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Reise durch den Stillen Ozean
Reise durch den Stillen Ozean

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Reise durch den Stillen Ozean

Язык: Немецкий
Год издания: 2017
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Neptun hielt nun seine Anrede an den Kapitän, und das übliche Frage- und Antwortspiel, wie das Schiff heisse, woher es käme und wohin es gehe, entwickelte sich. Nach diesen Präliminarien, die sehr ledern waren und sowohl dem Neptun nebst Gefolge als auch dem Kapitän so vorkommen mochten, da sie ziemlich verlegene Gesichter schnitten, nahm ersterer auf einem improvisirten Throne hinter dem Grossmast Platz und schickte seine Schergen aus, um die Opfer, diejenigen an Bord, die zum ersten mal die Linie passirten, vorführen zu lassen. Von den Passagieren durften nur solche ergriffen werden, die sich freiwillig dazu erboten, und um mit gutem Beispiel voranzugehen, unterzog ich mich selbst der peinlichen Prozedur der Aequatortaufe.

Ein grosser Bottich mit Wasser stund vor Neptun, ein darüber gelegtes Brett war der Sitz für den Täufling. Ein Gehilfe des Barbiers frug nach Namen und Alter, registrirte solches in ein dickes Buch, profaner Weise eine alte Bibel, dann kam der Barbier, schmierte aus einem Kübel mit vollen Händen Seifenschaum über das ganze Gesicht und kratzte ihn wieder ab mit seiner Rasirkeule. Der ätzende Seifenschaum verbot die Augen zu öffnen, ein plötzlicher Ruck, das Brett wurde weggezogen, man plumpste rücklings in das Wasser des Bottichs, die Taufe war vollzogen.

Ich hatte mir ausgebeten, nur mit der besten und reinlichsten Seife bedient zu werden und als erster zu leiden. Nicht so glimpflich wie ich wurden diejenigen behandelt, die nach mir kamen. Zunächst Mister Ross und etwa zwanzig andere junge Männer von den Zwischendeckspassagieren, zuletzt die Neulinge unter der Mannschaft, unser Ganymed Hannes, der in der Nordsee so Schreckliches erduldet, mittlerweile jedoch mit dem Meere vertrauter geworden war, jener Decksjunge, der sich damals versteckt hatte, und ein Matrose. Diese drei letzteren wurden auf die alte qualvolle Weise barbiert und getauft. Für sie gab es eine eigens präparirte Seife zweiter Qualität, die stark mit Theer versetzt war und noch etliche Tage Mund und Augen verklebte. Beim Rasiren kam es auf einige Stückchen Haut nicht an, und das Taufen wurde ihnen so gründlich zu Theil, dass sie halberstickt, heftig spuckend und hustend, dem Bottich entstiegen. Auch auf die frommen Missionäre hatten es die Matrosen abgesehen und wollten sie vor Neptuns Thron schleppen, aber sie schrieen so kläglich um Hilfe, dass der Kapitän sie zu retten eilte. Raketen und Bluelights und eine Ration Schnaps für die Matrosen verherrlichten den Abend dieses denkwürdigen Tages.

Wir waren in den äquatorialen Kalmen. Unsere höchste Temperatur im Schiff war damals und überhaupt während der ganzen Reise nicht mehr als 27 Zentigrade, aber die Feuchtigkeit der Luft im Verein mit den lauwarmen Regengüssen, die ab und zu auf uns niederstürzten, liess sie doppelt fühlen.

Thau träufelte von den Wänden, alles Lederzeug, die Stiefel und die Einbände der Bücher überzogen sich mit Schimmel. Die Thüren und Schubladen schwollen an und waren nur mit grösserer Kraftentfaltung zu öffnen. Meinen Nachbar Mister Ross hörte man den ganzen Tag drüben in seiner Kammer an den Schubladen rütteln. Er hatte deren nur zwei, aber sie machten ihm mehr zu schaffen, als zwanzig zu Hause. Selbst der harte Zwieback weichte auf – die einzige Annehmlichkeit dieses dunstigen Zustands. »Alles ist feucht, es ist als ob die Natur Alles in den primordialen Urschleim zurückführen wollte. Die Individualität schwindet, das Denken hört auf, man wird eine willenlose, feuchte, schwammige, indolent schwitzende Moles«, schrieb ich damals ins Tagebuch. Nachts sah es manchmal im Dämmerlichte des Zwischendecks aus wie in mythologischen Sphären. Bunt durcheinander lagen die Passagiere nackt oder halbnackt vor ihren Kojen auf dem Boden und stöhnten vor Hitze. So oft ich auch als Sittenpolizei eine sorgfältigere Bedeckung empfahl, der Genius epidemikus des Schwitzens lähmte jegliche Rücksicht.

Auch bei Tage herrschte jetzt eine wohlthätige Ruhe im Schiff, und Stumpfsinn lagerte über der ganzen Gesellschaft. Mit halbgeöffneten Augen und Mäulern und schlotterigen Knieen, Zwiebackreste im Bart und in den Haaren, lungerten unsere Passagiere halb schlummernd umher, blos zur Essenszeit machte sich etwas Leben geltend. Eine Periode der Versöhnung und des Friedens war eingetreten. Alle Regungen der Gehässigkeit verschwanden. Keine gegenseitigen Verdächtigungen, keine Unzufriedenheit über das Essen, kein Schimpfen mehr. Selbst das Salzfleischstehlen hatte seinen Reiz verloren. Nur die zahlreiche Kinderschaar fuhr fort sich herumzubalgen und amüsirte sich jetzt hauptsächlich damit, aus den Regenlachen auf Deck Wasser in den Mund zu schlürfen und einander ins Gesicht zu spritzen.

Meist war das Wetter trübe und der Himmel bedeckt. Zuweilen aber hatten wir Sonnenschein, und dann boten die vielen isolirten dunklen Wolkenmassen, welche in allen Richtungen inselförmig und scharfbegrenzt als geschlossene graue Schleier auf das blaue Meer herabfielen, ein eigenthümliches anziehendes Schauspiel.

Oft geriethen auch wir in einen solchen Wolkenbruch, dessen Beginn jedesmal von einer heftigen Böe eingeleitet wurde. Wir sahen lange vorher wie sie langsam auf uns zukam. Wir hatten alle Segel bei, aber schlaff hingen sie an den Raaen und klapperten. Plötzlich einige Windstösse, die Segel blähen sich und neigen das Schiff auf die Seite. Im Wasser rauscht es von der Fahrt, die wir machen. Nun schlagen die ersten dicken Tropfen aufs Deck und es rasselt in Strömen herab als ob wir ersäuft werden sollten. Nach wenigen Minuten wird es wieder still, die Fahrt hört auf, und nur mehr das Gurgeln der durch die Speigatten abfliessenden Bäche ist vernehmbar.

Wir benutzten diese Fülle meteorischer Niederschläge um unseren Wasservorrath zu ergänzen. Segel wurden als Trichter an das Dach der Kajüte befestigt und durch Schläuche mit den Wasserfässern unten im Lastraum verbunden. Im Nu hatten wir jedesmal wieder einige Fässer gefüllt.

Zwar besassen wir entsprechend den englischen Vorschriften einen Kondenser zum Destilliren von Meerwasser, jedoch war dieser so schlecht ausgerüstet, dass wir mit ihm nur beim allergünstigsten Wetter zu arbeiten vermochten. Er ersetzte dafür seine geringe Leistungsfähigkeit durch um so grösseren Lärm. Er stampfte gleich einer mächtigen Dampfmaschine, spie die herrlichsten Feuergarben aus seinem Schornstein, was in der Nacht allerdings ziemlich effektvoll aussah, aber zugleich auch der Takelage Gefahr drohte, und entwickelte so viel russigen Qualm, dass man uns von ferne für eine stolze Fregatte halten konnte.

Ganz besonders erspriesslich waren die Regengüsse für die Pflege der Reinlichkeit. Alles musste jetzt waschen, und das ganze Deck schwamm ein paar Tage lang in Seifenschaum. Die Matrosen bedienten sich hiebei eines sehr praktischen abgekürzten Verfahrens, indem sie ihre Wäsche einfach in eine der vielen Lachen warfen und mit blossen Füssen darauf herumtrampelten.

Ausser der Aequatortaufe fielen in jene Periode der Regengüsse und des Schwitzens noch zwei andere Feste, nämlich Weihnachten und Neujahr.

Für den Christbaum hatten wir Lichter sowie billiges und schlechtes Zuckergebäck von Hamburg aus mitbekommen. Den Baum selbst mussten wir uns künstlich aus einer Stange und Besenreisig herstellen. Es war eine wunderbare, laue, sternenklare Tropennacht, als er angezündet wurde. Aber die Lichter wollten nicht brennen in der freien Luft auf Deck, obwohl fast kein Lüftchen sich regte. Unser materieller angelegtes Publikum zeigte auch nicht viel Sinn für die Poesie der heimathlichen Sitte, und der Schwerpunkt der ganzen Feierlichkeit lag für dasselbe mehr in dem grossen, rosinengespickten und schrecklich unverdaulichen Kuchen, den der Koch angefertigt hatte.

Am Sylvesterabend gaben die Matrosen auf einer hinter dem Grossmast improvisirten Bühne eine von ihnen selbst erfundene Pantomime zum besten. Die Fabel des Stückes war sehr einfach und stylvoll. Mehrere Handwerksburschen kommen in ein Wirthshaus, betrinken sich, schlafen ein, müssen aber fortwährend kratzen, sie machen Skandal, der Wirth erscheint und will Geld, sie haben keines, der Wirth schmeisst sie hinaus, eine Prügelei, und der Vorhang fällt. Dieses zeitgemässe dramatische Opus wurde mit viel mimischer Begabung und grossem Erfolg vom Stapel gelassen. Ein wahrer Sturm von Beifall belohnte die Akteurs nach jeder Szene, und namentlich das mit höchster Naturwahrheit und Empfindung dargestellte Kratzen erregte den ausgelassensten Jubel der germanischen Völker, während die Polen sich etwas betroffen fühlten und theils verlegene, theils zornige Gesichter machten, als Alles auf sie deutete.

Auf dieses folgte eine Tanzunterhaltung. Während des Theaters war der Mond aufgegangen. Sein silbernes Licht schimmerte auf den ewig bewegten, hüpfenden Wellen des Meeres und übergoss mit magischem Glanz die Segel und das Deck des Schiffes, so dass die wenigen farbigen Lampen kaum zur Geltung gelangten. Unbekümmert um den draussen gähnenden Wasserschlund, dessen Oberfläche der Kiel langsam durchfurchte, drehten sich auf engem Raum die fröhlichen Paare im Kreise. Eine Ziehharmonika spielte ihre langweilige, misstönende Musik dazu, und eine dichte Zuschauermenge drängte sich nach dem Tanzplatz oder hing in den Wanten.

Noch oft hatten wir an schönen Abenden solche Tanzunterhaltungen. Auch die unverheiratheten Frauenzimmer durften daran Theil nehmen. Es war mir unmöglich, eben so puritanisch zu sein, wie die strengen englischen Vorschriften, und ich konnte unseren Passagieren dieses harmlose Vergnügen nicht versagen, wenn sie mich darum baten. Hoffentlich erfährt die Neuseeländische Regierung nichts davon.

Auf der südlichen Hemisphäre hatten wir im Anfang mit dem Wind nicht mehr Glück als auf der nördlichen. Immerfort mühselig zu kreuzen gezwungen, wendeten wir täglich zwei- oder dreimal und steuerten abwechselnd Westsüdwest und Ostsüdost, ohne wesentlich vorwärts zu kommen, da die leichtgeladene Euphrosyne zu viel Abtrift machte.

Am 29. Dezember bekamen wir das einsame Eiland Fernando Noronha in Sicht. Fernando Noronha ist eine brasilianische Verbrecherkolonie. Wir fuhren Nachts zehn Uhr so nahe daran vorüber, dass wir deutlich die dunklen Umrisse des Piks und der nächsten Hügel und lebhaft am Strande sich hin und her bewegende Lichter erkannten. Vielleicht hielt man uns dort für das von der Regierung gesandte Schiff, welches den auf die Insel Verbannten von Zeit zu Zeit Lebensmittel und Nachrichten bringt.

Der ewige Gegenwind aus Süd hielt an, und am 31. Dezember sahen wir von der Mastspitze aus den Pik von Fernando Noronha abermals, jetzt ungefähr 30 Seemeilen entfernt und von der anderen südlichen Seite.

Endlich am 6. Januar kam der langersehnte Südostpassat. Aber wir hatten die Ostecke Südamerikas noch nicht passirt und waren der Küste so nahe, dass wir noch mehrere Tage kreuzen mussten. Immer wieder führte unser Kurs, wenn wir ihn mit dem Lineal auf der Karte absetzten, gegen Land, und wir mussten wieder wenden und halb rückwärts fahren.

Die dunstige Hitze der Aequatorstillen schwand vor der frischen Brise aus dem Schiff, und eine angenehme Kühle erquickte die erschlafften Nerven. Keine hundert Seemeilen zur Rechten lag Parahyba. Wie mochte es dort drüben im üppigen Dickicht tropischer Vegetation wimmeln von stechenden Moskitos und schillernden Käfern, von schreienden Papageien und giftigen Schlangen, von kletternden Affen und schleichenden Raubthieren, wie mochte die Sonne dort drüben herabglühen auf all das bunte Leben. Und hier auf dem Wasser hatten wir ungefähr die Temperatur eines deutschen Sommers.

Erst jetzt wurde uns der volle Genuss des Segelns im Passat zu Theil, der auf der nördlichen Hemisphäre durch abnorme Witterungsverhältnisse uns so sehr geschmälert worden war. Die See schien ihre ganze Natur verändert zu haben. Ein ewig blauer Himmel wölbte sich über der blauen Fläche und die freundlich strahlende Sonne und der gleichmässige köstliche Wind vereinigten sich zu einer angenehmen, milden Wärme. Nur rings um den Horizont lag die Kette der geballten Passatwolken.

Grosse rosenrothe Schwimmblasen von Physalien, die »Portuguese Men of War« der Seeleute, schaukelten sich auf den munter hüpfenden Wellen. Bläulich schillerten und schossen durch die Fluth vor dem Schaum aufwühlenden Steven flinke Bonitos und Delphine und spotteten unserer Angel. Putzköpfe, jene kleinste Art der Walfische, umspielten zuweilen das Schiff, bliesen ihren Wasserstaub aus den Nasenlöchern, peitschten mit ihren mächtigen Schwanzflossen das Meer und schnellten ihre ganzen ungeschlachten Körper gleichsam jauchzend hoch in die Luft.

Nachts aber glimmte es geheimnissvoll in den dunklen Tiefen der Salzfluth. Unzählige Funken erhellten den schaumigen Streif des Kielwassers, den wir zurückliessen, und wie Wetterleuchten fuhr es zuweilen glitzernd über den ganzen Spiegel der See hin. Ein paar mal fuhren wir Stunden lang durch Schwärme von Pyrosomen. Sie waren nur bei Nacht als feurige Zylinder zu sehen, namentlich deutlich und zahlreich im sprudelnden Kielwasser, da sie, erregt, stärker zu phosphoresziren pflegen. Erst kurz vor Neuseeland gelang es mir, mehrere zu erbeuten.

Alle waren jetzt guter Laune, bis auch das schöne Passatwetter langweilig wurde. Selbst der Kapitän thaute auf, aber erst, als wir die Höhe von Pernambuco hinter uns und wieder freies Wasser vor uns hatten, welches erlaubte, den Kurs beizubehalten. Er mochte sich wohl Gewissensbisse darüber machen, dass er soweit nach Westen herüber gegangen war. Es galt nun mit dem Passat so weit als möglich nach Süden hinab zu gelangen, um erst im Bereich der aus Westen kommenden Strömungen und Winde gegen Ost abzuschwenken.

Bis Mitte Januar war unser Gesundheitszustand ein sehr günstiger gewesen, und ich wiegte mich bereits in der Hoffnung, dass wir ohne Todesfall nach Neuseeland kommen würden. Meine frohe Zuversicht erlitt plötzlich rasch nacheinander heftige Stösse.

Die beiden Hospitäler füllten sich in wenigen Tagen mit fiebernden Kranken, und jeden Tag kamen neue. Die Fieber stiegen stetig höher, und Erscheinungen gesellten sich hinzu, die mir keine andere Diagnose als Abdominaltyphus, die gefürchtete Schiffspest, gestatteten. Anfänglich sträubte ich mich gegen die traurige Wahrheit. Ich suchte mich selbst zu täuschen und anzunehmen, es sei vielleicht doch nur eines jener räthselhaften, noch wenig bekannten Tropenfieber, die uns von der afrikanischen oder brasilianischen Küste zugeweht worden. Die grosse Unregelmässigkeit der meisten Anfangsstadien unterstützte mich in dieser Annahme. Aber bald mussten auch die letzten Zweifel schwinden, und als am 1. Februar fast gleichzeitig zwei Todesfälle eintraten, verschafften mir die Sektionsresultate volle handgreifliche Gewissheit.

Die eigenthümliche Thatsache, dass unsere Epidemie so plötzlich ausbrach, nachdem wir bereits zwei Monate auf See und ohne Berührung von Land gewesen, liess sich vielleicht dadurch erklären, dass das Krankheitsgift, welches zweifellos schon bei der Abreise von Hamburg im Schiff gesteckt haben musste, anfangs zu schwach war, um deutliche Erscheinungen hervorzurufen, und erst unter dem Einfluss der langen tropischen Feuchtigkeit und Hitze zu grösserer Wirksamkeit sich entwickelte.

Es waren zwei junge, kräftige, vor Kurzem noch blühende Weiber, eine Polin und eine Dänin, die als die ersten der tückischen Seuche zum Opfer fielen. So hatten wir denn am folgenden Morgen das trübselige Schauspiel einer doppelten Leichenbestattung. Die Flagge wurde zum Zeichen der Trauer halbstocks gehisst. Eine fremdartige Stille herrschte auf dem Schiff, Passagiere und Mannschaft waren erschüttert und in gedrückter Stimmung. Alles fürchtete sich vor dem unheimlichen Gast, der unsichtbar und unheilschwanger unter uns hauste. Vier Matrosen trugen die in Segeltuch eingenähten und mit Flaggen bedeckten Leichen aus dem Hospital um den Grossmast herum nach Steuerbord, welcher eben Leeseite war, voran die Missionäre, hinterdrein die Angehörigen, der Kapitän und ich und die ganze Bevölkerung. Die Missionäre sprachen ein Gebet, dann glitten von dem Bollwerk unter der Flagge hinweg, an kurzen Tauen gehalten, die Leichen ins Meer und verschwanden, durch Steinkohlen beschwert, gurgelnd in die Tiefe. Einige Luftblasen stiegen an die Oberfläche zurück, und von den theuren Körpern war nichts mehr zu sehen. Zerknirscht stund die Menge herum, und ausser dem Schluchzen und Weinen und ausser dem Rauschen der Fahrt regte sich kein Laut.

Nach der Reihenfolge des Sterbens wurde zuerst die Polin, dann die Dänin zur Ruhe gesenkt. Niemals schnitt eine Melodie mir schriller und schärfer ins Ohr, als der polnische und dann der dänische Grabgesang, welche die Feier beschlossen. Ruhte ja doch auf mir die Hauptlast unseres Unglücks, und wusste doch Niemand an Bord besser als ich, wie unzureichend und ohnmächtig die ganze Medizin einer solchen Epidemie gegenüber ist. Wir hatten noch ungefähr die Hälfte der Reise vor uns, und es war mir gewiss, dass die eben ad Akta gelegten zwei Fälle nur den Anfang einer Reihe anderer bildeten, wenn ich auch gegen Niemand den Namen Typhus aussprach und stets die tröstlichste Zuversicht heuchelte, dass die Krankheit in den nun bevorstehenden kälteren Breiten rasch aufhören würde.

Die Erkrankungen nahmen immer mehr zu. Es wurde unmöglich, sämmtliche Kranke zu isoliren, blos die schwersten konnten im Hospital Unterkunft finden. Häufig brachen ganz plötzlich furibunde Delirien aus bei solchen, die bisher nur leicht ergriffen waren. Heute wurde mir vielleicht ein Frauenzimmer vorgeführt, das auf einmal im Bette herumzuschlagen begonnen hatte, morgen vielleicht ein junger Bursche, der den Versuch gemacht, ins Wasser zu springen. Wenn ich sie mit dem Thermometer mass, hatten sie die höchsten Temperaturen.

Tag und Nacht in Anspruch genommen, ohne geschulte und gewissenhafte Wärter, hatte ich fast Alles selbst zu thun. War es mir gelungen, gegen ansehnliche Geldversprechungen ein wenigstens der Zahl nach genügendes Personal für die Krankenpflege zu engagiren, so liefen sie nach wenigen Tagen eigenmächtig wieder hinweg oder holten mich Nachts aus dem Bett, um mir zu erklären, dass sie sich vor den Delirien fürchteten und es nicht mehr aushalten könnten.

Unter solchen Umständen wurde die Seereise ungemüthlich. Eine mächtige Sehnsucht nach Land, namentlich nach Ruhe und Alleinsein, nach Waldesdunkel und Wiesengrün, ergriff mich. Sie sollte erst in sechs Wochen einigermassen gestillt werden.

IV

IM INDISCHEN OZEAN

Um das Kap herum. Segeln vor dem Sturm. Die Krozet Islands. Unsere Typhusepidemie steigt. Gedrückte Stimmung. Zur Naturgeschichte der Seeleute. Albatrosse und sonstige Vögel. Ventilationseigenthümlichkeiten.

Am 31. Januar passirten wir bei gutem Winde das Kap der guten Hoffnung in 44 Grad südlicher Breite, nachdem wir kurz vorher an Tristan da Kunha vorübergesegelt waren, ohne den Inselvulkan in Sicht zu bekommen.

Wir gingen bis hart an die Grenze des antarktischen Treibeises, beinahe bis zum 50. Grad hinab, um erst in der Höhe von Neuamsterdam uns wieder etwas nördlich zu wenden. Es wurde nun ziemlich kalt, was wir um so bitterer empfanden, verweichlicht durch das äquatoriale Dampfbad der letzten Wochen. Das Thermometer sank Nachts bis auf zehn Zentigrade trotz des Hochsommers der südlichen Hemisphäre.

Mächtige Tangmassen trieben in gleicher Richtung mit uns ostwärts, von Ferne schwimmenden Inseln oder Schiffstrümmern ähnlich. Selten gelang es mir, mit dem nachschleppenden Haifischhaken einzelne Aeste derselben, oft gegen zehn Meter lang, aus dem Meere zu angeln. Eine Menge von Lepadinen und Balaniden, von höheren Krustern und von Mollusken, von Bryozoen und von Polypen, die Passagiere dieser natürlichen Fahrzeuge, wurden dann meine Beute.

In Bezug auf die Windverhältnisse war die Fahrt durch den tiefen Süden des Indischen Ozeans der günstigste Theil unserer ganzen Reise. Häufig hatten wir Sturm von hinten, und dann flogen wir förmlich in grandiosen und langsamen Galoppsprüngen vor den in Kolonnen nachrückenden Wogen her. Die Masten krachten und bogen sich unter dem Druck der gerefften Marssegel. Die vollgespannte Fock schien das Schiff aus dem Wasser lüften zu wollen. Hoch empor spritzte unter dem Steven der Gischt, zu zischenden Schaumhügeln nach beiden Seiten auseinandergepflügt, und über Berg und Thal schlängelte sich hinter uns die schäumende Spur des Weges, den wir im Fluge gemacht. Unwillig rauschte das Meer. Ganze Gebirgsketten wälzten sich mit uns vorwärts. Aber wir liefen allen voran, eine nach der anderen wurde geschlagen, und sie hatten das Nachsehen.

Nur die Krozet Islands verdarben uns auf kurze Zeit die Freude. Wir wollten dicht an ihnen vorüber fahren, aber sie wollten nichts von uns wissen und umhüllten sich mit einer Nebelkappe. Man konnte keine Schiffsbreite sehen, und wir mussten umkehren, beim schönsten Wind umkehren und beidrehen. Wir hatten entschieden Pech. Kaum dass einmal der Wind uns günstig war, stellte sich so ein unnützes Pack kahler Inseln entgegen. Zum Glück klarte nach zwei Tagen die Luft wieder auf und erlaubte Kurs zu steuern. Abgerechnet einige windstille Tage gab es jetzt keine Unterbrechung mehr.

Das Rollen des Schiffes wurde zuweilen wieder so stark, dass ich mich in meiner Koje feststauen musste, um schlafen zu können. An der einen Seite den Sack mit Kamillenthee, an der andern den Sack mit Scharpie, gegen die barbarische Kälte mit allen disponiblen Decken und Mänteln belastet, so bot ich den Schrecken der nächtlichen Stürme Trotz, fest entschlossen nothwendigen Falles lieber im Bett als draussen in der ungemüthlichen freien Natur zu ersaufen, unbekümmert um die Bücher, den Stuhl und etliche Kistchen, welche von einer Wand der Kammer zur anderen purzelten. Nur wenn die Gläser oben in ihren Stellen stärker zu rütteln begannen, machte ich mich los aus meiner Verpackung und klemmte die Papierkeile fester, welche sie hielten.

Seekrankheit gab es aber jetzt nicht mehr an Bord. Auch der Verzagteste war seefest geworden. Man freute sich der wilden Fahrt. Ein Liederkranz hatte sich gebildet und suchte mit dem Toben des Sturmes zu wetteifern, und mitten durch das Rauschen der See, das Brausen des Windes und das Stöhnen des Schiffes schallte trotzig und herausfordernd das alte schöne Kriegslied »Ich bin ein Preusse, kennt ihr meine Farben« in die aufgeregte Natur hinaus, gesungen von dem ganzen Mischmasch unserer Nationalitäten.

Wenn nur nicht aus den Hospitälern das Wimmern des Fieberwahnsinns als schriller Misston dazwischen gedrungen wäre. Unsere Typhusepidemie griff immer mehr um sich. Mein Journal zeigte am Ende der Reise 94 Nummern, alle, auch die leichtesten und deshalb zweifelhaften Fälle mitgezählt. Kaum war die erste Doppelbestattung vorüber, so folgten andere nach, und wir mussten noch fünf Leichen mehr über Bord werfen. Diese gräuliche Epidemie, für den Kapitän die Gewissheit, dass wir auch unter den fortan günstigsten Umständen eine aussergewöhnlich schlechte Reise machten, für mich die unerfreuliche Aussicht, mit der ganzen Zwischendecksgesellschaft, die ich schon so satt hatte, in Quarantäne zu kommen, die immer schlechter werdende Beschaffenheit des Proviants und des Wassers – all dies war geeignet, gar oft die schwärzeste Stimmung heraufzubeschwören. Solange der Wind uns günstig war, und wir rasch vorwärts segelten, ging es noch leidlich. Als jedoch einmal wieder Windstille eintrat und zwei, drei Tage nicht weichen wollte, wirkte die Verzögerung deprimirend wie noch nie. Die Nähe des Frauenhospitals, in welches ich, weil es am besten eingerichtet war, die schwersten Kranken ohne Unterschied des Geschlechts zusammenlegte, wurde dann bei der herrschenden Ruhe doppelt unangenehm, und oft konnte ich nicht schlafen in der Nacht von dem ewigen Geschrei und Gewimmer, das in meine Kammer herüberdrang. Es machte mich nervös immer und immer wieder dieselben quälenden Laute zu hören.

In keiner Lage habe ich die Misere der ärztlichen Unzulänglichkeit schmerzlicher empfunden als damals. Nicht darin liegt ja die Härte des ärztlichen Standes, worin der Laie sie meist zu vermuthen pflegt, in der Aufopferung an Zeit und Mühe, an Schlaf und Erholung, in all den abscheulichen und ekelhaften Dingen, mit denen man in Berührung kommt, sondern in der Unvollkommenheit und Ohnmacht der sogenannten Heilkunde. »Ihr durchstudirt die gross und kleine Welt, um es am Ende gehn zu lassen wies Gott gefällt.« Das Durchstudiren ist sehr schön, dass Gehen lassen müssen aber ist unerträglich.

Am unglücklichsten fühlte sich der Kapitän über unser Missgeschick. Es war nun Alles ganz anders gekommen als er gewünscht hatte. Von Ersparnissen, mit welchen er bei seinem Rheder sich einzuschmeicheln gehofft, keine Rede. Wir mussten froh sein, wenn wir mit unserem Wasser knapp bis Neuseeland reichten, da der Kondenser bei stürmischer Witterung nicht arbeiten konnte. Ich war fast täglich gezwungen, eine Menge Brot, welches sich als verdorben erwies, über Bord werfen zu lassen, und hatte bereits seit längerer Zeit alle Spirituosen und feineren Esswaaren der Euphrosyne für meine Kranken in Beschlag genommen. In der Kajüte herrschte jetzt absolutes Teatotalerthum. Dass mir Solches ohne sonderliche Kämpfe gelang, war dem zerknirschten Zustand des Kapitäns, welcher seine tobsüchtigen Neigungen gänzlich lähmte, zu verdanken.

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