„Sie müssen auch müde sein“, sagte Colin. „Ich hole Ihnen einen Kaffee. Da drüben gibt es Getränke.“
„Das ist nicht nötig“, versuchte Lacey zu sagen, konnte jedoch nicht richtig sprechen, da sich ihr Gähnen in die Länge zog.
Es war zu spät. Colin war bereits losgegangen, um den Kaffee zu holen.
Die Sitze füllten sich schnell, und eine Gruppe älterer Menschen schlurfte die Reihe entlang und auf sie zu.
„Dieser Platz ist besetzt“, sagte Lacey zu einer alten Frau, die zu ihrer Linken auftauchte.
„Was?“, fragte die Frau mit lauter Stimme.
„Dieser Platz ist besetzt“, versuchte Lacey es noch einmal. Sie bemerkte, dass die Frau ein Hörgerät trug, also klopfte sie auf den Stuhl, um ihre Aussage zu unterstreichen.
„Danke, Schätzchen!“, rief die Frau, die Laceys Geste offensichtlich missverstanden hatte und sich prompt auf Colins Platz setzte.
Lacey drehte sich nach rechts, wo sich gerade ein Mann auf Krücken und mit einem gebrochenen Bein auf den anderen freien Platz neben ihr setzte.
Sie stand auf und sah sich um, ob vielleicht irgendwo anders noch zwei Plätze frei waren, nur um festzustellen, dass der Auktionssaal fast vollbesetzt war. Genau in diesem Moment kam Colin mit dem Kaffee wieder. Er blickte zu Laceys beiden Seiten, betrachtete die alte Frau mit dem Hörgerät und den verletzten Mann mit den Krücken und lachte. Mit einem spielerischen Achselzucken stellte er den Kaffee auf dem Beistelltisch ab und nahm weiter oben im Saal Platz.
Lacey sank wieder auf ihren Stuhl und war überrascht, dass sie tatsächlich enttäuscht war, bei der Auktion nicht neben Colin zu sitzen.
Weil es schön ist, Gesellschaft zu haben, sagte sie streng zu sich selbst.
Der Mann im schwarzen Anzug betrat die Bühne, und sein Mikrofon quietschte, als er hineinsprach. „Guten Tag, meine Damen und Herren. Ich bin Jonty Sawyer und möchte Sie an diesem Wochenende alle bei der Auktion willkommen heißen. Wir beginnen mit zwei sehr eindrucksvollen Kunstwerken des berühmten mexikanischen Wandmalers David Alfaro Siqueiros, die beide bereits in der Memorial Art Gallery in New York ausgestellt waren.“
Vorsichtig stellte die Assistentin das erste Gemälde auf die Staffelei. Es war eine beeindruckende Interpretation eines Pferdes in schwarzen Strudeln.
„Hier haben wir Pferd und Reiter, mit Schuhcreme gemalt“, sagte Jonty Sawyer. Die Assistentin stellte das zweite Bild auf die Staffelei. Es war ein Ölgemälde mit einem Mann auf einem Pferd in leuchtenden Rot- und Brauntönen. „Das zweite Bild ist dieses farbenfrohe Ölgemälde.“
Lacey war fassungslos. Beide Bilder waren wunderschön und absolut perfekt für die Kunden, mit denen sie bei ihrer eigenen Auktion rechnete. Sie hatte nicht erwartet, bei dieser Auktion etwas zu finden, das sie tatsächlich haben wollte, erwischte sich jedoch dabei, wie sie sich bereit machte, auf die Bilder zu bieten. Ihr Herz klopfte vor lauter Vorfreude.
„Das Anfangsgebot liegt bei fünfhundert Pfund“, verkündete Jonty Sawyer.
Lacey hob sofort die Hand.
„Fünfhundert Pfund“, bestätigte Jonty Sawyer und zeigte auf sie.
Weiter hinten in der Halle wurde eine weitere Hand gehoben.
„Fünfhundertfünfzig?“, fragte er, dann nickte er und bestätigte: „Fünfhundertfünfzig.“
Er blickte wieder zu Lacey. Sie hob erneut die Hand, und der Bieterkrieg begann.
Während der Preis immer um weitere fünfzig Pfund in die Höhe getrieben wurde, ließ Lacey ihren Blick durch den Raum schweifen und versuchte, den Bieter ausfindig zu machen, gegen den sie kämpfte. Ihr Blick fiel auf Colin.
Als ihre Blicke sich trafen, lag ein wiedererkennendes Funkeln in seinen Augen, und er machte eine entschuldigende Geste in ihre Richtung.
„Siebenhundertfünfzig Pfund“, sagte der Auktionator und sah Colin an. Mit einem Kopfschütteln und einer Verbeugung verabschiedete Colin sich aus der Versteigerung.
Der Auktionator wandte seinen Blick wieder Lacey zu. „Wir haben zwei Gemälde von David Alfaro Siqueiros, die für siebenhundert Pfund zu haben sind. Siebenhundert Pfund. Höre ich siebenhundertfünfzig? Siebenhundertfünfzig? Siebenhundertfünfundzwanzig? Siebenzehn?“ Er sah sich in dem Saal um, bevor sein Blick wieder auf Lacey fiel. „Verkauft für siebenhundert Pfund!“
Der Hammer fiel und besiegelte das Geschäft, und ein Grinsen breitete sich auf Laceys Lippen aus.
Fünf Minuten später, verließ Lacey ihren Platz und ging ins Hauptbüro, um zu bezahlen und ihre Bilder abzuholen. Sie war die Erste und es war noch niemand an den Schaltern. Chester lief hin und her, er schien genauso ungeduldig zu sein wie sie. Als die Tür, durch die sie gekommen waren, aufging, hob er ruckartig den Kopf. Er begann, mit dem Schwanz zu wedeln.
Lacey drehte sich neugierig um. Es war Colin.
„Was für ein Zufall, dass wir uns hier treffen“, scherzte er, als Chester auf ihn zurannte, als seien sie alte Freunde.
Lacey spürte, wie ein Lächeln um ihre Mundwinkel zuckte. „Colin. Haben Sie gerade etwas ersteigert?“
„So ist es. Ein Ölgemälde. Allerdings nicht das Kaliber von David Alfaro Siqueiros.“ Ein wissendes Lächeln erschien auf seinen Lippen. „Tut mir leid, dass ich den Preis dafür in die Höhe getrieben habe. Ich wusste nicht, dass Sie der andere Bieter waren.“
„Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen“, sagte Lacey. „Sie waren trotzdem noch ein Schnäppchen. Und es war nett von Ihnen, mich gewinnen zu lassen, nachdem ich völlig versagt habe, Ihnen einen Platz freizuhalten.“
Colin lachte. „Was soll ich sagen? Mir wurde früh beigebracht, ein Gentleman zu sein.“
Er lächelte sein engelsgleiches Lächeln, und Lacey spürte, wie ihre Wangen warm wurden. Das Gespräch glich schon fast einem Flirt, und obwohl es schön war, etwas Aufmerksamkeit von einem gut aussehenden Mann zu bekommen, würde sie nie etwas tun, was ihre Beziehung mit Tom gefährden könnte. Außerdem musste sie immer noch einen der Sawyer-Söhne finden, um mit ihm über ihren Vater zu sprechen, und davon ließ sie sich gerade ablenken. Schon wieder.
Endlich kam eine schick gekleidete Frau aus dem Hinterzimmer an den Tresen. „Entschuldigen Sie, dass Sie warten mussten“, sagte sie und winkte Lacey zu sich.
Lacey ging auf sie zu, um ihre Bilder zu bezahlen und mitzunehmen. Sie vermutete, dass die Frau am Tresen keiner der Sawyer-Söhne war – zumal schon, weil sie eine Frau war – aber wenn sie schon seit einer Weile hier arbeitete, konnte sie sich vielleicht an Laceys Vater erinnern.
Lacey hatte gerade den Mut gefasst, sie zu fragen, als eine zweite Frau aus dem Hinterzimmer an den Tresen kam und Colin mit einer Geste zu verstehen gab, dass er zu ihr kommen sollte. Er stellte sich neben Lacey und stützte seinen Ellbogen lässig auf dem Tresen ab. Lacey schloss ihren Mund wieder. Sie hatte ihre Gelegenheit verpasst.
„Also, was haben Sie heute noch so vor?“, fragte Colin Lacey, als die Frau an seinem Tresen verschwand, um seine Kunstwerke zu holen.
„Chester und ich gehen heute Nachmittag auf Schatzsuche“, erklärte Lacey ihm. „Dann machen wir uns auf den Weg zurück zu meinem Laden.“
„Sie haben einen Laden?“, fragte Colin und klang beeindruckt. „Lassen Sie mich raten … wenn Sie die Siqueiros-Gemälde zur Dekoration gekauft haben, dann muss es etwas Klassisches sein. Möbel?“
„Fast“, erwiderte Lacey. „Eigentlich sind die Gemälde nicht als Dekoration gedacht. Ich werde sie weiterverkaufen. Ich bin Antiquitätenhändlerin und Auktionatorin.“
„Wirklich?“, fragte Colin und hob die Augenbrauen. „Das ist faszinierend.“
Die Frau am Tresen schaute von der Kasse auf, ihr Blick huschte neugierig von Colin zu Lacey. Und Lacey wusste sofort, warum. Colin flirtete mit ihr.
Lacey fühlte, wie ihre Wangen rot wurden und begriff, dass sie die Flirterei sofort im Keim ersticken musste, bevor es unangenehm wurde.
„Die Zahlung ist durchgegangen“, sagte die Frau und gab Lacey ihre Kreditkarte wieder zurück. „Hier ist Ihre Quittung. Und Ihre Bilder, eingepackt und mitnahmebereit.“
Lacey bedankte sich bei ihr und klemmte sich schnell je ein Bild unter jeden Arm, bevor sie sich Colin zuwandte.
„Hat mich gefreut“, sagte sie schnell, während er damit beschäftigt war, selbst zu bezahlen, und eilte davon, noch bevor er die Gelegenheit hatte, Sie zu einem Kaffee, Mittagessen oder Ähnlichem einzuladen.
Im Foyer atmete Lacey auf, nur um festzustellen, dass sie so schnell geflohen war, dass sie Chester ganz vergessen hatte! Sie konnte doch jetzt nicht mehr zurückgehen, um ihn zu holen. Das würde einen völlig falschen Eindruck erwecken.
Glücklicherweise kam Chester genau in diesem Moment ins Foyer gelaufen. Er sah höchst unzufrieden aus, dass er zurückgelassen worden war.
„Da bist du ja“, sagte Lacey und eilte gefolgt von Chester aus dem Auktionshaus.
Lacey lief die Stufen hinunter und ging schnurstracks auf Toms Wagen zu. Vorsichtig legte sie die Gemälde zu den restlichen Waren auf die Rückbank, sprang auf den Fahrersitz und warf Chester einen Blick zu.
„Ich weiß, was du denkst“, sagte sie.
Er blinzelte.
„Jetzt habe ich mit gar niemandem mehr über meinen Vater gesprochen. Ich habe einfach die Nerven verloren. Und Colin hat mich immer wieder abgelenkt.“
Sie wollte da jetzt nicht nochmal reingehen. Das würde nur Ärger geben!
„Die Nummer steht ja auf dem Flyer“, fuhr sie fort und präsentierte Chester eine weitere Ausrede. „Ich werde anrufen, sobald ich zu Hause bin, versprochen. Das wäre sowieso das Beste, wenn man es sich mal genauer überlegt. So habe ich nämlich ein bisschen Zeit, mich mental darauf vorzubereiten.“
Chester wackelte nur misstrauisch mit den Augenbrauen. Er schien ihr ihre Geschichte nicht abzukaufen, was Lacey nicht besonders überraschte; sie kaufte sich ihre Ausreden ja noch nicht einmal selbst ab. Aber ihre Angst davor, was sie vielleicht erfahren würde, war zu groß. Zumindest für heute würde sie die Suche nach ihrem Vater auf sich beruhen lassen.
KAPITEL SECHS
Laceys nächste Station war der Kunstladen in Weymouth. Auf diesen Stopp freute sie sich besonders. Seit ihrem Dekorations-Anfall im Crag Cottage interessierte sie sich sehr für Ölgemälde und war gespannt, ob sie ein paar seltene Stücke finden würde. Doch noch bevor sie auch nur die Chance hatte, den Parkplatz von Sawyer & Sons zu verlassen, knurrte ihr Magen lautstark.
Lacey wurde bewusst, dass sie heute nicht genug gegessen hatte. Wenn man bedachte, an wie vielen köstlichen Gerichten sie schon vorbeigelaufen war, war es eine Schande, dass sie keines davon probiert hatte!
Sie öffnete eine App auf ihrem Handy, um nachzusehen, ob es auf dem Weg nach Weymouth gute Restaurants gab. Enttäuschenderweise war ein Lebensmittelgeschäft in einer Tankstelle die einzige Option in ihrer Nähe.
„Chips und Sandwiches zum Mittagessen?“, sagte Lacey zu Chester und versuchte, die Situation positiv zu sehen. „Das ist die perfekte Ausrede, um ein paar merkwürdige britische Snacks zu probieren.“
Tom überzeugte Lacey immer davon, kein britisches Junkfood zu probieren, indem er sie mit dem Duft eines seiner Spezial-Gebäckstücke weglockte, sodass sie dachte, dass sie gar nichts verpasste.
Bei dem Gedanken an Tom spürte Lacey ein Ziehen in der Brust. Sie schob die Gedanken beiseite und startete den Wagen. Als sie den Geländewagen aus dem Parkplatz des Auktionshauses herausmanövrierte, sah sie durch den Rückspiegel, wie Colin die Treppe hinunterging. Sie stieg aufs Gaspedal und raste davon.
Es war ein sonniger Tag und die von Bäumen gesäumten Landstraßen sahen im Sonnenschein einfach umwerfend aus. Lacey fuhr an Hügeln und Feldern vorbei, bevor sie die kleine Tankstelle neben einem sehr traditionell aussehenden britischen Pub namens The Red Lion fand. Sie tankte Toms Geländewagen auf (es war schließlich nur höflich, ihn mit einem vollen Tank zurückzugeben) und ging dann in den Laden, wo sie sich die Regale mit den bunt verpackten Snacks ansah. Sie entschied sich für eine Schachtel Jaffa Cakes (bei der es sich dem Bild auf der Vorderseite nach um runde Biskuitkuchen mit Orangengeleefüllung und Schokoladenüberzug zu handeln schien), eine Tüte Chips in der Geschmacksrichtung ‚eingelegte Zwiebel‘ (deren grellviolette, mit Zeichentrickmonstern bedruckte Verpackung eindeutig auf Kinder abzielte) und ein gewöhnliches Schinkensandwich aus der Kühltruhe.
An der Kasse schnappte sie sich noch ein Hundeleckerli für Chester. Dann ging sie mit ihrem nährstoffarmen Picknick zurück zum Lieferwagen und begann hinter dem Lenkrad zu mampfen, während sie den gewundenen Landstraßen zum letzten Ziel ihrer Schatzsuche folgte.
Chester streckte sich auf der Rückbank des Lieferwagens aus und verspeiste lautstark sein knochenförmiges Leckerli.
„Ich gebe dem Sandwich fünf von zehn Punkten“, sagte sie im Rückspiegel zu ihm. „Das Brot war etwas durchgeweicht. Und der Schinken war irgendwie geschmacklos. Und es war bei weitem nicht gut genug gewürzt.“ Sie hielt inne. „Wenn ich es mir recht überlege, gebe ich ihm eine Vier.“
Sie war von Toms selbstgebackenen Broten sehr verwöhnt, wie Lacey jetzt klar wurde, und auch von dem biologischen Schinken mit Honigkruste, den er immer auf dem Bauernmarkt kaufte.
„Dann wollen wir mal diesen Monster-Snack probieren.“
Sie riss die Packung auf und der Zwiebelgeruch wehte heraus. Vorsichtig nahm Lacey einen der monsterfußförmigen Chips heraus und steckte ihn in ihren Mund.
Sie bereute es sofort. Der Geschmack war intensiv und die pikante Schärfe schien Geschmacksknospen anzuregen, die die letzten neununddreißig Jahre über untätig gewesen waren.
Ihre Augen tränten und sie legte die Tüte auf den Beifahrersitz.
„Und das soll für Kinder gedacht sein?“, rief sie aus.
Tom hatte also recht. Was die britischen Snacks betraf, war ihr bisher nichts entgangen.
Als Lacey ein Straßenschild nach Weymouth sah, bog sie ab und fuhr in das malerische Städtchen hinein. Die Stadt verlief an einem Fluss, überall standen kleine Häuschen und die Bäume am Straßenrand standen in voller Blüte.
Der kleine Kunstladen befand sich im Anbau eines Kirchengebäudes – ein Neubau aus gelben Ziegelsteinen mit einem Fenster in der Form eines Kruzifixes aus Blockglas. Die Kirschbäume im Hof warfen ihre rosa und weißen Blüten ab, als wären es Schneeflocken.
Lacey parkte neben dem Bordstein und ging dann durch die großen Glastüren hinein.
Das Innere des Kunstladens war groß und hell und die Fenster und Dachluken ließen im Sommer viel Sonnenlicht herein, während eine kühle Brise aus der Klimaanlage für eine luftige Atmosphäre sorgte. Die Wände waren strahlend weiß, die Dielenböden aus heller, lackierter Buche und es war so ruhig, dass Lacey das Gefühl hatte, sie müsse still sein. Sie legte einen Finger an ihre Lippen, um Chester zu verstehen zu geben, dass auch er still sein sollte. Er legte zustimmend den Kopf schief, aber das Klicken seiner Krallen war trotzdem noch auf den Dielen zu hören, als er Lacey folgte, die den Raum auf Zehenspitzen durchquerte und auf die Auslagen zuschlich.
Lacey inspizierte die Drucke auf der Suche nach einem zum Thema Pferde. Es gab viele Nachahmungen von berühmten Gemälden von Edgar Degas und George Stubbs, aber nach dem, was Gina ihr erzählt hatte, waren die Besucher des Pferdefestes nicht die Art von Leute, die sich Nachdrucke an die Wand hängten. Sie würden Originale wollen.
Lacey wollte gerade zum Tresen gehen, um mit dem Angestellten zu sprechen, wurde aber durch einen wunderschönen Wandteppich abgelenkt, der an der Wand hing. Es handelte sich um einen wunderschönen Appliqué in Rot und Gold. Er war zwar nicht für ihre bevorstehende Auktion geeignet, dafür aber perfekt für den großen leeren Raum neben dem großen Fenster auf dem Treppenabsatz im zweiten Stock von Crag Cottage.
Plötzlich spürte Lacey, wie Chester mit seiner Schnauze gegen ihre Handfläche stupste.
„Ich weiß“, murmelte sie. „Ich sollte nicht für mich selbst einkaufen. Aber sieh ihn dir doch nur mal an. Er ist herrlich.“
Chester jaulte verzweifelt.
„Kann ich Ihnen helfen?“, sagte eine Männerstimme hinter Lacey.
Sie wirbelte auf dem Absatz herum und sah, dass der Verkäufer hinter ihr stand. Er war ein stattlicher Mann, klein und untersetzt, mit einem freundlichen, faltigen Gesicht.
„Ich habe mir gerade diesen wunderschönen Wandteppich angesehen“, erklärte Lacey ihm.
Der Mann schenkte ihr ein verlegenes Lächeln. „Danke, ich bekomme nicht oft Komplimente für meine Appliqués.“
„Sie haben ihn gemacht?“, rief Lacey überrascht aus.
„Ja“, sagte er.
Er wirkte sehr bescheiden, dachte Lacey. Fast schon peinlich berührt von seinem außergewöhnlichen Talent.
„Es gibt keinen großen Markt für Wandteppiche“, fuhr er wehmütig fort. „Oder für Original-Gemälde, leider. Die meisten Leute sind nur hinter Drucken von berühmten Malern her.“
Lacey tauschte einen Blick mit Chester aus. Wie konnte sie jetzt, nachdem sie die bedauernswerte Geschichte des Mannes gehört hatte, widerstehen?
Chesters Augenbrauen zuckten, als würde er sich geschlagen geben.
„Nun, dann bin ich wohl nicht wie die meisten Menschen“, sagte Lacey zu dem Mann. „Ich nehme ihn.“
Seine Augen leuchteten. „Wirklich? Sie nehmen ihn?“
Sie nickte. „Ich nehme ihn. Und ich würde sehr gerne sehen, welche Originale Sie sonst noch verkaufen.“
Der Mann sah begeistert aus. „Aber natürlich. Hier entlang, bitte.“
Er machte eine Geste mit seinem Arm und Lacey folgte ihm, als er durch einen Torbogen in den nächsten Raum eilte. Hier sah es noch mehr aus wie in einem Museum oder einer Galerie, da sich an den Wänden ein Gemälde neben das andere reihte.
Lacey ging sofort auf ein Ölgemälde zu, eine Landschaft mit Frühlingsbäumen an einem Fluss und grasenden Pferden im Vordergrund. Das war genau das, was sie gesucht hatte. Sie näherte sich dem Gemälde und las die Signatur: John Mace. Der Name kam ihr bekannt vor. Er war ein beliebter britischer Künstler und dies war genau die Art von Kunstwerk, die sie auf ihrer Auktion verkaufen wollte.
„Ich nehme das hier“, teilte sie dem Angestellten mit. Sie war ganz kribbelig vor Aufregung.
Der Angestellte eilte herbei und klebte einen kleinen roten Aufkleber daneben. Dann ging Lacey zum nächsten Bild, das ihr ins Auge gefallen war.
Es war ein Aquarell von Mabel Gear, einer Künstlerin aus den 1950er Jahren, deren Gemälde häufig für Grußkarten nachgedruckt wurden. Daneben stand ein ebenso großartiger Fund – eine Graphitmasterskizze mit Pferden vom französischen Künstler Alexandre Pau De Saint Martin aus dem Jahr 1800.
„Die beiden nehme ich auch“, sagte Lacey.
„Sie mögen Pferde“, kommentierte der Verkäufer und platzierte aufgeregt seine kleinen roten Aufkleber neben den beiden Kunstwerken.
„Eigentlich eher meine Kunden“, sagte sie zu ihm. „Ich bin Auktionatorin und werde auf dem Sommer-Pferdefest in Wilfordshire eine Auktion veranstalten.“
Die Augen des Kunsthändlers weiteten sich anerkennend. „Warum haben Sie das denn nicht gleich gesagt? Ich habe genau das Richtige für Sie!“
Er eilte zu einer Tür an der Seite des Raumes und zog im Gehen einen Schlüsselbund aus seiner Tasche. Während er mit einer Hand die Tür aufschloss, winkte er mit der anderen Lacey zu, damit sie ihm folgte. Neugierig durchquerte Lacey den Raum.
Als der Ladenbesitzer die Tür öffnete, kam dahinter eine Art Lagerraum – das Atelier des Künstlers – zum Vorschein. Es war voller Industrieregale und Sägemehl. Das Licht, das durch zwei schmutzige Dachluken fiel, erhellte einen Webstuhl sowie eine große Werkbank, die mit Holzblöcken und Schleifgeräten bedeckt war.
„Also, wo habe ich ihn hingetan?“, fragte der Kunsthändler und ließ seinen Blick über die Regale schweifen. „Ah! Hier.“
Er trat beiseite und enthüllte die Bronzeskulptur eines Jockeys.
Lacey fiel die Kinnlade runter. Sie erkannte ihn sofort. Es war ein Isidore Bonheur, einer der bedeutendsten französischen Tierbildhauer des 19. Jahrhunderts. Seine gegossenen Bronzeskulpturen waren begehrte Antiquitäten. Eine Statue in gutem Zustand konnte bei einer Auktion Tausende von Pfund einbringen.
„Darf ich mir den mal genauer ansehen?“, fragte Lacey. Ihre Hände zitterten vor Aufregung.
„Natürlich“, sagte der Kunsthändler. „Ich bewahre ihn hier hinten auf, weil niemand daran interessiert zu sein scheint.“
„Ich bin interessiert“, murmelte Lacey.
Lacey inspizierte die Skulptur. Sie stellte einen triumphierenden Jockey dar, der die Flanke seines Pferdes tätschelte. Sie war aus Bronze gefertigt und der Sockel war aus Marmor. Die Skulptur zählte zu den beliebtesten Werken des Künstlers, sie war ein kommerzieller Erfolg, den er, wenn sie sich richtig erinnerte, in vier verschiedenen Größen gegossen hatte, und sie war in ausgezeichnetem Zustand, so gut wie ohne Kratzer oder Spuren. Es war ein atemberaubender und prächtiger Fund, bei dem es Lacey fast den Atem verschlug.
Zumindest bis sie das Preisschild sah. Zweitausend Pfund.
Lacey versteifte sich. Das war eine Menge Geld für nur einen Artikel. Als sie mit Suzy die Lodge renoviert hatte, hatte sie auf die harte Tour gelernt, was passieren konnte, wenn man zu viel Geld für Objekte ausgab. Die Sache hätte für sie fast den finanziellen Ruin bedeutet. Und wenn sie die Skulptur kaufte, wäre von dem Gewinn, den ihr der Verkauf der römischen Münze eingebracht hatte, kein Penny mehr übrig.
„Wie ich sehen kann, möchten Sie noch etwas darüber nachdenken“, sagte der Ladenbesitzer. „Ich werde Sie einen Moment mit Ihren Gedanken allein lassen und mich um diesen Kunden kümmern.“
Lacey war so von der Skulptur verzaubert gewesen, dass sie weder gehört hatte, dass sich die Tür geöffnet hatte, noch das Geräusch der schweren Schritte eines anderen Kunden, der herumlief und sich die Kunstwerke ansah.
„Natürlich“, sagte sie. „Vielen Dank.“
Der Kunsthändler ging in den anderen Raum und ließ Lacey allein, damit sie ihre Optionen abwägen konnte.
Die Skulptur war ein erstaunlicher Fund. Sie würde ihrer Auktion mit Sicherheit etwas Aufmerksamkeit verschaffen. Vielleicht könnte sie sogar DAS Schlüsselobjekt sein, wegen dem die Leute überhaupt zur Auktion kamen. Ob es ihr gelingen würde, ihre Investition wieder hereinzuholen, würde am Auktionstag ganz von ihrem Können abhängen. Solange sie nicht anfing zu stottern und die Menge richtig im Griff hatte, könnte es für sie einen großen Gewinn bedeuten. Aber ein großer Gewinn war auch ein großes Risiko. Ihre übliche Methode bestand darin, eine Reihe verschiedener, einzigartiger und qualitativ hochwertiger Objekte anzubieten, Prachtstücke, die sich auch der Durchschnittsbürger noch leisten konnte, wenn er sich etwas gönnen wollte. Diese Skulptur konnte allerdings nur an die Besucher des Festivals verkauft werden. Wenn sie während ihrer Auktion nicht gekauft wurde, musste sie ein ganzes Jahr warten, bis die Pferdefans wiederkamen. Und ein Jahr lang auf einem ganzen Haufen teurer Objekte sitzen zu bleiben, war alles andere als ideal.
Während Lacey ihre Optionen abwog, konnte sie die murmelnden Stimmen des Kunsthändlers und seines Kunden im Nebenraum hören. Die Stimme des Kunden kam ihr irgendwie bekannt vor, dann traf Lacey die Erkenntnis.
„Moment mal …“, murmelte sie, ging zur Tür und spähte hinaus.
Sie hatte recht. Es war Colin.
KAPITEL SIEBEN
Was hatte er hier zu suchen, fragte sich Lacey. War er ihr etwa gefolgt? Wie sonst hätte er nach Weymouth kommen sollen, in denselben dubiosen Kunstladen im Nebengebäude einer Kirche, am Ende einer ruhigen, von Kirschbäumen gesäumten Straße?
Ihr war nicht aufgefallen, dass er hinter ihr gefahren war, aber das bedeutete nicht, dass er ihr nicht gefolgt war; sie war so mit durchgeweichten Sandwiches und der schönen Landschaft beschäftigt gewesen, dass sie wahrscheinlich gar nicht bemerkt hätte, wenn er ihr gefolgt wäre. Der Gedanke daran ließ sie erschaudern.
Chester bellte aufgeregt, als er das vertraute Gesicht erkannte, und ließ sie auffliegen. Seine Krallen klackten auf den Dielenbrettern, als er auf Colin zulief, um ihn zu begrüßen.
Colin blickte auf. „Na, wenn das nicht Chester ist“, sagte er und kraulte dem Hund die Ohren. Dann huschte sein Blick zu Lacey, die sich halb hinter der Wand versteckte, und seine Augen strahlten erfreut. „Lacey. Was für ein Zufall.“
Lacey trat um die Wand herum, verschränkte die Arme und nahm eine abwehrende, misstrauische Haltung ein. „Was machen Sie denn hier?“
Colin schien ihren leicht unfreundlichen Tonfall gar nicht zu bemerken. „Bei Sawyer’s hat jemand gesagt, dass hier eine Skulptur von Isidore Bonheur zum Verkauf steht. Ich bin hergekommen, um sie mir anzusehen.“