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Das Mädchen Der Verbotenen Regenbögen
Das Mädchen Der Verbotenen Regenbögen

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Das Mädchen Der Verbotenen Regenbögen

Язык: Немецкий
Год издания: 2019
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„Ich träume nie, Sir“, antwortete ich so würdevoll wie es möglich.

Er schien von meiner Antwort beeindruckt, die vor Aufrichtigkeit triefte. „Du kannst dich glücklich schätzen. Träume sind immer irgendwie Betrug. Wenn es Albträume sind, rauben sie dir den Schlaf. Wenn sie schön sind, ist das Erwachen doppelt bitter. Alles in allem ist es besser nicht zu träumen.“ Seine betörenden Augen lösten sich nie von den meinen. „Du bist eine interessante Person Melisande. Klein aber oho, und noch dazu witzig”, fügte er neckend hinzu.

„Schön, dann habe ich ja die notwendigen Qualifikationen für diese Arbeit“, sagte ich trocken.

Ich zerbiss mir mit den Zähnen die Unterlippe, schon wieder von Reue geplagt. Was geschah mit mir? Ich hatte noch nie mit so schamloser Unüberlegtheit reagiert. Ich musste das unterbinden, bevor ich vollständig die Kontrolle verlor.

Er grinste nun von einem Ohr zum anderen, grenzenlos amüsiert. „Die hast du tatsächlich. Ich bin sicher, dass wir gut miteinander auskommen werden. Eine Sekretärin, die nicht träumen kann, genauso wie ihr Chef. Da besteht wohl eine Wahlverwandtschaft zwischen uns, Melisande. Seelenverwandt, in einem gewissen Sinne. Abgesehen davon, dass einer von uns mehr als eine hat, und das schon seit langer Zeit ... .“

Bevor ich seinen obskuren Worten einen Sinn geben konnte, wurde er wieder ernst, mit gleichgültigem Blick, einem unergründlicher Ausdruck im Gesicht, weit weg und ohne ein Funken Leben.

„Du musst ein Fax mit den ersten Kapiteln des Buchs an meinen Verleger senden. Weißt du, wie das geht?“

Ich nickte, und mit einem Stich im Herzen wurde mir klar, dass ich unser verbales Duell jetzt schon vermisste. Ich wünschte, es wäre von unendlicher Dauer. Ich hatte aus diesem Schlagaustausch eine für mich neu entdeckte Energie aus einer Wunderquelle geschöpft, die mich mit einer Vitalität erfüllte, die mich fast bersten ließ.

Die nächsten zwei Stunden vergingen wie im Flug. Ich verschickte mehrere Faxe, öffnete die Post, schrieb Ablehnungsbriefe für verschiedene Einladungen und räumte seinen Schreibtisch auf. Er, in aller Stille, schrieb am Computer, runzelte die Stirn, die Lippen fest aufeinander gepresst, die weißen eleganten Hände flogen über die Tastatur. So gegen Mittag rief er meine Aufmerksamkeit mit einer Handbewegung auf sich.

„Du kannst eine Pause machen, Melisande. Vielleicht möchtest du etwas essen, oder einen Spaziergang machen.“

„Vielen Dank, Sir.“

„Hast du mit dem Buch begonnen, das ich dir gegeben habe?“ Sein Gesicht war noch weit weg, bewegungslos, aber ein Funken guter Laune blitzte in den schwarzen Augen auf.

„Sie hatten Recht, Sir. Es ist nicht gerade mein Ding“, gab ich in aller Aufrichtigkeit zu.

Seine Mundwinkel hoben sich leicht und formten ein schiefes Lächeln, das meinen Schutzpanzer durchdrang. Und ich dachte immer, er wäre härter als Stahl.

„Ich zweifelte nicht daran. Ich wette, du bist eher ein Romeo-und- Julia-Typ.“ Es lag kein bisschen Ironie in seiner Stimme, er machte nur eine Beobachtung.

„Nein, Sir.“ Es war die natürlichste Sache für mich, ihm zu widersprechen, als ob wir uns schon ewig kannten, und ich konnte einfach nur ich selbst sein, ohne Ausflüchte oder Masken. „Ich liebe einfach nur Geschichten mit Happy End. Das Leben an sich ist schon bitter genug, um es mit einem Buch noch schlimmer zu machen. Wenn ich schon nicht nachts träumen kann, dann will ich es zumindest am Tag tun. Wenn ich schon nicht im Leben träumen kann, dann will ich es zumindest mit einem Buch tun.“

Er wägte meine Worte mit Bedacht ab, und nahm sich dafür so lange Zeit, dass ich dachte, er würde mir keine Antwort mehr geben. Als ich im Begriff war mich zu verabschieden, hielt er mich zurück.

„Hat Mrs. Mc Millian dir die Herkunft des Namens dieses Hauses erklärt?“

„Sie hat es vielleicht getan“, gab ich mit einem verhaltenen Lächeln zu. „Ich fürchte jedoch, dass ich ihr nur mit halbem Ohr zugehört habe.“

„Gut gemacht, ich schalte auch immer nach dem zehnten Wort ab“, lobte er mich ganz ohne Ironie. „Ich war noch nie ein gutes Opfer. Ich bin durch und durch Egoist.“

„Manchmal muss man ein Egoist sein“, sagte ich, ohne nachzudenken. „Oder man wird von den Erwartungen der Anderen zerdrückt werden. Und es endet damit, dass man nicht das eigenen Leben lebt, sondern das, das andere für einen entschieden haben.“

„Sehr weise, Melisande Bruno. Du hast mit deinen zweiundzwanzig Jahren den Schlüssel zur spirituellen Gelassenheit gefunden. Das schafft nicht jeder.“

„Gelassenheit?“ wiederholte ich bitter. „Nein, die Weisheit etwas zu verstehen, heißt nicht unbedingt, diese zu akzeptieren. Weisheit kommt aus dem Kopf, das Herz folgt anderen Wegen, unabhängige und gefährliche Wege. Es neigt dazu, fatale Umwege zu machen.“

Er bewegt sich mit dem Rollstuhl auf meine Seite des Schreibtischs mit einem Blick, der mich durchbohrte. „Und? Was ist? Wollen Sie nun wissen, was es mit dem Namen Midnight Rose auf sich hat, oder nicht?“

„Mitternachtsrose“, übersetzte ich, während ich mit meiner inneren Aufregung kämpfte, die mir seine Nähe verursachte. Ich vermied schon lange Zeit jede Art von männlicher Gesellschaft, seit meiner ersten und einzigen Verabredung. Dies war so katastrophal verlaufen, dass ich für immer geheilt war.

„Genau. In dieser Gegend erzählt man sich eine Legende, seit Jahrhunderten, vielleicht auch seit Jahrtausenden, die besagt, dass wenn wir die Blüte einer Rose um Mitternacht erleben, unser größter und geheimster Wunsch wie durch einen Zauber erfüllt wird. Auch wenn es sich um einen dunklen und verfluchten Wunsch handelt.“

Er ballte die Hände zu Fäusten, fast als ob er mich mit seinem Blick herausforderte.

„Wenn der Wunsch, den Zweck hat, uns glücklich zu machen, dann ist er nie dunkel und verflucht“, sagte ich leise.

Er starrte mich aufmerksam an, als ob er seinen Ohren nicht trauen könnte. Ihm entwich ein fast dämonisches Lachen. Ein Schauer lief mir eiskalt über den Rücken.

„Sehr weise, Melisande Bruno. Das gestehe ich dir zu. Das sind abscheuliche Worte für ein Mädchen, das keiner Fliege etwas zu leid tun würde, ohne eine Träne zu vergießen.“

„Eine Fliege vielleicht. Bei einer Stechmücke hätte ich keine Skrupel“, gab ich lapidar zu Antwort.

Erneut wurde er aufmerksam, eine kleine Flamme, die die Kälte seiner dunklen Augen wärmte. „Was habe ich schon alles über Dich erfahren, Miss Bruno. In wenigen Stunden habe ich entdeckt, dass Du die Tochter eines Bergmanns bist, der gerne Debussy hört, dass du nicht im Stande bist zu träumen und Stechmücken hasst. Warum nur, frage ich mich. Was haben dir diese armen Geschöpfe nur angetan?“ Der Spott in seiner Stimme war nicht zu verkennen.

„Von wegen arme Geschöpfe“, antwortete ich prompt. „Sie sind Parasiten, Blutsauger. Es sind nutzlose Insekten, im Gegensatz zu Bienen und auch nicht so nett wie Fliegen.“

Er schlug sich auf die Schenkel und lachte. „Nette Fliegen? Du bist schon sehr seltsam, Melisande, und wirklich spaßig.“

Launischer als jegliches Aprilwetter wechselte seine Laune drastisch. Das Lachen verendete in einem Hustenanfall und er schaute mich erneute durchdringend an. „Stechmücken sind Blutsauger, weil sie keine andere Wahl haben. Es ist ihre einzige Ernährungsquelle, kann man ihnen das etwa verdenken? Sie haben sehr feine Geschmacksnerven im Vergleich zu den vielgerühmten Fliegen, die sich in menschlichen Abfällen suhlen.”

Ich starrte auf den mit Papier überladenen Schreibtisch, und fühlte mich unter dem Blick seiner kalten Augen unbehaglich.

„Was würdest du anstelle der Stechmücke machen, Melisande? Würdest du darauf verzichten, dich zu ernähren? Würdest du lieber vor Hunger sterben, um nicht Parasit genannt zu werden?“ Sein Ton war fordernd, so als ob er eine Antwort erwartete.

Und ich gab nach. „Wahrscheinlich nicht. Aber ich bin mir nicht so ganz sicher. Ich müsste eine Mücke sein, um ganz sicher zu gehen. Ich würde gerne glauben, dass ich eine Alternative finden könnte. Ich vermied es sorgfältig ihn anzusehen.

„Es gibt nicht immer Alternativen, Melisande“. Einen Augenblick lang zitterte seine Stimme unter dem Gewicht eines Leidens, von dem ich keine Ahnung hatte, mit dem er sich seit fünfzehn langen Jahre jeden Tag abfinden musste. „Wir sehen uns um zwei Uhr, Miss Bruno. Seien sie pünktlich.“

Als ich mich zu ihm umdrehte, hatte er den Rollstuhl schon gewendet, sein Gesicht hatte er von mir weggedreht.

Im Bewusstsein einen Fauxpas begangen zu haben, fühlte sich mein Herz an, als ob es von einem Schraubstock zerquetscht würde, aber es gab keine Möglichkeit der Abhilfe.

Schweigend verließ ich den Raum.

Drittes Kapitel

Punkt zwei Uhr erschien ich im Büro. Kyle kam gerade mit einem unberührten Tablett in den Händen heraus. Er verströmte die Atmosphäre von jemandem, der alles liegen und stehen lassen und sich ans andere Ende der Welt verziehen möchte.

„Er hat sehr schlechte Laune und will nichts essen“, murmelte er.

Der Gedanke, dass ich die unfreiwillige Ursache seiner Stimmung sein könnte, versetzte mir einen Stich im tiefsten Inneren, in jeder Faser meines Körpers, in jeder einzelnen Zelle. Ich hatte noch nie jemandem etwas angetan, ich bewegte mich fast auf Zehenspitzen, um niemanden zu stören und achtete aufmerksam auf jedes Wort, um ja niemanden zu verletzen.

Ich trat über die Schwelle, mit einer Hand an der Tür, die Kyle offen gelassen hatte. Als ich eintrat, hob er seinen Blick. „Ah, Sie sind es. Kommen Sie herein, Miss Bruno. Legen Sie bitte einen Zahn zu.“

Ohne weitere Zeit zu verschwenden, gehorchte ich ihm.

Er presste einige mit einer feinen männlichen Kalligraphie beschriebenen Blätter auf den Schreibtisch. „Versenden Sie diese Briefe. Einen an den Direktor meiner Bank und die anderen an die unten aufgeführten Adressen.“

„Sofort, Mister Mc Laine“, antwortete ich mit Ehrerbietung.

Als ich in sein Gesicht blickte, stellte ich mit Freude fest, dass das Lächeln zurückgekehrt war.

„Wie sind wir auf einmal so förmlich, Miss Bruno. Es besteht keine Eile. Die Briefe sind nicht wirklich wichtig. Es geht bei ihnen nicht um Leben oder Tod. Ich führe eh' schon seit vielen Jahren das Leben eines Toten.“

Trotz der Härte seiner Aussage schien er seine gute Laune wiedergefunden zu haben. Sein Lächeln war ansteckend und wärmte meine aufgewühlte Seele. Zum Glück schmollte er nie zu lange, auch wenn seine Wutausbrüche jähzornig und heftig waren.

„Können Sie Auto fahren, Melisande? Ich müsste Sie in die Dorfbücherei schicken, um einige Bücher abzuholen. Sie wissen schon, Recherche.“ Das Lächeln wurde durch eine Grimasse ersetzt. „Ich kann natürlich nicht hingehen“, fügte er hinzu, als ob es eine Erklärung bedurfte.

Verlegen ballte ich die Blätter in meinen Händen und lief Gefahr, sie völlig zu zerknittern. „Ich habe keinen Führerschein, Sir“, entschuldigte ich mich.

Die Überraschung veränderte seine wunderschönen Gesichtszüge. „Und ich dachte, dass die heutige Jugend es nicht erwarten könnte, erwachsen zu werden nur um offiziell fahren zu dürfen. Sie tun es ja ohnehin schon vorher, heimlich halt.“

„Ich bin anders, Sir“, sagte ich lakonisch. Und das war ich wirklich. Fast schon außerirdisch, mit meinem Anderssein.

Er schaute mich forschend mit diesen schwarzen Augen an, die fast noch durchdringender als Röntgenstrahlen waren. Ich hielt seinem Blick stand und versuchte so aus dem Stehgreif eine plausible Ausrede zu finden.

„Ich habe Angst zu fahren, und deswegen würde ich wahrscheinlich nur eine Katastrophe nach der anderen verursachen“, erklärte ich schnell, während ich die Blätter glättete, die ich selbst zuvor zerknittert hatte.

„Nach so viel Aufrichtigkeit Ihrerseits, klingt das mir eher nach einer Ausrede“, befand er.

„Es ist die Wahrheit. Ich könnte wirklich... .“ Ich verlor meine Stimme für einen langen Augenblick, dann versuchte ich es erneut. „Ich könnte wirklich jemanden töten.“

„Der Tod ist das kleinere Übel“, flüsterte er. Er senkte seine Augen auf seine Beine und zuckte mit seinem Unterkiefer.

Im Geist verfluchte ich mich. Schon wieder war es passiert. Ich baue wirklich ständig Mist, auch wenn ich nicht hinter dem Lenkrad saß. Eine Gefahr für die Öffentlichkeit, sträflicher Weise unsensibel und nur dazu fähig, ständig ins Fettnäpfchen zu treten.

„Habe ich Sie vielleicht gekränkt, Mister Mc Laine?“ Die Angst sickerte durch jedes Wort meiner Frage, und erweckte ihn aus seiner Erstarrung.

„Melisande Bruno, eine junge Frau, die was weiß ich woher kam, die so schräg und lustig ist, wie wenn sie aus einem Cartoon entsprungen wäre... Wie kann dieses Mädchen den großen Schriftsteller des Grauens, den teuflischen und perversen Sebastian Mc Laine beleidigen?“ Seine Stimme war flach, ganz im Gegensatz zu der Härte seiner Worte.

Ich wrang meine Hände, da ich genauso aufgeregt war wie bei unserem ersten Zusammentreffen. „Sie haben Recht, Sir. Ich bin ein Niemand. Und…“

Seine Augen verengten sich zu bedrohenden Schlitzen. „Ach was. Sie sind nicht ein Niemand. Sie sind Melisande Bruno. Also sind Sie jemand. Lassen Sie sich niemals von irgendwem demütigen, auch nicht von mir.“

„Ich sollte lernen, den Mund zu halten. Bevor ich in dieses Haus kam gelang mir das sogar sehr gut“, murmelte ich bestürzt und senkte den Kopf.

„Midnight Rose verfügt über die Macht das Schlechteste aus Ihnen herauszuholen, Melisande Bruno? Oder ist es meine Wenigkeit, die über solch erstaunlichen Fähigkeiten verfügt?“ Er drehte sich mit einem wohlwollenden Lächeln, mit der Großmut eines Herrschers zu mir.

Ich nahm glücklich dieses implizite Friedensangebot an und gewann mein Lächeln zurück. „Ich glaube, es hängt von Ihnen ab, Sir“, gab ich mit leiser Stimme zu, als ob ich eine Todsünde beichtete.

„Ich wusste ja, dass ich ein Teufel bin“, sagte er ernst. „Aber bis zu diesem Grad? Da bleiben mir doch die Worte weg...“

„Wenn Sie möchten, reiche ich Ihnen ein Wörterbuch“, sagte ich lachend. Die Atmosphäre war heiter, und auch mein Herz fühlte sich erleichtert.

„Ich glaube, der eigentliche Teufel sind Sie, Melisande Bruno“, fuhr er stichelnd fort. „Satan selbst hat Sie mir gesandt, um meine Ruhe zu stören.“

„Ruhe? Sind Sie sicher, dass Sie das nicht mit Langeweile verwechseln?“ spaßte ich.

„Wenn dem so war, dann ist es mit Ihnen hier damit vorbei, das ist gewiss. Vielleicht werde ich es, wenn es in diesem Tempo weitergeht, am Ende auch noch bedauern“, antwortete er mit Nachdruck.

Wir lachten und fanden uns beide auf der gleichen Wellenlänge, als jemand an der Tür klopfte. Drei Mal.

„Mrs. Mc Millian“, kündigte er an, ohne seinen Blick von meinem Gesicht abzuwenden.

Ich tat es, wenn auch widerwillig, um die Haushälterin hereinzubitten.

„Dr. Mc Intosh ist hier, Sir!“ sagte die gute Frau mit einem Hauch von Angst in ihrer Stimme.

Die Miene des Schriftstellers verfinsterte sich augenblicklich. „Es ist schon wieder Dienstag?“

„Ja, Sir. Möchten Sie, dass ich ihn Ihr Schlafzimmer bitte?“, fragte sie betulich.

„In Ordnung. Und rufen Sie Kyle!“, befahl er in einem Ton, der so trocken wie eine Zentner Staub war. Er drehte sich zu mir, noch steifer. „Wir sehen uns später, Miss Bruno.“

Ich folgte der Hausdame auf die Treppe. Sie reagierte auf meine unausgesprochene Frage. „Dr. McIntosh ist der Hausarzt. Er kommt jeden Dienstag um Mr. Mc Laine zu besuchen. Abgesehen von seiner Lähmung, ist er fit wie ein Turnschuh, aber es ist eine Gewohnheit, und auch eine Vorsichtsmaßnahme.“

„Sein...“ Ich zögerte, da ich bei der Wahl des Wortes unsicher war. „... Zustand ist irreversibel?“

„Leider ja, es gibt keine Hoffnung“, war ihre traurige Bestätigung.

Am Fuße der Treppe wartete ein Mann, der seinen Instrumentenkoffer hin- und herschwang.

„Und Millicent? Hat er schon wieder meinen Besuch vergessen?“ Der Mann zwinkerte mir zu, auf der Suche meine Sympathie zu gewinnen. „Sie sind die neue Sekretärin, nicht wahr? Es wird Ihre Aufgabe sein, ihn an die nächsten Termine zu erinnern. Jeden Dienstag um drei Uhr nachmittags.“ Er streckte mir seine Hand mit einem freundlichen Lächeln entgegen. „Ich bin der Hausarzt. John McIntosh.“

Er war ein großer Mann, fast so groß wie Kyle, aber älter, so zwischen sechzig und siebzig ungefähr.

„Und ich bin Melisande Bruno“, sagte ich, während ich seinen Händedruck erwiderte.

„Ein exotischer Namen für eine Frau, die den schottischen Frauen in Schönheit in nichts nachsteht.“ Die Bewunderung in seinen Augen sprach Bände. Ich schenkte ihm dankbar ein Lächeln. Vor meiner Ankunft in diesem Dorf, das man selbst auf einer Landkarte nicht findet, befand man mich als adrett, vielleicht auch noch anmutig, meistens aber passabel. Aber niemals hübsch.

Mrs. Mc Millians Blick hellte sich bei dem Kompliment auf, als wäre sie meine Mutter und ich ihre Tochter, die verheiratet werden muss. Zum Glück war der Doktor älter und verheiratet, wen man dem großen Trauring an seinem Fingerring Glauben schenken durfte, ansonsten hätte sie sich sicherlich sofort daran gemacht, eine schöne Hochzeit in der idyllischen Umgebung von Midnight Rose zu organisieren.

Nachdem sie ihn nach oben begleitet hatte, kam sie zu mir zurück, mit einem schelmischen Ausdruck in ihrem hageren Gesicht. „Schade, dass er verheiratet ist. Er wäre eine großartige Partie für sie.“

Schade, dass er alt ist, hätte ich noch gern hinzugefügt. Ich biss mir gerade rechtzeitig noch auf die Zunge, da ich mich daran erinnerte, dass Mrs. Mc Millian mindestens 50 Jahre alt war und wahrscheinlich fand sie den Arzt attraktiv und begehrenswert.

„Ich bin nicht auf der Suche nach einem Verlobten“, erinnerte ich sie vehement. „Ich hoffe, Sie wollen mir nicht auch noch Kyle andrehen.“

Sie schüttelte verneinend den Kopf. „Der ist auch verheiratet. Das heißt….. er lebt getrennt, ein seltener Fall in dieser Gegend hier. Trotzdem mag ich ihn nicht. Er hat etwas Furchteinflößendes an sich und etwas anstößiges.“

Ich wollte schon anfangen ihr klar zu machen, dass ein potentieller Er vor allem mir gefallen müsste, aber ich verzichtete darauf. Vor allem, weil auch ich Kyle nicht mochte. Er war nicht gerade der Typ von Mann, von dem ich träumen wollte, es sei denn ich wäre dazu überhaupt in der Lage. Nein, ich war unfair. Die Wahrheit war, dass es nach dem Zusammentreffen mit dem rätselhaften und komplizierten Sebastian Mc Laine schwierig war, jemanden zu finden, der ihm das Wasser reichen konnte. Im Geist schimpfte ich mich selbst eine dumme Kuh. Es war pathetisch und banal, ins Netz des schönen Schriftstellers zu gehen. Er war nur mein Arbeitgeber, und ich wollte nicht wie Millionen anderer Sekretärinnen enden, die sich hoffnungslos in ihren Chef verliebten. Rollstuhl hin oder her, Sebastian Mc Laine war außerhalb meiner Reichweite.

Unbestreitbar.

„Ich gehe nach oben“, sagte ich. „Wie lange dauern in der Regel die Arztbesuche?“

Die Gouvernante lachte fröhlich. „Länger als Herr Mc Laine ertragen kann.“ Sie begann mit einer Litanei von Geschichten über die Arztbesuche. Ich erstickte ihre Versuche im Keim, da ich felsenfest davon überzeugt war, dass, wenn dies mir nicht rechtzeitig gelungen wäre, ich mich am folgenden Dienstag immer noch mit dem fortlaufenden Anhören ihrer Geschichten an der gleichen Stelle befunden hätte.

Ich war auf dem Treppenabsatz, meine Schritte wurden von den weichen Teppichen gedämpft, als ich sah, dass Kyle aus einem Schlafzimmer auftauchte. Es schien mir das unseres gemeinsamen Arbeitgebers zu sein.

Er bemerkte mich und blinzelte mir vertraulich zu. Ich blieb für mich, da ich entschlossen hatte, ihn zu ignorieren. Mrs. Mc Millian hatte schon Recht, dachte ich, während er zu mir aufschloss. Er hatte etwas zutiefst beunruhigendes an sich.

„Jeden Dienstag die gleiche Geschichte. Ich wünschte, McIntosh würde mit diesen unnötigen Arztbesuchen aufhören. Das Ergebnis ist doch immer dasselbe. Sobald er weg ist, muss ich die schlechte Laune seines Patienten ausbaden.“ Sein Lächeln wurde breiter. „Und du“. Ich zuckte mit den Achseln. „Das ist unsere Aufgabe, oder nicht? Wir werden auch dafür bezahlt?“

„Vielleicht nicht genug. Er ist wirklich unerträglich.“ Sein Ton war so respektlos, dass ich mich darüber entsetzte. Ich war nicht sicher, ob es nur die typische Offenheit der Leute vom Land war, die in ihrem gnadenlosen Urteil echt war. Da war noch etwas andere dabei, so eine Art Neid gegenüber denjenigen, die sich es leisten konnten, nicht zu arbeiten, oder wenn schon, dann als ein Hobby, wie Mc Laine. Neid ihm gegenüber, auch wenn er an den Rollstuhl gefesselt ist, und somit noch gefangener als ein Sträfling im Zuchthaus war.

„Du solltest nicht so reden“, ermahnte ich ihn, meine Stimme wurde immer leiser. „Und wenn er dich hört?“

„Es ist nicht einfach, hier Personal zu finden. Es wäre schwer, mich zu ersetzen.“ Er stellte dies als eine Tatsache hin, in herablassendem Ton, so als ob er ihm einen Gefallen täte. Die Worte waren genau dieselben, die Mc Laine verwendet hatte, und ich wurde mir bewusst, dass sie der Wahrheit entsprachen.

„Hier gibt es keine Gelegenheiten für ein bisschen Vergnügen“, fuhr er in anzüglich schmeichelnden Ton fort. Wie zufällig, so schien es zumindest, strich er mir eine Haarsträhne aus der Stirn. Sofort zuckte ich zurück, sein heißer Atem auf meinem Gesicht war mir äußerst unangenehm.

„Vielleicht wird es dir das nächste Mal, wenn ich dich berühre, besser gefallen“, sagte er, ohne gekränkt zu sein.

Die Sicherheit, mit der ich sprach entfesselte meine Wut. „Es wird kein nächste Mal geben“, zischte ich. „Ich suche keine Ablenkungen, und ganz bestimmt nicht solche.“

„Ist schon gut. Sicher. Vorerst.“

Ich schwieg stoisch, auch wenn ich ihm nur allzu gern ihm eine vors Schienbein getreten oder ein Ohrfeige ins Gesicht gegeben hätte.

Ich marschierte den Gang entlang und ignoriere sein verhaltenes Lachen.

Ich war gerade dabei, die Tür zu meinem Zimmer zu öffnen, als die von Mc Laine aufgerissen wurde und ich deutlich seine bei weitem nicht mehr unterdrückte Stimme hören konnte.

„Raus! Verlassen Sie dieses Haus, McIntosh! Und wenn Sie mir wirklich einen Gefallen tun wollen, dann lassen Sie sich hier nicht mehr blicken.“

Der Arzt reagierte ruhig, als ob er solche Zornesausbrüche gewohnt wäre.

„Ich komme am Dienstag zur gleichen Zeit wieder, Sebastian. Ach, ich bin froh zu sehen, dass Du kerngesund bist. Dein Aussehen und Dein Körper können es ohne Probleme mit einem Zwanzigjährigen aufnehmen.“

„Was für eine gute Nachricht, McIntosh.“ Die Ironie in der Stimme des Anderen war nicht zu überhören. „Das sollte ich doch glatt feiern. Vielleicht gehe ich auch eine Runde tanzen.“

Der Arzt schloss die Tür, ohne zu antworten. Als er sich umdrehte, erblickte er mich und bemühte sich um ein müdes Lächeln. „Sie werden sich schon noch an seine Stimmungsschwankungen gewöhnen. Er ist liebenswürdig, wenn er will. Und das heißt, sehr selten.“

Ich übernahm eilig die Verteidigung meines Chefs. „An seiner Stelle würde jeder...“

McIntosh lächelte weiterhin. „Nicht jeder. Jeder Mensch reagiert auf seine eigene Weise, Miss. Denken sie daran. Nach fünfzehn Jahren sollte er sich zumindest damit abgefunden haben. Aber ich fürchte, dass Sebastian die Bedeutung dieses Wortes nicht kennt. Er ist so…“ Er hielt kurz inne. „…leidenschaftlich. Im weitesten Sinne des Wortes. Er ist hitzköpfig, ein Vulkan, impulsiv, stur. Es ist eine schreckliche Tragödie, die ausgerechnet ihm wiederfahren ist.“ Er schüttelte den Kopf, so als ob er sich die göttliche Bestimmung nicht erklären könnte, dann grüßte er mich kurz und ging.

An diesem Punkt wusste ich nicht, was tun. Ich liebäugelte mit der Tür zu meinem Zimmer. Sie strahlte so süß, dass mir fast schwindlig wurde. Ich hatte Angst, Mc Laine nach seinem jüngsten Wutausbruch entgegenzutreten. Auch wenn er nicht gegen mich gerichtet war. Und erneut wurde mir die Entscheidung abgenommen.

„Miss Bruno! Kommen Sie sofort her!"

Um diese dicke Eichentür zu durchdringen, musste er aus voller Kehle rufen. Das war für meine schon angekratzten Nerven zu viel. Ich öffnete seine Türe, die Füße setzten sich automatisch einer vor den anderen.

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