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Der kleine Ritter
»O, tut das nicht, bei Gott! Ich will den Gegenstand vorbringen, denn Ihr habt recht; aber Gott behüte uns vor einer Störung des Reichstags!«
»Ich will auch zum Chrapowizki gehen, obgleich der alles zu lau nimmt, denn von ihm, als dem künftigen Marschall, hängt vieles ab. Ich will die Paz' aufhetzen. Wir wollen wenigstens alle seine Schandtaten öffentlich in Erinnerung bringen. Habe ich doch unterwegs gehört, daß dieser Schuft daran denkt, sich um die Krone zu bewerben.«
»Dann müßte die Nation ihrem Ende nahe und nicht wert sein, zu existieren, wenn solche ihre Könige sein sollten,« erwiderte Ketling. – »Aber ruht jetzt, und nachher oder ein andermal wollen wir zum Herrn Kronmarschall gehen und nach unserem Freunde fragen.«
2. Kapitel
Der Wahlreichstag war einige Tage darauf eröffnet worden. Wie Ketling vorhergesehen, wurde Chrapowizki, damals Unterkämmerer von Smolensk und später Wojewode von Witebsk, der Marschallstab anvertraut. Da es sich nur um die Bestimmung des Wahltermins und die Einsetzung des höheren Wahlkapitels handelte und die Intrigen der verschiedenen Parteien in diesen Angelegenheiten kein Feld für sich fanden, schien der Reichstag einen ruhigen Verlauf nehmen zu wollen. Nur im Anfang ging es durch die Wahlprüfungen ein wenig stürmischer her, denn als der Reichsbote Ketling die Rechtsgültigkeit der Wahl des Herrn Sekretärs von Biala und seines Kollegen, des Fürsten Boguslaw Radziwill, anzweifelte, schrie gleich eine kräftige Stimme aus der Mitte der Neutralen: »Verräter! Ausländischer Beamter!« Dieser Stimme schlossen sich andere an, auch einige Reichsboten kamen hinzu, und plötzlich zerfiel der Reichstag in zwei Parteien, von welchen die eine die Abgeordneten von Biala entfernen, die andere die Wahl als rechtsgültig anerkennen wollte. Man einigte sich endlich zu einem Beschluß, welcher die Angelegenheit zum Schweigen brachte und die Wahl anerkannte; nichtsdestoweniger war dies für den Fürst-Stallmeister ein empfindlicher Schlag, denn schon der Umstand, daß man prüfte, ob der Fürst würdig sei, in der Kammer zu sitzen, schon das allein, daß man der Öffentlichkeit alle seine Verrätereien aus der Zeit des schwedischen Krieges in Erinnerung brachte, überhäufte ihn mit neuer Schande in den Augen der Republik und untergrub von Grund aus all seine ehrgeizigen Pläne.
Er rechnete nämlich darauf, daß, wenn die verschiedenen Parteien sich gegenseitig befehden würden, die Wahl leicht auf einen einheimischen Edelmann fallen könnte.
Der Stolz aber und die Schmeichler sagten ihm, daß, wenn dieser Fall eintreten würde, dieser Einheimische kein anderer sein könne als der mit dem höchsten Genie Begabte, der Mächtigste, aus vornehmster Familie Stammende – mit anderen Worten, er selbst.
Er hielt also, bis der Zeitpunkt gekommen war, die Dinge geheim, hatte aber seine Netze in Litauen ausgeworfen und fing jetzt gerade an, in Warschau Schlingen zu legen, als er plötzlich sah, daß man ihm gleich von Anfang an sein Werk zerstörte und ein so großes Loch in sein Netz gemacht hatte, daß die Fische leicht hindurchschlüpfen konnten. Er knirschte während der ganzen Zeit der Entscheidung mit den Zähnen, und da er an Ketling, der Reichsbote war, seine Rache nicht ausüben konnte, kündigte er seinen Leuten eine Belohnung an, wenn sie ihm jenen Zuhörer zeigen könnten, der zuerst nach dem Antrage Ketlings »Verräter« und »Fremdling« gerufen habe.
Herr Sagloba war zu sehr bekannt, als daß sein Name lange hätte verborgen bleiben können. Übrigens machte er gar kein Geheimnis daraus, und der Fürst geriet noch mehr in Wut; aber er erschrak auch nicht wenig, als er hörte, daß ihm ein so populärer Mann gegenüberstehe, den man nicht so leicht über den Haufen rennen konnte.
Auch Sagloba kannte seine Macht, denn als anfangs Drohungen laut wurden, sagte er einmal auf einer großen Adelsversammlung:
»Ich weiß nicht, ob es jemand von Vorteil sein könnte, wenn mir ein Haar gekrümmt würde. Die Wahl steht bevor, und wenn hunderttausend Freundesdegen sich zusammentun, so könnte leicht ein Regen von Streichen kommen …«
Diese Worte drangen auch zum Fürsten; er biß die Lippen zusammen und lächelte verächtlich; aber in der Seele dachte er doch, daß Sagloba recht habe. Am folgenden Tage waren seine Absichten gegen den alten Ritter offenbar schon andere, denn als eines Tages an der Tafel des Fürst-Truchseß jemand von ihm sprach, sagte Boguslaw:
»Er will mir nicht wohl, dieser Edelmann, wie ich höre, aber ich habe ritterliche Männer so gern, daß ich, selbst wenn er fortfahren sollte, mir zu schaden, nicht aufhören könnte, ihm gut zu sein.«
Und eine Woche später wiederholte er dasselbe Herrn Sagloba ins Gesicht, als sie sich bei dem Großhetman Sobieski begegneten.
Herrn Sagloba schlug, wenngleich seine Züge ruhig und voll Mut blieben, das Herz in der Brust bei dem Anblick des Fürsten. Er war doch immer ein Herr von weitreichender Gewalt und ein Menschenfresser, den alle fürchteten. Dieser aber sprach zu ihm über die ganze Tafel hinweg:
»Werter Herr Sagloba, ich habe schon erfahren, daß Ihr, obgleich Ihr nicht Reichsbote seid, mich unschuldigerweise aus dem Reichstag habt entfernen wollen. Aber ich verzeihe Euch das christlich und werde Euch, wenn es irgend nottut, meine Hilfe nicht versagen.«
»Ich habe mich streng an die Konstitution gehalten,« antwortete Sagloba, »was ein Edelmann tun muß, quod attinet; was die Protektion betrifft, so ist in meinem Alter wohl die göttliche am nächsten, denn ich nähere mich den neunzig.«
»Ein schönes Alter, wenn es so tugendhaft wie lang war, woran ich übrigens beileibe nicht zweifeln will.«
»Ich habe dem Vaterland und meinem Herrn gedient und habe fremde Götter nie gesucht.«
Der Fürst runzelte ein wenig die Stirn.
»Ihr habt auch gegen mich gedient, ich weiß das, aber laßt nun Frieden sein zwischen uns. Alles sei vergessen, auch das, daß Ihr fremden häuslichen Haß gegen mich geschürt habt. Mit dem Feinde dort werde ich noch abrechnen, aber Euch strecke ich meine Hand entgegen und biete Euch meine Freundschaft an.«
»Ich bin nur ein bescheidener Mann, solche Freundschaft ist für mich zu hoch. Ich müßte erst zu ihr heranklettern oder in die Höhe springen, und das fällt schwer in meinem Alter. Wenn Ew. Durchlaucht aber von einer Abrechnung mit Herrn Kmiziz, meinem Freunde, sprechen, so würde ich Euch von Herzen raten, diese Arithmetik aufzugeben.«
»Ei, warum das?« fragte der Fürst.
»Denn es gibt in der Arithmetik vier Spezies. Seht, wenn auch Herr Kmiziz ein recht schönes Vermögen hat, so ist es doch eine Fliege im Vergleich zu Ew. Durchlaucht; demnach wird Kmiziz mit Dividieren nicht einverstanden sein; mit dem Multiplizieren wird er sich selbst befassen; Subtrahieren wird er sich nichts lassen, er könnte höchstens etwas addieren, und ich weiß nicht, ob Ew. Durchlaucht danach begierig wären.«
Obgleich Boguslaw im Wortgefecht nicht ungeübt war, so setzten ihn doch die Ausführungen Saglobas oder seine Kühnheit so sehr in Erstaunen, daß ihm die Zunge im Munde starr blieb. Die Anwesenden schüttelten sich vor Lachen, und Herr Sobieski sagte unter schallendem Gelächter:
»Das ist ein alter Kämpe, er kann mit dem Säbel dreinhauen, aber er versteht auch mit der Schärfe der Zunge zu spielen. Es ist gescheiter, ihn in Frieden zu lassen.«
Boguslaw, der einsah, daß er auf einen Unversöhnlichen gestoßen war, versuchte auch nicht mehr, Sagloba für sich zu gewinnen; er begann ein Gespräch mit einem anderen und warf nur von Zeit zu Zeit dem alten Ritter böse Blicke über den Tisch zu.
Aber der Herr Hetman Sobieski war recht angeheitert und sprach weiter:
»Ihr seid ein Meister, Herr Bruder, ein rechter Meister! Habt Ihr wohl schon Euresgleichen in dieser Republik gefunden?«
»Mit dem Schwerte,« antwortete der geschmeichelte Sagloba, »kommt mir Wolodyjowski gleich; aber auch Kmiziz ist kein übler Schüler von mir.« Bei diesen Worten warf er einen schielenden Blick auf Boguslaw; aber dieser tat, als hörte er nichts, und sprach emsig weiter mit dem Nachbar.
»Bah,« sagte der Hetman, »Wolodyjowski habe ich manchmal bei der Arbeit gesehen, und ich würde für ihn bürgen, wenn es sich auch um das Schicksal der ganzen Christenheit handelte. Schade, daß ein solcher Rittersmann wie vom Blitz getroffen ward.«
»Was ist ihm geschehen?« fragte Sarbiewski, der Schwertträger von Tschiechanow.
»Seine geliebte Braut ist ihm unterwegs in Tschenstochau gestorben,« antwortete Sagloba, »und das schlimmste ist, ich kann nirgends erfahren, wo er sich jetzt befindet.«
»Beim Himmel,« rief darauf Herr Warschyzki, der Burgvogt von Krakau, »bin ich ihm doch, als ich nach Warschau kam, unterwegs begegnet! Er fuhr auch hierher und gestand mir, daß er die Welt und ihre Beschwerden satt habe und auf den Mons Regius2 gehe, um in Gebet und Andacht sein verhärmtes Leben zu beschließen.«
Sagloba griff mit der Hand in die Reste seines Scheitels. »Kamaldulenser ist er geworden! So wahr ich lebe!« rief er in höchster Verzweiflung.
Die Mitteilung des Burgvogts machte auf alle übrigen einen großen Eindruck. Sobieski, der tapfere Soldaten gern hatte und selbst am besten wußte, wie sehr das Vaterland solcher bedürfe, grämte sich sehr und sagte:
»Dem freien Willen des Menschen und dem Ruhm Gottes darf man nicht zuwiderhandeln; aber es ist schade, und es wird mir schwer, den Herren zu verbergen, daß es mir weh tut. Das war ein Rittersmann aus des Fürsten Jeremias Schule, gegen jeden Feind ausgezeichnet und erst gegen die Horde und das Gesindel unvergleichlich. Es gibt wenige solcher Meister im Kleinkrieg, in der Steppe, höchstens noch Piwo unter den Kosaken und Herrn Ruschtschyz in der Linie; aber auch die sind mit Wolodyjowski nicht zu vergleichen.«
»Ein Glück, daß die Zeiten etwas ruhiger sind,« erwiderte der Schwertträger von Tschiechanow, »und daß die Heiden getreulich die Verträge wahren, die das unbesiegbare Schwert meines Wohltäters ihnen abgerungen hat.«
Hier verneigte sich der Schwertträger vor Herrn Sobieski, dieser aber freute sich im Herzen über das öffentliche Lob und antwortete:
»In erster Reihe war es die Güte Gottes, die mir gestattete, mich an die Schwelle einer Republik zu legen und dem Feinde zuzusetzen, und in zweiter die stets bereite Entschlossenheit meiner guten Krieger. Daß der Khan die Verträge gern halten möchte, weiß ich, aber in der Krim selbst regt es sich gegen den Khan, und die Horde von Bialogrod versagte ihm den Gehorsam. Ich habe soeben Nachrichten erhalten, daß sich dort an der Grenze der Moldau Wolken zusammenziehen, und daß es Scharmützel geben kann; ich habe auch Späher ausgesandt, aber es sind zu wenig Mannschaften. Schicke ich hier einen Trupp hin, so werden an der anderen Seite zu wenig sein; gerade an erfahrenen Männern, die die Kriegsgebräuche der Horden kennen, fehlt es mir, und darum beweine ich Wolodyjowski so.«
Da nahm Sagloba von der Schläfe die Fäuste, mit denen er sich den Kopf zusammengedrückt, und rief laut:
»Aber er darf nicht Kamaldulenser werden, und sollte ich auch mit Gewalt auf den Mons Regius und ihn davonführen! Bei Gott, morgen will ich zu ihm, vielleicht läßt er sich durch meine Worte gewinnen, wo nicht, so gehe ich zum Primas, zu dem General der Kamaldulenser, – und wenn ich bis nach Rom reisen sollte, ich tu's! Ich will den Ruhm Gottes nicht schmälern, aber was kann er für ein Kamaldulenser sein? Ihm wächst ja nicht einmal ein Haar am Kinn. Er ist glatt wie meine Faust, so wahr ich Gott liebe. Er kann ja im Leben keine Messe absingen, und wenn er singen sollte, so werden die Mäuse aus dem Kloster entfliehen, denn sie werden glauben, daß der Kater miaut und Hochzeit hält. Verzeiht, ihr Herren, daß ich so hinspreche, was mir der Schmerz auf die Zunge legt; – wenn ich einen Sohn hätte, ich liebte ihn nicht mehr, als ich diesen Braven liebe. Behüt' ihn Gott, behüt' ihn Gott! Wenn er wenigstens Bernhardiner geworden wäre – aber Kamaldulenser! Daraus darf nichts werden, so wahr ich hier lebendig sitze! Gleich morgen will ich zum Primas gehen, er soll mir Briefe an den Prior geben.«
»Das Gelübde kann er doch noch nicht geleistet haben,« warf der Herr Marschall ein; »aber drängt nicht in ihn, damit er nicht schwankend werde; und auch damit müßt Ihr rechnen, ob nicht in seiner Absicht Gottes Wille sich offenbart.«
»Gottes Wille? Gottes Wille kommt nicht plötzlich; wie schon unser altes Sprichwort sagt, was plötzlich kommt, kommt von der Hölle. Wäre es Gottes Wille gewesen, so hätte ich längst in ihm eine Neigung dazu gefunden; er aber war kein Geistlicher, er war ein Dragoner. Hätte er im Besitze seines vollen Verstandes in Ruhe und mit Überlegung einen solchen Entschluß gefaßt – ich hätte nichts gesagt. Aber Gottes Wille kommt nicht über den Menschen in der Verzweiflung, wie der Blaufuß über die Kriekente. Ich will nicht in ihn drängen. Bevor ich zu ihm gehe, werde ich mir zurechtlegen, was ich ihm sagen will, um ihn nicht abzuschrecken; aber ich hoffe zu Gott. Der brave Rittersmann hat stets meinem Witz mehr getraut als seinem, und ich denke, es wird auch jetzt so sein, sonst müßte er sich ganz verändert haben.«
Am folgenden Tage zog Sagloba die Glocke an der Klosterpforte des Mons Regius. Er hatte sich mit Briefen des Primas versehen und den ganzen Plan mit Ketling entworfen. Das Herz schlug ihm mächtig bei dem Gedanken, wie ihn Wolodyjowski empfangen würde, und obgleich er sich vorher zurechtgelegt hatte, was er sagen wollte, sah er doch selbst ein, daß viel davon abhängen würde, wie er aufgenommen wurde. Mit diesem Gedanken beschäftigt, zog er das zweitemal die Glocke, und als der Schlüssel im Schloß knarrte und die Pforte ein wenig geöffnet wurde, drang er schnell, sogar ein wenig gewaltsam durch dieselbe ein und sagte zu dem jungen Mönch, der verwirrt dastand:
»Ich weiß, daß man eine besondere Erlaubnis haben muß, um hier einzutreten, aber ich habe einen Brief vom Herrn Erzbischof, den Ihr, lieber Bruder, dem Herrn Prior übergeben wollet.«
»Es soll nach Eurem Willen geschehen,« antwortete der Pförtner und verneigte sich beim Anblick des Siegels des Herrn Primas. Bei diesen Worten zog er den Riemen, der am Klöpfel befestigt war, und schlug zweimal an, um jemand herbeizurufen, denn er hatte nicht das Recht, sich von der Pforte zu entfernen. Bei dem Glockenschlag erschien ein zweiter Mönch, nahm den Brief und entfernte sich schweigsam; Sagloba aber legte ein Bündel, das er mit sich hatte, auf der Bank nieder; dann setzte er sich und begann laut zu keuchen.
»Bruder,« sagte er endlich, »wie lange seid Ihr im Kloster?«
»Das fünfte Jahr,« antwortete der Pförtner.
»So jung und schon das fünfte Jahr! So wäre es, wenn Ihr auch Lust hättet, fortzugehen, schon zu spät, und Ihr müßt wohl manchmal Sehnsucht empfinden nach der Welt, denn, Freundchen, der eine sehnt sich nach dem Krieg, der andere nach Lebensfreuden, der dritte nach den Weibern.«
»Apage,« sagte der Mönch und bekreuzigte sich fromm.
»Wie, hat Euch nie die Versuchung angewandelt?« wiederholte Sagloba.
Der Mönch aber sah den Abgesandten des Bischofs, der so seltsame Reden führte, mit Mißtrauen an und erwiderte:
»Hinter wem sich die Tür hier schließt, der kommt nicht wieder heraus.«
»Das wollen wir noch sehen. Was geht denn mit Herrn Wolodyjowski vor? Ist er gesund?«
»Wir haben hier niemand, der also heißt.«
»Bruder Michael?« fragte Sagloba zur Probe, »der frühere Dragonerhauptmann, der unlängst hier eingetreten ist.«
»Den nennen wir Bruder Georg; aber er hat bisher das Gelübde noch nicht geleistet, und kann es vor dem Termin nicht leisten.«
»Und wird es auch sicher nicht leisten, denn Ihr glaubt nicht, Bruder, was das für ein Schürzenjäger war, einen zweiten, der so der Weibertugend feind war wie er, findet Ihr nicht in sämtlichen Klö … ich wollte sagen in sämtlichen Regimentern der gesamten Linie …«
»Es ziemt mir nicht, das anzuhören,« erwiderte mit wachsendem Erstaunen und Mißachten der Mönch.
»Hört, Bruder, ich weiß nicht, wo es bei Euch Sitte ist, zu empfangen; wenn hier, so rate ich Euch, wenn Bruder Georg kommt, so geht lieber davon, geht dort in das Zimmer bei der Pforte, denn wir werden hier von sehr weltlichen Dingen sprechen.«
»Ich will lieber gleich fortgehen,« sagte der Mönch.
Inzwischen war Wolodyjowski erschienen, oder richtiger Bruder Georg, aber Sagloba erkannte den Heranschreitenden nicht, denn Michael hatte sich sehr verändert.
Erstens erschien er in dem langen, weißen Mönchshabit größer als im Dragonerkollett, zweitens hatte er jetzt die Enden seines Bartes, die früher in die Höhe starrten, herunterhängen und seinen Kinnbart stehen lassen, der zwei gelbe Zöpfchen bildete, nicht länger als einen halben Finger; endlich war er mager und elend geworden, und seine Augen hatten den alten Glanz verloren. Er kam langsam heran, die Hände auf der Brust unter dem Habit und das Haupt gesenkt.
Sagloba hatte ihn nicht erkannt und dachte, daß der Prior selbst käme; darum stand er auf und begann:
»Laudetur …«
Plötzlich blickte er näher hin, öffnete die Arme und rief: »Michael, Michael!«
Bruder Georg ließ sich in seine Arme reißen, etwas wie Schluchzen erschütterte ihn, aber seine Augen blieben trocken. Sagloba umarmte ihn lange, endlich begann er:
»Du hast nicht allein dein Unglück beweint, auch ich habe es beweint, die Skrzetuskis und die Kmizizs haben es beweint. Möge dich der Vater der Barmherzigkeit trösten, belohnen …! Du hast wohlgetan, daß du auf einige Zeit diese Mauern zum Ruheort gewählt hast, nichts Besseres gibt es im Unglück als Gebet und fromme Beschaulichkeit. Komm, laß dich noch einmal umarmen! Ich kann dich durch meine Tränen kaum sehen.«
Und Sagloba weinte wirklich, von Wolodyjowskis Anblick ergriffen, endlich fuhr er fort:
»Verzeih, daß ich deine Andacht unterbrochen habe, aber ich konnte nicht anders, und du wirst mir selbst recht geben, wenn ich dir meine Gründe anführe. Ei, Michael, viel Gutes und Böses haben wir miteinander erlebt! Hast du hinter diesem Gitter Trost gefunden?«
»Ich habe ihn gefunden,« antwortete Michael, »in den Worten, die ich hier täglich höre, und die ich bis an meinen Tod wiederholen will: memento mori. Im Tode ist mein Trost.«
»Hm, den Tod findet man leichter auf dem Schlachtfeld als im Kloster, wo das Leben sich so hinzieht, als wickle man langsam den Faden von der Spule.«
»Hier gibt es kein Leben, denn es gibt keine irdischen Dinge, und ehe die Seele den Körper verläßt, lebt sie schon wie in jener Welt.«
»Wenn dem so ist, will ich dir nicht mehr sagen, daß die Horde von Bialogrod in großer Macht gegen die Republik auszieht, denn was kann dich das noch kümmern?«
Herr Michael verzog plötzlich die Lippen und griff unwillkürlich mit der Rechten an seine linke Seite: da er aber das Schwert nicht fand, zog er gleich beide Hände unter das Habit zurück, senkte den Kopf und sagte:
»Memento mori!«
»Ganz recht, ganz recht!« sagte Sagloba und zwinkerte ungeduldig mit seinem einen gesunden Auge. »Gestern noch hat Herr Sobieski, der Hetman, gesagt: »Hätte wenigstens Wolodyjowski noch diesen einen Sturm mitgedient, und wäre er dann in ein beliebiges Kloster gegangen, Gott hätte darum nicht gezürnt; im Gegenteil, ein solcher Mensch hätte ein um so größeres Verdienst.« Aber es nimmt mich nicht wunder, daß du die eigene Beruhigung dem Glücke des Vaterlandes vorziehst: »zuerst die Barmherzigkeit, dann ich.««
Eine lange Pause trat ein; nur die Bartenden Michaels strebten in die Höhe und fingen an, sich schnell und leicht zu bewegen.
»Das Gelübde hast du noch nicht geleistet?« fragte endlich Sagloba, »und kannst jeden Augenblick austreten?«
»Noch bin ich nicht Mönch; ich habe auf die Gnade Gottes gewartet und darauf, daß alle irdischen Schmerzgedanken meine Seele verlassen. Aber seine Gnade ist über mir, der Friede kehrt ins Herz, – ich kann hinaus, aber ich will nicht mehr, denn der Termin kommt heran, an dem ich mit reinem Gewissen und frei von irdischer Begehrlichkeit das Gelübde werde leisten können.«
»Ich will dich nicht davon abbringen, im Gegenteil, ich lobe deinen Entschluß, obwohl ich mich erinnere, daß, als Skrzetuski zu jener Zeit die Absicht hatte, Mönch zu werden, er doch so lange damit zögerte, bis das Vaterland von der Überflutung der Feinde frei sein würde. Aber handle, wie du willst, wahrlich, ich werde dich nicht davon abbringen, denn ich selbst empfand seinerzeit den Beruf zum Klosterleben in mir. Vor fünfzig Jahren begann ich sogar schon das Noviziat – ein Schelm, wenn ich lüge. Nun, Gott hat es anders gelenkt … Nur das eine sage ich dir, Michael: jetzt mußt du mit mir hinaus, sei es auch nur auf wenige Tage.«
»Warum soll ich austreten? Laßt mich in Frieden!« sagte Wolodyjowski.
Sagloba hob den Zipfel seines Oberrockes an die Augen und begann zu schluchzen.
»Für mich,« sprach er in abgerissenen Worten, »bitte ich nicht um Rettung, obwohl mich Fürst Boguslaw Radziwill mit seiner Rache verfolgt und Mörder für mich dingt, und ich alter Mann niemanden habe, der mich verteidige und schütze … ich dachte, du würdest … doch nein, nicht doch; ich werde dich immer lieben, wenn du mich auch nicht kennen wolltest. Bete nur für meine Seele, denn ich werde Boguslaws Händen nicht entrinnen. Treffe mich, was mich treffen soll! Aber dein anderer Freund, der jeden Bissen Brot mit dir geteilt, liegt im Sterben; er will dich durchaus noch sehen. Er will ohne dich nicht sterben, denn er hat dir Bekenntnisse zu machen, von welchen der Friede seiner Seele abhängt.«
Michael, der schon die Mitteilung von der Gefahr Saglobas mit großer Teilnahme angehört hatte, sprang jetzt auf, faßte Sagloba bei den Armen und fragte:
»Skrzetuski?«
»Nicht Skrzetuski, – Ketling.«
»Um Gottes willen, was ist ihm geschehen?«
»Bei meiner Verteidigung hat ihn ein Schuß von den Leuten des Fürsten Boguslaw getroffen, und ich weiß nicht, ob er noch einen Tag leben wird. Um deinetwillen, Michael, sind wir beide in eine solche Lage gekommen, denn wir sind nur darum nach Warschau geeilt, um dir einen Trost zu ersinnen. Komme wenigstens auf zwei Tage heraus und tröste einen Sterbenden. Du kommst später wieder zurück und wirst Mönch. Ich habe vom Primas an den Prior einen Auftrag gebracht, daß man dir keine Hindernisse in den Weg lege. Eile nur, denn jeder Augenblick ist teuer.«
»So wahr ich lebe,« sagte Wolodyjowski, »was höre ich! Hindernisse kann man mir hier nicht bereiten, denn ich bin gleichsam nur zur Rekollektion hier … So wahr ich lebe, die Bitte eines Sterbenden ist eine heilige Sache, ich muß sie erfüllen.«
»Es wäre auch eine Todsünde anders!« rief Sagloba.
»So ist es! Immer und ewig dieser Verräter Boguslaw! Aber wenn ich Ketling nicht räche, so will ich nie hierher zurückkehren! Ich will sie schon finden, diese Höflinge, diese Häscher und will ihnen die Köpfe schon zurechtsetzen. Großer Gott, schon kommen todeswürdige Gedanken über mich, memento mori … Wartet nur, bis ich die alten Kleider angelegt habe, denn im Habit ist es nicht erlaubt, in die Welt hinauszugehen.«
»Hier sind Kleider,« rief Sagloba und griff nach dem Bündel, das bisher neben ihm auf der Bank gelegen hatte. »Ich habe alles vorgesehen, alles vorbereitet; hier sind Stiefel, hier ein Rapier, hier ein Wams …«
»Kommt in die Zelle!« sagte der kleine Ritter eilig.
Und sie gingen. Als sie wieder erschienen, trippelte nicht mehr ein weißer Mönch neben Herrn Sagloba, sondern ein Offizier in gelben Kanonenstiefeln, ein Rapier an der Seite und das weiße Degengehänge über der Schulter. Sagloba blinzelte mit dem Auge und verzog seine Lippen zu einem Lächeln beim Anblick des Bruder Pförtners, der mit sichtlicher Kränkung in den Zügen beiden das Tor öffnete.
Unweit des Klosters wartete der Korbwagen Saglobas mit zwei Knechten. Der eine saß auf dem Bock und hielt die Zügel des schönen Viergespanns, das Wolodyjowski sogleich mit dem Auge eines Kenners musterte; der andere stand neben dem Korbe mit einer schimmeligen Flasche in der einen und zwei Gläschen in der anderen Hand.
»Nach Mokotow ist's ein Stück Wegs,« sagte Sagloba, »und an Ketlings Lager wartet schweres Leid. Stärke dich, Michael, damit du die Kraft habest, alles zu ertragen, denn du bist sehr heruntergekommen.«
Bei diesen Worten nahm Sagloba die Flasche dem Burschen aus der Hand und füllte beide Gläschen mit altem Ausbruch, so alt, daß er förmlich dick war.
»Ein würdiges Getränk,« sagte er, setzte die Flasche auf die Erde und nahm die Gläschen; »auf Ketlings Wohl!«
»Auf sein Wohl!« wiederholte Wolodyjowski; »eilen wir!«
Und sie gossen den Wein mit einem Zuge hinunter.