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Das Mädchen Der Verbotenen Regenbögen
Das Mädchen Der Verbotenen Regenbögen

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Das Mädchen Der Verbotenen Regenbögen

Язык: Немецкий
Год издания: 2019
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Ich antwortete nicht, was sollte ich sagen? Dass er die Wahrheit über mich erfahren hat? Dass es für mich wirklich nichts anderes als weiß und schwarz gibt, und zwar so viel, dass es einem schlecht davon wird.

„McIntosh hat Schuldgefühle wegen des Unfalls und denkt mit seinen regelmäßigen Besuchen würde er somit Buβe tun, auch wenn mir das nicht gefällt“, fügte er hämisch hinzu.

„Schuldgefühle?“ wiederholte ich. „Inwiefern?“

Ein Blitz erleuchtete das Fenster hinter ihm, gefolgt von tosendem Donner. Er sah sich nicht um, als ob er seine Augen nicht von den Meinen lösen könnte.

„Da zeichnet sich sintflutartiger Regen ab. Vielleicht wird dies McIntosh davon abhalten, heute zu kommen.“

„Das bezweifle ich. Das ist nur ein Sommergewitter. Eine Stunde und alles ist vorbei“, sagte er pragmatisch.

Er sah mich mit einem so intensiven Blick an, dass mir ein Schauer über den Rücken lief. Er war ein seltsamer Mann, aber mit so viel Ausstrahlung, die alle anderen Fehler in den Schatten stellen.

„Möchten Sie, dass ich die restlichen Regale aufräume?“ fragte ich nervös, um seinem festen Blick zu entkommen.

„Hast du letzte Nacht gut geschlafen, Melisande?“

Die Frage überraschte mich. Er sprach mit einem lockeren Ton, in dem allerdings eine gewisse Dringlichkeit lag, die mir eine ehrliche Antwort abforderte.

„Nicht besonders“.

„Keine Träume?“ Seine Stimme war hell und klar wie das Wasser eines ruhigen Flusses und ich ließ mich von dem erfrischenden Strom mitreißen.

„Nein, heute Nacht nicht.“

„Wolltest du träumen?“

„Ja“, antwortete ich beschwingt. Unser Gespräch war surreal, aber ich war bereit, es unendlich weiterzuführen.

„Vielleicht wird es wieder geschehen. Die Stille dieses Ortes ist ideal, um sich in Träume zu schaukeln“, sagte er kühl. Er wendete sich wieder seinem Computer zu und hatte mich schon vergessen.

Phantastisch, dachte ich mir und fühlte mich gedemütigt. Er hatte mir, wie einem Hund, einen Knochen zugeworfen, und ich war so dumm gewesen, ihn sofort zu ergreifen, als wenn verhungern müsste. Und ich war wirklich hungrig. Hungrig nach unseren Blicken, nach unseren intensiven Verständnis, nach seinen unerwarteten Lächeln.

Ich beugte mich wieder über meine Arbeit. In diesem Moment dachte ich an Monique. Sie verstand es Männern den Kopf zu verdrehen, sie in einem Netz aus Lügen und Träumen zu fangen, ihre Aufmerksamkeit mit vollendetem Geschick zu gewinnen. Ich hatte sie einmal gefragt, wie sie die Kunst der Verführung gelernt hätte. Zuerst antwortete sie. „Das kann man nicht lernen, Melisande. Oder man hat’s oder man kann nur davon träumen.“ Dann drehte sie sich zu mir um und ihr Gesichtsausdruck war etwas weicher geworden. „Wenn du erst mal in mein Alter kommst, dann wirst du schon wissen, was zu tun ist, du wirst schon sehen.“

Jetzt war ich dem besagten Alter, und ich stand noch schlechter da als zuvor. Meine männlichen Bekanntschaften waren immer sporadisch und von kurzer Dauer gewesen. Jeder Mann präsentierte mir immer die gleichen Fragen: Wie heißt du? Was arbeitest du? Was für ein Auto hast du? Sobald sie erfuhren, dass ich keinen Führerschein besaß, beobachteten sie mich wie ein seltenes Tier, als ob ich an einer schrecklichen ansteckenden Krankheit leiden würde. Und ganz bestimmt legte ich gewisse Vertraulichkeiten nicht auf den Tisch.

Ich strich mit der Hand über den Einband eines Buches. Es war eine kostbare Ausgabe aus marokkanischem Leder von Jane Austens ‚Stolz und Vorurteil‘.

„Ich wette, dass ist dein Lieblingsbuch.“

Ich hob schnell den Kopf. Mc Laine beobachtete mich mit halbgeschlossenen Lidern, ein gefährliches Blitzen inmitten des schwarzen Meers.

„Nein“, sagte ich, und ordnete das Buch ins Regal. „Es gefällt mir, aber es ist nicht mein Favorit.“

„Dann ist es ‚Stürmische Höhen‘.“ Er schenkte mir ein unerwartetes atemberaubendes Lächeln.

Mein Herz machte einen Sprung, und um ein Haar wäre ich fast ins Leere gefallen. „Auch nicht“, sagte ich und stellte mit Freude fest, dass meine Stimme fest und sicher klang.

„Das geht nicht unbedingt gut aus. Wie ich schon sagte, ich liebe Geschichten mit Happy End.“

Er drehte den Rollstuhl, und stellte sich damit mit andachtsvoller Miene nur wenige Schritte von mir entfernt. „‘Überredung‘, auch von Austen. Es geht bestens aus, das kann man nicht leugnen.“ Er versuchte es nicht einmal, das Vergnügen zu verbergen, und auch ich war leidenschaftlich dabei.

„Ich gebe zu, es ist nett, aber immer noch weit entfernt. Das Buch lebt vom Warten und ich bin alles andere als gut im Warten. Zu ungeduldig. Ich würde vorher aufgeben oder meinen Wunsch ändern.“

Jetzt war meine Stimme etwas frivol. Ohne dass ich es merkte, war ich tatsächlich dabei mit ihm zu flirten.

„Jane Eyre“.

Er hatte nicht mit meinem Lachen gerechnet und schaute mich weiterhin verblüfft an.

Es dauerte einige Minuten, bevor ich ihm antworten konnte. „Endlich! Ich dachte schon, sie würden nie darauf kommen ...“

Der Schatten eines Lächelns huschte über sein finsteres Gesicht „Da hätte ich sofort darauf kommen müssen. Eine Heldin mit trauriger und einsamer Vorgeschichte, ein Mann mit leidvoller Vergangenheit, ein Happy End nach tausend Nöten. Romantisch. Leidenschaftlich. Realistisch.“ Jetzt lächelte auch sein Mund, ebenso wie die Augen. „Melisande Bruno, bist du dir bewusst, dass du dich in mich verlieben könntest, so wie Jane Eyre in Mr. Rochester, der ganz zufällig auch noch ihr Arbeitgeber ist?“

„Sie sind nicht Mr. Rochester“, sagte ich leise.

„Ich bin genauso launisch wie er“ wendete er mit einem halben Lächeln ein und ich konnte nichts anderes tun, als zurückzulächeln.

„Das ist wahr. Aber ich bin nicht Jane Eyre“.

„Auch wahr. Sie war blass, hässlich, bedeutungslos“, sagte er schleppend. „Niemand, der bei klarem Verstand ist und Augen im Kopf hat, könnte das von dir sagen. Dein rotes Haar kann man schon von weitem sehen“.

„Das scheint mit nicht gerade ein Kompliment zu sein ...“, beklagte ich mich scherzhaft.

„Wer sich von den anderen abhebt, egal auf welche Weise, ist nie hässlich, Melisande“, sagte er sanft.

„Dann bedanke ich mich freundlichst.“

Er grinste. „Von wem hast du diese Haare, Miss Bruno? Von deinen Eltern italienischer Herkunft? "

Die Erwähnung meiner Familie legte einen trüben Schleier auf das Glücksgefühl des Augenblicks. Ich löste meinen Blick von ihm und begann wieder die Bücher in die Regale einzuordnen.

„Meine Großmutter hatte rote Haare, hat man mir erzählt. Meine Eltern nicht und auch nicht meine Schwester.“

Er kam mit dem Rollstuhl neben meinen Beinen zum Stehen, die durch die Mühe die Bücher einzuordnen, gedehnt waren. Auf diese geringe Entfernung konnte ich seinen zarten Duft einatmen. Eine geheimnisvolle und verführerische Mischung aus Blumen und Gewürzen.

„Und was macht eine zierliche Sekretärin mit roten Haaren und italienischen Vorfahren in einem abgelegenen schottischen Dorf?“

„Mein Vater emigrierte, um seine Frau und Tochter zu ernähren. Ich wurde in Belgien geboren.“ Ich versuchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, das Thema zu wechseln, aber das war nicht einfach. Seine Nähe verwirrte meine Gedanken, verknotete sie in einem Knäuel, das nur schwer zu entwirren war.

„Von Belgien nach London und dann nach Schottland. Und das mit nur zweiundzwanzig Jahren. Du musst zugeben, dass das zumindest außergewöhnlich ist.“

„Lust, die Welt kennenzulernen“, sagte ich zurückhaltend.

Ich schaute zu ihm. Die Runzeln auf seiner Stirn verschwanden wie Schnee in der Sonne und machten einer gesunden Neugier Platz. Es gab keine Möglichkeit ihn abzulenken. Draußen tobte ein heftiger Sturm und ein ähnlicher Kampf fand in meinem Inneren statt. Mit ihm zu sprechen war normal, spontan, befreiend, aber ich konnte nicht, ich durfte nicht hemmungslos reden, sonst würde ich es bereuen.

„Lust, die Welt kennenzulernen und um dann in dieser abgelegenen Ecke der Welt zu landen?“ Sein Ton war deutlich mit Skepsis durchsetzt. „Du musst mir keine Lügen auftischen, Melisande Bruno. Ich richte dich nicht, auch wenn es so scheinen mag.“

Etwas in meinem Innern zerbrach in Stücke und gab Erinnerungen frei, die ich für immer begraben glaubte. Nur einmal hatte ich jemandem vertraut und das hatte ein schlechtes Ende. Nur das Schicksal hatte eine Tragödie verhindert. Meine Tragödie.

„Ich lüge nicht. Auch hier kann man etwas über die Welt lernen“, sagte ich lächelnd. „Ich bin noch nie in den Highlands gewesen. Und außerdem bin ich noch jung, und kann immer noch reisen, anschauen und neue Orte entdecken.“

„Und so schlägst du also vor, abzureisen“. Seine Stimme war hatte nun einen heiseren Ton.

Ich drehte mich zu ihm. Ein Schatten hatte sich auf sein Gesicht gelegt. Er hatte etwas Verzweifeltes, Wütendes, Gieriges an sich in diesem Moment.

Mir fehlten die Worte und starrte ihn einfach an.

Er machte eine schnelle Drehung mit dem Rollstuhl und bewegte sich in Richtung Schreibtisch. „Keine Sorge. Wenn du weiterhin so faul bist, schicke ich dich höchstpersönlich weg und dann kannst du deine Weltreise fortsetzen.“

Seine harten Worte trafen mich fast wie ein Eimer Eiswasser, der auf mich geworfen wurde. Er hielt vor dem Fenster, beide Hände krallten sich an den Rollstuhl, die Schulter war stocksteif.

„Sie hatten Recht. Der Sturm ist bereits vorbei. Es gibt also keine Möglichkeit, McIntosh heute zu meiden. Es scheint, dass ich immer alles falsch machte.“

„Oh, schau, ein Regenbogen“. Er rief mich, ohne sich umzudrehen. „Kommen Sie her und sehen Sie selbst, Miss Bruno. Ist es nicht ein faszinierendes Schauspiel? Ich bezweifle, dass Sie schon einmal einen gesehen haben.“

„Doch, ich habe schon mal einen gesehen“, konterte ich und blieb bewegungslos. Ein Regenbogen war das grausame Symbol dessen, was mir zeitlebens verweigert wurde. Die Wahrnehmung von Farben, ihr wunderbares Zusammenspiel, ihr archaisches Geheimnis.

Meine Stimme war so zerbrechlich wie eine Eisschicht, meine Schultern noch steifer als seine.

Er hatte erneut eine Mauer zwischen uns errichtet, hoch und unüberwindbar. Eine uneinnehmbare Festung.

Oder vielleicht war ich diejenige, die es dieses Mal zuerst getan hat.

Sechstes Kapitel

„Möchtest du mit mir Abendessen, Melisande Bruno?“

Ich starrte ihn mit großen Augen an, weil ich davon überzeugt war, nicht richtig gehört zu haben. Er hatte mich stundenlang ignoriert, und die wenigen Male, die er sich dazu herabgelassen hatte, mit mir zu reden, war er unsympathisch und kalt.

Anfangs wollte ich ablehnen, weil ich über sein kindisches und sprunghaftes Verhalten verärgert war, aber dann hatte doch die Neugier gesiegt. Oder vielleicht war es die Hoffnung sein schräges, freundliches und einladendes Lächeln wiedersehen zu dürfen. Ganz egal, aus welchen Gründen auch immer, meine Antwort war: Ja.

Mrs. Mc Millian war von der Nachricht so geschockt, dass sie während der ganzen Zeit, in der sie uns das Abendessen servierte, keinen Ton von sich gab, was bei uns Beiden ein stilles Schmunzeln verursachte.

Mc Laine hatte sich entspannt und nicht mehr diesen strengen Ausdruck im Gesicht, den ich so zu fürchten gelernt hatte.

Unser gemeinsames Schweigen brachen wir erst als die Haushälterin aus dem Raum ging und uns alleine ließ.

„Wir haben es tatsächlich geschafft, dass es der guten Millicent die Stimme verschlagen hat... Ich glaube, damit sind wir rekordverdächtig“, bemerkte er mit einem Lachen, das bis ins Innerste meines Herzen drang.

„Definitiv“ stimmte ich zu. „Es ist ein wirklich ein titanisches Unterfangen. Ich dachte nicht, dass ich das je erleben würde.“

„Da hast du Recht.“ Er zwinkerte mir zu und griff nach einem Fleischspieß.

Das improvisierte Abendessen war informell, aber sehr lecker, und seine Gesellschaft das Einzige, das ich mir hätte wünschen können. Ich versprach mir, nicht das Geringste zu tun, um diese idyllische Atmosphäre zu ruinieren, aber dann fiel mir ein, dass das nicht nur von mir abhing. Mein Gegenüber hatte bereits mehrfach bewiesen, wie einfach es ist ihn, auch ohne ersichtlichen Grund, zu verärgern.

In diesem Moment lächelte er, und ich verspürte einen Stich bei dem Gedanken, nicht die genaue Farbe seiner Augen und seiner Haare zu kennen.

„Und, Melisande Bruno, gefällt Dir Midnight Rose?“

Mir gefällst du, vor allem, wenn du so unbeschwert und in Frieden mit dir und der Welt bist.

Laut sagte ich: „Wem würde es nicht gefallen? Es ist ein Stückchen Paradies, weit weg von Hektik, Stress, Alltagsroutine.“

Er hörte auf zu essen, als ob er sich mit meiner Stimme als Nahrung begnügte. Und auch ich begann etwas langsamer zu kauen, um ja nicht den Zauber, der zerbrechlicher als Glas und schwereloser als ein Blatt im Herbstwind war, zu zerstören.

„Für jemanden, der aus London kommt, muss es wohl so sein“, räumte er ein. „Bist du viel gereist?“

Ich führte das Weinglas zum Mund, bevor ich antwortete. „Weniger als mir lieb ist. Aber ich habe eines erkannt: die Welt entdeckt man in den kleinen Ecken, Falten und Furchen, nicht in den großen Städten.“

„Deine Weisheit steht deiner Schönheit in nichts nach“, sagte er ernst. „Und was entdeckst du in diesem sonderbaren schottischen Dorf?“

„Das Dorf habe ich noch nicht gesehen“, erinnerte ich ihn ohne Groll. „Aber Midnight Rose ist ein interessanter Ort. Es kommt mir vor, als ob man hier die Welt anhalten kann, und die Zukunft nicht vermisst.“

Er hörte meinen Worten kopfschüttelnd zu. „Du hast das Wesen dieses Hauses in so wenig Zeit erfasst... Ich habe es bis heute noch nicht geschafft... .“

Ich antwortete nicht, die Furcht die soeben wiedereroberte Intimität zu zerstören, lähmte meine Zunge.

Er schaute mich aufmerksam an, so wie er es oft tat, so als ob ich ein Forschungsobjekt auf dem Glasträger und er das Mikroskop wäre. Die nächste Frage war wohl überlegt, aber explosiv und Vorbote einer drohenden Katastrophe.

„Hast du Familie, Melisande Bruno? Leben deine Angehörigen noch?“

Es schien nicht eine Frage zu sein, die einfach nur so gestellt wurde. Sie beherbergte ein brennendes und echtes Interesse.

Ich überspielte mein Zögern, indem ich noch einen Schluck Wein trank, und in der Zwischenzeit überlegte ich mir die Antwort. Wenn ich erzählen würde, dass meine Schwester und mein Vater noch am Leben sind, hätte dies eine Lawine unangenehmer Fragen losgetreten, denen ich mich im Moment nicht stellen wollte. Ich war realistisch: diese Einladung zum Abendessen hatte er nur ausgesprochen, weil er sich an diesem Abend langweilte und er etwas Abwechslung suchte. Und ich, die noch unbekannte Sekretärin, erfüllte diesen Zweck in geradezu idealer Weise. Es würde ein kein weiteres Abendessen geben. Ich entschied mich für die Unwahrheit, denn sie war leichter und nicht so kompliziert.

„Ich bin allein auf der Welt“. Erst als meine Stimme erlosch, wurde mir klar, dass das nicht einmal gelogen war. In meiner Absicht war es eine Lüge, aber wenn man es genau betrachtete, eben doch nicht.

Ich war allein, egal was auch passierte. Ich konnte auf niemanden zählen, außer auf mich selbst. Unter dieser Tatsache litt ich so sehr, dass ich beinahe den Verstand verloren hatte, aber dann habe ich mich daran gewöhnt. Es war absurd, traurig, schmerzhaft, aber wahr.

Ich hatte mich daran gewöhnt, nicht geliebt zu werden. Unverstanden zu sein. Einsam.

Absurderweise schien er über meine Antwort erfreut zu sein, so als ob es die richtige war. Die richtige für was, hätte ich nicht sagen können.

Er hob das halbleere Weinglas und prostete mir zu.

„Auf was?“ frage ich ihn und erwiderte seine Geste.

„Auf dass du weiterhin träumen kannst, Melisande Bruno. Und dass deine Träume wahr werden.“

Seine Augen lächelten mir über das Glas hinweg zu.

Ich gab es auf, ihn verstehen zu wollen. Sebastian Mc Laine war ein lebendiges Rätsel, und sein Charisma, seine animalische Anziehungskraft reichten als Antwort aus.

In dieser Nacht träumte ich zum zweiten Mal. Die Szene war identisch mit der vorherigen: Ich im Nachthemd, er am Fußende meines Bettes in dunkler Kleidung, vom Rollstuhl keine Spur.

Er streckte mir seine Hand entgegen, ein Lächeln hob seine Mundwinkel. „Tanz mit mir, Melisande“.

Sein Ton war sanft, süß, geschmeidig wie Seide. Es war eine Aufforderung, kein Befehl. Und seine Augen ... Zum ersten Mal hatten sie einen bittenden Blick.

„Träume ich?“ Ich dachte, ich hätte das nur gedacht, stattdessen hatte ich es tatsächlich gefragt.

„Nur, wenn du möchtest, dass es ein Traum ist. Andernfalls ist es Realität“, sagte er kategorisch.

„Aber Sie können gehen ...“

„Im Traum ist alles möglich“, sagte er und führte mich in einen Walzer, genau wie beim ersten Mal.

Eine Woge der Wut erfasste mich. Warum waren in MEINEM Traum die Alpträume anderer Leute nichtig, während mein eigener fortbestand und zwar in seiner heftigsten Vollkommenheit? Es war MEIN Traum, aber er ließ sich nicht zähmen und auch nicht abschwächen. Seine Eigenständigkeit war bizarr und irritierend.

Und mit einem Mal hörte ich auf zu denken, es war als ob es wichtiger war in seinen Armen zu versinken, anstatt mich über meine persönlichen Dramen zu ereifern. Er war unverschämt schön, und ich fühlte mich geehrt, dass ich ihn in meinen Träumen haben durfte.

Wir tanzten für eine lange Zeit, im Takt mit einer nicht vorhandenen Musik, unsere Körper in perfekter Harmonie.

„Ich dachte schon, dass ich nicht mehr träumen würde“, sagte ich und strich mit meiner Hand über seine Wange. Sie war glatt, heiß, fast glühend.

Seine Hand nahm meine und unsere Finger verflochten sich. „Auch ich dachte, dass du nicht mehr träumen würdest.“

„Du siehst so echt aus...“, flüsterte ich. „Aber du bist ein Traum ... Du bist zu sanft um etwas anderes zu sein ...“

Er lachte amüsiert und zog mich fester an sich.

„Bist du böse auf mich?“

Ich sah ihn schmollend an. „Manchmal würde ich dir gerne eine reinhauen.“

Er schien nicht beleidigt zu sein, eher zufrieden mit dieser Antwort. „Das mache ich absichtlich. Ich liebe es, dich zu necken.“

„Warum?“

„So ist es leichter, dich auf Abstand zu halten“.

Der schrille Ton der Pendeluhr drängte sich in den Traum und entfachte eine Unzufriedenheit in mir. Denn er begann erneut sich zurückzuziehen. Wie wenn es ein Signal dafür gewesen wäre.

„Bleib bei mir“, bat ich ihn.

„Ich kann nicht.“

„Es ist mein Traum und da entscheide ich“, erwiderte ich beleidigt.

Er streckte seine Hand aus, um mit einer federleichten Bewegung liebevoll über mein Haar zu streichen.

„Die Träume verflüchtigen sich, Melisande. Wir verhelfen ihnen zum Leben, aber sie sind nicht ganz unser Eigen. Sie haben ihren eigenen Willen, und entscheiden, wann sie zu einem Ende kommen.“

Ich trotzte wie ein Kind. „Das gefällt mir nicht.“

Über sein Gesicht huschte ein Anflug einer ungewöhnlichen Schwere. „Das gefällt niemandem, aber die Welt ist die Ungerechtigkeit par excellence.“

Ich habe versucht mich an den Traum zu klammern, aber meine Arme waren zu schwach, und mein Schrei war nur ein Flüstern. Er verschwand so schnell wie beim ersten Mal. Ich fand mich wieder, mit offenen Augen und einem ohrenbetäubenden Lärm, den ich mit Bestürzung als meinen eigenen unregelmäßigen Herzschlag wiedererkannte. Selbst mein Herz machte, was es wollte, es war als ob mir gar nichts mehr angehörte. Ich hatte keinen einzigen Teil meines Körpers mehr unter Kontrolle.

Was mich jedoch am meisten bestürzte war, dass selbst mein Geist und meine Gefühle außer Kontrolle geraten waren.

Der Brief kam an diesem Morgen an, und hatte die gleiche zerstörerische Wirkung eines Steins, den man in einen ruhenden Teich wirft. Sein Fall endet an einem bestimmten Punkt, aber seine Auswirkungen sind noch lange durch konzentrische immer größer werdende Kreise sichtbar.

Meine Stimmung war bestens und ich begann den Tag, indem ich eine Melodie vor mich hin summte. Das war nicht wirklich ich.

Mrs. Mc Millian servierte das Frühstück in religiöser Stille, und war äußerst damit beschäftigt so zu tun, als ob sie es kein bisschen interessieren würde, was bei unserem Essen am Abend zuvor geschehen war.

Ich beschloss, nicht erst lange um den heißen Brei herumzureden. Ich wollte jegliche Zweifel klären, bevor sie sich ihre eigenen Gewissheiten schaffen würde, die meinem Ruf und vielleicht auch dem von Herrn Mc Laine schädlich sein könnten. Jede sentimentale Hoffnung, die ich ihm gegenüber hegte, war ausschließlich ein Produkt meiner Träume, und ich durfte mich nicht deren verblassenden Herrlichkeit hingeben.

“Mrs. Mc Millian ...”

“Ja, Miss Bruno?“ Sie bestrich eine Scheibe Toast mit Butter und stellte die Frage, ohne aufzublicken.

„Mr. Mc Laine fühlte sich letzte Nacht einsam, und bat mich, ihm Gesellschaft zu leisten. Wenn ich nicht gewesen wäre, hätte er sicher Sie gefragt, oder Kyle“, sagte ich mit fester Stimme.

Sie rückte ihre Brille zurecht und nickte. „Natürlich, Miss. Ich hätte nie etwas Schlechtes dabei gedacht. Es ist ganz offensichtlich, dass das nicht häufiger vorkommt.“

Die Überzeugung in ihren Worten ließ mich erschauern, obwohl ihre Aussage sicherlich Sinn machte. Alles in allem, war auch ich davon überzeugt. Es gab keinen Grund zu hoffen, dass der begehrteste Junggeselle in der Region sich in mich verliebt. Er saß im Rollstuhl, er war nicht blind. Meine Welt in schwarz und weiß war der andauernde lebende Beweis meines Andersseins. Ich konnte mir nicht den Luxus erlauben, das zu vergessen.

Niemals. Oder sie wäre in tausende Bruchstücke zerborsten.

Ich ging die Treppe wie an jedem anderen Tag hinauf. Ich fühlte mich unruhig, trotz der Ruhe, die ich zur Schau trug.

Sebastian Mc Laine lächelte schon, als ich die Tür öffnete, und so flog mein Herz geradewegs ins Paradies. Ich hoffte, dass ich es dort nie wieder holen müsste.

„Guten Morgen, Sir“, begrüßte ich ihn ruhig.

„Wie sind wir heute formell, Melisande“, sagte er tadelnd, als ob wir uns näher gekommen wären als nur ein einfaches gemeinsames Abendessen.

Meine Wangen brannten, und ich war mir sicher, dass ich errötete, obwohl ich keine Ahnung von der wirklichen Bedeutung dieser Worte hatte. Rot war eine dunkle Farbe, gleich dem Schwarz in meiner Welt.

„Es ist nur aus Respekt Ihnen gegenüber, Sir“, sagte ich und milderte meinen formellen Ton mit einem Lächeln.

„Ich habe nicht unbedingt viel dazu getan, um Respekt von Dir zu verdienen“, sinnierte er. „Im Gegenteil, ich bin dir sicherlich manchmal unausstehlich vorgekommen.“

„Nein, Sir“, antwortete ich, während ich mich auf einem Minenfeld bewegte. Die Gefahr, seinen Zorn zu entfachen, lauerte überall, bei jedem unserer verbalen Schlagabtausche, und ich durfte nicht unachtsam werden. Auch wenn mein Herz dies bereits getan hatte.

„Erzähle mir keine Märchen. Das ertrage ich nicht“, gab er zurück mit seinem wunderbaren Lächeln.

Ich setzte mich ihm gegenüber und bereitete mich auf die Aufgaben vor, für die ich bezahlt wurde. Mich in ihn zu verlieben war sicherlich nicht eine von ihnen. Ganz außer Frage.

Er deutete auf einen Stapel Post auf seinem Schreibtisch. „Trenn‘ bitte die Post zwischen privaten und geschäftlichen Angelegenheiten.“

Seinen Blick von seinen mit einer unbekannten Zärtlichkeit erfüllten Augen abzuwenden, war nicht einfach. Ich spürte sie weiterhin auf mir ruhen, heiß und unwiderstehlich, und ich hatte große Mühe mich auf meine Arbeit zu konzentrieren.

Ein Brief erregte meine Aufmerksamkeit, weil kein Absender verzeichnet war, und ich die Handschrift auf dem Umschlag kannte. Und da das noch nicht genügte, der Empfänger war nicht mein geliebter Schriftsteller, sondern ich selbst.

Wie gelähmt hielt ich den Umschlag in den Fingern, während sich in meinem Kopf widersprüchliche Gedanken breit machten.

„Ist irgendetwas nicht in Ordnung?“

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