
Полная версия
Der kleine Ritter
»Das ist eine vornehme Dame,« dachte er, »die eine herrliche Seele haben muß; die andere dafür ist ein wahrer Bursche!«
Der Vergleich war treffend.
Fräulein Jesiorkowska war um viele Jahre älter als Fräulein Drohojowska; sie war überhaupt zierlich, wenn auch nicht hager, rot wie eine Rosenknospe, mit blondem Haar; ihr Haar war offenbar nach einer Krankheit abgeschnitten und unter einem goldenen Netz verborgen. Aber diese Haare saßen auf einem unruhigen Köpfchen und wollten sich auch nicht ruhig verhalten; immer sahen sie mit den Enden durch alle Maschen des Netzes heraus und bildeten über der Stirn einen ungeordneten hellen Schopf, der bis auf die Brauen herunterfiel, was bei den feurigen, unruhigen Augen und der herausfordernden Miene dieses rosigen Gesichtchens an das Aussehen eines Schulknaben erinnerte, der nur darauf lauert, ungestraft einen Streich zu vollführen. Sie war so hübsch und frisch, daß man kaum die Blicke von ihr wenden konnte. Sie hatte ein feines Stumpfnäschen mit beweglichen, beständig tätigen Nasenflügeln, Grübchen in den Wangen und ein Grübchen am Kinn – Anzeichen eines heiteren Wesens. Aber jetzt saß sie ernst da und ließ sich's wohl schmecken, während ihre Augen umherschweiften, bald um Herrn Sagloba, bald um Herrn Wolodyjowski zu betrachten, die sie mit fast kindlicher Neugier wie Wunderdinge ansah.
Wolodyjowski schwieg, denn obgleich er empfand, daß er die Pflicht habe, Fräulein Drohojowska zu unterhalten, wußte er doch nicht, womit er anfangen solle. Der kleine Ritter war überhaupt nicht geschickt im Umgang mit Frauen, und jetzt war ihm die Seele um so trauriger, als die Mädchen ihm lebhaft die geliebte Verstorbene ins Gedächtnis zurückriefen.
Sagloba indes unterhielt die Frau Truchseß, indem er ihr von seinen und von Michaels Taten erzählte. Mitten im Abendbrot kam er auf die Erzählung, wie er einst mit der jungen Fürstin Kurzewitsch und mit Rzendzian zu vieren vor einer ganzen Tatarenschar floh, und wie er endlich, um die Fürstin zu retten und die Verfolgung abzuhalten, sich zu zweit auf die Schar gestürzt habe.
Fräulein Jesiorkowska vergaß das Essen ganz; sie stützte ihr Kinn auf die Hand und horchte auf, indem ihr Stirnhaar sich bewegte, ihre Augen blinzelten und ihre Finger bei den interessantesten Stellen schnalzten.
»Aha, aha,« wiederholte sie, »und dann, und dann?«
Bis er zu der Stelle kam, wo Kuschels Dragoner plötzlich zu Hilfe geeilt kamen, den Tataren im Nacken saßen und sie eine halbe Meile weit niederschlugen – da konnte es Fräulein Jesiorkowska nicht länger aushalten. Sie schlug aus voller Kraft die Hände zusammen und rief:
»Da wäre ich für mein Leben gern dabei gewesen!«
»Baschka!«5 rief die wohlbeleibte Frau Makowiezka mit ausgeprägtem russischen Accent, »du bist ja hier unter feinen Leuten, du mußt dir solche Worte abgewöhnen: für mein Leben. Es hätte nur noch gefehlt, daß du gesagt hättest: daß mich eine Kugel treffe!«
Das Mädchen lachte mit einem frischen, silberhellen Lachen und schlug sich plötzlich auf die Knie.
»Ei, daß mich eine Kugel treffe, Tantchen!«
»Du lieber Gott, die Ohren tun mir weh! Bitte die ganze Gesellschaft um Verzeihung!« rief die Frau Truchseß.
Da sprang Baschka, da sie ihre Abbitte bei der Frau Truchseß beginnen wollte, von ihrem Platze auf, warf aber zugleich Messer und Löffel unter den Tisch und verschwand sogleich hinterher, um sie aufzuheben.
Die rundliche Frau Truchseß konnte ihr Lachen nicht mehr zurückhalten, und sie hatte ein seltsames Lachen. Denn erst begann sie sich zu schütteln und lebhaft hin und her zu wiegen, und dann piepste sie mit dünner Stimme. Alle wurden heiter, Sagloba war entzückt.
»Seht, meine Herren, was ich mit diesem Mädchen durchmache,« wiederholte die Frau Truchseß und schüttelte sich.
»Ein wahres Entzücken, so wahr ich lebe!« sagte Sagloba.
Inzwischen war Baschka unter dem Tisch hervorgekrochen; Löffel und Messer hatte sie gefunden, aber sie hatte das Netz vom Kopfe verloren, das Haar fiel ihr über die Augen.
Sie richtete sich gerade auf, bewegte die Nasenflügel und sagte:
»Aha, die Herrschaften lachen über meine Verwirrung?«
»Niemand lacht,« sagte Sagloba im Tone der Überzeugung, »niemand lacht! Wir freuen uns nur, daß uns Gott in Eurer Person Freude gesandt hat.«
Nach dem Abendbrot gingen sie in das Wohnzimmer. Als Fräulein Drohojowska dort die Laute an der Wand bemerkte, nahm sie sie herab und fing an zu klimpern. Wolodyjowski bat sie, zur Laute zu singen. Sie antwortete mit Einfachheit und Liebenswürdigkeit:
»Sehr gern, wenn ich vermag, die Sorge aus Eurer Seele zu verscheuchen.«
»Ich danke,« antwortete der kleine Ritter und erhob seine Augen dankbar zu ihr.
Kurz darauf ertönte der Gesang:
»O glaubet, Ihr Ritter,Wohl gehet in SplitterAuch Panzer und Stahl,Durch Eisen und SchildeTrifft Amor der WildeIns Herz – ohne Wahl!«»Ich weiß wirklich nicht, wie ich Euch danken soll,« sagte Sagloba, der in der Nähe der Frau Truchseß saß und beständig ihre Hände küßte, »weil Ihr selbst gekommen seid, und weil Ihr so artige Mädchen mitgebracht habt, daß die Grazien selber ihre Zofen sein könnten. Ganz besonders ist mir der kleine Heiduck ans Herz gewachsen, denn die Schelmin versteht so vortrefflich, trübe Gedanken zu verjagen, wie der Fuchs das Wiesel. Denn was sind trübe Gedanken anders als Mäuse, welche die Körner der Fröhlichkeit zernagen, die in unserem Herzen aufgehen sollten? Ihr müßt nämlich wissen, verehrte Frau, daß unser alter König Johann Kasimir meine comparationes so gerne hatte, daß er nicht einen Tag ohne dieselben sein konnte. Ich mußte auch Parabeln und weise Maximen für ihn ersinnen, die er sich immer vor Nacht wiederholen ließ, und nach welchen er seine Politik richtete. Aber das ist eine andere Materie. Ich habe das Vertrauen, daß auch unser Michael bei solchem Ergötzen sein unglückseliges Mädchen ganz und gar vergißt; Ihr wißt nicht, verehrte Frau, daß ich ihn erst vor einer Woche von den Kamaldulensern herausgeholt habe, wo er schon das Gelübde leisten wollte. Aber ich habe mir die Erlaubnis des Nuntius selber ausgewirkt, der dem Prior ansagte, daß er das ganze Kloster zu den Dragonern stecken würde, wenn sie den Michael nicht sofort herausgäben. Er gehörte nicht dorthin … Gott sei Dank, Gott sei Dank, ich kenne ihn! Wenn nicht heute, so wird morgen eine von diesen beiden solche Funken aus ihm schlagen, daß davon das Herz wie ein Schwämmchen sich entzündet.« Inzwischen sang Fräulein Drohojowska weiter:
»Und muß vor den StreichenDes Lockeren weichenDer tapfere Mann —Die hilflosen FrauenErfüllet mit GrauenDer kleine Tyrann.«»Die Frauen fürchten diese Wunden so wie der Hund den Speck,« flüsterte Sagloba der Frau Truchseß zu; »aber gesteht, daß Ihr diese beiden Vögelchen nicht ohne verborgene Absichten mit hierhergebracht habt. Prächtige Mädchen, besonders der kleine Heiduck! Bei meinem Leben, Michael hat ein schlaues Schwesterchen, was?«
Frau Makowiezka machte wirklich ein sehr schlaues Gesicht, das übrigens gar nicht zu ihrem einfältigen, redlichen Aussehen paßte, und sagte:
»Man hat so über dies und jenes nachgedacht, wie es uns Frauen ja gewöhnlich nicht an Schlauheit fehlt. Mein Mann soll hier zur Wahl herkommen, und ich habe die Mädchen vorher mitgenommen, weil die Tataren jeden Augenblick kommen können. Sollte aber daraus etwas Glückliches für Michael entstehen, so gelobe ich eine Wallfahrt zu Fuß zu einem Wunderbilde.«
»Es wird geschehen,« sagte Sagloba.
»Beide Mädchen sind aus großem Hause, beide vermögend, und das bedeutet etwas bei den heutigen schweren Zeiten …«
»Mir brauchte man so etwas nicht zweimal zu sagen. Michaels Vermögen hat der Krieg verzehrt, obwohl ich weiß, daß er ein paar Groschen bei großen Herren stehen hat. Wir haben manchmal ausgezeichnete Beute gemacht, und obgleich das dem Hetman abgeliefert wurde, so wurde doch manches davon geteilt, wie man bei uns Soldaten sagt, frisch vom Säbel weg. Auf Michaels Teil kam manchmal so viel, daß, wenn er alles hätte aufbewahren wollen, er heute ein schönes Vermögen hätte. Aber der Soldat denkt nicht an das Morgen und genießt das Heut', und Michael hätte alles durchgebracht, wenn ich ihn nicht immer zurückgehalten hätte. Ihr sagt also, gnädige Frau, daß die Mädchen von hohem Stande seien?«
»In der Drohojowska fließt Senatorenblut. Zwar unsere Grenzkastellane sind nicht gerade Krakauer, und es gibt manchen, von dem man in der Republik nicht spricht; aber wer doch einmal auf dem Senatorenstuhl gesessen hat, der vererbt auch seinen Glanz seinen Nachkommen. Was aber die Ahnen betrifft, so steht die Jesiorkowska fast noch höher als die Drohojowska …«
»Ich bitte, bitte, ich selbst leite meinen Stammbaum von einem Könige der Massageten her, und darum höre ich gern von Stammbäumen.«
»Aus einem so hohen Neste ist nun die Jesiorkowska nicht, aber wenn Ihr hören wollt … denn wir hier von unseren Gegenden können jedermanns Haus an den Fingern herzählen … Nun, sie ist eine Verwandte der Potozkis, der Jaslowizkis und der Laschtschs. Seht, das war so …«
Hier richtete die Frau Truchseß die Falten ihres Kleides und setzte sich bequemer, um in der beliebten Erzählung sich nicht unterbrechen zu müssen; dann breitete sie die Finger der einen Hand aus, bereitete den Zeigefinger der anderen zur Aufzählung der Urväter und Urmütter vor und begann:
»Die Tochter des Herrn Jakob Potozki, Elisabeth, von seiner zweiten Frau Jaslowizka, heiratete Herrn Johann Smiotanko, den Bannerträger von Podolien …«
»Ich hab's mir gemerkt,« sagte Sagloba.
»Aus dieser Ehe wurde Herr Nikolaus Smiotanko geboren, gleichfalls Bannerträger von Podolien.«
»Hm, schönes Amt.«
»Dieser war verheiratet in erster Ehe mit Dorohosto … nein, mit einer Roschynska … nein, mit einer Woronitsch … ei daß doch, ich hab's vergessen!«
»Gott hab' sie selig, wie sie auch geheißen hat,« sagte Sagloba ernst.
»In zweiter Ehe heiratete er eine Laschtsch.«
»Welches waren die Konsequenzen dieser Ehe?«
»Die Söhne starben ihnen.«
»Jede Freude dieser Welt ist zweifelhaft.«
»Und von den vier Töchtern hat die jüngste, Anna, einen Jesiorkowski geheiratet, der zuletzt, wenn ich nicht irre, Schwertträger von Podolien war.«
»Ja, das war er, ich erinnere mich,« sagte Sagloba mit voller Sicherheit.
»Aus dieser Ehe, seht Ihr, stammt Baschka.«
»Ich erkenne das auch daraus, daß sie in diesem Augenblick mit Ketlings Mörser zielt.«
Fräulein Drohojowska und der kleine Ritter waren im tiefen Gespräch, und Fräulein Baschka zielte wirklich zum Vergnügen mit dem Mörser in der Richtung des Fensters.
Frau Makowiezka begann bei diesem Anblick zu zittern und zu kreischen.
»Sie können sich gar nicht vorstellen, was ich mit diesem Mädchen leide; der reine Heidemak!«
»Wenn doch alle Heidemaken so wären – ich ginge bald zu ihnen.«
»Sie hat nichts im Kopf als Waffen, Pferde, Krieg. Einmal lief sie aus dem Hause zur Jagd auf Enten mit der Flinte. Sie kommt mitten in das Röhricht und sieht, das Röhricht bewegt sich auseinander, und der Kopf eines Tataren taucht auf, der sich durch das Röhricht in das Dorf schleichen wollte. Eine andere wäre erschrocken, aber das Ding, – wie es Euch losschießt, und der Tatar, patsch! ins Wasser auf der Stelle. Denkt Euch, sie hat ihn hingestreckt! Und womit? Mit Entenschrot!«
Hier begann Frau Makowiezka wieder sich zu schütteln und zu lachen über das Abenteuer mit dem Tataren; dann fügte sie hinzu:
»Aber was wahr ist: sie hat uns alle gerettet, denn es war eine ganze Schar im Anzuge. Da sie aber zurückkam und Alarm schlug, hatten wir Zeit, mit dem ganzen Gesinde in den Wald zu flüchten. Bei uns geht's immer so.«
Saglobas Gesicht glänzte in solchem Entzücken, daß er sogar einen Augenblick das Auge schloß; dann sprang er auf, eilte zu dem Mädchen hin und küßte es, ehe es sich's versah, auf die Stirn.
»Das von einem alten Soldaten für den Tataren im Röhricht!« sagte er.
Das Mädchen warf kühn seinen blonden Kopf zurück.
»Was? Ich habe es ihm eingetränkt!« rief es mit seiner frischen Kinderstimme, die so seltsam klang bei dem Inhalt ihrer Worte.
»Du mein lieber, kleiner Heidemak!« sagte Sagloba gefühlvoll.
»Aber was bedeutet so ein Tatar! Ihr Herren habt ihrer tausend niedergehauen, und Schweden und Deutsche und die Ungarn Rakoczys! Was bedeute ich neben euch, neben solchen Rittern, die ihresgleichen in der ganzen Republik nicht haben. Ich weiß wohl, oho!«
»Wir lehren Euch den Degen führen, wenn Ihr solchen Mut habt. Ich bin schon ein wenig schwerfällig; aber Michael, er ist auch ein Meister.«
Das Mädchen sprang bei diesem Vorschlag in die Höhe, dann küßte es Sagloba auf den Arm, knickste dem kleinen Ritter zu und sagte: »Ich danke für das Versprechen! – ein wenig kann ich's schon.«
Wolodyjowski aber war im tiefen Gespräch mit Christine Drohojowska; er antwortete daher zerstreut:
»Wie Ihr befehlt, mein Fräulein.«
Sagloba setzte sich wieder mit strahlendem Gesicht zur Frau Truchseß.
»Meine liebe gnädige Frau,« sagte er, »ich weiß sehr wohl, wie süß türkische Früchte sind, denn ich habe lange Jahre in Stambul gehaust; aber auch das weiß ich, daß es viele gibt, die ihrer begehren. Wie kommt es, daß noch niemand dieses Mädchen begehrt hat?«
»Du lieber Gott, es gibt die Menge, die beiden den Hof machten. Baschka nennen wir im Scherz die Witwe von drei Männern, denn drei würdige Kavaliere haben gleichzeitig um sie gefreit, alles Edelleute aus unserer Gegend, Besitzer, deren verwandtschaftliche Beziehungen ich Euch auch ganz genau nennen kann.«
Bei diesen Worten breitete die Frau Truchseß wieder die Finger ihrer linken Hand aus und legte den Zeigefinger der Rechten an. Sagloba aber fragte so schnell als möglich:
»Und was ist aus ihnen geworden?«
»Alle drei haben im Kriege ihr Leben gelassen, deshalb nennen wir Bärbchen auch die Witwe.«
»Seht, das ist bei uns etwas Alltägliches, und selten erreicht jemand bei uns ein hohes Alter und stirbt eines natürlichen Todes. Man sagt sogar, es zieme einem Edelmann gar nicht anders, als auf dem Schlachtfelde zu sterben. Wie Bärbchen das ertragen hat?«
»Sie hat ein wenig geweint, die Arme, am meisten im Stall, denn wenn sie etwas quält, so pflegt sie immer in den Stall zu gehen. Ich ging ihr also einmal nach und fragte: »Wem gelten deine Tränen?« und sie antwortete: »Allen dreien.« Aus der Antwort konnte ich bald merken, daß ihr keiner besonders ans Herz gewachsen war. Und so denke ich auch, da ihr Kopf noch mit anderen Dingen voll ist, fühlt sie noch gar nicht den Willen Gottes. Christine schon mehr, aber Bärbchen nicht im entferntesten.«
»Sie wird ihn fühlen,« sagte Sagloba, »wir verstehen das am besten; sie wird ihn fühlen, sie wird ihn fühlen!«
»Das ist unsere Bestimmung,« antwortete die Frau Truchseß.
»Das eben ist es, Ihr habt mir diese Worte aus dem Munde genommen!«
Das weitere Gespräch unterbrach die Annäherung der jüngeren Gesellschaft. Der kleine Ritter hatte schon alle Verlegenheit Christinen gegenüber abgelegt, und sie beschäftigte sich offenbar aus Herzensgüte mit ihm und mit seinem Leide, wie ein Arzt sich mit einem Kranken beschäftigt, und vielleicht erwies sie ihm gerade darum mehr Freundlichkeit, als ihre kurze Bekanntschaft sonst gestattet hätte. Da aber Michael ein Bruder der Frau Truchseß war, und das Mädchen eine Verwandte ihres Mannes, so wunderte das niemand. Bärbchen indessen blieb gewissermaßen beiseite, nur Sagloba schenkte ihr seine beständige Aufmerksamkeit; im übrigen schien ihr das alles gleichgültig zu sein, ob sich jemand mit ihr beschäftige oder nicht. Anfangs betrachtete sie beide Ritter mit Bewunderung; aber mit gleicher Bewunderung betrachtete sie auch Ketlings prächtige Waffen, die an den Wänden herumhingen. Dann begann sie ein wenig zu gähnen, dann fielen ihr die Augen immer mehr und mehr zu, und endlich sagte sie: »Wenn ich mich jetzt schlafen lege, so wache ich gewiß nicht vor übermorgen auf.«
Nach diesen Worten trennten sich bald alle, denn die Frauen waren sehr wegmüde und warteten nur auf die Herrichtung der Betten. Als Sagloba sich endlich mit Wolodyjowski allein befand, begann er erst vielsagend mit den Augen zu zwinkern, dann traktierte er den kleinen Ritter mit einem Hagel leichter Rippenstöße.
»Michael, was Michael – he? Wie die Rüben! Was? Mönch willst du werden? Was? Und die Drohojowska, die zuckersüße Rübe, und der kleine Heiduck, der rosige, was sagst du dazu, Michael?«
»Was? – nichts!« antwortete der kleine Ritter.
»Ganz besonders hat mir der kleine Heiduck gefallen. Das kann ich dir sagen, als ich beim Abendessen neben ihr saß, schlug mir von ihr eine solche Glut entgegen wie vom Ofen.«
»Sie ist eine wilde Ziege! Die andere ist doch gesetzter.«
»Die Drohojowska ist eine ungarische Flamme, eine echte ungarische Flamme! Aber die andere ist eine kleine Ruß; bei Gott, wenn ich Zähne hätte … ich will sagen, wenn ich eine solche Tochter hätte – nur dir würde ich sie geben! Eine süße Mandel, sage ich dir, eine süße Mandel!«
Wolodyjowski wurde plötzlich traurig, denn ihm kamen die Kosenamen in Erinnerung, welche Sagloba Ännchen Borschobohota zu geben pflegte; wie lebend stand sie plötzlich vor seinem geistigen Auge: ihre Gestalt, ihr zierliches Gesicht, ihre dunklen Zöpfe, ihre Heiterkeit, ihr Geplauder, ihr Blick. Diese beiden waren jünger, aber die andere war ihm doch zehnmal lieber als alle jüngeren.
Der kleine Ritter verbarg das Gesicht in den Händen, und es erfaßte ihn eine Traurigkeit, die um so größer war, als sie unerwartet kam.
Sagloba war erstaunt; eine Zeitlang schwieg er und blickte unruhig um sich, endlich sagte er:
»Michael, was ist dir? Sprich um Gottes willen!«
Wolodyjowski sprach: »So viele leben, so viele sind in der Welt, nur mein Lämmchen ist nicht da, nur sie allein werde ich nimmer wiedersehen!«
Dann raubte der Schmerz ihm die Stimme, er stützte die Stirn auf die Lehne der Bank und hauchte durch die schmerzlich zusammengezogenen Lippen:
»Gott, Gott, Gott!«
Fräulein Bärbchen ließ jedoch Wolodyjowski nicht locker, daß er sie das »Fechten« lehre, und er sagte nicht Nein, denn nach wenigen Tagen, wenn er auch Fräulein Drohojowska immer lieber hatte, gewann er doch auch Bärbchen sehr lieb; es war aber auch nicht gut möglich, sie nicht gern zu haben.
Eines Morgens begann denn auch der erste Unterricht, hauptsächlich durch Bärbchens Ruhmredigkeit hervorgerufen und durch ihre Versicherungen, daß sie diese Kunst schon recht gut verstehe, und daß nicht jeder Beliebige ihr standhalten könne.
»Alte Soldaten waren meine Lehrer,« sagte sie, »an denen ist bei uns kein Mangel, und es ist doch bekannt, daß nichts über unsere Fechter geht … ja, es ist noch eine Frage, ob ihr Herren dort nicht euresgleichen finden würdet.«
»Was Ihr sagt, Fräulein!« rief Sagloba. »Wir haben in der ganzen Welt nicht unseresgleichen.«
»Ich wünschte, es zeigte sich, daß ich euresgleichen bin; ich hoffe es nicht, aber ich wünschte es.«
»Im Schießen aus dem Terzerol würde auch ich mich versuchen,« sagte Frau Makowiezka lächelnd.
»Bei Gott, es wohnen wohl lauter Amazonen in Euren Gegenden?« sagte Sagloba. Und er wandte sich an Fräulein Drohojowska: »Und welche Waffe führt Ihr am besten, mein Fräulein?«
»Gar keine,« antwortete Fräulein Christine.
»Aha, gar keine!« rief Bärbchen und begann zu singen, indem sie Christinen spöttelnd nachahmte:
»O glaubet, Ihr Ritter,es geht in SplitterWohl Panzer und Stahl,Durch Eisen und SchildeTrifft Amor der WildeIns Herz – ohne Wahl.«»Das ist die Waffe, die Ihr führt. Fürchtet euch nicht,« fügte sie hinzu, zu Wolodyjowski und Sagloba gewendet, »sie ist auch kein übler Kämpfer.«
»Legt aus, Fräulein,« sagte Michael, um eine kleine Verwirrung zu verbergen.
»Bei Gott, wenn sich jetzt zeigte, was ich denke,« rief Bärbchen und wurde rot vor Freude.
Und sie nahm sofort ihre Stellung ein, einen leichten polnischen Säbel in der Rechten, die linke Hand auf den Rücken gelegt, die Brust heraus, den Kopf hoch, die Nasenflügel lebhaft bewegend und war so hübsch und rosig, daß Sagloba der Frau Truchseß zuflüsterte:
»Keine Flasche, und sei sie mit hundertjährigem Ungar gefüllt, würde mich so mit ihrem Anblick entzücken.«
»Gebt acht, Fräulein,« sagte Wolodyjowski, »ich werde mich nur verteidigen, nicht schlagen. Ihr, Fräulein, greift an, wie es Euch gefällt.«
»Gut, wenn Ihr wollt, daß ich aufhöre, so sagt nur ein Wörtchen.«
»Es könnte auch so aufhören, wenn ich nur wollte.«
»Wieso, was?«
»Einem solchen Kämpfer würde ich leicht das Säbelchen aus der Hand schlagen.«
»Wir werden sehen.«
»Wir werden es nicht sehen, denn ich werde es aus Höflichkeit nicht tun.«
»Es bedarf keiner Höflichkeit, tut es nur, wenn Ihr es könnt. Ich weiß, daß ich weniger kann als Ihr, aber das laß ich doch nicht geschehen.«
»Ihr gestattet also?«
»Ich gestatte.«
»Laßt das doch, geliebter kleiner Heiduck,« sagte Sagloba, »er hat es mit dem größten Meister aufgenommen.«
»Wir werden sehen,« wiederholte Bärbchen.
»Fangen wir an,« sagte Wolodyjowski, ein wenig unwillig über das Selbstlob des Mädchens.
Sie fingen an.
Bärbchen schlug mächtig zu und hüpfte dabei wie ein Heupferdchen. Wolodyjowski stand fest auf seinem Platze und machte nach seiner Gewohnheit kleine, kurze Bewegungen mit dem Degen, nicht besonders auf den Angriff achtend.
»Ihr wehrt Euch gegen mich wie gegen eine lästige Fliege!« rief Bärbchen gereizt.
»Ich nehme es nicht mit Euch auf, ich unterrichte Euch nur,« erwiderte der kleine Ritter. »Sehr gut so, für ein weibliches Wesen gar nicht übel; ruhiger mit der Hand!«
»Für ein weibliches Wesen? Dies, mein Herr, für das weibliche Wesen! So! Und so!«
Aber Michael blieb, obwohl Bärbchen ihre vorzüglichsten Streiche geführt hatte, ruhig und unbewegt, er fing sogar absichtlich mit Sagloba zu plaudern an, um zu zeigen, wie wenig er sich um ihre Hiebe kümmere.
»Geht doch vom Fenster fort, denn dem Fräulein ist's zu finster, und wenn auch der Säbel größer ist als eine Nadel, so hat das Fräulein doch weniger Erfahrung mit dem Säbel als mit der Nadel.«
Bärbchens Nasenflügel bewegten sich noch aufgeregter hin und her, und ihr Stirnhaar fiel ganz über die blitzenden Äuglein.
»Ihr spottet meiner?« fragte sie schwer atmend.
»Nicht über Eure Person, Gott bewahre!«
»Ich kann Herrn Michael nicht leiden!«
»Da hast du deinen Lohn, Schulmeister,« antwortete der kleine Ritter.
Dann wandte er sich wieder zu Sagloba.
»Wahrhaftig, es beginnt zu schneien!«
»Schnee – Schnee – Schnee!« wiederholte Bärbchen höhnisch.
»Genug, Bärbchen, du kannst kaum noch atmen!« warf Frau Truchseß ein.
»Nun, Fräulein, haltet den Degen fest, sonst schlage ich ihn aus der Hand.«
»Das werden wir sehen!«
»Jetzt!«
Und der kleine Säbel entflog wie ein Vogel Bärbchens Händen und fiel klirrend in der Entfernung am Ofen nieder.
»Das habe ich von selbst getan, unwillkürlich, das ist nicht Euer Werk!« rief das Mädchen unter Tränen, ergriff im Augenblick den Degen und begann von neuem:
»Versucht es jetzt!«
»Nun wohl,« sagte Michael.
Und wieder lag der kleine Säbel am Ofen.
Michael aber sagte: »Genug für heute!«
Die Frau Truchseß begann zu zittern und zu kreischen, lauter noch als gewöhnlich; Bärbchen aber stand in der Mitte des Zimmers, verwirrt, verblüfft, schwer atmend und biß sich in die Lippen, um die Tränen zu unterdrücken, die sich mit Macht in ihre Augen drängten; sie wußte, daß man noch mehr lachen würde, wenn sie in Weinen ausbrechen würde, und wollte es durchaus unterdrücken; da sie aber sah, daß sie es nicht vermochte, stürzte sie plötzlich aus dem Zimmer.
»Bei Gott,« rief die Frau Truchseß, »sie ist gewiß in den Stall entflohen, und sie ist so erhitzt; sie wird sich noch eine Erkältung zuziehen. Man muß ihr nach; Christinchen, bleibe hier!«
Mit diesen Worten ging sie hinaus, ergriff ein warmes Jäckchen im Flur und lief damit in den Stall. Sagloba folgte ihr, besorgt um seinen kleinen Heiducken. Auch Fräulein Drohojowska wollte hinauslaufen, aber der kleine Ritter ergriff sie bei der Hand.
»Ihr habt doch den Befehl gehört, Fräulein? Ich lasse diese Hand nicht los, ehe sie wiederkommen.«
Und in der Tat ließ er sie nicht los. Die Hand war wie Atlas weich; Herr Michael fühlte einen warmen Strom aus diesen warmen Fingern in seinen Körper hinüberfließen und empfand ein ungewöhnliches Wohlbehagen. Darum hielt er sie nur noch fester.
Ein leichtes Rot huschte über Christinens dunkles Gesicht.