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Reise durch den Stillen Ozean
Da verfluchte laut ein Vater sich und die Auswanderungsagenten, das Schiff und Neuseeland, und was sonst noch mit der Seereise zusammenhing und betheuerte wiederholt, dass er gerne sterben würde, weil er es verdient, wenn nur seine Frau und seine drei Mädchen nicht wären, und sicher würde er auch die Haare sich ausgerauft haben, wenn er die Hände freigehabt hätte, mit denen er die Hüften der Gattin umklammert hielt. Dort schalt und schlug ein Anderer seinen zitternden Jungen, weil er die unaufhörlichen Vaterunser nicht schnell genug losliess und voller Verwirrung in das weniger wirksame »Ich glaube an Gott den Vater« gerieth. Erdfahl und entstellt tauchte ein langes Gesicht aus seiner Höhle bei meiner Annäherung und schien mich fragen zu wollen. Die Lippen bewegten sich, aber ich vernahm keine Stimme. Ein krampfhaftes Würgen und Schluchzen, ein Brecherguss, und die nächste anprallende Woge schleuderte das Gespenst in die Dunkelheit zurück.
Eines der Familienhäupter machte mir den Eindruck, ganz besonders tröstenden Zuspruchs zu bedürfen, aber meine theilnehmenden Worte wurden keiner Antwort gewürdigt. Er hatte nicht Zeit, sich mit irdischen Reden zu befassen und unterbrach nicht eine Sekunde den Fluss der Thränen und der Ave Marias, welche er rastlos immer wieder von vorne begann und mit einer Zungenfertigkeit von sich stiess, dass seine sechs Kinder ihm nur nothdürftig folgen konnten und über ein Wort nach dem anderen stolperten.
Die Anzahl der ruhigen und besonnenen Passagiere war eine sehr geringe. Am ernstesten und vernünftigsten betrugen sich die Dänen, am wahnsinnigsten und verzweifeltsten geberdeten sich die Polen. Erst nach längerem Suchen fand ich einige Männer, welche mir zu helfen fähig waren, die aus den Kojen Gefallenen aufzurichten und in Sicherheit zu bringen. Die Kisten festzumachen war unmöglich und musste bis zum Tageslicht verschoben werden.
Bei den unverheiratheten Frauenzimmern sah es etwas besser aus als im Familienkompartment. Die Treppe nach dieser Abtheilung war noch erhalten, das nicht so zahlreiche Gepäck an seiner Stelle geblieben. Nur die Lampen waren in Stücke gegangen, und bis auf die trübe schimmernden Spalten der Bretterwand, jenseits welcher die Familien hausten, herrschte Dunkelheit in dem Raum. Gleich beim ersten Schritt vorwärts stiess mein Fuss auf ein weiches Hinderniss. Die Blendlaterne zeigte mir ein weibliches Gewand, dann ein Paar Beine und in entgegengesetzter Richtung ein bleiches Antlitz, und zwar das der schönen Amanda aus Kopenhagen. Der ganzen Länge nach lag sie hingestreckt auf dem Boden und umklammerte einen Stützbalken. Ich versuchte sie aufzuheben, aber eine schwere Last an ihren Füssen zog sie immer wieder zurück. Ich beleuchtete nun auch diese Gegend und fand die verhasste Bettgenossin der eleganten Modistin, welche sich beharrlich weigerte, die jener gehörenden Knöchel loszulassen. Auch einige andere Mädchen waren aus ihren Doppelbetten gefallen und schrieen laut als ich sie beleuchtete, vielleicht aus wahnsinniger Angst, vielleicht um mein Mitleid zu erregen.
Die aufsichtführende Matrone streikte, sie lag seekrank in ihrer Koje und stöhnte. Ich konnte deshalb trotz der sittenstrengen englischen Bestimmungen, die keinem Mann der Besatzung den Zutritt in den Jungfernzwinger gestatten, nicht anders als einen gerade disponiblen Matrosen zum Aufräumen hier unten zu requiriren.
Ich kletterte wieder nach der Kajüte zurück, in welcher mittlerweile unter dem Einfluss des immer fürchterlicher werdenden Stampfens und Rollens fast alle Gegenstände sich losgerissen hatten. Tische, Stühle und Ofenschirm, Gläser, Teller und Seekarten, sowie die grosse Medizinkiste flogen von einer Wand zur anderen. Der kleine Köter des Kapitäns kroch mir ängstlich winselnd zwischen die Beine und machte mich straucheln. Ich trat ihm so unglücklich auf eine Pfote, dass er heulend nach der anderen Ecke entfloh, wo ihm sofort der Ofenschirm auf den Rücken purzelte, während mir meine Thür auf- und zuschlagend den Finger zerquetschte.
Nirgends war Ruhe zu finden, und ermüdet und schläfrig wanderte ich beständig hin und her. Zuweilen dachte ich wohl selbst in jener Nacht, dass wir den Morgen nicht mehr erleben würden.
Kapitän und Mannschaft blieben auf Deck. Es war jetzt nichts zu thun. Wir trieben ohne Steuerung auf den Wogen, einem gnädigen Schicksal vertrauend. Von den Segeln peitschten nur mehr etliche kleinere Lappen an den Raaen. Der Orkan hatte das Uebrige weggeweht und dadurch viel Mühe und Arbeit erspart.
Doch verging auch diese schreckliche Nacht, zwar langsam und qualvoll, aber sie verging doch. Endlich, endlich dämmerte der Himmel, und der Morgen stieg herauf. Je heller es wurde, um so deutlicher zeigten sich die angerichteten Verwüstungen. Das Deck des Schiffes bot einen tragikomischen Anblick. Es sah aus wie ein Krautacker, in dem eine Heerde Wildschweine und ein unwirscher Herbstwind gehaust haben. Der ganze Vorrath an frischen Kohlköpfen war aus seinem Behälter unter den umgestürzt auf der Kajüte festgezurrten Rettungsböten entwichen und kollerte oder klebte, von dem heftigen Rollen und Stampfen hin- und hergeschleudert und an allen Ecken und Kanten zersplitternd, in kaum mehr verwendbaren Fetzen herum. Die beiden grossen Wasserfässer auf Deck waren zertrümmert. Sie hatten sich losgerissen und waren erst, als sie bereits genug Zerstörung angerichtet, selber in Stücke gegangen. Die Kappen der Zwischendeckslucken, ein Stützpfosten der Böte, die Thür zum Hospital, das Salzfleischfass, ein paar Bänke und ein Häuschen zu unaussprechlichen Zwecken waren ihnen zum Opfer geworden.
Es war kein Raum im ganzen Schiff, in dem sich nicht Gegenstände losgerissen und im Hin- und Herfallen Unfug verübt hätten. In der Kajüte purzelten noch immer ohne Unterlass der grosse und der kleine Tisch, einige Klappstühle, der eiserne Ofenschirm und der Ofen, die zerschellte Medizinkiste, Salben und Mixturen, überall Theilchen klebrigen Stoffes zurücklassend, zerbrochene Weinflaschen, einige Löffel und Gabeln sowie das Thermometer klappernd und klirrend hin und her, und kläglich winselnd suchte der kleine Ami vergeblich nach einem Winkel, in welchen er sich vor der Verfolgung durch jene oft sehr unsanften Gegenstände flüchten konnte. Ganz besonders der Ofenschirm schien es auf ihn abgesehen zu haben, und Ami zuckt seit jener Schreckensnacht jedesmal nervös zusammen, so oft man mit dem Fuss an Eisenblech stösst. Auch in der Küche war Alles kaput geschlagen. Der aus Backsteinen gebaute Heerd für die Passagiere hatte einige Löcher bekommen und wackelte morsch hin und her. Nur für die Kinder und Kranken konnte heute gekocht werden. Die Uebrigen mussten kalt essen, sofern sie überhaupt Appetit hatten.
Es gab jetzt vollauf zu thun, aufzuräumen und zusammenzunageln. Eine Menge Wunden und Quetschungen kamen, geflickt und verbunden zu werden. Wunderbarer Weise war keine schwere Verletzung darunter. Einer der Polen hatte sich den Arm luxirt, und ein kleiner dänischer Junge einen Schädelbruch erlitten, an dem man das Gehirn deutlich pulsiren sah, der aber ganz überraschend günstig verlief und heilte. Ich musste allein und ohne Assistenz arbeiten. Besass ich auch einen förmlichen Stab dienstbarer Geister, die ich im Namen der Neuseeländischen Regierung aus den Reihen der Emigranten ernannt hatte, sie waren alle seekrank und unbrauchbar. Nicht um Millionen wären sie zu bewegen gewesen, mir beizustehen.
Anders war es mit den Neulingen unter der Mannschaft. Für diese gab es weder Rast noch Ruhe, ob sie gleich zu sterben vermeinten. Unser Kajütsjunge Hannes zum Beispiel war das reinste Bild des Jammers. Er machte seine erste Reise. Bis vor wenigen Tagen noch bei der Mutter zu Hause, hatte er keine Ahnung gehabt, wie es zuginge auf dem Salzwasser. Und jetzt, kaum dass wir draussen waren, gleich dieser scheussliche Sturm voller Schrecken und Todesangst, das ganze Weh der Seekrankheit im Inneren wühlend, und trotzdem keine Schonung, die rohe Faust eines Seemanns beständig auf dem Nacken, jeden Augenblick Püffe, Fusstritte und Ohrenkniffe. Der arme Junge dauerte mich. Bleich, verstört und ungekämmt, die Augen stier geöffnet, mit bebenden Lippen, wankte er halbtodt, hin- und hergestossen von den Bewegungen des Schiffes, zwischen Kajüte und Pantry und zwischen Pantry und Kajüte auf und ab, ohne zu wissen, was er that, und häufig rann ihm eine Thräne über die fahlen Wangen.
Hinter der Thür der Pantry stand der Proviantmeister, ein griesgrämiger Tyrann, wie die meisten alten Seeleute, die es zu nichts gebracht haben, und zählte die zerbrochenen Teller, Gläser und Schüsseln, und für jeden Scherben, den er fand, gab er dem Jungen einen neuen Fusstritt. Was nützte es, wenn ich intervenirte und um Mässigung bat. Solches war alte angestammte rechtmässige Seemannsart. Auch der Proviantmeister hatte einst seine Fusstritte und Püffe erhalten. Jetzt war für ihn die Zeit der Vergeltung gekommen, er rächte sich an der jüngeren Generation. Und konnte ich den Jungen immer beschützen, musste er nicht, sobald ich den Rücken drehte, doppelt leiden? In der Kajüte herrschte ihn der Kapitän an und zerrte ihn an den Ohren. Hier sollte er aufwischen, dort sollte er Glasscherben zusammensuchen. An seiner Hose hingen Butter und Salbenreste, der Aermel war mit Rhabarbertinktur getränkt, seine Hände bluteten aus Glasschnitten, und Blut war im Gesicht herumgeschmiert. In seinen Schuhen quatschte das Wasser. Er war die ganze Nacht nicht zur Ruhe gewesen, so krank und elend er sich auch fühlte.
Ein anderer, ein Decksjunge hatte es schlauer gemacht. Er war gleich beim ersten Beginn des Sturmes verschwunden, um nicht zur Arbeit gezwungen oder gar nach oben auf die Raaen geschickt zu werden. Wir glaubten zuerst, er sei über Bord gespült worden. Am nächsten Abend jedoch, als wir bereits Dover uns näherten, tauchte er plötzlich aus seinem Versteck, dem Proviantraum, in den er sich zurückgezogen hatte, um mit seiner Seekrankheit allein zu sein. Er fiel sofort den Erziehungskünsten des Bootsmanns anheim. Die Hiebe klatschten, der Junge heulte. Aber noch oft versteckte er sich, wenn die Wellen höher zu gehen begannen.
Das Barometer stieg ein wenig, und wir athmeten erleichtert auf. Der Sturm legte sich und erlaubte wieder, ein paar neue Segel zu setzen und Kurs zu steuern. Die schlecht befestigten Masten hatten jetzt unter dem Druck der Leinwand mehr Halt, wodurch unsere Hauptgefahr, sie zu verlieren, wenn nicht vorüber, so doch gemildert war. Was jedoch den grössten Trost gewährte, die unheimliche schwarze Nacht, die alle Schrecken verdoppelte, war hinter uns, man durfte wieder frei um sich schauen.
Winzig kleine Fischerböte erschienen und gaukelten so waghalsig und so malerisch mit ihren rothbraunen Segeln auf und nieder über die hellgrünen Wogen der Nordsee, hinter denen sie jeden Augenblick verschwanden, als ob sie von ihnen verschlungen wären. Schiffstrümmer, gebrochene Masten mit Segeln und Takelage daran trieben vorüber. Gar mancher mochte innerhalb der letzten zwölf Stunden sein nasses Grab gefunden haben. Die Luft war so durchsichtig, und die Farben blinkten alle so lebhaft und frisch, dass man meilenweit jeden schwimmenden Balken erkannte. Nur der Himmel über uns war noch düster und dunkel.
Das Barometer stieg langsam und stetig. Auch die See nahm ab, und die Wolkendecke wurde dünner und gleichmässiger. Am Nachmittag fühlten wir uns ausser Gefahr, und gegen Abend konnten wir Dover in Sicht bekommen. Wir hatten allerdings keine Observation und wussten nicht genau, wo wir waren.
Aber so ganz glatt sollten wir dennoch nicht der tückischen Nordsee entrinnen. Es dunkelte bereits, als vorne ein Licht gemeldet wurde. Es rückte näher und nahm einen grünlichen Schimmer an. Ein grünes, stehendes, sich nicht veränderndes Licht, das ist Goodwins Sand, eine Sandbank, welche schon viele Schiffe auf dem Gewissen hat. Wir waren also noch nicht so nahe dem Kanal, als wir dachten, und der Kapitän liess nach Süden steuern. Eine Stunde lang steuerten wir Süd, und eine Reihe von vier gewöhnlichen gelben Lichtern tauchte vor uns auf. »Das sind Fischerböte« sagte mir der Kapitän, als ich ihn darüber frug, ich merkte aber wohl, dass er dieser Behauptung nicht sicher war. Für Fischerböte standen die Lichter zu ruhig und waren auffallend gross und hell. Fischerböte mussten bei solcher See auf und nieder schwanken.
Der Kapitän wurde unruhig und nervös. Unten in der Kajüte lag die Karte ausgebreitet auf dem Tisch, hastig mass und visirte er mit Zirkel und Lineal herum, stürzte auf Deck hinaus und sah mit dem Fernglas nach den immer näher kommenden Lichtern, stürzte wieder hinab und mass und visirte. Er murmelte Flüche, und der Schweiss tropfte ihm von der Stirn auf die Karte. Wir waren abermals in einer schlimmen Lage. Auf der einen Seite ein Licht wie von Goodwins Sand, auf der anderen mehrere Lichter, die der Küste des Kontinents angehören mussten, ringsum Riffe und Bänke auf der Karte verzeichnet. Jeden Augenblick konnten wir auffahren und scheitern.
Wir kehrten wieder um und steuerten dahin, woher wir gekommen. Ein grosses Glück, dass wir raumen Wind hatten. Das Räthsel löste sich endlich. Das grüne Licht spaltete sich in zwei, es waren die beiden Lichter von Dover, die wir in einer Linie, eines vom anderen verdeckt, gesehen hatten. Jetzt wussten wir wieder, wo wir waren.
Welcher schwere Stein fiel dem Kapitän vom Herzen. Er hatte seine Pflicht gethan und keinen Fehler begangen, der ihm zur Last gelegt werden durfte. Nur der Mangel einer Observation und die entschuldbare Verwechselung der beiden grünen Feuer hatte uns irregeführt. Wir brauchten uns nicht mehr vor Goodwins Sand zu fürchten und steuerten geradewegs auf Dover zu. Die vier Lichter waren die französische Küste bei Calais gewesen.
Niemals betrachtete ich Dover mit seinen zwei elektrischen grünen Feuern oben auf dem Felsen und der Gasbeleuchtung unten am Hafen und in den amphitheatralisch ansteigenden Strassen mit grösserem Wohlgefallen, als in jener Nacht, da wir langsam vorübersegelten, in den Kanal und in den freundlicheren Atlantischen Ozean hinaus, hinter uns die verhasste, unwirsche Nordsee.
Das Wasser war so nahe dem Land glatt geworden, und das Schiff rollte kaum merklich. Die seekranken Passagiere krochen genesen aus ihren Kojen und auf Deck. Sie sahen wieder festes Land vor Augen und begrüssten es freudig und hoffnungsvoll. Die Aermsten waren in einem gewaltigen Irrthum befangen. Sie glaubten nämlich alle, dass wir anlegen würden, und dann wären sie alle schleunigst davon gelaufen, bereits vollkommen satt der Reise nach Neuseeland. So lange wir an der englischen Küste hinfuhren und hie und da ein vorspringender Hügel zum Vorschein kam, lebten sie in diesem glücklichen Wahn. Und als wir immer und immer nicht anlegten und das letzte Stückchen Land verschwunden war, und sie endlich doch meiner Versicherung Glauben schenken mussten, dass wir gar nicht daran dächten, anzulegen, welches Wehklagen und welche Verwünschungen. Mit aufgehobenen Händen baten sie mich, ich möchte den Kapitän veranlassen, sie auszusetzen. In allen Sprachen schworen sie, sie würden die Seereise niemals überstehen, sie wären jetzt schon halb todt von dem einzigen Sturm, das Schiff könnte unmöglich mehr zusammenhalten, es sei schon ganz lose gerüttelt. Und wenn sie auf den Knieen nach Hause rutschen müssten mit allen ihren Kindern und zeitlebens betteln gehn, sie wollten nie und nimmermehr an Neuseeland denken. Alles umsonst.
Unserer Fahrt stellte sich kein Hinderniss mehr in den Weg. Wir schlängelten uns langsam und sicher durch die Menge der kreuzenden Dampfer, Segelschiffe und Böte, und nach drei Tagen waren wir im Atlantischen Ozean. Ein schöner Nordostwind blähte die vierkant gestellten Segel, die Zahl der in Sicht befindlichen Fahrzeuge verringerte sich, die Sonne schien mild und warm auf uns herab. Am 26. November zeigten sich die ersten Quallen im Wasser, wir waren auf der Höhe von Biscaya.
Von jetzt ab hatten wir bis Neuseeland kein nennenswerthes Unwetter mehr zu bestehen. Wir waren sehr glücklich gewesen, so rasch wenn auch etwas stürmisch und rauh aus der Nordsee zu kommen. Wir konnten eben so gut vier Wochen darin herumkreuzen.
II
IM NÖRDLICHEN ATLANTISCHEN OZEAN
Ungünstige Winde und Windstille. An Madera und an den Kapverden vorbei. Schiffsleben und Zänkereien. Nationale Gegensätze. Kindstaufen, Geburtshilfe auf See und ein zärtlicher Gatte. Die Polakei in Aufruhr. Das gestohlene Salzfleisch. Zoologische Belustigungen. Schleppnetzbeute. Fliegende Fische. Vergebliches Harpuniren. Haifischfang. Korrespondenz mit anderen Schiffen. Besuch auf einem Portugiesen. Unsicherheit in der Nautik.
Am 27. November warfen wir den Ofen aus der Kajüte. Es war bereits warm genug, um während des Tages ohne Ueberzieher auf Deck zu sitzen.
Das Wasser begann wieder unruhig zu werden, und die bekannten langen, hohen Wogen des Ozeans, höher als in der Nordsee, aber auch viel angenehmer weil länger, hoben und senkten das Schiff. Das Barometer fiel, der Wind wurde flau. Die Segel klapperten an den Raaen, wir machten keinen Fortgang, doch rollten wir unter dem Einfluss der zunehmenden hohlen See und des Haltes der Segel entbehrend wie noch nie. Schwerfällig beugte sich die Euphrosyne nach rechts und nach links, und bei jeder Neigung stöhnten und krachten die Balken und Bretter, eigenthümlich die sonstige feierliche Ruhe unterbrechend. Der Kapitän hatte die guten Tage benutzt, um die Riggen der Masten fester anzuziehen. Auch im Innern war Alles festgenagelt und festgestaut worden. Wir waren jetzt vollkommen seetüchtig und konnten es mit jeglichem Wetter aufnehmen.
Ein kleiner Sturm aus Südwest trieb uns zwei Tage rückwärts. Dann kam abermals flauer Wind, der in einen kleinen Nordsturm umsprang, mit dessen Hilfe wir rasch nach Madera hinuntergelangten, welches wir ausser Sichtweite am 2. Dezember passirten.
Wir hofften jetzt alle Tage auf den Nordostpassat, aber leider vergeblich. Ganz unvorschriftsmässige West- und Südwestwinde wechselten statt dessen mit einander, und die Folge davon war, dass wir immer näher gegen Afrika zu trieben und, beständig mit halbem oder viertels Wind segelnd, knapp zwischen den Kapverdischen Inseln und Senegambien hindurch fahren mussten. Kaum hatten wir diese passirt, so sprang der Wind nach Süden um, und wir steuerten Südsüdwest gegen Brasilien zu. Nur hie und da wehte es auf kurze Zeit in einer uns günstigeren Richtung, aus Norden oder aus Nordost, und der Kapitän verfehlte dann nie, mich auf die geballten Passatwolken rings am Horizont aufmerksam zu machen und sanguinisch eine anhaltende Besserung unserer Reise in Aussicht zu stellen. Doch immer von Neuem wurde sein Vertrauen getäuscht, und hatten wir vierundzwanzig Stunden eine gute Brise von hinten mit sechs Knoten per Stunde gehabt, so schlief sie regelmässig wieder ein, die Segel begannen wieder zu klappern, und ein Gegenwind erhob sich.
Oder, was noch schlimmer war, die Stille wollte nicht mehr weichen, drei, vier Tage lagen wir regungslos auf dem Wasser, der Abfall des Schiffes trennte sich nicht mehr von unserer Nähe, und was wir des Morgens über Bord geworfen hatten, konnten wir am Abend noch immer draussen herumschwimmen sehen. Die Sonne brannte glühend herab, und eine träumerische Stimmung lag über dem Deck, auf dem die Passagiere in hellen Gruppen faul herumlungerten. Selbstverständlich war unter solchen Umständen die Laune des Kapitäns nicht die rosenfarbigste. Tag und Nacht wurde geschimpft und geflucht, am Barometer geklopft, ob es nicht ein bischen fallen möchte, der Kajütsjunge in die Ohren gekniffen, zwecklos und nur vielleicht zur Aufmunterung für den Wind Leesegel gesetzt und wieder weggenommen.
Für mich waren solche Zeiten der Windstille im Anfang nicht ohne Reiz. Es herrschte, namentlich Nachts, eine wohlthätige Ruhe. Allerdings hörte das Schiff fast niemals auf, langweilig hin und her zu schaukeln, und das Holzwerk, ebenso langweilig zu knarren. Dies war aber auch meistens das einzige vernehmbare Geräusch, und ich konnte relativ ungestört mich meinen Lieblingsbeschäftigungen hingeben.
Unsere Tagesordnung ging ihren stetigen Gang. Wir lebten zu dritt in der Kajüte zusammen, nämlich ein Kajütspassagier, der Kapitän und ich – grösstentheils einträchtig, wir beide letzteren hie und da in gespanntem Verhältniss.
Der Kajütspassagier, ein harmloser, junger Mann des Handelsstandes, Mister Ross genannt, besass glücklich genug nicht die geringste Anlage zur Grimmigkeit, und schimpfte der Kapitän auch Tage lang unausstehlich, oder versuchte er gar in guter Laune Witze zu machen, was noch viel unausstehlicher war, Mister Ross blieb ungerührt. Er spielte gehorsam Tag für Tag seine Partie Sechsundsechzig mit ihm, wenn er dazu kommandirt wurde, liess ihn pflichtschuldigst gewinnen, kam pünktlich zu Tisch, legte sich pünktlich zweimal täglich zu Bett, und lungerte die übrige Zeit, wenn es schön Wetter war, auf Deck herum, friedlich seine Thonpfeife rauchend. Ich selbst huldigte dem Prinzip vollkommenster Neutralität und Isolirtheit, und meine Bücher und die Thiere des Meeres waren mir viel interessanter als Alles, was der Kapitän und Mister Ross zu sagen wussten.
Die Verpflegung, welche wir genossen, unterschied sich vortheilhaft von jener auf Postdampfern nach Amerika üblichen dadurch, dass man nie in Versuchung kam, aus Mangel besserer Beschäftigung den Magen zu überladen. Von der Ablösung der ersten Wache des Morgens um 4 Uhr an war schwarzer Kaffe zu haben. Um 8 Uhr wurde das Frühstück, Kaffe mit kondensirter Milch nebst Zwieback und Butter sowie die kalten Fleischüberreste des vorigen Tages servirt. Um 1 Uhr folgte, nachdem die Mittagsobservation genommen und der Ort des Schiffes berechnet war, das Dinner. Salzfleisch und Büchsenfleisch, Reis und Kartoffel, Erbsen und Bohnen, Pflaumen und Sauerkraut waren die wechselnden Hauptfaktoren desselben. Um 3 Uhr gabs abermals Kaffe, manchmal mit einem frischgebackenen Kuchen von sehr zweifelhafter Qualität, und um 7 Uhr den Abendthee, einschliesslich Butter und Salz- oder Büchsenfleisch. Dazu wurde jedesmal harter Zwieback geknabbert, nachdem der Vorrath an heimischem Schwarzbrot in den ersten vierzehn Tagen aufgezehrt war. Ein schmieriger Wachstuchüberzug bedeckte den Tisch, schmierig waren Gabel und Messer und schmierig der vielgeprüfte Kajütsjunge Hannes, der uns bediente.
Besonders heilige Festtage auszuzeichnen, hatte man uns einige Käslaibe, Schinken und Würste mitgegeben. Wir, die Honoratioren der Kajüte, erfreuten uns jedoch nur zwei- oder dreimal dieser Kostbarkeiten. Eines schönen Tages waren sie verschwunden, es hiess, die Matrosen hätten sie gestohlen und aufgefressen.
In Bezug auf Spirituosen lebten wir äusserst mässig. Eine Flasche Bier zu dritt war die tägliche Ration. Ich hatte zwar kontraktlich Anspruch auf eine halbe Flasche Rothwein pro Tag, es war aber nichts davon an Bord aufzufinden. Der in Seegeschichten eine so wichtige Rolle spielende steife Grog existirte auf der Euphrosyne nicht, existirt überhaupt wohl nur auf den Schiffen der Seegeschichten. In der Wirklichkeit sind die Seeleute zu arm und die Rheder nicht splendid genug, um einen solchen Luxus zu gestatten. Wenn ein Kapitän auf zwei Jahre hinaussegelt, so kriegt er vielleicht ein paar Dutzend Flaschen Kognac und Wein für sich und ein kleines Fässchen Rum für die Mannschaft mit. Erstere sind bestimmt zur Repräsentation, wenn das Schiff im fremden Hafen liegt und Besuche an Bord kommen, letzteres reicht gerade, um zwei- oder dreimal ein Fest zu feiern.
Die Euphrosyne besass eine sehr hübsche, helle und luftige Kajüte frei auf Deck stehend, zu beiden Seiten schmale Gänge zwischen ihr und den Borden. Ein roh getünchter Tisch, ein Sopha, etliche Klappstühle, zwei grosse Medizinkisten, ein Spiegel, ein Barometer, ein Thermometer und ein Kompass bildeten das Mobiliar des kleinen Salons derselben. Rechts hatte der Kapitän seine Kammer, links ich die meinige. Gleich vor dem Salon wohnte Mister Ross. Dann kamen die Badezimmer und das Frauenhospital, und in dem vordersten Theil der Kajüte hausten die Offiziere des Schiffs, der Steuermann, der Proviantmeister und der Bootsmann. In einem anderen Häuschen über Deck zwischen Gross- und Fockmast waren die Küche, das Männerhospital und das »Logis« für die Mannschaft.* Meine Kammer liess an Gemüthlichkeit nichts zu wünschen. Sie war zwar eng und klein, und wenn ich eine Schublade aufmachen wollte, musste ich erst meinen Koffer und den Stuhl in den Salon hinaussetzen, aber sie hatte ein grosses Fenster und eine Menge Licht. Leider ging es gerade vor dem Fenster über eine Treppe hinauf nach dem Achterdeck, auf welches die einzelnen Mädchen gebannt waren, und mit Vorliebe setzten sich diese, meine Kammer verdunkelnd, auf jene Treppe, bis ich mit dem Stock hinauslangte und sie von dannen stupfte.