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Reise durch den Stillen Ozean
Der Kapitän war im Grunde ein guter Kerl, aber eben ein Kauffahrteischiffer und von dem ganzen Elend dieses bemitleidenswerthen Standes verbittert und verbost. Er hatte erst kurz vorher geheirathet, und die Sehnsucht nach seiner jungen Frau zu Hause zehrte fortwährend an ihm. Wie oft verfluchte er seinen jugendlichen Leichtsinn, der ihn vor zwanzig Jahren auf das Meer getrieben. Wie oft schwor er, den ersten besten Erwerb auf dem Lande zu ergreifen, wenn er nur kein Wasser mehr zu sehen brauchte. Er besass nichts von jener Schwärmerei für die Poesie des Meeres, die den Seeleuten von Laien manchmal angedichtet wird. Ich habe überhaupt noch keinen älteren, reiferen Seemann kennen gelernt, der an einer derartigen Schwärmerei gelitten hätte, und nichts kann lächerlicher klingen, als was gelegentlich der traurigen Schillerkatastrophe an den Scilly-Inseln dem unglücklichen, mit den 337 Opfern seines Leichtsinns rühmlich untergegangenen Kapitän Thomas in irgend einer Zeitung von irgend einem überspannten Frauenzimmer in den Mund geblaustrumpft worden ist – »Ich kenne nur eine einzige Liebe, und das ist mein Schiff, mein Schiff ist mir meine Braut« oder wie das dumme Zeug gelautet haben mag.2
Man muss einen Seemann, insbesondere der Kauffahrtei, viel milder beurtheilen als andere Menschen. Der bösen Einflüsse, die ungünstig auf seinen Charakter wirken, sind zu viele. Jenes erfahrungsgemäss auf jeder längeren Seereise eintretende Stadium der üblen Laune, in dem sich Alles gegenseitig anärgert, bleibt sogar auf Kriegsschiffen mit ihrer strammen Disziplin nicht aus, und die Marineärzte haben dafür einen eigenen Namen »Mania navalis« erfunden.
Während der Atlantik wie ausgestorben gewesen war, belebte sich östlich vom Kap die See wieder mit Möven und Seeschwalben, mit Kaptauben, Sturmvögeln und Albatrossen.
Den Albatrossen wird bekanntlich von den Schiffern aufs Emsigste nachgestellt. Leider ist ihre Zahl dadurch schon merklich verringert, und in hundert Jahren werden sie zu den ausgestorbenen Geschöpfen gehören. Trotz dieser zur Schonung auffordernden Erwägung konnte auch ich mich nicht enthalten, ihren Fang zu versuchen.
Schon bei Tristan da Kunha hatten einzelne sich sehen lassen. Der Ruf »O was für ein grosser Vogel« zog mich hinaus auf Deck, und mein erster Albatross schwebte majestätisch über die Wogen.
Rastlos über Wellenberg und Wellenthal, kaum merklich hie und da die in gerader Linie steif ausgespannten Flügel bewegend, senkrecht bald nach links bald nach rechts geneigt mit den Flügelspitzen die Wellenkämme ritzend, verfolgte in weit gebogenen und gewundenen Linien das gewaltige Thier mühelos unsere Fahrt. Andere gesellten sich ihm bei, schon von ferne erkennbar als geradlinige in der Mitte zu einem Knoten anschwellende kreuz und quer in der Luft hin und her balanzirende Stäbe. Es lag etwas Räthselhaftes in ihrer Stetigkeit und Ruhe, mit der sie gegen den scharfen Wind – nicht kämpften, sondern gelassen und ohne Anstrengung dahinglitten.
Von nun an schleppte stets eine Albatrossangel hinten nach, aber fünf Wochen ohne etwas zu fangen. Die Seeleute hatten zwar jedesmal Gründe zur Hand, warum sie nicht bissen. Einmal weil die Fahrt zu rasch, das andere mal weil zu langsam, heute war das Wasser zu durchsichtig, morgen wieder zu trübe. Ich wusste bereits, was von dieser Weisheit zu halten sei, und es war mir kein geringer Triumph, mit der Flinte einen Albatross zu erbeuten, lange ehe jene mit der Angel einen erwischten.
Als wir eines Tages hart beim Winde segelten, flogen sie zuweilen hoch oben quer über das Schiff, etliche Sekunden schweben bleibend um das Deck zu rekognosziren. Trotz der spöttischen Zweifel des Kapitäns und trotz der äusserst störenden Schaukelbewegung des Bodens lud ich eine gewöhnliche sehr starke Schrotflinte mit doppeltem Pulvermass und der gröbsten Schrotsorte, und schoss, und ein riesiger Albatross plumpste mit gebrochenem Flügel neben mich herab. Dies war übrigens nur ein reiner Zufall. Denn so oft ich auch später das Kunststück zu wiederholen versuchte, und wenn ich auch öfter noch traf, was an dem wegfliegenden Flaum zu erkennen war, die Schrote drangen nie wieder durch, sondern prallten an dem dichten Gefieder ab, und das Ziel meiner erfolglosen Bestrebung entfernte sich schwänzelnd, als ob es ein Kitzeln und Prickeln fühlte.
Mehr als zwanzig Albatrosse zu gleicher Zeit waren wohl nie in Sicht, und an manchen Tagen waren sie ganz verschwunden. Zuweilen flogen sie so nahe hinter dem Achterdeck vorbei, dass man glaubte sie greifen zu können, für einen Moment in der Verkürzungslinie der Flügel ein höchst komisches plumpes Profil zeigend und immer gierig spähenden Blicks. Zuweilen blieben sie weit zurück und verfolgten uns Tage lang nur von Ferne. Warf man ihnen ein Stück Fleisch oder Speck über Bord, so setzte sich gleich der Nächste aufs Wasser nieder und paddelte eifrig darauf zu.
Wenn sie sich setzen wollten, stemmten sie, um die Schnelligkeit ihres Fluges zu hemmen, ihre beiden Schwimmfüsse ausgebreitet dem Wasser entgegen, und oft liessen sie schon lange vorher die sonst knapp an den Schwanz gelegten Füsse herabbaumeln und verriethen so ihre Absicht. Sassen sie endlich, so wurden die langen Flügel langsam und bedächtig zusammengefaltet, wobei sie dieselben seltsam ungeschlacht krümmten. Nicht so ganz leicht schien es ihnen, wieder aufzufliegen. Sie paddelten erst mit Flügeln und Beinen spritzend eine halbe Schiffslänge über die Wasserfläche, ehe sie sich in die Luft erhoben. Und auch sonst paddelten sie zuweilen darüber hin ohne sich zu setzen, wenn sie vielleicht etwas sahen, von dem sie noch nicht recht wussten ob es sich der Mühe verlohnte.
Setzte sich einer, so kamen auch die anderen und setzten sich neugierig zu ihm nieder und leisteten ihm Gesellschaft, wahrscheinlich weniger aus gegenseitiger Zuneigung als vielmehr aus dem höchst egoistischen Instinkt, dass es beim Kameraden etwas zu fressen gebe. Dann stritten sie sich erst eine Zeit lang herum, klapperten ärgerlich und neidisch mit den langen Schnäbeln wie Störche und packten sich auch wohl damit an den Hals, um nach zehn Minuten die von den Wellen geschaukelte Versammlung aufzuheben und auseinander zu fliegen.
Unsere ewig nachschleppende Angel mit einem wallnussgrossen Stück Speck und entsprechendem Haken erregte häufig entschieden ihr lebhaftes Interesse. Aber nur bei einer Fahrt nicht schneller als vier Seemeilen die Stunde war für sie die Möglichkeit anzubeissen gegeben. Wir liessen dann die über zwei Schiffslängen messende Leine in dem Grade ablaufen als das Schiff sich von dem Köder entfernte.
Wie oft jagten uns ein paar Albatrosse in die grösste Aufregung indem sie herangeschwommen kamen und nach ihm schnappten. Aber entweder schnappten sie zu vorsichtig, oder sie pickten uns den Speck von der Angel, so dass wir den leeren Haken einzogen, oder sie waren gefasst, rissen sich aber gleich wieder los. Oder es kam vielleicht gerade im kritischen Augenblick der höchsten Erwartung ein stärkerer Windstoss, wir rauschten schneller durchs Wasser, und der Albatross konnte mit der besten Absicht der Angel nicht mehr nachrudern. Einmal postirte sich einer dummdreist schon ziemlich weit vor ihr hin und wartete auf sie, bis sie herangeschleppt kam, mehrmals wüthend nach der gespannten Leine beissend, aber er war nicht flink genug und die Angel entging ihm.
Endlich, endlich bissen sie aber doch, und zwar auf einmal wie verrückt. Wir hatten das schönste Haifischwetter, das man sich denken kann, kaum so viel Wind, um noch zu steuern, einen blauen wolkenlosen Himmel, glatte langsam dünende See und einen aussergewöhnlich hohen Barometerstand, der den Kapitän in Verzweiflung brachte.
Die Albatrosse strichen träge über die Dünung und setzten sich heute häufiger aufs Wasser. Eine ganze Flottille von Albatrossen schwamm schliesslich hinter uns her. Die Angel wurde wieder ausgeworfen und war sofort der allgemeine Zankapfel. Einer der grössten schnappte zu, und die Angel sass. Frohlockend, aber behutsam zogen wir ihn ein, während seine Gefährten verwundert ihm nachguckten. Vergebens stemmte sich der unglückliche Vogel mit Flügeln und Beinen gegen das Wasser. Es half ihm nichts, er musste heran, und wir hoben ihn an der Leine zu uns herauf.
Kaum hatten wir den Haken abermals ausgeworfen als auch der zweite eingezogen wurde. Die dummen Thiere geberdeten sich heute ganz wahnsinnig, sie stritten sich förmlich um den Vorrang des Geangeltwerdens, klapperten mit den Schnäbeln und kreischten ärgerlich, so oft wieder einer von ihnen entführt wurde. In der kürzesten Zeit hockte ein Dutzend friedlich nebeneinander auf dem Kajütsdach. Zweien gelang es, sich von dem Haken los zu machen, da wir nicht stetig genug einholten. Der Widerstand, den sie trotz allen Schlegelns und Stemmens mit Flügeln und Füssen leisteten, war erstaunlich gering. Das Merkwürdigste aber war mir, dass kein einziger, auch später nicht, gefangen wurde, indem er die Angel verschluckte, wie die Fische, und wie ich nach den gehörten Erzählungen erwartet hatte. Sie hingen alle einfach nur mit der hakenförmig gekrümmten Schnabelspitze an dem Angelhaken.
Anfänglich sassen sie verdutzt in einer Reihe auf dem Dach der Kajüte, machten nicht den geringsten Versuch zu entfliehen und staunten die Volksmenge an, die sich um die Wunderthiere versammelt hatte. Hie und da kam dann einem plötzlich ein dunkler Bewegungsimpuls, er erhob sich auf die Beine, ein paar andere folgten seinem Beispiel, aber gleich darauf klappten sie wieder zusammen, als ob sie zum Stehen zu schwach wären. Die meisten, nicht alle, spieen sich und entleerten ihren flüssigen Mageninhalt auf den Boden.
Ich wählte den grössten und schönsten zum Abbalgen aus und vergiftete ihn mit Zyankalium. Er liess sich ruhig den Schnabel öffnen und die tödtliche Gabe mit einer Pinzette in den Rachen schieben. Nach einer Minute neigte er sanft sein Haupt und starb. Zwei andere, die jüngsten, erschlugen wir, um von ihrem Fleisch uns herrliche Beefsteaks zu bereiten. Nicht die Spur eines thranigen Beigeschmacks. Nach den drei Monaten Salzfleisch und Büchsenfleisch gehörten jene Albatrossbeefsteaks zu den höchsten kulinarischen Genüssen meines Lebens. Sämmtliche drei Albatrossmagen, die ich untersuchte, enthielten die nämliche Nahrung, Pyrosomen und Sepien. Diese Sepien scheinen also auf der Meeresoberfläche ziemlich häufig zu sein. Auch in den zwei Haifischmagen die ich erhielt, fand ich nur Reste von solchen.
Die übrigen Albatrosse liessen wir laufen, das heisst, wir warfen sie über Bord, worauf sie fröhlich von dannen flogen. Seeleute behaupten, Albatrosse könnten von festem Boden nicht auffliegen. Dies ist nur in so fern wahr, als das Deck eines Schiffs niemals Raum genug bietet um den nöthigen Anlauf zu gestatten. Ich fing später einen Albatross, der ganz abweichend von den Gewohnheiten seiner Art nicht blöde sitzen blieb, sondern mehrmals aufzufliegen versuchte. Er stiess sich aber immer wieder am Geländer oder am Kompasshäuschen oder an einem Bündel Tau oder an einem Poller. Ohne solche Hindernisse auf einem freien Platz würde er leicht in die Höhe gekommen sein. Alle die Albatrosse, die wir fingen, waren voll von Läusen. Also auch auf den azurenen Wogen des Ozeans diese Plage, nicht blos im Zwischendeck bei den Polaken.
Es giebt eine Menge von Albatross-Arten und Varietäten, die vielleicht noch gar nicht vollständig gesichtet sind. Die grosse und auffälligste Art, die wir angelten, zeigte allein schon zahllose Abstufungen in der Farbe des Gefieders vom jungen fast vollständig dunkelbraunen bis zum alten fast vollständig weissen Individuum. Die Bleichung schien bei allen am Rücken zwischen den Flügeln in Form eines nach hinten verlängerten Trapezoids zu beginnen und von dort sich zuerst nach dem Bauch und dem Kopf zu verbreiten.
Ausser dieser grossen verfolgten uns oft noch zwei andere kleinere Arten, eine weisse mit schwarzen Flügeln und schön orangefarbenem Schnabel und eine ganz schwarze mit weissgerändertem Schnabel. Von den letzteren schoss ich einmal zwei Exemplare aufs Deck herab. An Kaptauben sahen wir niemals eine beträchtlichere Anzahl. Häufiger waren die niedlichen Sturmvögel, die uns namentlich bei unruhiger See schaarenweise begleiteten.
Um dieselbe Zeit ungefähr fing ich zum ersten mal Pyrosomen oder Feuerwalzen mit dem Schleppnetz. Es sind dies sackförmige Thierkolonien aus der Klasse der Tunikaten, von etwa 20 Zentimeter Länge und 5 Zentimeter Durchmesser. Bei Tage sieht man sie kaum, bei Nacht aber leuchten sie, so dass man das Netz auf sie dirigiren kann. Brachte ich die wurstartigen Gebilde in einen Eimer und liess sie ruhig stehen, so erloschen sie bald und waren unsichtbar, stiess man aber an den Eimer, so erglühten sie und leuchteten mit grünlichem Schein, hell genug, um bei dem Licht von drei oder vier Stück ohne sonderliche Anstrengung lesen zu können. Deshalb sind sie auch fast nur im strudelnden und schäumenden Kielwasser zu bemerken.
Jetzt da unsere Reise sich ihrem Ende näherte, beschäftigte mich noch ein anderer Gegenstand, der sich auf die Ventilation von Schiffen bezog. Schon oft hatte ich von Seeleuten gehört, dass im Innern eines segelnden Schiffes stets ein Luftstrom in der dem Winde entgegengesetzten Richtung wehe. Um diese sehr paradox klingende Behauptung, welche sich auf Erfahrungen über den Weg, den Gerüche aus dem Laderaum nehmen, stützte, zu untersuchen, benutzte ich, da ich leider kein Anemometer besass, und ein solches bei den vielen sich kreuzenden lokaleren Luftströmchen auch vielleicht kein deutliches Bild der Bewegung im Allgemeinen gegeben hätte, die Temperatur der Luft an verschiedenen Stellen des Zwischendecks, von der wohl nicht zu bestreitenden Annahme ausgehend, dass sie da wo sie kälter sei, ein-, und da wo sie wärmer sei, ausströmen müsse.
Einen der Missionäre hatte ich schon bei Madera beauftragt, täglich dreimal die Stände der vier Thermometer, von welchen einer oben in der Kajüte und drei im Zwischendeck vertheilt waren, sowie die jeweilige Richtung des Windes zum Schiff zu notiren. Wenn ich auch hiebei die Entdeckung machen musste, dass dieser protestantisch orthodoxe Apostel des Glaubens gleich seinen drei Kollegen weniger ein Mann von Intelligenz und Bildung als ein zum Predigen und Vorbeten und zum Fanatismus abgerichteter Bauernkerl war, so gelang es mir doch nach einigen mühseligen Anleitungen, ihm das Geheimniss des Thermometerablesens beizubringen.
Ich stellte nun die Aufzeichnungen zusammen und fand zu meiner Genugthuung jene interessante Eigenthümlichkeit theilweise bestätigt. So oft wir mit vierkant gestellten Raaen vor vollem Winde segelten, war hinten im Schiff die Luft wärmer als vorne, das heisst, hier kam sie an, nachdem sie bereits das ganze Zwischendeck durchzogen hatte. Namentlich in den Weststürmen des südlichen Indischen Ozeans zeigten sich die konstantesten Unterschiede bis zu zwei Zentigraden. Erklären liess sich dies vielleicht dadurch, dass beim Segeln vor dem Winde von den Untersegeln meist nur das vorderste, die Fock, ausgespannt ist, während die beiden anderen aufgegeit oder festgemacht sind, und dass in Folge dessen der Luftstrom, der über das Schiff fegt, von der schräge nach vorne geneigten Ebene der Fock nach unten und in die vorderste Zwischendeckslucke zurückgeworfen wird. Nicht ganz so deutlich waren die Resultate, wenn wir beim Winde segelten, und ich werde mir diesen Theil der Angelegenheit künftighin nochmal vornehmen müssen.
Am 5. März erreichten wir die Länge von Tasmanien unter 49 Grad südlicher Breite. Gegen Abend bekamen wir wieder flauen Wind, und ich warf mein Netz über Bord, zum ersten mal ohne etwas Makroskopisches zu fangen. Als ich Wasser in einem Eimer heraufholte und mit der Hand bewegte, glitzerte es darin von hundert leuchtenden Punkten wie gewöhnlich.
Es galt die Frage zu entscheiden, sollen wir den näheren aber weniger sicheren Weg durch die Cooksstrasse nach Wellington einschlagen, oder auf dem weiteren aber glatteren um die Südspitze der Südinsel Neuseelands herumgehen. Der Kapitän wählte das Letztere, und wir behielten unseren Kurs Ost zu Nord bei.
V
ANKUNFT IN NEUSEELAND UND QUARANTÄNE
Zum ersten mal Grund. Neuseeland erscheint. Die ersten Zeitungen. Ankunft des Lootsen. Der Anker fällt. Pulverunglück. Die Hafenbehörde. Sturm und Landungsschwierigkeiten. Bewegtes Dasein. Aufruhr der Elemente und der Menschen. Mitternächtige Todtenbestattung. Ruhigere Zeit. Die idyllische Insel. Ueberall »Billig und schlecht«. Zoologisches. Endlich frei.
Das Geklirr der Ankerketten verkündete uns die freudige Botschaft, dass das Ziel nahe sei. Sie waren seit Europa vorne im Zwischendeck begraben gewesen. Nun wurden sie wieder auf Deck geholt und klar gemacht.
Nach dem Besteck waren wir auf der Höhe von Neuseeland. Ob wir es auch in Wirklichkeit waren, musste sich jetzt herausstellen. Meine Zweifel in dieser Hinsicht entbehrten nicht der Begründung. Denn das Chronometer konnte seinen Gang verändert haben, und eine Kontrole durch Monddistanzen hatte es niemals erfahren.3
Der Horizont war bewölkt, von Land keine Spur zu sehen. Es wurde gelothet, und mit grosser Spannung erwartete ich das Resultat. Wir bekamen wirklich und wahrhaftig Grund. Die Leine zeigte 50 Faden Tiefe, an dem Talg in der unteren Aushöhlung des Lothes klebten Fragmente von kleinen Muscheln und Korallen. Mit grosser Andacht beguckten wir alle dieses vorläufige Stückchen Neuseeland. Niemand aber war froher als der Kapitän, dem sein Chronometer eine seltene Treue bewährt hatte.
Erst vier Tage später, am 17. März, erblickten wir das Land der Antipoden selbst. Noch vier Tage mussten wir bei kaltem unfreundlichem Wetter unter der Küste desselben aufkreuzen ohne es in Sicht zu bekommen, als an jenem Morgen endlich das Gewölk zerriss und, rings gegen den Horizont hinabsinkend, dicht vor uns schöne hohe Berge mit glitzernden Schneegipfeln, wunderbar duftig im warmen Sonnenschein enthüllte. Das Ziel einer viermonatlichen ermüdenden Seereise hätte uns nicht reizender und überraschender vor Augen treten können. Aber wäre der erste Anblick des lang und heiss ersehnten Landes auch weit weniger vortheilhaft gewesen, als das Wahrzeichen der Erlösung von den Widerwärtigkeiten des Schiffslebens, wäre er gewiss mit ebenso grossem Entzücken begrüsst worden.
Es waren die kahlen Felsenmassen der Banks Peninsula, jenes mächtigen Gebirgspfeilers an der Ostseite der Südinsel, welche aller Augen gefesselt hielten, bis sie hinter uns verschwanden. Ein frischer Süd sprang auf und führte uns rasch nordwärts, Wellington, dem Bestimmungshafen, entgegen.
Doch die ungewohnte Schnelligkeit der Fahrt dauerte nur kurze Zeit. Mittags schlief der Wind wieder ein, die Segel fingen wieder an, an den Masten herumzuklappern, und bald lag die See wieder ebenso spiegelglatt und todesstille unter einer stechenden Sonne da, wie wir sie so oft zu sehen Gelegenheit gehabt hatten. Albatrosse setzten sich faul aufs Wasser, paddelten neugierig an das ruhigliegende Schiff heran und stritten sich schnatternd um die über Bord geworfenen Abfälle oder auch um die Angel, mit der wir einen dieser dummen Vögel nach dem anderen einzogen.
Etwa fünf Seemeilen entfernt trieb ein kleiner Schuner, wahrscheinlich ein Küstenfahrer, und unser Kapitän fuhr in der Jolle hinüber, um Erkundigungen einzuziehen. Nach drei Stunden kam er zurück und brachte mir ausser einem Albatross, den er mit der Hand gefangen, und einer vollen Ladung aufgefischten Seetanges, welcher von Mollusken und Krustern wimmelte, als werthvollste Gabe Zeitungen mit, die, wenn auch bereits vierzehn Tage alt, für uns nach vier Monaten die ersten Nachrichten aus der Mitwelt enthielten. »Greymouth Argus« nannte sich das Blatt, welches sich übrigens zur allgemeinen Enttäuschung wenig um das alte Europa kümmerte. Nichts von dem theuren Vaterlande, nichts von dem schönen Frankreich war zu finden, woraus wir schlossen, dass wenigstens kein ernstlicherer Krieg mittlerweile ausgebrochen sei. Nur die Erklärung des Don Carlos, im Fall eines Konfliktes zwischen Spanien und Amerika neutral bleiben zu wollen, gab die einzige Kunde aus der Politik Europas. Dagegen schienen Kricket und Football in Greymouth eine grosse Rolle zu spielen. Denn die meisten Kabeltelegramme von Neuseeland und Australien beschäftigten sich mit Resultaten solcher nationalen Wettkämpfe.
Die Jolle war gerade zur rechten Zeit heimgekehrt. Der Himmel überzog sich mit dicken Wolken, und einzelne Windstösse aus Osten deuteten auf das Herannahen eines Sturmes. Als es dunkel geworden, wehte es so heftig, dass die meisten Segel festgemacht werden mussten, aber die stürmische Brise war günstig und schob das Schiff ungestüm durch die aufgeregten Wogen, welche hellleuchtend in der Schwärze der Nacht, zu beiden Seiten des Kieles hoch emporschäumten.
Der nächste Morgen fand uns an der südöstlichen Ausweitung der Cooksstrasse. Vor uns lag die Palliser-Bay mit der Lootsenstation und links davon auf einem hohen Felsen stand der einsame Leuchtthurm von Penkarrow-Head. Mittags kam der Lootse an Bord, immer näher rückten die schroffen Ufer, an denen allenthalben die Brandung donnerte, und eine Lücke öffnete sich, der Eingang zu Port Nicholson, dem geräumigen Hafen von Wellington.
Von der Stadt war noch nichts zu sehen. Sie lag zur Linken versteckt hinter einer etwa 200 Meter hohen Felsenkulisse, und nicht früher als wir diese passirt hatten, kamen die äussersten Häuser ihres linken Flügels zum Vorschein.
Mitten im Hafen von Wellington liegt Somes Island, die kleine brandungumtoste Quarantäne-Insel aus einigen 60 bis 80 Meter hohen Hügeln bestehend, deren einer auf seiner Spitze vier stattliche kasernartige Gebäude trägt. Dorthin führte uns der Lootse, um auf den Besuch der Hafenbeamten zu warten. Mit unserer Typhusepidemie durften wir nicht an die Stadt gehen.
Leider trübte ein schwerer Unglücksfall den frohen Moment der Ankunft. Jan Maat begnügte sich nicht mit dem kräftigen Hurrah der Passagiere, welches das Niederrasseln des Ankers begleitete, es musste auch geschossen werden. Ohne Schiessen kein Vergnügen.
Ein alter verrosteter Böller erfreute sich schon seit mehreren Stunden der eifrigsten Reinigungsbestrebungen unseres Bootsmanns. Ich war beschäftigt, meine nicht sehr salonfähigen Reisekleider gegen eine etwas gewähltere Toilette zu vertauschen, als der erste Salutschuss ertönte und gleich darauf ein zweiter folgte. Meine Verwunderung wie es möglich sei, aus einem einzigen Geschütz innerhalb so kurzer Zeit zweimal zu feuern, war noch nicht zu Ende, als die Passagiere hereinstürzten und mich zu Hilfe riefen. Auf Deck herrschte grosse Aufregung, und Alles drängte nach einem Punkte, von welchem ich lautes Jammergeschrei vernahm. Ein pulvergeschwärztes gräulich entstelltes Gesicht, über welches Blut aus Augen, Mund und Nase rieselte, und welches ich nur dadurch als das eines hübschgewesenen jungen Mannes erkannte, dass seine Mutter verzweiflungsvoll ihn umarmt hielt, erklärte mir was geschehen war.
Ich hatte mich eben überzeugt, dass die Verletzung lange nicht so schlimm sei, und dass namentlich die Augen nur oberflächlich gelitten hatten, als ich von dem Steuermann stürmisch nach der Kajüte zurückgerufen wurde, wohin man mittlerweile den eigentlichen Verunglückten, den Bootsmann getragen hatte. Brüllend lag er auf dem Boden und krümmte sich in seinen Schmerzen, ringsum die verstörten Gesichter des Kapitäns und einiger Passagiere. Dieser Fall war bedeutender als der andere.
Ich musste einen Theil der zerschmetterten Hand amputiren, und noch im letzten Augenblick der Reise meine Instrumente hervorholen, nachdem ich sie glücklich fast unbenutzt bis ans Ziel gebracht hatte. Beide Verletzungen waren dadurch entstanden, dass der Bootsmann die zweite Kartusche, ohne auszuwischen, in das Geschütz schob, während dieses noch glimmende Reste der ersten Kartusche enthielt.
Eine kleine Dampfbarkasse bog alsbald um die nächsten Felsen und legte sich an unsere Seite. Sie enthielt den Immigration-Officer, den Regierungsarzt und den Hafenmeister sowie einen Maschinisten und einen Steurer, welcher letztere mir als der erste Maori, den ich sah, am interessantesten erschien. Doch zu ethnologischen Studien war jetzt keine Zeit. Ich stieg an der Jakobsleiter in die Barkasse hinab und stellte mich und unsere Gesundheitsverhältnisse vor. Trotz Allem, was der Lootse mir von der Strenge der bezüglichen Hafengesetze mitgetheilt hatte, hoffte ich noch, dass die Beamten uns gnädig sein und von einer längeren Quarantäne absehen möchten, da ja der Abdominaltyphus eine Krankheit ist, die in keiner grösseren Stadt fehlt, und die nicht erst durch uns in Neuseeland importirt zu werden brauchte.