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Heute oder nie!
DOKTOR: Kann ich mir vorstellen. Eine so bezaubernde Frau wie Sie verdient etwas Besseres. Vielleicht doch ein Tässchen Kaffee?
MARINA: Wenn Sie darauf bestehen, dann lehne ich vielleicht doch nicht ab.
DOKTOR: (Reicht dem Gast Kaffee und Gebäck.) Hier, bitte.
MARINA: Ich danke Ihnen. Jetzt habe ich den Erfolg Ihres professionellen Erfolgs begriffen.
DOKTOR: (Bescheiden.) Der ist einfach: Wissen und Arbeit.
MARINA: Nicht ganz so. Ein Arzt sollte in erster Linie als Mann anziehend sein. Das wirkt besser als jede Medizin.
DOKTOR: Meinen Sie?
MARINA: Ich bin sicher! Mit Ihrem Charme können Sie erstaunliche Erfolge erzielen. (Verführerisch.) Wenigstens, was die Frauen betrifft.
DOKTOR: (Nicht ohne einen gewissen Stolz.) Wirklich, die Medizin erkennt an, dass die Persönlichkeit des Arztes eine gewisse therapeutische Bedeutung hat.
MARINA: Nicht gewisse, sondern entscheidende.
DOKTOR: Wissen Sie, als wir am Telefon sprachen… Ich will sagen, dass mir Ihre Stimme sehr angenehm erschien… Übrigens, ich sagte das schon … Und nun, als ich Sie sah…
MARINA: (Verführerisch.) Sind Sie enttäuscht?
DOKTOR: Im Gegenteil. Übrigens, warum haben Sie mir zuerst gesagt, dass Sie nicht verheiratet wären?
MARINA: Hätte ich Ihrer Meinung nach am Telefon jedem Unbekannten Einzelheiten aus meinem Privatleben erzählen sollen und außerdem noch den Namen meines Mannes?
DOKTOR: Sie haben Recht. Aber es tut mir sehr Leid.
MARINA: (Spielerisch.) Was tut Ihnen Leid?
DOKTOR: Wären Sie nicht verheiratet, dann würde ich Sie mit Vergnügen hofieren.
MARINA: (Streng.) Ich verstehe Sie irgendwie nicht.
DOKTOR: (Schüchtern.) Nein, ich… Ich meinte…
MARINA: (Fährt fort.) Ich verstehe Sie wirklich nicht. Hofiert man denn verheiratete Frauen nicht?
DOKTOR: Man hofiert, natürlich…
MARINA: Und wo ist dann das Problem?
DOKTOR: Verstehen Sie, es gibt bekannte Prinzipien…
MARINA: Prinzipien?
DOKTOR: Bei mir gibt es eine Regel: Vermisch nicht Arbeit und Privatleben. Deshalb, zum Beispiel, hofiere ich nie Patientinnen.
MARINA: Sehr löblich. Aber ich bin keine Patientin.
DOKTOR: Sie sind die Frau eines Patienten.
MARINA: Vergessen Sie das. Ich habe von diesen Regeln gehört: Keine Romanzen mit Arbeitskolleginnen beginnen, mit seinen Patientinnen und Studentinnen, mit den Frauen seiner Verwandten und so weiter. Wenn das alle einhalten, wer wird denn dann mit uns noch Romanzen beginnen? Merken Sie sich: Hofieren muss man immer und alle, Mitarbeiterinnen, Frauen seiner Freunde, und um so mehr, die Frauen seiner Feinde. Und, Sie werden es nicht glauben, manchmal auch seine eigene Frau.
DOKTOR: Das heißt, Ihrer Meinung nach, sind diese Prinzipien…
MARINA: Lassen Sie die Prinzipien. Sagen Sie lieber ehrlich, dass ich Ihnen nicht genug gefalle.
DOKTOR: Ich versichere Ihnen, Sie gefallen mir sehr.
MARINA: Wenn eine Frau wirklich gefällt, hofiert man sie und denkt an nichts anderes. Das ist das einzig richtige Prinzip.
DOKTOR: Aber mein Alter…
MARINA: Sie haben ein wunderbares Alter.
DOKTOR: Ich bin viel älter als Sie.
MARINA: Der Mann sollte auch älter sein.
DOKTOR: Werde ich in Ihren Augen nicht lächerlich sein?
MARINA: Lassen Sie diese Gedanken. Sie sind ein Mann in der Blüte seiner Jahre. Wir sehen fast wie Gleichaltrige aus.
DOKTOR: Das heißt, Sie werden bestimmt nicht beleidigt sein, wenn ich Ihnen vorschlage, abends irgendwo zu essen?
MARINA: Ich werde beleidigt sein, wenn Sie mich nicht einladen. Ehrlich gesagt, das hätten Sie viel früher machen sollen.
DOKTOR: Ich weiß, aber es ist schwer, sich schon beim ersten Treffen dazu zu entschließen.
MARINA: Und ab welchem Treffen muss ein Mann handeln, wenn nicht beim ersten? Das zweite kann ja auch nicht stattfinden.
DOKTOR: Aber so spontan, von „Null auf Hundert“…
MARINA: Was heißt hier von „Null auf Hundert“, Doktor? Schildkrötentempo. Und wenn schon „Hundert“, dann doch wie eine Schnecke! Wir sind schon zwei Jahre bekannt, und Sie haben erst heute beschlossen, sich für mich zu interessieren. Und das auch noch sehr undeutlich.
DOKTOR: Zwei Jahre? Sind Sie sicher? Haben wir uns denn früher getroffen?
MARINA: Jetzt erkenne ich Ihr wahres Verhältnis zu mir. Eine Frau, die gefällt, vergisst man nicht.
DOKTOR: Sie gefallen mir sehr, aber… (Verstummt. In seinem Gesicht spiegelt sich offene Verwirrung. Wirkt denn der gedächtniszerstörende Virus wirklich so schnell?)
MARINA: (Sieht sich im Zimmer um.) Und Ihr Kabinett sieht noch imposanter und beeindruckender aus. Gleich zu sehen, dass dies die Praxis eines erfolgreichen vorwärts strebenden Arztes ist.
DOKTOR: (Bestürzt.) Kamen Sie auch früher hier her?
MARINA: Natürlich, und nicht nur einmal. Erinnern Sie sich denn nicht? Diese kleine Bronzestatue, scheint mir, war vorher nicht da.
DOKTOR: Sind Sie sicher, dass Sie früher hier waren?
MARINA: Wie sollte ich denn nicht sicher sein, wenn ich selbst meinen Mann zu Ihnen gebracht habe. Erinnern Sie sich denn nicht?
DOKTOR: Ich? (Unsicher.) Weshalb denn, ich erinnere mich, natürlich. (Träufelt in ein Glas Tropfen aus einem Fläschchen, gießt Wasser dazu und trinkt aus, wobei er sich bemüht, es unbemerkt zu tun.)
MARINA: Übrigens, ich mache mir Sorgen um ihn. Entschuldigen Sie, ich muss kontrollieren, ob er nicht gegangen ist.
(Marina geht hinaus. Der Doktor fühlt seinen Puls. Marina kehrt zurück.)
DOKTOR: Ist er nicht gegangen?
MARINA: Nein. Also, Doktor, ich möchte von Ihnen eine Bescheinigung über den Zustand meines Mannes bekommen, zusammen mit der Krankengeschichte über alle diese Jahre. Ich bemühe mich um eine Invalidenrente für ihn, und das Zeugnis eines kompetenten Arztes kann dabei sehr helfen.
DOKTOR: Hm… Sehen Sie, ich habe mich noch nicht festgelegt, worin seine Krankheit besteht.
MARINA: Wie, zwei Jahre waren dazu nicht ausreichend? Einem so erfahrenen Arzt, wie Sie?
DOKTOR: „Zwei Jahre“? Sagen Sie, und Sie haben zufällig keine Probleme mit dem Gedächtnis?
MARINA: Ich? Natürlich nicht. Woher denn?
DOKTOR: Einige Formen der Sklerose können ansteckend sein.
MARINA: Ich habe ein großartiges Gedächtnis. Aber – ich werde Sie nicht stören. Geben Sie mir bitte seine Krankengeschichte, und ich werde Sie nicht weiter von der Arbeit ablenken.
DOKTOR: Ich… Ich muss sie zuerst vorbereiten.
MARINA: Was heißt da vorbereiten? Drucken Sie sie am PC aus, und fertig.
DOKTOR: Ich muss etwas prüfen… Mir scheint, mein PC ist nicht in Ordnung… Können sie denn nicht heute etwas später vorbeikommen?
MARINA: Mit Vergnügen. (Steht auf, begibt sich zum Ausgang, bleibt dann aber stehen.) Übrigens, ich habe immer noch nicht verstanden, haben Sie mich zum Abendessen eingeladen, oder nicht? Oder haben Sie das auch schon vergessen?
DOKTOR: Versteht sich, Sie sind eingeladen.
MARINA: Ich möchte nicht aufdringlich erscheinen, aber wenn ein Mann eine Frau einlädt, teilt er ihr gewöhnlich mit, wohin und wann er sie abholt, oder wo und wann sie sich treffen sollen. Ich muss mich vorbereiten. Ich gehe doch nicht zu einem Rendezvous mit Ihnen in so einem Aufzug, in diesen Lumpen…
DOKTOR: Mir passen diese Lumpen vollkommen.
MARINA: Nein, nein, ich muss mich umziehen. Also, ich schaue in eineinhalb Stunden herein, und wir reden über alles. Und gleichzeitig nehme ich die Krankengeschichte mit.
DOKTOR: Ausgezeichnet.
MARINA: Haben Sie die Unterredung mit meinem Mann schon beendet?
DOKTOR: Noch nicht.
MARINA: Dann lasse ich ihn Ihnen noch hier. (Mit einem vielversprechenden Lächeln.) Bis bald.
Marina geht hinaus. Der Doktor bleibt alleine. Sein Gesicht drückt eine Mischung von Freude und Verwirrung aus. Nachdem er eine Weile hin und hergegangen ist, setzt er sich an den PC und beginnt die Datei mit der Krankengeschichte zu suchen. Anton tritt ein.
ANTON: Doktor…
DOKTOR: (Leidend.) Sagen Sie mir bloß nicht, dass Sie an Gedächtnisverlust leiden.
ANTON: Ich leide auch nicht an Gedächtnisverlust. Woher haben Sie das denn?
DOKTOR: Also, was wollen Sie dann von mir?
ANTON: Meine Frau hat mir aufgetragen, im Wartezimmer zu warten, aber mir ist dort langweilig. Kann ich hier sitzen?
DOKTOR: Lieber im Wartezimmer.
ANTON: Lieber hier.
DOKTOR: Nun, gut. Unter einer Bedingung: Sie werden schweigen.
ANTON: Ich werde kein Wort sagen.
DOKTOR: Vergessen Sie dieses Versprechen nicht.
ANTON: Ich vergesse nie etwas.
DOKTOR: (Aufatmend.) Na, wunderbar.
Anton setzt sich bescheiden in eine Ecke. Der Doktor sucht im PC die Krankengeschichte, offenbar erfolglos. Er wendet sich zur Absicherung an Anton.
DOKTOR: Erinnern Sie sich nicht zufällig, ob ich eine Krankengeschichte über Sie angelegt habe?
ANTON: Das haben Sie.
DOKTOR: Wann? Heute Morgen?
ANTON: Nein, schon lange. Vor einem oder zwei Jahren.
DOKTOR: Und Sie erinnern sich daran?
ANTON: Natürlich erinnere ich mich.
DOKTOR: Warum kann ich sie dann nicht im PC finden?
ANTON: Ich weiß nicht. Soll ich Ihnen helfen?
DOKTOR: Nein, danke. (Beginnt wieder im PC zu suchen.)
Eine Frau in einem tadellosen englischen Kostüm tritt ein. Ihre Bewegungen sind selbstsicher, die Sprache klar und deutlich, die Manieren entschieden.
FRAU: Guten Morgen.
ANTON: (Erfreut.) Du bist das?
FRAU: Wie du siehst, Lieber.
ANTON: Und ich langweile mich hier ohne dich. Wie gut, dass du gekommen bist. (Beide umarmen und küssen sich.)
FRAU: Bring das Hemd in Ordnung und kämm dich! Wie fühlst du dich?
ANTON: Ausgezeichnet.
DOKTOR: Gestatten Sie, wer sind Sie?
ANTON: Das ist meine Frau.
FRAU: (Reicht dem Doktor die Hand.) Ich heiße, wie Sie schon wissen Johanna Glöckner.
DOKTOR: (Verblüfft.) Sehr angenehm.
FRAU: Habe ich Sie nicht gestört?
DOKTOR: Nein, in keiner Weise. Entschuldigen Sie. Setzen Sie sich. (Nimmt Anton zur Seite.) Wer ist diese Frau?
ANTON: Das hab ich doch gesagt, meine Frau.
DOKTOR: Aber Sie haben doch vor kurzem an diesem selben Ort eine andere Frau umarmt und sie auch Ihre Frau genannt!
ANTON: Doktor, Sie haben Halluzinationen. Behandeln Sie sich! Hier war keine Frau.
DOKTOR: Vollkommen durcheinander, nimmt die nächste Dosis Medizin ein. Nachdem er die Gedanken geordnet hat, wendet er sich an Johanna.
DOKTOR: Ich hoffe, Sie sind nicht beleidigt, wenn ich Sie bitte irgendeines Ihrer Dokumente vorzuweisen.
FRAU: Seltsame Bitte. Aber, bitte. Hier ist mein Führerschein. (Reicht ihm das Dokument.) Johanna Glöckner. Zu Ihren Diensten.
DOKTOR: (Sieht sich den Führerschein aufmerksam an und gibt ihn zurück. Verständnislos.) Alles in Ordnung.
JOHANNA: Und Sie haben daran gezweifelt? Ich bitte nicht um Ihre Dokumente, weil ich weiß, wer Sie sind. Es würde natürlich nicht schaden, Ihre Lizenz zu prüfen, aber das ist Sache der Staatsanwaltschaft, und ich bin Anwalt. Hier, übrigens, meine Visitenkarte.
DOKTOR: Was verdanke ich Ihre Visite?
JOHANNA: Mich beunruhigt die Gesundheit meines Mannes.
DOKTOR: Mich auch. Aber ich würde bevorzugen, mit ihnen darüber unter vier Augen zu reden.
JOHANNA: (An den Mann gerichtet.) Lieber, warte ein bisschen auf mich im Wartezimmer, und danach fahren wir zusammen nachhause.
Anton geht gehorsam hinaus.
DOKTOR: Sagen Sie, wissen Sie, dass Ihr… äh… Mann krank ist?
JOHANNA: Wie könnte ich das nicht wissen!
DOKTOR: Und Sie wissen, an was er leidet?
JOHANNA: Er leidet an Gedächtnisverlust.
DOKTOR: Seit wann?
JOHANNA: (Verwundert.) Was heißt „seit wann“?
DOKTOR: Seit wann ist er krank?
JOHANNA: (Verwundert.) Wissen Sie das denn nicht?
DOKTOR: Weshalb sollte ich das wissen?
JOHANNA: Aber Sie behandeln ihn doch schon zwei Jahre, wenn nicht länger!
DOKTOR: Ich? Zwei Jahre??
JOHANNA: Doktor, was ist mit Ihrem Gedächtnis? Wie können Sie einen Kranken behandeln, wenn Sie sich selbst an nichts erinnern?
DOKTOR: Nun gut, mögen es zwei Jahre sein. Erzählen Sie von der Krankheit Ihres Mannes genauer. Haben Sie es schwer mit ihm?
JOHANNA: Welche Frau hat es leicht mit ihrem Mann?
DOKTOR: Vertiefen wir uns nicht in persönliche Probleme, reden wir über die medizinischen. Wie genau drückt sich seine Krankheit aus?
JOHANNA: Er erinnert sich an sehr komplizierte und lange zurückliegende Dinge und vergisst die einfachsten. Er kann sich, zum Beispiel, Kaffe eingießen und vergessen, ihn auszutrinken. Oder zweimal ein und dasselbe Medikament einnehmen.
DOKTOR: Das passiert mir auch.
JOHANNA: Hab´ ich mir schon gedacht.
DOKTOR: Wie halten Sie denn das alles aus?
JOHANNA: Ich bin ein Mensch der Pflicht. Ich mache nicht das, was mir gefällt, sondern das, was ich tun muss. Ich esse nicht das, was mir schmeckt, sondern das, was weniger Kalorien enthält. Ich treffe mich nicht mit denen, die mir sympathisch, sondern mit denen, die mir nützlich sind. Ich lebe nicht mit dem Mann, mit dem ich wollte, sondern mit dem, der mir zufiel. Sich zu beklagen und zu jammern ist zwecklos. Man muss arbeiten, den Gürtel enger schnallen und sein Kreuz tragen.
DOKTOR: Ich bewundere Sie.
JOHANNA: Danke. Aber letztendlich ist mein ehemaliger Mann auch kein so schlechter Mensch. Es gibt schlechtere. Ich wiederhole mir das hundertmal am Tag. Es gibt schlechtere. Es gibt schlechtere. Jede Frau sollte das wiederholen. Es gibt schlechtere.
DOKTOR: Warum haben Sie gesagt „ehemaliger Mann“? Haben Sie sich denn geschieden?
JOHANNA: In keiner Weise. Wir sind immer noch verheiratet. Aber was ist das für ein Ehemann, der das vergisst, was ein Mann und Ehemann nicht vergessen sollte. Sie verstehen mich?
DOKTOR: Hm… Und was machen Sie in solchen Fällen? Erinnern Sie ihn daran?
JOHANNA: Wenn man den Mann an solche Dinge erinnern muss, dann hilft da auch nichts mehr.
DOKTOR: Sie haben Recht.
JOHANNA: Wissen Sie, zu welchem Schluss mich meine juristische Praxis gebracht hat? Je mehr vergessliche Männer es gibt, desto mehr leidende Frauen gibt es.
DOKTOR: Zum gleichen Schluss kommt auch die ärztliche Praxis. Allerdings, sagen Sie, kam Ihnen nie in den Sinn, dass man seine Vergesslichkeit in diesen Dingen damit begründen kann, dass…
JOHANNA: …dass er eine andere Frau hat?
DOKTOR: Das haben Sie gesagt und nicht ich.
JOHANNA: Bringen Sie mich nicht zum Lachen. Das ist ausgeschlossen.
DOKTOR: Ja? Und wie würden Sie sich zu so einer Vermutung verhalten, dass nicht lange vor Ihnen mit ihm eine… Wie soll ich Ihnen das sagen… Versteht sich, das ist nur eine Vermutung…
JOHANNA: Verschleiern Sie die Sache nicht, Doktor. Spielen Sie mit offenen Karten. Ich habe keine schwachen Nerven.
DOKTOR: Sie dürfen ihn nicht verurteilen. Meiner Meinung nach erinnert er sich einfach nicht, wer seine Frau ist.
JOHANNA: Er erinnert sich ausgezeichnet. (Sie ruft den Mann, der hereinkommt.) Lieber, sag diesem Menschen, wie ich heiße.
ANTON: Weiß er das denn nicht?
JOHANNA: Er wusste es, hat es aber vergessen. (Ironisch.) Dieser Mensch leidet an Gedächtnisverlust.
ANTON: (Zum Doktor.) Sie tun mir aufrichtig Leid.
DOKTOR: Ich tu´ mir selbst Leid.
ANTON: Warum gehen Sie sich nicht in Behandlung? Ich kann Ihnen einen guten Arzt empfehlen. Hier ist seine Visitenkarte.
DOKTOR: (Sieht sich die Karte an.) Ich danke Ihnen, das ist meine Karte. Sagen Sie lieber, wie diese Dame heißt?
ANTON: Sie stellen seltsame Fragen. Denken sie, ich weiß nicht, wie meine eigene Frau heißt? Die Frau, mit der ich die Schule besuchte?
DOKTOR: Also, wie heißt sie, zum Teufel auch?
ANTON: Johanna. Und nun?
JOHANNA: Nichts, Lieber. Du kannst solange ins Wartezimmer zurückgehen. Geh aber nicht weg. (Anton geht hinaus.)
DOKTOR: Seltsam. Wenn das nicht seine Frau war, wer war sie denn dann?
JOHANNA: Wer?
DOKTOR: Die Frau, die vor Ihnen hier war.
JOHANNA: Wenn sie denn hier war, dann weiß ich wer sie ist.
DOKTOR: (Interessiert.) Ach was? Wer denn?
JOHANNA: Eine Hure und Abenteurerin.
DOKTOR: Sie sollten nicht so scharf sein. Mir erschien sie völlig anziehend.
JOHANNA: Leider sind Huren und Abentreurerinnen immer anziehend. Im Unterschied zu uns ordentlichen Frauen.
DOKTOR: Das stimmt. Sie kennen sie also, oder nicht?
JOHANNA: Natürlich kenne ich sie nicht und kann sie nicht kennen. Mit solchen Personen verkehre ich nicht. Außerdem war hier tatsächlich keine Frau, und das ist Ihnen ausgezeichnet bekannt.
DOKTOR: Die Frau war hier.
JOHANNA: War nicht.
DOKTOR: War. (Wischt sich die Stirn ab.) Aber vielleicht war sie wirklich nicht da?
JOHANNA: Entschuldigen Sie, ich will kontrollieren, ob mein Mann an seinem Platz ist. (Geht hinaus und kehrt zurück.)
DOKTOR: Am Platz?
JOHANNA: Ja. Wissen Sie, auf ihn muss man ein Auge haben. Lassen Sie uns das Gespräch über Frauen beenden und zur Sache kommen, und zwar zum Gesundheitszustand meines Mannes. Ich bin nicht hergekommen, um fantastische Erzählungen zu hören, sondern um eine Bescheinigung über seine Krankheit zu bekommen.
DOKTOR: Um eine Bescheinigung auszustellen, muss ich zuerst sein Leiden untersuchen. Deshalb will ich auch fragen, seit wann…
JOHANNA: (Unterbricht ihn.) Erstens, hab ich Ihnen schon zwanzigmal davon erzählt.
DOKTOR: Wann?
JOHANNA: (Hört nicht auf ihn.) Zweitens stellen Sie keine unnötigen Fragen und sehen Sie in seine Krankengeschichte. Sie ist in Ihrem PC. Dort steht alles.
DOKTOR: Ich habe keinerlei Krankengeschichte von ihm!
JOHANNA: Wie soll das verstehen? Sind Sie denn dermaßen nachlässig, dass Sie sie nicht führen? Sie wissen doch bestens, dass diese Nachlässigkeit an ein dienstliches Vergehen grenzt!
DOKTOR: Sie vergessen sich!
JOHANNA: (Hart.) Keinesfalls. Ich leide noch nicht unter Gedächtnisverlust. Und ich will Sie daran erinnern, dass die Krankengeschichte nicht nur ein medizinisches, sondern auch ein juristisches Dokument ist. Im Fall einer gerichtlichen Klage gegen Sie, seitens des Kranken, kann sie die Richtigkeit oder Nichtrichtigkeit Ihrer verordneten Behandlung beweisen. Ich denke, dass Sie sie entweder nicht anlegten oder vorsätzlich löschten, um vor den Finanzbehörden die Zahlungen zu verbergen, die Sie von uns erhielten.
DOKTOR: Ich habe keinerlei Zahlungen erhalten!
JOHANNA: Regen Sie sich nicht auf, wir werden sie nicht zurückfordern. Das Einzige, das ich will, ist die Bescheinigung über den schweren Zustand meines Mannes und seine Krankengeschichte.
DOKTOR: (Er ist völlig verwirrt.) Die Bescheinigung kann ich Ihnen wohl geben, aber…
JOHANNA: (Unbeirrt.) Und die Krankengeschichte auch.
DOKTOR: Woher nehme ich die?
JOHANNA: Aus dem PC. Aus dem Schreibtisch. Woher Sie wollen. Finden Sie sie, stellen Sie sie wieder her – mich interessiert das nicht.
Der Doktor ist völlig verstört und weiß nicht, was er tun soll. Er nimmt das Fläschchen, sieht, dass die Tropfen aus sind, und geht hinter einen Wandschirm, wo er Medikamente aufbewahrt. Johanna ruft ihm zu.
JOHANNA: Und dass die Krankengeschichte in einer Stunde fertig ist! In genau sechzig Minuten komme ich sie holen!
Geht in Richtung Ausgang, und trifft in der Türe mit einem neuen Besucher zusammen. Das ist ein äußerst solider Mann, in einem klassischen, gut geschnittenen Anzug. Beide werfen sich einen aufmerksamen Blick zu. Johanna geht. Der Mann tritt ein. Er besieht sich vorsichtig den Raum und bemerkt nicht gleich den Doktor, der hinter dem Wandschirm hervorkommt. Als er ihn sieht, zuckt der Mann zusammen.
DOKTOR: (Hat sich wieder gefasst.) Mit was kann ich dienen?
MANN: Ich… Ich… Ich…
DOKTOR: Wer sind Sie?
MANN: Ich… Ich… Ich…
DOKTOR: Ja, Sie, Sie, Sie! Nicht ich, Teufel auch!
MANN: Ich… Ich denke nicht, dass mein Name für Sie irgendeine Bedeutung hat.
DOKTOR: Warum nennen Sie ihn dann nicht?
MANN: Wirklich, warum?
DOKTOR: Genau das sage ich auch: Warum?
MANN: Also, schauen Sie, wir sagen beide „warum“?
DOKTOR: Und warum nennen Sie ihn denn dann nicht?
MANN: Weil darin kein Bedarf besteht.
DOKTOR: Hören Sie auf, auszuweichen und sagen Sie es direkt: An was leiden Sie?
MANN: Kann ich mit Ihnen von Mann zu Mann reden?
DOKTOR: Selbst wenn wir es noch so wollten, wir können nicht von Frau zu Frau reden.
MANN: Sie haben Recht.
DOKTOR: Nun, packen Sie schon aus, zieren Sie sich nicht, was haben Sie?
MANN: Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll…
DOKTOR: Nur Mut, da gibt´s doch nichts zu schämen. Mit solchen Problemen, wie Sie, hat fast jeder Mann zu tun.
MANN: Woher kennen Sie meine Probleme?
DOKTOR: Ich kann sie mir denken.
MANN: Sie können sie nicht kennen. Sache ist die, dass… Wie soll ich sagen…
DOKTOR: Nun aber, werden Sie nicht rot. Sie sind beim Arzt. Und hier werden Geheimnisse gehütet.
MANN: (Schwankt.) Nun, gut. Ehrlich gesagt, ich hatte zuerst geplant, mich krank zu stellen. Aber jetzt denke ich, warum nicht alles so sagen, wie es ist?
DOKTOR: Sie sind also nicht krank?
MANN: Nein.
DOKTOR: Was machen Sie denn dann hier?
MANN: Ich suche eine Frau.
DOKTOR: Soll ich Ihnen ein Geheimnis verraten? Ich bin keine Frau.
MANN: Mir ist nicht nach Späßen zumute. Die Sache ist sehr ernst.
DOKTOR: Wer ist sie für Sie? Ehefrau, nicht wahr?
MANN: (Nach einigem Schwanken.) Ja.
DOKTOR: Und was habe ich damit zu tun?
MANN: Ich weiß, dass sie gerade erst hier war.
DOKTOR: Ich veröffentliche keine Informationen über meine Patienten.
MANN: Diesmal müssen Sie eine Ausnahme machen.
DOKTOR: Interessant. Und warum?
MANN: Weil ich sie bis zum Gedächtnisverlust liebe.
DOKTOR: Ihre Frau?!
MANN: Ja. Na und?
DOKTOR: Nichts. Sehr rührend.
MANN: Also, wo ist sie?
DOKTOR: Ihre Frau war nicht hier.
MANN: Sie war, und ich weiß das genau.
DOKTOR: Wie ist ihr Familienname?
MANN: Glöckner.
DOKTOR: (Betroffen.) Glöckner? Sind Sie sicher?
MANN: Sicher.
DOKTOR: Nicht Klingler?
MANN: Nein.
DOKTOR: Nicht Scheller? Und nicht Läuter?
MANN: Aber nicht doch!
DOKTOR: So-so… (Geht aufgeregt im Zimmer hin und her.) Das heißt, Ihre Frau heißt… Wie nochmal?
MANN: Glöckner.
DOKTOR: Großartig. Als Sie hereinkamen, scheint mir, haben Sie jemanden getroffen. Erinnern Sie sich?
MANN: Meinen Sie jene Frau, in dem taillierten englischen Kostüm, mit dunklen Augen, einem Muttermal auf der linken Wange, mit einem lilafarbenen Chiffonschal um den Hals und einem schwarzen Koffer in der Hand?
DOKTOR: Genau die. Was sagen Sie zu ihr?
MANN: Nichts. Ich hab ihr keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt.
DOKTOR: So-so… Keine Aufmerksamkeit geschenkt. Keinerlei. (Platzt aus sich heraus.) Hauen Sie von hier ab, und zwar sofort! Und lassen Sie sich hier nie mehr blicken!
MANN: Doktor, ich verstehe Sie nicht. Warum…
DOKTOR: (Unterbricht ihn.) Weil Sie gerade eben mit der Nase auf Madame Glöckner gestoßen sind. Angenommen, Sie haben ihr keine Aufmerksamkeit geschenkt. Aber sie ging ja auch völlig ruhig vorbei!
MANN: Aber ich habe keine Ahnung, wer sie ist. Ich habe sie nie vorher gesehen!
DOKTOR: Das heißt, sie – ist nicht Ihre Frau?
MANN: Natürlich nicht! Außerdem bin ich seit langem geschieden. Schon zwei Jahre.
DOKTOR: Wie „geschieden“? Sie lieben doch Ihre Frau bis zum Gedächtnisverlust!
MANN: Ja-ja, natürlich… Danach habe ich wieder geheiratet.
DOKTOR: Sie haben wieder geheiratet? Sehr gut. Und Ihre Frau heißt, wie sagen Sie…
MANN: Glöckner, Marina Glöckner.
DOKTOR: Wie sagten Sie? Marina?
MANN: Ja, Marina.
DOKTOR: Aber sie ist doch verheiratet! Mit Anton!
MANN: (Betroffen.) Mit welchem Anton?