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Die Herrin und ihr Knecht
Die Herrin und ihr Knecht

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Die Herrin und ihr Knecht

Язык: Немецкий
Год издания: 2017
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Sie lag jetzt mit beiden Knien auf dem knarrenden Korbgeflecht, eng und warm ihm hingegeben, und er fühlte, wie die feine Seide ihres Handschuhs seine Wange streichelte. Nur die schwanke Lehne des Sessels türmte eine unmerkliche Grenzscheide zwischen ihnen.

»Bist du mir böse?« forschte sie noch einmal in einem nachgiebigen Ton, der ihn durchzitterte.

Fritz Harder strich sich leicht über die Stirn. Noch war das Entgegenstehende, das ihn gefangen hielt, nicht gänzlich überwunden. Und dann – in dieser Minute der Besinnung bestürmte ihn noch einmal der ehrliche und klare Wunsch, etwas Dauerndes zu schaffen, rechtlich und vornehm zu handeln, wie es der kleine vierschrötige Oberförster dort oben in den masurischen Wäldern unbedingt von ihm verlangt und gefordert hätte.

»Ich fürchte nichts für mich,« gab er deshalb ernster, als er beabsichtigt, zurück, »mich erschreckt nur der Gedanke, Marianne, daß dich die klatschsüchtigen Leute hier in der Gasse aus meinem Hause heraustreten sehen könnten.«

Da versetzte sie ihm einen leichten Schlag auf die Wange und wunderbar – sie lachte belustigt auf.

»Aber du Dummerchen,« beruhigte sie ihn, und wieder wiegte sie sich leise, »du glaubst doch nicht, daß ich für einen solchen Fall nicht vorgesorgt hätte? Ja, ich habe meiner Schwester Johanna sogar direkt mitgeteilt, in welches Haus ich gehe.«

»Was? Das hast du getan?«

»Ja, denk mal, wie schrecklich. Herr Nikolaus Adameit repariert nämlich meine goldene Armbanduhr, und selbst Johanna hielt es für nützlich, den alten Sonderling zu einiger Eile zu ermuntern. Meine große Schwester fürchtet ja immer, es könnte ihr irgend jemand etwas fortnehmen. Nun?« schmeichelte sie und blickte von unten zu ihm herauf, »sind deine Beklemmungen jetzt verflogen? Wirst du nun tapferer sein?«

Da enträtselte er zum erstenmal den verborgenen Spott in den Worten des Mädchens. Eine ferne Geringschätzung, die an seinem unbekümmerten Mut, an seiner jugendlichen Sorglosigkeit zu zweifeln schien. Das ertrug er nicht. Und auch diese Augen, die so erwartend und leuchtend schimmerten, in jenen großen schwarzen Bränden verknisterten all seine Pläne. Immer kecker lächelte der kleine, sich darbietende Frauenmund. Und da wirbelte auch schon wieder der Rausch über ihm empor.

Ein einziges, gewaltsames Ansichreißen, ein gedämpfter Laut der Überraschung, und dann stürzten die Wände mit den geblümten Tapeten, der geborgte Flügel, der Korbsessel und all das kahle Gerät in der wütenden Lohe zusammen.

Er fand sich wieder, aufwachend, verwirrt, in einer Situation, die er sich durchaus nicht zu deuten wußte. Wie in aller Welt hatte Marianne ihm den Degen von der Seite zu entwenden vermocht und weshalb setzte sie ihm die Spitze der Waffe auf einen Schritt Entfernung gegen die Brust, als ob sie sich vor ihm schützen wolle?

»Nun ist es aber wirklich genug, Fritzchen,« hörte er eine überraschend vernünftige Stimme durch all die Wirrnis hindurchschlagen, »du benimmst dich immer wieder wie ein kleiner unartiger Junge und hast nicht den geringsten Begriff davon, wie man mit einer Damentoilette umgeht. Was soll sich denn Johanna von mir und meiner Konferenz mit Herrn Adameit denken? Sieh bloß mal an, wie du meinen Staubmantel zerknittert hast!«

Ach ja, der Staubmantel! Ihm gebührte freilich nach dem Wiederkehren aus dem von Blutrosen und Dornen umsponnenen Eiland die erste Rücksicht. Dieser verfluchte, stumpfsinnige, lächerliche Mantel! Im Moment haßte der sich Zurückfindende das elegante Kleidungsstück, dessen knisternde Seide er eben noch mit kosenden Fingern gestreichelt. Immer deutlicher nahmen seine schmerzenden Augen wahr, wie störend sich die Erscheinung des berückenden Geschöpfes darbot, als Marianne jetzt den Degen achtlos auf das Sofa warf, um sich darauf vor dem kleinen goldgerahmten Wandspiegel den dunklen Rosenhut sorgfältig auf ihren Flechten zu befestigen. Erstaunt blickte er auf die ihm abgewandte Gestalt hinüber. Und doch, wie zart sich die krausen feinen Härchen von dem matt getönten Nacken abhoben! Herr des Himmels – ein leiser Seufzer entfuhr ihm – nein, das ertrug er nicht länger. All die widersprechenden Empfindungen, all das Unvereinbare von Anbetung und scheuem furchtsamen Tasten nach der innersten Seele der Geliebten, es umgab ihn mit einem dichten betäubenden Nebel, aus dem er sich unbedingt ins Freie retten mußte. Selbst seine Glieder schmerzten, als würde sein sich bäumender Körper tatsächlich durch feine mutwillige Hände von Bergesspitzen in Abgründe geschleudert. Und alles aus Neckerei. Aus Lust an Aufregung und Spiel. Darunter nahm sein Mannestum Schaden. Eine dumpfe Hörigkeit umschnürte seinen freien Willen, die ihm in den Augenblicken der Selbsterkenntnis unwürdig und unerträglich dünkte. Plötzlich reckte er sich. Er war ganz der klare Soldat, dem von allen seinen Untergebenen ein unbedingtes Vertrauen entgegengebracht wurde.

»Marianne,« sagte er unvermittelt klar und bestimmt, »ich habe mit dir zu reden.«

Die junge Dame am Spiegel ließ die vollen Arme, die den Schäferhut in eine anmutig schräge Lage zu bringen trachteten, nicht sinken, sie kehrte sich auch nicht zu ihm, sondern, während ihre frischen Lippen die lange Hutnadel in der Schwebe hielten, da suchten ihre Augen verwundert sein Bild in der blanken Spiegelscheibe auf.

»Du mußt mir einen Augenblick Gehör schenken, Marianne,« drängte der Offizier weiter und tat einen Schritt gegen sie.

»Schon wieder?« murmelte Marianne hinter der blitzenden Nadel undeutlich hervor. »Fritzchen, daß du ein solches Vergnügen an derartigen Auseinandersetzungen empfindest. Also was willst du denn, Liebling? Aber recht rasch, bitte, nicht wahr? Denn sieh mal, von der Sebalduskirche schlägt es schon halb acht. Johanna hat gewiß bereits wieder ihr strengstes Gesicht aufgesetzt.«

Noch hatte sie nicht geendet, als sie betroffen ihre schwarzen Augen bis zu der kleinen Eingangstür irren ließ, um dann plötzlich aufgescheucht ihren blauen Mantel ungestüm über sich zusammenzuziehen. Von der Treppe her drangen schwere, knarrende Tritte herauf. Verstört flüchtete das schöne Mädchen bis dicht an die Seite ihres verstummten Gefährten.

»Um Gott, Fritz, du erhältst doch nicht etwa Besuch? – Dein Bursche? – Aber das ist doch sehr unrecht von dir! – Wo soll ich denn jetzt hin?«

Erregte Worte fuhren zwischen den Beiden hin und her, dann ein hastiges Aufraffen des weißen Sonnenschirms, ein Huschen und Flattern, und der eintretende Reddemann bemerkte mit Erstaunen, wie sein junger Herr in offenbarer Verwirrung abgewandt vor der Tür des Alkovens verweilte, wo er im Grunde nichts zu suchen hatte. Auch für die leckere Zubereitung der Menagengerichte, die noch in ihren Schüsseln dampften, schien sein Gebieter heute keinen rechten Sinn zu besitzen. Unwirscher als sonst trieb der Offizier, der merkwürdigerweise seinen Platz vor dem Nebenzimmer nicht aufgab, zur Eile.

»Ja, die Serviette muß ich doch wenigstens in den Ring schieben,« verteidigte sich der Ostpreuße verständnislos, obwohl auch er anfing aufmerksam nach der niedrigen Verbindungstür zu schielen, »und dann Messer und Gabel, Herr Leutnant.«

»Schon gut, schon gut, es ist alles sehr schön, – nur rasch!«

»Zu Befehl, darf ich nun noch das Bett aufschlagen?«

Aber merkwürdig, wie unberechenbar diese Vorgesetzten manchmal werden konnten. Der noble Herr, der ihn fast niemals fühlen ließ, daß er zur persönlichen Dienstleistung des Offiziers kommandiert war, er bekam unvermutet drei schwere Falten über der Nasenwurzel, und während er nervös nach der leeren Degenscheide griff, schrie er den treu Sorgenden zum erstenmal rücksichtslos an.

»Zum Donnerwetter, ich habe genug von dem langweiligen Geplapper. Mach, daß du fortkommst!«

Jedoch Reddemann blieb begriffsstutzig.

»Was, Herr Leutnant, ohne Bett?« stammelte er.

Und erst als sein Herr die Degenscheide auf den Erdboden stieß, daß alles klirrte und bebte, da schlug der Bursche blutrot die Hacken zusammen und stürzte wie behext die enge Treppe herunter.

»Da stimmt etwas nicht,« glitt es dem pfiffigen Patron durch den Schädel, »so fein hat es bei uns noch nie gerochen. Donnerwetter ja, die Vornehmen haben doch alles vom Besten.«

In dem Zimmer blieb es noch eine kleine Weile still. Erst als der dumpfe Schlag der Haustür verkündet hatte, daß jede Gefahr der Mitwisserschaft beseitigt, da raffte sich Fritz Harder zusammen, um mit einem raschen Entschluß seinen Besuch aus der seltsamen Einkerkerung zu befreien. Und wie heftig ihm auch das Herz schlug wegen der unwürdigen Rolle, zu der sie beide durch diese Heimlichkeit verurteilt waren, – das Bild, das sich ihm hinter der kleinen Tapetentür darbot, schimmerte in solch bestrickendem Reiz, daß all die Vorwürfe, die er gegen sich und die Geliebte im stillen erhob, vor ihm versanken. Da stand Marianne dicht an der Schwelle, das Haupt mit dem breitrandigen Rosenhut lauschend vorgebeugt, und die Wangen von Neugierde und Unruhe dunkel überflammt. Die Dämmerung des Alkovens umgab die matt beleuchtete, weiße Gestalt gleich einem schweren Ebenholzrahmen. Aufatmend und mit jener Lässigkeit, die den jungen Offizier schon so häufig betört hatte, trat sie in das helle Wohnzimmer und knöpfte sich eifriger als sonst die langen weißen Seidenhandschuhe zu. Offenbar wurde das Mädchen nur von der einen Sucht beherrscht, ihren Aufbruch so schnell und so unbemerkt als möglich zu vollziehen.

»Adieu, Fritzchen,« schnitt sie ihm bereits das erste Wort ab, denn sie fühlte mit Unbehagen, wie ihr aus den Augen des Gefährten schon wieder allerlei unbequeme Fragen entgegendrohten, »adieu, mein Liebling. – Nein, nein, um Gottes willen, rühre mich nicht an, solche ungeschickten Männerhände sind ja sofort wahrnehmbar. Und Johanna ist der mißtrauischste Polizist, den du dir denken kannst. Nein, ganz still, ganz artig« – und sie preßte ihm rasch die Rechte auf die Lippen, die sich schon zum Widerspruch oder zu einem Vorwurf geöffnet hatten. »Aber wenn du recht folgsam bist, komme ich vielleicht einmal auf ein Viertelstündchen wieder. Adieu, Fritzchen, adieu!«

Geschickt schmiegte sie sich durch den schmalen Türritz hindurch, allein jenseits der Schwelle wandte sie sich und warf noch einmal einen lachenden Blick zurück. Das Geschirr auf dem Tisch schien ihre Aufmerksamkeit zu fesseln.

»Wie drollig sich deine Wirtschaft ausnimmt,« flüsterte sie hinein, hob jedoch sogleich den Finger warnend gegen den Mund, damit er sie nicht durch eine laute Antwort verriete, »wie schade, daß du mich nicht bewirten konntest! Warum kommt dir eigentlich niemals solch ein hübscher Einfall? Überhaupt, du verdienst die große Bevorzugung und auch die Gefahr nicht, der ich mich deinetwegen aussetze. Sst, – ganz still, Fritzchen, hier hast du noch eine Kußhand, so – und nun schlaf wohl, mein Schatz.«

Fritz Harder hatte seine karge Mahlzeit kaum berührt. Ruhelos schritt er in der engen Stube auf und nieder, und seine verzogene Stirn deutete darauf hin, wie sehr er sich bemühte, der widerstrebenden Gedanken Herr zu werden. Zweimal schon hatte er sich an den Flügel gesetzt, allein unter seinen geübten Händen waren nur ein paar mißtönende Dissonanzen aufgeschrillt. Und durch einen heftigen Schlag auf die Tasten wurde das regellose Spiel beendigt.

Nein, das ging nicht. Er mußte sich sammeln und Klarheit gewinnen. Ungeduldig riß er die Schublade des roten Fichtentischchens auf und warf ein blaues Heft auf die Platte. Dies war seine Arbeit, von der er sich einmal Erfolg versprochen. Jetzt blieben seine Augen wirr auf einer sauber gezeichneten Terrainkarte haften, und er versuchte sich zu besinnen, warum er mit roter und grüner Tinte verschiedene sich kreuzende Linien hineingemalt hatte.

Alles vergeblich. Der bohrende Gram, die innere Unzufriedenheit mit sich selbst, sie warfen sein Auffassungsvermögen um, sie schlugen den stärkeren Menschen in ihm nieder.

Nein, es war genug. Törichter Hochmut, sich für besser zu halten und würdiger als seine Kameraden sich gaben. Und dann – er lachte bitter auf, bedeckte sich mit der blauen Mütze, und nach ein paar Minuten schon klirrte sein metallener Säbel über das Trottoir der menschenleeren Rosenkranzgasse.

»Ah, Fritz Harder,« rief der lange Janick, als sein Freund das Spielzimmer des Kasinos betrat; und damit erhob sich der Oberleutnant, lebhaft winkend, von seinem Sitz, »kommen Sie, Beethoven, hier ist eine große Neuigkeit eingetroffen. Schieberamsch mit Pauken und Trommeln. Das müssen Sie lernen, Fritzchen, setzen Sie sich neben mich, so etwas Anregendes haben wir schon lange nicht erlebt. Prost, Musikante – prost.«

Dunkelheit senkte sich bereits über die Stadt. Aus dem Portal des Goldenen Bechers trat, dicht in einen schwarzen Hängemantel gehüllt, der bewegliche Kammerdiener des Konsuls Bark heraus, in der Hand ein ziemlich umfangreiches Briefkuvert, das er im Auftrage seines Herrn dem Leutnant Fritz Harder in sein Quartier überbringen sollte. Der weiße Umschlag leuchtete durch die Nacht, als Pawlowitsch achtlos schlenkernd über den Marktplatz schritt. Noch war der Diener nicht weit gekommen, als seinen auch jetzt rastlos umherspähenden Äuglein die Umrisse eines Jagdwagens auffielen, der, mit drei winzigen Pferdchen bespannt, dicht vor der Einfahrt des zweiten großen Gasthofes der Stadt »Zum russischen Großfürsten« wartete. Interessiert und auf unhörbaren Sohlen tänzelte Pawlowitsch näher. Aus der Dunkelheit tauchten zwei Gestalten auf, die sich augenscheinlich an dem Hinterrad des Gefährts zu schaffen machten. Ein paar derbe Flüche in russischer Sprache wurden laut, und der Kammerdiener erkannte sofort das dröhnende Organ des Grenzoffiziers, der vor ein paar Stunden seinem Herrn die Ehre seines Besuches geschenkt hatte.

»Dummes Vieh,« hörte der regungslos Verharrende den Rittmeister Sassin auf seinen Rosselenker einschimpfen, »hab' ich dir nicht zehnmal gesagt, daß das Rad quietscht wie eine kranke Katze? Du Hundesohn hast wieder verschlafen, Fett auf die Achse zu schmieren. Ich schneide dir noch einmal in Wahrheit beide Ohren ab. Gleich holst du dir von diesen Deutschen etwas von dem Zeug heraus. Hast du verstanden?«

Der zusammengekrümmte Kutscher zog seine hohe Schirmmütze. »Jawohl, guter Herr,« murmelte er demütig und verschränkte seine Arme über der Brust. »Euer Gnaden, ich gehorche.«

»Zum Teufel, dann mach, daß du fortkommst! Und wenn du fertig bist, dann holst du mich dort drüben aus der Konditorei ab. Hast du begriffen?«

»Ich gehorche, Euer Gnaden.«

Der Kutscher trottete in die Einfahrt zurück, und der Rittmeister schlenderte säbelklirrend über das rauhe Pflaster, bis er plötzlich vor der schweigenden Gestalt des Lauschers zurückschreckte.

»Was ist?« rief er drohend.

»Oh nichts, Euer Gnaden,« erwiderte Pawlowitsch sich tief verbeugend, »ich bin es nur, der Diener des Herrn Konsul Bark.«

»Aha – aha – Diener – Diener von ausgezeichnetem Freund Rudolf Bark,« lenkte der Russe ganz widerspruchsvoll ein, und dabei versetzte er dem zierlichen Männchen einen wohlwollenden Faustschlag auf die Schulter, so daß der Überraschte, der eine solche Gunstbezeugung wohl kaum erwartet haben mochte, ein wenig vornüber taumelte.

»Heilige Mutter!« stöhnte der Getroffene leise.

Der Russe jedoch ließ von seiner Zärtlichkeit nicht ab, ja, er beugte seine mächtige Gestalt sogar noch etwas tiefer zu dem Unentschlossenen herab, als sei es für ihn überaus interessant zu konstatieren, was für einen weißen Zettel der Diener des ausgezeichneten Rudolf Bark in den Händen trüge.

»Pawlowitsch, guter Junge,« rief er wohlgelaunt, und dabei zupfte er nach russischer Sitte dem weißhaarigen Kerlchen sanft an dem Ohrlappen herum, »bist fleißigstes Geschöpf, das ich kenne in dieser fleißigen Stadt! Toujours en vedette, früh und spät. Weißt du auch, daß ich dich deinem Herrn schon längst ausmieten wollte? Sieh einmal, du trägst Brief, Pawlowitsch!«

»Oh,« erwiderte der Hausmeister, der einen Augenblick zögerte, bis er dann doch die Aufschrift des Kuverts nach oben kehrte, »an den Leutnant Fritz Harder«.

»Leutnant Fritz Harder,« wiederholte der Dragoner in beglücktem Ton, »ach, sieh einmal, wirklich an lieben Fritz Harder.« Und nach einer Weile des Nachdenkens, während deren sich der Russe rasch den blonden Kinnbart strich, setzte er hinzu: »Mir ist, als ob junger Herr bei der Festungskommandantur beschäftigt wäre?«

»Ja,« pflichtete Pawlowitsch immer langsamer bei, indem er den Brief vorsichtig unter dem herabwallenden Hängemantel vergrub, »der Herr Leutnant ist seit kurzem dazu kommandiert.«

»Nun, will nicht aufhalten,« sagte der Russe freundlich, »besorge Auftrag, Pawlowitsch. Aber warte, – sollte ich heute nicht vergessen haben, dir dein gewohntes Trinkgeld zu überreichen?«

Jetzt schüttelte der Diener heftig abwehrend das Haupt, allein er konnte es doch nicht verhindern, daß seine schwarzen Äuglein trotz der Dunkelheit einen höheren Glanz gewannen.

»Nein, nein, Euer Gnaden, ich habe nichts zu beanspruchen. Der Herr Rittmeister haben ja nichts bei uns genossen.«

Der Russe jedoch streckte wiederum seine Faust nach dem Ohrläppchen des nicht mehr Zurückweichenden aus.

»Kleiner Galgenvogel,« meinte er gutmütig, »hast du vergessen, daß ich euch beinahe eine ganze Flasche von wunderschönen klaren und lieblichen Rheinwein austrank? Ein schöner Wein, ein seltener Wein! Wir Russen sind dankbar, wir erinnern uns stets der treuen und braven Diener. Hier, Pawlowitsch, nimm. Macht mir Freude, wenn du an Rittmeister Sassin denkst.«

War es Ernst oder bestand alles in einem Irrtum? Gott im hohen Himmel, da hielt der Mann im Radmantel ein blankes Zwanzigmarkstück in der Hand; der über dem Markt heraufkommende Mond weckte Funken in dem roten Metall, und es war ein so einzig schönes Bild, daß Pawlowitsch seine langen Finger krampfhaft schloß, als gönne er es anderen nicht, sich an dieser wärmenden Augenweide zu ergötzen. Und doch krümmte sich seine Seele und wand sich ängstlich hin und her, denn die Güte des Rittmeisters erschien dem kundigen Mann verdächtig, und ein quälender Zweifel beschlich ihn, ob jenes Gold nicht vielleicht dazu bestimmt wäre, um die besseren Mahnungen seines Herzens zu übertönen. Man hatte so viel von den rauhen Grenznachbarn gehört, sie waren so lüstern nach diesen oder jenen gleichgültigen Dingen, die den Uneingeweihten gänzlich nebensächlich erschienen, und die dann doch plötzlich eine besondere Geltung gewinnen konnten. Und dann – die Versucher von dort drüben sollten sich im Besitz von ungeheuerlichen Schätzen befinden, die sie wahllos und verschwenderisch über die ihnen Ergebenen und Willfährigen ausstreuten. Hatte sich Pawlowitsch, der Listige und Verschlagene, nicht schon oft heimliche Gedanken darüber gemacht, wie hübsch es wäre, wenn man die groben ungeschlachten Kerle von jenseits der Grenze ein wenig necken würde? Natürlich nur ein bißchen aufziehen, um sie hinters Licht zu führen, denn man wußte ja eigentlich gar nichts, was die neugierige Gesellschaft wirklich interessieren könnte. Aber als der Hausmeister jetzt das kalte Goldstück mit seinen langen Spinnenfingern umschloß, da gab es ihm doch einen brennenden Stich durch alle Adern hindurch, und einen Moment schlugen Angst und Feigheit so stark in ihm empor, daß er fast ohne Überlegung die Hand ausstreckte, um das liebe, das schöne, das reiche Geschenk wieder von sich zu schleudern.

»Da – da – Panne Rittmeister –«

»Was willst du, mein lieber Junge?«

»Ich – ich« – das Kerlchen im Radmantel erwachte – »ich wollte Ihnen bloß herzlich danken, Herr Rittmeister,« sagte er schmerzlich.

Der Russe jedoch versetzte ihm einen freundschaftlichen Puff vor die Brust, so daß dem ohnehin Bedrückten einen Moment lang die Luft fortblieb.

»Schon gut, Pawlowitsch,« hörte er die dröhnende Stimme dicht vor seinem Ohr, »das ist nur Kleinigkeit. Du gefällst mir, du gefällst mir wirklich. Und dann – wir sind ja auch halbe Landsleute. Wer weiß, was ich noch alles für dich tun kann? Und nun geh und richte deinen Auftrag aus, bei lieben Leutnant Fritz Harder. Wo wohnt er doch noch?«

»Er wohnt Rosenkranzgasse 19,« schlich dem Diener die Stimme mühsam aus der Kehle. Und sich windschief verbeugend, schlug der Davoneilende ein Kreuz unter dem langen Mantel, indem er noch erstickt hinterher zu flüstern versuchte: »Jesus, Maria und Joseph, legt Fürbitte ein!«

Als Pawlowitsch dies herausstöhnte, schlug es von der Sebalduskirche die zehnte Stunde. Das Glockenspiel des Meisters Adameit begann wieder seine glasklaren Melodien zu spielen: »Wer nur den lieben Gott läßt walten.« Da trat Pawlowitsch der Schweiß auf die Stirn. Fester und gieriger preßte er die Goldmünze in seiner Hand zusammen, als müsse er sich durchaus an etwas Irdisches klammern, und doch bröckelte es von seinen Lippen noch einmal wie vorhin, nur schaudernd und abwehrend:

»Jesus, Maria und Joseph, wie leicht kann man das Geld auf dieser Erde verdienen. Wie leicht – legt Fürbitte ein!«

III

Durch die langen schmalen Eichen vor dem Herrenhause von Maritzken raschelte der Frühwind. So eng beschnitten hatte man die dunkelgrünen saftigen Kronen, daß man die Bäume in der Ferne für hochstrebende Pappeln halten konnte. Nun wiegten sich die Wipfel im weißen Sonnenlicht des Julivormittags und warfen schwankende Schatten auf den grob gepflasterten Hof, der trotz beginnender Ernte und obwohl er von Leiterwagen und Pflügen besetzt war, so sauber aussah, als wäre er für eine besondere Feierlichkeit aus vielen Wasserschläuchen überspült worden. Auch die umgebenden Wirtschaftsgebäude blitzten stets unter einem weißen Anstrich, denn es machte den Stolz der Herrin von Maritzken aus, daß sich das von ihr bewirtschaftete Gut immer in weithin leuchtender Weiße zeige. Unter dem viereckigen Toreingang aber stand Johanna Grothe selbst, und die Sonnenstrahlen hüllten ihr lockeres Haar in eine Goldhaube ein. Vor ihr verharrte in Hemdsärmeln die untersetzte Figur ihres Statthalters, der sein kleines zehnjähriges Töchterchen an der Hand führte.

»Nun, Baumgartner,« fragte Johanna den Mann mit der vorzeitig durchfurchten Stirn freundlich, »wie weit halten wir heute?«

Da berichtete der treu sorgende Verwalter, der die Angewohnheit aller älteren Landleute besaß, die Gutsangelegenheiten nicht allzu rosig darzustellen, wie man bei der Rapsernte auf ganz verfluchte Flecken gestoßen sei, die mit nichts als Unkraut und Hederich bewachsen wären.

»Da ist wieder ein toller Hund gelaufen,« sagte der Landmann nach dem Aberglauben der dortigen Gegend.

»I, lassen Sie nur, Baumgartner,« tröstete Johanna lächelnd, »unser Raps selbst steht fett und gut. Es kann einem das Herz im Leibe lachen.«

Der Mann kraute sich leicht hinter dem Ohr. »Na ja, Fräuleinchen, aber mit dem Kartoffelumwerfen, da kommen wir nicht richtig vorwärts. Uns fehlen Pferde. Ponnies müßten wir haben, mit schmalem Tritt.«

»Da haben Sie recht, Baumgartner,« nahm seine Herrin den Einwurf lebhaft auf, »aber wissen Sie das Neueste? Heute nachmittag fahre ich mit meinen Schwestern nach Grabowo.«

»Was, über die Grenze?« hob hier der Verwalter sein sonnengebräuntes Haupt und zuckte ein wenig mißtrauisch die Achseln, und als er erfahren, daß seine Gebieterin dort drüben das vermißte Pferdematerial zu kaufen beabsichtigte, da klopfte er mit dem Finger noch einmal warnend gegen die Schärfe seiner Sichel. Es gab einen hellen Ton. »Vorsichtig, gnädiges Fräulein,« riet er dringend, »die Gesellschaft da drüben geht nicht immer ehrlich zu Werke.«

»Oh, Sie können unbesorgt sein, Baumgartner, Herr Konsul Bark begleitet uns.«

Da ging ein beifälliger Zug über das ernste Antlitz des Landmannes.

»Das ist gut,« stellte er fest. »Konsul Bark versteht seine Sache. Er hat auch mit dem alten Trakehner Hengst bei uns recht behalten. Das Tier arbeitet drei junge Pferde in Grund und Boden.« Und während sich der Beamte schon zum Abgang wandte, fragte er noch einmal ehrerbietig: »Und zu wann befehlen das Fräulein den Wagen?«

Eine schwere Falte grub sich dabei mitten über die Stirn des Mannes. Allein Johanna verstand ihn.

»Nein, nein, Baumgartner,« beruhigte sie. »Sie brauchen sich gar nicht stören zu lassen, Herr Konsul Bark holt uns in seiner eigenen Equipage ab, obwohl uns unser Weg ja ohnehin durch die Stadt führen würde. Sie können Ihre Pferde ruhig bei der Arbeit behalten.«

»Oh, danke schön, gnädiges Fräulein, das ist gut. Herr Konsul Bark weiß, was sich gehört. Ich freue mich immer, wenn er auf das Gut kommt. Nun vorwärts, Tilli.«

Er gab seiner kleinen Tochter einen Wink, das Kind knixte und beide schritten rasch bis zum Hoftor. Jedoch sie sollten nicht hinausgelangen. Von der Chaussee her erhob sich ein scharfes Rollen, Peitschenklang schwirrte durch die Luft, und gleich darauf sah die Gutsherrin, wie ihr Verwalter ein Paar mächtigen Rappenhäuptern beruhigend über die schäumigen Nüstern klopfte.

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