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50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2
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50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2

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Sie senkte ihr Gesicht schalkhaft und schämig.

»O Binia,« antwortete er, »du hast recht – ich will mich mit dir an dem schönen Tag freuen – es ist vielleicht der einzige, den wir erleben.«

Sie gingen weithin über die sonnigen Hügel mit den prangenden Herbstfarben, aber eine leise jugendliche Scheu schritt noch zwischen ihnen, die manches, was sie sagen wollten, zurückhielt. Um so mehr redeten ihre Augen. Immer und immer wieder betrachtete eins verstohlen das andere.

Vor sich an einer Höhe sahen sie in die welkenden Bäume hineingespannt die Netze eines Vogelstellers. Neugierig wie Kinder liefen sie hinzu und beschauten die malerisch hängenden Garne. Ein halbes Dutzend Amseln hing mit todesbangen Blicken darin. Binia zog einen Vogel um den anderen vorsichtig heraus, betrachtete lächelnd jedes Tierchen, preßte ihm einen Kuß auf den Schnabel und gab ihm die Freiheit. Die Vögel flatterten erst ängstlich, spürten dann die Befreiung, flogen in die Höhe und freudiges Geschrei stieg aus dem reinen Blau auf die Erde zurück.

Josi staunte Binia nur an: »Du herrliches Kind! Wenn aber der Mann käme, dem diese Vögel gehören!«

»O, ich habe den Nonnen manchmal den Spaß verdorben, und sie haben die Thäterin nie erwischt. Ich hätte mich auch für ein glückliches Vogelherzchen die ganze Woche einsperren lassen. – – – Josi« – ihre Finger berührten seine Hand – »vielleicht bin ich auch einmal so ein armes Schelmchen – und dann kommt jemand Barmherziger und löst mich.«

Ein Strahl ihres dunklen Auges traf ihn, ihr Mund aber lächelte herzgewinnend.

»Bini, ich habe mir schon fast den Kopf zerbrochen, wie wir trotz dem großen Zorn deines Vaters zusammenkommen könnten,« stammelte Josi. »Und ich weiß es – es bleibt mir nichts anders übrig, als daß ich für unsere Liebe an die Weißen Bretter steige.«

Da lehnte sie ihr Köpfchen schluchzend an seine Brust: »Das willst du für mich thun, Josi! Nein – nein. – Das darfst du nicht. – Du würdest fallen, wie dein Vater gefallen ist. – Und denke an meinen Vater – ich habe ihn, wenn er auch manchmal wüst und böse ist, doch so stark lieb; ich möchte nicht, daß die Nachtbuben kämen, um dem Gemeinderat im Werben zu helfen, und die rasselnden Ketten um das Haus schleiften und riefen: ›Presi, gebt die Binia heraus!‹ Ich glaube, da würde er auch erst recht wild über dich.«

Sie sah ihn hilflos an.

»Binia, so thöricht bin ich nicht. Ich plane es anders! Kein Mensch weiß es, was ich thun will, dir aber, liebes Bineli, will ich es verraten. – In drei Jahren komme ich wieder heim, dann will ich St. Peter aus der Blutfron an den Weißen Brettern befreien. Um zu lernen, wie ich's angreifen muß, gehe ich mit George Lemmy nach Indien.«

»Josi! – Du willst St. Peter aus der Blutfron befreien.« – Ein überirdischer Glanz lag in ihren Augen und das Wort tönte wie ein Schrei. Sie schaute ihn staunend an, sie preßte seine Hände. »Josi, kannst du das? – Josi, ich glaube, das hat dir Gott eingegeben. – Ich halte dich nicht zurück – nein, lieber Josi, thu's – thu's! – Meine Gedanken sind mit dir, wenn du an den Brettern schaffen wirst.«

Weiter, weiter führte sie die Sonne unter Kastanienbäumen dahin, die ihre stachlichten Früchte auf den Boden fallen ließen. Tief unter ihnen gegen den See hin jauchzten die Winzer in den Reben.

Sie sahen aber das Leuchten der Natur nicht, sie hatten zu viel von Brust zu Brust zu tauschen.

Binia glühte für Josis Plan.

»Josi, jetzt weiß ich, warum ich dich so lieb habe. Du hast halt ein großes, mutiges Herz – und als ich es noch nicht wußte, habe ich es doch schon geahnt, denn es strahlt aus deinen Augen. Und jetzt ist mir, ein Thor habe sich vor uns aufgethan, durch das unsere Liebe hinaus in den Frühling wandern kann. Es kommt alles, alles gut! Sieh, nur ein festes Vertrauen braucht es, dann werden zuletzt alle Träume und Wunder wahr – auch das unserer Liebe und unseres Glücks. Gewiß ist mein Vater der erste, der dich mit Freuden empfängt, wenn du die Blutfron von St. Peter nimmst. Er hat Sinn für alles Große.«

»Bini, wenn du so redest, so fange ich selber wieder zu glauben und zu hoffen an – du liebes, liebes Kind.« Er schlang den Arm um ihre Hüfte und so wanderten sie in heiligem Glück.

»Das ist ein herrlicher Tag,« jubelte Binia.

Auch Josi schwamm in stiller Seligkeit. Der Gedanke an den Fluch des Presi verschwand vor der blühenden Wirklichkeit. So schön hatte er sich das Leben nie gedacht. Wie das nur kam, daß er so allein mit Binia durch die lachende Welt wandern durfte? Womit hatte er es nur verdient? Rein wie der milde blaue Herbsthimmel erschien ihm sein Leben, es war ihm, als müßte es nun immer so bleiben und als stände nun die Zeit über ihm und Binia stille.

Wie lange ist so ein glücklicher Tag!

Unvermerkt lenkten sie ihre Schritte abwärts, und mit freundlichem Zuruf grüßte Binia das bunte Völklein der Winzer, dieses reichte ihnen dafür Trauben und Pfirsiche über Mauern und Hage und lachte dem wandernden Pärchen zu. Und wenn sie aus den Blicken der Erntenden waren, schob eines dem anderen scherzend die Beeren in den Mund.

»Ich habe gar nicht gemeint, Josi, daß du so lieb und artig sein könntest,« lachte Binia.

Als sie zu einer weinumrankten Osteria kamen, wo man die Aussicht auf den Spiegel des Sees frei genießt, setzten sie sich auf eine Bank im Garten. Die Wirtin, eine freundliche alte Frau, fragte, ob sie etwas zu essen und zu trinken wünschen.

Als aber der Wein und das Essen vor ihnen stand, da nippten sie nur an den Gläsern. Die Wirtin schaute ihnen etwas betrübt zu und versicherte sie, daß die Speisen gut seien. Da langte Binia keck zu und legte ein paar Schnitten des rötlichen Fleisches in den Teller Josis. Sie selber möge nichts. Und sie plauderte mit der Wirtin.

Josi, der von der Unterhaltung nichts verstand, sah, wie Binia plötzlich erglühte.

Als die Wirtin gegangen war, fragte er Binia, warum sie so rot geworden sei.

Sie senkte, aufs neue errötend, das Köpfchen, schlug die Augen auf und lächelte kaum merkbar: »Wenn ich's nur sagen dürfte – sie – hat gefragt – ob wir Brautleute seien.«

Da übergossen sich auch Josis Wangen mit dunklem Rot und seine Narbe trat deutlich hervor. Zögernd fragte er: »Was hast du ihr geantwortet?«

»Es hat mich halt so schön angemutet, da habe ich ›Ja‹ gesagt.« Sie flüsterte es mit seiner Stimme, sie lehnte sich zurück, daß er sie nicht sehen konnte, sie schmiegte sich so an ihn, daß ihr weiches Haar, das sich um die Schläfen wand, sein Ohr berührte und umschlang mit ihrem Arm seinen Arm.

»Hätte ich es nicht thun sollen, Josi?«

Da suchten sich ihre Hände, und als sie sich gefunden hatten, flüsterte sie: »Jetzt sind wir aber auch wirklich Brautleute.«

Josis Augen strahlten.

Da trat die Wirtin wieder zu ihnen. Von einem noch blühenden Stock schnitt sie die Rosen und gab sie Binia mit einem Glückwunsch. Binia steckte die Knospen an die Brust und nun drängte sie zum Fortgehen. Sie wollte mit Josi allein sein.

Das erste Stück Weges gingen sie schweigend. Da sagte Binia wie im Traum: »Ringe haben wir noch nicht!«

»Ich habe dir aber ein Andenken, Bineli – einen Tautropfen von der Krone. ›Tautropfen‹ habe ich dich immer genannt, wenn ich an dich dachte, Bineli.«

»Das ist lieb,« sagte sie leuchtenden Blicks. »Ich möchte gern ein Tautropfen sein, so rein, so frisch, so sonnenvoll, damit ich dir immer gefalle, Josi. Ich habe ein Kettelchen mit einer Kapsel von meiner Mutter selig, darein lege ich den Tropfen. Dann ruht er gewiß an einer treuen Brust. – Ich gebe dir diesen Mädchenreif – er ist zu klein für deinen Finger. – Aber trag ihn auf dir. – Küsse ihn jede Nacht und denke an mich.«

Sie schmiegte sich zärtlich an ihn, er küßte sie auf die Schläfe.

Da küßte sie ihn auf den Mund – er sie wieder.

Auf dem See lag ein weicher Abend und hüllte die Welt in Licht und goldigen Duft. Binia sah in süßer Träumerei vor sich hin. »In drei Jahren kommst du wieder, Josi. Und ich will dir treu warten und dann alle Tage hinaus gegen den Stutz schauen, ob du gegangen kommst.«

In der Dämmerung erreichten sie die Nähe der Stadt wieder. Binia war still. Die lange Wanderung hatte sie müde gemacht und ihre tolle Entweichung aus dem Kloster lag nun doch schwer auf ihren Gedanken.

»Was wird man dir anthun, arme Bini?«

Sie zwang sich zu einem Lächeln: »Auf einem kantigen Scheit werde ich neben der Nonne knieen müssen, welche die Nachtwache hat, und beten.«

»O, du armes Kind,« erwiderte Josi voll tiefen Mitleides.

»Nein, ich bin reich, ich denke dann immer an dich und an den langen schönen Tag.«

Wie mild und innig das von ihren Lippen floß. Josi wußte nicht, sollte er jauchzen vor Glück oder weinen, daß sie seinetwegen in so grausame Strafe kam.

Am mondbeglänzten See betrachteten sie die kleinen Heiligtümer noch einmal.

»Jetzt sind wir verlobt,« hauchte Binia, »jetzt bin ich deine Braut.«

Sie umarmten sich. Binia weinte vor Ergriffenheit, aber sie waren nun in die Nähe des Klosteraufganges gekommen und plötzlich drückte sie Josi heftig die Hand und küßte ihn leidenschaftlich: »Lebewohl, lieber, lieber Josi, wir sehen uns gewiß wieder und es kommt alles gut.«

Dann riß sie sich los, kam nach ein paar Schritten noch einmal zurück: »Josi!« Ein schmerzlicher Schrei aus blassem Gesicht, und dann verschwand die flüchtige Gestalt im dunklen Laubengang. Josi stand und starrte in die Dunkelheit, dann hörte er den schrillen Anschlag der Klosterglocke. Als Binia nach einiger Zeit nicht wiederkam, da riß auch er sich von der Stelle los.

Wachte er oder träumte er? Er küßte das Ringlein Binias, er dachte so innig, so heiß an sie, die jetzt um ihn litt. Aber auch der Fluch des Presi peinigte ihn wieder.

Als er am anderen Tag den Kopf ins Zimmer George Lemmys steckte, rief dieser lustig: »Boy, der Fuß ist schon fast besser – Felix Indergand ist da – morgen reisen wir!«

Da trat Indergand, der starke, kräftige Mann mit dem offenen Gesicht, unter die Thüre: »Blatter, eben ist der Kreuzwirt von Hospel mit seiner Nichte aus der Stadt gefahren.«

Mit nassen Augen ging Josi in einen Winkel und faltete die Hände: »An die Weißen Bretter für Binia!« dachte er. »Was man im Namen der heiigen Wasser thut, das muß unabwendbar geschehen. Ich will's glauben wie die zu St. Peter und dem Himmel mit einer That für den schönen Tag danken.«

Kapitel Zwölf

Im Bären ist es, seit die Fremden fort sind, sonntäglich still. Der Presi sitzt in der großen Stube am Tisch unter dem Meerweibchen, raucht seine Zigarre und erwartet den Garden.

Draußen im Flur hört er Binias Stimme. »Wie sie schön singt!«

Der Presi hat eine aufrichtige Freude über die Wiederkehr Binias. Nicht bloß weil damit ein böser, übereilter Streich gut gemacht ist, sondern weil der Anblick des Mädchens sein Herz erquickt. Seine Augen bleiben, so oft er es sieht, an dem Kinde hängen. Sie ist zwischen Siebzehn und Achtzehn und der Aufenthalt auf Santa Maria del Lago hat ihr nicht im geringsten geschadet. Sie ist frisch und schön, sie ist größer geworden, die Gesichtsfarbe heller, aber sie ist kein Dorfmädchen, dafür sind ihre Glieder zu zart. An der ganzen lieben Gestalt sieht man eigentlich nichts als die Augen, die unter den langen Wimpern so groß und dunkel sind, die so lebendig leuchten, daß einem darüber ganz warm ums Herz wird.

Frau Cresenz hat gesagt, Binia habe die Augen von ihm, vom Presi, sie sei überhaupt sein Ebenbild, aber nur so, wie ein seines junges Tännchen einer Wettertanne gleiche.

Ueber diesen schmeichelhaften Vergleich lächelt er jetzt. Binia singt.

»Wenn sie nur nicht immer dieses häßliche Kirchhoflied singen würde,« denkt er. »Aber es ist das einzige Lied, das sie kennt. Und das beste, sie singt. Sie hat es seit dem Tod der seligen Beth nie mehr gethan. Ihr Gesang beweist, daß ihr die Abreise Josi Blatters gleichgültig ist. Ja, das Kind wird schon noch vernünftig, die Luft ist jetzt rein. Es ist gut, daß ich mit dem Burschen nicht mehr geredet habe.«

Das Lied Binias bricht ab. Sie hat draußen ein kleines Wortgefecht mit Thöni. Sie zanken sich wie ehedem.

Da kommt der Bursche in die Stube: »Es ist da ein Brief für Euch, Präsident!« Und geht.

Der Presi liest, über sein vergnügtes Gesicht fliegen die Schatten tiefer und tiefer, vom Vergnügen sieht man keine Spur mehr – nur zuckende Wetter.

»Gott's Donnerhagel, daß ich es an dem Tage nicht merkte, wo sie über die Schneelücke gingen. – Ein Telegramm – sie hätte im Kloster bleiben müssen. Ah – ah – eigens bereitgestellt habe ich sie ihm. O, was bin ich für ein Kalb!« So führt er mit rotem Kopf das Selbstgespräch und knirscht vor Wut.

In dem Augenblick, wo der Presi so ächzt, tritt der Garde mit schwerem Tritt in die Stube und sieht die Verwüstung in seinem Gesicht.

»Was giebt's, Presi?« Da reichte ihm dieser nur den Brief der Priorin von Santa Maria del Lago. Draußen hatte Binia ihren Gesang wieder aufgenommen. Als der Garde den Brief zusammenfaltete und ruhig auf den Tisch legte, stöhnte der Presi: »He, das ist eine schöne Geschichte – wenn man da nicht verrückt wird. – Ich schaffe das Kind wegen dem Rebellen fort, daß sie einander aus den Augen sind, ich meine, es sei alles gut, und biete den beiden die Gelegenheit, daß sie einen ganzen Tag ungestört miteinander herumludern können. Das wird schön zu- und hergegangen sein – der lausige Blatter – und mein Kind!«

Er preßte die Pratze an die Stirne.

»Schämt Euch, Presi! Ihr kennt Euer Kind – ich kenne Josi. Da ist gewiß weniger geschehen, als wenn die Bursche und Mädchen in Hospel draußen auf dem Tanzplatz sind. Rechte Liebe ist ehrfürchtig, eines für das andere.«

»Das ist keine rechte, das ist eine schlechte. Ich mag halt den Wildheuerbuben nicht leiden.«

Da legte der Garde die schwere Hand auf die seines Freundes und Gegners.

»Hört, Presi! Im Frühjahr vor einem Jahr, damals, als Fränzi starb, habe ich mehr aus Zorn über Euch als aus Barmherzigkeit Vroni zu mir genommen. Und seither ist sie uns zum Segen und Sonnenschein geworden, daß wir nicht mehr leben könnten ohne sie!«

»Ja, das weiß das ganze Dorf, daß Ihr als alter Knabe verliebt seid in das Jüngferchen. Sie ist auch ein artiges Kind. Ihr hättet es mir wohl in den Bären geben können.«

Mit einem höhnischen Lächeln sagt es der Presi. Der Garde aber fuhr in ehrlicher Entrüstung los: »Verliebt. – Presi, schaut, wie viel graue Haare ich habe im Bart. Wißt Ihr, wie die gekommen sind? Die stammen von Eusebi und meinem Weib. Schier hintersinnt hat es sich, daß der Bube, für den sie so viel gelitten hat und für den ich an die Weißen Bretter gestiegen bin als ein Blödling aufgewachsen ist. Wir haben keine wahre Lebensfreude gehabt, der Bub hat nicht erwachen wollen und die Gardin hat sich halb zu Tode gekränkt, daß ihr just so einer als einziger beschieden war. Als er fünfzehn gewesen ist, hat er immer noch nur blöde zugeschaut, wie die anderen gearbeitet haben, und hat mit den Steinchen gespielt. Meint, Presi, das hat mir und der Gardin ins Herz geschnitten, wir haben oft den ganzen Tag gar nicht zusammen reden mögen. Jetzt aber, seit Vroni da ist, ist er wie ausgewechselt. Fröhlich sichelt er neben ihr oder hält mit den Knechten die Mahd, die schwachen Arme sind stark geworden, er stottert kaum mehr und hat Freude am Reden. Das Herz geht mir auf, wenn ich daran denke. Lacht nur, aber es ist, wie wenn ein Wunder des Glückes über den Burschen gegangen wäre.«

Der Presi streckte dem Garden hell und lustig auflachend die Hand hin: »Ich verstehe Euch schon, ich wünsche Euch Glück zur Schwiegertochter. Ich hätte einen anderen Geschmack gehabt, Garde.«

Einen Augenblick verwirrte der Spott des Presi den Garden, dann erwiderte er ruhig: »Ich wollte gern, das Mädchen, das artige, gute, nähme Eusebi, ich darf es ihm nicht zumuten – nein – nein – ich dränge sie nicht zusammen. Die zwei müssen sich von selber finden.«

Als er den Hohn sah, der über das sauber rasierte Gesicht des Presi spielte, versetzte er barsch: »Ich gebe Vroni, auch wenn sie Eusebi nicht nimmt, eine Aussteuer, wie sie in St. Peter keine Bauerntochter bekommt, ich wünsche nur, daß sie noch ein paar Jährchen bei uns bleibt.«

»Ihr werdet ihr schon etwas Rechtes geben müssen. Ihr erzieht ja das Kind, als wär's vom Herrenhaus zu Hospel. Ist's denn richtig, daß sie eine eigene Mauleselin besitzt?«

»Wohl, wohl, die besitzt sie. Ihr werdet sehen, wie schön sie auf der Blanka zur Weinlese reitet!«

»Nun, wenn Armeleutekinder so verzogen werden, so kann's in St. Peter gut kommen!«

»Presi, seid doch still! – Eure Fremden verderben das Thal, da wäre viel zu reden. Jetzt hat der Glottermüller auch eine Wirtschaft aufgethan. Das böse Beispiel.«

»Ja, was ist denn an Vroni Besonderes,« lenkte der Presi ab, »daß Ihr dem Kinde ein Maultier geschenkt habt.«

»Es ist etwas geschehen, was ich nicht habe erwarten dürfen, Presi. Gerade wie Josi fortgereist ist, bin ich mit Eusebi an die Militäreinschreibung zu Hospel geritten. Fast gezittert habe ich vor dem Tag und gefürchtet, Eusebi werde vor Scham, daß man ihn nicht zum Militär nehme, wieder ein Blöder. Ich sitze während der Prüfung der Rekruten im Kreuz und mache mir trübe Gedanken. Da kommt Eusebi früher als ich ihn erwartet geeilt. ›Vater,‹ jauchzt er, ›man hat mich angenommen.‹ Er zittert vor Seligkeit, daß er das Glas nicht halten kann, das ich ihm biete. Und ich kann nicht ›zum Wohlsein, Soldat!‹ sagen, so hat mich die Freude, die ich nicht habe zeigen wollen, gedrückt und gewürgt. ›Weißt, Vater,‹ erzählt er, ›wie mich so einer mit Augengläsern angesehen hat, ist mir immer gewesen, Vroni stehe hinter mir und sage mir das, was ich antworten solle.‹ Ich aber denke jetzt immer nur: ›Eusebi ist Soldat, er ist kein Blöder mehr!‹ Ihr hättet mir das schönste Heimwesen im Glotterthal schenken können, so gefreut hätte es mich nicht. Da meint Eusebi: ›Darf ich Vroni nicht ein Krämlein bringen?‹ – ›Allerwegen‹ antworte ich, ›deine Schulmeisterin muß einen Kram haben‹ ich gehe zum Maultierhändler Imahorn in Hospel und von vierzehn Stuten kaufe ich die schönste, und wie wir heimkommen, sage ich: ›Die ist für dich, Vroni, weil Eusebi zum Militär angenommen worden ist!‹ Einem anderen, Presi, aber habe ich auch gedankt, ich habe zweihundert Franken ins Spendgut von St. Peter gelegt, und bin noch heute aus Vaterfreude in Vroni und in unseren Herrgott vernarrt.«

Der Presi wiegte bei der warmen Rede des Garden spöttisch das Haupt, aber seine Stimmung war eine bessere geworden. Auf den Brief der Priorin deutend, murrte er: »Und nun meint Ihr – das ist doch Eurer Rede Sinn –, daß ich Josi auch auf einen Esel setzen soll? Die zwei achtbarsten Männer von St. Peter die Schwiegerväter der Wildheuerkinder und so eine Art Gegenschwäher!«

Mit lachendem Hohn stieß er sein Glas an das des Garden. »Sagt ehrlich, wenn es Eusebi so tagt im oberen Stübchen, was wär's mit ihm und Binia? Der Bund zwischen zwei ehrenwerten Familien wäre doch eine andere Freude als nur eine Verwandtschaft durch die Wildheuerkinder.«

Man wußte nicht recht, war es Scherz oder Ernst, so eigentümlich sprach er es, der Garde aber schüttelte den mächtigen Kopf: »Etwas langsam ist halt Eusebi immer noch, Binia aber, das Prachtkind, ist ein rasches, heftiges Blut. Das paßt wohl nicht zusammen.«

»Aber zum Rebellen, der sich in den Bergen herumtreibt, paßt die Rebellin, die aus dem Kloster läuft – – nicht wahr, Garde,« sagte der Presi halb höhnisch, halb lustig.

»Ho!« erwiderte sein Gastfreund, »ich meine, Josi Blatter wäre mir an Eurer Statt so lieb wie Thöni Grieg.«

»Ta-ta-ta, wie kommt Ihr auf Thöni Grieg! Er und Binia verkehren ja wie Hund und Katze. Jetzt will ich aber doch die Vagantin einvernehmen. Bini – Bini!« – Er stand auf und rief es durch die Thüre.

Das Mädchen, das mit seinem Gesang aufgehört hatte, als die beiden Männer laut geworden waren, erschien, nichts ahnend, mit freudestrahlendem Gesicht.

»Da lies diesen Brief,« sagte der Presi streng. Ein Blick Binias in das Schreiben, sie wurde dunkelrot und zitterte.

»Was habt ihr an dem Tag gethan? – rede nur, der Garde darf es auch hören.« Es klang nicht eben bös, wie es der Presi sagte.

Binia stutzte einen Augenblick, ihre Röte ging in Totenblässe über. Sie warf sich vor ihm auf die Kniee, umschlang die seinen und hauchte leise, doch fein und klar: »Vater, ich darf's fast nicht sagen, wie ungehorsam wir gewesen sind. – Josi und ich haben uns – verlobt.«

Der Presi sprang auf, nahm sein Glas und warf es neben die Knieende auf den Boden, daß es in hundert Stücke zersplitterte.

»Und ihr meint, ich sei der Narr im Spiel!« keucht er heiser, taumelt und will mit den Fäusten auf sie los, aber der Garde hält ihn: »Laßt sie ausreden!« und wie der Presi sich nicht setzt, umspannt er ihn mit seinen eisernen Armen und drückt ihn auf den Stuhl. »Hockt ab, Presi, und hört. Dann sprecht!«

Binia wollte sich flüchten. »Bleibe, Kind!« knurrte sie der Garde an.

Der Presi schnaubte und zischte: »Der Hund! der Hund! Wie wagt er sich an dich? He, schöne Augen hast du ihm gemacht, du!«

Wie ein Marmorbild stand Binia mit dem Rücken an der Wand, an die sie hingetaumelt war, nur die wogende Brust und die bebenden Nasenflügel verrieten das pulsierende Leben.

»Vater – tötet mich – aber ich sage es! – Ihr seid mit Fränzi verlobt gewesen. Ihr habt sie ohne Grund verlassen; ich aber muß an Josi gut machen, was Ihr an ihr bös gemacht habt. Das hat mir die selige Mutter eingegeben; ich liebe Josi, Vater, ich kann sterben, aber ich lasse ihn nicht, ich habe alles gehört, was Ihr am Wassertröstungstag mit der Fränzi geredet habt. Da ist mir die Liebe gekommen.«

Wie merkwürdig die feine verhaltene Stimme klang, ein Singen war es, mehr als ein Reden, ein sonderbares Singen, wie wenn der Wind durch die Waldwipfel streift, ein Ton, als flüstere er aus schweigender Höhe.

Die Stimme brach, die Unglückliche schwankte und tappte der Wand entlang gegen die Thüre.

»Du –«

Von schaumbedeckten Lippen zischte das gräßliche Wort, das Wort, das ein reines Mädchen tötet.

»Presi! Ihr habt Euch vergangen!« stößt der Garde mit einem Blick hervor, als wolle er sich auf ihn stürzen.

Der Presi röchelte. Plötzlich schoß er auf und faustete. Dann sank er entkräftet auf einen Stuhl – ächzte – und nach einer Weile stöhnte er wirr: »Jetzt ist es klar. – Fränzi – das hat mich immer gewundert, wohin das Kind an jenem Morgen aus meiner Stube verschwunden ist. – – Bini – Bini. – – Seppi Blatter – Fränzi – ihr seid grausam gegen mich!«

Der Presi schwieg, nur die Lippen zitterten. Erst als seine Wut in eine weinerliche Wehmut überging, die dem gewaltigen Mann fast komisch stand, sagte der Garde feierlich: »Ich will Euch eine Geschichte erzählen, ich habe sie von Fränzi.«

Der Presi krümmte sich unter dem Namen.

»Hört, Presi! Auf der Burg zu Hospel saß ein Ritter. Seine Tochter liebte einen Knappen. Zornig darüber ließ der Vater den Jüngling über den Felsen, auf dem die Burg stand, werfen, die Jungfrau aber stürzte sich aus Verzweiflung in den Strom. Bald darauf machte der Ritter eine Bußfahrt nach Rom. Als er über den Gletscher kam, da standen im Eis weit voneinander die armen Seelen der Liebenden. Sein Töchterlein lächelte. Da fragte der Ritter: ›Warum lächelst du, Kind, während du doch so frierst?‹ Sie antwortete: ›O Vater, siehst du nicht, daß ich und mein Liebster bald beisammen sind?‹ Er sah zwischen ihnen nur das weite harte Eis. Als er aber nach drei Jahren zurückkehrte, da waren die armen Seelen einander so nahe gekommen, daß sie sich mit den Händen erreichten. Bestürzt darüber, daß das Eis barmherziger war als er und nachgab, bereute er seine Härte bitterlich. Da hörte er eines Tages eine Stimme vom Berg: ›Vater, trauere nicht mehr!‹ Da wußte er, daß die große Liebe das Eis ganz überwunden hatte und die armen Seelen dicht beisammen standen.«

»Wozu das?« fragte der Presi dumpf. »An die armen Seelen glaube ich nicht!«

»So – meinetwegen – aber glaubt Ihr, Ihr seid stärker als der Ritter von Hospel? – Ihr seid stärker als der Gletscher?«

Der Presi stöhnte.

»Josi und Binia,« fuhr der Garde mit getragener Stimme fort, »es giebt kein schöneres Paar im Glotterthale, aber auch nicht zwei so wilde Herzen wie sie.«

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