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Язык: Русский
Год издания: 2020
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Die Sonne ging gerade auf und er wusste, dass es ein schöner Tag werden sollte. Er liebte den Geruch der Felder und die Geräusche der Rinder.

Er hatte jahrelang auf größeren Viehfarmen und mit größeren Herden gearbeitet. Aber dies war sein eigenes Land, seine eigenen Tiere. Er war dabei, die Tiere zu füttern und sie nicht künstlich mit Getreide und Hormonen zu mästen. Das war eine Verschwendung der Ressourcen und das Vieh, das zum bloßen Fleischverzehr hochgezüchtet wurde, hatte ein elendes Leben. Er fühlte sich gut mit dem, was er tat.

Er hatte alle seine Ersparnisse in den Erwerb dieser Farm und einen Grundstock an Vieh gesteckt. Er wusste, dass es ein großes Risiko war. Aber er glaubte fest daran, dass es eine echte Zukunft für den Verkauf von Rindfleisch gab, bei dem die Tiere mit Gras gefüttert wurden. Es war ein Wachstumsmarkt.

Die einjährigen Kälber standen in Grüppchen um die Scheune herum, wo er sie letzte Nacht umzäunt hatte, damit er ihren Gesundheitszustand und ihr Heranwachsen überprüfen konnte. Sie beobachteten ihn und muhten sanft, so als ob sie auf ihn warteten.

Er war stolz auf seine kleine Herde Black Angus Rindern. Manchmal musste er der Versuchung widerstehen, sie zu nahe an sich heranzulassen, wie wenn sie Haustiere waren. Sie waren schließlich Tiere, die zur Nahrungsmittelerzeugung gehalten wurden. Es wäre eine schlechte Idee, an irgendeines der Tiere sein Herz zu hängen.

Heute wollte er die einjährigen Kälber auf die Weide am Straßenrand treiben. Das Feld, auf dem sie jetzt standen, war schon abgegrast. Die Grasweide mit den guten Leguminosen am Rande der Straße stand zum Abweiden bereit.

Gerade als er das Gatter weit aufschwang, bemerkte er etwas Seltsames am anderen Ende der Weide. Es sah wie ein Gewirr oder Bündel auf der hiesigen Seite in der Nähe der Straße aus.

Er murmelte laut …

»Was auch immer es ist, es ist wahrscheinlich nichts Gutes.«

Er schlüpfte durch das geöffnete Gatter und schlug es hinter sich wieder zu. Er ließ die einjährigen Kälber kurz wo sie waren. Er wollte seine Bestände nicht auf das Feld treiben, bis er herausgefunden hatte, was es mit dem komischen Gegenstand auf sich hatte.

Als er über die Weide schritt, nahm seine Verwirrung weiter zu. Es sah wie ein riesiges Stacheldrahtknäuel aus, das von einem Zaunpfosten hing. War jemandem eine Rolle von dem Zeug vom Laster gefallen, die dort irgendwie hängengeblieben war?

Aber als er näher darauf zuging, sah er, dass es keine neue Rolle war. Es war ein Geflecht von altem Draht, das in alle Richtungen gewickelt war.

Das ergab doch keinen Sinn.

Als er das Bündel erreicht hatte und es anstarrte, merkte er, dass sich in der Mitte etwas befand.

Er lehnte sich in Richtung Knäuel, betrachtete es aus der Nähe und fühlte den plötzlichen, kalten Hauch des Entsetzens.

»Was zur Hölle!» schrie er gellend und machte einen Satz zurück.


Aber vielleicht war das nur seine Einbildung. Er zwang sich, nochmals hinzuschauen.

Da war es – das Gesicht einer Frau, blass, schmerzverzerrt und mit Wundmalen übersät.

Er griff nach dem Draht, um ihn von ihr runterzuziehen, aber das ließ er schnell sein.

Das macht gar keinen Sinn, stellte er fest. Sie ist tot.

Er stolperte zum nächsten Zaunpfahl hinüber, lehnte sich darauf und musste kräftig würgen.

Reiß dich zusammen, ermahnte er sich selbst.

Er musste die Polizei anrufen – und zwar gleich.

Er taumelte rückwärts und fing dann an, in Richtung Haus zu laufen.

Kapitel fünf

Special Agent Jake Crivaro richtete sich kerzengerade auf, als das Telefon in seinem Büro klingelte.

Es war schon wieder viel zu ruhig in Quantico gewesen – seit seiner gestrigen Rückkehr.

Nun sagte ihm sein Instinkt sofort …

Ein neuer Fall.

Das war ja klar. Sobald er den Hörer abgenommen hatte, hörte er die sonore Stimme von Erik Lehl, dem befehlshabenden Special Agent …

«Crivaro, ich brauche Sie sofort hier in meinem Büro.«

Jake legte auf und griff nach seiner Notfalltasche, die er immer bereithielt. Befehlshaber Lehl war gerade noch lakonischer gewesen als für gewöhnlich, was sicher bedeutete, dass es dringend etwas zu tun gab. Crivaro war sich sicher, dass er bald irgendwo hinreisen würde – vielleicht sogar schon in der nächsten Stunde.

Er fühlte sein Herz ein klein wenig schneller schlagen, als er den Flur entlangeilte. Es war ein gutes Gefühl. Nach seinem 10-wöchigen Arbeitspensum, wo er als Mentor im FBI-Honors-Praktikantenprogramm beschäftigt gewesen war, war dies nun eine willkommene Rückkehr zur Normalität.

Während der ersten paar Tage des Sommerprogramms musste er sich mit einem auswärtigen Mordfall befassen – der berüchtigte “Clown-Killer“ hatte zugeschlagen. Danach hatte er sich der profaneren Welt als Mentor gewidmet. Nur eine aus der Gruppe der Praktikanten – eine talentierte junge Frau namens Riley Sweeney, die einen zur Verzweiflung bringen konnte – hatte eine auffallende Brillanz gezeigt, ihm bei dem Fall zu helfen.

Dennoch – für seinen Geschmack war das Programm zu langsam verstrichen. Er war es nicht gewohnt, für eine dermaßen lange Zeit nicht im Feld zu arbeiten.

Als Jake Lehls Büro betrat, erhob sich der hoch aufgeschossene Mann von seinem Stuhl, um Crivaro zu grüßen. Erik Lehl war so groß, dass er in fast keinen der Räume passte, in dem er sich aufhielt. Andere Agenten sagten, dass es aussähe, als würde er auf Stelzen gehen. Für Jake sah es aus, als ob er aus Stelzen geschnitzt worden wäre – eine umständlich angeordnete Mischung aus verschiedenen Hölzern, die in ihren Bewegungen zu keinem Zeitpunkt perfekt koordiniert erschienen. Aber der Mann war ein Crack von einem Agenten gewesen und hatte seine Position in der Verhaltensanalyse-Einheit des FBI verdient.

»Richten Sie sich hier nicht gemütlich ein, Crivaro,« sagte Lehl. »Sie brechen gleich auf.«

Gehorsam blieb Jake stehen.

Lehl betrachtete den braunen Manila-Umschlag, den er in der Hand hielt und stieß einen grimmigen Seufzer aus. Jake hatte schon seit geraumer Zeit beobachtet, dass Lehl die Tendenz hatte, jeden einzelnen Fall äußerst ernst zu nehmen – man könnte sogar sagen persönlich. So als ob er sich bei jedweder Art von monströser Kriminalität persönlich beleidigt fühlte.

So war es auch nicht überraschend, dass Jake sich nicht daran erinnern konnte, Lehl jemals in froher Stimmung vorgefunden zu haben.

Denn schließlich …

Monster sind unser Geschäft.

Und Jake wusste, dass Lehl ihn nicht mit diesem besonderen Fall betrauen würde, wenn er nicht ungewöhnlich abscheulich wäre. Jake war so etwas wie ein Spezialist für Fälle, die der menschlichen Vorstellungskraft spotteten.

Lehl gab Jake den Manila-Umschlag und sagte, «Wir haben da eine wirklich hässliche Sachlage in West Virginia. Schauen Sie sich das mal an.«

Jake öffnete den Umschlag und entnahm ein schwarz-weißes Foto eines seltsamen Bündels, das aus Universalklebeband und Stacheldraht bestand. Das Bündel hing von einem Zaunpfahl. Jake brauchte einen Augenblick, um zu erkennen, dass das Bündel ein Gesicht und Hände hatte – und dass es eigentlich ein menschliches Wesen war. Offensichtlich tot.

Jake atmete scharf ein.

Selbst für jemanden für ihn, war das ein ziemlich grausiger Anblick.

Lehl hob an zu erklären, »Das Foto wurde vor ungefähr einem Monat gemacht. Die Leiche einer Angestellten eines Schönheitssalons namens Alice Gibson. Sie wurde mit Stahldraht verschnürt und von einem Zaunpfosten an der Landstraße gehängt – ganz in der Nähe von Hyland, West Virginia.«

»Eine ziemlich hässliche Sache,« sagte Jake. »Was machen die örtlichen Polizisten damit?«

»Sie haben einen Verdächtigen in Gewahrsam,« sagte Lehl.

Jakes Augen wurden vor Überraschung groß.

Er fragte: »Warum ist es dann ein Fall für das FBI?«

Lehl sagte: »Es haben gerade einen Anruf vom Polizeichef in Dighton hereinbekommen, einer Stadt in der Nähe von Hyland. Eine weitere Leiche in genauso einem Bündel wurde heute Morgen gefunden. Das Knäuel hing an einem Zaunpfahl an einer Straße außerhalb des Ortes.«

Jake fing an zu verstehen. Wenn man sich zum Zeitpunkt des zweiten Mordes im Gefängnis befand, hatte man als Verdächtiger ein ziemlich gutes Alibi. Und jetzt sah es so aus, als liefe sich der Serienmörder gerade warm.

Lehl fuhr fort: »Ich habe Anordnung erteilt, dass der aktuelle Tatort noch nicht untersucht wird. Darum müssen Sie sofort da hin. Es würde sich hier um eine vierstündige Fahrt durch die Berge handeln, darum wartet ein Hubschrauber am Landeplatz auf Sie.«

Jake war gerade dabei, sich zum Verlassen des Büros umzudrehen, als Lehl noch hinzufügte …

»Soll ich Ihnen einen Partner zuteilen?«

Jake machte auf dem Absatz kehrt und schaute Lehl an. Diese Frage hatte er nicht erwartet.

»Ich brauche keinen Partner,« erwiderte Jake. Aber ich brauche ein Spurensicherungs-Team. Die Polizisten im ländlichen West Virginia werden nicht genau wissen, wie sie am Tatort vorgehen müssen.«

Lehl nickte und sagte, »Ich trommle Ihnen das Team sofort zusammen. Es wird gleich mit Ihnen zusammen abfliegen.«

Als Jake aus der Tür trat, sagte Lehl noch …

»Agent Crivaro, früher oder später werden Sie wieder einen Partner brauchen.«

Jake zuckte unbeholfen mit den Schultern und antworte: »Wenn Sie das sagen, Sir.«

Mit einem leichten Knurren sagte Lehl: »In der Tat, das glaube ich. Es wird langsam einmal Zeit, dass Sie lernen, mit anderen nett umzugehen.«

Jake sah ihn überrascht an. Es kam selten vor, dass der schweigsame Erik Lehl etwas sagte, was auch nur im mindesten höhnisch klang.

Ich glaube, er meint wirklich, was er sagt, stellte Jake fest.

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließ Jake das Büro und durchquerte das Gebäude. Straffen Schrittes dachte er darüber nach, was Lehl zu ihm gesagt hatte – in punkto neuem Partner. Es war ja bekannt, dass die Arbeit im Feld mit ihm, Jake Crivaro, kein Zuckerschlecken war. Aber er war tatsächlich der Auffassung, dass er niemanden hart rannahm, der es nicht verdient hätte.

Sein letzter Partner, Gus Bollinger, hatte es ganz sicher verdient gehabt. Er war gefeuert worden, weil er die Fingerabdrücke auf einem wichtigen Beweisstück im Fall mit dem sogenannten „Zündholzbriefchen-Killer“ verwischt hatte. In Folge war der Fall ungelöst geblieben – und es gab nur wenig, was Jake mehr hasste als ungelöste Fälle.

Im Fall des „Clown-Killers“ hatte Jake mit einem Agenten aus D.C. namens Mark McCune gearbeitet. McCune war keine solche Katastrophe wie Bollinger gewesen. Aber er hatte dämliche Fehler gemacht und sich für Jakes Geschmack zu viel auf sich eingebildet. Jake war froh gewesen, dass sie nur bei diesem einen Fall Partner gewesen waren und dass McCune in D.C. geblieben war.

Als er auf das Rollfeld trat, wo der Hubschrauber auf ihn wartete, dachte er an jemanden, mit dem er erst vor kurzem zusammengearbeitet hatte …

Riley Sweeney.

Er war schon von ihr beeindruckt gewesen, seit sie ihm noch als Psychologiestudentin geholfen hatte, einen Serienmörderfall an der Lanton Universität aufzuklären. Als sie ihren Abschluss dort gemacht hatte, hatte er ein paar Fäden gezogen, damit sie ins Sommer-Praktikantenprogramm des FBI aufgenommen würde. Dadurch hatte er sich den Zorn einiger seiner Kollegen zugezogen. Vielleicht gegen besseres Wissen hatte er sie angestellt, damit sie ihn im Fall des „Clown-Killers“ unterstützte.

Sie hatte in der Tat eine außerordentliche Arbeit abgeliefert. Sie hatte auch wirklich himmelschreiende Fehler gemacht.

Und sie war noch weit davon entfernt, Befehlen zu gehorchen. Aber er kannte nur eine Handvoll Agenten – darunter einige mit reichlich Erfahrung – die solch eine starke Intuition hatten.

Er war auch einer davon.

Als Jake sich unter den kreisenden Rotoren duckte und in den Hubschrauber kletterte, sah er, wie das vierköpfige Team der Spurensicherung über das Rollfeld gelaufen kam. Dann kletterten auch sie in die Maschine und der Helikopter hob ab.

Es erschien ihm töricht, jetzt an Riley Sweeney zu denken. Quantico war ein großer Stützpunkt, und selbst wenn sie an der FBI-Akademie war, würden sich ihre Wege wahrscheinlich nicht mehr kreuzen.

Jake öffnete den Umschlag, um sich den Polizeibericht durchzulesen.

* * *

Nachdem der Helikopter die Gebirgskette der Appalachen hinter sich gelassen hatte, flog er über sanft gewellte Hügel, wo Black Angus-Herden in die Landschaft hingetupft grasten. Als der Hubschrauber zum Landeanflug ansetzte, konnte Jake erkennen, wo die Einsatzfahrzeuge der Polizei einen Abschnitt der Schotterstraße abgeriegelt hatten, damit Schaulustige vom Ort des Verbrechens ferngehalten werden konnten.

Das Flugzeug setzte auf der Grasweide auf. Jake und das Spurensicherungs-Team kletterten heraus und bewegten sich hinüber zu einer kleinen Gruppe uniformierter Menschen und einiger Dienstwagen.

Die Polizisten und das Team standen zu beiden Seiten des Stacheldrahtzauns, der die Straße an der Ecke der Weide säumte. Jake konnte etwas erkennen, das wie ein in sich verheddertes Drahtbündel aussah und an einem Zaunpfosten hing.

Ein kleiner, stämmiger Mann, der Jake in Größe und Statur ähnelte, trat aus der Gruppe, um ihn zu grüßen.

»Ich heiße Graham Messenger und bin hier in Dighton der Chief,« sagte er und schüttelte Jake die Hand. »Wir hatten hier eine ganze Reihe von ziemlich scheußlichen Vorfällen, zumindest für diesen Landstrich. Ich zeige Ihnen was.«

Der Chief ging voran zu dem Zaunpfosten, von dem unübersehbar das seltsame Bündel herabhing. Es wurde von Universalklebeband und Stacheldraht zusammengehalten. Wieder konnte Jake ein Gesicht und Hände erkennen, was darauf hindeutete, dass das Bündel in der Tat ein menschliches Wesen beherbergte.

Messenger sagte: »Ich nehme an, dass Sie bereits über Alice Gibson Bescheid wissen, das vorherige Opfer drüben aus der Nähe von Hyland. Das hier sieht schon wieder wie so ein verdammtes Ding aus. Dieses Mal ist das Opfer Hope Nelson.«

Crivaro sagte: »Wurde sie als vermisst gemeldet, bevor ihre Leiche gefunden wurde?«

»Ich fürchte ja,« antwortete Messenger und zeigte auf einen Mann mittleren Alters mit einem fassungslosen Gesichtsausdruck, der in der Nähe eines der Fahrzeuge stand. »Hope war mit Mason Nelson da drüben verheiratet – dem Bürgermeister hier. Sie arbeitete gestern Abend noch in ihrem Laden für landwirtschaftlichen Bedarf hier, der den beiden gehört. Sie kam aber nicht zur gewohnten Zeit zurück. Nelson rief mich mitten in der Nacht an und klang ziemlich alarmiert.«

Der Chief zuckte schuldbewusst mit den Schultern.

»Na ja, ich bin schon ein wenig Leute gewöhnt, die für ein Weilchen verschwinden und dann irgendwann wieder auftauchen. Ich habe Mason gesagt, dass ich mich heute drum kümmern würde, falls sie nicht wiederkommt. Ich hatte ja keine Ahnung …«

Messengers versagte die Stimme. Dann seufzte er, schüttelte den Kopf und setzte hinzu …

»Den Nelsons gehört so ziemlich viel hier in Dighton. Sie waren immer gute, anständige Leute. Die arme Hope hat das nicht verdient. Aber ich schätze mal, dass das niemand verdient.«

Ein weiterer Mann trat hinzu. Er hatte ein langes, schon ziemlich gealtertes Gesicht, weißes Haar und einen buschigen, altmodischen Schnurrbart. Chief Messenger stellte ihn als Hamish Cross vor, den obersten Gerichtsmediziner im Regierungsbezirk. Er kaute auf einem Halm herum und schien ziemlich entspannt zu sein. Was hier vorging, interessierte ihn anscheinend nur milde.

Er fragte Jake: »Schon mal so was gesehen?«

Jake antwortete nicht. Die Antwort lautete natürlich nein.

Jake bückte sich hinunter zu dem Bündel und untersuchte es aus der Nähe.

Er sagte zu Cross: »Ich nehme an, dass sie am ersten Mordfall gearbeitet haben.«

Cross nickte, bückte sich auch neben Jake und zwirbelte den Halm im Mund.

«Oh ja,« antwortete Cross. »Und dieser Mordfall ist fast identisch. Sie ist nicht hier gestorben, so viel ist sicher. Sie wurde entführt, erst mit Universalklebeband, dann mit Stacheldraht eingewickelt und ist langsam verblutet. Entweder das oder sie ist vorher erstickt. Wenn sie derart eng eingeschnürt wurde, wird sie kaum in der Lage gewesen sein, zu atmen. Das ist alles woanders passiert – es gibt es kein Anzeichen dafür, dass hier Blut geflossen ist.«


Jake konnte erkennen, dass Hopes Gesicht und Hände fast so weiß wie Papier waren. Sie glänzten in der späten Morgensonne wie Teile aus Porzellan. Die Frau sah für Jake einfach nicht nach einem echten Menschen aus, sondern eher wie eine Art grotesker Skulptur, die einem kranken Hirn entsprungen war.

Ein paar Fliegen kreisten um die Leiche. Sie landeten, wanderten darauf umher und flogen dann wieder weg. Dann begann das ganze Spiel wieder von vorne. Es sah so aus, als wüssten sie nicht, was sie mit diesem mysteriösen Objekt anfangen sollten.

Jake erhob sich und fragte Chief Messenger: »Wer hat die Leiche gefunden?«

Wie als Antwort darauf, hörte Jake die Stimme eines Mannes rufen …

»Was zum Teufel ist hier los? Wie lange dauert das denn noch?«

Jake drehte sich um und erblickte einen langhaarigen Mann mit einem zottligen Bart, der in ihre Richtung kam. Die Augen sprühten vor Zorn und seine Stimme klang schrill und zitterte.

Er rief: «Verflucht nochmal, wann nehmen Sie endlich dieses – dieses Ding ab? Das ist doch eine Riesen-Schererei – ich muss meine Rinder wegen all dem hier auf einer abgegrasten Weide lassen. Wie lange dauert das denn noch?«

Jake wandte sich Hamish Cross zu und sagte leise zu ihm …

«Sie können die Leiche jederzeit wegbringen.«

Cross nickte und erteilte seinem Team die nötigen Befehle. Dann führte er den wütenden Mann sachte weg und sprach mit ihm in leisem Tonfall. Offensichtlich beruhigte ihn das.

Chief Messenger erklärte Jake …

»Das ist Guy Dafoe, dem dieser Grund gehört. Er ist Biobauer – unser Hippie hier, könnte man wohl sagen. Er ist noch nicht lange da. Es hat sich herausgestellt, dass man in dieser Region gut Biorinder halten kann, die mit Gras gefüttert werden. Die Biolandwirtschaft hat die örtliche Wirtschaft wirklich angekurbelt.«

Messengers Handy klingelte und er nahm das Gespräch an. Er hörte einen Augenblick zu und sagte dann zu Jake …

»Dave Tallhamer ist dran, der Sheriff drüben in Hyland. Vielleicht haben Sie schon gehört, dass ein Tatverdächtiger im ersten Mordfall in Gewahrsam genommen wurde – sein Name ist Philip Cardin. Er ist der Ex-Mann des ersten Opfers und ein schlimmer Typ, der kein Alibi vorzuweisen hatte. Tallhamer dachte, dass er es totsicher gewesen wäre. Aber ich schätze, dass dieser neue Mordfall die Sachlage ändert, oder? Dave will wissen, ob er den Kerl gehen lassen soll.«

Jake dachte für einen Augenblick nach und sagte dann …

»Nicht bis ich die Gelegenheit hatte, mit ihm zu sprechen.«

Chief Messenger blinzelte neugierig und sagte: »Ähem, ist er nicht so ziemlich vom Haken, wenn eine andere Frau getötet wird, während er im Gefängnis sitzt?«

Jake unterdrückte einen Seufzer der Ungeduld.

Er wiederholte einfach: »Ich möchte mit ihm sprechen.«

Messenger nickte und vertiefte sich wieder in das Telefonat mit dem Sheriff.

Jake wollte sich jetzt im Moment nicht in Erklärungen ergehen. In Wahrheit wusste er gar nicht, dass gegenwärtig ein Verdächtiger in Untersuchungshaft saß. Nicht einmal, warum er verdächtigt wurde. Alles, was Jake wusste, war, dass Philip Cardin vielleicht einen Komplizen hatte, der den zweiten Mord begangen hatte. Vielleicht gab es auch etwas anderes …

Der Himmel weiß, was hier wohl los ist.

Zu diesem Zeitpunkt der Untersuchung gab es immer tausend Fragen und keine Antworten.

Jake hoffte, dass sich das schnell ändern würde.

Während Messenger weiter telefonierte, ging Jake zum Ehemann des Opfers hinüber. Er lehnte an einem Streifenwagen und starrte vor sich hin.

Jake sagte: »Mein aufrichtiges Beileid, Mr. Nelson. Ich bin Special Agent Jake Crivaro und ich bin hier, um den Mörder ihrer Frau zur Rechenschaft zu ziehen.«

Nelson nickte fast unmerklich, als ob es ihm kaum bewusst war, dass jemand mit ihm sprach.

Jake sagte mit fester Stimme: »Mr. Nelson, habe Sie irgendeine Vermutung, wer das getan hat. Oder aus welchem Grund?«

Nelson sah in mit einem benommenen Gesichtsausdruck an.

»Was?« sagte er. Dann stieß er mehrmals hervor: »Nein, nein, nein.«

Jake wusste, dass es keinen Sinn machte, dem Mann noch mehr Fragen zu stellen, wenigstens nicht im Augenblick. Er befand sich ganz klar in einem Schockzustand. Das war kaum überraschend. Nicht genug damit, dass seine Frau tot war. Auch die Art, wie sie gestorben war, war besonders grotesk.

Jake bewegte sich zurück zum Tatort. Das Spurensicherungs-Team war dort schwer beschäftigt.

Er sah sich um und stellte fest, wie abgelegen dieser Ort zu sein schien. Wenigstens gab es keine Menge an Schaulustigen, die hier herumlungerte …

Bisher kein Anzeichen, dass sich die Presse schon einfände.

Aber genau in diesem Moment hörte er das Geräusch eines weiteren Helikopters. Er sah nach oben. Die Maschine eines TV-Senders setzte zum Landen auf der Weide an.

Jake tat einen schweren Seufzer und dachte …

Der Fall wird nicht leicht.

Kapitel sechs

Riley fühlte ein starkes, erwartungsvolles Kribbeln, als der Sprecher vor die ungefähr 200 Rekruten trat. Der Mann sah aus, als gehöre er in eine andere Zeit, mit seinem schmalen Reverskragen, der schmalen schwarzen Krawatte und dem Bürstenhaarschnitt. Er erinnerte Riley an Fotos von Astronauten aus den 1960er Jahren. Er sortierte einige wenige Karteikarten, dann ließ er den Blick über sein Publikum schweifen, während Riley auf seine lobenden Worte wartete, mit denen er alle willkommen hieß.

Der Direktor der Akademie, Lane Swanson, hob auch beinahe ihren Erwartungen entsprechend an …

»Mir ist bewusst, dass Sie alle hart gearbeitet haben, um sich auf diesen Tag vorzubereiten.«

Mit einem halben Lächeln fügte er hinzu …

»Jetzt darf ich Ihnen allerdings sagen, dass Sie nicht vorbereitet sind. Keiner von Ihnen ist vorbereitet.«

Ein vernehmbares Raunen ging durch das Auditorium und Swanson machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen.

Dann fuhr er fort: «Darum geht es in diesem zwanzigwöchigen Programm – Sie so gut wie möglich auf ein Leben bei der zentralen Sicherheitsbehörde der Vereinigten Staaten, dem FBI, vorzubereiten. Und ein Teil davon besteht darin, die Grenzen Ihrer Vorbereitung kennenzulernen: Wie man mit unerwarteten Dingen umgeht, wie man genau in dem Moment schnell überlegt, wo man gefordert ist. Denken Sie immer daran – die FBI-Akademie wird mit gutem Grund als „West Point der Strafverfolgung“ bezeichnet. Wir haben hohe Standards. Nicht alle von Ihnen werden sie erreichen. Aber diejenigen von Ihnen, die sie erreichen, werden für die Aufgaben vorbereitet sein, die vor Ihnen liegen – so gut man nur hoffen kann.«

Riley hing wie gebannt an Swansons Lippen, als er über die Standards der FBI-Akademie referierte: die Sicherheitsförderung, den Kameradschaftsgeist, die Uniformität, die Eigenverantwortlichkeit und die Disziplin. Anschließend sprach er über den straffen Stundenplan – die Kurse in allen Fachbereichen, angefangen von Gesetz und Ethik bis zu Befragungstechnik und Spurensicherung.

Riley wurde bei jedem seiner Worte nervöser, als ihr klar wurde …

Ich bin keine Praktikantin mehr.

Das Sommerprogramm schien im Vergleich dazu, was sie jetzt erwartete, eine Teenie-Freizeit gewesen zu sein.

War sie dem hier überhaupt gewachsen?

War das mit der Akademie eine schlechte Idee gewesen?

Erst einmal fühlte sie sich wie ein Kind, als sie die anderen Rekruten auf ihren Stühlen betrachtete. Kaum jemand war in ihrem Alter. Sie hatte den Eindruck, als sie die Gesichter um sich herum betrachtete, dass fast alle schon nach einer gewissen Erfahrung aussahen – einige hatten wahrscheinlich sogar beträchtlich mehr Erfahrung als sie. Die meisten waren älter als 23 Jahre und einige sahen nach der maximalen Altersgrenze für neue Rekruten aus, die bei 37 Jahren lag.

Sie wusste, dass die Rekruten verschiedenster Herkunft waren und aus den unterschiedlichsten Arbeitsfeldern stammten. Viele waren Polizeivollzugsbeamte gewesen, viele hatten im Militär gedient. Andere hatten als Lehrer, Rechtsanwälte, Wissenschaftler und Geschäftsleute gearbeitet und zeitweise noch viele andere Beschäftigungen innegehabt.

Aber eine gemeinsame Sache gab es – die absolute Verpflichtung, für den Rest des Lebens im Dienste der Strafverfolgung zu stehen.

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