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Die Herrin und ihr Knecht
Die Herrin und ihr Knecht

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Die Herrin und ihr Knecht

Язык: Немецкий
Год издания: 2017
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»Was es gibt – was ich will –,« murmelte er aufgescheucht, wobei seine blauen Augen Unterstützung heischend nach dem regungslosen Antlitz seiner Mutter hinüberirrten. »Herrgott, Hans, das ist doch klar, das ist doch furchtbar einfach.«

»Na, dann sag es doch!«

»Ja, sieh mal, ich meinte – das heißt, meine alte Dame ist gleichfalls der Ansicht – wenn es losgehen sollte, dann könnt ihr Mädels doch unmöglich in der glatten Feuerzone bleiben. Und da hatten wir so ganz gemütlich unter uns verabredet, daß es am sichersten wäre, wenn du deine Schwestern nach Berlin schicktest. Du selbst aber –«

»Nun also?«

»Herrgott, sieh mal, es wäre doch so einfach –«

Indessen das Augenpaar der Ältesten von Maritzken ruhte wieder zu scharf, zu kühl und zu forschend auf dem Männerantlitz, als daß Herr von Stötteritz, der doch die Charge eines Landwehr-Rittmeisters bei den Göben-Ulanen bekleidete, die Gewandtheit besitzen konnte, die wohlausgedachte Attacke zu vollenden. Diese niederträchtigen, komischen Weibsbilder, was sie einem für Beschwerlichkeiten bereiteten. Es war ein reines Glück, daß sich jetzt aus dem Seidenfauteuil das bekannte scharfe Räuspern vernehmen ließ.

»Liebe Johanna,« sagte die Frau Mama in ihrer unveränderlich starren Haltung, »mein Junge stottert ja leider. Wahrhaftig, er benimmt sich, als ob man vor jemandem, dem man zu nützen wünscht, noch einen Fußfall machen müßte. Kurz und gut, liebes Kind, so schwer es mir fällt, ich habe mich entschlossen, Sorquitten zu verlassen, um während der nächsten Zeit in die geschützte Provinzialhauptstadt überzusiedeln. Wir besitzen ja dort sowieso ein bescheidenes Absteigequartier. Und da wollte ich dir vorschlagen –«

»Jawohl, wir wollten dich bitten,« fiel hier der Sohn, dem alles viel zu lange währte, ohne besondere Umstände ein, »wir wollten dich bitten, ob du nicht meine Mutter begleiten möchtest.«

»Um Gottes willen, ich?«

»Jawohl, was ist da groß zu überlegen und um Gottes willen,« beharrte nun der Gutsbesitzer bereits etwas erhitzt, weil die Cousine nicht sofort mit beiden Händen zugriff. »Du bleibst dann für alle Fälle hier in der Nähe. Und du könntest dich ja vielleicht auch, um dich zu beschäftigen, ein wenig um die Pflege meiner Mutter kümmern.«

So, damit war so ziemlich für die Zukunft vorgesorgt. Und während sich Tante Adelheid dem Fenster zuwandte, um eine blaue Taube zu beobachten, die auf dem Blech herumstolzierte, da zog sich ihr Sohn gleichfalls den nächsten gelbseidenen Fauteuil heran und ließ sich krachend in das Polster fallen, als ob nun das schwierige Geschäft in schönster Ordnung und beendigt wäre. Gemütlich pfiff er halblaut durch die Zähne, streckte die gewaltigen Beine von sich und faltete die Hände kreuzweise über der Brust. Jedenfalls hatte man nun seine verfluchte Pflicht und Schuldigkeit gegen das störrische, unliebenswürdige Mädel erfüllt. Jetzt konnte sie tun, was sie Lust hatte.

Eine lange Zeit erhob sich kein Laut in dem weiten Zimmer, nur ab und zu vernahmen die drei Menschen, die sich gegenseitig beobachteten, einen eigentümlichen metallischen Ton. Der rührte von der Taube her, die draußen auf dem Fensterblech herumpickte. Endlich jedoch wandte sich Frau von Stötteritz dem schweigenden Mädchen zu, denn sie fand, daß man der Hausherrin nun genug Zeit zur Überlegung gegönnt hätte. Und ihre Stimme klang sehr bestimmt und deutlich, als sie sich nun erkundigte, ob ihre Nichte innerhalb von zwei Tagen die angekündigte Reise antreten würde. Aber wie erstaunten die beiden Adligen, ja Fedors Mutter entsetzte sich geradezu, als statt einer Antwort von dem Tisch her ganz plötzlich und gegen jede Erwartung ein helles Lachen auftönte, das sich in der scharf dagegen absetzenden Stille immer mehr verstärkte, als ob eine innerliche Befreiung damit verbunden wäre.

»Aber liebe Johanna, das finde ich doch in hohem Maße eigenartig,« suchte sich endlich die alte Dame gegen diese absonderliche Weise zur Wehr zu setzen. »Was meinst du, Fedor?«

Jedoch auch der Riese vermochte sich die verletzende Heiterkeit auf einen so ernsthaften und gut gemeinten Vorschlag natürlich noch viel weniger zu erklären. Stumm und ungläubig streckte er noch immer die Beine weit von sich, und nur die gefalteten Hände reckten sich aus, so daß die gespreizten Finger ein kurzes Knacken vernehmen ließen.

»Ja, Johanna, Menschenskind, was soll denn das heißen?« vermochte er nur undeutlich über die Lippen zu bringen.

Aber jetzt hatte sich endlich die Älteste von Maritzken auf sich selbst besonnen. Rasch entschlossen schritt sie auf die alte Dame am Fenster zu, und ehe es die Leidende noch hindern konnte, wurde ihr von dem Landfräulein kräftig die Rechte gedrückt. Auch eine Art der Verständigung, die die Edelfrau nicht schätzte.

»Liebe Tante,« hörte sie dicht vor sich das dunkle Organ ihrer Nichte anschwellen, das jede Dämpfung der Unruhe verloren zu haben schien, »wirklich, ich merke sehr genau, wieviel Wohlwollen sich hinter deiner gütigen Aufforderung verbirgt. Und auch du, bester Vetter,« wandte sie sich ein wenig zurück, »bist im Grunde ein guter Kerl. Aber ihr dürft es mir nicht übel deuten, daß ich mir die ganze Situation, die so plötzlich über mich hereinbricht, nach meiner Gewohnheit im stillen und ungestört überlegen möchte. Nicht wahr, ihr seid nicht böse,« fügte sie freundlich an, »wenn ich zu diesem Zweck ein paar Schritte auf meinem Hof herumlaufe, um mir den Wind ein wenig um den Kopf streichen zu lassen. Dort unten befindet sich ja seit alters her meine große Ratsstube. Und ich muß erst mehrfach an die Stalltüren geklopft haben, um ganz mit mir einig zu sein. Inzwischen schicke ich euch natürlich Marianne oder Isa herein, die ihr ja ohnehin noch nicht begrüßt habt. Du erlaubst, liebe Tante.«

Und ohne eine Bestätigung abzuwarten, nickte die bereits Aufbrechende ihren beiden betroffenen Verwandten zu und verließ mit ihrem festen, majestätischen Gang das große Gemach. Zwischen den Zurückbleibenden jedoch entspann sich eine kurze, inhaltsschwere Unterhaltung.

»Siehst du,« bedeutete die Mutter ihrem Sohn, der seinen Blick noch nicht von der hohen weißen Tür fortzulenken vermochte, hinter der Johanna eben verschwunden war, »wie wenig Anhänglichkeit das Mädchen besitzt? Ich glaube, du täuschst dich in ihr. Ihr seid zwar beide im Alter nicht viel voneinander geschieden, aber bei ihr erzeugten die Jahre oder auch die Gewohnheit des Befehlens eine nicht zu brechende Selbstsicherheit, die nicht immer angenehm anmutet. Manchmal kommt sie mir wie ein Stachelzaun vor, der jedem Fremden den Weg sperrt.«

»Liebe Mutter, sie ist ein braves, wahres und aufrechtes Geschöpf,« verteidigte der Sohn, indem er eine ihm plötzlich über die Stirn huschende Röte mit der flachen Hand fortzuwischen strebte, »gerade weil sie alle die Firlefanzereien und Maskeraden verachtet, die andere Frauenzimmer doch nur anwenden, um anständig unter die Haube zu gelangen, deswegen hege ich eine entschiedene Achtung vor ihr.«

»Dagegen habe ich ja auch gar nichts einzuwenden, mein guter Junge, ich fürchte nur, es wird bei der gegenseitigen Achtung bleiben. Wie?« richtete sich die alte Dame unvermutet auf und schlug unwillig auf ihre seidene Tasche, »ein Mann wie du, der Rittmeister von Stötteritz, mein Sohn, kann es nicht fertig bringen, daß solch eine dumme Pute ihren Willen dem seinigen unterordnet?«

Jetzt sprang der Rittmeister plötzlich auf die Füße, daß das ganze Zimmer zitterte.

»Herrgott, wieder solch ein Lärm!« klagte die Kranke.

»Du sollst Johanna nicht immer beschimpfen,« rief der Riese ohne Übergang laut und völlig unbekümmert darum, ob er nicht durch drei Zimmer hindurch verstanden werden könnte. »Ich mag das nicht. Und ob Johanna sich dir anschließen wird oder nicht, das werde ich gleich erfahren. Und vielleicht noch Verschiedenes mehr.«

»Gut,« schloß die alte Dame, schlug abermals böse auf ihre Tasche und nickte hinter dem schallend Davonstürmenden mit einem Zug des Besserwissens in den kalten grauen Augen her, »dann wird ja dieses Hin- und Herzerren endlich aufhören. Solche romantischen Unklarheiten hasse ich auch bis in den Tod. Sie machen mich direkt krank. Überhaupt – du bist an meinem ganzen Leiden schuld. Lauf du nur, mein Jungchen, lauf nur hinter der Marielle drein.«

Johanna stand vor dem geschlossenen Tor des Kuhstalles und klopfte wirklich, wie sie es vorher angekündigt, bald leise, bald etwas lauter an das altersgeschwärzte Holz. So war sie es immer gewohnt, ihre Gedanken, wenn es etwas Wichtiges galt, zu sammeln. Und ihre Leute sowohl als ihre Schwestern wichen scheu aus der Nähe des Gutsfräuleins, sobald das vielbedeutende Pochen auf dem Anwesen hörbar wurde.

»Jetzt denkt sie sich etwas aus,« hieß es dann.

Allein heute gelangte sie nicht zu der doch so nötigen Sichtung der Wirrnis, die draußen im Lande und auch hier in ihrem friedvollen Gehöft dicht vor ihren Füßen aufgeschossen war. Gerade die Unruhe, die sie zu bezwingen strebte, sie schien bereits auf allen Straßen zu jagen und sprengte auch bis zu ihr durch das gewölbte Hoftor herein. Noch ehe sie sich über die neue Störung ganz klar werden konnte, fing sie ein ungewohntes kurzes Trappeln auf, Hufschläge wurden laut und zu ihrem äußersten Befremden sah die Aufgeschreckte, wie ein Offizier in seiner Paradeuniform, mit blitzendem Helm und gefolgt von einem ebenfalls berittenen Burschen, seinen Braunen dicht vor ihr parierte. Eine schlanke Gestalt beugte sich zur Seite und führte grüßend die Rechte an den Helm. Gleich darauf sprang der Reiter zur Erde, um sich noch einmal respektvoll vor der blonden Gutsbesitzerin zu verneigen. Die Sporen klirrten dabei leise zusammen, und in den dunklen Augen des jungen Offiziers wohnte ein so deutlich lesbarer Wunsch, ein so unverhülltes, ehrliches Anliegen, wie es nur Menschen eigen ist, die durch ein paar kurze Worte über ihr ganzes Schicksal die Entscheidung gefällt zu sehen wünschen.

Seltsam, auch dem trotzigen, selbstbewußten Landmädchen schlug einen Moment das Herz höher und voller. Aber es war ein erlösendes Gefühl der Befriedigung, das sie durchdrang, denn in ihrer Seele blitzte es auf, wie mit diesem jungen Reitersmanne die Ehre und die Redlichkeit wieder in ihrem Hause Einzug hielten, die sie in trüben Stunden bereits entwichen wähnte. Gottlob, ihr war es sofort klar, hier hatte Konsul Bark, der zuverlässige Freund, sein Versprechen eingelöst, und zum erstenmal seit langer Zeit würden in dem weißen Gutshofe, der sich im Grunde doch nur so schwer verwalten und regieren ließ, Glückseligkeit und Jugendwonne aufblühen. Zuversichtlich, das mußte geschehen. Das verlangte das große kräftige Geschöpf, das selbst keine Wünsche mehr hegte, als unbedingtes Entgelt seiner Mühen. Allein, als sie jetzt, ihrer glücklichen Regung folgend, dem jungen Offizier, der ihr so ernst und erwartungsvoll gegenüberstand, mit einer herzlichen Bewegung die Rechte darbot, da – welch merkwürdige Verkettung – da verfing sich ihr Blick an dem Goldgefunkel des Adlers vor seinem Helm. Und ohne jede weitere Überlegung stürzten all die ängstlichen Sorgen, alle unmöglichen, nie gekannten Befürchtungen, vor denen ihre klare Vernunft noch eben ins Knie gebrochen, in die eine fast willenlos hervorgestoßene Frage zusammen:

»Herr Leutnant, ist es wahr? Gibt es Krieg?«

Auf diese ganz unerwartete Anrede straffte sich die schlanke Gestalt des Militärs zusammen, und über sein dunkles, immer von den Schatten des Nachdenkens umsponnenes Antlitz fuhr ein heller Schein. Nein, das war nicht die wilde Freude des Kriegsmannes, der sein größtes Glück, ja Macht, Ehre und eine gesicherte Existenz aus brodelnden Blutdämpfen hervorkochen sieht. In seinen reinen und für einen jungen Mann dieser Zeit so merkwürdig unberührten Zügen malte sich vielmehr die helle, felsenfeste Zuversicht auf das ungetrübte Glück der Menschheit, das sicherlich durch keinen noch so unbeschränkten Machtwillen in die Glut und die Greuel eines vernunftwidrigen Mordens hinabgestoßen werden konnte. Wahrlich, eine innerste Überzeugung strahlte aus seiner warmen, wohltuenden Stimme, als er trotz seiner so leicht erklärlichen Befangenheit voller Zuversicht ausrief:

»Ganz unmöglich, gnädiges Fräulein! Sie brauchen sich nicht im geringsten zu beunruhigen. Meine Kameraden und ich verfolgen natürlich gleichfalls die Zeitungsgerüchte, die wieder einmal allerlei Bedrohliches melden, mit größter Spannung, aber wir sind sämtlich felsenfest davon überzeugt, daß es sich wie gewöhnlich nur um einen papiernen Feldzug handelt. Ganz bestimmt, wer den Krieg – wenigstens durch Studium – kennt, so wie wir, der weiß, welche Ungeheuerlichkeit derjenige begehen würde, der ihn um ganz fernliegender Dinge willen entfesselt.«

Da war es Johanna, als wenn ein leichter, erfrischender Wind in eine Wand von Staub und Dampf führe, die ihr bis dahin die Aussicht gesperrt. Plötzlich tauchte wieder die sonnenbeschienene Gegend vor ihr auf, der von weißen Scheunen eingefriedete Hof, herübernickend die dunkelgrünen Kastanien des Parks, und zwischen dem gewölbten Eingangstor hindurchleuchtend die schmale weiße Landstraße. Selbst das Reitpferd, das der Bursche des Offiziers in respektvoller Entfernung an den Hofmauern herumführte, erschien der Aufatmenden wie eine Bürgschaft dafür, daß das gewohnte Dasein unverändert und ungetrübt an ihr vorüberfließen müsse. Und in lebhaft aufwallender Dankbarkeit streckte sie dem Boten des Heils noch einmal ihre Rechte entgegen. Der verbeugte sich stumm über den dargereichten Fingern. Und da – welch ein Glück – das derbe Landmädchen griff mitten in die so schwer darzustellenden Pläne hinein, die ihn herleiteten.

»Lieber Herr Leutnant Harder,« brachte sie rasch und überstürzt mit einem an ihr seltenen Lächeln hervor, »ich weiß, was Sie von mir begehren. Wir wollen nicht viel Worte machen. Ich selbst habe Ihren Besuch, ja sogar Ihr Anliegen gewünscht, und ich nehme an, daß Ihnen unser gemeinschaftlicher Freund, Herr Konsul Bark, von den Erwartungen, die ich an Sie stellen zu dürfen glaubte, Mitteilung machte. Verhält sich das nicht so, Herr Leutnant?« setzte sie leiser, aber nicht weniger vertraulich hinzu.

Fritz Harder war von dem warmen Ton und der aus einem ehrlichen Gemüt hervorquillenden Offenheit völlig hingenommen. So, gerade so stellte er sich ja ein aufrechtes, unerschrockenes Mädchen vor, das einen glättenden und aufrichtenden Einfluß auf ein Männerdasein gewinnen müßte. Und zum erstenmal, da er jetzt das Bild dieser Schwester in sich aufnahm, gewahrte sein suchender, einfühlender Blick, wie diese hellen blauen Augen auch wärmer, inniger und treuer strahlen konnten, als er es von jener gefürchteten und immer mit einiger Scheu betrachteten Wächterin erwartet hatte. Mein Gott, das war ja eigentlich keineswegs die strenge mütterliche Beraterin, so wie sie ihm immer vorgeschwebt. Hier stand ja in Wahrheit ein hohes, blühendes Weib, das nur zu unnahbar, zu abgeschlossen lebte, als daß sich ein zerstörendes Verlangen bis zu ihr erheben konnte. Und jetzt, gerade jetzt sprach jene edel gemeißelte, wunschlose Statue zu ihm so redlich, so erkennend, daß ihm das Herz überfloß. Welch ein Glück, welch ein teures Pfand für die Zukunft, daß Marianne, diese heiße zuckende Flamme, die an seinem Leben fraß, eine solche Schwester, eine derartige Hüterin ihr eigen nannte. Und jäh errötend begann er sein Anliegen vorzutragen. Um was er eigentlich geworben, in unzusammenhängenden Worten, die sich nur schwer zu zerhackten Sätzen fügen wollten, das wußten die beiden, die einen so ehrlichen Handel miteinander zu schließen gedachten, später kaum mehr anzugeben. Jedem von ihnen blieb nur das erlösende Bewußtsein, daß endlich etwas Irrlichterlierendes, das sich gegen alle Ordnung sträubte, eine feste und redliche Form gewinnen sollte. Plötzlich reichten sich beide noch einmal stumm die Hände. In diesem Augenblick wurde die Gutsherrin von Maritzken völlig von der Vorstellung beherrscht, daß sie einem großen treuherzigen Jungen das begehrte Geschenk mit mütterlicher Sorgsamkeit überreiche.

»Wir sind einig, mein lieber Herr Leutnant,« schloß sie einfach, indem noch immer das gute Lächeln um ihre Lippen schwebte. »Und nun eilen Sie nur, damit Sie auch derjenigen Ihre Wünsche auseinandersetzen können, mit der Ihnen eine Unterhaltung gewiß viel erfreulicher und amüsanter sein wird, als mit mir. Nein, nein, lieber Fritz Harder,« sträubte sie sich beinahe schelmisch, als der junge Offizier ein paar verlegene Komplimente zu stammeln gedachte, »das ist ja alles so natürlich. Ich weiß auch, daß Sie mit meiner Schwester Marianne nicht die erste derartige Besprechung pflegen. Nicht wahr? Aber darüber wollen wir heute nicht mehr rechten. Um es Ihnen zu erleichtern, werde ich Marianne gleich herunterbitten lassen.«

Allein nach einiger Zeit kehrte das zu diesem Zweck ausgesandte Mädchen zurück und berichtete, daß die Gesuchte weder in ihrem Zimmer noch bei den Gästen aus Sorquitten zu finden wäre.

»Das ist merkwürdig,« meinte Johanna sich besinnend, »mir war es doch so, als wenn ich noch eben hinter den Fenstern des ersten Stockwerks die dunklen Haare meiner Schwester erkannt hätte.«

Und als der Offizier, der sich in seiner Hast vergaß, dieselbe Wahrnehmung bestätigte, da hob das Gutsfräulein ein wenig überlegen die Achsel, um ihrem neuen Schützling, immer mit derselben Gutmütigkeit, zu raten:

»Also, lieber Herr Leutnant, dann schlage ich Ihnen vor, sich selbst auf die Suche zu begeben. Ich darf ja annehmen, daß Sie über die geeigneten Schlupfwinkel, Waldhänge und Haselnußhaine auf meinem Gute ausreichend orientiert sind. Nicht wahr?« lachte sie plötzlich ganz offen, wobei sie sich an der Betroffenheit des Überraschten wie an einem äußerst gelungenen Scherz zu weiden begann. »Gehen Sie nur, Fritz Harder, ich bin überzeugt, Sie werden das, was Sie suchen, mit militärischer Sicherheit finden.«

Fritz Harder folgte einem grünen Schatten. Er sah ihn bald durch die braunscholligen Einschnitte hochstehender Weizenfelder dahinhuschen, bald glaubte er den flüchtigen Schein wieder rastend an den dunklen Einbuchtungen eines träumenden Gehölzes hängen zu sehen. Er suchte ihn zu haschen, ja er rief manchmal leise einen Namen, der sein ganzes Gemüt ausfüllte, allein immer, sobald er die Stelle erreichte, wo eben die Ähren wie nach einer entschwundenen Berührung schwankten, dann fand er, daß er von dem trügerischen grünen Schimmer abermals getäuscht sei. Allmählich hatte der einsam Wandelnde jene Wiesengrenze erreicht, an der sich der schmale Haselnußgang dahinschlängelte. Hier an einer halb verfallenen Moosbank, die so oft Zeugin eines heimlichen kosenden Geflüsters gewesen, ließ sich der junge Offizier nieder und schickte seine Blicke noch spähender als bisher durch das dunkle, wild verschlungene Gestrüpp.

Nichts.

Es war wohl nur eine Vorspiegelung seiner nicht mehr nüchternen Sinne, daß es ihm wieder vorkam, als ob der grüne Schatten, dem er nachjagte, noch eben geschmeidig durch ein Ästegerank hindurchgeschlüpft sei.

Nein, nein, hier gab er sicherlich einem völlig unhaltbaren Verdacht nach, der ihm eigentlich nie und nimmer aufsteigen durfte. Lächerlich, wie konnte er nur wähnen, daß das Geschöpf, das er für immer an sich zu ketten trachtete, gerade in dem entscheidenden Augenblick ihres beiderseitigen Daseins ihm in einer unbegreiflichen Laune zu entweichen suchte. Ganz sicher, diese ewigen häßlichen Befürchtungen hatten sein harmloses Gemüt bereits aus der Bahn gerissen. Zu viel und zu eindringlich war von ihm über seine Zeit nachgegrübelt worden, von der er zweifellos mit Unrecht argwöhnte, daß sie den oberflächlichen und spielerischen Bedürfnissen ihrer Kinder zu gefällig entgegenkäme. Fort, fort damit, das wäre ja keine deutsche Frau, der man im Ernst etwas Derartiges zutrauen durfte.

Entschlossen, befreit erhob er sich und verlor sich erhitzt in das tiefe Gehölz, durch dessen niedriges, eng verschlungenes Dach die Sonnenstrahlen nur wie winzige goldene Käfer hindurchkrochen.

An der rissigen Tür des Kuhstalles lehnte die Hofbesitzerin, und während über ihr blasses Antlitz noch immer jener still zufriedene Schein glänzte, da pochte sie von neuem selbstvergessen gegen das trockene Holz. Diesmal aber klang es munter und beschwingt, und der kecke Trommelschlag ging allmählich in ein Marschtempo über, so daß jeder erkennen konnte, wie zuversichtlich und bestimmt die Gedanken der Gutsherrin über Vergangenes und Zukünftiges schweiften.

»So, nu laß aber mal das Trommeln,« forderte plötzlich eine energische Stimme neben ihr, und als sie, aus ihren Träumen gerissen, das blonde Haupt ein wenig wandte, da mußte sie zu ihrer eigenen Erheiterung wahrnehmen, wie der Riese von Sorquitten in seinem gelben Sportanzug ebenfalls den mächtigen Rücken gegen die Stalltür drängte; und nun stand er mit leicht überschlagenen Beinen da, ohne es jedoch natürlich für nötig zu halten, die gewaltigen Fäuste aus den Taschen zu ziehen. »Du stellst dir wohl vor,« fragte er ruhig weiter, »wie das hier sein wird, wenn das Gesindel von dort drüben auf seinen Kalbsfellen Generalmarsch schlägt? Die verfluchten Hunde!« Und während er angelegentlich auf seine gelben Schnürstiefel herunterstarrte, murmelte er in angenommener Gleichgültigkeit: »Sag mal, Johanna, jetzt könntest du doch endlich deine weisen Pläne gefaßt haben. Willst du nun meine alte Dame begleiten?«

Es klang durchaus nicht so, als ob der große Mensch in Herzensangst um ihr Schicksal bebte. Darin bestand ja ohnehin nicht seine Art, sobald es sich um andere handelte. Aber die große Blonde wurde doch von einer vorüberhuschenden Rührung erfaßt, als sie sich vorstellte, daß sich überhaupt ein Mensch um ihr Wohlergehen bekümmere.

»Fedor,« begann sie deshalb zutraulich, »entdecke mir mal ganz offen, lieber Junge, weshalb du dich so bemühst, mich von hier fortzulocken? Liegt dir wirklich bloß daran, eine passende Gesellschaft für deine Mutter zu finden? Oder wäre es dir im Ernst peinlich, wenn ich durch eine fremde Einquartierung Unannehmlichkeiten erführe?«

»Na, natürlich wäre es mir peinlich,« brummte Herr von Stötteritz, zog den einen Schuh noch etwas weiter in die Höhe und klopfte sich angelegentlich den Staub ab. Und indem er etwas möglichst Gleichgültiges zu erfassen strebte, stieß er noch hervor: »Vor allen Dingen möchte ich selbstverständlich den Lumpen den Spaß versalzen, einer mir nahestehenden Dame hier irgend etwas vorschreiben oder gar befehlen zu wollen.«

»So so, daran denkst du,« meinte Johanna schon um vieles mehr ernüchtert. »Wenn ich dir nun aber anvertraue, daß ich an dieses ganze Kriegsmärchen keineswegs glaube, was dann?«

Der Riese ließ sich gegen die Stalltür fallen, daß sich ein dumpfes Dröhnen erhob.

»Dann erkläre ich dir,« sprudelte er ihr ungehalten entgegen, »daß du eine halsstarrige Person bist, die für derartige Dinge nicht das richtige Verständnis besitzt.«

»Ach, sieh einmal, was du liebenswürdig sein kannst!«

»Aber ich will ja gar nicht liebenswürdig sein,« schrie jetzt der Riese außer sich, der völlig vergaß, daß ihn ursprünglich eine viel zartere Absicht hierher geleitet, »ich will ja bloß, daß hier alles nach Ordnung und Recht zugeht, damit du keinen Schaden leidest.«

»Dafür danke ich dir,« versetzte Johanna, indem sie wieder in ihre kühle und unnahbare Haltung zurückfiel, denn die derbe Weise des Rittmeisters empörte sie innerlich. »Aber da ich mir einmal angemaßt habe, meine Wirtschaft nach eigenem Gutdünken zu leiten, so mußt du es mir auch anheimstellen, ob ich es für richtig halte, mein Anwesen ohne Aufsicht zu lassen.«

»Donnerwetter ja,« fuhr jetzt der Riese auf und schlug mit geballter Faust gegen das Holztor, »mein Inspektor und ich können das doch auch besorgen?«

»Ja gewiß,« wollte die Angegriffene hier abermals einlenken, jedoch der völlige Mangel an Selbstbeherrschung, den der Gutsbesitzer so polternd bewies, er löschte ihr das Verständnis für die verborgene Gutmütigkeit, die seinen Absichten zugrunde lag, von neuem aus. »Ja gewiß, Fedor,« gab sie zu, »ich empfinde dein Anerbieten als sehr uneigennützig, aber meine Leute sind zu sehr an meine eigene Behandlung gewöhnt, als daß ich sie gerade in den Zeiten der Not einer schärferen Methode aussetzen möchte.«

»Aha!« Herr von Stötteritz stieß einen gellenden Pfiff aus. »Daher geht der Wind,« lachte er ingrimmig, »du hast unausgesetzt an mir etwas herumzutadeln. Die ganze Richtung paßt dir nicht, wie, Cousinchen? Das Junkertum, wie du es nennst, das Echt-Preußische? So sage es doch, nicht wahr, das kannst du nicht leiden?«

Über der Stirn des Mädchens zogen ein paar Falten auf. Sie sah wieder sehr herb und ablehnend aus, als sie jetzt kurz hervorbrachte:

»Ich weiß zwar nicht, was dir an meiner Ansicht liegt, aber wenn du darauf bestehst – nun ja, ich kann mir manches anziehender vorstellen, als die von dir bezeichnete Art.«

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