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Die Herrin und ihr Knecht
Die Herrin und ihr Knecht

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Die Herrin und ihr Knecht

Язык: Немецкий
Год издания: 2017
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Bei Gott, dies Gespann kannte Johannas geübter Blick. Ja sogar den harten, sausenden Peitschenklang unterschied sie vor allen anderen. So dröhnend und unbekümmert raste nur der Riese dort drüben von Sorquitten über die Landstraße. Und richtig, noch hatte sie die Ziegelschwelle unter der viereckigen Einfahrt nicht verlassen, da schob sich auch bereits eine mächtige Männerfigur in einem gelben Sportanzug durch die Toröffnung, und ein grünes Tirolerhütchen mit einer alten verbogenen Hahnenfeder wurde aus Leibeskräften in der Luft geschwenkt.

»Morjen, morjen, Johanna, alte Seele,« wetterte das markige Organ des Vetters Fedor von Stötteritz, und dabei stampfte der ungeheuerliche Eindringling bald rechts, bald links mit den braunen Schnürstiefeln, aus denen sich ein paar unförmige Waden herausdrängten, schallend auf den Steinen des Hofes herum. »Laß mal eiligst so einen kleinen Tritt herausbringen, liebste Cousine, meine alte Dame will sich nämlich wieder nicht meinen Armen anvertrauen. Sie behauptet, ich zerbräche ihr immer ein paar Knochen im Leibe. Also fix, Johanna,« und er führte die beiden Mittelfinger in den Mund und ließ einen gellenden Pfiff erschallen. »Vorwärts, wo bleiben die Faulpelze? Meine Frau Mama kann ja bekanntlich nicht warten.«

Jetzt wurde es auf dem Hofe lebendig. Eine Magd mit einem Tritt lief hochaufgeschürzt hinzu, und nachdem auch Johanna bis an den Wagenschlag geeilt war, da entschloß sich die lang aufragende, hagere Insassin des Gefährtes endlich, die Expedition auf den sicheren Erdboden zu unternehmen. Mit einem Krückstock indessen tastete sie erst vorsichtig die Unebenheiten des Terrains ab. Kurzatmig stand sie dann neben ihrem Sohn, um ihrem blauroten und doch pergamentartig mageren Antlitz ein wenig kühlende Luft zuzufächeln.

»Es ist nichts mit solchen Ausfahrten,« stellte Frau von Stötteritz grämlich fest, wobei sie der Hausherrin steif ihre Rechte zum Handkuß darbot. »Guten Tag, liebes Kind. Ich wollte dich gewiß nicht belästigen – nein, nein, schon gut, wer soll sich denn über eine so alte anspruchsvolle Frau im Ernst freuen? – aber mein dummer Junge läßt mir ja keine Ruhe. Es sollte durchaus ein Besuch bei dir werden. Als ob ich dich in meinem Leben noch nicht gesehen hätte! – Nein, nein, schon gut,« unterbrach die hagere Dame entschieden, als das blonde Mädchen ihr irgend etwas Liebenswürdiges entgegnen wollte. »Lüge nicht erst, mein Töchterchen, du schwärmst ja selbst nicht für Komplimente. Die Hauptsache ist, daß ich möglichst bald eine Fußbank unter mein rechtes Bein erhalte. Du kannst dir gar nicht denken, wie mich das Rheuma wieder plagt. Aber paß auf, es gibt Regenwetter. Unsere Rapsernte wird uns natürlich wieder wegschwimmen.«

»Du, Hans,« schrie der Sohn aufgeräumt dazwischen, der seine Frau Mama mit den flachen Händen so sanft wie möglich vor sich her schob, »mein ganzer Raps an Silberstein da drinnen verkauft. Den verfluchten Juden hab' ich schön hochgenommen. Wenn das in diesem Jahre so weiter geht, dann bau ich auf Sorquitten das neue Herrenhaus, das du neulich vorschlugst. Meine Alte werde ich schon rumkriegen.«

»Es wäre gut, wenn du mir nicht so in die Ohren schriest, Fedor,« tadelte die Vorauftappende, schmerzlich ihren Mund verziehend. »Was ich dieses Brüllen nicht leiden mag –«

»Na, laß man sein, Mutterchen, ich säusele schon wieder. So, und nun aufgepaßt, hier kommen die Treppen.« Der Besuch wurde in das große Staatszimmer hinaufgeführt, dessen drei Fenster auf den Park hinausgingen. Denn Johanna dachte daran, daß ihre Tante, Frau von Stötteritz, eine unbesiegliche Abneigung hege gegen den Anblick des Wirtschaftshofes sowie gegen die rauhen Geräusche, die sich von dort möglicherweise erheben konnten. In einem alten gelben Seidenfauteuil lehnte die alte Dame an einem der hohen Fensterbogen und zupfte nervös an den seidenen Halbgardinen herum. Währenddes präsentierte die blonde Hausherrin ihrem kritischen Besuch ein in Wein abgezogenes Ei, denn dies war die einzige Aufwartung, welche die kränkliche Dame gnädig aufnahm. Dafür konnte sie von jener Leckerei auch große Mengen vertilgen. Einen Augenblick hörte man nichts, als das Klirren des Löffels, den Frau von Stötteritz in dem Glase herumführte, und dazwischen mischten sich die schallenden Tritte ihres Sohnes, der, die Hände in den Taschen, ruhelos das Zimmer durchmaß. Er entbehrte seine Zigarre, die in der Gegenwart der Mutter nicht geraucht werden durfte.

Endlich hatte die kränkliche Frau die ihr so wohlmundende Leckerei mit Andacht zu sich genommen; das behagliche Schlürfen sowie das Kratzen des Löffels erstarb, und nachdem sich Fedors Mutter umständlich mit ihrem Taschentuch Mund und Hände gereinigt, da richtete sich die hagere Gestalt starr in ihrem Sessel auf, alles Vorboten, daß jetzt etwas Wichtiges erfolgen sollte. Zuerst aber reichte sie mit ihren zitternden Fingern das Glas zurück, um verurteilend zu klagen:

»Wenn einem nichts mehr schmeckt, so ist das ein schlimmes Zeichen. Nein, widersprecht nicht erst, ich bin mir über meinen Zustand ganz im klaren.«

Als aber ihr herkulischer Sohn unbekümmert seinen dröhnenden Spaziergang durch das weite Gemach fortsetzte, da nestelte Frau von Stötteritz aus ihrer schwarzseidenen Handtasche einen mehrfach gefalteten Brief hervor, strich ihn auf ihrem Schoße glatt und tat einen tiefen, halb seufzenden Atemzug.

»Höre, Johanna,« begann sie endlich, indem sie sich den Zeigefinger netzte, wie wenn sie die Seiten des vertrockneten Briefes umzuschlagen gedächte, »bekümmerst du dich eigentlich um politische Vorgänge?«

»Um politische –?«

Johanna stutzte. Und während sie mit entschlossener Bewegung ihr blondes Haupt in den Nacken warf, da nahm sie plötzlich jene abwehrende Stellung ein, die ihrer ganzen Gestalt das Gepräge verlieh.

Mein Gott, wie unangenehm! Gedachten die beiden herrischen Adelsmenschen, die in der ganzen Gegend wegen ihrer altpreußischen Gesinnung bekannt waren, sie, die emsig Schaffende, nun auch zu ihren Lebensanschauungen zu bekehren? Oh nein, darin täuschten sich die beiden. Sie – das Gutsfräulein von Maritzken bewertete die ihr Nahen und Fernen lediglich nach den Leistungen, durch die Schaffensfreudige und Arbeitskräftige ihr Dasein, ihre Lebenshaltung zu befestigen oder zu steigern vermochten. Ja, das war es, dem praktischen Sinn der großen Blonden war der Erwerb, der anständige und sichere, beinahe etwas moralisch Schönes und Geheiligtes geworden. Und deshalb lehnte sie gewöhnlich mit einer ihrer entschlossenen Gesten alles ab, was sich in ihrem Umkreis in politischen Zänkereien erging. »Wer für sich schafft, schafft auch für das Land,« dachte sie. Und mit diesem Bekenntnis glaubte sie sich genügend mit den Streitigkeiten des Tages abgefunden zu haben.

»Bekümmerst du dich eigentlich um politische Dinge?« hob Frau von Stötteritz noch einmal an, und es klang bereits, wie immer, ein spitzer Vorwurf aus dem Ton ihrer Frage.

Aber gerade diese Art, die so selbstverständlich eine scheue Unterwerfung forderte, das bedingungslose Zustimmen zu einem durch nichts zu erschütternden Programm, das rief den starken Drang nach Widerspruch, nach Verteidigung bei dem eigenwilligen Landfräulein hervor. Und indem Johanna mit dem Finger leicht auf die Tischplatte pochte, als wollte sie für jedes ihrer Worte eine besondere Aufmerksamkeit verlangen, da warf sie mit angenommener Gleichgültigkeit hin:

»Nein, liebe Tante Adelheid, von Politik verstehe ich zu wenig. Und das Geringe, das ich manchmal mit meinem Freunde, dem Konsul Bark, bespreche, das hat irgendwie einen Bezug auf meine Wirtschaft. Aber ein Verdienst oder etwas Ersprießliches,« setzte sie mit einem kalten Lächeln hinzu, »ist meines Wissens für mich noch niemals dadurch erzielt worden.«

Bei der Erwähnung des Namens ›Bark‹ öffneten sich die schmalen Lippen der Freifrau wie von selbst, und sie ließen ein Paar der großen gelben Zähne zum Vorschein kommen. Und siehe da, auch ihr mächtiger Sohn gab seine Wanderung auf und wurzelte so unvermittelt auf dem olivgrünen Velourteppich fest, daß die alten Porzellantassen in der nahen Glasservante zu klirren anhoben. Gleich darauf trat auch er an den Tisch heran, ganz dicht neben das blonde Mädchen, und zwirbelte mit einer weitausladenden Bewegung den starr sich emporreckenden rotblonden Schnurrbart zurecht.

»Konsul Bark?«, nahm er das verdächtige Wort von neuem auf und in seine tiefe Stimme drang gleichfalls etwas Scharfes und Schnarrendes. »Sag mal, kommst du mit dem Tütendreher noch immer so häufig zusammen, Johanna?«

Da war wieder jene Verachtung der kaufmännischen Berufe, die den praktischen Hans mehr wie alles andere verdroß. Und in ihrem Innern erhob sich eine heftige Abneigung gegen die junkerliche Überhebung des Vetters. Zum Teufel, was hatte der Riese von Sorquitten denn Höheres und Besseres geleistet, als der gewandte Geschäftsmann dort drinnen in der Stadt? Gott ja, Fedor war ein mit beiden Fäusten durchgreifender Landwirt, praktisch in jeder Faser und voll derber Freude an seinem Beruf. Seine Leute duckten sich vor ihm, denn es war nicht ratsam, mit dem Enaksohn im Ernst anzubinden. Aber bestand denn darin etwas so Gewaltiges, das große väterliche Gut, das ihm blühend von Generationen von Vorfahren überliefert war, in einem ertragsreichen Zustand zu erhalten? Wie ganz anders der Chef des Goldenen Bechers dort drinnen am Marktplatz. In ewig neuer Anspannung mußte der Kaufmann seine Kapitalien, ja sogar sein ganzes Geschäft, das durch wechselnde Konjunkturen und Zeitströmungen immer wieder gefährdet werden konnte, verteidigen, schützen und erweitern. Über die schnell sich verändernden Beziehungen des Völkerlebens mußte er sich unterrichtet zeigen, denn jeden Augenblick konnte es nötig werden, irgendeine der sich erhebenden großen Fragen des Weltgeschehens für sich günstig auszubeuten. Dazu gehörte doch eine andere geistige Beweglichkeit, eine männliche Kraft des Entschlusses und daneben auch eine biegsame und geschmeidige Leichtigkeit, die plötzlich anstürmenden Gefahren auszuweichen verstand; ja, es gehörte mehr Mut und Selbstbeherrschung zu einem solchen Tütendrehen, als es das ruhige Abwarten von Saat und Ernte verlangte.

So meinte Johanna wenigstens, denn da ihr selbst die schwere, und an Enttäuschungen reiche Pflicht der Bodenbearbeitung geläufig war, so neigte sie durchaus dazu, das ihr fremde und imponierende Spiel des Handels höher als ihre eigene Leistung einzuschätzen. Aber selbst wenn dieser letzte Grund fortgefallen wäre, so empörte sich die tief in ihr wurzelnde Dankbarkeit für ihren uneigennützigen Freund dagegen, daß Junkerhochmut den tätigen Mann seines Gewerbes wegen über die Achsel anschauen dürfe. Und sehr bestimmt entgegnete sie deshalb auf den etwas spöttischen Einwurf ihres Vetters:

»Allerdings, lieber Fedor, ich komme mit Herrn Konsul Bark sehr häufig zusammen. Ja, unser Freund wird mich und meine Schwestern sogar heute nachmittag in seinem eigenen Wagen zu einem Besuch jenseits der Grenze abholen.«

Noch hatte die Entschlossene nicht völlig geendet, als der Brief auf dem Schoß der Tante Adelheid seltsam zu rascheln begann. Und während der mächtige Landwirt vor Überraschung mit der Faust nur einen kräftigen Luftstoß ausführte, dem sich die empörte Anmerkung beigesellte: »Na, das ist aber doch –,« da schüttelte seine Mutter sehr bestimmt das pergamentene Haupt, und ihre noch immer schwarzen Augenbrauen schnürten sich so eng zusammen, als ob damit die Willensäußerung ihrer Nichte ein für allemal ausgestrichen und aus der Welt geschafft wäre.

»Mein liebes Kind,« hüstelte sie in ihrer frostigen Art, die keinen Widerspruch zu kennen schien, »du siehst hier diesen Brief. Mein dummer Junge behielt doch recht, als er mich zu dem Besuch bei dir veranlaßte. Ich merke, wir kommen gerade zur rechten Zeit. Kurz und gut, liebe Johanna, du wirst klug handeln, wenn du deinen Besuch jenseits der Grenze unterläßt.«

»Aber warum, beste Tante? Ich sehe gar nicht ein –«

»Unterbrich mich nicht, Johanna, sonst verliere ich so leicht den Zusammenhang. Dir wird hoffentlich gleich alles klar werden. Und du kannst Gott danken, daß man dich noch in letzter Stunde warnt. Weißt du, was dieser Brief enthält? Er stammt von meinem Bruder, dem Geheimen Regierungsrat von Roeder aus dem Auswärtigen Amt, und mein Verwandter richtet die dringende Bitte an mich, die äußerste Vorsicht gegen alles walten zu lassen, was mit unseren russischen Nachbarn irgendwie in Beziehung steht.«

»Aber liebe Tante Adelheid,« rief Johanna eifrig, obwohl sie sich eines leichten Fröstelns, das über ihre weiße Haut rieselte, nicht erwehren konnte, »wozu das alles? Wir sind doch auf das große Volk dort drüben angewiesen. Wir tauschen so vieles von ihnen ein, was wir nirgends besser und billiger erhalten. Und die Leute von jenseits der Grenzpfähle nahmen gerade in den letzten Jahren auch von uns nicht allein allerlei praktische Dinge, sondern sogar manche Sitten und wissenschaftliche Errungenschaften an, so daß man sich über den lebhaften Verkehr doch nur freuen sollte.«

»Der Teufel soll den albernen und leichtsinnigen Verkehr holen,« brummte hier der Riese von Sorquitten dazwischen, dem der Zorn das Antlitz dunkler färbte, »ich wünschte, man hätte schon längst den Brüdern die Zähne gewiesen.«

»Um Gottes willen, Ihr stellt ja die Angelegenheit beinahe so dar, als ob wir uns mit denen da drüben im Kriegszustande befänden,« lachte Johanna ärgerlich auf, und ihre Rechte schlug dabei quer durch die Luft, wie wenn es notwendig wäre, das gefährliche, das unmögliche Wort von vornherein zu sprengen oder zu zerteilen.

Allein was war das? Weshalb suchten in diesem Moment die hellblauen Augen des Riesen, die sonst so lachend, so sorglos und unbekümmert über Lebendes und Totes fortzugleiten gewohnt waren, weshalb in aller Welt suchten sie so dringend und ernsthaft die ihren? Warum nickte das blonde Haupt ein paarmal so schwer und bedächtig, wie wenn ein ungeheures Schicksal sich mit Wucht auf diesen starren Nacken gebürdet hätte? Und dann? Täuschte sie sich? Ihr war es, als ob sich die unförmige Gestalt des Recken in plumper Bewegung näher und näher an die ihre heranschöbe, und das unsichere Gefühl durchdrang sie, als ob dies alles geschähe, um ihr bei heranziehender Gefahr nahe zu sein, um sie zu bergen und zu schützen. Dazu verharrte die Kranke in ihrem gelben Sessel starr und unbeweglich, kein Wort drang über die fest zusammengepreßten schmalen Lippen, und nur aus dem nervösen Zittern der schwarzen Augenbrauen enträtselte die beklommene Beobachterin, welchen beängstigenden Gedanken die Leidende heimlich preisgegeben sein müsse. Unerträgliche Schweigsamkeit waltete zwischen den drei aufgescheuchten Menschen. Endlich ertrug es die Älteste von Maritzken nicht länger. Mit ein paar unbedachten Schritten näherte sie sich dem Stuhl der Greisin, um ganz gegen ihre Gewohnheit hastig und aufgeregt die lange welke Hand von Fedors Mutter zwischen ihre eigenen pulsierenden Finger zu betten.

»Liebe Tante,« stieß sie ohne weitere Rücksicht hervor, »du mußt nicht glauben, daß es nur die Unruhe um meine eigene Sicherheit oder um die ungefährdete Existenz meiner Schwestern ist, die mich jetzt veranlaßt, dich um weitere rückhaltlose Auskunft zu bitten. Aber nicht wahr, Fedor, nicht wahr, Tante Adelheid,« fuhr sie dringender fort, »ihr, als Gutsvorstände, könnt mir das nachfühlen. Ich habe ja so vieles hier zu verantworten, anvertraute Kapitalien und nicht zuletzt das Leben und das karge Besitztum meiner Leute. Ich muß also wissen, worum es sich in diesem Briefe handelt. Ihr könnt es mir ganz ohne Schonung anvertrauen, es wird mich nicht umwerfen. Und dann –,« sie trat ans Fenster und riß mit einer hastigen Bewegung die seidenen Halbgardinen fort, so daß die alte Dame, von einem Sonnenstrahl getroffen, wehleidig zusammensank – »werft doch nur einen Blick auf alles, was wir Deutschen hier schufen, auf den alten Park mit seinen hundertjährigen Stämmen, auf die prachtvollen Weizenfelder, die wir in rastloser Emsigkeit durch immer neue wissenschaftliche oder rein praktische Methoden zu ihrer heutigen Reife und Blüte brachten! Betrachtet dort hinten, jenseits der Chaussee das reinliche Dörfchen Maritzken mit seinen kleinen Gärten und Lauben und der wunderhübschen Holzkirche. Das alles hat man seit fünfzig Jahren aus einem Sumpf herausgehoben. Und alle diese Mühe, so viel Leben und Daseinsfreude, das sollte man von einem eisernen Hagel zerschmettern lassen? Für immer? Nein, daran glaube ich nicht,« schloß sie tief atmend und legte sich wie befreit die flache Hand auf die arbeitende Brust.

Auf diesen Ausbruch hob die alte Dame den sorgsam behüteten Brief rasch gegen das Licht, zog aus ihrer schwarzseidenen Tasche gleichzeitig ein Schildpattlorgnon hervor und hielt sich die Gläser dicht vor die Augen.

»Liebes Kind,« schnitt sie alle weiteren Erörterungen ab, »wenn du mehr Umgang in militärischen Kreisen pflegen würdest, was ich für sehr nützlich hielte, so könntest du wissen, daß jene große Auseinandersetzung, die dir so unmöglich scheint, von den maßgebenden Stellen schon seit Jahren befürchtet oder auch erhofft wird. Je nachdem. Ich halte es deshalb für meine Pflicht, dir ganz reinen Wein einzugießen. Merke genau auf. Mein Bruder, der es auch mit dir gut meint, schreibt folgendes.«

Damit lenkte die starr und aufrecht Sitzende das gelbe Blatt Papier noch näher an ihr Antlitz, das sie scheinbar nicht beugen konnte, und griff mitten aus dem Brief folgende Stelle heraus:

»Seit dem frevelhaften Verbrechen, das dem Thronerben der uns verbündeten Monarchie das Leben kostete, haben wir hier im Amt eine aufreibende Arbeitsleistung zu bewältigen. Noch nie war der europäische Himmel so bewölkt wie jetzt. In den militärischen Zentralen wird fieberhaft geschafft, und ich kann dir unter der Hand mitteilen, daß die Sachkundigsten unter uns seit der Überreichung der österreichischen Forderungen an den rebellischen Balkanstaat die fernere Erhaltung eines ehrenhaften Friedens beinahe in das Gebiet der Unmöglichkeit verweisen. Sollte, was Gott verhüten möge, unser großer östlicher Nachbar sich für das Schwert entscheiden, – ein Gedanke, zu dessen Erfassung die Phantasie der meisten unserer in einem verweichlichenden Frieden völlig aufgegangenen Mitbürger durchaus nicht ausreicht – dann würde eine Weltkatastrophe heraufbeschworen, die alles, was jetzt festliegt und besteht, zerschmettern müßte.«

Ein widerspruchsvolles Lächeln, das sie sich selbst nicht zu deuten vermochte, glitt bei dem eben Gehörten über die bleichen Züge der Landtochter, denn sie gehörte zu denen, deren Einbildungskraft vor der ungeheuerlichen Prophezeiung machtlos niedersank. Die alte Dame jedoch verkündete mit scharfer Stimme weiter, und es war, als ob ihre Worte sich immer stechender und aufreizender formten, je Erbarmungsloseres über ihre schmalen Lippen floß.

»Ihr könnt euch die Last und die Qualen dieser Spannung gar nicht vorstellen. Von Tag zu Tag fliegen neue Vorschläge, Vermittlungen und geheime Depeschen von Allerhöchster Hand herüber und hinüber. Alles starrt atemlos auf die Zentnerlast, die an einem Haar über unseren Häuptern schaukelt. Und nun der Grund, warum ich so ausführlich an dich berichte, liebe Schwester. Stürzt der Koloß über uns herein, über uns, die wir in unserem gläubigen Vertrauen namentlich an euren Grenzen noch lange nicht so unantastbar gerüstet sind, wie es unsere leitenden Militärs wünschen, dann werden es eure Gegenden sein, die von dem ersten Ritt unkultivierter Horden überrannt werden. Noch vermögen wir nicht zu ahnen, welches Entsetzen sich bei einem solchen Zusammenstoß über eure Gutshöfe, Dörfer und kleinen Städte ausbreiten könnte. Da wir in den letzten Jahrhunderten immer nur mit uns an Gesinnung gleichgearteten Volksstämmen die Waffen kreuzten, so fehlen uns alle Anhaltspunkte dafür, was wir von den Angehörigen einer minderen Kultur zu erwarten haben. Ich rein persönlich jedoch fürchte, daß es – selbst den recht zweifelhaften guten Willen der östlichen Befehlshaber vorausgesetzt – kaum gelingen dürfte, unsere Ansiedlungen vor einer bisher unbekannten Zerstörungsgier zu schützen. Und was den Einwohnern eines freien und geordneten Staatswesens bevorsteht, sobald die entfesselte Zügellosigkeit dumpfer und stumpfer Massenschwärme über sie fortprallt, asiatischer Halbwilder, die an glücklicheren Völkern die Pein ihrer eigenen Sklaverei zu vergelten gedenken, das sind Dinge, liebe Schwester, die mich vorläufig nur wie unvorstellbare schwere Träume ängstigen. Zwar noch ist ja eine Beschwörung der Gefahr nicht gänzlich unmöglich. Doch mein Rat geht für alle Fälle dahin, dich und die Deinen sowie alle, die dir nahestehen, schon jetzt in Sicherheit zu bringen. Mit Freuden öffne ich dir mein Haus in Berlin. Es genügt aber vielleicht auch, wenn du dich einstweilen in eurer Provinzialhauptstadt einmietest. Aber nimm die Zeit wahr, liebe Adelheid, denn binnen kurzem dürften auch dort neue Ankömmlinge wegen der zu befürchtenden Übervölkerung zurückgewiesen werden. Ist es nicht unfaßbar, sich alle diese ungewohnten Schrecken und Grausamkeiten vorstellen zu müssen? Gott gebe, liebe Schwester, daß diese wütende Windsbraut ohne schweren Schaden an dir vorüberbraust.«

Als Frau von Stötteritz bis hierher in ihrer Lektüre gelangt war, da faltete sie den Brief emsig und umständlich zusammen, jede Falte in ihre gewohnte Lage, und schob das Schreiben mit ihrer dürren Hand raschelnd in den seidenen Beutel. Dann wandte sie das Haupt, und ohne ein weiteres Wort an diese für sie völlig erschöpfte Angelegenheit zu verschwenden, richtete sie ihre starren, grauen Augen, die sich plötzlich unnatürlich weit geöffnet hatten, regungslos und unerbittlich auf das hochgewachsene blonde Mädchen. Auch Johanna vermochte sich in der abermals herabsinkenden Stille, die bang und trübselig, beinahe hörbar, durch das weite Zimmer schlürfte, keiner Bewegung hinzugeben.

Ungläubig nahm der Riese von Sorquitten, der auch jetzt noch mit hörbar tiefen Atemzügen neben seiner jungen Verwandten weilte, die merkwürdig belebte Blässe des sonst so resoluten und durch nichts zu erschütternden Frauenbildes in sich auf.

»Kriegt endlich doch das Bibbern,« fuhr es ihm durch den Sinn, und seine kernige Mannhaftigkeit freute sich darüber, weil das stolze Weib, das ihn stets wie eine beobachtende Erzieherin behandelte, sich wenigstens vor der Gefahr genau wie alle anderen Frauenzimmer demütigen lernte. »Na, da wird sie ja unseren Vorschlag gnädig aufnehmen,« dachte er, »womöglich noch dankbar sein, weil man sie hübsch fürsorglich aus unserer Pulverecke fortschafft.«

Und ohne weitere Überlegung reckte er sich, um seine breite Tatze herablassend, wohlwollend auf die Schulter der Cousine zu betten. Die in Gedanken Versunkene jedoch ließ es ruhig geschehen. Es war das erste Mal, daß sich der Recke ihrer blühenden Körperlichkeit so weit nähern durfte. Und mitten in dem schweren Druck, den die bängliche Zeit verbreitete, da empfand der strotzende Gutsherr in seinem derben, allem Grübeln abgeneigten Sinn etwas von der verschämten Üppigkeit dieser verhüllten, unberührten Mädchenglieder. Freilich nur eine vorüberblitzende Sekunde, denn gleich darauf zuckte das entschwundene Leben durch die völlig entrückte Frauengestalt. Widerwillig schnellte ihre Schulter empor, schüttelte die fremde Hand als etwas Störendes von sich ab, und während sie ihren Blick mit ihrer kühlen Sicherheit gegen seine trotz aller Überhebung gutmütigen Knabenaugen richtete, da stieß sie kurz und geschäftsmäßig hervor, wie jemand, der endlich auf den Kern der Dinge dringen will:

»Na also, Fedor, nur um mich auf alles dies vorzubereiten, deswegen allein hast du doch deine Mutter nicht zu der Fahrt veranlaßt? Heraus damit, was führst du noch im Schilde?«

Verwünscht, da war wieder eine jener niederträchtig kurzen Fragen, auf die seine schwerfällige Unterhaltungsgabe nicht sofort eine Antwort zu erteilen wußte. Herrgott ja, man plante ja allerlei Heimliches, sogar seit Jahren, man trieb sich viel öfter auf dem Hofe von Maritzken herum, als es eigentlich durch die Verwandtschaft oder eine treue Nachbarlichkeit bedingt war, weil man eben dachte – weil man doch zum Schluß wünschte, daß – daß – Zum Kuckuck, es wurde eben nichts daraus, weil das große blonde Weib, das in der Statur so hübsch zu einem paßte, nichts, aber auch gar nichts Entgegenkommendes oder Aufmunterndes zeigte, was einem die schwere Sprache vielleicht gelöst hätte. Und auch in diesem drängenden Moment hätte der Riese das, was ihn im Grunde bewegte, und was längst die Billigung der Frau Mama gefunden hatte, ohne deren Ja und Amen man ja schließlich nichts unternehmen konnte, ja, er hätte all das Verborgene gerade jetzt viel sachter und zarter einkleiden können. Aber nun, als man ihm wieder mit einer solch brüsken Deutlichkeit auf den Leib rückte, da vermochte sich der Herr von Sorquitten nur auf den alleräußerlichsten Grund zu besinnen, den man im letzten Ende doch nur als guten Vorwand aufgespart hatte.

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