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Die Macht der Drei
Die Macht der Drei

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Die Macht der Drei

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Язык: Немецкий
Год издания: 2017
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»Hat er sonst gar keine Leidenschaften?«

»Ich weiß, daß er Diamanten sammelt. Auserlesene schöne und große Steine.«

»Nicht übel! Aber ein bißchen kostspielig das Vergnügen. Verfügt er über so große Mittel?«

MacMorland zuckte mit den Achseln.

»Es entzieht sich meiner Beurteilung. Ein Mann in seiner Stellung, mit seinem Einfluß kann wohl … lieber Professor, ich habe schon viel mehr gesagt, als ich sagen durfte und wollte. Lassen wir den Doktor sein Leben führen, wie es ihm beliebt. Es ist am besten, so wenig wie möglich mit ihm zu tun zu haben. Da Sie gerade hier sind, geben Sie mir, bitte, über die Vorgänge in Sing-Sing einen kurzen Bericht für meine Akten. Wir können nachher zusammen frühstücken.«

Wie griechischer Marmor glänzten die Mauern des Weißen Hauses zu Washington in der grellen Mittagsonne. Aber ein dunkles Geheimnis barg sich hinter den schimmernden Mauern. Lange und nachdenklich hafteten die Blicke der Vorübergehenden auf den glatten, geraden Flächen des Gebäudes. Die politische Spannung war bis zur Unerträglichkeit gestiegen. Jede Stunde konnte den Ausbruch des schon lange gefürchteten Krieges mit dem englischen Weltreich bringen. Die Entscheidung lag dort hinter den breiten Säulen und hohen Fenstern des Weißen Hauses.

In dem Vorzimmer des Präsident-Diktators saß ein Adjutant und blickte aufmerksam auf den Zeiger der Wanduhr. Als diese mit leisem Schlag zur elften Stunde ausholte, erhob er sich und trat in das Zimmer des Präsidenten.

»Die Herren sind versammelt, Herr Präsident.«

Der Angeredete nickte kurz und beugte sich wieder zum Schreibtisch, wo er mit dem Ordnen verschiedener Papiere beschäftigt war. Ein Mann mittleren Alters. Eine Art militärischen Interimsrockes umschloß den hageren Oberkörper. Auf einem langen, dünnen Halse saß ein gewaltiger Schädel, dessen vollkommen haarlose Kuppel sich langsam hin und her bewegte. Aus dem schmalen, durchgeistigten Aszetengesicht blitzten ein Paar außerordentlich große Augen, über denen sich eine zu hohe und zu breite Stirn weit nach vorn wölbte.

Das war Cyrus Stonard, der absolute Herrscher eines Volkes von dreihundert Millionen. Als er sich jetzt erhob und langsam, beinahe zögernd der Tür zuschritt, bot er äußerlich nichts von jenen Herrscherfiguren, die in der Phantasie des Volkes zu leben pflegen. Nur das geistliche Kleid fehlte, sonst hätte man ihn wohl für eine der fanatischen Mönchsgestalten aus den mittelalterlichen Glaubenskämpfen der katholischen Kirche ansehen können.

Er durchschritt das Adjutantenzimmer und betrat einen langgestreckten Raum, dessen Mitte von einem gewaltigen, ganz mit Plänen und Karten bedeckten Tisch ausgefüllt war. In der einen Ecke des Saales standen sechs Herren in lebhaftem Gespräch. Die Staatssekretäre der Armee, der Marine, der auswärtigen Angelegenheiten und des Schatzes. Die Oberstkommandierenden des Landheeres und der Flotte. Sie verstummten beim Eintritt des Diktators. Cyrus Stonard ließ sich in den Sessel am Kopfende des Tisches nieder und winkte den anderen, Platz zu nehmen.

»Mr. Fox, geben Sie den Herren Ihren Bericht über die auswärtige Lage.«

Der Staatssekretär des Auswärtigen warf einen kurzen Blick auf seine Papiere.

»Die Spannung mit England treibt automatisch zur Entladung. Seitdem Kanada sich mit uns in einem Zollverband zusammengefunden hat, sind die Herren an der Themse verschnupft. Die Bestrebungen im australischen Parlament, nach kanadischem Muster mit uns zu verhandeln, haben die schlechte Laune in Downing Street noch verschlechtert. England sieht zwei seiner größten und reichsten Kolonien auf dem Wege natürlicher Evolution zu uns kommen. In Australien geht die Entwicklung langsamer vor sich, seitdem der japanische Druck verschwunden ist. Aber auch dort ist sie unaufhaltbar, wenn es der englischen Macht nicht vorher gelingt, uns niederzuwerfen …«

Ein spöttisches Lächeln glitt über die Züge des Flottenchefs.

»In Asien und Südamerika stoßen unsere Handelsinteressen schwer mit den englischen zusammen. Der letzte Aufstand im Jangtsekiangtale war mit englischem Gelde inszeniert. Die afrikanische Union hält bei aller Wahrung ihrer politischen Selbständigkeit wirtschaftlich fest zu England und läßt nur englische Waren hinein. Unser letzter Versuch, einen Handelsvertrag mit der afrikanischen Union abzuschließen, ist gescheitert. Meines Erachtens treiben die Dinge einer schnellen Entscheidung entgegen. Die Entführung von R. F. c. 1 gibt einen geeigneten Anlaß. Seit zwei Stunden tobt unsere Presse gegen England.«

Cyrus Stonard hatte während des Vortrages mechanisch allerlei Schnörkel und Ornamente auf den vor ihm liegenden Schreibblock gezeichnet.

»Wie denken Sie über die Entführung des R. F. c. 1?«

Er heftete seine Augen auf den Flottenchef Admiral Nichelson.

»In der Nähe der Station sind zwei englische Agenten ergriffen worden. Sie leugnen jede Teilnahme.«

»Es gibt Mittel, solche Leute zum Reden zu bringen.«

»Sie hatten den Strick um den Hals und schwiegen.«

»Es gibt wirksamere Mittel … Wie lange kann sich R. F. c. 1 in der Luft halten?«

»Die Tanks waren für zwölf Stunden gefüllt. Genug, um in voller Dunkelheit zu landen, wenn es nach Osten geht. Unsere Kreuzer über dem Nordatlantik sind avisiert. Eine Landung in England müßte noch bei Helligkeit erfolgen und würde gemeldet werden.«

»Sie halten es für sicher, daß die Entführung auf Betreiben der englischen Regierung erfolgt ist?«

»Ganz sicher!«

»Hm! … der Gedanke liegt nahe … vielleicht zu nahe … Und die anderen Herren? … meinen dasselbe … hm! Hoffentlich, nein sicherlich haben sie unrecht.«

Die Staatssekretäre sahen den Diktator fragend an.

»Der letzte Gamaschenknopf sitzt noch nicht! Ich werde erst losschlagen, wenn ich weiß, daß er sitzt. Das heißt, meine Herren …« Die Stimme des Sprechenden hob sich. »R. F. c. 1 mag in Gottes Namen in England landen. Für unser Volk wird es verborgen bleiben, bis es so weit ist.«

»Wie weit ist die Verteilung unserer U-Kreuzer durchgeführt?«

»Die ganze Kreuzerflotte liegt auf dem Meridian von Island vom 60. bis zum 30. Breitengrad gleichmäßig verteilt.«

Admiral Nichelson erhob sich, um die Lage der Kreuzerflotte an einem großen Globus zu demonstrieren.

»Wo stehen die Luftkreuzer?«

»Die leichte Beobachtungsflotte zwischen Island und den Faröer. Die Panzerkreuzer liegen seit drei Tagen auf dem grönländischen Inlandeis.«

»Die G-Flotte …«

»Die Schiffe auf Grönland sind damit ausgerüstet.«

Nur dieser Staatsrat wußte um das Geheimnis, daß die neuen Luftkreuzer mit Bomben versehen waren, die nach dem Abwurfe Milliarden und aber Milliarden von Pest- und Cholerakeimen in die Luft wirbelten. Man hatte noch keine Gelegenheit gehabt, den Bakterienkrieg im großen auszuprobieren. Aber die amerikanischen Fachleute versprachen sich viel davon.

»Die P-Flotte …«

Ein sardonisches Lächeln lief über die sonst so unbeweglichen Züge des Diktators, als er das Wort aussprach. Seit mehr denn Jahresfrist lagen englische Banknoten im Betrage von Hunderten von Milliarden Pfund Sterling in den geheimen Gewölben des amerikanischen Staatsschatzes. Von der Tausendpfundnote an bis hinab zu den kleinsten Beträgen. Alles so vorzüglich gefälscht und nachgedruckt, daß die Bank von England selbst diese Noten für echt halten mußte. Die Aufgabe der P-Flotte war es, sofort bei Kriegsausbruch diese Unmengen englischen Papiergeldes über die ganze Welt zu zerstreuen, wo Engländer Handel trieben und englisches Geld Kurs hatte. Die Tätigkeit dieser Flotte mußte das englische Geldwesen in wenigen Tagen vollkommen zerrütten. Aber die P-Flotte war noch ein schwereres Staatsgeheimnis als die G-Flotte. Die englischen Agenten hatten nur herausbekommen, daß sie für Propagandazwecke bestimmt sei und im Falle eines Krieges in großen Massen die zuerst von Woodruf Wilson in die Kriegführung zivilisierter Nationen eingeführten Traktätchen über den feindlichen Linien abzuwerfen hätte.

»Die P-Flotte übt zwischen Richmond und Norfolk«, sagte Admiral Nichelson trocken.

Jedermann im Saale wußte, daß dieser Standort fünfzehn Flugminuten von den Gewölben des Staatsschatzes entfernt war.

Cyrus nahm das Wort von neuem.

»Wie lange wird es noch dauern, bis unsere Unterwasserstation an der afrikanischen Küste vollkommen gesichert ist? Die Frist ist bereits seit einer Woche abgelaufen.«

Bei diesen nicht ohne Schärfe gesprochenen Worten erhob sich der Flottenchef unwillkürlich.

»Die Schwierigkeiten waren größer als vorauszusehen war, Herr Präsident.«

»Können Sie ein bestimmtes Datum angeben?«

»Nein. Doch dürfte es auf keinen Fall länger als bis zum Ablauf dieses Monats dauern.«

»Hm … dann also, meine Herren … dann wird man R. F. c. 1 zur geeigneten Zeit in England landen sehen.«

Ein Adjutant trat ein und flüsterte dem Präsidenten ein Wort ins Ohr.

»Gut, ich komme.«

Der Präsident erhob sich, die Sitzung war beendet.

Aus dem blauen Mittagshimmel schoß ein silbern schimmernder Punkt auf das Weiße Haus in Washington zu, wurde größer, zeigte die schnittigen Formen eines Regierungsfliegers und landete sanft auf dem Dach des Gebäudes.

Als einziger Passagier verließ Dr. Edward F. Glossin die Maschine. Den linken Fuß beim Gehen leicht nachziehend, schritt er an den martialischen Gestalten der Leibgarde vorbei. Auf den Treppenabsätzen und in den Korridoren standen die baumlangen blonden Kerle aus den westlichen Weizenstaaten in ihren malerischen Uniformen. Sie hielten die Wache um den Präsident-Diktator wie früher die Grenadiere der Potsdamer Garde um die preußischen Könige oder die Eisenseiten um Oliver Cromwell.

Im Vorzimmer traf der Doktor den Adjutanten des Diktators und ließ sich melden. Nur eine knappe Minute, und der Diktator trat aus dem Sitzungssaale und stand vor ihm. Nach flüchtigem Gruß hieß er ihn in sein Arbeitszimmer mitkommen.

»Wer ist Logg Sar?«

Dr. Glossin fühlte die unbestimmte Drohung, die in der Frage lag, und trat einen Schritt zurück.

»Logg Sar ist … Silvester Bursfeld.«

Tiefes Erstaunen malte sich auf den Zügen Stonards.

»Bursfeld … der im englischen Tower gefangen saß?«

»Nein, sein Sohn. Der Vater hieß Gerhard.«

»Mein Gedächtnis ist gut. Sie haben mir von einem Sohne Gerhard Bursfelds nie gesprochen. Warum nicht?«

»Ich weiß es selbst erst seit drei Monaten.«

»Und ich erfahre es erst heute?«

Cyrus Stonard trat dicht an den Doktor heran. Ein Blick traf ihn, der sein Gesicht noch eine Nuance blasser werden ließ.

»Erklären Sie!«

»Es war vor ungefähr drei Monaten … Ich hielt mich einige Zeit in Trenton auf, um in meinem Laboratorium im Hause einer Mrs. Harte an einem Versuch zu arbeiten. Eines Tages kommt ein junger Ingenieur, der in den Staatswerken von Trenton beschäftigt ist, zu Mrs. Harte und erkundigt sich nach ihren Familienverhältnissen. Dabei stellt sich heraus, daß der verstorbene Mann der Mrs. Harte ein Stiefbruder von Gerhard Bursfeld war.«

»Ihre Erzählung scheint darauf hinauszuwollen, daß der junge Ingenieur der Sohn von Gerhard Bursfeld ist. Warum nannte er sich Logg Sar?«

»Auf Logg Sar lauten seine Papiere. Für die Welt und für ihn beruht alles andere auf Vermutungen. Für mich ist der Beweis erbracht.«

»Liefern Sie ihn mir!«

»Sie erinnern sich an meinen früheren Bericht über die Sache, Herr Präsident. Heute kenne ich seine Fortsetzung. Nachdem Gerhard Bursfeld die unfreiwillige Reise nach England gemacht hat, verschwindet er für immer im Tower. Sein Weib flieht mit ihrem kleinen Knaben in die kurdischen Berge. Unterwegs schließt sie sich einer Karawane an: Kaufleute, Priester und was sonst in Karawanen nach Mittelasien zieht. Die junge Frau ist den Strapazen des langen Weges nicht gewachsen. Irgendwo auf der Strecke zwischen Bagdad und Kabul wurde sie bestattet. Ein tibetanischer Lama, der in sein Kloster zurückkehrt, nimmt sich der Sterbenden an. Ihm übergibt sie ihren Knaben, macht ihm zur Not dessen Namen verständlich …«

»Etwas schneller, wenn's beliebt, Herr Doktor!«

»Der Lama nimmt den Knaben mit in sein Kloster Pankong Tzo und erzieht ihn in den Lehren Buddhas. Als der Knabe vierzehn Jahre alt ist, besucht eine Expedition schwedischer Gelehrter das Kloster. Der junge Europäer fällt auf. Von einem der Mitglieder der Expedition, dem Ethnologen Olaf Truwor, wird er mit nach Schweden genommen, wird mit dessen Sohn zusammen erzogen, wird wie dieser Ingenieur …«

Cyrus Stonard hatte während des Berichtes mechanisch allerlei Arabesken gemalt, wie es seine Gewohnheit war. Jetzt warf er den Bleistift unwillig auf das vor ihm liegende Papier.

»Glauben Sie im Ernst, Herr Doktor, daß irgendein Anwalt in den Staaten auf Ihre Erzählung hin einen Erbschaftsprozeß übernehmen würde?«

»Nur noch einen kurzen Augenblick Geduld, Herr Präsident. Die Kette schließt sich Glied an Glied. Auf einer Rheinreise, die er nach dem Abschluß seiner Studien macht, wird Logg Sar von einem alten Ehepaar angesprochen, dem seine überraschende Ähnlichkeit mit Gerhard Bursfeld auffällt. Die alten Leute sind mit Gerhard Bursfeld verwandt, haben ihn genau gekannt und sind von dieser Ähnlichkeit ebenso frappiert … wie ich es war, als Logg Sar mir das erstemal vor die Augen trat. Ich glaubte damals, Gerhard Bursfeld so vor mir zu sehen, wie er dreißig Jahre früher in Mesopotamien vor mir gestanden hat. Die alten Leute machen Logg Sar darauf aufmerksam, daß ein Stiefbruder Gerhard Bursfelds in Trenton lebt. Logg Sar findet im weiteren Laufe seiner Ingenieurkarriere eine Stellung in den Trentonwerken. Er erinnert sich der Mitteilungen der alten Leute und spricht bei Mrs. Harte vor. Ihr Mann ist tot. Ein Bild von Gerhard Bursfeld findet sich im Hause. Die Ähnlichkeit ist überzeugend.«

Cyrus Stonard blickte den Erzähler durchdringend an.

»Sie tischen mir da eine sehr romantische, aber wenig beglaubigte Geschichte auf. Es fehlt nur noch das berühmte Muttermal, und die Sache könnte in Harpers Weekly stehen. Herr Doktor, ich wünsche von Ihnen schlüssige Beweise und keine Phantastereien. Haben Sie irgendeinen wirklichen Beweis, daß Logg Sar und Silvester Bursfeld identisch sind?«

Dr. Glossin spielte seinen Trumpf aus.

»Ein Wort schließt die Kette: Logg Sar.«

»Was soll das heißen?«

»Logg Sar bedeutet im Tibetanischen das Jahresende. Den letzten Tag des Jahres. Den Tag, den die christliche Kirche dem Silvester geweiht hat. Die sterbende Mutter hat dem fremden Priester verständlich zu machen versucht, was der Name ihres Kindes bedeutet. Das Jahresende. Der christliche Name wurde vergessen. Seine tibetanische Übersetzung ergab den neuen Namen, unter welchem der Knabe in Pankong Tzo verblieb.«

»Das ist kein Beweis für mich, Herr Doktor. Und ich glaube … für Sie auch nicht.«

Dr. Glossin trat einen Schritt näher an den Diktator heran.

»Mein letzter Beweis, ein zwingender Beweis! Er kennt das Geheimnis seines Vaters. Es ist ihm überkommen, er hat es ausgebaut in einem Maße, daß …«

Die feinen Flügel der Adlernase des Diktators zitterten. Zwei lotrechte Falten zogen sich zwischen seinen Augenbrauen zusammen, als er den Satz des Doktors vollendete:

»… daß er unser werden oder verschwinden muß, wie seinen Vater die Engländer verschwinden ließen.«

»Das erstere ist wohl nicht mehr möglich.«

»Nach dem Experiment in Sing-Sing … ich glaube, daß Gründe vorhanden sind, die mir gestatten, Ihr Konto damit zu belasten, Herr Doktor! Finden Sie einen Weg, auf dem sich die andere Möglichkeit bewerkstelligen läßt?«

Cyrus Stonard warf dem Doktor einen Blick zu, der diesen erschauern ließ. Ein Wink des Diktators, und er war selbst aus der Liste der Lebenden gestrichen, fand vielleicht schon in wenigen Stunden selbst sein Ende auf dem Stuhle in Sing-Sing.

Cyrus Stonard ließ die Lider sinken und fuhr ruhig fort: »Wie sind Sie hinter sein Geheimnis gekommen?«

Der Doktor schöpfte tief Atem und begann stockend zu erzählen:

»Sein Gesicht war mir vom ersten Tage an verhaßt. Auch sonst hatte ich Grund … seine Anwesenheit im Hause Harte unangenehm zu empfinden …«

»Hm! Hm … so … weiter!«

»Er bat mich, mein Laboratorium in meiner Abwesenheit benutzen zu dürfen. Ich erlaubte es ihm. Beim Fortgehen sorgte ich dafür, daß zehntausend Volt an den Tischklemmen lagen. während der zugehörige Spannungsmesser nur hundert Volt anzeigte. Ich kam wieder, um eine Leiche zu finden, und sah ihn unversehrt aus dem Hause treten. Das Lächeln eines Siegers auf den Lippen, der soeben einen großen Erfolg errungen hat. Da wußte ich, daß Silvester Bursfeld der rechte Sohn seines Vaters ist. Er mußte wissen, daß ich ihm die Falle gestellt hatte. Ich durfte mich nicht mehr vor seinen Augen zeigen. Drei Tage später verschwand er … Unauffällig, wie es üblich ist. Spezialgericht. Elektrokution. Ich glaubte, der Fall sei erledigt. Was weiter geschah, wissen Sie, Herr Präsident.«

»Haben Sie in seinen Papieren gründlich nachgesucht?«

»In jedem Winkelchen. Es sind keine Aufzeichnungen über die Erfindung vorhanden. Ich war dreimal in seinen Räumen. Jedes Stück Papier wurde umgedreht und studiert.«

»Sie haben selbst gesucht … Lassen Sie unsere Polizei suchen! Die versteht es vielleicht besser … Zum zweiten Punkt unserer Besprechung. Wer hat R. F. c. 1 genommen?«

»Ich würde sagen, sicherlich englische Agenten, wenn ich nicht …«

»Wenn Sie nicht …«

»Wenn ich nicht nach den Vorgängen dieses Morgens fürchten müßte, daß Silvester Bursfeld allein oder mit Komplicen in unserem schnellsten Kreuzer nach … nach Schweden oder nach Tibet fährt.«

»Allein ist ausgeschlossen! Komplicen? Wer sind sie?«

»Ich weiß es nicht … Bis jetzt noch nicht. Einer dieser Komplicen ist bestimmt der Zeuge Williams. Von dem dritten, der das Auto steuerte, wissen wir nur, daß er braunhäutig ist …«

»Es ist anzunehmen, daß die drei zusammenbleiben werden. Drei sind leichter in der Welt zu finden als einer. Nehmen Sie die politische Polizei zu Hilfe und suchen Sie. Das Finden liegt in eigenstem Interesse … Suchen Sie, Herr Doktor Glossin!«

Dr. Glossin stand in unsicherer Haltung vor dem Diktator. Zum erstenmal hatte er die ihm anvertrauten, so ungeheuer weitreichenden Vollmachten für die Zwecke einer Privatrache angewendet. Die Blankette und Vollmachten, die er in den Händen hielt, machten es ihm leicht, den jungen Ingenieur aufheben zu lassen. Bis dahin war alles in Ordnung.

Aber daß er den Gefangenen sofort auf den elektrischen Stuhl brachte, entsprach nicht der Staatsräson. Solche Leute bewahrte Cyrus Stonard nach bewährter Methode an festen Orten auf und suchte hinter ihre Schliche zu kommen. Dr. Glossin raffte sich zusammen.

»Ich bitte Sie, den Entschluß über Krieg oder Frieden um etwa fünf Stunden aufzuschieben. So lange, bis ich wieder hier bin.«

»Warum?«

»Weil ich dann sicher sagen kann, ob Logg Sar und seine Gefährten das Flugschiff genommen haben oder nicht.«

»Und wenn es mir aus anderen Gründen gefiele, daß englische Agenten das Schiff genommen haben? Die Zeit ist reif! Der Zwischenfall könnte mir gelegen kommen.«

»Ich beschwöre Eure Exzellenz. Keine bindenden Entschlüsse, bevor wir nicht klar sehen.«

»Was klar sehen?«

»Wohin die Erfindung gegangen ist. Logg Sar im Bunde mit England … dann können wir den Kampf nicht wagen.«

Der Diktator schüttelte abweisend das Haupt.

»Der Sohn wird sich hüten, sich mit den Mördern seines Vaters zu verbinden.«

»Ich hoffe es. Aber Sicherheit ist mehr wert als Vermutung. In wenigen Stunden kann ich Sicherheit haben. Hat er R. F. c. 1 nicht genommen, so ist er noch in den Staaten, und wir haben die Möglichkeit, ihn zu fassen. Solange er frei ist, bleibt er eine Macht, die wir fürchten müssen.«

Ein Schweigen von zwei Minuten. Dann sagte Cyrus Stonard: »Ich erwarte Ihre Mitteilung im Laufe der nächsten drei Stunden. Unsere Presse soll ihre Invektiven gegen England bis auf weiteres unterlassen. Versuchen Sie auf jede Weise, des Erfinders habhaft zu werden. Vermeiden Sie Differenzen mit anderen europäischen Staaten. Wir wollen dem Gegner keine Bundesgenossen werben.«

Eine Handbewegung des Präsident-Diktators, und Dr. Glossin war entlassen.

Hinter dichten Bäumen verborgen, efeuumsponnen, stand in der Johnson Street zu Trenton das Häuschen, welches Mrs. Harte mit ihrer Tochter Jane bewohnte. Die Nähe der großen Staatswerke konnte man hier vollkommen vergessen. Die roten Backsteinhäuser der Straße lagen ausnahmslos in geräumigen Gärten. Die Straße selbst war reichlich zehn Minuten von den Werken mit ihrem geräuschvollen Verkehr entfernt. Sie lag auf der entgegengesetzten Seite des Ortes und mündete in einen schönen, von Nordwesten her direkt an das Städtchen stoßenden Laubwald.

Mrs. Harte war Witwe. Ihr Mann hatte den Tod als Ingenieur in den Staatswerken gefunden. Auf eine schlimme Weise. Ein Dampfrohr platzte und erfüllte seinen Arbeitsraum mit überhitzten Dämpfen. Frederic Harte war nach dem Unfall ruhig nach Hause gekommen und hatte sein Weib schonend auf seinen Tod vorbereitet. Sie glaubte, er spräche im Fieber. Erschrocken war sie auf ihn zugeeilt und hatte seine rechte Hand ergriffen. Hatte mit Entsetzen spüren müssen, wie das Fleisch der Finger sich von den Knochen löste, tot und weich, vom überhitzten Dampf gekocht, in ihren eigenen Händen verblieb.

»Es tut nicht mehr weh … Ich habe keine Schmerzen«, hatte Frederic Harte sie mit einem weltentrückten Lächeln getröstet, sich ruhig an seinen Schreibtisch gesetzt und seine letzten Verfügungen getroffen. Zwei Stunden später verlor er das Bewußtsein. Nach abermals einer Stunde war er tot. »Totale Verbrennung der ganzen Oberhaut, Erstickung infolge fehlender Hautatmung«, sagte der Arzt der verzweifelten Frau.

Das furchtbare Ereignis hatte Mrs. Gladys Harte niedergeschmettert. Monate hindurch fürchtete man für ihren Verstand. Nur ganz allmählich erholte sie sich von diesem Schlage. Doch in demselben Maße, wie ihre geistigen Kräfte sich wieder hoben, nahmen die körperlichen ab. Jetzt war sie fast den ganzen Tag an den Rollstuhl gefesselt, in der Pflege ihrer einzigen Tochter Jane.

Der seltsame Unglücksfall hatte über die nähere Umgebung hinaus Aufsehen erregt. Wenige Tage danach war ein Neuyorker Arzt Dr. Glossin nach Trenton gekommen. Aus wissenschaftlichem Interesse bat er um nähere Aufschlüsse über die letzten Stunden des Heimgegangenen. Mit großer Teilnahme bemühte er sich um die beiden von ihrem Schmerz ganz niedergeworfenen Frauen. Er machte Jane Harte ein hohes mehrjähriges Mietangebot auf das Laboratorium, das sich Frederic Harte in dem Hause eingerichtet hatte. Im Bewußtsein ihrer unsicheren pekuniären Lage hatte Jane ohne Bedenken zugesagt. Als die Mutter sich wieder erholt hatte, billigte sie das Abkommen mit dem Doktor gern, zumal dieser selten kam und sich nur immer für kurze Zeit in dem Laboratorium zu schaffen machte.

Es wurde anders, als Logg Sar in diesen kleinen Kreis trat. Nach dem, was der junge Mann vorbrachte, war er ein Verwandter der beiden Frauen. Aber der lebendige Verkehr der Gegenwart ließ alle alten Erinnerungen und verstaubten Beziehungen schnell in den Hintergrund treten. Mr. Logg Sar oder, wie er hier bald gerufen wurde, Silvester wurde ein lieber Gast im Hause Harte. Nur Dr. Glossin schien darüber nicht erbaut zu sein. Wohl blieb er jederzeit höflich und gestattete Silvester bereitwillig, das Laboratorium zu benutzen. Aber die Gegenwart des Doktors allein wirkte störend und erkältend.

Es kam, wie es das Schicksal mit den beiden jungen Menschen vorhatte. Aus dem Bewußtsein der Verwandtschaft erwuchs eine leichte Zuneigung und aus dieser eine immer tiefer und inniger werdende Herzensgemeinschaft. Silvester Bursfeld hätte vollkommen glücklich sein können, wenn Dr. Glossin nicht gewesen wäre. Nicht nur während seiner Anwesenheit, sondern auch noch an den nächsten Tagen war das Wesen Janes stets verändert. Sie zeigte dann eine so sonderbare Kälte und Zurückhaltung, daß Silvester oft an ihrer Liebe verzweifeln wollte. Erst nach Tagen stellte sich wieder das alte trauliche Benehmen ein, ohne daß ihr diese Veränderlichkeit selbst zum Bewußtsein zu kommen schien.

Ein Zufall brachte Silvester die Lösung des Rätsels. Eines Tages fand er Jane im Laboratorium schlafend auf einem Stuhle. Trotz aller seiner Bemühungen erwachte sie erst nach einer Viertelstunde und leugnete dann, geschlafen zu haben. Da war sich Silvester seiner Sache sicher. Zweifellos brauchte Dr. Glossin Jane zu irgendwelchen hypnotischen Experimenten. Mißbrauchen nannte es Silvester. Er behielt seine Entdeckung für sich, nahm sich aber vor, den Doktor zur Rede zu stellen. Es kam anders. Wenige Tage danach war Silvester verschwunden, ohne vorher von einer Reise gesprochen, ohne Abschied genommen zu haben.

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