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Das Mädchen Der Verbotenen Regenbögen
„Sind Sie vielleicht stumm? Oder taub?”
Ich prallte nach einem Fall aus luftiger Höhe wieder auf der Erde auf. Ich konnte fast den Aufprall meiner Glieder auf dem Boden hören. Ein tosendes und bedrohliches Getöse, gefolgt von einem unheimlichen und verheerendem Knirschen.
„Entschuldigung, ich war etwas abgelenkt“, murmelte ich und errötete sofort.
Er sah mich mit einer für meinen Geschmack übertriebenen Aufmerksamkeit an. Es schien als würde er sich jede einzelne Linie meines Gesichtes einprägen, sein Blick blieb auf meinem Hals ruhen. Ich errötete noch mehr. Zum ersten Mal wünschte ich mir inständig, dass ich meinen Geburtsfehler mit einem anderen menschlichen Wesen teilen könnte. Es wäre weniger peinlich gewesen zu wissen, dass Herr Mc Laine, in seiner aristokratischen und triumphierenden Schönheit, die Röte, die sich in Windeseile auf jedem Zentimeter bloßer Haut ausbreitete, nicht wahrnehmen könnte.
Ich wippte vor lauter Unbehagen mit den Füßen angesichts dieser unverschämten Sichtprüfung. Er setzte seine Analyse fort, um zu meinem Haare zu kommen.
„Sie sollten sich ihre Haare färben. Oder Sie werden am Ende für Feuer gehalten. Ich würde nicht unter dem Ansturm von hundert Feuerwehrmännern enden wollen.“ Sein unergründlicher Ausdruck hellte sich ein wenig auf, und ein Funken Belustigung glänzte in seinen Augen.
„Ich habe diese Farbe nicht gewählt” sagte ich, indem ich all meine Würde aufbrachte, zu der ich fähig war. „Aber der Schöpfer.“
Er hob eine Augenbraue. „Sind Sie religiös, Miss Bruno?”
„Und Sie, Sir?”
Er legte den Füller auf den Schreibtisch, ohne seinen Blick von mir abzuwenden. „Es gibt keine Beweise, dass Gott existiert”.
„Aber auch keine, dass er nicht existiert” antwortete ich herausfordernd und überraschte mich selbst am meisten über die Vehemenz meiner Worte.
Seine Lippen verzogen sich in ein spöttisches Lächeln, dann zeigte er auf einen kleinen Polstersessel. „Setzen Sie sich.” Es war mehr ein Befehl als eine Einladung. Dennoch gehorchte ich ohne zu zögern.
„Sie haben meine Frage nicht beantwortet, Miss Bruno. Sind Sie religiös?”
„Ich bin gläubig, Mister Mc Laine” bestätige ich mit leiser Stimme. „Aber ich bin nicht sehr praktizierend. Besser gesagt, ich bin es überhaupt nicht.”
„Schottland ist eine der wenigen englischsprachigen Nationen, wo der Katholizismus mit Inbrunst und unvergleichlicher Hingabe praktiziert wird.“ Seine Ironie war unverkennbar. „Ich bin die Ausnahme, die die Regel bestätigt ... Sagt man das nicht so? Sagen wir, ich glaube nur an mich selbst und an alles was ich berühren kann.“
Er lehnte sich erschöpft in seinen Rollstuhl zurück und trommelte mit den Fingerspitzen auf die Armlehnen. Doch ich glaubte nicht, nicht einmal für den Bruchteil einer Sekunde, dass er verletzlich oder zerbrechlich wäre. Sein Gesichtsausdruck war einer von denen, die durch Flammen gegangen sind, und keine Angst haben sich noch einmal in sie zu stürzen, wenn sie es für erforderlich hielten. Oder einfach, wenn sie Lust dazu hatten. Mit Mühe löste ich meinen Blick von seinem Gesicht. Es war hell, fast perlfarben, eine glänzendes und strahlendes Weiß, anders als die üblichen Gesichter um mich herum. Es war anstrengend, ihn zu betrachten, und seiner hypnotischen Stimme zuzuhören. Ein Schlangenbeschwörer, und jede Frau würde sich erfreut seinem Zauber hingeben, dem geheimnisvollen Bann, der von ihm, seinem perfekten Antlitz, seinem spöttischen Blick ausging.
„Also Sie sind meine neue Sekretärin, Miss Bruno.”
„Wenn Sie meine Anstellung bestätigen, Mr. Mc Laine“ stellte ich klar und hob meinen Blick.
Er lächelte zweideutig. „Warum sollte ich Sie nicht anstellen? Weil Sie nicht jeden Sonntag in die Kirche gehen? Sie halten mich für sehr oberflächlich, wenn Sie denken, dass ich jetzt in der Lage wäre, sie wegzuschicken oder ... hier zu behalten, nur auf Grund einer Plauderei.“
„Auch ich kenne Sie noch nicht genug, um ein so wenig schmeichelhaftes Urteil ihnen gegenüber abzugeben“, stimmte ich lächelnd zu. „Aber ich bin mir durchaus bewusst, dass eine fruchtbare Arbeitsbeziehung auch von einer unmittelbaren Sympathie, von einem guten ersten Eindruck abhängt.“
Sein Lachen war so unerwartet, dass ich zusammenzuckte. Genau so abrupt, wie es eingesetzt hatte, hörte es auf. Er starrte mich kalt und eisig an.
„Glauben Sie wirklich, dass es einfach ist jemanden zu finden, der bereit ist in dieses von Gott und der Welt verlassene Dorf zu ziehen, weit weg von jeder Art der Unterhaltung, von jedem Einkaufszentrum oder Diskothek? Sie waren die Einzige, die auf die Anzeige geantwortet hat, Miss Bruno.“
Der Spaß lauerte im Hinterhalt, hinter der Kälte seiner Augen. Eine schwarze Eisplatte, durchzogen von einem dünnen Riss guter Stimmung, die meine Seele erwärmte.
„Dann muss ich mir wohl wegen der Konkurrenz keine Sorgen machen“, sagte ich und rieb die Hände nervös im Schoß.
Er musterte mich weiterhin, mit der gleichen irritierenden Neugier, mit der man ein seltenes Tier beobachtet.
Ich schluckte, um eine fiktive und gefährlich wacklige Leichtigkeit zur Schau zu stellen. Für einen Moment, der gerade dazu ausreichte, den Gedanken zu formulieren, sagte ich mir, dass ich von diesem Haus, diesem mit Büchern vollgestopften Zimmer, diesem beunruhigenden und schönem Mann weglaufen müsste. Ich fühlte mich wie ein hilfloses Kätzchen nur wenige Zentimeter vom Rachen des Löwen entfernt. Grausames Raubtier, hilflose Beute. Dann war das Gefühl wie weggeblasen, und ich betrachtete mich selbst wie eine Närrin. Vor mir war ein Mann von überwältigender Persönlichkeit, arrogant und anmaßend, aber seit langer Zeit in einen Rollstuhl gefesselt. Ich war das aktuelle Opfer, ein schüchternes Mädchen, ängstlich und Änderungen gegenüber misstrauisch. Warum sollte ich ihn nicht einfach tun lassen? Wenn es ihm Freude bereitet, sich über mich lustig zu machen, warum sollte ich ihn an der einzigen Gelegenheit an Unterhaltung und Abwechslung, die er hatte, hindern? In gewissem Sinn war es eine edle Geste von mir.
„Was denken Sie von mir, Miss Bruno?”
Erneut zwang ich ihn dazu eine Frage zu wiederholen, und erneut hatte ich ihn überrumpelt.
„Ich dachte nicht, dass Sie so jung sind.“
Er versteifte sich sofort, und ich verlor die Sprache, aus Angst ihn in irgendeiner Weise verletzt zu haben. Er fasste sich wieder und ein weiteres seiner Herzklopfen verursachenden Lächeln ging mir durch Mark und Bein. „Tatsächlich?“
Ich wand mich auf meinem Stuhl, unsicher, wie ich fortfahren sollte. Dann entschloss ich mich dazu, all meinen Mut zusammenzunehmen und, angespornt durch seinen an meine Augen in einem stillen Tanz, aber deswegen nicht weniger aufregend, gehefteten Blick, sprach ich weiter.
„Nun ... Sie haben Ihr erstes Buch mit zwanzig, vor fünfzehn Jahren geschrieben, wenn ich mich richtig erinnere. Und doch scheinen Sie nur wenig älter zu sein als ich“, bemerkte ich fast abwesend.
„Wie alt sind Sie, Miss Bruno?”
„Zweiundzwanzig, Sir”, antwortete ich, erneut von der Tiefe seiner Augen völlig aus der Reihe gebracht.
„Ich bin wirklich alt für dich, Miss Bruno“, sagte er lächelnd. Dann senkte er den Blick, und die kalte Winternacht umschlang ihn erneut, noch grausamer als eine Schlange. Alle Spuren von Wärme waren verschwunden. „Wie auch immer, Sie können beruhigt sein. Sie brauchen keine Angst vor sexuellen Belästigungen haben, während Sie in Ihrem Bett schlafen. Wie Sie sehen können, bin ich zur Unbeweglichkeit verurteilt.“
Ich schwieg, weil ich nicht wusste, was ich sagen soll. Sein Ton war bitter und hoffnungslos, sein Gesicht wie aus Stein gemeißelt.
Seine Augen sondierten meine, auf der Suche nach etwas, das sie nicht zu finden schienen. Er erlaubte sich ein kleines Lächeln. „Wenigstens haben Sie kein Mitleid. Das freut mich. Ich will keines, ich brauche es nicht. Ich bin glücklicher als viele andere, Miss Bruno, weil ich frei bin, durch und durch, uneingeschränkt.“ Er zog die Augenbrauen hoch. „Was machen Sie noch hier? Sie können gehen.“
Der steife Abschied verwirrte mich. Ich stand unsicher auf, und er nutzte die Gelegenheit, seinen Ärger an mir auszulassen.
„Immer noch hier? Was wollen Sie? Schon das erste Gehalt? Oder möchten Sie über ihren freien Tag sprechen?” klagte er mich wütend an.
„Nein, Mister Mc Laine.” Ungelenk ging ich auf die Türe zu. Ich hatte schon die Hand an der Klinke, als er mich aufhielt.
„Morgen früh um neun, Miss Bruno. Ich schreibe gerade ein neues Buch, der Titel ist Tote ohne Begräbnis. Finden Sie ihn gruselig?“ Sein Lächeln breitete sich aus.
Der plötzliche Stimmungswechsel musste ein dominantes Merkmal seines Charakters sein. Ich musste mich zukünftig daran erinnern, oder ich riskierte mindestens zwanzig Mal pro Tag eine hysterische Krise zu bekommen. „Klingt interessant, Sir“, antwortete ich vorsichtig.
Er warf den Kopf zurück und brach in schallendes Gelächter aus. „Interessant! Ich wette, Sie haben noch nie eines meiner Bücher gelesen, Miss Bruno. Mir scheinen Sie etwas dünnhäutig zu sein... Du würdest die ganze Nacht kein Auge zu tun, von Alpträumen gequält ...“ Er lachte wieder, sprang vom Sie zum Du mit der gleichen Sprunghaftigkeit, wie seine Stimmungsänderungen.
„Ich bin nicht so empfindlich, wie es scheint, Sir“, antwortete ich zerknirscht, eine weitere Welle von Gelächter verursachend.
Mit seinen Händen lenkte er den Rollstuhl mit katzenartiger und bewundernswerter Gewandtheit, wie man sie nach jahrelanger Gewohnheit erwirbt, und begab sich in außerordentlicher Geschwindigkeit auf meine Seite. So nah, dass all meine Versuche einen vernünftigen Gedanken zu fassen, scheiterten. Instinktiv trat ich einen Schritt zurück. Er tat so, als ob er meine Bewegung nicht bemerkt hätte, und wies auf die Bibliothek zu meiner Rechten.
„Nimm das vierte Buch von links, drittes Regal.”
Gehorsam nahm ich das Buch, das er angegeben hatte. Der Titel war mir vertraut, weil ich vor meiner Abreise eine Internet-Suche über ihn gemacht hatte, aber eigentlich hatte ich noch nie etwas von ihm gelesen. Horror war nicht gerade mein Stil, sondern eher für starke Nerven gedacht, und entsprach so gar nicht meinen sanft und romantischen Vorlieben.
„Zombies auf Wanderschaft”, las ich laut.
„Es ist für den Anfang das Beste. Es ist das weniger..... wie soll ich sagen? Weniger gruselige?“ Er lachte herzlich, klar und deutlich über mich und mein sicherlich nicht sonderlich verhülltes Unbehagen, das aus jeder Pore meines Körpers drang.
„Warum fängst du nicht schon heute Abend damit an es zu lesen? Genau richtig um dich für deinen neuen Job vorzubereiten“, schlug er mit lachenden Augen vor.
„Okay, das werde ich tun“, sagte ich mit wenig Begeisterung.
„Bis morgen früh, Miss Bruno”, entließ er mich, die Atmosphäre war wieder ernst geworden. „Schließe dein Zimmer ab. Ich möchte nicht, dass Hausgeister oder irgendeine andere schreckliche Kreatur der Finsternis dich heute Nacht heimsuchen. Du weißt schon ...“ Er machte eine Pause, ein Blitz der Heiterkeit im Dunkel seiner Augen. „Wie ich schon sagte, es ist nicht einfach, Angestellte in dieser Gegend zu finden.“
Ich versuchte ein Lächeln, was mir alles im allem nicht gerade überzeugend gelang.
„Gute Nacht, Mister Mc Laine.“ Bevor ich die Tür schloss, kamen mir die Worte über die Lippen, ohne dass ich sie zurückhalten konnte. „Ich glaube nicht an Geister oder Kreaturen der Finsternis.“
„Sicher?“
„Es gibt keine Beweise für ihre Existenz, Sir“, antwortete ich, während ihn unbeabsichtigt nachäffte.
„Aber auch keine, das sie nicht existieren“, antwortete er. Er drehte den Rollstuhl und kehrte hinter seinen Schreibtisch zurück.
Ich schloss ganz sachte die Tür, mit dem Herz in der Hose. Vielleicht hatte er ja Recht und Zombies existieren wirklich. Denn in diesem Moment fühlte ich mich wie einer von ihnen. Völlig benommen mit einem Gehirn, das durchdrehte, fühlte ich mich hin- und hergerissen, ich konnte nicht mehr zwischen echt und unecht unterscheiden. Das war noch schlimmer als Farben nicht erkennen zu können.
Ich aß lustlos zusammen mit Mrs. Mc Millian zu Abend, mit den Gedanken ganz woanders, in ganz anderer Gesellschaft. Ich hatte Angst, dass ich diese erst am nächsten Morgen wiederfand, wenn ich zu dem zurückkehrte, bei dem ich sie gelassen hatte. Irgendetwas in mir sagte, dass mein vertrauensvolles Herz diese in Hände gegeben hatte, in denen sie nicht gut aufgehoben war.
Von dem Gespräch an diesem Abend mit der Haushälterin blieb mir nur wenig in Erinnerung. Sie sprach allein, ohne ein Ende zu finden. Sie schien im siebten Himmel zu sein, nachdem sie jetzt endlich jemanden zum Reden hatte. Oder besser gesagt, jemanden, der zuhörte. In diesem Sinne war ich die perfekte Besetzung. Ich war zu höflich, sie zu unterbrechen, zu respektvoll, um mein mangelndes Interesse zu bekunden, zu beschäftigt damit, an etwas anderes zu denken, um allein sein zu wollen. Ich hätte trotzdem an ihn gedacht.
Eine Stunde später in meinem Zimmer, machte ich es mir in meinem Bett bequem, den Kopf an die Kissen angelehnt, dann schlug ich das Buch auf und vertiefte mich in seine Zeilen. Schon auf der zweiten Seite war ich von Angst gepeinigt, was an und für sich verwerflich ist, wenn man bedenkt, dass es sich ja nur um ein Buch handelte.
Trotz des gesunden Menschenverstands, mit dem ich theoretisch ganz gut ausgestattet war, wurde die Atmosphäre im Raum stickig, und der Wunsch nach frischer Luft wurde immer dringender.
Barfuß durchquerte ich den dunklen Raum und öffnete das Fenster. Ich saß auf dem Fensterbrett, tauchte in die laue Frühsommernacht ein, deren Stille nur durch das Zirpen der Grillen und den Ruf einer Eule gebrochen wurde. Es war schön dort zu sein, Lichtjahre von der Hektik Londons entfernt, von seinem drängenden Rhythmus, immer am Rande der Hysterie. Die Nacht war eine schwarze Decke, abgesehen von der Helligkeit einiger Sterne hier und da. Ich mochte die Nacht, und dachte müßig, dass ich gern ein Geschöpf der Finsternis gewesen wäre. Die Dunkelheit war meine Verbündete. Ohne Licht ist alles schwarz, und meine genetische Unfähigkeit, Farben zu unterscheiden, verlor an Bedeutung. In der Nacht waren meine Augen identisch mit denen einer anderen Person. Für einige Stunden fühlte ich mich nicht anders. Eine momentane Erleichterung, die aber so erfrischend wie Wasser auf erhitzte Haut wirkte.
Am nächsten Morgen wachte ich durch das Klingeln des Weckers auf und blieb ein paar Minuten gedankenverloren im Bett liegen. Nach einer ersten Benommenheit, erinnerte ich mich daran, was am Tag zuvor geschehen war, und erkannte den Raum.
Ich kleidete mich an und ging die Treppe hinunter, die tiefe Stille um mich herum schüchterte mich fast ein bisschen ein. Doch der Anblick von Millicent Mc Millian, fröhlich und redselig wie immer, zerstreute alle trüben Gedanken und ließ meine wilden Gedanken wieder zur Ruhe kommen.
„Haben Sie gut geschlafen, Miss Bruno?“. sagte sie.
„Besser wie nie zuvor“, antwortete ich, und überraschte mich selbst über diese Auskunft. Seit Jahren hatte ich mich nicht mehr so unbeschwert dem Schlaf hingegeben und die negativen Gedanken wenigstens für ein paar Stunden verdrängt.
„Möchten Sie Kaffee oder Tee?“
„Tee, bitte“, antwortete ich, während ich am Küchentisch Platz nahm.
„Gehen Sie ruhig ins Wohnzimmer, ich werde es Ihnen dort servieren.“
„Ich frühstücke lieber mit Ihnen“, sagte ich während ich ein Gähnen unterdrückte.
Die Frau schien zufrieden zu sein und begann in der Küche zu hantieren. Sie begann mit dem üblichen Geschwätz, und ich konnte somit uneingeschränkt an Monique denken. Was machte sie wohl um diese Zeit? Hatte sie bereits gefrühstückt? Der Gedanke an meine Schwester lud mir wieder die schwere die Last auf meine schmalen Schultern und so war ich froh als die dampfende Tasse Tee vor mir stand.
„Danke, Mrs. Mc Millian.“ Ich nippte mit Vergnügen an der heißen und wohlduftenden Flüssigkeit, während die Haushälterin den Toast und eine Reihe von Schalen mit verschiedenen einladenden Marmeladen servierte.
„Nehmen Sie die Himbeermarmelade. Sie ist phantastisch.“
Ich griff nach dem Tablett, das Herz schlug mir bis zum Hals. Mein Anderssein überflutete mich erneut mit einer Welle von dunklem stinkendem Schlamm. Warum ich? Und gab es auf dieser Welt noch andere, die so waren wie ich? Oder war ich eine einzelne Anomalie? Eine Laune der Natur?
Ich griff nach irgendeiner Schüssel, in der Hoffnung, dass die alte Frau zu konzentriert auf ihr Gespräch als meinen möglichen Fehler zu bemerken. Die Marmeladen waren fünf, so hatte ich eine Chance zu fünf, zwei zu zehn, zwanzig Prozent die richtige beim ersten Versuch zu erwischen.
Sie war weit weniger abgelenkt als ich dachte und korrigierte mich schnell. „Nein, Miss. Das ist Orange.“ Sie lächelte und wurde sich der Aufregung, die sich in meinem Körper ausbreitete und der Schweißperlen, die sich auf meiner Stirn bildeten, nicht bewusst. Sie reichte mir eine kleine Schüssel. „Hier, man kann sie leicht mit der Erdbeermarmelade verwechseln.“
Sie bemerkte mein gezwungenes Lächeln nicht, und nahm ihre Geschichte einer ihrer amourösen Abenteuer mit einem jungen Florentiner, der sie wegen einer Südamerikanerin verlassen hatte, wieder auf.
Ich aß widerstrebend, immer noch wegen des kleinen Vorfalls zuvor angespannt, und ich hatte schon bereut, den Vorschlag alleine zu essen, nicht angenommen zu haben. In diesem Fall gäbe es keine Probleme. Potenziell kritische Situationen zu vermeiden: das war mein Mantra. Das war schon immer so. Ich durfte nicht zulassen, dass die herrliche Atmosphäre dieses Hauses mich in die Versuchung führt, die notwendige Vorsicht zu vergessen. Mrs. Mc Millian schien eine kluge Frau zu sein, intelligent und fürsorglich, aber viel zu gesprächig. Ich konnte nicht auf ihre Diskretion zählen.
Sie machte eine kurze Pause um ihren Tee zu trinken, und ich nutzte die Gelegenheit, ihr einige Fragen zu stellen. „Arbeiten Sie schon lange bei Mr. Mc Laine?“
Ihre Augen begannen zu leuchten, glücklich darüber neue Anekdoten zum Besten geben zu können. „Ich bin seit 15 Jahren hier. Ich kam ein paar Monate nach dem Unfall von Mr. Mc Laine. Der, bei dem er…. sie verstehen schon. Alle früheren Hausangestellten wurden weggeschickt. Es scheint, dass Herr Mc Laine ein sehr fröhlicher Mensch, voller Lebenslust und immer bester Laune war. Jetzt haben sich die Dinge leider geändert.“
„Was ist passiert? Ich meine ... der Unfall? Das ist ... Verzeihen Sie meine Neugier, sie ist nicht zu entschuldigen.“ Ich biss mir auf die Lippen, aus Angst, missverstanden zu werden.
Sie schüttelte den Kopf. „Es ist normal Fragen zu stellen, das ist Teil der menschlichen Natur. Ich weiß nicht genau, was passiert ist. Im Dorf sagten sie mir, dass Herr Mc Laine genau einen Tag nach dem Autounfall heiraten sollte, aber natürlich wurde daraus nichts. Einige sagen, er war betrunken, aber das sind meiner Meinung nach einfach nur unfundierte Gerüchte. Was man ganz sicher weiß, ist, dass er von der Straße abkam, um einem Kind auszuweichen.“
Meine Neugier war durch ihre Worte neu entfacht. „Ein Kind? Ich hatte online gelesen, dass der Unfall in der Nacht geschehen ist.“
Sie zuckte mit den Achseln. „Ja, scheinbar handelte es sich um den Sohn des Lebensmittelhändlers. Er war von zu Hause weggelaufen, weil er sich entschlossen hatte, sich dem Zirkus, der in Gegend auf Tournee war, anzuschließen.“
Ich verarbeitete diese Nachricht. Das erklärte den plötzlichen Stimmungswechsel von Mr. Mc Laine, seine ständige Unzufriedenheit, sein Unglücklich sein. Wie konnte man das nicht verstehen? Seine Welt war aufgrund eines unglücklichen Schicksals auseinandergefallen, in tausend Scherben zersplittert. Ein junger Mann, reich, gut aussehend, ein erfolgreicher Schriftsteller, der kurz davor stand, seinen Traum von der großen Liebe zu verwirklichen ... Und dann verlor er innerhalb von wenigen Sekunden all das, was er hatte. Ich hatte so ein Unglück nie erlebt, ich konnte es mir nur vorstellen. Man kann nicht verlieren, was man nicht hat. Mein einziger und ewiger Begleiter war schon das Nichts.
Ein kurzer Blick auf meine Armbanduhr bestätigte mir, dass es Zeit war zu gehen. Mein erster Arbeitstag. Mein Herz schlug schneller, und in einem Moment von klarem Verstand fragte ich mich, ob dies von dem neuen Job, oder von dem geheimnisvollen Hausherrn abhing.
Ich nahm zwei Stufen auf einmal, in der völlig unvernünftigen Angst zu spät zu sein. Im Flur traf ich auf Kyle, den Krankenpfleger und Mann für alle Fälle. „Guten Tag!“
Ich verlangsamte meinen Schritt und schämte mich meiner Eile. Ich musste den Eindruck einer unsicheren oder, was noch schlimmer war, einer überspannten Person gemacht haben.
„Guten Morgen!“
„Miss Bruno, nicht wahr? Kann ich du sagen? Im Grunde genommen sitzen wir im selben Boot, auf Gedeih und Verderb einem verrückten Irren ausgesetzt.“ Die grobe und brutale Rohheit seiner Worte erstaunten mich.
„Ich weiß, ich bin respektlos meinem Arbeitgeber gegenüber, und so weiter. Du wirst schon sehen und mir bald Recht geben. Wie heißt du?
„Melisande.“
Er mimte eine unbeholfene Verbeugung. „Es freut mich sehr, dich kennenzulernen, Melisande Rotschopf. Dein Name ist wirklich seltsam, es ist kein schottischer Name … Obwohl du scheinst mir schottischer zu sein als ich.“
Ich lächelte aus reiner Höflichkeit und versuchte, an ihm vorbei zu kommen, immer noch in der Angst, zu spät zu kommen. Aber er versperrte mir den Weg, fest mit breiten Beinen stand er mitten im Flur. Nur durch das rechtzeitige Einschreiten einer dritten Person konnte die verfahrene Situation entwirren.
„Miss Bruno! Ich kann Verzögerungen nicht ausstehen!“ Der Ruf kam zweifellos von meinem neuen Arbeitgeber und ich bekam eine Gänsehaut im Nacken.
Kyle trat schnell zur Seite und ließ mich vorbei. „Viel Glück, Melisande Rotschopf. Du wirst es brauchen.“
Ich warf ihm einen wütenden Blick zu und lief auf die Tür am Ende des Flurs zu. Sie stand halb offen, und eine Rauchwolke drang aus ihr heraus.
Sebastian Mc Laine saß hinter dem Schreibtisch, genau wie am Vortag, eine Zigarre zwischen den Fingern, mit unnachgiebigem Gesicht.
„Schließen Sie die Türe, bitte. Und dann setzen Sie sich. Wir haben schon genug Zeit damit vergeudet, dass Sie mit dem Rest des Personals Freundschaft schließen.“ Sein Ton klang hart und beleidigend.
Eine innerer Aufruhr trieb mich zu einer Antwort, ein waghalsiges Lamm vor dem Schlachtbeil.
„Es war reine Höflichkeit. Oder bevorzugen Sie vielleicht eine ungehobelte Sekretärin? In diesem Fall kann ich die Zelte auch sofort abbrechen.“
Meine Impulsantwort erwischte ihn völlig unvorbereitet. In seinem Gesicht blitzte ein Funken Überraschung auf, wahrscheinlich der gleiche, den mein Gesicht wiederspiegelte. Ich war noch nie so wagemutig gewesen.
„Und ich hatte Sie schon als zahnlosen Schosshund eingestuft ... Da war ich wohl voreilig ... Wirklich voreilig.“
Ich konnte mich kaum noch auf meinen wackeligen Beinen halten und setzte mich ihm gegenüber, völlig zerknirscht über meine rücksichtslose Offenheit. Und angsterfüllt über die möglichen explosiven Folgen.
Mein Arbeitgeber schien alles andere als beleidigt zu sein. Er lächelte. „Wie ist Ihr Vorname, Miss Bruno?“
„Melisande“, antwortete ich automatisch.
„Nach Debussy, nehme ich an. Waren Ihre Eltern Musikliebhaber? Musiker vielleicht sogar?“
„Mein Vater war Bergmann“, gab ich ungern zu.
„Melisande ... Ein ausgefallener Name für die Tochter eines Bergmanns“, stellte er mit vibrierenden Stimme eines zurückhaltenden Lachens fest. Er machte sich über mich lustig, und trotz der Vorsätze des Tages zuvor, war ich nicht sicher, ob ich das zulassen wollte. Oder es wäre zu seiner Lieblingsbeschäftigung geworden.
Ich straffte die Schultern und versuchte die verlorene Fassung wiederzuerlangen. „Und Sebastian, warum? Vom Heiligen Sebastian vielleicht? Wirklich nicht unbedingt eine passende Wahl.“
Er nahm den Schlag hin und kräuselte die Nase für den Bruchteil einer Sekunde. „Zieh deine Krallen wieder ein, Melisande Bruno. Ich führe keinen Krieg mit dir. Wenn es so wäre, hättest du keine Chance zu gewinnen. Nie. Nicht einmal in deinen kühnsten Träumen.“