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Atropos
Ein Kunde kam herein, fragte nach einer Schachtel Zigaretten, und als er ging, verabschiedete sich Zamagni ebenfalls von dem Mädchen.
„Ich denke, das reicht fürs Erste. Ich bitte Sie, sich zur Verfügung zu halten. Falls Ihnen noch irgendwelche Einzelheiten einfallen, die Ihnen wichtig erscheinen, lassen Sie es uns wissen.
Als das Mädchen nickte, hinterließ er ihr die Telefonnummer der Polizeistation.
„Sie können direkt nach mir fragen. Ich bin Ispettore Zamagni".
„In Ordnung."
Der letzte Kontakt, den die Mutter von Lucia Mistroni notiert hatte, war der von Fulvio Costello, einem Mitarbeiter des Postamtes in der Via Emilia im Bezirk Mazzini.
Als Ispettore Zamagni an seinem Ziel eintraf, waren nur wenige Leute anwesend, so dass er ohne Probleme fragen konnte, wer das Büro leitete, und anschließend, ob er einen Moment mit seinem Mitarbeiter sprechen konnte.
Der Leiter sprach einen Moment lang mit dem Mann, um die Situation zu erklären, dann entfernte sich Fulvio Costello vom Schalter und ging nach hinten, um mit Zamagni zu sprechen.
„Bitte entschuldigen Sie die Störung. Ich bin Ispettore Zamagni... Ich würde gerne mit Ihnen über Lucia Mistroni sprechen."
„Oh Gott, was ist mit ihr geschehen?" fragte der Mann, der nichts von den Ereignissen der letzten Stunden mitbekommen hatte.
„Sie ist gestorben. Es tut mir leid, es Ihnen sagen zu müssen. Wir meinen zudem, dass es kein natürlicher Tod gewesen ist.“
Der Postbeamte schwieg einen Moment lang, dann fragte er, ob sie sich schon ein Bild von dem Täter gemacht hätten.
„Leider noch nicht, aber wir arbeiten hart daran, ihn so schnell wie möglich zu finden".
„Ich verstehe. Ich hoffe, dass Sie ihn bald finden werden."
„Das hoffen wir auch." sagte Zamagni. „Jetzt möchte ich Ihnen ein paar Fragen stellen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.
„Nur zu."
„Vielen Dank. Zuerst möchte ich wissen, wie Sie und Lucia sich kennen gelernt haben".
„Das war ganz zufällig auf einer Reise nach Kanada."
„Ich verstehe. Und Sie sind in Verbindung geblieben."
Costello nickte.
„Hatten Sie oft Kontakt miteinander?" fragte der Ispettore.
„Nicht gerade jede Woche, aber wir haben oft miteinander gesprochen."
„Wie lange ist es her, dass Sie sich kennengelernt haben?"
„Zwei Jahre."
„Und darf ich fragen, ob es jemals etwas anderes als eine Freundschaft zwischen Ihnen beiden gegeben hat?
„Warum fragen Sie mich das?"
„Wir brauchen Informationen, um einen Fall wie diesen zu lösen, und wir suchen überall danach".
„Ich verstehe. Nein".
„Gut. Und können Sie sich jemanden vorstellen, der einen Grund gehabt haben könnte, sie zu töten? Oder einen Vorfall, der dazu geführt haben könnte"?
„Nein", antwortete der Mann, nachdem er eine Minute nachgedacht hatte. „Leider kann ich Ihnen da nicht weiter helfen. Wenn mir noch etwas einfällt, lasse ich es Sie wissen."
„Ich danke Ihnen."
Der Leiter des Postamtes spähte durch die Hintertür hinein. „Fulvio?"
Der Mann drehte sich um und sagte: „Ich denke, ich sollte jetzt wieder auf meinen Platz zurückgehen".
„In Ordnung", sagte Zamagni, der Verständnis für die Lage hatte. „Ich bitte Sie nur darum, sich zur Verfügung zu halten und uns umgehend anzurufen, wenn Ihnen noch etwas einfallen sollte.
„Ja natürlich.“", sagte die Postangestellte.
Der Ispettore nickte, verabschiedete sich dann und ging wieder hinaus.
Nun blieb nur noch zu hören, was der Arbeitgeber von Frau Mistroni sagen würde, dann hätten sie vielleicht genug Material, um einige Vermutungen und Überlegungen anzustellen.
XI
Davide Pagliarini hatte Mühe, den Unfall aus seinem Kopf zu bekommen. Er träumte nachts davon, wie von einem wiederkehrenden Alptraum, und er hätte alles darum gegeben, den Vorfall ungeschehen zu machen.
Idiot, wiederholte er immer wieder, ich bin ein Idiot, ich habe einen Jungen getötet!
Er wartete auf das Gerichtsurteil, in der Hoffnung, durch einen guten Anwalt zumindest seine Strafe mildern zu können. Währenddessen lebte er mit Gewissensbissen.
Am späten Vormittag klingelte es an der Tür.
„Wer ist da?", fragte er durch die Gegensprechanlage.
„Ein Einschreiben. Sie müssen unterschreiben".
Der Briefträger.
Pagliarini ging zum Eingang des Gebäudes hinunter, unterschrieb, nahm den Umschlag und kehrte in seine Wohnung zurück.
Der Absender war der Gerichtshof von Bologna.
Thema: Vorladung vor Gericht.
Er öffnete den Umschlag und stellte fest, dass er nach genau zwei Wochen um zehn Uhr erscheinen sollte und dass er, falls er nicht persönlich einen Verteidiger finden würde, einen Pflichtverteidiger bekommen würde.
Er legte den Umschlag auf den Couchtisch im Wohnzimmer und wählte dann die Telefonnummer seines Anwalts.
„Es ist endlich soweit." sagte Pagliarini, nachdem die Sekretärin den Anruf in das Büro des Anwalts durchgestellt hatte.
„Bewahren Sie die Ruhe und Sie werden sehen, dass wir hier rauskommen."
Der Anwalt kannte bereits die ganze Geschichte, die ihm Pagliarini selbst am Tag nach dem Unfall telefonisch mitgeteilt hatte.
Sie werden mich verurteilen, hatte er gesagt, ich habe keinen Trumpf in der Hand, um mich da rauszuwinden.
Der Anwalt hatte auch damals noch versucht, seinen Mandanten zu beruhigen, indem er ihm sagte, dass sie etwas finden würden, das ihm zumindest zu einer Strafminderung, wenn nicht sogar zur Zahlung einer Geldstrafe verhelfen würde. Obwohl ihm klar war, dass es bestimmt unangenehm werden würden, wenn die Angehörigen des Opfers davon erfuhren.
Wir werden es schaffen, sagte ihm der Anwalt noch einmal, Sie werden sehen, dass wir es schaffen werden.
Sie würden es bald herausfinden: dieser Tag würde kommen, und Davide Pagliarini war trotz der beruhigenden Worte seines Anwalts sehr besorgt.
Sie kamen überein, sich am nächsten Tag zu treffen und besser von Angesicht zu Angesicht darüber zu sprechen.
Als sich Pagliarini und der Anwalt in dessen Büro trafen, fassten sie die Angelegenheit zunächst noch einmal zusammen.
„Ich kam aus der Diskothek heraus. Als ich auf den Umgehungsstraßen von Bologna war, war ich richtig euphorisch, ich drückte das Gaspedal ganz durch, ohne zu merken, wie schnell ich fuhr. Als ich an einer Kreuzung ankam, die Ampel stand auf grün, habe ich den Jungen erfasst, der auf dem Fußgängerüberweg die Straße überquerte".
„Diese Person überquerte die Straße, obwohl sie wusste, dass sie es in diesem Augenblick nicht hätte tun sollen. Die Fußgängerampel stand auf Rot, denke ich".
Pagliarini nickte, in der Hoffnung, dass seine Erinnerung echt und nicht durch Drogen getrübt war.
„Nun, sehen Sie, da haben wir bereits einen Punkt zu unserem Vorteil gefunden.
„In Ordnung", sagte Pagliarini, „aber was ist mit der Tatsache, dass ich gefahren bin, nachdem ich eine dieser verdammten Pillen genommen hatte? Verdammt, ich hatte noch nie welche genommen, ich wurde von dem Typen da drin abgezockt, der sie mir gegeben hat. Er sagte ‚Du wirst dich besser fühlen', und ich habe mich überreden lassen.
Der Anwalt dachte einen Moment nach.
„Die Sache mit der Pille wirkt sich nicht zu unseren Gunsten aus", sagte er, „aber wir werden es irgendwie schaffen. Sie müssen mir vertrauen."
„Hoffentlich. Und was muss ich in diesen Tagen tun? Irgendwas Bestimmtes? Brauchen Sie eine Erklärung von mir?"
„Im Moment nicht. Sie werden alles dem Gericht erzählen. Versuchen Sie, ruhig zu bleiben, und alles wird sich klären."
„Ich zähle auf Ihre Erfahrung."
„Großartig. Gehen Sie jetzt nach Hause und entspannen Sie sich. Ich werde mich wieder melden."
„Ich danke Ihnen vielmals."
„Gern geschehen. Das ist schließlich mein Job."
Nachdem sie sich voneinander verabschiedet hatten, begann der Anwalt darüber nachzudenken, wie er vor Gericht vorgehen könnte, und Davide Pagliarini kehrte nach Hause zurück. Er würde den Rat befolgen, den man ihm gegeben hatte: absolute Entspannung bis zum Tag der Anhörung.
XII
Am frühen Morgen desselben Tages klingelte es bei Mariolina Spaggesi und sie fragte durch die Gegensprechanlage, wer es sei.
„Da sind Blumen für Sie, Signora", war die Antwort.
„Bitte, kommen Sie hoch", sagte die Frau und begann, über den möglichen Absender dieses willkommenen Geschenks zu spekulieren.
Als sie den Boten mit dem Blumenstrauß in der Hand sah, änderte sich ihr Gesichtsausdruck.
„K... k... kommen Sie rein", forderte sie den Mann vor sich stammelnd auf. Sie meinte, ihn bereits gesehen zu haben, vielleicht war es der Blumenhändler, der nicht weit von ihrem Haus entfernt in der gleichen Straße seinen Laden hatte.
„Legen Sie sie einfach hier ab."
Der Mann überquerte die Schwelle der Wohnung, folgte den ihm gegebenen Anweisungen und verabschiedete sich gleich darauf wieder mit der Bemerkung, er müsse schnell zum Geschäft zurück, da er allein sei und nur einen Zettel an der Eingangstür hinterlassen habe, um mögliche Kunden wissen zu lassen, dass er in wenigen Minuten zurück sein würde.
Mariolina Spaggesi schloss die Tür und ging schnell auf den Blumenstrauß zu, der ihr gerade geliefert worden war.
Ein Strauß Chrysanthemen?, überlegte sie.
Sie sah, dass ein Papierumschlag mit der Aufschrift FÜR MARIOLINA an der Folie befestigt worden war, mit der die Blumen eingeschlagen waren.
Sie öffnete den Umschlag und stieß auf eine Visitenkarte.
MASSIMO TROVAIOILI
Marketingleiter
Tecno Italia S.r.l.
Die Frau hatte das Gefühl, sie würde ohnmächtig werden und musste sich hinsetzen.
Sie drehte die Karte um und sah, dass auf der Rückseite mit einem Kugelschreiber BIS BALD! geschrieben worden war.
Nach einigen Minuten stand sie von ihrem Stuhl auf, nahm ein Glas und füllte es zweimal mit Wasser. Sie musste etwas trinken.
Sie spülte das Glas ab und ging dann ins Bad, um sich ihr Gesicht zu kühlen.
Wie konnte das sein?
Der Tradition gemäß wurden Chrysanthemen immer mit Toten in Verbindung gebracht, und Massimo Trovaioli...
Sie nahm den Hörer ab und wählte die Notrufnummer 113 der Polizei.
„Ich werde... verfolgt..." sie konnte kaum sprechen, als ihr jemand auf der anderen Seite antwortete.
„Bleiben Sie ruhig, Signora“, sagte der Beamte am Telefon, „und erzählen Sie, was passiert ist."
„Ich... werde heimgesucht... von einem Toten!"
„Das ist unmöglich. Sind Sie sicher, dass es Ihnen gut geht?"
„Ja. Ja, es geht mir gut." sagte sie. „Ich werde heimgesucht... von einem toten Mann!", schrie sie.
„Wo wohnen Sie?", fragte der Beamte schließlich und versuchte, sie schnell wieder los zu werden, „Ich schicke jemanden vorbei".
Die Frau gab ihre Adresse an und beendete den Anruf mit der Bitte, sich zu beeilen.
Als zwei Streifenpolizisten eintrafen, fanden sie Mariolina Spaggesi in Panik vor.
„Versuchen Sie, sich zu beruhigen Signora. Bitte erzählen Sie uns, was hier vor sich geht", bat einer der beiden Polizisten.
Die Frau erzählte ihnen von dem Umschlag, den sie ein paar Tage zuvor erhalten hatte, und von den Blumen, die sie am Morgen bekommen hatte.
„Wer ist Massimo Trovaioli?", fragte ein Polizist.
„Meine letzter Exmann."
„Und er könnte etwas gegen sie haben? Sind Sie im Streit auseinander gegangen?"
„Er ist... tot!", schrie die Frau. „Er ist der... Tote... der mich heimsucht!"
Spaggesi hörte gar nicht mehr auf, zu schreien, wobei sie das Wot tot jedes Mal besonders betonte.
„Entschuldigen Sie," sagte der andere Polizist, „wir wussten das nicht. Bitte entschuldigen Sie uns. Es tut uns leid."
„Das macht nichts", antwortete die Frau nach einer Schweigeminute, in der sie versuchte, ihre Nerven zu beruhigen.
„Haben Sie gesehen, wer Ihnen diese Blumen gebracht hat?" wurde sie gefragt.
„Ich... es sah aus wie... der Blumenhändler... der hier unten, in der Via San Vitale, aber ich bin mir nicht sicher. Ich laufe immer sehr schnell und achte nicht so sehr auf die Geschäfte".
„Wir werden das überprüfen", versicherte ihr einer der beiden Streifenpolizisten und wandte sich dann mit vielsagendem Blick an seinen Kollegen. „Sie müssen in der Zwischenzeit ruhig bleiben. Versprechen Sie es?"
„Ich werde es versuchen", antwortete die Frau. „Ich werde es versuchen."
„Gut. Wir werden uns bemühen, diese Angelegenheit sofort zu klären. Es wird wahrscheinlich ein Missverständnis sein".
„Ich habe Angst", sagte Spaggesi, „Bitte tun Sie etwas", flehte sie, als hätte sie die letzten Worte der beiden Polizisten nicht gehört.
„Beruhigen Sie sich einfach und trinken Sie ein Glas kaltes Wasser."
Der Polizist, der dem Wasserhahn am nächsten stand, nahm das dort befindliche Glas, füllte es mit Wasser und reichte es der Frau.
„Trinken Sie in kleinen Schlucken, das wird Ihnen helfen, sich besser zu fühlen.
Die Frau trank wie ihr geheißen und fragte die beiden Polizisten im Sitzen, ob es ihnen was ausmachen würde, wenn sie sie nicht bis zur Tür begleiten würde.
„Kein Problem, Signaora."
Mariolina Spaggesi blieb allein sitzen und dachte reglos über das Geschehene nach, beruhigt durch die Worte der beiden Polizisten: sie würden sich mit dem Problem befassen, in der Hoffnung, es zu lösen.
Als die beiden Agenten, den Anweisungen Spaggesis folgend, im Blumenladen eintrafen, fanden sie einen Zettel an der Tür: KOMME GLEICH ZURÜCK.
Der vermutliche Eigentümer näherte sich schnellen Schritts, den er auf den letzten Metern noch beschleunigte, als er die beiden wartenden Polizisten sah.
„Suchen Sie mich?", fragte er, „Ist etwas passiert? Kann ich Ihnen irgendwie helfen?
„Können wir reinkommen?", fragte einer der beiden Polizisten.
„Natürlich, bitte sehr, treten Sie ein."
Der Mann öffnete die Glastür und ließ die beiden Beamten hinein.
„Bitte, was ist passiert? Ich habe Sie nicht gerufen. Mir ist nichts gestohlen worden".
„Darum sind wir nicht hier", schnitt ihm der Beamte das Wort ab.
„Dann erklären Sie es mir."
„Eine Person sagt, sie habe einen Blumenstrauß von einem Toten erhalten", begann der dienstältere der beiden Beamten.
„Unmöglich", sagte der Blumenhändler, „Tote schicken niemandem Blumen."
„ Sie sagt auch, dass sie ihr von Ihnen oder einem Ihrer Mitarbeiter gebracht wurden.
Der Blick des Mannes wurde ärgerlich.
„Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen."
„Wir wollen nur nachvollziehen können, was passiert ist", erklärte der jüngere Beamte. „Diese Person ist ziemlich verängstigt."
„Wann soll das gewesen sein?"
„Vor einer Weile... sagen wir, vor zwei Stunden?"
„Lassen Sie mich kurz nachdenken."
Der Blumenhändler machte eine kurze Pause, dann begann er wieder zu sprechen.
„Ich arbeite allein, es gibt hier keine Mitarbeiter oder ähnliches. Das kann ich mir nicht leisten. Ich mache alles alleine: Ich begrüße die Kunden, bediene sie und liefere, wenn nötig, nach Hause".
„Als wir hier ankamen, waren Sie nicht da. Haben sie eine Lieferung gemacht?"
„Natürlich."
„In unserem Beruf ist nichts offensichtlich", sagte ein Beamter, als wolle er andeuten, dass es sich nicht um einen Höflichkeitsbesuch handele.
„Entschuldigen Sie", sagte der Mann, „Ja, ich war vielleicht zehn, fünfzehn Minuten weg, um eine Lieferung zu machen".
„In Ordnung. Können Sie uns jetzt sagen, ob Sie vor etwa zwei Stunden eine Lieferung gemacht haben?"
Nach einer kurzen Pause antwortete der Blumenhändler: „Ich glaube schon. Es war eine Dame, vielleicht eine junge Dame. Das kann ich nicht genau sagen. Ich schnüffle ja nicht in dem Privatleben meiner Kunden herum. Auf jeden Fall war es eine Frau."
„Erinnern Sie sich an den Namen?"
„Nein, tut mir leid."
„Überlegen Sie noch einmal. Denken Sie noch einmal nach. Diese Informationen könnten für uns nützlich sein".
„Ich bestätige, dass ich mich nicht erinnern kann", sagte er nach einer Minute. „Leider sehe ich täglich viele Leute und kann mir ja schließlich nicht alle Namen merken.
„Nun gut ", beruhigte ihn einer der Beamten. „Wissen Sie zumindest, wer die Lieferung bestellt hat?"
„Ein Mann. Ja, es war ein Mann."
„Könnten Sie uns weitere Einzelheiten mitteilen?"
„Ähm... kultiviert. Er war ein kultivierter Herr".
„Weitere Einzelheiten?"
„Da muss ich nachdenken. Wissen Sie, diese Person kam gestern Abend herein, als ich den Laden schloss, es ist also schon eine Weile her".
„Machen Sie sich keine Sorgen, Sie haben alle Zeit der Welt. Wenn Ihnen etwas einfällt, zögern Sie nicht, es uns mitzuteilen".
„Da können Sie sicher sein", sagte der Mann. „Nun, wenn es Ihnen nichts ausmacht, ich bin beschäftigt", fügte er hinzu, als er eine Frau den Laden betreten sah.
„Nur zu, Kunden haben Vorrang. Entschuldigen Sie die Störung."
Die beiden Beamten verließen den Blumenladen und gingen unter den Arkaden in Richtung der Due Torri.
„Der Kerl verschweigt uns was ", meinte der ranghöhere Polizist, „ich glaube, er verbirgt etwas vor uns.
„Ja, das denke ich auch", stimmte der andere zu, „aber ich wüsste nicht, was".
XIII
Die erste Anhörung, an der Davide Pagliarini teilnahm, weil er den Jungen auf den Alleen der Umgehungsstraße von Bologna überfahren hatte, war für ihn ziemlich peinlich. Die Tatsachen wurden dargelegt, und anschließend wurde der Schuldige vor dem Richter verhört.
Nach den Fragen des Staatsanwalts und der Verteidigung ertönte ein schrilles „Schämen Sie sich!“ aus dem Publikum.
Pagliarini erbleichte und saß wie festgenagelt auf seinem Stuhl, ohne zu wissen, wo er hingucken sollte. Er hätte sich liebend gerne in Luft aufgelöst und hätte jeden anderen Ort dem Gericht vorgezogen.
Nach einigen Augenblicken wandte er sich an seinen Anwalt und sein stummer Blick schickte ein flehendes ‚was soll ich tun?‘ Der andere antwortete ebenfalls stumm mit einem fragenden Blick, da er selbst nicht wusste, was besser gewesen wäre: Sicherlich wäre es wesentlich unproblematischer, überhaupt nicht auf diesen Vorfall zu reagieren, als die Scham zu zeigen, die von dieser Person mutig und mit lauter Stimme öffentlich in einem Gerichtssaal gefordert wurde.
Am Ende stand Pagliarini von dem Stuhl auf, der für die Verhöre benutzt wurde, und ging relativ langsam neben seinem Anwalt her, ohne jedoch irgendwelche Anzeichen zu zeigen, die den anonymen Zwischenrufer glauben ließen, er hätte ins Schwarze getroffen.
Die Anhörung endete mit nichts Endgültigem, da eine spätere Anhörung noch ausstand.
Der Anwalt eskortierte seinen Mandanten buchstäblich zum Ausgang, um unangenehme Episoden wie die im Gerichtssaal zu vermeiden, und teilte ihm dann mit, dass sie sich in Kürze wieder treffen würden, um zu entscheiden, welcher Linie bei der nächsten Anhörung zu folgen sei.
Ispettore Zamagni und der Polizeibeamte Finocchi gingen gemeinsam zu dem Arbeitgeber von Lucia Mistroni, um mit ihm zu sprechen.
Das Mädchen war bei Piazzi & Co. als Büroangestellte beschäftigt und in der Buchhaltung tätig gewesen.
Als sie beim Empfang vorsprachen, wurden sie gebeten, auf den Ledersesseln vor dem Tresen Platz zu nehmen, und nur wenige Minuten später wurden sie vom Besitzer des Unternehmens begrüßt.
Er war ein Mann in den Fünfzigern, mit einer sehr einfachen Erscheinung und nicht aufdringlichen oder arroganten Manieren, der den Polizeibeamten bei ihrer Arbeit gerne behilflich war.
„Mit was genau beschäftigen Sie sich hier eigentlich?", fragte Zamagni.
„Import und Export von verschiedenen Artikeln", sagte der Mann.
„Und hat Fräulein Mistroni schon lange mit Ihnen zusammengearbeitet?"
„Ich erinnere mich nicht genau, aber ungefähr ein paar Jahre".
Zamagni und Finocchi nickten.
„Wissen Sie, ob das Mädchen gut mit den anderen Kollegen auskam?
„Soweit ich mich erinnern kann, ja. Unter diesem Gesichtspunkt schätze ich mich glücklich: Anscheinend verstehen sich alle Mitarbeiter dieses Unternehmens gut, es herrscht immer eine entspannte Atmosphäre".
„Ich verstehe", sagte der Ispettore.
„Und können Sie uns sagen, ob Frau Mistroni außerhalb des Unternehmens irgendwelche Probleme hatte?", fragte Finocchi, „Ich meine irgendwelche früheren Vorfälle, über die das Mädchen mit Ihnen oder jemand anderem gesprochen haben könnte".
„Sie war ein sehr reservierter Mensch."
„Und es gibt unter den Kollegen niemanden, dem sie sich eher anvertraute?"
„Mir wurde gesagt, dass sie mit einem ehemaligen Mitarbeiter von uns verlobt war, der bis vor einem Monat noch hier gearbeitet hat. Mir ist nicht bekannt, dass sie sich irgendjemand anderen anvertraut hat".
Zamagni und Finocchi tauschten einen Blick miteinander: Paolo Carnevali hatte ihnen nichts davon gesagt, und vielleicht wäre es angebracht, das Thema zu vertiefen.
Da sie merkten, dass das Gespräch sie anscheinend nicht weiterbrachte dankten sie dem Mann, mit dem Zamagni die Visitenkarten austauschte, und verließen das Gebäude.
XIV
Am nächsten Morgen erhielt Zamagni einen Anruf der Spurensicherung, die ihn weitere Informationen über Lucia Mistroni geben wollte: Eine eingehendere Analyse hatte eine nicht vernachlässigbare Menge an Melatonin ergeben, und als der Ispettore um Erklärungen bat, teilte ihm sein Gesprächspartner mit, dass es sich um ein Beruhigungsmittel handelte, welches das Einschlafen erleichtern würde, aber in zu hohen Dosen zu bestimmten Kontraindikationen, darunter Schwindel, führen könne.
„Das Mädchen hat also möglicherweise absichtlich zu viele Tabletten dieser Substanz genommen, sich den Kopf gestoßen und ist gestorben", sagte Zamagni.
„Ja. Eigentlich gibt es aber vielleicht noch eine andere Möglichkeit."
„Welche?"
„Es gibt auch Melatonin in Tropfen. Wenn Fräulein Mistroni ihren Mörder wirklich gekannt hat, hätte dieser, da das Mädchen völlig ahnungslos war, vielleicht zu viele Tropfen in ein Getränk geben können, das Mädchen hat getrunken und... schwupps -schon war es geschehen".
„Diese Möglichkeit kann nicht ausgeschlossen werden. Wir werden es in Betracht ziehen, vielen Dank."
Nach dem Telefongespräch begab sich Zamagni auf die Suche nach Marco Finocchi, um ihm die letzten Neuigkeiten mitzuteilen.
„Es scheint mir, dass es immer komplizierter wird", sagte der Polizist.
Der Ispettore nickte.
„Was, wenn das Mädchen aus irgendeinem Grund nicht mehr damit fertig wurde, wie die Dinge für sie liefen? Aus irgendeinem uns unbekannten Grund wünschte sie sich vielleicht..."
„Selbstmord?"
„Ja."
„Ohne auch nur eine Notiz mit irgendeiner Erklärung zu hinterlassen?"
Beide dachten darüber nach, bis Zamagni, wenn auch widerwillig, erklärte: „Vielleicht müssen wir noch einmal ganz von vorne anfangen".
„Wie meinen Sie das?"
„Noch einmal alles neu aufrollen, alle noch einmal befragen und versuchen, jedes Element neu zu bewerten, wo wir jetzt von dem Melatonin wissen".
„Ich verstehe", sagte Finocchi.
„Wir haben keine Zeit zu verlieren", drängte ihn der Ispettore, „Lassen Sie uns noch einmal bei Null anfangen".
„Kann ich Ihnen das geben?", sagte das kleine Mädchen zu einer Dame, die sie auf dem Heimweg traf.
Die Dame bedankte sich und steckte das Flugblatt in ihre Tasche.
Auch an diesem Tag hatte das Mädchen seine Pflicht getan und war glücklich, denn der Mann, mit dem es gesprochen und der ihr die Aufgabe übertragen hatte, hatte ihr erklärt, dass sie etwas Geld verdienen könne, indem sie etwas Nützliches für die Gesellschaft tue, wofür ihr viele Menschen danken könnten, wenn sie ihr auf der Straße begegneten.