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Halbtier
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Halbtier

Язык: Немецкий
Год издания: 2017
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„Mama, wie kannst du dir das von dem Flegel gefallen lassen?“

Karl stürzt wutbleich auf Isolde, die weiß sich aber zu wehren.

„Laß ihn doch,“ ruft Frau Doktor Frey, „erbittere ihn nicht. Du weißt, er muß heut abend noch arbeiten.“

„Ja wohl, ich soll mich schließlich von dem Bengel wiederhauen lassen! Jetzt müßte noch Emil kommen, der Großhirnmensch, der vor lauter Intelligenz nächstens durch das Examen purzeln wird.“

„Bst – bst!“ machte die Mutter, „Friede – Friede – Bedenke, daß du ein Mädchen bist.“

„Was soll man da bedenken? Daß i net lach!“ sagte sie ganz wie ihr Vater.

*

Am Abend, beim Ausziehen, als sie sich in ihrem Zimmer eingeschlossen hatten und die Mutter noch neben Karl in der Wohnstube saß, um den schläfrigen Burschen beim Arbeiten zu überwachen, gab es eine sonderbare Szene zwischen den Schwestern.

„Ide göh“, sagte Marie, „thu’ mir die große Lieb – schaff’ den da fort. Ich kann net schlafen, glaub mir. Ich mein, er lebt und wenn wir die Augen zumachen fliegt er im Zimmer ’rum und poltert an die Wand.“

Sie hatte ihren Kopf an Isoldes Wange gelehnt.

Da gewahrte sie, daß Isolde heiße Thränen weinte.

„Na, was denn?“

„Sammtaff, lieber,“ bat Isolde, „laß ihn mir! Es geschieht dir ja nichts. Er thut ja nichts – und mich freut’s so.“

„Wie kann denn dich das freuen,“ fragte Marie ganz betreten.

Isolde aber weinte so wild und schluchzend. „Ich möcht nur wissen, was man vom Leben hat – so was Fad’s! Bei uns is man so wie so geschlenkt. Es könnte ganz anders sein. – Weißt du was ich glaub? – Mama is dumm!“

Isolde schluchzte herzzerreißend. „Ide, Mama ist ein Engel! – thu keine Sünd.“

„Ja, eben ein Engel. Wer sagt dir denn, daß ein Engel net dumm ist! Weißt du, es ist komisch, aber manchmal kommt es so: da möcht ich den Leuten ins Gesicht schlagen.

Alle kriechen sie – alle – wenn man’s auch gar nicht merkt. Keins sagt und thut was es will!

Wir bilden uns nur ein, daß die Leut’ auf zwei Beinen gehn. Auf vieren gehen sie, – sie kriechen alle.

Mama liegt glatt auf dem Leib – überhaupt fast alle Frauenzimmer – du auch – du erst recht! Und die Männer erst! O Gott! – und wie!

Und was sie im Grund genommen für philiströse, heuchlerische Institutsvorsteher sind, wenigstens uns gegenüber.

Dann möcht ich noch auf jeden blank gewichsten Cylinder spucken, mitten darauf, wenn unter den Fenstern so einer vorübergeht – mitten auf die kleine, blankgebürstete Sonne, die oben spiegelt. So eine dumme, steife, kleinliche Sonne.

Ach, wie mich das alles aufbringt.

Und das Häßliche, mit dem man sich umgiebt!

Und das nennt man Leben!

Schau her, so ein Gelump wie da herumsteht!

Alles zum Fenster naus! Zum Kämmen ein widerlich riechender Kautschukkamm. – Ah! – die riechen alle und machen elektrische Funken! Pfui! – Gold muß es sein oder Elfenbein – dann!

Aber was ist das hier – von allem das Geringste, das Schäbigste. Talmi und unechte Spitzen!

So gemein! – so gemein! so gemein!“

Sie schluchzte.

„Was ich anfasse, soll schön sein, eine Freude – ein Glück!

Ich will Hemden mit echten Spitzen – echte Spitzen – reines Gold! Elfenbein! – auch Perlmutter!

Das ist’s! Das sind Dinge, die man in die Hand nehmen darf – nichts Andres!

Ach, wie man lebt, wie ein Schwein!“

Sie schluchzt und schluchzt.

„Nackt müßte man gehen dürfen und es müßte keine Schande sein.

Nackte, schöne Menschen. Gold, Elfenbein und Perlmutter! – das wär’ eine Welt! – Und dann – immer Seelenräusche.

So, wie meine Seelenräusche! So herrlich! – und eine Liebe dazu.

Seelenräusche und ganz wenig Sachen; aber alles schön zum anfassen, edel bis in den Kern.

Etwa keine japanische Holzpuderbüchse!

Aber wir leben im Schmutz.

Unter ekelhaften Lumpen kriecht das alles wie Gewürm, wie Mehlwürmer in der Kleie —

Und alle riechen mufflich – und sind mufflich durch und durch!

Oder, wenn man all das Herrliche, das, was sein müßte, nicht haben kann – dann gar nichts – aber auch gar nichts!

Die Haare mit den Fingern kämmen, ein Strohsack – eine wollene Decke – ein grobes Hemd – einen Strick um den Leib – das ist auch eine Welt! —

Aber nicht so wie wir!

Pfui der Plunder!

So ein Nähtischchen, so ein Ferkel von einem Nähtischchen!

So ein Tier von einer Bettvorlage!

Pfui! Pfui! Pfui! Pfui!“

Sie war vollkommen außer sich.

Marie hatte die größte Not die heftige jüngere Schwester zu beruhigen.

Sie kroch zu ihr ins Bett und hielt Isolde an sich gedrückt und vergaß ganz, daß der Schädel grinsend auf sie beide herab blickte.

Isolde schlief in den weichen, süßen Armen ein, ohne in ihr Nachtkleid geschlüpft zu sein, Hals und Arme entblößt. —

Und Marie schlich leise und scheu mit klopfendem Herzen und einem Grausen über den ganzen Leib nach ihrem schneeweißen Bettchen.

Sie fühlte wie der Schädel ihr spöttisch nachsah und sie wagte nicht sich umzuschauen.

Lange konnte sie keinen Schlaf finden und als sie endlich schlief, träumten ihr häßliche Dinge.

Der Schädel lebte wirklich und hatte es immer auf sie abgesehn, so schauerlich zudringlich.

Sie wachte ein paar Mal vor lauter Angst und Schrecken auf, hielt atemlos die Arme auf die Brust gepreßt, lag wie eine Statue so still und ließ alles Grauen über sich hingehen, ohne sich zu wehren.Für sie war mit dem Schädel ein nie gekannter böser, banger Geist ins Haus gekommen.

2

Acht Tage war der Vater schon auswärts.

Die Zurückgebliebenen hatten in dieser Zeit auch eine Art Sommerfrische durchgemacht, wenigstens eine Änderung ihrer Lebensweise. Mit dem Vater zugleich schien allerhand verschwunden zu sein.

Der sogenannte Salon und des Vaters Arbeitszimmer waren sofort, nachdem beide Räume sich einer gründlichen unerbittlichen Reinigung hatten unterwerfen müssen, abgeschlossen worden, und machten jetzt den Eindruck von Kirchen, so still und fast feierlich war es darin, und man lebte in den Schlafstuben.

Das Mittag- und Abendessen hatten ihre Hauptbestandteile eingebüßt. Gerichte, die wenig kosteten und sich leicht herstellen ließen, waren an der Tagesordnung, Kartoffeln und Häring oder Reisbrei. Nur Karl erhielt seine Kotelette, die wurde aber der Einfachheit halber gleich fix und fertig aus dem Gasthaus gegenüber geholt, in dem Arbeiter und arme Studenten ihre billigen Mahlzeiten hielten.Am Abend gab es Rettig und Butterbrot und Karl bekam seine Wurst.Mama ging den ganzen Tag in der Nachtjacke. Sie saß mit Marie und Isolde die meiste Zeit über einem Riesenkorb mit zerrissener Wäsche gebeugt.Zwei Tage hatten sie auch die Schneiderin im Haus und holten zwei Koteletten.Mama wollte in dieser Zeit helle Sommerkleider für ihre jungen Mädchen aus dem Wirtschaftsgeld herauspressen und war wie ein Jäger auf die Pirsch ausgezogen, um in allen erdenklichen Restegeschäften die Stoffe zu diesen Kleidern zu erlisten.Und sie hatte auch etwas erbeutet; hübsche Muhadjierstoffe, den Meter zu vierzig Pfennige.

Am Abend gab es Rettig und Butterbrot und Karl bekam seine Wurst.

Mama ging den ganzen Tag in der Nachtjacke. Sie saß mit Marie und Isolde die meiste Zeit über einem Riesenkorb mit zerrissener Wäsche gebeugt.

Zwei Tage hatten sie auch die Schneiderin im Haus und holten zwei Koteletten.

Mama wollte in dieser Zeit helle Sommerkleider für ihre jungen Mädchen aus dem Wirtschaftsgeld herauspressen und war wie ein Jäger auf die Pirsch ausgezogen, um in allen erdenklichen Restegeschäften die Stoffe zu diesen Kleidern zu erlisten.Und sie hatte auch etwas erbeutet; hübsche Muhadjierstoffe, den Meter zu vierzig Pfennige.

Und sie hatte auch etwas erbeutet; hübsche Muhadjierstoffe, den Meter zu vierzig Pfennige.

Wie sie zu Hause damit ankam! Aufgeregt wie ein Wilderer, der mit Lebensgefahr einen Rehbock erlegt hat und heimgeschleppt bringt.

Isolde hatte eine glänzende Idee, wie diese Kleider gemacht werden sollten. Anders als andere Leute sie gemacht hätten, ganz etwas Apartes.

„Bleib mir mit deinen glänzenden Ideen vom Leibe,“ sagte die Mutter bei solchen Anlässen gewöhnlich.

Aber diesmal hatte Isolde durchgesetzt was sie wünschte.

Sie bekamen lange Gewänder vom Hals an herabfallend, nur um die Mitte mit einem Seidenband lose gehalten, die Ärmel leicht und duftig wie Blütenkelche.

Und die Mutter schaffte ihnen noch braunlederne feine Halbschuhe an, statt daß sie sich selbst ein Sommermäntelchen gekauft hätte. Ihr altes ging immer noch ganz leidlich.

Die Kleider waren für beide Mädchen ein Ereignis, ein so viel versprechendes Ereignis. Die duftigen weißen Wolken mit den rosigen Streifchen trugen wie Zauberwolken alles Glück der Welt in sich.

Wie Heiligtümer wurden sie in den Schrank geschlossen und die Mädchen warteten nun der Dinge, die da kommen sollten.

Ganz umsonst konnten doch solche Kleider nicht im Schranke hängen!

Wegen des Schädels hatte es in dieser Zeit noch manchen Strauß gesetzt; aber er blieb auf seinem Postament. Und im Grund war es nur Mariens weicher Liebenswürdigkeit zu danken, daß Isolde ihn behalten hatte.

Marie hatte, so schwer es ihr geworden, klein beigegeben. Ihre behagliche Stube, ihr schneeweißes Bettchen aber waren ihr durch diesen Gast fremd und untraulich geworden, ihre Nächte wurden von schweren Träumen geplagt.

In Mariens weicher Seele hatten sich das Bild des Schädels und trübe Vorstellungen, die sein Anblick schuf, tief eingegraben.

Nie hatte sie noch an den Tod gedacht und jetzt war sie beim Dunkelwerden von bangen schreckhaften Todesahnungen ganz umgeben.

Es stand ihr zum ersten Mal greifbar vor der Seele, daß alle Menschen sterben müssen – das schauerliche Ende des wunderschönen Lebens – daß auch Mama sterben mußte!

Bei dem Anblick des Schädels konnte sie unmöglich ihre Phantasie auf das ewige Leben richten, trotzdem sie in der Schule gelernt hatte, daß es ein ewiges Leben gab.

Nein, der Schädel predigt ihr nur von dem in die Erde kommen, von dem zu Erde werden lieber Menschen. Arme – arme Mama!

Sie weinte oft nachts.

Hätte sie aber gewußt, weshalb Isolde den Schädel aufgestellt hatte, ihre weiche Seele wäre erschauert und sie hätte das große Opfer nicht gebracht. Wenn der Schädel wirklich in irgend etwas an Henry Mengersen erinnerte, von dem Isolde ihr gesprochen hatte, nein, dann gewiß nicht.

Marie ahnte aber von Isoldens Geheimnis nichts.

*

Es mußte gut zwei Uhr nachts sein. Alle schliefen, die laue Sommerluft drang durch die offenen Fenster. Da klang die Glocke kräftig und anhaltend. Jemand mußte von der Straße aus auf das Läutwerk gedrückt haben.

„Da schellen sie schon wieder, die Studenten unten,“ meinte Marie ganz schlaftrunken.

„Der Vater!“ Isolde saß aufrecht, aus dem Schlaf gescheucht, im Bett.

Auf dem Gang hörten sie schlürfende Schritte und sahen einen Schein durch das Glasfenster ihrer Thür.

„Es ist doch der Vater,“ meinte Marie. „Mama schließt die Thür auf.“

Mama wollte nicht, daß die Mädchen die Hausthür öffneten, wenn der Vater spät heimkehrte. Sie sollten ruhig in den Betten bleiben und schlafen.

So blieben sie ruhig liegen. Ehe die Mutter die zwei Treppen herabgekommen war, klingelte es noch einmal schrill und anhaltend, als stände ein auf Leben und Tod Verfolgter unten, der sich retten wollte.

„So macht’s Pa nachts doch immer,“ sagte Isolde.

*

„Sapperlot noch einmal! Liegt ihr denn alle miteinander auf beiden Ohren?“

Das war die Begrüßung, die Doktor Frey fürs erste seiner Frau zu Teil werden ließ, als diese die Thür geöffnet hatte.

„Da bist du ja“, sagte Mama. „Weshalb hast du denn aber nicht geschrieben?“

„Daß i net lach! Liebesbriefe etwa? He Alte?“

Ohne seine Antwort zu beachten, sagte sie: „Du hättest dann auf den schwarzen Kaffee nicht zu warten brauchen.“

„Sput dich halt.“

Sie nahm ihm das Köfferchen ab und trug es ihm nach.

„Geh in dein Zimmer, Heinrich!“ – Da war sie schon dabei, die Küchenlampe anzuzünden.

„Natürlich,“ rief Doktor Frey und rumorte mit aller Gewalt an der Thür, „den Schlüssel verschleppt!“

„Bst!“ machte Mama. „Du weckst sie ja! Hier ist der Schlüssel,“ flüsterte sie, reckte sich und langte auf den Schrank, der neben der Arbeitsstubenthür stand. „Hier.“

Doktor Frey hielt die Lampe, aber hielt sie bedenklich schief.

Die Frau streifte ihn mit einem einzigen langen Blick, wie ein Heizer etwa auf das Ventil seiner Dampfmaschine schaut, mit unendlicher Sachkenntnis.

Sie nahm Lampe und Schlüssel ihrem Mann aus den Händen und schloß die Thür auf.

„Der Kaffee kommt sofort.“

„Schlafen die Bamsen?“ fragte er ihr nach.

Sie hörte ihn nicht mehr.

Kaum aber brannte die Spiritusmaschine unter dem kleinen Schnellkocher, war er ihr auch schon nachgekommen und stand in der Küche.

Sie schaute erstaunt auf.

Seine Gewohnheit war das nicht.

„Na?“

Er schaute blinzelnd auf sie.

„Ein zartes Negligé thut oft viel größre Wunder!“ deklamierte er mit mächtiger Stimme.„Bst,“ machte sie.Sie stand in der Nachtjacke und in einem grauen Flanellrock vor ihm, die bloßen Füße in Bambuschen.„Allerliebst,“ meinte er.Er blinzelte weiter.„Waret ihr alle noch bei einander bis heut?“ Sie schüttete den gemahlenen Kaffee in den Trichter.„Unterschiedlich – aber sehr unterschiedlich.“„Wie?“ fragte sie.

„Bst,“ machte sie.

Sie stand in der Nachtjacke und in einem grauen Flanellrock vor ihm, die bloßen Füße in Bambuschen.

„Allerliebst,“ meinte er.

Er blinzelte weiter.

„Waret ihr alle noch bei einander bis heut?“ Sie schüttete den gemahlenen Kaffee in den Trichter.

„Unterschiedlich – aber sehr unterschiedlich.“

„Wie?“ fragte sie.

„Unterschiedlich!“ rief er mit donnernder Stimme.

„Was soll denn das heißen, Heinrich?“ mahnte sie mit sanftem Vorwurf.

„Schlafen die Bamsen?“

„Natürlich.“

„Was sagst du’s denn net früher. Weißt du wo wir waren?“

„Nein.“

„Heiliger Strohsack,“ seufzte er tief auf. „Ja – nein – nein – ja! – wie eine Maschine.

Ein Mann wie ich kommt nach Haus, – Gott sei’s geklagt, ein Mann, den sie die Tage her geradezu gefeiert haben, ein Mann, den sie auf Händen tragen, auf den sie, weiß Gott, hören und sich nicht Watte in die Ohren stopfen, wenn er redet; – ein Prophet – ein – ein – ein – und hier! …

Ich sag dir’s,“ donnerte er – denn er war in Begeisterung. Er fühlte und sah und empfand sich und seine eigene Größe.

„Stell dir einen in einem herrlichen Tempel vor, Licht, Glanz – Musik – schöne Weiber!

Er ist der Mittelpunkt. Lebensfreudigkeit, – Lebenshöhe – und der Erdboden thut sich auf und er rutscht ganz sachte, ohne sich weh zu thun in ein schwarzes Loch.

Da sitzt er nun!“ —

Doktor Frey seufzte tief auf und rieb sich die Nase.

„So kommt einer nach Hause!“

Mama maß ihn wieder mit demselben sachkundigen Blick.

Frau Doktor Frey hatte sich angewöhnt, auf das, was ihr Mann zwischen zwei und drei und vier Uhr nachts aussprach, nicht besonders zu achten.

Sie goß jetzt den Kaffee über. Es duftete anregend und appetitlich.

„So komm, trink jetzt,“ sagte sie, stellte Kännchen, Tasse und Zuckerdose auf ein Tablette und ging ihrem Gatten damit voraus.

Ihre Handlungsweise war die einer Person, die ihrer Natur und der Erfahrung nach durchaus so handeln muß, wie sie handelt.

Es gab da keinen Ausweg mehr. Aber Doktor Frey mochte heute außerordentlich aufgebracht und unangenehm berührt sein.

Er schlug die Küchenthür Mama vor der Nase zu, daß es durchs Haus dröhnte.

Sie beachtete es nicht, öffnete, als wäre nichts geschehen, die Thüre wieder, trat gleich hinter ihm drein ins Arbeitszimmer und goß ihm den Kaffee ein.

„Trink nun,“ sagte sie noch einmal.

„Weißt du, laß dich wenden!“ schrie er, „an dem Muster hätt’ ich mich endlich satt gesehn!“

Von zwei bis vier Uhr nachts aber war sie undurchdringlich, unbezwinglich, unverletzbar, zu seinem allergrößten Ärger.

Er wußte sich nichts Schlimmeres, denn in dieser Stunde war sie ihm über. Was hatte er ihr in den letzten Jahren in diesen späten Stunden nicht alles angethan! – nicht alles gesagt – und hatte doch die Fessel nicht abschütteln können.

Wie eine Zwangsjacke empfand er sie, eine elende verächtliche Jacke – aber er konnte sich doch nicht bewegen, wie er wollte.

Sie hatte sich selbst so ganz verloren, daß sie an sich nichts mehr zu schützen und zu wahren fand. Es war da nichts Heiliges mehr. Und darin lag ihre Kraft und ihre Macht.

Nur auf eins hielt sie. Die Mädchen durften zu dieser Stunde dem Vater nicht vor die Augen kommen.

Aber heute war er auf die Bamsen ganz versessen.

„Sapperlot,“ rief er mit einem Mal mächtig, „wenn der Vater acht Täg’ net daheim war, wer hat das Recht ihm seine Bamsen vorzuenthalten?“

Er trat zum Korridor hinaus und rief donnernd: „Marie! Isolde!“

Hoch aufgerichtet stand er wie ein Streiter Gottes, die Brust geschwellt, die Augen mit Mannesmut auf seine Frau gerichtet.

Ein ganz klein wenig hielt er sich am Thürpfosten.

Er hatte heut etwas mehr, als die gewöhnliche Bettschwere, mit heimgebracht – etwas mächtig Heiteres.

Unmöglich konnte er sich so zur Ruhe legen, denn er kam von seinem eigenen Triumphzug. Es war ihm vortrefflich ergangen.

Marie und Isolde traten ein, trugen auch, wie die Mutter, Flanellröcke und Nachtjäckchen.

„Ah! Spießbürger!“ rief Doktor Frey. „Ist das ’ne Zucht! So wie die Alten sungen, zwitschern die Jungen.

Déesse! daß i net lach! In a Nachtjacken un’ Flanellhansel! Schamt’s euch net, Bamsen?“

Die Mädchen sahen verdutzt und verlegen auf ihren Vater.

Sie waren trotz ihrer spießbürgerlichen Morgentoilette herrlich anzusehn in ihrer scheuen Jugendlichkeit, die kleinen rosigen Häupter mit den köstlichen lockigen Haarschöpfen, die eine dunkel, die andre goldig leuchtend, und die jungen vollen Glieder, in weicher Schläfrigkeit.

Mit ihnen schien ein süßer Jugendduft ins Zimmer gekommen zu sein, als wären sie aus einem wundervollen Sommergarten, in dem die Linden, Reseden, Levkojen und Lilien in voller Blüte stehen, hier eingetreten, und hätten einen Hauch dieser Wohlgerüche mitgebracht.

Der Anblick seiner prächtigen Mädchen wirkte auf den Vater unbedingt besänftigend.

„Bamsen!“ rief er, er hatte sich jetzt an das Fenster zurückgezogen und hielt sich ein wenig an’s Fensterbrett gestützt.

„Bamsen, ich bring’ euch was mit heim. Freut euch, Mädels!“

Noch nie hatten die Mädchen ihre Mutter gesehn wie eben jetzt – so alt – so müde – so gleichgültig.

Ihr war soeben ihr letztes Privilegium genommen.

Bisher hatte er noch nie gewagt die Mädchen wirklich zu rufen. Ein Blick von ihr hatte immer in diesem einen Fall genügt, ein „Bst“.

‚Ah so die schlafen, die Bamsen.‘

Sie hatte die Mädchen vor diesen nächtlichen Eindrücken behüten wollen, für immer.

Nun war es geschehn.

Und was war denn geschehn? Er erzählte ihnen harmlos von einer schönen Frau, die am Starnbergersee wohnt, und deren Gast er jetzt drei Tage gewesen. Einer der Berliner Schriftsteller hatte ihn dort eingeführt.

„Und euch hat sie eingeladen. He? Was? Na, was sagt ihr?

Übermorgen schon.“

„Wer ist sie denn?“ fragte Marie leise.

„Ja wohl, nur immer vorsichtig Philisterseelchen!“ Doktor Frey lachte laut auf.

„Die Frau eines Gesandten ist sie. Genügt das den gnädigsten Bamsen? Steinreich! Ein Weib, sag’ ich!“ Doktor Frey berührte seine Lippen mit den Fingerspitzen und schickte einen Kuß zur Decke.

„Ein Weib!“ – Er war verzückt. „Ein Götterbild!

Gott, noch einmal, was man sonst so „Weib“ nennt! daß i net lach!

Was für grundgütiges Gansvolk muß unsere edle Weiblichkeit doch sein, daß ich mein Lebtag nichts Ähnlichem begegnet bin!

Da scharren sie so einen armen Teufel ein, ohne daß er ein allereinziges Mal das gesehn hat, was der liebe Herr Gott doch für ihn bestimmte, das Weib in seiner Vollkommenheit, das vollkommene Weib!

Und durch eure Spießbürgerlichkeit kommt der Mann um sein bestes Teil, das ihm doch von Rechtswegen zukäme.

Nicht einmal rechte Weiber können diese Weiber sein!

Ja, was seid ihr denn eigentlich, wenn man fragen darf?“

Er schwankte ein paar Schritte auf seine Frau zu.

„Nichtskönnerinnen ihr! Kinder auf die Welt setzen, Gott seis geklagt und herum nörgeln und duddeln, vom Manne Kleider und Hüte erlisten, dem Manne auf dem Geldbeutel liegen, dem Manne auf die Finger passen. Wehmutsspritzen, Geldausgeberinnen! Hemmschuh für alles Große. Blutige Thränen könnt’ einer weinen!“

Er wischte sich über die Augen. Es war da auch etwas zum Fortwischen.

Frau Doktor Frey hörte ihren Gatten ruhig poltern und verzog keine Miene.

„Aber das grüne Holz!“ donnerte er. „Ist denn da gar nichts zu machen? Eben so verstockt? kein Hauch von Schalkhaftigkeit? das trottet alles so schwer!

Herr Gott, so ein armer Teufel! Was hat er denn eigentlich auf dieser Welt!“

Doktor Frey war wieder bis zu Thränen gerührt.

„Also ihr seid eingeladen, Bamsen! in ein Feenreich – sperrt Maul und Ohren auf – und lernt dort was!

Ich bring euch übermorgen hin. Basta!

Übrigens traf ich dort den faden Bengel, den Mengersen. Der hatte sich natürlich herangemacht, so eine feine Nase! Modelliert das Prachtweib. Wird aber nichts draus.“

Isolde war zusammengezuckt.

Sie stand ganz bleich.

Das war ein Wunder, die Hand Gottes griff hier an!

Zuerst daß sie diesen Schädel finden mußte – und nun! —

Marie fragte zaghaft: „Und geht Mama nicht mit?“„Das ist nix für Mama. – Nicht Alte?“Er wartete ihre Antwort gar nicht ab, sondern predigte weiter.Die Morgendämmerung brach herein, fahl und kalt und beleuchtet das übernächtige müde Gesicht einer alternden Frau, das gerötete eines in jeder Fiber bebenden Mannes, der tagelang seine Nerven durch alle möglichen belebenden und anreizenden Einflüsse in Aufruhr gebracht hatte – und zwei süße junge Gesichter, die nicht recht wußten, wohin schauen.

„Das ist nix für Mama. – Nicht Alte?“

Er wartete ihre Antwort gar nicht ab, sondern predigte weiter.

Die Morgendämmerung brach herein, fahl und kalt und beleuchtet das übernächtige müde Gesicht einer alternden Frau, das gerötete eines in jeder Fiber bebenden Mannes, der tagelang seine Nerven durch alle möglichen belebenden und anreizenden Einflüsse in Aufruhr gebracht hatte – und zwei süße junge Gesichter, die nicht recht wußten, wohin schauen.

Ihre Mutter war ihnen so unheimlich, wie der Vater. Dies nächtliche Zusammensein berührte sie bang.

Sie hatten schon immer allerhand im Halbschlaf gehört. Thüren werfen, die laute Donnerstimme des Vaters; aber es war sie nichts angegangen.

Isolde hatte bei dem Anblick der Mutter ein dumpfes, unklares Bild, als ertappte und belauschte sie ein Nachttier auf seinen Gängen, ein Tier, das Nachts sehen kann, das Nachts sein eigentliches Leben lebt, das Nachts kämpft und leidet, das, wenn alles schläft, geheimnisvoll lebt.

Sie fühlte ein so sonderbares, nebelhaftes Grauen vor Vater und Mutter! Was für zwei fremde Menschen waren das eigentlich?

Das war auch nicht das geschäftige Mamachen, das den ganzen Tag so eifrig unbedacht herum wirtschaftete, mit dem Dienstmädchen schalt, immer im Trab war, sparte und zankte und wegarbeitete was ihr unter die Hände kam.

Um diese Stunde schien alles Mütterliche von ihr abgefallen zu sein. Da war nur das Weib geblieben, das eigentlich nicht mehr Weib war, etwas Aufgebrauchtes, Zurückgestoßenes, Geduldetes; aber etwas, ohne das der Mann nicht mehr auskam.

Isoldens dumpfe Gefühle wurden ihr nicht zu Gedanken, nahmen die klare Form nicht an, aber beängstigten sie.

Es war da etwas Schreckliches.

Sie hätte sich an die Brust der Mutter werfen und weinen mögen – aber – das Geheimnisvolle, Nachttierhafte, das sie in der Mutter empfand, hielt sie davon ab.

Der aromatische Geruch des starken Moccakaffees lag in der Zimmerluft.

Was Mama nachts für vortrefflichen Kaffee macht! Auch das beängstigte jetzt Isolde und Thränen rannen über ihre Wangen.

„Da haben wir die Bescherung!“ sagte der Vater, der sich von seiner Stütze, die er am Fensterbrett gefunden hatte, nicht recht fort traute.

„Die Bamsen sind, mit deiner Hilfe, Alte, die fertigen Zierpuppen geworden.

Ein nettes Heim, das so ein Mann doch hat!

Bring euch das Beste, was ich bringen kann, ’was für die Jugend! Lebensfreude! Heiterkeit! Die Gesellschaft einer schönen, vornehmen Frau, eines Weibes von Gottes Gnaden – und die Einladung in ihr Haus – ein Haus! Ja, so was saht ihr noch nie, Bamsen! – Und Heulerei, Spießbürgerei!

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