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Aus meinem Leben. Zweiter Teil
Aus meinem Leben. Zweiter Teil

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Aus meinem Leben. Zweiter Teil

Язык: Немецкий
Год издания: 2018
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„Haltet treu und fest an der Organisation, sie muß uns zum Siege führen“, und schloß: „Es lebe Ferdinand Lassalle! Es lebe der von ihm gestiftete Allgemeine Deutsche Arbeiterverein! Es lebe die Organisation!“

Schweitzer dankte für seine Wahl in einer Ansprache, die ebenso schwülstig und emphatisch war wie jene Mendes. Der Schluß lautet:

„Wohlan denn! Namens des hingegangenen Meisters, der euch alle, ihr Arbeiter, aus dem Schlummer geweckt – namens des souveränen Volkes unserer Partei, das mich zum Führer erkoren – namens eurer leidenden Brüder auf der ganzen Erde, entfalte ich die Fahne und trage sie voran. Festgeschlossen in Reih' und Glied, ihr Arbeiterbataillone, folget dem erwählten Führer.

Hoch die Manen Lassalles! Hoch die sozialdemokratische Agitation!“

So die beiden Auguren, beide, wie sich nachher sehr bald herausstellte, betrogene Betrüger. Darauf ordnete unter dem 10. Juli Schweitzer die Wahl der vierundzwanzig Vorstandsmitglieder an, für die er die Kandidatenliste vorschlug. Der Vorstand wurde wieder in früherer Weise, über Deutschland verteilt wohnend, gewählt.

Im „Sozialdemokrat“ vom 14. Juli machte Schweitzer bekannt, der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein werde sich auf dem von uns berufenen sozialdemokratischen Kongreß vertreten lassen und veröffentlichte eine Reihe von Resolutionen, die seine Anhänger auf dem Kongreß zur Annahme vorschlagen sollten. Hinter unserem Kongreß, hieß es in der betreffenden Nummer, stehe die ganze liberale Bourgeoisie in allen ihren Schattierungen. Von straffer, einheitlicher Organisation könne natürlich bei uns unter einem Regiment von Literaten, Schulmeistern, Kaufleuten usw. keine Rede sein. Jeder dieser Leute müsse Gelegenheit haben, sich recht wichtig zu machen. Die gesamte Bourgeoispresse stehe uns zu Gebot, log er weiter. Er werde dafür sorgen, daß eine entsprechende Anzahl Delegierter auf den Eisenacher Kongreß komme, aber keine Literaten und Bourgeois, sondern wirkliche Arbeiter.

Von den Literaten, Schulmeistern, Kaufleuten usw., aus denen allein unsere Partei bestehen sollte, sprach er von jetzt ab nicht anders als von Achtels- und Viertelsintelligenzen.

Unter dem 17. Juli forderte das „Demokratische Wochenblatt“ Schweitzer auf, nicht nur seine Werkzeuge nach Eisenach zu schicken, sondern selbst zu kommen. Ein Wort bei der Berliner Polizei, und der Urlaub werde ihm bewilligt, falls Herr v. Schweitzer sich überhaupt noch anstandshalber sollte einsperren lassen.

Das letztere zog Schweitzer vor. Er veröffentlichte, datiert vom 17. Juli, einen langen Aufruf „An die Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“, worin er noch einmal einen Ueberblick über die vorhandenen Wirren gab und eine Anzahl Versprechungen machte, die er nach seiner Freilassung aus der Haft erfüllen wolle. Er schloß den Aufruf mit den Worten:

„Behaltet mich in gutem Andenken, wie auch ich inmitten meiner Kerkermauern eurer gern gedenken werde. Ich scheide von euch mit dem Rufe: Auf frohes Wiedersehen bei der alten Fahne! Es lebe der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein!“

Der Rest der Haft, den er jetzt „hinter Kerkermauern“ verbüßen sollte, betrug noch acht Wochen, die er in Rummelsburg mit Kahnfahrten auf dem See und anderen Annehmlichkeiten verbrachte.

Man vergegenwärtige sich jetzt folgendes. Ende November ging Schweitzer zur Verbüßung einer dreimonatigen Haft ins Gefängnis. Gegen Ende Dezember wird er wegen Ordnung von Familienverhältnissen infolge seines Vaters Tod auf acht Tage beurlaubt; er bleibt aber sieben Wochen frei, betreibt in dieser Zeit unter den Augen der Polizei und der Behörden eine intensive politische Agitation und tritt erst am 18. Februar wieder die Haft an. Am 4. März erweist ihm die Regierung abermals den Dienst, ihn wegen Eröffnung der Reichstagssession aus der Haft zu beurlauben. Die Session wird am 22. Juni geschlossen, aber Schweitzer bleibt wieder frei und betreibt abermals bis zum 19. Juli unter den Augen von Polizei und Behörden eine intensive politische Agitation. Alsdann beliebt es ihm, die Haft wieder anzutreten.

Dergleichen war weder vor noch nach Schweitzer in Preußen je möglich. Als zum Beispiel 1868 Dr. Guido Weiß wegen Preßvergehen zu 14 Tagen Gefängnis verurteilt wurde, überfielen ihn einige Polizisten morgens 6 Uhr im Bett und transportierten ihn ins Gefängnis. Diese brutale Methode, politisch Verurteilte in frühester Stunde aus dem Bette zu holen und ins Gefängnis zu schleppen, war jahrzehntelang Sitte bei der Berliner Polizei. Es sind noch nicht viele Jahre her, daß diese Sitte verlassen wurde. Schweitzer hatte sich nie über solche oder ähnliche Mißhandlungen zu beklagen. Er ging ins Gefängnis und verließ dasselbe, als wenn er ins Hotel ging und dasselbe verließ. Und jeden gewünschten Besuch konnte er empfangen. Das Mißtrauen gegen ihn war also zehnfach gerechtfertigt.

* * * * *

Kurz vor dem Eisenacher Kongreß glaubte Tölcke mir eine Stinkbombe an den Kopf werfen zu müssen, in der Hoffnung, mir politisch zu schaden. Er erklärte in Nummer 87 des „Sozialdemokrat“ vom 28. Juli, ich beziehe vom Exkönig von Hannover eine jährliche Besoldung von 600 Talern. Die Beschuldigung war blöde, aber es gab Leute im Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, die daran glaubten. So beschloß ich, Tölcke wegen verleumderischer Beleidigung zu verklagen. Ich bat den Parteigenossen Wilhelm Eichhoff in Berlin, mit Rechtsanwalt Hirsemenzel, damals der erste Rechtsanwalt Berlins, zu reden und ihn zu fragen, ob er den Prozeß annehmen werde. Hirsemenzel lehnte ab, und zwar weil bei dem Prozeß nichts herauskomme. Der Richter werde in der Behauptung, daß ich im Solde eines Fürsten stehen solle, nichts Ehrenkränkendes finden und eine Beweiserhebung darüber ablehnen. Tölcke würde also höchstens wegen Beleidigung verurteilt, womit mir nicht gedient sein könne. Weiter machte Hirsemenzel geltend, ließe ich den Grafen Platen, den Hausminister des Exkönigs von Hannover, als Zeugen darüber vernehmen, ob die Behauptung Tölckes wahr sei, so werde dieser schon der Konsequenzen halber das Zeugnis verweigern und dadurch erhalte die Behauptung Tölckes einen Schein von Berechtigung. Eichhoff richtete darauf zweimal ein Schreiben an Tölcke mit der Aufforderung, im „Sozialdemokrat“ die Beweise zu veröffentlichen, da er behauptete, ich stünde „erwiesenermaßen“ im Dienste des Exkönigs. Tölcke schwieg; ich richtete darauf ebenfalls eine Aufforderung an ihn, die Beweise zu veröffentlichen. Statt dessen wiederholte er seine Beschuldigung und forderte mich auf, ihn zu verklagen. Ich nannte ihn darauf einen gemeinen Verleumder und ersuchte ihn, mich vor dem Leipziger Gericht zu belangen, da der Ausgang des Prozesses in Berlin kein Resultat verspreche. Die Sache ging aus wie das Hornberger Schießen. Bracke gegenüber erklärte Tölcke, er selbst habe keine Beweise für seine Behauptung, aber ein Regierungsrat(!) habe die Behauptung aufgestellt und den könne er nur bei einer gerichtlichen Klage meinerseits als Zeugen zum Beweis seiner Angaben zwingen. —

Der Eisenacher Kongreß

Die Gründung der sozialdemokratischen Arbeiterpartei und die Auflösung des Verbandes der deutschen Arbeitervereine

Nachdem wir uns verständigt hatten, den Kongreß auf den 7. August nach Eisenach einzuberufen, erschien im „Demokratischen Wochenblatt“ vom 17.

Juli der Ausruf, der unterzeichnet war von 66 ehemaligen Mitgliedern des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins aus verschiedenen Orten, 114 Mitgliedern des Verbandes der deutschen Arbeitervereine – worunter ebenfalls eine Anzahl ehemaliger Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins waren —, einer Anzahl ehemaliger Mitglieder des Lassalleschen Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, vom Zentralkomitee der deutschen Arbeitervereine der Schweiz, vom Deutsch-Republikanischen Verein in Zürich; für die Arbeiter Oesterreichs von H. Oberwinder, H. Hartung, B. Beschan, A. Macher, A. Straßer-Graz, und für die deutsche Abteilung der Internationale in Genf von Joh. Phil. Becker. Der Ausruf lautete:

An die deutschen Sozialdemokraten!

Parteigenossen! In der jüngsten Zeit haben sich im Schoße unserer Partei Ereignisse vollzogen, die jeden ehrlichen Sozialdemokraten mit Freude erfüllen müssen. Der Bann, welcher bisher auf der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung lastete, ist gebrochen; die Selbstsucht einzelner, welche sich wie ein spaltender Keil in das Mark, in das Herz unserer Partei geschoben, ist entlarvt und niedergeschmettert, und es gilt nun, rasch zu handeln, damit die Früchte des Sieges uns nicht wieder entrissen werden und damit aus der heilsamen Revolution, welche sich soeben vollzogen hat, die Prinzipienreinheit und die einheitliche Organisation hervorgehen mögen, ohne die unsere Partei den ihr gebührenden Einfluß nicht ausüben, die ihr innewohnende Kraft nicht entfalten kann.

Lange, leider zu lange, war es dem Egoismus und der Bosheit einzelner möglich, die Partei in sich zu verfeinden. Doch eine neue Zeit ist angebrochen; mit ehernem Finger zeigt sie uns auf die Notwendigkeit hin, die Partei der gesamten sozialdemokratischen Arbeiter Deutschlands in sich zu einigen und dieselbe in die richtige, einzig zum Siege führende Bahn der auf internationaler Grundlage beruhenden, großen Arbeiterbewegung hinüberzuleiten.

Wer, der ein aufrichtig denkender Sozialdemokrat ist, sollte sich dieser Notwendigkeit verschließen können? Wer sollte die unberechenbaren Vorteile für unsere Partei nicht ahnen, die sich aus einer derartigen Einigung auf Grund einer gemeinsamen Organisation, eines gemeinsamen Programms, eines gemeinsamen Auftretens in der politisch-sozialen Welt ergeben? – Wir zweifeln keinen Augenblick daran, daß die große, die überwältigende Mehrheit unserer Parteigenossen der besseren Erkenntnis huldigt, daß sie gern und freudig die Hand zu dem stolzen Werke bietet, das endlich unsere Partei zur großartigen und wirksamen Machtentfaltung befähigt!

Von dieser Ueberzeugung durchdrungen, haben wir uns auf einer in Braunschweig am 6. Juli dieses Jahres stattgehabten Konferenz über die hierzu zunächst erforderlichen Schritte völlig verständigt und berufen hiermit in Gemäßheit des dort gefaßten Beschlusses einen allgemeinen deutschen sozialdemokratischen Arbeiterkongreß auf Sonnabend den 7. August, Sonntag den 8. August und Montag den 9. August nach Eisenach.

Auf die Tagesordnung des Kongresses sind, unbeschadet weiterer Anträge, folgende Punkte gesetzt: l. Die Organisation der Partei. 2. Das Parteiprogramm. 3. Das Verhältnis zur Internationalen Arbeiterassoziation. 4. Das Parteiorgan (Blatt). 5. Die Vereinigung der Gewerkschaften (Gewerksgenossenschaften).

Die auf diese fünf Punkte der Tagesordnung sich beziehenden spezielleren Anträge, zum Beispiel Vorlage betreffs der Parteiorganisation usw., werden ihrem Wortlaut nach spätestens Ende dieses Monats gedruckt versandt werden.

Die Delegierten (Abgeordneten) zum Arbeiterkongreß haben sich durch ein Mandat (Vollmacht), worin der Ort, für den sie abgeordnet sind, sowie die Zahl ihrer Wähler, die sie vertreten, angegeben sein muß, zu legitimieren. Es kann solche Legitimation erfolgen entweder durch Mandate, welche im Namen von Vereinen oder deren Mitgliedschaften, oder welche auch im Auftrag von zum Zwecke der Beschickung des Kongresses stattgehabten Volksversammlungen ausgestellt sind, oder endlich auch Mandate, welche mit den Unterschriften der an einem Orte anwesenden Parteigenossen versehen sind. Mehrere Orte, denen es zu schwer wird, je einen Delegierten zu senden, mögen zusammentreten, um mindestens gemeinsam einen Delegierten abzuordnen.

Es ist dringend notwendig, daß der Kongreß schon am Sonnabend den 7. August, abends 8 Uhr, eröffnet wird, damit die Wahl des Bureaus und die Feststellung der Geschäftsordnung erfolgen kann, weshalb denn auch die Delegierten noch an diesem Tage (7. August) in Eisenach eintreffen wollen.

Wir geben uns der frohen Hoffnung hin, daß von allen Orten des großen Gesamtdeutschlands, wo die Arbeit im Kampfe mit der Kapitalmacht, wo der Volkswille gegen die staatliche Reaktion tagtäglich im Ringen nach Freiheit begriffen ist, Vertreter zum Kongreß abgeordnet werden – wir hoffen es zum Wohle und Wachstum der Partei, welche die politischen und sozialen Rechte des gedrückten Volkes mit Flammenschrift auf ihre Fahne schrieb.

Auf, Parteigenossen, zu wirken für den allgemeinen deutschen Arbeiterkongreß, zu wirken durch ihn für die Größe und Einheit der Partei!

Im weiteren berief ich im Auftrag des Vorortsvorstandes als Vorsitzender desselben für Montag den 9. August einen Vereinstag der deutschen Arbeitervereine nach Eisenach mit der Tagesordnung: 1. Bericht des Vorstandes. 2. Beratung über die Frage: Welche Stellung soll der Verband zu der neuen Organisation der sozialdemokratischen Partei einnehmen? Eventuell Auflösung des Verbandes.

Von den Einberufern des Kongresses erhielt ich den Auftrag, die nötigen Vorkehrungen für den Kongreß in Eisenach zu treffen, ferner einen Programm- und einen Organisationsentwurf auszuarbeiten und zur gemeinsamen Beratung vorzulegen. Bracke und Geib meinten, es sei an uns, die für passend erachteten Vorschläge zu machen. Liebknecht war mit der Redaktion des „Demokratischen Wochenblattes“ und der Polemik gegen den „Sozialdemokrat“ beschäftigt, so fiel mir die erwähnte Arbeit zu.

Ich betrachte noch heute mit einiger Heiterkeit die Schriftstücke, worin sowohl die königlich sächsische Staatsbahnverwaltung wie das Direktorium der damals privaten Thüringischen Eisenbahngesellschaft auf meine Gesuche mir anzeigten, daß sie die üblichen Fahrpreisermäßigungen für Besucher von Kongressen auch den Besuchern des in Eisenach stattfindenden sozialdemokratischen Kongresses gewährten. Heute geschähe dergleichen nicht mehr.

* * * * *

In eine kleine Verlegenheit brachte mich ein Artikel, in dem Joh. Phil. Becker im „Vorboten“ seine Ansichten über die Organisation der neuen Partei entwickelte. Der alte Jean Philipp war ein prächtiger Kerl, opferbereit, hingebend, unermüdlich bei Tag und Nacht, ein Haudegen, der wie 1848 und 1849 in der badischen Revolution als Oberst eines Freischarenregiments jetzt wieder bereit gewesen wäre, zu Pferde zu steigen. Auch wußte er aus seinem sehr bewegten Leben eine Menge Geschichten, Schnurren und Anekdoten zu erzählen, die er in äußerst lebendiger Weise zum Vortrag brachte. Ich habe mich öfter stundenlang über seine Erzählungen amüsiert. Aber von einer Parteiorganisation verstand er nicht allzuviel, und seine lange Abwesenheit aus Deutschland hatten ihn den deutschen Verhältnissen entfremdet. Statt einer geschlossenen, möglichst zentralisierten, aber demokratisch organisierten Partei, die fähig zu kräftigem Handeln war, wollte Becker eine Verbindung, die wohl die Propagierung der sozialdemokratischen Grundsätze betreibe, aber keine feste Parteiorganisation habe; sie müsse sich, wie er es nannte, einen stets wandelbaren und entwicklungsfähigen Charakter bewahren, und diese Verbindung sollte von Genf abhängen. Einen bezüglichen Entwurf hatte er im „Vorboten“ veröffentlicht und hoffte, daß der Eisenacher Kongreß ihm zustimmen werde. Dieser Artikel Beckers veranlaßte Marx, mir zu schreiben, daß sie mit demselben nichts zu tun hätten und die Ansichten desselben nicht teilten. Darauf antwortete ich Marx unter dem 30. Juli:

„Ihr werter Brief, den ich soeben empfangen, hat mir viel Freude gemacht. Ich habe die Vorschläge Beckers im ‚Vorboten‘ ebenfalls gelesen und muß gestehen, daß sie mich etwas unbehaglich stimmten, weil ich daraus zu ersehen glaubte, daß es Becker darum zu tun sei, die Leitung für Deutschland in bezug auf die Internationale in die Hände zu bekommen. Mein Entschluß war denn auch, auf dem Kongreß das unpraktische, ja unausführbare, Zeit und Geld kostende Projekt zu bekämpfen. Es freut mich nun, an dem Generalrat der Internationale selbst eine Stütze gefunden zu haben. Fürchten Sie deshalb nicht, daß ich Sie oder den Generalrat irgendwie nutzloser Weise in die Debatte hereinziehen werde; ich werde sogar versuchen, wenn Becker selbst oder ein anderer Vertreter aus Genf kommt, ihm privatim die Gründe auseinanderzusetzen. Auch können Sie im voraus versichert sein, daß Beckers Vorschlag weder von unserer Seite, noch von seiten der Opposition des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, noch von den schweizer oder österreichischen Vertretern unterstützt wird, ich müßte denn die Stimmung sehr schlecht kennen. Wie wir uns unser Verhältnis zur Internationale gedacht, werden Sie aus dem von mir entworfenen und von Braunschweig und Hamburg mitberatenen Organisationsentwurf, den das „Demokratische Wochenblatt“ diese Woche bringt, ersehen. Ich glaube, es ist die einzig richtige und mögliche Form.“

An I. Ph. Becker schrieb ich einen Brief im gleichen Sinne, in dem ich unter anderem auch ein Urteil über Schweitzer abgab, und zwar schrieb ich Becker mit Bezugnahme auf Schweitzers Plan, Delegierte zum Eisenacher Kongreß senden zu wollen:

„Es ist bei aller Pfiffigkeit Schweitzers doch eine große Dummheit, daß er seinen Coup selber verrät. Ich habe überhaupt im Zusammensein mit ihm, sowohl in Barmen-Elberfeld wie in Berlin, die Beobachtung gemacht, daß er, namentlich wenn man ihm persönlich gegenübertritt, sehr leicht den Kopf verliert und Dummheiten macht. Das böse Gewissen ist's, das ihm jederzeit die Besinnung raubt, sobald ihn einer an der Kehle packt.“

Ich möchte hier auch einige Worte über Schweitzers Aeußere verlieren. Schweitzer war von hoher, schlanker Gestalt und hatte bleiche, verlebte Gesichtszüge. Das braune Haar war dünn, ebenso die Bartkoteletten und der verzwirbelte Schnurrbart. Die Nase war ziemlich lang und gegen ihr Ende gebogen und spitz; hinter der Brille sahen ein paar kalte, glitzernde Augen hervor. Wenn er stand oder ging, legte er stets die Hände auf den Rücken und zog den Kopf zwischen die Schultern. Er mußte sehr blutarm sein, denn als ich ihm nach der Barmen-Elberfelder Affäre einmal in Berlin die Hand reichte, schauerte ich ein wenig zusammen. Es war, als hätte ich die kalte, feuchte Hand einer Leiche erfaßt.

* * * * *

Der Kongreß war von einer stattlichen Zahl von Delegierten besucht. Es waren 262 Abgeordnete anwesend, die 193 Orte vertraten. Darunter Johann Philipp Becker-Genf, Greulich und Dr. Ladendorf-Zürich, Oberwinder und Andreas Scheu-Wien, Hofstetten-Berlin. Sonnemann-Frankfurt war ebenfalls zugegen, er beteiligte sich auch einigemal an der Debatte. Von jetzt ab besuchte er aber keinen Arbeiterkongreß mehr; seine Hoffnungen, es könne noch zwischen der Arbeiterpartei und der Volkspartei zu einer Verständigung kommen, erfüllten sich nicht. Der Klassencharakter der Partei stieß ihn ab. Die „Schweitzerianer“, wie wir die Delegierten des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins jetzt nannten, waren ganz bedeutend schwächer vertreten, nicht halb so stark. Dieselben versammelten sich im „Schiff“, unsere Delegierten im „Goldenen Bären“. Da von den verschiedensten Seiten Mitteilungen gemacht wurden, daß die Schweitzerianer den Kongreß mit Gewalt sprengen wollten, begab ich mich zum Oberbürgermeister und zur Polizei, um zu hören, wie diese die Situation betrachteten, denn es lag uns selbstverständlich alles daran, den Kongreß abhalten zu können, sollten nicht die enormen Opfer umsonst gebracht worden sein. Die Erklärung lautete, daß wir die Versammlungen ganz nach Belieben wo und wie abhalten könnten. In Sachsen-Weimar gebe es kein Vereins- und Versammlungsgesetz, die Versammlungsfreiheit war also eine absolute. Weiter wurde mir versichert, daß die Polizei, falls die von uns getroffenen Anordnungen mit Gewalt gestört werden sollten, bereit sei, einzugreifen. Eine Aufforderung an die Schweitzerianer im „Schiff“, ihre Mandate abzugeben und dieselben gegen rote Legitimationskarten einzutauschen, verweigerten sie. Abends gegen 7 Uhr rückten sie dann über hundert Mann stark, unter Führung des Riesen Tölcke, in den „Goldenen Bären“. Ueber seine damalige Mission schrieb Tölcke später in seiner Schrift „Zweck, Mittel und Organisation des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“:

„Es war überhaupt eine beliebte Manier des Herrn v. Schweitzer, überallhin, wo es galt, in heißem Kampfe einen Strauß anzufechten, andere zu senden und diesen die Verantwortlichkeit der Partei gegenüber für ein etwaiges Mißlingen aufzubürden.“

Das war vollkommen zutreffend; Tapferkeit war nicht die Stärke Schweitzers, dagegen ließ sich damals Tölcke zu allem gebrauchen, wozu Schweitzer ihn benutzen wollte.

Als die Schweitzerianer in den „Goldenen Bären“ einrückten, fanden sie die Treppe von uns so stark besetzt, daß sie es vorzogen, ihre Mandate abzugeben. Am Nachmittag waren in einer Vorversammlung Geib und ich zu Vorsitzenden, Oberwinder und Quick-Genf zu Stellvertretern in Aussicht genommen worden. Es war weiter auf meinen Vorschlag zwischen uns vereinbart worden, daß, falls die Versammlung am Abend tumultuarisch verlaufe, Geib den Kongreß schließen solle. Alsdann solle ein neuer Kongreß auf Sonntag vormittag einberufen werden, zu dem nur Delegierte mit gelben Eintrittskarten Zutritt hätten.

Wie vorausgesehen, so kam es. Bei der Bureauwahl entstanden bereits die stürmischsten Szenen. Wir hatten, da die Beleuchtung eine elende war, am Bureautisch ein halbes Dutzend Flaschen, in deren Hälse wir Stearinlichter gesteckt, aufgestellt. Diese waren in beständiger Gefahr, umzufallen, und mußten mit den Händen gehalten werden. Schließlich nahm der Tumult so zu, daß Geib den Kongreß schloß und anzeigte, daß er einen neuen Kongreß für nächsten Vormittag 10 Uhr in den „Mohren“ berufe, an dem nur Delegierte mit gelben Legitimationskarten teilnehmen könnten.

Unser Coup war gelungen. Während der Nacht sichteten wir (Bracke, Geib und ich) die Mandate, suchten die der Schweitzerianer heraus, und Geib übersandte sie am frühen Morgen an Tölcke mit dem Ersuchen, er möge sie den betreffenden Delegierten aushändigen. Der Kongreß verlief alsdann ohne jede Störung.

Zu Berichterstattern über Programm und Organisation waren ich und Bracke bestimmt. J.Ph. Becker hatte es sich trotz all meiner Gegengründe nicht nehmen lassen, einen langen Antrag einzubringen, wonach die Partei sich „Allgemeiner deutscher sozialistisch-demokratischer Arbeiterverein, Bestandteil der internationalen Arbeiterassoziation“ nennen solle. Der Antrag fand keine Zustimmung. Programm und Organisation wurden mit geringen Aenderungen in der von den Einberufern vorgeschlagenen Fassung angenommen. Die neue Partei erhielt den Namen „Sozialdemokratische Arbeiterpartei“. Das angenommene Programm lautete:

Programm der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei.

I. Die sozialdemokratische Arbeiterpartei erstrebt die Errichtung des freien Volksstaats.

II. Jedes Mitglied der sozialdemokratischen Arbeiterpartei verpflichtet sich, mit ganzer Kraft einzutreten für folgende Grundsätze:

1. Die heutigen politischen und sozialen Zustände sind im höchsten Grade ungerecht und daher mit der größten Energie zu bekämpfen.

2. Der Kampf für die Befreiung der arbeitenden Klassen ist nicht ein Kampf für Klassenprivilegien und Vorrechte, sondern für gleiche Rechte und gleiche Pflichten und für die Abschaffung aller Klassenherrschaft.

3. Die ökonomische Abhängigkeit des Arbeiters von dem Kapitalisten bildet die Grundlage der Knechtschaft in jeder Form, und es erstrebt deshalb die sozialdemokratische Partei unter Abschaffung der jetzigen Produktionsweise (Lohnsystem) durch genossenschaftliche Arbeit den vollen Arbeitsertrag für jeden Arbeiter.

4. Die politische Freiheit ist die unentbehrliche Vorbedingung zur ökonomischen Befreiung der arbeitenden Klassen. Die soziale Frage ist mithin untrennbar von der politischen, ihre Lösung durch diese bedingt und nur möglich im demokratischen Staat.

5. In Erwägung, daß die politische und ökonomische Befreiung der Arbeiterklasse nur möglich ist, wenn diese gemeinsam und einheitlich den Kampf führt, gibt sich die sozialdemokratische Arbeiterpartei eine einheitliche Organisation, welche es aber auch jedem einzelnen ermöglicht, seinen Einfluß für das Wohl der Gesamtheit geltend zu machen.

6. In Erwägung, daß die Befreiung der Arbeit weder eine lokale noch nationale, sondern eine soziale Aufgabe ist, welche alle Länder, in denen es moderne Gesellschaft gibt, umfaßt, betrachtet sich die sozialdemokratische Arbeiterpartei, soweit es die Vereinsgesetze gestatten, als Zweig der Internationalen Arbeiterassoziation, sich deren Bestrebungen anschließend.

III. Als die nächsten Forderungen in der Agitation der sozialdemokratischen Arbeiterpartei sind geltend zu machen:

1. Erteilung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechtes an alle Männer vom 20. Lebensjahr an zur Wahl für das Parlament, die Landtage der Einzelstaaten, die Provinzial- und Gemeindevertretungen wie alle übrigen Vertretungskörper. Den gewählten Vertretern sind genügende Diäten zu gewähren.

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