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50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2
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50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2

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Aber bei dem Erstehungspreis eines starkknochigen Senegal- oder Guineanegers müssen die Frachtkosten, der Abschlag für die auf der Fahrt lädierte und ins Meer geworfene Ware, der ungeheure Zwischengewinn der Sklavenjäger, der Sklavenhändler und Kapitäne eingerechnet werden und überdies noch der Einfuhrzoll von dreitausend bis dreitausendfünfhundert Reis (3 bis 3½ Milreis), den der allerchristlichste König von Portugal bei diesem dunklen Geschäft für jeden einzelnen Sklaven sofort bei der Alfandega, dem Zollamt einfordert und einkassiert. Trotz dieses hohen Preises bleibt doch für den Fazendabesitzer die Anschaffung von Negern ebenso unentbehrlich als die von Hacke und Pflug. Ein kräftiger Neger arbeitet, wenn ab und zu gründlich gepeitscht, zwölf Stunden, ohne dafür eine Entlohnung zu bekommen; außerdem stellt die Investition nicht bloß eine einmalige Kapitalanlage dar, sondern auch eine zinsenbringende, denn der Negersklave vermehrt selbst in seinen wenigen Mußestunden noch den Besitz des Herrn durch die Kinder, die er zeugt, und die selbstverständlich als neue kostenlose Sklaven in den Besitz des Herrn übergehen; ein Negerpaar, im sechzehnten Jahrhundert erworben, schafft der Familie seines Herrn in zwei oder drei Jahrhunderten ein ganzes Sklavengeschlecht. Diese Sklaven stellen die motorische Kraft dar, die den Betrieb der großen Fazenden in Schwung hält, und da die Erde selbst in dem ungeheuren Land fast wertlos ist, mißt sich der Reichtum eines Plantagenbesitzers ebenso an der Anzahl von Negern, wie man in der Feudalzeit Rußlands das Vermögen eines Gutbesitzers nach der Anzahl der »Seelen«, die er eignete, maß. Bis tief in das neunzehnte Jahrhundert sind die Sklaven in immer anwachsender Masse die eigentlichen Träger der Wirtschaft. Auf ihren Schultern lastet das ganze Gewicht der kolonialen Produktion, während die Portugiesen nur als Beamte, Aufseher oder Unternehmer den ständigen Lauf dieser von Millionen schwarzen Armen in Schwung gehaltenen Arbeitsmaschine überwachen und dirigieren.

Diese allzu scharfe Zweiteilung in Schwarz und Weiß, in Herren und Sklaven ist von allem Anfang an bedenklich, und sie hätte ohne die ausgleichende Gegenleistung der im Binnenland einsetzenden Kolonisation unaufhaltsam die Einheit Brasiliens zerspalten. Ohnehin entbehrt in den Anfangszeiten das weite Land noch seines statischen Gleichgewichts, denn im ersten und tief bis ins zweite Jahrhundert sammelt sich alle tätige Kraft und darum aller Blut- und Menschenzudrang im Norden. Für die damalige Welt bedeutete – sehr im Gegensatz zu dem Niedergang von heute – die tropische Zone Brasiliens die eigentliche Schatzkammer; dort staut sich die ökonomische Leistung solange zusammen, bis die erste und hastigste Gier Europas nach kolonialen Produkten gesättigt ist. Bahia, Recife, Olinda, Pernambuco entfalten sich aus bloßen Umschlagplätzen zu wirklichen Städten und bauen Kirchen und Paläste zu einer Zeit, da im Binnenland sich erst ganz schüchterne Hütten und hölzerne Kirchen erheben. Hier landen oder laden unablässig europäische Schiffe, hier strömt ständig der schwarze Rohstoff der Sklaven ein, hier werden neun Zehntel aller kolonialen Waren über den Ozean verpackt und verschifft, hier etablieren sich die ersten Kontore, und nah diesen tropisch aufwachsenden Städten schließen sich um des bequemeren Transports willen die ergiebigsten Engenhos und Plantagen zusammen. Wer 1600, 1650 und eigentlich noch um 1700 in Europa den Namen Brasilien ausspricht, meint damit nichts anderes als den Norden und dort eigentlich nichts als die Küste mit ihren schon weltbekannten Hafenstädten, ihrem Zucker, ihrem Kakao, ihrem Tabak, ihrem Handel, ihrem Geschäft. Daß inzwischen im Hinterland – unsichtbar der Neugier der Schiffahrer und Händler durch die hohe Bergkette – eine vielleicht kommerziell weniger ergiebige, aber ungleich gesündere Entwicklung eingesetzt hat, ahnt noch niemand in Europa und nicht einmal der König von Portugal. Diese planvolle und in zähem systematischem Eifer geförderte Besiedlung des Landes durch seine eigenen angestammten Bewohner ist die Großtat der Jesuiten für Brasilien. Um Jahrhunderte den königlichen Fiskalbeamten und habsüchtigen Maklern vorausblickend, für die nur Gewinn bedeutet, was sich rasch ausmünzen läßt, haben sie hellsichtig erkannt, daß das wirtschaftliche Fundament eines Volkes auf die Dauer nicht auf den unsicheren Konjunkturen einzelner Monopolartikel und nicht einzig auf der Helotenarbeit gekaufter Sklaven beruhen kann; ein Land, das sich aufbauen will, muß zuerst lernen, die Erde zu bebauen und sie als die eigene zu empfinden. Die Großartigkeit dieser Unternehmung kann nur von zwei Flächen aus richtig betrachtet werden: von ihrem Anbeginn aus dem Nichts und von ihrem endgültigen, heute der Welt offenbaren Resultat. Nur aus der tausendjährigen und ewigen Urform der Landwirtschaft und Viehzucht konnte eine gesunde Nationalökonomie sich entwickeln; daß gerade die noch völlig nomadischen Stämme zu dieser notwendigsten Arbeit erzogen werden konnten, bedeutet im Moralischen den wahren Anbeginn der brasilianischen Nation.

Diese Arbeit beginnt bei Null. Als Nóbrega und Anchieta ins Land kommen, fehlen außer der Erde, die niemand bebaut, außer den Eingeborenen, die noch nicht wissen, sie zu bebauen, die bindenden und verbindenden Kräfte. Nichts ist vorhanden, alles muß erst über das Meer gebracht werden, jedes Stück Vieh, jede Kuh, jedes Kalb, jedes Schwein, jeder Hammer, jede Säge, jeder Nagel, jeder Spaten, jeder Rechen und dazu noch die Pflanzen und die Samen, und dann erst müssen mühselig diese nackten und kindlichen Wesen gelehrt werden, wie zu pflügen, wie zu ernten, wie Ställe zu bauen für das Vieh und wie das Vieh zu behandeln. Ehe sie sie noch recht belehren können, Christen zu werden, müssen die Jesuiten die Eingeborenen zuerst in der Arbeit unterweisen und, ehe mit den Grundbegriffen des Glaubens, sie mit dem Willen zur Arbeit durchdringen. Was für die Jesuiten in der Ferne ein geistiger Plan größten Stiles gewesen, verwandelt sich zu einer kleinen und mühsamen Geduldsarbeit, wie sie nur die disziplinierte Kraft von Männern, die ihr ganzes Leben an eine Idee verschworen haben, durchzusetzen vermag: die Zivilisierung des Menschen durch die Kultivierung der Erde; nichts von alledem, was diese ersten Lehrer mit sich bringen an Büchern und Medizinen und Werkzeugen und Pflanzen und Tieren, ist von solcher belebender und tonischer Kraft für die Entwicklung gewesen als diese starre und doch glühende Energie dieses Dutzends Menschen. Rasch wie alles in Brasilien – wachsen und entfalten sich diese ersten aldeias, diese jungen Siedlungen, und mit gerechtem Stolz können die Jesuiten bald in ihren Briefen berichten, wie glücklich diese Bindung sich erfüllt, die Bindung der Erde mit den Menschen und die Mischung zwischen Weißen und Eingeborenen zu einem neuen tätigen Geschlecht. Schon glauben die Väter ihr Werk gelungen; São Paulo, erst die Stadt und dann die Provinz, besiedelt sich, immer weiter ins Land greifen die aldeias aus. Aber die eigentliche Eroberung des Landes wird nicht auf dem stillen, friedlichen und planhaften Wege vor sich gehen, den sie vorausgesehen, sondern auf einem anderen Weg. Immer liebt die Geschichte, wenn sie eine Idee erfüllen will, von dem vorbereiteten Menschenplan abzuweichen und ihren eigenen Weg zu gehen, und so auch diesmal. Die Jesuiten haben ein junges Geschlecht auf dem Boden angesiedelt mit dem Vorsatz, sie sollten ihn bebauen. Aber schon die neue Generation der Mamelucos, der Mischlinge, bricht aus den Grenzen, die die frommen Väter gesetzt haben, ungeduldig vor. Noch ist die nomadisch schweifende Lust ihrer braunen Voreltern und anderseits die zügellose Wildheit der ersten Kolonisten in ihrem Blut lebendig. Warum die Erde selbst bebauen, statt sie von andern, von Sklaven bebauen zu lassen? Bald werden die Halbbraunen die schlimmsten Feinde der Braunen, die Söhne der Eingeborenen, deren Väter die Jesuiten vor dem Sklaventum gerettet, die grimmigsten Sklavenhändler, und gerade in São Paulo, das die Jesuiten als eine Stelle der sittlichen Reinheit und der geistigen Einheit erträumt, entsteht das neue Conquistadorengeschlecht, die Paulistas, die bald die bittersten Feinde der Jesuiten und ihrer kolonisatorischen Bemühungen werden. Zusammengerottet zu einer kriegerischen Truppe, durchziehen diese bandeirantes (merkwürdig den afrikanischen Sklavenjägern ähnlich) auf ihren entradas das Land, zerstören die Niederlassungen, rauben sich Sklaven, nicht nur aus dem Urwald, sondern auch von Scholle und Pflug, und doch erfüllen sie – nur rascher und brutaler und gewalttätiger – das jesuitische Prinzip des radial nach allen Seiten Vordringens. Von jedem dieser zerstörenden Züge bleiben einige Paulisten an den Wegkreuzungen zurück, es bilden sich Niederlassungen und sogar Städte im Rücken der mit Tausenden von Sklaven heimkehrenden Raubtruppen. Der fruchtbare Süden beginnt sich mit Menschen und Viehstand zu beleben, der Typus der vaqueiros, des Viehzüchters und des gaucho formt sich heraus neben dem trägeren und gemächlicheren des Küstenmenschen, der Mann des Binnenlandes, der Mann mit einer wirklichen Heimat. Die erste der großen Innen-Immigrationen mit ihrer ausgleichenden und bindenden Wirkung hat eingesetzt, halb durch den Plan der Jesuiten, halb durch die Gier der Paulisten, das Gute und das Böse schaffen in scheinbarer Gegenwirkung und doch tieferer Verbundenheit an einem gemeinsamen Werk. Im siebzehnten Jahrhundert bilden schon Landwirtschaft, Viehzucht und Ackerbau im Binnenlande ein gesundes Gegengewicht gegen die rasch aufgeblühte, aber auch rasch abwelkende, ständig den Schwankungen des Weltmarkts unterworfene Tropenwelt des Nordens. Und immer zielbewußter wird dieser Wille Brasiliens, aus einer bloßen Lieferungsstelle kolonialer Produkte ein sich selbst erhaltendes Land zu werden, ein sich nach eigenen Gesetzen entfaltender Organismus statt eines bloß abgelegten Schößlings seines Mutterlandes.

An der Schwelle des achtzehnten Jahrhunderts ist Brasilien wirtschaftlich bereits eine erträgnisreiche Kolonie, die für die portugiesische Krone im gleichen Maße wichtiger wird, als sie von ihrem einstigen indischen und afrikanischen Weltreich eine asiatische Kolonie nach der andern an die Holländer und Engländer verliert. Vorbei sind für Lissabon die goldenen Zeiten, wo, wie die Chronisten erzählten, der Tag meist nicht ausreichte, um die einströmenden Zolleinnahmen aus dem Indienhandel zu zählen und zu verbuchen. Brasilien aber ist schon im siebzehnten Jahrhundert kein Passivposten mehr für Portugal und längst vergessen die Nöte des Anfangs, wo flehend der Gouverneur um jeden Cruzado und Nóbrega in Lissabon um ein paar abgelegte Hemden für seine Täuflinge betteln mußte. Die Brasilianer sind gute Lieferanten, sie füllen die portugiesischen Schiffe mit kostbarer Ware, sie erhalten aus eigenem Gewinn die portugiesischen Beamten, und die Zolleinnehmer schicken bereits stattliche Summen an die königliche Kasse nach Portugal hinüber. Aber die Brasilianer sind außerdem auch gute Käufer und Besteller; manche dieser Zuckerkönige haben mehr Geld und Kredit als ihr eigener König, und für seine Weine, seine Textilien, seine Bücher hat Portugal unter all seinen Kolonien kein besseres Absatzgebiet. In aller Stille ist Brasilien eine große und ständig prosperierende Kolonie geworden und zugleich die Kolonie geblieben, die Portugal das wenigste Blut gekostet, die geringsten Belastungen bringt und am wenigsten Investitionen fordert. Weder in Bahia noch in Rio de Janeiro noch in Pernambuco sind große Garnisonen erforderlich, um die Ordnung zu erhalten. Die Bevölkerung steigt ständig mit den Jahren und hat nie, abgesehen von einigen kleinen Tumulten, eine ernstliche Auflehnung versucht. Es ist nicht nötig, kostspielige Festungen zu bauen, wie in Indien und Afrika, oder Geld für neue staatliche Investitionen hinüberzuschicken; längst verteidigt, längst erhält sich dieses Land aus eigener Kraft.

So läßt sich keine bequemere Kolonie erdenken als Brasilien mit seinem stillen, ständigen Wachstum, seiner bescheidenen – und fast möchte man sagen: lautlosen – Entwicklung, die sich fast unbemerkt von der übrigen Welt vollzieht. Es ist nichts in diesem Land, das still und ständig nach innen wächst und nach außen bloß Zucker produziert oder Tabak in großen braunen Ballen an die Handlungskontore verschickt, was auf die Phantasie oder auch nur die Neugier Europas stimulierend wirken könnte. Die Eroberung Mexikos, die Goldkammern der Inkas, die Silbergruben von Potosi, die Perlen des Indischen Ozeans, die Kämpfe der amerikanischen Farmer mit den Rothäuten, die Kämpfe mit den Flibustiern des karibischen Meers lockt die Dichter und die Chronisten zu romantischen Erzählungen und fasziniert den nach Abenteuern ständig ausspähenden Unruhegeist der Jugend. Brasilien dagegen liegt Jahrzehnte, ja eigentlich zwei Jahrhunderte lang im Schatten der Weltaufmerksamkeit. Aber gerade diese lange Verborgenheit und Abseitigkeit war im letzten Brasiliens Glück. Nichts ist seiner ruhigen, organischen Entwicklung förderlicher gewesen, als daß seine münzbaren Schätze, daß sein Gold, seine Diamanten bis zum Anfang des achtzehnten Jahrhunderts unentdeckt unter der Erde lagen. Wäre dieses Gold, wären diese Diamanten im sechzehnten oder siebzehnten Jahrhundert schon gefunden worden, so hätten die großen Nationen in einem rasenden Wettkampf auf diese Beute sich gestürzt. Von Peru, von Venezuela, von Chile wären die Rotten der Conquistadoren unaufhaltsam hereingebrochen, Brasilien wäre zum Schlachtfeld geworden aller schlimmen Instinkte, aufgewühlt, zerrissen und zerstückelt. Aber 1700, da Brasilien sich mit einem Schlage als das reichste Goldland der damaligen Welt offenbart, ist die Zeit der Abenteurer und Conquistadoren, der Villegaignons, der Walter Raleighs, der Cortez, der Pizarros schon endgültig vorbei, die wilde, nie mehr wiederkehrende Epoche des Wagemuts, da ein paar entschlossene Abenteurer mit vier oder fünf Schiffen und ein paar hundert Soldaten ganze Länder massakrieren und unterjochen konnten. 1700 ist Brasilien schon eine Einheit und eine Kraft; es hat seine Städte, seine Festungen, seine Häfen, und – was immer entscheidender ist als dies alles – es bildet bereits eine nationale Gemeinschaft und in ihr eine unsichtbare Armee, die bis zum letzten Manne gegen jeden fremden Einbruch sich wehren würde und sogar dem eigenen Mutterland über dem Meer nurmehr unwillig Zoll und Tribut zubilligt. Es braucht nur noch eines: mehr Zeit und mehr Menschen. Auf die Dauer wird der Stille und der Geduldige gerade der Stärkste sein.

Die Entdeckung des Goldes in der Provinz Minas Gerais ist mehr als ein nationales Ereignis für Brasilien und Portugal. Es ist ein Weltgeschehnis, das die ganze ökonomische Gestaltung der damaligen Wirtschaft entscheidend beeinflußt hat; nach der Feststellung Werner Sombarts wäre die kapitalistische und industrielle Entwicklung Europas zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts unmöglich gewesen ohne den gewaltigen und stimulierenden Einstrom des brasilianischen Goldes in die sofort rascher pulsenden Adern des europäischen Wirtschaftslebens. Was Brasilien, dieses bisher unbeachtete Land, an Gold mit einemmal auf den Markt wirft, ist für die damalige Zeit eine kaum vorstellbare Summe. Nach den verläßlichen Schätzungen Roberto Simonsens ist in dem einen Bergtal von Minas Gerais in diesem halben Jahrhundert mehr Gold gefördert worden, als in ganz Amerika zusammengenommen bis zur Entdeckung der kalifornischen Goldgruben im Jahre 1852. Die Beute Perus und Mexikos, die das sechzehnte Jahrhundert in einen Ausbruch von Tollheit versetzte und mit einem Schlage den Sachwert, den Geldwert aller Dinge verdoppelte und verdreifachte (wie Montesquieu in seiner berühmten Studie »Les Richesses de l'Espagne« so großartig geschildert hat), stellen kaum ein Fünftel, vielleicht nur ein Zehntel dessen dar, was die lange mißachtete Kolonie ihrem Mutterlande bringt. Das eingestürzte Lissabon ist aus diesem Golde neu aufgebaut worden, das gigantische Kloster Mafra aus dem »Quinto«, dem an den König abzuliefernden gesetzlichen Fünftel errichtet; die plötzliche Blüte der englischen Industrie konnte nur so großartig aufschießen aus diesem gelben Dünger, Handel und Wandel Europas geraten durch diesen plötzlichen Zustrom in beschleunigten Schwung. Für eine Weltstunde, für fünfzig Jahre, ist Brasilien die Münzkammer der alten Welt und die ergiebigste, beneidetste Kolonie, die ein europäischer Staat besitzen kann. Für einen Augenblick will es scheinen, als sei der Traum der Conquistadoren erfüllt und das sagenhafte Eldorado gefunden.

Diese Episode des Golds – denn es wird nicht mehr als eine Episode in der Geschichte Brasiliens sein – ist dermaßen dramatisch in Aufstieg, Ablauf und Ausklang, daß man sie am besten wie ein Theaterstück mit einzelnen Akten in Szenen schildert.

Der erste Akt spielt knapp vor 1700 in einem Bergtal von Minas Gerais, das damals noch keine Provinz ist, sondern ein menschenleerer Humus ohne Städte und Wege. Eines Tages ziehen von Taubaté, einer kleinen Niederlassung der Paulisten, ein paar Männer zu Pferd und zu Maultier gegen die Hügel, die der kleine Rio das Velhas in vielen Krümmungen und Windungen durchbricht; wie tausend andere vor ihnen sind diese Männer ausgezogen nach einem Irgendwohin, ohne einen Weg zu wissen und eigentlich ohne bestimmtes Ziel. Sie wollen nur etwas finden und heimbringen, vielleicht Sklaven, vielleicht Vieh, vielleicht ein kostbares Metall. Dann kommt der unvermutete Fund: einer von ihnen, man weiß nicht, ob auf geheime Kunde hin oder durch bloßen Zufall, entdeckt im Sand die ersten Körner angeschwemmten Goldes und bringt sie in einer Flasche nach Rio de Janeiro. Und wie immer genügt der erste Blick auf dieses geheimnisvoll neidfarbene Metall, und eine wilde Völkerwanderung setzt ein. Von Bahia, von Rio de Janeiro, von São Paulo hasten die Leute heran, zu Pferd, zu Esel, zu Maultier, zu Fuß und in Barken den São Francisco empor. Matrosen verlassen – hier hat der Regisseur die Massenszenen einzusetzen – ihre Schiffe, die Soldaten ihre Garnisonen, Kaufleute ihre Geschäfte, Priester ihre Kanzeln, und in schwarzen Herden werden die Sklaven herangetrieben in diese Wildnis. Für den ersten Augenblick droht der scheinbare Glücksfall eine beispiellose Wirtschaftskatastrophe für das ganze Land zu werden. Die Zuckerfabriken, die Tabakplantagen stocken, weil ihre Leiter sie verlassen und die Sklaven mitgetrieben haben, um dort in einer Woche, in einem Tag soviel zu raffen, wie bei geduldiger, zielbewußter Arbeit in einem Jahr. Die Schiffe können nicht verladen, die Transporte nicht geführt werden. Alles stockt und steht still, und die Regierung muß eigene Gesetze erlassen, um die Desertion der arbeitenden Kräfte ins Innere zu verhindern. Aber während in den Küstenstädten eine Katastrophe droht durch die plötzliche Entvölkerung, so droht umgekehrt dem Golddistrikt durch die plötzliche Übervölkerung das ewige Midasschicksal der Hungersnot bei goldenen Schüsseln. Es gibt Goldstaub und Goldkörner in Fülle, aber es gibt kein Brot und keinen Mais und keinen Käse und keine Milch und kein Fleisch, um die Zehntausende, die vielleicht Hunderttausende zu verköstigen in dieser Bergwildnis ohne Vorräte, ohne Viehstand und ohne Frucht. Glücklicherweise treibt die Aussicht, ihre Ware zum fünffachen, zum zehnfachen Preis und diesen noch in barem Gold bezahlt zu bekommen, die Kaufleute zu verzehnfachter Anstrengung. Immer größere Mengen von Lebensmitteln und anderen Waren wie Hacken und Schaufeln und Siebe werden zu Fluß und zu Land in die Wildnis befördert. Im Lande bahnen sich Wege, der bishin stilliegende, blau vor sich hinträumende Fluß São Francisco, der sonst in Monaten kaum ein Segel gesehen, wird eine belebte Straße. Hinauf und hinab fahren, von Sklaven getrieben, die Boote; die Ochsen schleppen die Karren dann weiter, und zurück strömt in kleinen Ledersäcken lose oder schon halb gemünzt das erträumte Gold. Eine fieberhafte Tätigkeit ist plötzlich über dies ruhige und beinahe schläfrig arbeitende Land gekommen. Aber es ist wie immer ein böses Fieber, das Goldfieber. Es erregt die Nerven, es erhitzt das Blut, es macht die Augen gierig und die Sinne verwirrt. Bald beginnen erbitterte Kämpfe; die ersten Entdecker, die Paulistas, wehren sich gegen die Spätergekommenen, die Emboabas. Was einer mühsam gerafft, holt der andere mit einem Dolchstich an sich, und in das Tragische mischt sich grotesk das Lächerliche. Menschen, die gestern noch Bettler waren, stolzieren in lächerlichen Prunkgewändern herum, an den Spieltischen verlieren Deserteure und Lastträger beim Würfelspiel ganze Vermögen und – opernhafter Abschluß des ersten Aktes – bei diesem wilden Durchwühlen der Erde gleichzeitig an tausend Stellen wird in der Nähe von Diamantina gefunden, was noch kostbarer ist als das Gold: der Diamant.

Zweiter Akt: eine neue Hauptfigur tritt auf, der portugiesische Gouverneur als Wahrer des Kronrechts. Er ist gekommen, um die neuentdeckte Provinz zu überwachen und vor allem, um das dem König zustehende Recht auf ein Fünftel zu sichern; hinter ihm marschieren die Soldaten, reiten die Dragoner, um Ordnung zu schaffen. Ein Münzhaus wird eingerichtet, in dem alles gefundene Gold zum Schmelzen abgeliefert zu werden hat, damit genaue Kontrolle geübt werden kann. Aber die wilde Rotte will keine Kontrolle; ein Aufstand bricht aus, der mit unerbittlicher Hand niedergeschlagen wird. Nun wird langsam aus dem wilden Abenteuer eine geregelte und von der königlichen Autorität streng überwachte Fabrikation. Nach und nach entwickeln sich in dem kleinen Goldgebiet weiträumige Städte, Vila Rica, Vila Real und Vila Albuquerque, die in ihren Hütten und hastig aus Lehm aufgerichteten Häusern hunderttausend Menschen sammeln, mehr als New York und mehr als jede amerikanische Stadt zu jener Zeit, Städte, von denen heute kaum mehr jemand weiß, und Städte, von denen auch die damalige Welt kaum mehr als eine ungewisse Ahnung hatte. Denn Portugal ist entschlossen, seinen Schatz zu hüten und keinen Ausländer auch nur eine Stunde an diese goldene Quelle heranzulassen. Das ganze Gebiet wird gewissermaßen mit einem eisernen Gitter umschlossen; an allen Straßenkreuzungen werden Schlagbalken aufgerichtet, überall patrouillieren Tag und Nacht Soldaten, kein Reisender darf die Zone betreten, kein Goldgräber sie verlassen, ohne nicht vorher sorgfältig untersucht worden zu sein, ob er nicht etwa Goldstaub mit sich führe, den er ungerechtfertigterweise dem Schmelzhaus und der Tesouraria entzogen; fürchterlich sind die Strafen, mit denen jede Übertretung geahndet wird. Niemand darf Nachricht geben über das Land, Brasilien und seine Schätze, kein Brief wird herausgelassen, und ein Buch, das Antonil, ein italienischer Jesuit, über die »Reichtümer Brasiliens« geschrieben, von der Zensur unterdrückt. Kaum daß Portugal bewußt geworden ist, welches Wertobjekt es an Brasilien besitzt, bringt es alle Künste der Überwachung ins Spiel, um die gefährliche Eifersucht und Habgier der anderen Nationen fernzuhalten. Nur der Hof und die Beamten der Tesouraria dürfen wissen, an welchen Stellen Gold und an welchen Stellen Diamanten gefördert werden, und wie hoch der Anteil der Krone ist, und noch heute vermag eigentlich niemand die Ausbeute dieses Jahrhunderts verläßlich zu errechnen. Aber darüber, daß sie ungeheuer gewesen sein muß, kann kein Zweifel herrschen, denn nicht nur jenes Fünftel strömt in die längst seicht gewordenen Kassen, sondern jeder Diamant über zweiundzwanzig Karat hat ohne Entschädigung abgeliefert zu werden, und dazu kommt noch der Gewinn aus den Warenbeständen, die für die plötzlich reichgewordene Kolonie eingeführt werden, und der gesteigerte Ertrag an dem Umschlagszoll auf die Sklaven, die in verdoppelter Anzahl zur rascheren Ausbeutung importiert werden müssen. Nun erst ist Portugal gewahr geworden, daß es, als es alle seine indischen und afrikanischen Reiche verlor, doch die wertvollste seiner »überseeischen Provinzen« gerade mit dem Lande behielt, das seine »Lusiaden« nicht besungen und das nur seine Ärmsten und Ausgestoßenen besiedelt.

Der dritte Akt dieser Tragikomödie des Golds spielt ungefähr siebzig Jahre später und bringt die tragische Wendung. Die erste Szene ist Vila Rica und Vila Real, verändert und doch unverändert. Unverändert die Landschaft mit ihren dunkelgrünen oder nackten Bergen, mit dem unwillig durch die engen Täler sich vorstoßenden Fluß. Verändert aber die Stadt; hohe, helle, mächtige Kirchen, innen mit Bildwerk und Skulpturen reich geschmückt, haben sich hoch auf den Hügeln erhoben, um den Palast des Gouverneurs sich stattliche Häuser geschafft; eine ansehnliche und vermögende Bevölkerung hat sich gesammelt, aber es ist nicht die verschwenderische, die fröhlich belebte mehr von gestern und vorgestern. Etwas ist fort, was den Straßen und Tavernen und Geschäften die lebendige Regsamkeit gab, etwas ist fort, das die Blicke der Menschen erleuchtete, ihre Bewegungen frischer und lebendiger machte, etwas ist fort, was die Atmosphäre hier feurig und fiebrig machte. Und dieses Etwas ist das Gold. Noch immer strömt und schäumt der Fluß und wirft in seinem Lauf zerriebenes Gestein als Sand an die Ufer, aber soviel man ihn auch schütteln mag in Sieben und gewässert durch Abläufe treibt, er bleibt nur wertloser Sand. Nicht mehr finden sich wie einst die schweren, glänzenden Körner darin, vorbei sind die Jahre, wo, um sich zu bereichern, es genügte, fünfzig oder hundert Sklaven hinzustellen, die in Holzschüsseln den Sand schwenkten und schwenkten und schwenkten und dann unten am Grunde jedesmal ein paar Unzen der vollwichtigen Körner blieben. Das Gold des Rio das Velhas war nur Schwemmgold gewesen, Oberflächengold und ist nun abgeschöpft. Um es aus den Tiefen des Berges zu holen, ist mühselige technische Arbeit vonnöten, der die Zeit und das Land noch nicht gewachsen ist. Und so kommt die Wendung: Vila Rica wird Vila Pobre, eine arme Stadt. Die Goldwäscher von gestern, verarmt und verbittert, ziehen ab mit ihren Maultieren und Eseln und Negern und ihrer kärglichen Habe, die Lehmhütten der Sklaven, zu Tausenden über die Hügel verstreut, werden weggeschwemmt vom Regen oder verfallen. Die Dragoner reiten weg, denn sie haben nichts mehr zu bewachen, die Casa de Fundação hat nichts mehr zu schmelzen, der Gouverneur nicht mehr viel zu verwalten; selbst das Gefängnis bleibt leer, weil kaum mehr hier einer dem andern etwas zu rauben oder zu stehlen hat. Der Zyklus des Goldes hat ausgeschwungen.

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