Hand war im Maul des Dings… seine Finger um sein Kiefer geschlungen… er wusste nicht, wo der Rest des Körpers war. Unabsichtlich zerkratzte er sich seine Fingerknöchel an den scharfen Zähnen, als er seine Hand wild schüttelte, um sie aus dem Maul des Dämons zu befreien, dann sah er zu, wie der Kopf zu Boden fiel.
Kriss fühlte nichts, als der Schädel von ihm wegrollte, bis er an einem Felsen hängenblieb, der ihm sein hässliches Auge zerstach. Er hörte jemanden lachen, aber entschied dann, dass es von irgendwo in ihm gekommen sein musste, denn alles um ihn herum war tot.
Nachdem er den Gestank und den Anblick ihrer verstümmelten Körper nicht länger ertragen konnte, drehte er sich um und wankte benommen in die Richtung davon, in der das Licht gerade über den Hügeln in der Ferne erschien.
Kriss wusste nicht, wie lange er gelaufen war… oder wie viele Tage vergangen waren, bis er ein merkwürdiges Geräusch hörte, wie rhythmisches Stampfen, das irgendwo vor ihm ertönte. Er war dort gestanden, taumelnd, hatte versucht, nicht zu weinen, als er darauf wartete, zu sehen ob er wieder kämpfen würde müssen. Dämonenblut… er konnte es riechen.
Es dauerte nicht lange, bis er einen Menschen sah, der auf einem Tier in seine Richtung ritt. Teile des Körpers des Mannes waren von einer Art gewebtem Metall bedeckt und Kriss konnte ein langes Schwert sehen, das er am Rücken trug… der Griff davon ragte über seine Schulter, damit er es schnell ziehen konnte. Nachdem er auf dem Mann kein Blut sehen konnte, erkannte er, dass er selbst über und über bedeckt war von Dämonenblut… schon die ganze Zeit.
Das war sein erstes Treffen mit Vincent gewesen. Sie hatten einander angestarrt, als der Mann sich genähert hatte und Kriss schnell ein paar Schritte rückwärts gegangen war. Vincent war von dem großen Tier gestiegen aber Kriss‘ ängstlicher Blick hing an dem gefährlich aussehenden Schwert fest.
„Vertraue niemandem außer mir.“ Die Erinnerung an Deans Stimme hallte warnend durch seinen Kopf und Kriss drehte sich um, um wegzulaufen.
„Warte… lauf nicht weg“, hatte Vincent gerufen.
Der Klang seiner Stimme hatte Kriss an Dean erinnert, sodass er nicht mehr wusste, was er tun sollte. Er hatte es satt, nichts zu verstehen und auf sich selbst gestellt zu sein. Er schielte zurück, um sicherzugehen, dass der Mann nicht sein Schwert gezogen hatte.
Vincent seufzte erleichtert, als das Kind stehenblieb und mit einer Mischung aus Neugier und Skepsis zu ihm zurücksah. Die letzten Dörfer, an denen er vorbeigekommen war, waren nur blutiges Chaos gewesen und er hatte bisher keine Überlebenden gefunden. Obwohl er dreckig und mit Blut beschmiert war… schien der Junge gesund und sehr verängstigt zu sein, woraus er schloss, dass er wirklich ein Überlebender aus einem der Dörfer sein musste.
„Wo sind deine Eltern?“, fragte er mit besorgter Stimme, in der Hoffnung, dass er damit das Vertrauen des Kindes gewinnen können würde.
Wo waren seine Eltern? Die Frage hatte Kriss sehr traurig gemacht. Sein Vater war nicht einmal in dieser Dimension und hatte ihn inzwischen wahrscheinlich schon völlig vergessen… Dean hatte ihn verlassen und war nicht zurückgekehrt. Kriss fühlte die Wärme von Tränen über seine Wangen kriechen. Die einzige Antwort, die er geben konnte, war ein schwaches Kopfschütteln, als er sich zu dem Mann umdrehte.
„Bist du verletzt?“, fragte Vincent, als er sich vor Kriss hinkniete, um den Jungen durch seine Größe nicht zu verängstigen… er konnte nicht älter als neun oder zehn sein. Langsam hob er seine Hand und legte sie auf die schmutzige Wange des Kindes, wischte mit seinem Daumen die Tränen weg.
Kriss erinnerte sich daran, was der Mensch von ihm denken musste, wenn er ihn ansah… dass er blutverschmiert war und seine Kleider zerfetzt. Nachdem die meisten seiner Verletzungen mittlerweile verheilt waren, und er wusste, dass er dem Menschen nicht erzählen durfte, was wirklich geschehen war, antwortete er mit der einzigen Wahrheit, die er teilen konnte.
„Ich bin jetzt ganz alleine.“ Dann hatte er wirklich zu weinen begonnen… lautes Schluchzen vermischt mit Schluckauf, sodass Vincent seine Arme um ihn geschlungen hatte… geflüstert hatte, dass jetzt alles wieder gut war… dass er ihn beschützen und für ihn sorgen würde.
Und Vincent hatte ihn beschützt… war so weit gegangen, sein eigenes Leben für ihn zu opfern.
Der Schmerz einer Glasscherbe, die durch seine Hand schnitt, brachte Kriss zurück in die Gegenwart. Er öffnete seine Faust und sah das Glas, das in seiner Hand steckte.
Das war es, was Dean vorfand, als er nach seiner Dusche aus dem Badezimmer trat. Er runzelte die Stirn, als er sah, wie Kriss ein Stück Glas aus seiner Hand zog. Indem er die Tür fest hinter sich zuknallte, brachte er den anderen Gefallenen Engel dazu, zusammenzuzucken und ihre Blicke trafen sich über das spiegelnde Fenster. Er war nicht in der Stimmung, zuzusehen, wie sein Liebhaber nun wieder um die Person trauerte, in die er sich als Kind verknallt hatte. Einmal war mehr als genug gewesen.
Kriss atmete tief ein, versuchte, den Schmerz in seiner Brust zu beruhigen. „Ich hatte nie gedacht, dass ich ihn wiedersehen würde, Dean. Ein Teil von mir hat wirklich gehofft, dass er mir mittlerweile vergeben hat. Ich hatte nur versucht, sein Leben zu retten.“
„Er war sterblich, Kriss. Du hast viel mehr gemacht, als einfach sein Leben zu retten, und du weißt es“, sagte Dean tonlos. „Wegen dir kann er nun den Schmerz des Todes für alle Ewigkeiten erfahren und wieder zum Leben erwachen, um sich darüber zu beschweren. Der Geist eines Menschen hat Grenzen. Daher ist ihre Lebensspanne so kurz.“
„Ich weiß“, knurrte Kriss. „Du hast nie gezögert, mich an diese Tatsache zu erinnern. Ich habe eine egoistische Entscheidung getroffen, aber ich war alleine in einer Welt, wo die Dämonen herumspazierten, wie es ihnen gefiel, und ich dachte, dass du nicht mehr zurückkommen würdest. Du warst so lange weg, dass ich Angst hatte, dass die Dämonen dich getötet hatten… ich wollte nicht auch ihn verlieren.“
Dean seufzte und versuchte, sein Temperament zu kontrollieren. „Du hättest es gewusst, wenn mir etwas zugestoßen wäre, also war deine Angst unbegründet.“
„Ich war ein Kind, Dean“, entgegnete Kriss böse. „Alles, was ich wollte, war jemanden, der für mich sorgte, und für den ich sorgen konnte.“
„Du bist so sentimental“, warf Dean ihm vor, denn ihm war sehr wohl bewusst, dass der jugendliche Prinz sich während seiner Abwesenheit in den Ritter verliebt hatte. Diese Tatsache war für ihn sehr schwer zu schlucken gewesen, als er zugesehen hatte, wie Kriss seiner verlorenen Liebe nachtrauerte. Er knirschte mit den Zähnen, fragte sich, ob Kriss nun wieder von seiner Jugendliebe besessen sein würde.
Kriss warf die Flasche Heat durch das Zimmer, sodass Dean sich leicht zur Seite beugte, um nicht getroffen zu werden. „Lass mich in Ruhe, Dean.“
Dean spannte seine Schultern an. „Da haben wir unseren verzogenen Prinzen in all seiner himmlischen Herrlichkeit.“
Ohne ein weiteres Wort warf Kriss sich selbst auf Dean, eine Faust geballt, um sie geradewegs in das Gesicht des anderen Gefallenen Engels zu boxen.
Dean war auf den Angriff vorbereitet und fing mit einer Hand Kriss‘ Faust auf und hielt ihn mit der anderen Hand am Kragen seines Hemds fest. Mit wenig Mühe nutzte Dean den Schwung von Kriss‘ Wut gegen ihn und wirbelte ihn herum, sodass der Prinz in den Boden krachte. Mehrere Knöpfe schlitterten über den Parkettboden und Kriss‘ Hemd blieb halb offen hängen.
„Willst du es noch einmal versuchen?“, fragte Dean mit einem bösen Blick. „Ich kann das die ganze Nacht machen.“
Kriss ließ sich am Boden zurücksinken, als würde er aufgeben, dann plötzlich rammte er seine Faust in Deans Wange, sodass der Kopf des Gefallenen Engels grob zur Seite gedreht wurde.
„Natürlich kannst du das nicht verstehen!“, schrie Kriss, als er Dean fest in den Magen trat, um ihn von sich zu stoßen. „Dir war es immer gleichgültig, ob du alleine warst, oder nicht. Du hast das bewiesen, indem du dich einfach davongeschlichen hast, um Selbstmord zu begehen, wann war das… gestern? Wenn das Ambrosia an Gefallenen Engeln wirken würde, hätte ich es dir schon in deinen egoistischen Hals gegossen und würde es nicht bedauern, dich dann umzubringen.“