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Полная версия
Atropos
Sie wusste nicht, wer der Absender war, weil der offensichtlich nicht erkannt werden wollte oder weil er sich irgendwie im Inneren des Umschlags zu erkennen geben würde, oder aus einem anderen Grund, den Mariolina nicht kannte.
Sie stellte die Tasse Milchkaffee auf den kleinen Tisch und öffnete neugierig den Umschlag.
Der war sehr leicht und schien auf den ersten Blick leer zu sein.
Aber sie fand doch etwas darin, und zwar eine Visitenkarte. Darauf stand:
MASSIMO TROVAIOLI
Marketingleiter
Tecno Italia S.r.l.
Am unteren Ende der Visitenkarte befanden sich ein Firmentelefon, ein Mobiltelefon, vermutlich auch ein Firmentelefon, und eine persönliche E-Mail-Adresse.
Mariolinas Hände fingen an zu zittern, der Umschlag fiel auf den Boden, und die Visitenkarte schwebte einen Moment in der Luft, bevor sie sanft auf den Boden flatterte. Sie las das Ganze ein zweites Mal und musste sich danach erst einmal hinsetzen, um sich über ihre Gefühle klar zu werden.
VI
Die Untersuchungsergebnisse der Gerichtspolizei aus der Wohnung von Lucia Mistroni und die Autopsie ihrer Leiche kamen ziemlich schnell und fast zur gleichen Zeit.
In der Wohnung des Mädchens war anscheinend nichts Interessantes gefunden worden, zumindest auf den ersten Blick.
Wir lassen die Siegel aber noch bis zum Ende dieser Geschichte dran, hatte Zamagni jedoch angeordnet, weil er wusste, dass die Ermittlungen durch die Verschmutzung eines Tatorts sehr gut in die Irre geführt werden und die Lösung des Falls hinauszögern konnten. Außerdem konnte es auch möglich sein, dass sie für weitere Kontrollen nochmals in die Wohnung zurückgehen mussten.
Die Wohnung wirkte völlig aufgeräumt und alles schien an seinem Platz zu sein. Das konnte bedeuten, dass der Täter nichts Konkretes gesucht hatte, als er in Lucias Haus war.
Außerdem war das Schloss an der Haustür in Ordnung und zeigte keine Anzeichen für ein gewaltsames Eindringen.
Demzufolge hatte Lucia Mistroni ihren Mörder höchstwahrscheinlich gekannt.
Die Autopsie hatte keine deutlichen Anzeichen eines Kampfes ergeben. Die Frau hatte sich den Kopf angeschlagen, vielleicht tödlich, und war infolgedessen wahrscheinlich zu Boden gefallen.
„Das, was wir bis jetzt haben, führt zu nichts.“ sagte Ispettore Zamagni im Gespräch mit Hauptkommissar Luzzi in seinem Büro.
„Ich schlage vor, dass wir ihre Verwandten, Freunde und Bekannten genauer unter die Lupe nehmen.“ meinte der Hauptkommissar. „Zumindest werden wir etwas mehr über das Mädchen in Erfahrung bringen.“
„Ja, das denke ich auch.“
„Lassen Sie sich von Finocchi helfen. Teilen Sie sich die Aufgaben, dann sind Sie eher damit durch. Schauen Sie zusammen noch einmal bei der Mutter vorbei und sprechen Sie dann je nachdem, was Sie in Erfahrung gebracht haben, mit den Leuten, die ihre Tochter gekannt haben.“
Nach dem Gespräch gingen Zamagni und Finocchi hinaus, um noch einmal mit Lucia Mistronis Mutter zu sprechen.
Der Straßenverkehr an diesem Morgen war einfach unerträglich, aber sie schafften es dennoch, in einer noch angemessenen Zeit ihr Ziel zu erreichen. Die Dame hatte ihnen, kurz bevor sie am Vortag die Wohnung ihrer Tochter verließ, noch ihre Adresse gegeben.
Als die Frau die beiden Polizisten sah, kam sie gerade vom Gemüsehändler zurück.
Sie bat sie hinein und bot ihnen etwas zu Trinken an.
„Sehr freundlich.“ bedankte sich der Ispettore, „Ich nehme gerne ein Glas Wasser.“
„Auch für mich bitte, vielen Dank.“ sagte Marco Finocchi.
Die Frau goss das Wasser in zwei ziemlich große Gläser und reichte sie ihren Gästen.
„Wir brauchen nochmals Ihre Hilfe.“ erklärte der Kommissar, nachdem er einen Schluck Wasser genommen hatte.
„Bitte sehr.“
„Können Sie uns eine Liste aller Personen geben, die Ihre Tochter kannte? Ich meine Verwandte, Freunde und Bekannte. Was das Arbeitsumfeld betrifft, brauchen Sie uns einfach nur den Namen des Unternehmens nennen.“
Die Frau nahm sich ein Stück Papier und begann zu schreiben. Als sie fertig war wurde den beiden Polizisten klar, dass sie sich ziemlich beeilen müssten, wenn sie so schnell wie möglich mit allen sprechen wollten.
Zamagni nahm das Blatt, faltete es und steckte es in seine Tasche.
„Ist Ihnen seit unserer letzten Begegnung irgendetwas eingefallen, was uns Ihrer Meinung nach bei unseren Ermittlungen weiterhelfen könnte?“ fragte er dann.
„Noch nicht, aber ich habe es nicht vergessen. Sobald ich etwas für Sie habe, werde ich Sie umgehend benachrichtigen.“
„Vielen Dank.“ sagte Marco Finocchi.
„Ich glaube, wir gehen jetzt besser. Es gibt noch viel für uns zu tun.“ Diesmal war es Ispettore Zamagni, der das Wort ergriffen hatte.
Die beiden Polizisten erhoben sich fast gleichzeitig, verabschiedeten sich von der Frau und gingen hinaus.
Sie bemerkten, dass das Blatt, das die Frau ihnen gegeben hatte, sehr detailliert war: für jeden Namen auf der Liste wurde angegeben, ob es sich um einen Bekannten oder einen Verwandten handelte sowie der Verwandtschaftsgrad und, wenn sie es wusste, auch die Adresse.
Zamagni beschloss, dass sie mit den Namen beginnen würden, von denen sie die vollständigen Angaben hatten, und es den Beamten im Büro überlassen würden, die Liste mit den fehlenden Daten zu vervollständigen.
Der Ispettore würde sich die Verwandten vornehmen und Finocchi würde sich um die Freunde kümmern.
Doch bevor sie mit der mühsamen Suche nach Informationen anfingen, gingen sie noch einmal an der Polizeistation vorbei und Zamagni nutzte die Gelegenheit, um die von der Frau angefertigten Liste zu fotokopieren: eine Kopie behielt Finocchi, die andere wurde dem Beamten übergeben, der mit der Suche nach den fehlenden Daten beauftragt war. Anschließen steckte Zamagni das Original wieder in seine Tasche.
VII
Der Bus war zu dieser Zeit am Morgen ziemlich voll: viele Schüler gingen zur Schule und hatten die meisten Plätze besetzt. Dem Mann machte es allerdings nichts aus, dass er stehen musste, denn er wusste, dass er nur eine recht kurze Strecke vor sich hatte.
Als er die seinem Ziel nächstgelegene Haltestelle erreichte, stieg er aus und ging den Bürgersteig entlang.
Er überquerte die Umgehungsstraße und lief dann auf der Strada Maggiore in Richtung Stadtzentrum. Nach etwa fünfhundert Metern bog er rechts ab, um in die Via San Vitale zu gelangen, und betrat einen unter den Arkaden befindlichen Blumenladen.
„Guten Tag.“ grüßte er. „Ich würde gerne ein paar Blumen kaufen. Sie bringen sie auch nach Hause, nicht wahr?“
„Aber sicher.“ entgegnete das Mädchen.
„Gut.“
An welche Blumen hatten Sie denn gedacht?“
„Chrysanthemen.“ antwortete der Mann. „Ein großer Strauß Chrysanthemen.“
Dem Mädchen verschlug es einen Moment die Sprache und wahrscheinlich dachte sie sich ihren Teil, dann begann sie, den Strauß zusammenzustellen.
„Ist es möglich, den Besitzer zu sprechen?“
„Der ist gerade nicht da.“
„Wann kann ich ihn sprechen?“
„Er kommt normalerweise spätnachmittags in den Laden.“
„Jeden Tag?“
„Normalerweise ja, es sei denn, er hat eine besondere Verpflichtung, die ihn daran hindert.“
„Vielen Dank für die Auskunft und für die Blumen. Kann ich sie bis heute Abend hier lassen?“
„Natürlich.“
„Gut. Also dann, bis heute Abend.“
„Kennen Sie sich?“ fragte das Mädchen, wobei sie sich auf den Besitzer und den Mann bezog, der ihn suchte. „Wenn er sich meldet, kann ich ihm ja sagen, dass Sie hier gewesen sind und heute Abend wieder vorbeikommen werden.“
„Nein, bemühen Sie sich nicht, es ist nicht so wichtig. Ich kann auch vorbeikommen, ohne dass sie ihm etwas sagen.“
Das Mädchen nickte, und erst als der Mann den Laden schon seit einigen Minuten verlassen hatte, dachte sie über sein merkwürdiges Verhalten nach.
An diesem Abend, ohne dass das Mädchen den morgendlichen Besuch des Mannes irgendwie erwähnt hatte, unterhielten sich dieser und der Besitzer des Blumenladens etwa eine Stunde lang in der Bar nebenan.
Als die beiden sich verabschiedeten, ging der Blumenhändler zurück in den Laden, nahm den Chrysanthemenstrauß und stellte ihn in den kleinen Raum am Ende des Ladens.
VIII
Ispettore Zamagni und Finocchi teilten sich die Aufgaben: der eine kontaktierte die Freunde von Lucia Mistroni, während der andere mit den Verwandten sprechen würde.
Das Wichtigste war im Moment, Informationen über das Mädchen und die Menschen zu finden, mit denen sie den meisten Kontakt gehabt hatte.
Alle Entwicklungen würden sich später als logische Konsequenz ergeben.
Sie begannen am frühen Morgen und riefen alle Personen an, um die Termine mit ihnen zu vereinbaren: Dies würde nicht nur nützliche Informationen liefern, sondern auch dazu dienen, diese Leute kennen zu lernen und sich einen ersten Eindruck von ihnen zu verschaffen.
Stefano Zamagni schaffte es, sich am selben Tag mit Dario Bagnara und Luna Paltrinieri zu treffen.
Beide, so sagten sie ihm, waren langjährige Freunde des toten Mädchens, und beide waren sprachlos, als sie die Nachricht erhielten.
Herr Bagnara war ein Immobilienmakler, der in einer Filiale in der Via Della Barca arbeitete.
Er und der Kommissar trafen sich in seinem Büro, in dem Zamagni trotz des Verkehrs pünktlich eintraf.
„Guten Tag, sind Sie Dario Bagnara?“ begann Zamagni.
„Ja, der bin ich.“
„Schön, Sie kennenzulernen. Ich heiße Zamagni... Stefano.”
„Guten Tag. Was kann ich für Sie tun?“ fragte der Makler. „Das war ein harter Schlag für mich. Ich bin immer noch erschüttert. Wenn ich kann, helfe ich Ihnen gerne.“
„Danke.“ sagte Zamagni. „Könnten Sie mir in der Zwischenzeit sagen, woher und wie lange Sie Lucia Mistroni kennen?“
„Schon lange.“ antwortete Bagnara. „ Wir waren Schulkameraden am Gymnasium.“
„Ich verstehe. Dann kann ich also davon ausgehen, dass Sie sich ziemlich gut kannten.“
„Ja, auf jeden Fall.“
„Und nach dem Gymnasium? Haben Sie sich weiterhin regelmäßig getroffen?“
„Ja, allerdings nicht ständig. Wir haben einige gemeinsame Abende verbracht, unter Freunden. Sie, ich und Luna, eine weitere Schulfreundin von uns vom Gymnasium. Damit, dass wir uns nicht besonders häufig getroffen haben, meinte ich, dass es, seitdem sie sich mit Paolo verlobt hatte, oft geschah, dass die beiden alleine ausgingen".
„Wann haben Sie sich das letzte Mal getroffen?“
„Letzte Woche. Nur wir drei. Wenn wir uns trafen, war Paolo normalerweise nicht mit dabei.“
„Warum?“ fragte der Kommissar.
„Das haben wir zusammen entschieden. Wir wollten einen Abend unter Freunden verbringen, ohne Partner oder Partnerinnen.“
„Auch Paolo... Meinen Sie Carnevali? Teilte er diesen Entschluss auch?”
„Ja, ihn meinte ich. Zuerst war er nicht wirklich damit einverstanden, dass wir drei uns allein sehen wollten, vielleicht aus Eifersucht... ich kann es Ihnen nicht sagen. Aber dann, in letzter Zeit schien er keine Probleme mehr damit zu haben.“
„Ich verstehe. Vorhin haben Sie... Luna erwähnt?“
„Ja, Luna Paltrinieri. Haben Sie auch mit ihr gesprochen?“
„Noch nicht, aber in einer Stunde habe ich einen Termin in der Bar, in der sie arbeitet.“
Dario Bagnara nickte.
„Auch sie ist ein anständiges Mädchen.“
In diesem Moment kam eine interessierte Kundin herein und fragte, ob sie mit jemandem von der Immobilienagentur sprechen könne. Sie sei auf der Suche nach einer Wohnung, die zum Verkauf stand.
„Nur einen Moment, ich bin gleich bei Ihnen.“ antwortete Bagnara und wandte sich an Zamagni: „Wenn Sie möchten, kann ich die Dame bitten, später wiederzukommen.“
„Nein, das brauchen Sie nicht. Gehen Sie nur ruhig wieder an Ihre Arbeit. Ich melde mich bald wieder.“
Der Immobilienmakler bedankte sich bei Zamagni und noch während der Ispettore die Agentur verließ bat er die Kundin, Platz zu nehmen.
Zur geplanten Zeit traf Stefano Zamagni in der Bar von Luna Patrinieri in der Via Andrea Costa ein, die sich in der Nähe der Immobilienagentur befand, in dem Herr Bagnara arbeitete.
„Guten Tag, sind Sie Luna?“ fragte Zamagni, als keine Kunden mehr da waren.
„Ja, die bin ich.“
„Ispettore Zamagni.“
„Schön, Sie kennenzulernen. Möchten Sie einen Espresso?“
„Gerne, danke.“
Das Mädchen bereitete den Espresso zu und servierte ihn mit einer Auswahl von weißem Zucker, Rohrohrzucker und einer kleinen Tüte mit Honig.
Während er den schwarzen Espresso trank sagte Zamagni: „Ich möchte mit Ihnen über Lucia Mistroni sprechen.“
„Ich werde alles tun, was ich kann, um Ihnen zu helfen.“
„Danke. Könnten Sie mir schon mal erzählen, wie Ihre Beziehung zu dem Mädchen aussah? Ich weiß, dass Sie auf dem Gymnasium Schulfreundinnen waren.“
„Ja, stimmt. Darf ich fragen, von wem Sie das erfahren haben?“
„Ich habe eben mit Herrn Bagnara gesprochen. Er hat mir erzählt hat, dass Sie alle drei zusammen in der Schule waren. Ich hoffe, das ist kein Problem.“
„Ich verstehe. Wie auch immer, nein, das ist in Ordnung.”
Zamagni trank den letzten Schluck Espresso und nachdem das Mädchen die kleine Tasse, die Untertasse und den Teelöffel in den Korb des Geschirrspülers gestellt hatte, erzählte sie dem Ispettore, dass sie alle drei wirklich Schulkameraden waren, sich gleich zu Beginn des ersten Schuljahres angefreundet hatten und dass diese Freundschaft auch noch nach dem Abitur bestanden hätte. Mit ihren verschiedenen Berufen schafften sie es dennoch, sich mindestens einmal pro Woche, am Wochenende, zu sehen.
„Apropos Arbeit, können Sie mir sagen, wo Frau Mistroni gearbeitet hat? Ihre Mutter konnte da keine genauen Angaben machen.“
Sie nannte ihm den Namen des Unternehmens und dass sie als Leiterin der Abteilung für Auslandsmarketing tätig gewesen war, dann fügte sie hinzu: „Sie müssen mich entschuldigen, aber es macht mich sehr traurig, jetzt über sie zu sprechen."
Und sie fing an, zu weinen.
„Ich kann Sie gut verstehen und es tut mir natürlich leid, was passiert ist. Aber trotzdem müssen wir unsere Arbeit tun und den Schuldigen finden".
„Ich weiß.“ stimmte das Mädchen zu und nickte. „Ich hoffe, dass Sie ihn bald finden.“
„Das verspreche ich.“
„Danke.“
„Keine Ursache“, sagte Zamagni. „Können wir jederzeit auf Ihre Hilfe zählen?“
„Natürlich.“
„Sehr gut“, bedankte sich der Ispettore. „Ich denke, das ist genug für den Moment. Ich werde vorbeikommen, falls ich wieder mit Ihnen sprechen muss.“
„Ich bin ja hier.“
Zamagni verabschiedete sich mit einem Lächeln von dem Mädchen und verließ die Bar in der Hoffnung, den Fall bald zu lösen.
Er musste noch zwei von Lucia Mistronis Freunden vernehmen, und in der Zwischenzeit hatte er eine weitere neue Information erfahren: Sie würden bald auch ihrem Arbeitgeber einem Besuch abstatten.
Auf der Fahrt zu seinem Büro fragte sich Stefano Zamagni, was Finocchi auf seiner Suche nach Informationen wohl herausbekommen hätte.
IX
Finocchi hatte mit den Angehörigen von Lucia Mistroni gesprochen.
Die Mutter hatte nur ihren Bruder Atos, einen Onkel und eine Cousine genannt.
Es stellte sich heraus, dass alle bereits von Frau Balzani über das Unglück informiert worden waren, und als es dem Polizisten gelang, mit dem Bruder zu sprechen, fing dieser an zu weinen und sagte, dass er seit dem Moment, in dem er von dem Unglück erfahren hatte, nicht mehr damit aufgehört hätte.
Er lebte allein in der Via San Felice, in einer kleinen, aber zweckmäßigen Wohnung.
„Kann ich mit Ihnen über Ihre Schwester Lucia sprechen?", fragte Marco Finocchi, nachdem er sich vorgestellt hatte.
„Sicher, setzen Sie sich.“
Sie saßen im Wohnzimmer, wobei das Morgenlicht durch die Fensterscheiben hindurch den Raum erhellte.
„Wie lief es zwischen Ihnen beiden?", wollte der Polizist wissen.
„Ich würde sagen, großartig, auch wenn wir uns in letzter Zeit nicht viel gesehen haben, weil ich häufig aus beruflichen Gründen unterwegs war".
„Ich verstehe. Was machen Sie beruflich, wenn ich fragen darf?"
„Ich installiere Automaten. Ich bin oft geschäftlich unterwegs und bleibe dann jedes Mal mindestens eine Woche von zu Hause weg".
„Muss eine interessante Arbeit sein, zumindest was das Reisen betrifft und dass man immer neue Orte kennenlernt.
„Das wäre es, wenn man etwas mehr Zeit hätte, um sich ein wenig umzusehen, anstatt in einer Firma eingesperrt zu sein und dort von morgens bis abends einen Automaten zu montieren. Die einzige wirkliche Unterhaltung, die wir haben, ist am Abend, wenn wir zum Abendessen gehen und die lokale Küche probieren".
„Sicherlich eine anspruchsvolle Arbeit." nickte Finocchi. „Wann haben Sie und Ihre Schwester sich das letzte Mal gesehen?“
„Vor etwa zwei Wochen."
„Zu einem bestimmten Anlass?"
„Nein. Ich war gerade von einer Reise zurückgekommen, und wir beschlossen, am Sonntag zusammen zu Abend zu essen. Eine Pizza, um uns ein paar Dinge zu erzählen".
„Und wie kam sie Ihnen an diesem Tag vor? Ruhig, oder stimmte etwas nicht mit ihr? Hat sie sich über etwas Sorgen gemacht?"
„Sie erzählte mir von den Anrufen, die sie erhielt. Sie haben ihr Angst gemacht, nicht zuletzt, weil sie nicht wusste, von wem sie kamen".
„Sie hatten keine Ahnung, wer es gewesen sein könnte?"
„Nein."
„Hat sie keine Anzeige bei der Polizei gemacht?"
„Das kann ich Ihnen nicht sagen."
„Ich verstehe."
„Darf ich Sie fragen, warum Sie um diese Zeit zu Hause sind? Um diese Stunde ist man doch normalerweise auf der Arbeit".
„Dies ist eine ziemlich ruhige Woche, keine Reisen, und wenn ich hier arbeite, arbeite ich in Schichten. Bis Freitag werde ich von zwei Uhr nachmittags bis zehn Uhr nachts arbeiten."
„Gut. Ich bitte Sie, sich zur Verfügung zu halten, falls wir Ihre Hilfe noch benötigen sollten."
„Ich werde alles tun, um Ihnen zu helfen, den Schuldigen zu finden."
„Ich danke Ihnen."
Finocchi verabschiedete sich von Lucia Mistronis Bruder und trat wieder auf die Straße hinaus.
Am Abend wollte er sich noch mit dem Onkel und dem Cousin des Mädchens treffen.
Sie machten einen Termin im Polizeipräsidium aus. Luigi Mistroni, die Tochter Laura und seine Frau Antonia Cipolla wurden in einen Warteraum gebracht, und sobald Finocchi von draußen zurückkam, begannen sie zu reden.
„Es tut mir leid, Sie um die Essenszeit gestört zu haben. Ich hoffe, dass es schnell geht." sagte der Polizist.
„Kein Problem.“ versicherte Lucias Onkel.
„Wir sprechen mit all den Menschen, die Ihrer Nichte am nächsten standen." erklärte Marco Finocchi dem Ehepaar. „Wir beabsichtigen, so viele Informationen wie möglich zu finden, die uns so helfen könnten, den Fall zu lösen.
„Wir stehen Ihnen mit dem Wenigen, das wir wissen, gerne zur Verfügung, um Ihnen zu helfen.“
„Dafür danken wir Ihnen." sagte Finocchi, machte dann eine Pause und fragte alle drei, ob sie etwas trinken wollten, Wasser oder einen Kaffee, aber sie lehnten ab und sagten, dass sie, nachdem sie hier bei der Polizei fertig sein würden, zum Abendessen gehen wollten.
„In Ordnung. Könnten Sie mir zunächst sagen, wie Ihre Beziehung zu Lucia war?"
Es war die Tante, die für alle antwortete: „Gut, auch wenn wir uns nicht jede Woche gesehen haben. Wissen Sie... wir alle haben unsere eigenen Verpflichtungen. Lucia war beruflich sehr eingespannt, so dass wir eher miteinander telefoniert oder uns am Wochenende gesehen haben.“
Ihr Ehemann und ihre Tochter nickten und bestätigten dem Polizisten somit, dass das von Frau Antonia Gesagte stimmte. Eine andere Möglichkeit war, falls einer der drei der Schuldige wäre, dass sie sich abgesprochen hätten um sich gegenseitig zu schützen.
„Wie lange haben Sie Lucia nicht mehr gesehen?"
„Ich... seit ein paar Wochen", sagte die Cousine Laura. „Wir waren an einem Samstagnachmittag in die Innenstadt von Bologna gefahren, nur um ein wenig Spaß zu haben und weil sie uns von den Anrufen erzählt hatte, die sie erhielt, sodass sie mit jemandem zusammen sein wollte, dem sie vertraute.“
„Sie hat Ihnen also auch von den Telefonaten erzählt."
„Sie hat uns bei einem Familienessen vor etwa zwei oder drei Wochen davon erzählt", erklärte der Onkel.
„Ich verstehe", nickte Finocchi. „Wissen Sie, ob es jemanden gab, der Ihnen bekannt ist, der eine Meinungsverschiedenheit mit Lucia gehabt haben könnte? Oder mit dem sie sich irgendwie gestritten hat?"
„Dazu fällt mir nichts ein.“ sagte Frau Cipolla, nachdem sie sich einige Augenblicke lang leise flüsternd beraten hatten.
„Vielen Dank. Das reicht fürs Erste. Ich bitte Sie, sich zur Verfügung zu halten. Dann lasse ich Sie jetzt zum Abendessen gehen.“
Sie verabschiedeten sich. Kurz nachdem die Verwandten von Lucia Mistroni das Polizeipräsidium verlassen hatten, macht sich Finocchi fertig, um nach Hause zu gehen.
X
Am nächsten Morgen bat Hauptkommissar Luzzi Zamagni und Finocchi in sein Büro, um in dem Fall Lucia Mistroni auf den neuesten Stand gebracht zu werden.
„Wir befragen Freunde und Verwandte", erklärte der Ispettore, „dann müssen wir auch noch mit dem Arbeitgeber des Mädchens sprechen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Täter ein Kollege ist.“
„Die Verwandten, mit denen ich gesprochen habe", fügte Finocchi hinzu, „haben immer wieder das Thema der Drohanrufe zur Sprache gebracht, die das Mädchen anscheinend erhalten hat. Anscheinend war sie ziemlich verängstigt, zumindest nach dem, was ihre Cousine mir erzählt hat".
„Nun, schauen wir weiter und geht gleich zu den Leuten, mit denen ihr noch nicht gesprochen habt", schloss Luzzi.
Zamagni und Finocchi nickten und gingen dann hinaus, um mit dem Arbeitgeber und den beiden Freunden zu sprechen, die noch auf der Liste standen, die sie von Lucia Mistronis Mutter bekommen hatten.
Der Ispettore begann mit Beatrice Santini, die ein Tabakgeschäft in der Via San Felice betrieb.
Als er ankam, war niemand im Geschäft.
„Störe ich?"
„Kann ich Ihnen helfen?" fragte die Tabakhändlerin.
Zamagni zeigte ihr seinen Dienstausweis und fügte dann hinzu, dass er mit ihr über Lucia Mistroni sprechen wolle.
„Es war ein schwer zu verdauender Schlag für mich. Ihre Mutter hatte es mir gesagt.“ berichtete Beatrice Santini, die über den Besuch eines PolizeiIspettores nicht überrascht zu sein schien.
„Ich verstehe. Können Sie erklären, wie genau Sie es erfahren haben?"
„Ich habe zufällig davon gehört. Ich ging zum Haus ihrer Tochter, weil ich mich ein wenig mit ihr unterhalten wollte. Aber ich habe sie nicht angetroffen und während ich noch vor ihrer Haustür überlegte, ob sie wirklich nicht zu Hause war oder ob sie sich nur Zeit ließ, sah ich ihre Mutter vorbeigehen. Sie fragte mich, warum ich dort sei, ob ich nach Lucia suche und ob ich noch nicht wüsste, was ihr passiert sei. Ich bin aus allen Wolken gefallen, denn ich wusste ja von nichts. Ich war wirklich bestürzt und als sie mir mitteilte, dass die Polizei in dieser Angelegenheit ermittelte, fügte sie auch hinzu, dass sie Ihnen eine Liste mit Personen gegeben habe, die Lucia kannten, mit Verwandten und engen Freunden, so dass ich mir bereits gedacht hatte, dass Sie mich aufsuchen würden".
„Ich verstehe. Wie war Ihr Verhältnis zu Lucia?"
„Wir haben uns sehr gut verstanden. Lucia hat sich im Allgemeinen nie mit jemandem gestritten. Sie war ein Mensch mit einem wunderbaren Temperament".
Zamagni nickte.
„Wissen Sie zufällig, ob ihr in letzter Zeit etwas passiert ist, das ihr Privatleben beeinflusst haben könnte?
„Nein. Nicht, dass ich wüsste."