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Vom Grafen Verzaubert
Also war der Mann nicht an Höflichkeiten interessiert. Das passte Hunter, da er nicht die Absicht hatte sich mit ihm anzufreunden. Er nahm einen weiteren Schluck, ließ dann die bernsteinfarbene Flüssigkeit methodisch in seinem Glas wirbeln. »Ich möchte Ihnen ein Angebot für Miss Woodcourts Cottage machen.«
»Das Grundstück ist nicht zu verkaufen.«
In der Tat eine seltsame Reaktion. Warum antwortete Wolfe so rasch? Hunter richtete seinen Blick auf den Mann. »Nennen Sie ihren Preis. Ich bin ein sehr wohlhabender Lord. Sicherlich können wir uns einigen.«
»Euer Wohlstand ist von keiner Bedeutung. Wie ich sagte, das Grundstück ist nicht zu verkaufen.«
Wolfes eisiger Tonfall gab ihm zu denken. Es wurde ihm in seiner Magengrube übel. Ein Bild von Miss Woodcourt kam ihm in den Sinn. Sie hatte gestern versucht ihre Besorgnis zu verstecken, aber die Anspannung ihrer Schultern, zusammen mit der Art und Weise, wie sie ihren Blick abwandte, hat sie verraten. Ein ursprüngliches Bedürfnis sie zu beschützen erfüllte ihn. Warum?
»Ich werde Ihnen das Doppelte von dem geben, was das Grundstück wert ist. Weitaus mehr, als was an Grundschuld noch geschuldet wird.« Hunter leerte sein Glas, nahm seinen Blick nicht von Wolfe. Nur ein Verrückter würde ein solch großzügiges Angebot ablehnen, und Wolfe schien zu gerissen, um wahnsinnig zu sein.
Wolfe schob seinen Stuhl zurück und erhob sich auf seine Füße. »Kein Betrag wird die Tatsache ändern, dass ich nicht verkaufe. Guten Tag, my Lord.« Er schritt zur Tür.
Hunter betrachtete die zurückweichende Gestalt des anderen Mannes mit zusammengekniffenen Augen. Er hatte anfänglich gedacht, dass Miss Woodcourt einen Fehler gemacht hatte. Eventuell war es ein Abrechnungsfehler. Er wollte das Grundstück kaufen, so dass er ihr das Cottage zurückgeben könnte. Jetzt hatte er keinen Zweifel, dass Wolfe etwas Schändliches anstrebte. Seit dem Moment, in dem er mitgemischt hatte, fühlte er sich aus Ehre verpflichtet Wolfe aufzuhalten. Er verließ das White’s auf demselben Weg, auf welchem Wolfe gegangen war.
Die Reise zurück zu seinem Stadthaus benötigte keine zehn Minuten. Hunter reichte dem Butler seinen Reitmantel und seine Handschuhe, bevor er ihn anwies nach Lady Julia zu schicken.
Die Erinnerung an Roses Auseinandersetzung mit Wolfe ließ ihn finster dreinblicken. Julias Dienstmädchen begleitete sie normalerweise bei Besorgungen. Er hatte sie aus Jux und Tollerei zu Miss Woodcourt begleitet. Wäre sie in Gefahr gewesen, wenn er nicht dort gewesen wäre? Wolfe wollte offensichtlich mehr als das Cottage. Ein Schauer durchlief ihn bei dem Gedanken. Was wäre wohl mit Miss Woodcourt passiert? Hunter schritt sein Büro der Länge nach ab.
Ein Rascheln von Röcken brachte seine Gedanken zurück zum gegenwärtigen Tag und er drehte sich an der Feuerstelle um. Julia bummelte zu ihm herüber und ließ einen Kuss auf seine Wange sinken. »Lieber Bruder, erzähl mir, warum du nach mir geschickt hast?«
Er trat zurück. Fragen wirbelten in ihren Augen und er grinste, griff nach ihrer behandschuhten Hand. Mit zweiundzwanzig war Julia vier Jahre jünger als er und Hunter war immer um sie herumscharwenzelt.
»Du siehst wie immer entzückend aus, meine liebste Schwester.« Es war ein Kompliment von Herzen. Sie war in einer grünen Seidenrobe mit einem passenden Bonnet gekleidet, das ihm frisches grünes Gras ins Gedächtnis rief. Lange weiße Handschuhe umhüllten ihre Hände und ein zarter Fächer schwang an ihrem Handgelenk. Hunter ließ sie los, nahm sich Zeit, um zu antworten.
»Oh, du bist mir vielleicht einer.« Sie schüttelte ihren Kopf, während sie sich daran zu schaffen machte ihr Bonnet zu entfernen. »Und du hast meine Frage nicht beantwortet.«
»Setzen wir uns doch.« Er bewegte sich zu einer blauen samtenen Chaiselongue.
Julia setzte sich gegenüber von ihm. Sie ließ ihren Fächer aus Spitze und Seide mit einem Schmunzeln aufschnappen. »Erzähl mir, um was es dir geht. Die Spannung bringt mich förmlich um.«
»Wie du wünschst. Ich möchte gerne das Datum deines nächsten Termins mit Miss Woodcourt wissen.« Er hatte in Betracht gezogen vorzuschlagen, dass Miss Woodcourt für die Anproben in ihr Stadthaus kommt, aber er wusste, dass ›Jewels‹, wie er seine Schwester seit der Kindheit nannte, zu viele Fragen stellen würde. Sie konnte es noch nie ausstehen im Dunkeln gelassen zu werden, aber er wollte seine Verdächtigungen nicht mit ihr teilen. Nicht wenn alles, was er hatte, eine Vermutung war. Er würde seine Schwester keinen Gefahren aussetzen.
Sie richtete ihren Blick auf ihn und ein Mundwinkel zog sich nach oben. »Hast du mich herübergerufen, nur um wegen meiner Kleider nachzufragen? Ehrlich, Hunter, hast du nichts Besseres zu tun?«
»Antworte mir einfach, Jewels.« Er trommelte mit seinen Fingern auf die Armlehne der Chaiselongue.
»Wenn ich das tue, wirst du mir dann erzählen, worum es bei dem Ganzen hier geht?«
Der kleine Kobold bestrebte mit ihm zu handeln. Sie hatte das getan, seitdem er sich erinnern konnte, hatte niemals Informationen abgegeben, ohne zuerst zu versuchen etwas für sich selbst zu erlangen. Manche Dinge änderten sich nie. »Beantworte einfach die Frage.«
»Oh, na schön. Aber sei dir gewiss, dass du überhaupt nicht spaßig bist.« Sie drehte ihren Fächer kreisförmig in der Luft. »Ich habe morgen eine Anprobe.«
»Ich werde dich begleiten«, sagte er in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. »Auf welche Stunde soll ich die Kutsche bestellen?«
»Später Morgen sollte genügen. Nun, erzähl mir, worum es hier geht.« Sie lehnte sich zu ihm, ihre Augen tanzten vor Heiterkeit. »Bist du hingerissen von Miss Woodcourt, lieber Bruder?«
Er stockte bei dieser absurden Annahme. »Du hast eine lebhafte Vorstellungskraft.« Miss Woodcourt faszinierte ihn, aber er liebäugelte nicht mit ihr. Tat er das? Das konnte er auf keinen Fall. Sogar wenn er für eine Ehefrau auf dem Markt gewesen wäre – was er absolut nicht war – war sie eine ungeeignete Partie. Wenn und falls er heiratete, musste es eine Frau aus gutem Hause sein.
Julia seufzte. »Gott sei’s geklagt. Sie ist eine entzückende Frau.«
Er rief sich Miss Woodcourts Bild ins Gedächtnis. Mit ihren feinen Gesichtszügen und ausdrucksvollen grünen Augen konnte man nicht abstreiten, dass sie ein hübsches Ding war. Aber er kannte eine Menge hübscher Mädchen. Attraktive aristokratische Damen passten weitaus besser zu ihm. Nein. Er fühlte mit Miss Woodcourts Notlage und beabsichtigte zu helfen, nicht mehr. Außerdem hatte er eine Pflicht Jewels zu beschützen.
»Ich wünsche lediglich dich zu begleiten, das ist alles. Ich vermisse es Zeit mit meiner kleinen Schwester zu verbringen.«
»Obwohl deine Worte liebreizend sind, glaube ich ihnen nicht.« Sie lächelte. »Gleichwohl werde ich deine Begleitung erlauben. Lass aber nicht auf dich warten. Ich werde ohne dich gehen, wenn du daran scheiterst um zehn Uhr morgens hier zu sein.« Jewels stand auf und glättete ihre grünen Röcke. »Ich muss jetzt nach Hause.« Sie ging zur Tür und hielt an. Sie wandte sich ihm zu, wobei ein heiteres Lächeln ihre Lippen wölbte, und sagte: »Du könntest es weitaus schlechter treffen als mit Miss Woodcourt.«
Hunter öffnete seinen Mund, um ein Argument vorzubringen, aber schloss ihn. Sie war verschwunden, bevor er sprechen konnte.
Nur Jewels würde verfechten, dass er ein gewöhnliches Fräulein heiratete. Er schüttelte seinen Kopf. Ganz London würde ihn bis in alle Ewigkeit brüskieren.
Verdammt! Jewels war in seinen Kopf gekommen. Bevor sie angekommen war, hatte er nicht einen Gedanken an Miss Woodcourt als Partie verschwendet. Er schüttelte seinen Kopf, um die lächerliche Vorstellung zu vertreiben.
Hunter schaute auf, als sein Butler das Zimmer betrat. »Lord Sinclair ist hier, um Euch zu besuchen, my Lord.«
Hunters langjähriger Freund, Garret Tumbly, Viscount of Sinclair, schlenderte in den Raum.
»Perfekter Zeitpunkt, Sinclair. Ich habe Bedarf an deiner Expertise.« Hunter rückte zum Dekanter mit Whiskey und füllte zwei Gläser.
Sinclair positionierte sich auf einem Ohrensessel mit vor sich ausgestreckten Beinen. Er nahm das Glas, das Hunter ihm reichte. »Ich komme dem gerne nach.«
Wenn ihm irgendjemand helfen könnte zu entdecken, was zwischen Wolfe und Rose im Gange war, dann Sinclair. Die zwei standen sich sehr nahe, nachdem sie sich in Eton trafen, eine Freundschaft, die während ihrer Tage in Oxford nur weiter gewachsen ist. Nun betrachtete er Sinclair mehr als Bruder als einen Freund.
Sie hatten beim Lösen von Mysterien während ihrer Schultage ihre Hände ausgespielt. Nichts zu Komplexes, aber Sinclair hatte seinen Anteil von Missetaten enträtselt, der Fall von Hunters fehlender Weste eingeschlossen. Wie sich herausstellte, hatte ein anderer Junge diese in der Hoffnung gestohlen, dass er ihn bestraft sah.
»Hast du vor mich den ganzen Abend lang auf die Folter zu spannen?« Sinclair nahm einen Schluck von seinem Whiskey.
»Ich habe über unsere Tage am Eton nachgedacht.«
»Ah, ja. Wir haben damals unseren gerechten Anteil an Krach geschlagen.«
»Ich muss das vielleicht wieder tun.«
Sinclair lehnte sich nach vorne. »Worauf hast du dich eingelassen?«
Hunter leerte den Inhalt seinen Glases. »Hast du etwas von einem Mr. Dewitt Wolfe gehört?«
»Bei dem Namen schlägt nichts in meiner Erinnerung an. Sollte es das?«
»Nein, aber die Situation wäre einfacher zu erklären. Der Mann scheint etwas genommen zu haben, das nicht ihm gehört.«
Ein langsames Lächeln breitete sich über Sinclairs Gesicht aus. »Ich muss zugeben, dass ich interessiert bin. Fahr fort. Erzähl mir alles, was es zu wissen gibt.«
Hunter lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück. Er wusste, dass Sinclair interessiert wäre. Jetzt hoffte er, dass sein Freund ein paar gute Ideen hätte. Er brauchte einen Schlachtplan – einen Weg, um Miss Woodcourt vor Wolfes Geschäften zu schützen. Er gab alles, was er von der Situation wusste, wieder.
Als er endete, bewegte er sich, um sein Glas wieder aufzufüllen.
»Woher weißt du, dass das Mädchen astrein ist?«
Wut stieg in Hunter auf, erhitzte seine Haut mehr, als die Spirituosen es könnten. »Ich war dort. Ich habe die Interaktionen mit meinen beiden Augen gesehen. Es ist nichts Unehrliches an Miss Woodcourt.« Er spähte Sinclair an.
»Sehr wohl. Wie wünschst du fortzufahren?« Sinclair stand auf, ignorierte Hunters Ausbruch der Gereiztheit und schlenderte zum Fenster. »Du brauchst Beweise, wenn es dein Wunsch ist zu sehen, dass ihm ein Verbrechen zur Last gelegt wird und ihr Grundstück an sie zurückgeht.«
Hunter griff nach dem Dekanter. Als ob er nicht selbst daran gedacht hätte. Das Problem war nicht, was er brauchte, eher wie man es bekam. »Hast du irgendwelche Weisheiten, wie ich besagten Beweis erlangen kann?«
»Ich habe vielleicht eine Idee.« Sinclairs Augen funkelten, als er sein leeres Glas hochhob. »Aber zuerst benötige ich einen Nachschlag.«
Hunter gluckste. »Mit einem klaren Kopf Ränke zu schmieden geht nicht an.«
»Das niemals.« Sinclair setzte sich wieder und stellte den Dekanter auf den nahen Tisch. »Du sagtest, dieser Wolfe-Kerl ist ein Geschäftsmann. Wenn ich einen Einsatz platzieren müsste, würde ich wetten, dass der Beweis, den du suchst, in seinem Büro ist.«
»Ja, mein Mann hat mich informiert, dass Wolfe ein Büro an den Docks unterhält, aber ich kann schlecht hineinschlendern und von ihm erwarten, dass er den Beweis aushändigt.«
Sinclair hielt Hunter den Dekanter hin. »Du hattest bis jetzt noch nicht genug zu trinken oder du würdest dies selbst sagen.«
»Was sagen?«
»Besorg eine Adresse. Morgen Nacht brechen wir ein.« Sinclair hielt sein Glas hoch.
Hunter grinste und griff nach dem Whiskey. Er füllte sein Glas, sein Blut raste plötzlich vor Aufregung.
KAPITEL 3
Roses Blut verwandelte sich zu Eis, gefror in ihren Adern. Sie blinzelte Mr. Wolfe an, als er gemütlich ihren Fußweg entlangging. Warum war er wieder hier? Ihr Grauen stieg mit jeder Stufe an, die er erklomm. Er war sicherlich zurückgekehrt, um abermals ihre Hand zu verlangen. Sie würde ihn niemals heiraten, um keinem Preis.
»Schau nicht so abgeschreckt drein, meine entzückende Blüte.« Ein lüsternes Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus, als er vor ihr anhielt.
Sie drückte ihre zitternden Hände in die Falten ihrer Robe. Es ginge nicht an, dass er sah, wie eingeschüchtert sie von seiner Anwesenheit war.
»Dein schicker Lord hat heute Nachmittag versucht das Cottage zu erstehen, aber sei ohne Furcht. Ich habe ihn abblitzen lassen.«
Obwohl ihr Herz wie eine Herde Pferde hämmerte, behielt sie ihre Augen fixiert auf Mr. Wolfes. Schicker Lord? Er muss Lord Aubry meinen, aber warum würde Lord Aubry ihr Cottage wollen?
»Sie hätten verkaufen sollen. Ich werde Sie niemals heiraten.« Sie starrte ihn wütend an, ihre Hände auf ihren Hüften.
Wolfe fuhr federleicht mit seinen Fingerspitzen über ihre Wange. »Sag niemals nie, Liebling.«
Ein Schauder durchlief sie und sie trat einen Schritt zurück. »Bitte behalten Sie Ihre Hände bei sich, Mr. Wolfe.«
Seine Augen verdunkelten sich und ein finsterer Blick ätzte tiefe Linien in sein Gesicht. »Das ist keine Art und Weise mit deinem Verlobten zu sprechen.« Er lehnte sich zu ihr hin. »Und täusche dich nicht, wir werden verheiratet werden.«
Roses Puls beschleunigte sich. Das war keine leere Drohung. Er hatte bereits bewiesen, wie weit er bereit war zu gehen. Es musste einen Weg geben, um ihn nicht zu heiraten. Sie ballte ihre Hände an ihren Seiten zu Fäusten. »Wie haben Sie es geschafft?«
Das bösartige Lächeln, das er ihr zeigte, kühlte sie bis zum Mark aus. Sie trat zurück und schnappte ihren Schal an der rauen Holzverkleidung des Cottages.
»Was geschafft, meine Liebste?« Er trat näher zu ihr hin, ließ sie sich fühlen wie ein Kaninchen, dass in einer Schlinge gefangen war.
»Wie haben Sie es scheinen lassen, als ob meine Grundschuld nicht bezahlt sei?«
Er lehnte sich sehr nah zu ihr hin, brachte seine Hand neben ihrem Kopf am Haus zum Liegen. Der Geruch eines ungewaschenen Körpers kombiniert mit seinem faulen Atem waberte herauf und brannte in ihrer Nase. »Das ist nicht von Bedeutung. Was getan ist, ist getan und soll derart bleiben. Wenn wir heiraten, werde ich dir das Cottage als Hochzeitsgeschenk zurückgeben.«
Sie wirbelte weg, bevor sie einige Schritte über die Veranda machte. »Sie können mein Zuhause verkaufen, es ist mir egal. Nehmen Sie alles, was ich habe und Sie werden mich dennoch nicht bekommen. Ich werde niemals Ihre Ehefrau sein.«
»Das werden wir sehen.« Seine letzten Worte hingen in der Luft, als er die Stufen herunter stampfte.
Rose sackte am Haus zusammen, während sie ihn beobachtete, wie er auf seinem Pferd davongaloppierte. Was sollte sie nur tun? Sie konnte ihn nicht heiraten. Ein Kloß formte sich in ihrer Kehle. Wie konnte ihr Vater sie einem solch abscheulichen Teufel versprechen?
Sie hob eine zur Faust geballte Hand an ihren Mund und zwang die Tränen zurück. Bekümmert zu sein würde die Situation nur noch schlimmer machen. Es musste einen Weg geben den Wahnsinn zu beenden. Sie straffte ihre Schultern, betrat das Cottage und machte sich auf den Weg in die Küche.
Der süße Geruch frischgebackener Törtchen beruhigte sie ebenso sehr wie der Anblick von Gran, die sich über einen Teigball beugte. »Dein Zuckerwerk riecht himmlisch.« Sie erzwang ein kleines Lächeln. Es würde nichts bringen Gran von ihrer Konfrontation mit Wolfe zu erzählen. Das Wissen würde nur dafür sorgen, dass die liebe alte Frau sich sorgte.
Grans Rock raschelte an ihrer gestärkten Schürze, während sie eine goldbraune und rote Torte zum Tisch trug. »Sie sind für die Devontons, aber ein Fehlendes wird nicht auffallen.« Sie legte ein heißes Gebäck vor Rose. »Wärst du ein Schatz und würdest sie für mich abliefern? Sie werden im Nu fertig sein.«
Rose nickte. Sie nahm einen Bissen, aber ihr verstimmter Magen weigerte sich sie ihren Leckerbissen genießen zu lassen. Ihr Bauch verkrampfte sich, während sie das köstliche Konfekt wieder auf den Teller legte.
»Stimmt etwas nicht?« Gran studierte Rose durch warme haselnussbraune Augen, ihre Brille rutschte ihre Nasenwurzel herunter.
Verflixt sei ihre Unfähigkeit ihre Emotionen vor Gran zu verbergen. »Es ist nichts, wirklich. Bitte mach kein Aufhebens.« Sie griff wieder nach dem Törtchen. Wie spatzenhirnig von ihr zu denken, dass sie Zeit in Grans Gesellschaft verbringen konnte, ohne dass die Frau ihre Verstimmung bemerkte.
Gran ließ ihre warme faltige Hand über Roses ruhen. »Ich werde nicht drängen, aber ich kann nicht anders als mich zu sorgen. Ich habe gesehen, wie Mr. Wolfe seinen Abschied nahm. Du bist mir sehr lieb und ich weiß, was er dir antut.« Sie drückte ihre Hand behutsam. »Wenn nur –«
Rose ließ das Gebäck zurück auf den Teller fallen. »Es hat keinen Nutzen, Gran. Wir können die Vergangenheit ebenso wenig verändern wie wir die Jahreszeiten kontrollieren können.« Sie hatte sich das selbst mindestens hundertmal gesagt, aber wenig Trost in ihren Worten gefunden. Es würde nichts bringen sich auf die Vergangenheit zu konzentrieren, wenn es ihre Zukunft war, die ausgebessert werden musste.
Gran bewege sich zurück zur Arbeitsplatte. »Alles wird sich einspielen, auf die eine oder andere Weise. Das muss es.«
»Ich glaube das auch, Gran.« Rose zwickte sich in den Nasenrücken und schaute aus dem Küchenfenster. Welch andere Wahl hatte sie denn?
Rose klopfte an die Tür der Devontons und schob ihr Kümmernis in ihren Hinterkopf. Sie hätte später genug Zeit ihre Situation zu bedenken. Einstweilen wünschte sie die Gesellschaft alter Freunde zu genießen. Die Devontons waren ein Teil ihres Lebens, seitdem sie sich erinnern konnte. Sie waren enge Freunde ihrer Großmutter ebenso wie langjährige Nachbarn. Nachdem sie ans Haus gebunden waren, hatte Gran es auf sich genommen nach ihnen zu sehen. Rose übernahm gerne die Aufgabe das Essen zu überbringen und Besorgungen für sie zu machen.
Die Tür öffnete sich ächzend. Mr. Devonton trat zur Seite, ein warmes Lächeln erleuchtete sein verwittertes Gesicht. Er lehnte sich mit einer Hand gegen die Wand. »Komm herein, Liebes.«
Sie grinste ihn ebenfalls an, während sie ihren Korb hob. »Gran hat mich geschickt, um etwas Obst und Törtchen zu bringen.«
»Welch angenehme Überraschung.« Sein Lächeln wurde breiter. »Komm doch herein.«
Rose trat in die altmodisch hübschen Räumlichkeiten, wobei der Korb an ihrem Arm baumelte. Sie nickte Mrs. Devonton zu.
Mr. Devonton schloss die Tür hinter ihr. Als er sich zurückdrehte, wackelte er auf seinen Füßen.
Sie ergriff ihn, bevor er fiel. »Erlauben Sie.«
Er schlang seinen Arm um sie, während sie ihn zu dem abgenutzten Sofa führte, wo Mrs. Devonton saß. Ihre schwindende Gesundheit brach Rose jedes Mal, wenn sie zu Besuch kam, ein bisschen mehr ihr Herz. Sie waren nicht mehr als Hüllen der Menschen, die einst mit ihr im Hof umher tanzten.
Ein Stöhnen rasselte aus Mr. Devonton, als er sich auf das Sofa senkte. Mrs. Devonton bot ein warmes Lächeln.
»Deine Gran ist die beste Bäckerin in London. Es ist immer eine angenehme Überraschung, wenn sie uns etwas ihrer Kost schickt.«
»Ich werde sichergehen, dass ich ihr erzähle, dass Sie das gesagt haben.« Rose begann den Korb zu entladen. Manche ihrer schönsten Erinnerungen beinhalteten das betagte Paar. Sie hatte Stunden mit ihnen verbracht, wenn Gran sie besucht hatte. Sie würde Gran und Mrs. Devonton mit der Hausarbeit oder Nähen helfen. Danach würde Mr. Devonton sie mit fantasiereichen Geschichten erfreuen.
»Ach, wenn ich ein bisschen jünger wäre, würde ich hinüberschleichen und mir selbst zu den Leckerbissen deiner Gran verhelfen.« Mr. Devonton gluckste. »Setz dich und plaudere für eine Weile mit uns.«
»Das würde ich sehr gerne. Lassen Sie mich diese nur erst wegräumen.« Rose nahm das Tablett mit den Obsttörtchen und bewegte sich auf das Schränkchen zu.
»Du bist sehr süß, Liebes.« Mrs. Devonton schob sich in eine stehende Haltung. »Erlaube mir dir zu helfen.«
»Das ist nicht notwendig. Es wird nur einen Moment benötigen.« Rose streifte an der Arbeitsplatte, als sie sich wieder ihrer Aufgabe zuwandte, und schlug das Tablett mit den Törtchen auf den Boden. »Du liebe Zeit. Setzen Sie sich wieder, während ich das sauber mache.« Sie bückte sich, um das eigensinnige Tablett aufzuheben, bevor sie die Zuckerware auf seiner kühlen Oberfläche stapelte. »Ich bitte um Entschuldigung. Ich habe sie alle ruiniert.«
»Reg dich deswegen nicht auf, Liebes. Nichts ist ruiniert.« Mr. Devontons Stimme erfüllte die Räumlichkeiten. »Sie sind noch essbar. Sammle sie einfach auf dem Tablett. Ein bisschen Hausstaub hat noch niemandem wehgetan.«
Eine Welle des Schocks ging durch Rose hindurch. Sie würde es nicht in Betracht ziehen Nahrung zu essen, die auf dem Boden gelandet war. Gleichwohl tat sie, wie er wünschte und sammelte die Leckerbissen wieder auf dem Tablett.
»Hättest du gerne ein bisschen Tee?«, fragte Mrs. Devonton, als Rose hochblickte. »Ich kann ihn zubereiten, während du die Törtchen wieder hinstellst.«
»Dafür gibt es keinen Bedarf. Ich bin fertig.« Sie stellte das Tablett auf die Arbeitsfläche. Sie wandte sich dem Paar zu und öffnete ihren purpurnen Umhang und hängte ihn an einen Haken nahe der Tür.
Die neueste Auseinandersetzung mit Wolfe raste durch ihren Verstand, während sie Tee zubereitete. Und täusche dich nicht, wir werden verheiratet werden. Ein Schauer durchlief sie. Sie würde eher sterben, als dass sie jemals zustimmte den niederträchtigen Mann zu heiraten.
»Du scheinst abgelenkt, Liebes. Halten wir dich von etwas ab?« Mr. Devonton tauschte einen Blick mit seiner Frau aus.
»Es würde nichts bringen zu leugnen, dass ich ein bisschen abgelenkt bin. Gleichwohl gibt es keine dringende Angelegenheit, die meine Aufmerksamkeit benötigt.«
Sie hatte nie zuvor eine größere Lüge erzählt. Sie musste nach Hause, so dass sie einen Weg finden konnte, um Wolfe zu vertreiben.
»Bitte hab nicht das Gefühl, dass du uns Gesellschaft leisten musst. Wir verstehen, dass du andere Verpflichtungen hast.« Mrs. Devonton lächelte, aber ihre grauen Augen schienen traurig.
»Unsinn. Sie sind am weitesten davon entfernt eine Pflicht zu sein. Ich betrachte Sie beide als Familie und genieße unsere Plaudereien. Es gibt keinen Grund, dass ich so früh gehe.«
Sie meinte jedes Wort ernst, aber gleichwohl fühlte sich Rose heute nicht wie eine gute Gesellschaft. Ihr Magen verspannte sich. Eventuell hätte Mr. Devonton eine Lösung.
Sie blickte ihn an, wie er neben seiner Frau saß, sein Rücken leicht buckelig. Nein. Sie würde sie nicht beunruhigen.
Rose schloss für einen Moment ihre Augen, verjagte die Gedanken an Dewitt Wolfe, bevor sie das Teetablett zur Sitzecke trug.
Nachdem sie ihren Tee genossen hatte, machte sie ihren Mantel fest, hob schwungvoll den leeren Korb auf und nahm Abschied. Die Unterhaltung mit den Devontons erwies sich genau als das, was sie brauchte. Sie schaffte es ihr Kümmernis für eine kurze Weile zu vergessen, aber die Zeit für sie war gekommen, um nach Hause zurückzukehren. Sie musste zur Realität zurückkehren – zurück zu Wolfes Drohungen.
Wenn sie nur eine Missetat von seiner Seite beweisen könnte. Sie trat nach einem Stein, als sie den bewaldeten Pfad betrat. Er hatte etwas Ungehöriges getan, um ihren Besitz zu erlangen, daran hatte sie keinen Zweifel. Gewiss mussten seine Handlungen kriminell gewesen sein. Wenn sie einen Beweis finden könnte, würde er vielleicht im Newgate Gefängnis enden.
Sie erinnerte sich an die Geschichte eines Juwelendiebs, die Mr. Devonton einst mit ihr geteilt hatte. Wenn nur … Sie schüttelte ihren Kopf, schob den törichten Gedanken beiseite. Junge Damen erwogen solche unziemlichen Gedankenstränge nicht.
KAPITEL 4
So sehr sie es auch versuchte, Rose konnte sich an keine hilfreichen Hinweise während ihrer Interaktionen mit Mr. Wolfe erinnern. Sie brauchte Hilfe professioneller Natur, aber die Behörden würden sie aufgrund ihres Mangels an Beweisen und Münzen nie beachten. Der Konstabler würde sie als verrückt erachten, wenn sie ihren Fall erzwang. Mr. Devontons Worte flüsterten ihr aus ihrem Hinterkopf zu. Ich würde hinüberschleichen und mir selbst dazu verhelfen.
Vielleicht war es letztendlich doch nicht so töricht ein bisschen Unziemliches zu tun, wo es Mr. Wolfe betraf. Wenn sie sich als Junge verkleidete, könnte sie in Wolfes Büro einbrechen. Dies zu tun könnte sich als fruchtbar erweisen. Sie könnte Beweise seiner Missetaten finden, etwas Handfestes, das sie zum Konstabler bringen konnte. Aber was, wenn sie erwischt würde?