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Reise durch den Stillen Ozean
Reise durch den Stillen Ozean

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Reise durch den Stillen Ozean

Язык: Немецкий
Год издания: 2017
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Unser Zwischendeck war das schönste, welches ich jemals gesehen habe. Es hatte die ungewöhnliche Höhe von 2,7 Meter und war sehr gut ventilirt. Es war jedoch keine Stätte des Friedens, sondern der Schauplatz beständiger Kämpfe. In den Verschlägen der einzelnen Männer vorne und der einzelnen Mädchen hinten ging es noch leidlich. In der Mitte aber bei den Familien mit ihrem Kindersegen hörten die Reibereien nie auf. Fast immer waren es natürlich die Weiber, welche anfingen und ihre respektiven Ehegatten auf einander hetzten.

Zwei feindliche Parteien standen sich voll Hass gegenüber, die Skandinavier und die Polen. Erstere waren musterhaft reinlich und hatten viel Sinn für Ordnung. Bei den letzteren galt mit wenigen Ausnahmen ungefähr das Gegentheil. Man konnte sich kein schmutzigeres und armseligeres Volk denken als jene unglücklichen Abkömmlinge der Weichselgegend. Alle Tage kamen Klagen über ihre Unsauberkeit, die selten grundlos waren, alle Tage musste ich über acquirirte Pediculi vestium jammern hören. Die Dänen erklärten mit Ueberzeugung, dass jene Thierchen nichts Geringeres beabsichtigten als sie alle aufzufressen. Ich bestimmte eine Frist, bis zu welcher die Polen dieselben abgeschafft haben mussten, vertheilte Sabadillaessig, Petroleum und Perubalsam, und bei wem ich nach zwei Wochen noch Spuren davon fand, bekam nichts zu essen. Dies half einigermassen. Die Betten wurden, so oft es das Wetter erlaubte, gesonnt, die Kleider gebrüht und die Kinder mit der bisher unbekannten Gewohnheit einer täglichen Reinigung vertraut gemacht.

Die nationalen Gegensätze übertrugen sich auch auf das religiöse Gebiet. Wir hatten vier deutsche protestantische Missionäre an Bord, die theils für Neuseeland, theils für Australien bestimmt waren, und denen ich den vorgeschriebenen Gottesdienst und die Schule übertrug. Sie bildeten unsere offizielle Staatskirche, und im Anfang kam Alles einträchtig bei ihnen zum Sonntagsgebet zusammen. Auf einmal fiel es den skandinavischen Völkerschaften ein, dass sie ihren eigenen Gottesdienst in dänischer Sprache haben wollten. Sie wählten einen alten Mann aus ihrer Mitte zum Vorbeter und blieben weg. Dieses Beispiel wirkte ansteckend, und sofort wurden auch die katholischen Polen schismatisch und bildeten eine dritte Religionsgemeinde, so dass die Missionäre mit ihren salbungsvollen Worten nur mehr auf ein sehr kleines Häuflein beschränkt waren.

Diese Dreiheit führte zu wahrhaft österreichischen Zuständen, und fast jeden Sonntag gab es Reibereien. Fingen die Einen hier ein deutsches Kirchenlied an, so erhob sich dort ein polnischer Gesang, und daneben begann wieder eine andere Gruppe, dänisch zu singen. Gerade so gings mit der Schule. Mit dieser wollten sich die Polen niemals befreunden. Sie schickten ihre Kinder nicht regelmässig, oder ihre Kinder waren widerspänstig und wollten nichts lernen. Recht gerne würde ich ihnen ebenso wie den Dänen eine eigene Schule eingeräumt haben, wenn unter den Polen ein einziger Mann fähig gewesen wäre, Unterricht zu ertheilen. Die ausgezeichneten englischen Vorschriften, nach denen ich regieren musste, waren eben für Auswanderer englischer Nation, nicht für das Sprachen- und Nationalitätengewirr, welches auf deutschen Schiffen zu sein pflegt, gemacht.

Nur bei den Kindstaufen herrschte merkwürdiger Weise eine vollkommene Parität der Konfessionen. Fünfmal war es uns vergönnt, dieses Fest zu feiern. Und zwar geschah es jedesmal, da wir nöthigenfalls damit warteten, bis gutes Wetter eintrat, unter dem grössten uns möglichen Pomp, um keine Gelegenheit zu einer die Stimmung auffrischenden Volksbelustigung vorübergehen zu lassen. Unsere feinste Suppenschüssel wurde als Taufbecken mit rothen Bändern auf das Gangspill vor der Kajüte befestigt. Sämmtliche vierundzwanzig Signal- und etliche alte Nationalflaggen mussten herhalten, eine Art Presbyterium zu formiren. Die Missionäre zogen ihren besten Ornat an, predigten und beteten fast eine Stunde lang, und die Schuljugend sang fromme Lieder dazwischen.

Gleich bei dem ersten kleinen Weltbürger, der protestantischer Abkunft war, machten die Missionäre ihre Sache so schön und so erhebend, dass selbst die religiösen Vorurtheile der Polen nicht mehr Stand hielten und alle vier im Mutterwerden folgenden Polinnen sich steif und fest in den Kopf setzten, dass auch ihre Sprösslinge von den Missionären getauft werden sollten. Die Stammesgenossen remonstrirten zwar dagegen und machten Vorwürfe, während die gestrengen Diener des Herrn betheuerten nur unter der Bedingung taufen zu können, dass dann die Kinder auch protestantisch werden müssten. Die Eitelkeit der Weiber überwand alle Bedenken und bekannte sich auf einmal zu den freiesten Grundsätzen, wohl unter dem geistlichen Vorbehalt, dass später der Katholizismus wieder in seine Rechte treten sollte.

Die erste Geburt an Bord werde ich nie vergessen. Dieser Fall war komplizirt mit Schwierigkeiten, die in keinem Lehrbuch der Geburtshilfe vorhergesehen sein dürften, und auch später knüpften sich an ihn einige Thatsachen, die in Bezug auf Psychologie und Kulturgeschichte nicht ohne Interesse sind. Es war eine vorzeitige Greisin von vierzig Jahren, Erstgebärende und Gattin eines Wittwers mit acht Kindern, die den Reigen unserer Volksvermehrung eröffnete, und die ich in einer unwirschen Sturmnacht kurz vor Madera ins Hospital schaffen musste.

Nicht nur die süsse Frucht unterm Herzen der pommerschen Hekuba äusserte ein intensives Widerstreben die schnöde Welt zu erblicken, auch die Elemente schienen sich verschworen zu haben, ihren Austritt aus dem holden mütterlichen Organismus zu hintertreiben. Das Rollen und Stampfen des Schiffs war so heftig, dass ich die chloroformirte Wöchnerin im Bett anbinden und mich selbst durch den Kapitän festhalten lassen musste, während der erste Offizier mit einer trüben Laterne leuchtete und zugleich das Chloroform handhabte. Mehr als drei Mann hatten nicht Platz vor der Koje. Ungefähr eine Viertelstunde lang wurden wir vier oder vielmehr fünf betheiligten Personen von dem Sturm hin- und hergeschleudert, wie ein Rattenkönig hartnäckig aneinanderhängend – da siegte endlich die Zange. Abgesehen von einer auch auf dem festen Lande ziemlich häufigen Beschädigung, die durch die Nähnadel wieder gut gemacht werden konnte, war die Operation ganz ausgezeichnet gelungen. Nicht blos der Vater wurde gerettet, womit so oft in schwierigen Fällen das Bewusstsein des Arztes sich trösten muss, auch die Mutter und der kleine Junge erfreuten sich des besten bis zum Schluss der Reise andauernden Wohlbefindens.

Dieser Triumph meiner Kunst zog mir indess den Hass des zärtlichen Gatten und Vaters zu. Er war nämlich in der angenehmen Hoffnung befangen gewesen, dass jene beiden zu Grunde gehen möchten, und sah sich nun getäuscht. Die Zeit stimmte nicht mit seiner Berechnung. Er hatte sich schon zu Hause scheiden lassen wollen, aber die Agenten hatten ihm gesagt, dass dies in Neuseeland viel leichter sei und viel weniger Umstände mache. Nachdem er vergebens mich zu bewegen versucht, ihm hierin bei seiner zukünftigen Regierung behilflich zu sein, wurde er mein erbitterter Feind, und später, als wir auf einer einsamen Insel in Quarantäne lagen, war er der Rädelsführer einer kleinen gegen mich gerichteten Rebellion. In solcher Art waren die Gemüther besaitet, mit denen ich zu wirthschaften hatte.

Aber auch von dem Lenker und Befehlshaber des Schiffes blühten mir Schwierigkeiten.

Die Anschauungen der Passagiere über Quantität und Qualität des ihnen verabreichten Proviants gaben zuweilen zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Kapitän und mir Veranlassung. Jene glaubten fast alle Tage, dass sie zu wenig zu essen bekämen, der Kapitän war stets der entgegengesetzten Ansicht. Wenngleich jene fast nie zufrieden zu stellen und ganz unglaubliche Massen zu vertilgen im Stande waren, auch zweifellos die Mehrzahl hier an Bord besser genährt wurde, als jemals früher in ihrem Dorf zu Hause, so konnte ich doch nicht jedesmal ihnen Unrecht geben. Meine antagonistische Pflicht, dem Schiff und seinem Führer gegenüber die Interessen der Neuseeländischen Regierung und ihrer Immigranten zu vertreten, gebot mir, vom Kapitän die genaue Befolgung der Instruktionen zu verlangen. Dies war ihm unangenehm, er schimpfte und schlug mit der Faust auf den Tisch, ich drohte, die Angelegenheit in meinem Journal niederzulegen, er schimpfte noch ärger und schlug zweimal auf den Tisch – aber die Passagiere erhielten was ich verlangt hatte. So trieben wirs beinahe die ganze viermonatliche Reise hindurch, nur dass später in der zweiten Hälfte derselben die Umstände etwas unangenehmer und die Wuthausbrüche heftiger wurden. Ein- bis dreimal wöchentlich dieselbe Komödie. In mein Journal ist niemals eine Klage gekommen, die blosse Drohung damit genügte.

Andrerseits war es jedoch nicht minder geboten, den Beschwerden gegenüber möglichst vorsichtig zu sein. Kaum war ich dem einen gerecht geworden, und kaum hatten andere gesehen, dass man sich nur an mich zu wenden brauchte, um ein Stück Fleisch oder Speck mehr zu erlangen, als auch gleich Alle kamen und klagten. Da kamen nicht nur Krapülinski und Waschlapski, Schubiakski und Schmieriumski mit Weib und Kind an Backbordseite im Gänsemarsch zu mir aufs Achterdeck anmarschirt, auch die Skandinavier wollten nicht zurückbleiben, und an Steuerbordseite erschien eine Prozession von lauter Nielsen, Christensen, Andresen und Johannsen, und jeder brachte seine Schüssel Salzfleisch, Sauerkraut und Bohnen mit, um sie mir zu zeigen.

Wenn es nun nicht blosse Unverschämtheit und Gefrässigkeit war, der die reichlich zugemessenen Rationen nicht genügten, und die ich energisch zurückweisen oder selbst strafen musste, so stellte sich bei näherer Untersuchung nicht selten heraus, dass man bereits einen Theil verzehrt oder bei Seite gelegt hatte, um mich zu täuschen. Die Skandinavier trollten sich in solchen Fällen beschämt von dannen und nahmen ihre Strafe als etwas Selbstverständliches hin. Die Polen aber, wenn ertappt, geriethen in Verzweiflung. Lautes Zetergeschrei und Schwüre der Unschuld erfüllten die Luft. Die Männer rauften sich in den Haaren, die Weiber rutschten mit ihren blärrenden Kindern auf den Knieen herbei, suchten mir Hände und Rockschoss zu küssen, Erbarmen flehend, obwohl es sich nur um die Entziehung der Bohnen oder des Sauerkrautes für einen Tag handelte.

Wir besassen leider kein Arrestlokal und überhaupt keinen hierzu verwendbaren Raum im ganzen Schiff, und so willigte ich denn einmal mit Widerstreben ein, dass der Kapitän einem Polen, der sich eine grobe Widerspänstigkeit gegen ihn hatte zu Schulden kommen lassen, Handschellen anlegte, um ihn so zum warnenden Beispiel auf zwei Stunden vor dem Grossmast an den Pranger zu stellen. Der Mann geberdete sich wie ein Wahnsinniger in seiner Wuth darüber, versuchte erst mit einem Messer sich in den Hals zu schneiden, und rannte dann voller Verzweiflung nach der Verschanzung, um über Bord zu springen, heftig mit den zwei Matrosen kämpfend, die ihn zu bewachen hatten. Die ganze Polakei bis zu den Säuglingen herab wurde rebellisch, kreischte und heulte, und das Deck bot einen Anblick, als ob ein ernstlicher Aufruhr ausgebrochen sei.

Täglich um 10 Uhr war Proviantausgabe. Die Passagiere waren in Tischgesellschaften von ungefähr je einem Dutzend Köpfen eingetheilt, jede solche Tischgesellschaft, »Back« genannt, hatte ihre Nummer, und der Proviantmeister wog vor Aller Augen die Rationen ab. Das konservirte Fleisch wurde in den Büchsen von bestimmtem Gehalt verabreicht, die Salzfleischportionen wurden mit Blechnummern versehen und über Nacht in einen grossen Bottich zum Auswässern gelegt.

Dieser Bottich machte uns viel Kummer. Bald fanden sich regelmässig Diebe ein und bestahlen seinen Inhalt. Ich entwarf nun eine Wachliste und stellte Posten davor hin. Aber die Posten schliefen ein, und am Morgen fehlten wieder etliche Fleischstücke, wie zuvor. Ich liess nun ein entbehrliches Schloss von einer Thür wegnehmen und an den Bottich befestigen. Nach zwei Tagen hatte der Proviantmeister den Schlüssel verloren, und als ein anderes Schloss angebracht war, wurde der Deckel aufgebrochen.

Diebstähle jeglicher Art gehörten überhaupt zur Tagesordnung. Es war, als ob bei der Beschäftigungslosigkeit unseres Gesindels das Bedürfniss nach Thätigkeit und Unterhaltung sich nur in dieser einen Richtung geltend machen wollte. Sie stahlen aus reinem Sport.

Trotz all dieser fast unaufhörlichen Widerwärtigkeiten meines Amtes boten mir die ersten zwei Monate der Reise doch viel Genuss, und ich habe mich während dieser Zeit nicht ein einziges mal gelangweilt. Eine der Hauptabsichten, die ich ins Auge gefasst, war, die Thiere des Meeres zu studiren, insbesondere jene Unzahl kleinerer Lebensformen, an denen die Salzfluth so reich ist, die zwar dem oberflächlichen Beobachter, weil unscheinbar, meistens entgehen, die aber gerade deshalb nur um so interessanter sind. Auf Dampfern, die rasch hindurch fahren, lernt man die See und ihren Reichthum nicht kennen. Nur auf Segelschiffen bietet sich hiezu Gelegenheit. Hauptsächlich aus diesem Grunde war ich auf die Euphrosyne gegangen.

Schon bei Biscaya hatte ich meine Schleppnetze ausgepackt. Aber lange wollte kein passendes Wetter zum Fischen kommen. Ich verlor die Geduld, und als wir eines Tages kaum eine Meile per Stunde machten, während die See noch ziemlich hoch ging, wagte ich den ersten Versuch.

Nach fünf Minuten war mein Netz abgerissen und verloren. Ich hatte den Fehler begangen, dem fachmännischen Urtheil des Kapitäns mehr zu glauben als es verdiente. Der Kapitän, gerade in guter Laune und beseelt von dem Wunsch, mit mir in gutem Einvernehmen zu leben, unterstützte mich in meinen zoologischen Bemühungen, so sehr sie ihm innerlich auch zuwider sein mussten. Ich legte ihm mein Netz, einen einfachen Sack aus sehr starkem Strammin an einem verzinkten eisernen Ring von ein halb Meter Durchmesser, und die Leine, welche den Ring an drei Strippen hielt, zur Prüfung vor und frug ihn, ob diese wohl den herrschenden Seegang aushalten würde. Er lachte über meine Besorgniss, und ich warf das Netz über Bord. Wie sehr staunte ich, als ich den gewaltigen Zug fühlte, den dieser kleine Körper dem Wasser entgegensetzte. Das Schiffshintertheil stampfte in Schwingungen von etwa drei Meter Bogenlänge auf und nieder, und jedesmal wenn es sich erhob, spannte sich die Leine bis zum Platzen, so dass ich sie kaum mehr halten konnte und ein gutes Stück auslassen und festschlingen musste, um rasch wieder einzuziehen sowie wir wieder hinabtauchten. Ein Dutzend mal hatte ich dieses beschwerliche und ermüdende Manöver vollzogen, da kam eine etwas gröbere Aufwärtsbewegung, ein leichter Knall, und ich hatte die leere Leine in der Hand, das Netz, noch etliche Sekunden hell durch das Dunkelblau der hinten hinwegrollenden Wogen schimmernd, verschwand in die Tiefe.

Von nun an war ich vorsichtiger, folgte mehr meinem eigenen Urtheil, nahm eine stärkere, gut fingerdicke Leine, und versuchte nur bei ganz ruhiger See zu fischen, wenn wir keine schnellere Fahrt als höchstens vier Knoten machten. Schon bei drei Knoten war Ein Mann allein kaum im Stande, das Netz wieder einzuziehen, und man musste immer dabei bleiben und loslassen wenn ein stärkerer Windstoss kam. Es musste dann überhaupt ziemlich viel Leine ausgesteckt werden, sonst fing das Netz, wenn es zu kurz gehalten war, an, über die Oberfläche des Wassers hinwegzutanzen, ohne etwas zu fangen. Ein grosser Missstand war, dass die Baumwollefäden des Strammins aufquollen, wodurch die Maschen verengt wurden und zu viel Widerstand boten. Ich würde deshalb in künftigen Fällen ein Geflecht aus anderem Material vorziehen.

Eines der ersten Thiere, welches mir aufstiess und mich im höchsten Grad überraschte, war ein Insekt, Halobates, ein Wassertreter, ganz ähnlich dem sehr gemeinen Hydrometra, der in unseren Teichen und Sümpfen mit gespreizten Beinen ruckweise auf dem Wasser spazieren geht. Ein Wassertreter, ein so kleines und zartes Wesen, mitten auf dem Ozean über die Wellen schreitend! Von den Kapverden bis einige Grade südlich vom Aequator an der brasilianischen Küste fand ich allenthalben dieses interessante, muthige Thierchen, und es fehlte fast nie im Netz. Noch weiter südlich wurde das Wetter auf lange Zeit zu unruhig, um das Fischen zu gestatten, und im Indischen Ozean erschien es nicht wieder.

Ich hatte sogar das Glück, Halobateseier in jedem Stadium, die ganze Entwickelungsgeschichte des Thierchens, zu erwischen. Im Netz fing sich häufig aller mögliche Unrath vom Schiffe mit, und einmal fand ich auch eine Vogelfeder darin, die sehr gebraucht aussah, so dass ich im Anfang dachte, einer unserer Passagiere habe damit seine Pfeife gereinigt und sie dann über Bord geworfen. Bei näherer Betrachtung aber entdeckte ich, dass sie mit einem hellen Schleim überzogen war, in dem röthliche bis schwärzliche Körperchen steckten. Ich legte einen Theil davon unter das Mikroskop, und siehe da, die Körperchen waren fötale Halobatesindividuen, vom nahezu unentwickelten Ei bis zum vollständig ausgebildeten, sich bereits lebhaft bewegenden Thier von Stecknadelkopfgrösse, das ebenso wie sein Süsswasserbruder bei uns keine Metamorphose durchmacht. Leider ist mir gerade jenes Spiritusglas, in welchem ich die kostbare Feder verwahrte, später in Neuseeland, während ich einige Wochen abwesend war, zerbrochen worden. Ich habe sie zwar abermals in Spiritus gesetzt und nach Hause gebracht, aber als einmal vertrocknet wird das Präparat kaum mehr zu brauchen sein.

Nicht minder merkwürdig, wenn auch minder überraschend, da sie nicht unerwartet kamen, waren mir die Pteropoden, jene eigenthümlich gestalteten Schnecken, welche in den frühen Morgenstunden schaarenweise an die Meeresoberfläche emporzusteigen pflegen, um mit dem Erscheinen des Tages wieder in die Tiefe zu tauchen. Doch fing ich deren auch an trüben Nachmittagen und nie mehr als ein Dutzend auf einmal.

Man darf sich unter diesen »Flügelfüssern« keine Schnecken im gewöhnlichen Sinn des Wortes vorstellen. Ihre Gehäuse, sofern sie überhaupt eines besitzen und nicht ganz nackt sind, haben die verschiedensten Formen, nur keine Schneckenform, sie sind bald glashelle, bald wie Emaille glänzende, braun bis bläulich gefärbte Düten, einfach oder mit 3 bis 4 Stacheln besetzt, glattgewölbt oder kantig, drehrund oder plattgedrückt, mit einer freien oder lippenartig zusammengepressten Oeffnung, aus welcher die Thiere blos ihren zu förmlichen Flügeln oder Flossen umgebildeten Fuss strecken, um damit im Wasser herumzuflattern ähnlich eben flügge gewordenen Vögeln. Wenn ich sie aus dem Netz in einen Glastopf oder in meine weisse Waschschüssel setzte, lagen sie erst wie betäubt einige Minuten regungslos auf dem Grunde. Viele wurden, wahrscheinlich durch die im Netz erlittene Quetschung getödtet, nicht wieder lebendig, andere aber fingen bald an, langsam und allmälig aus dem Gehäuse ihre Flügel herauszustrecken und leise sie auf und nieder zu heben. Bei den meisten blieb es bei diesen schwachen Versuchen, in die Höhe zu fliegen. Einige jedoch, weniger bedeutend verletzt, bewegten sich immer rascher, stiessen sich ab vom Boden, stiegen, emsig flatternd, ruckweise immer höher, bis sie zuletzt an der Oberfläche des Gefässes herumhüpften, nach einigen Sekunden, wie um auszuruhen, wieder hinabsinkend und dann das Aufwärtsstreben von Neuem beginnend.

Es gewährte mir ein unschätzbares Vergnügen, diese kleinen kaum zentimeterlangen Geschöpfe zu beobachten, und ganze Nächte fischte ich oft, durchsuchte mit der Blendlaterne mühselig das Netz und besah meine Beute drunten auf dem Tisch der Kajüte beim Lampenlicht. Wie paradox klingt es, von Schnecken zu hören, die im Wasser herumflattern gleich jungen Vögeln, die ihre ersten Fliegversuche machen. Später auf der Viti-Insel Kandavu sollte ich noch eine Muschel von 3 Zentimeter Länge kennen lernen, die ebenfalls im Glase stossweise herumfuhr, so dass ich sie anfänglich für einen zweischaligen Krebs hielt. Es war eine Lima.

Auch Janthinen fing ich zuweilen, aber immer nur junge, nicht ausgewachsene Individuen. Es sind dies jene bekannten pelagischen Schnecken mit zartem blauem Gehäuse, welche sich aus Luftblasen, die sie durch eine schleimartige Absonderung zusammenkleben, einen Schwimmapparat bereiten. Dieser Schwimmapparat, der auf den ersten Blick aussieht, wie ein Häufchen Schaum und an der stets nach oben gerichteten Bauchseite des Thieres sitzt, ist merkwürdig widerstandsunfähig. Geht er verloren, so sinkt die Schnecke unter und kann die Meeresoberfläche nicht wieder erreichen. Bei allen Janthinen, die ich fing, war derselbe durch den Zug des Netzes mehr oder minder verletzt. Einige fielen in der Schüssel zu Boden und lagen regungslos und in die Schale zurückgezogen unten, ohne einen Versuch zu machen, in die Höhe zu kommen. Andere aber, deren Schwimmapparat sie noch trug, gingen sogleich daran, ihn auszubessern. Mit dem vorderen lappenartig verlängerten Theil ihres Bauchfusses griffen sie aus dem Wasser heraus in die Luft, umfassten wie mit einem Schöpflöffel einen Lufttropfen und drückten ihn an den noch vorhandenen Schaum. Zogen sie den Fuss dann wieder zurück, um dieselbe Bewegung zu wiederholen, so war eine neue Blase angefügt. So schöpften sie Blase um Blase aus der Luft, alle 5 oder 10 Sekunden eine.

Ich würde bedenklich scheitern, wollte ich alle die Lebensformen zu beschreiben versuchen, die oft ein einziger Zug des Netzes mir vor Augen brachte. Wie wimmelte es oft in der Waschschüssel oder im Glastopf von Krustern, Salpen und Quallen, kein Thier länger als höchstens drei Zentimeter. Namentlich erstere lieferten die grösste Anzahl an Individuen und manchmal auch an Arten. Blaue Zyklops- und Gammarusartige Krebse schossen kreuz und quer stürmisch herum, kleine röthliche Garneelen mit grünlich leuchtenden Augen zogen, an einander geklammert, rastlos ihre Kreise, winzige Krabben von Erbsengrösse mit komisch glotzenden unverhältnissmässigen Augen krabbelten bedächtig am Boden, und vollkommen durchsichtig und glashell, nur durch den leichten Schatten, den sie warfen, erkennbar, schlichen gespensterhaft groteske Phyllosomen, die Jugend des Palinurus, oder die seltenere Kaprella durch das Gesindel der gemeinen Verwandten. Man musste rasch nach dem Werthvolleren sich umsehen und es retten. Denn die Garneelen und Zyklopoiden verschonten nichts, und kaum lag ein Fischchen oder eine Salpe todt auf dem Grunde, so hingen sie auch schon dutzendweise daran und frassen. Und hat so ein nichtsnutziger kleiner Krebs einmal etwas erfasst, so lässt er nicht mehr los, und alles Herumstossen und Zerren ist vergeblich.

Fast alle diese Thierchen leuchteten. Schon im Netz, oben auf Deck in der Dunkelheit, verriethen sie sich durch geheimnissvoll phosphoreszirende grünliche Punkte. Es leuchteten die Augen der kleinen Garneelen, die Salpen und Quallen, besonders aber die sehr häufigen formlosen Schleimklümpchen, welche vielleicht Noktiluken waren. Selbst unten in der Kajüte beim Lampenlicht verloren sie ihre Phosphoreszenz nicht vollständig, sondern leuchteten etwas schwächer fort.

Sehr unangenehm war die Gegenwart von Physalien. Wir waren zuweilen Tage lang umgeben von Tausenden junger, kaum wallnussgrosser Individuen dieser nesselnden Quallen, und auch sie wurden dann regelmässig als unwillkommene Beigabe gefangen. Das kleinste abgerissene Partikelchen ihrer blauen Anhängsel, das man kaum sah, genügte, die Hand empfindlich zu stechen, wenn ich die Falten des Netzes durchsuchte. Unter den Seeleuten plaudert einer dem anderen nach, dass solche Berührungen äusserst gefährlich, zuweilen sogar tödtlich seien. Wenn dies auch nicht der Fall ist, so hinterliessen sie doch auf einige Stunden ein höchst lästiges intensives Jucken nebst Röthung und quaddelförmiger Schwellung der Haut.

Nur im Anfang fischte ich häufiger während des Tages, später fast nur mehr bei Nacht. Ich fand bald, dass während des Tages, wenn die Sonne glühend herabbrannte, ausser Wassertretern und Janthinen, kleinen Fischchen und Salpen nicht viel zu erwischen war. Bei Tage wurde auch immer zu viel über Bord geworfen, und Proben von den Abfällen des Schiffes geriethen ins Netz, wenn man nicht fortwährend Acht gab.

Allerdings waren die Schwierigkeiten bei Nacht um so grösser. Es war zuweilen nicht leicht, auf dem fast stets langweilig hin und her schwankenden Achterdeck das Netz zu durchsuchen, in der einen Hand eine schlechtbrennende Diebslaterne, die man nicht hinstellen durfte, weil sie sonst umfiel, mit der anderen Hand zugleich den nicht minder gefährlichen Glastopf beschirmend, in kauernder Stellung und in beständigem Kampf mit dem Rollen unserer Euphrosyne, welches auch bei der ruhigsten See niemals ganz aufhörte.

Erst wenn es dunkel und kühl wurde, kamen mehr Thiere an die Oberfläche, und besonders in der allerersten Frühe vor Sonnenaufgang erhielt ich die reichste Beute. Gar oft sah mich der roth hinter den Wolkenbänken des Horizonts heraufdämmernde Morgen noch bei der Arbeit.

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