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Angriff der Tapferkeit
Angriff der Tapferkeit

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Angriff der Tapferkeit

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„Krohn, hilf mir!“, rief Thor. „JETZT!“

Krohn sprang mit einem Knurren vor, stürzte sich auf einen den Krieger, der Thor festhielt und grub seine Zähne in dessen Hals. Thor konnte seine Hand befreien und Krohn machte sich über den nächsten Mann her, und dann den nächsten, bis sich Thor befreit hatte und sein Schwert ergreifen konnte. Thor fuhr herum und schlug mit einem einzigen Hieb drei Männern die Köpfe ab.

Thor rannte zu Reece, der ihm am nächsten war, und stach seinem Wächter direkt ins Herz,  befreite ihn, sodass auch er sein Schwert ziehen und sich mit ihm in den Kampf stürzen konnte. Sie liefen zu ihren Legionsbrüdern, überwältigten ihre Wächter und befreiten Elden, O’Connor, Conval und Conven. Die anderen Krieger waren damit abgelenkt, Drake, Durs und Dross abzuwehren, und als sie bemerkten, was vor sich ging, war es zu spät. Thor, Reece, O’Connor, Elden, Conval und Conven waren alle frei und bewaffnet. Sie waren nach wie vor in der Unterzahl und wussten, dass der Kampf kein einfacher sein würde. Doch zumindest wussten, sie, dass sie eine Chance haben würden. Unerschrocken und leidenschaftlich stürzten sie sich auf ihre Feinde. Die noch verbliebenen hundert Krieger des Empire griffen an und Thor hörte weit über sich einen Schrei, blickte auf und sah Estopheles. Sein Falke stürzte sich herab und kratzte dem feindlichen Anführer die Augen aus, sodass er zu Boden fiel und sich vor Schmerzen wand. Estopheles griff nacheinander weitere Krieger an und schaltete auch sie, einen nach dem anderen, aus.

Während des Angriffs lud Thor einen Stein in seine Schleuder, spannte sie und traf einen Mann an der Schläfe, gerade bevor er ihn erreichen konnte. O’Connor gelang es, zwei Pfeile abzuschießen, und beide trafen ihr Ziel mit tödlicher Präzision. Elden spießte zwei Gegner gleichzeitig mit seinem Speer auf und sie stürzten zu Boden. Doch das war nur der Anfang – es blieben hundert Krieger übrig.

Unter lautem Schlachtgeschrei trafen sie aufeinander. Wie man es ihm beigebracht hatte, konzentrierte sich Thor auf einen Krieger und wählte sich dafür den aus, der am größten und gemeinsten aussah. Er hob sein Schwert und stürzte sich auf ihn. Dem Mann gelang es, Thors Schwerthieb mit dem Schild abzuwehren und parierte sofort mit seinem Hammer in Richtung von Thors Kopf.

Thor wich aus und als der Hammer neben ihm zur Erde sauste, zog er seinen Dolch und rammte ihn dem Mann in den Bauch, sodass er tot zusammenbrach.

Thor hob seinen Schild gerade rechtzeitig, um den Angriff von zwei feindlichen Kriegern mit ihren Schwertern abzuwehren. Er parierte und tötete dabei einen von ihnen. Er wollte gerade dem anderen einen Hieb versetzen, als er aus dem Augenwinkel sah, wie ein anderer ihn von hinten mit dem Schwert angriff. Er fuhr herum und wehrte den Hieb mit seinem Schild ab.

Thor wurde nun von allen Seiten angegriffen – sie waren zahlenmäßig immer noch weit unterlegen – und die Hiebe regneten nur so auf ihn herunter. Er hatte weder die Zeit noch die Energie, um anzugreifen – er konnte nicht mehr tun, als sich zu verteidigen. Und es stürzten sich immer mehr Männer auf ihn.

Er sah zu seinen Waffenbrüdern hinüber und erkannte, dass es ihnen nicht besser erging. Jedem von ihnen war es gelungen, ein oder zwei feindliche Krieger zu töten. Doch derart in der Unterzahl zahlten sie den Preis für ihre Tapferkeit – jeder von ihnen hatte bereits unzählige leichtere Wunden erlitten. Und das trotz der Hilfe von Krohn, der selbst einen feindlichen Krieger nach dem anderen attackierte, und der Hilfe von Indra, die Steine auf die Männer des Empire warf. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie umzingelt wären und sie sterben müssten.

„Befreit uns!“, kam eine Stimme.

Thor wandte sich um und sah Drake, der genau wie seine Brüder nur ein paar Meter weit weg gefesselt lag.

„Befreit uns!“, wiederholte er. „Und wir werden euch helfen, gegen sie zu kämpfen! Wir kämpfen für dieselbe Sache!“

Als Thor seinen Schild hob, um wieder einen harten Hieb abzuwehren, diesmal von einer Kriegsaxt, erkannte er, dass die Hilfe der drei von unschätzbarem Wert sein könnte. Ohne sie hatten sie ganz klar keine Chance, siegreich aus dem Kampf hervorzugehen. Thor war sich alles andere als sicher, ob er ihnen trauen konnte, doch er war an einem Punkt angelangt, an dem er nichts zu verlieren hatte. Immerhin hatten die drei Brüder selbst eine Motivation zu kämpfen.

Thor wehrte den nächsten Schwerthieb ab, ließ sich auf die Knie fallen und rollte zu den Brüdern hinüber. Er sprang auf, zerschnitt ihre Fesseln und schützte sie währenddessen vor den Angriffen der Empire-Krieger. Alle drei schnappten sich ihre Schwerter und warfen sich in den Kampf.

Drake, Dross und Durs stürzten sich schlagend und Schwerter schwingend in die Menge. Jeder von ihnen war groß und ein geübter Kämpfer, und die Verstärkung traf die Männer des Empire unvorbereitet, sodass binnen weniger Augenblicke etliche von ihnen fielen. Thor hatte gemischte Gefühle, sie nach allem, was sie getan hatten, zu befreien – doch in Anbetracht der Umstände schien es eine kluge Wahl zu sein. Besser als der Tod.

Nun, da sie zu neunt gegen die verbleibenden etwa achtzig Krieger kämpften, waren die Kräfteverhältnisse immer noch sehr zu ihren Ungunsten, aber wenigstens etwas besser als zuvor.

Die Waffenbrüder konnten sich auf ihre erlernten Fähigkeiten verlassen, auf die Übungen, die ihnen beim Training mit den Hundert in Fleisch und Blut übergegangen waren, die zahllosen Übungseinheiten, in denen sie umringt gewesen waren und in der Unterzahl gekämpft hatten. Sie taten, was ihnen Kolk und Brom beigebracht hatten. Sie zogen sich selbst in einen engen Kreis zurück und mit einander zugewandten Rücken wehrten sie die Angriffe der feindlichen Krieger als Einheit ab. Ermutigt durch die Ankunft von drei weiteren Kämpfern, verspürten sie alle neuen Mut und kämpften noch energischer als zuvor.

Conval zückte seinen Kriegsflegel, schwang ihn weit und schlug die Feinde immer wieder. So gelang es ihm, drei der Empire-Krieger niederzustrecken, bevor jemand ihm die Kette entriss. Sein Bruder Conven verwendete einen Streitkolben, zielte tief und zertrümmerte den feindlichen Kriegern die Beine mit der schweren gespickten Metallkugel.

Auf die kurze Distanz konnte O’Connor seinen Bogen nicht verwenden, doch er konnte seine beiden Wurfdolche aus seinem Gürtel ziehen, sie in die Menge werfen und damit zwei Krieger töten. Und Thor und Reece blockten und parierten virtuos mit ihren Schwertern. Einen Augenblick lang fühlte sich Thor optimistisch.

Dann sah Thor aus dem Augenwinkel etwas, das ihn störte. Er beobachtete, wie einer der drei Brüder sich aus der Gruppe löste und durch den Kreis spurtete. Thor wandte sich um und sah Durs. Er stürzte sich nicht auf einen Krieger des Empire, sondern auf ihn. Er wollte ihm in den Rücken stechen.

Es geschah zu schnell und Thor, der zwei feindliche Krieger vor sich abwehren musste, konnte sich nicht rechtzeitig umdrehen.

Thor war sich sicher, dass er sterben musste. In den Rücken gestochen von dem Mann, den er einst für seinen Bruder gehalten hatte und dem er naiv zwei Mal das Vertrauen geschenkt hatte.

Plötzlich tauchte Conval aus dem Nichts vor Thor auf, um ihn zu schützen.

Und als Durs sein Schwert in Thors Rücken rammen wollte, fand es stattdessen sein Ziel in Convals Brust.

Thor fuhr herum und schrie: „CONVAL!“

Conval stand wie eingefroren da, die Augen zu einem Starren weit aufgerissen, als er zusah, wie das Schwert in seinen Körper drang, sein Herz traf und sein Blut überall hin spritzte.

Durs stand da und starrte mit ebenso überraschtem Blick zurück.

Conval fiel auf die Knie und das Blut schoss schwallweise aus seiner Brust. Thor musste mitansehen, wie Conval, sein Waffenbruder, den er liebte wie einen leiblichen Bruder, zu Boden sank und starb. Um Thors Leben zu retten.

Durs stand über ihm, sah zu Boden und schien schockiert über das, was er gerade getan hatte.

Thor schoss vor, um Durs zu töten – doch Conven kam ihm zuvor. Convals Zwillingsbruder stürzte sich auf Durs, holte mit dem Schwert weit aus und schlug ihm mit einem langen Schwung den Kopf ab. Durs Körper sackte leblos zu Boden.

Thor stand da und fühlte sich hohl, erdrückt von Schuld. Es war eine Fehleinschätzung zu viel gewesen. Wenn er Durs nicht befreit hätte, wäre Conval womöglich noch am Leben.

Da der Kreis nun gebrochen war, bat sich den feindlichen Kriegern die Gelegenheit für den finalen Angriff. Sie stürmten in den offenen Kreis und Thor fühlte, wie ihn ein Kriegshammer zwischen die Schulterblätter traf; die Wucht des Schlages schickte ihn mit dem Gesicht voraus zu Boden.

Noch bevor er sich wieder aufrappeln konnte, fühlte er einen Fuß auf seinem Rücken, ein feindlicher Krieger griff ihn bei den Haaren und drückte ihm einen Dolch an den Hals.

„Verabschiede dich, mein Junge!“, sagte er.

Thor schloss die Augen und fühlte, wie er in eine andere Welt versetzt wurde.

Bitte Gott, betete er still. Erlaube mir, diesen Tag zu überleben. Gib mir die Stärke, diese Männer zu besiegen; an einem anderen Tag, an einem anderen Ort, mit Ehre zu sterben. Lange genug zu leben, um dieses Tode zu rächen. Um Gwendolyn noch ein einziges Mal wiederzusehen.

Während er dalag und beobachtete, wie sich der Dolch auf ihn herabsenkte, fühlte er, wie die Zeit langsamer wurde und fast stehen blieb. Er spürte eine plötzliche Welle von Hitze, die durch seine Beine, seinen Oberkörper und seine Arme bis in seine Hände und seine Fingerspitzen wogte, ein Prickeln, so intensiv, dass er nicht einmal mehr seine Hand zur Faust schließen konnte. Eine unglaubliche Energie war bereit, aus ihm herauszubrechen.

Thor fuhr herum, fühlte eine neue Kraft in sich, und hob seine Hand gegen seinen Angreifer. Eine Kugel weißen Lichts schoss aus seiner Hand hervor und ihre Wucht ließ den Angreifer von ihm weg und weit über das Schlachtfeld fliegen, wo er mehrere andere Krieger umwarf.

Thor stand berstend vor Energie da und zielte mit seinen Händen auf die feindlichen Krieger. Während er das tat, traten weitere Kugeln weißen Lichts aus seinen Handflächen hervor und hinterließen Schneisen der Verwüstung, so schnell und so intensiv, dass binnen weniger Minuten alle Angreifer in Haufen tot auf dem Schlachtfeld lagen. Als wieder Ruhe einkehrte, nahm Thor Bestand auf. Er, Reece, O’Connor, Elden, und Conven waren am Leben. Neben ihm erfreuten sich Krohn und Indra bester Gesundheit, auch wenn Krohn deutlich erschöpft und außer Atem war. Alle Krieger des Empire, die sie angegriffen hatten, waren tot – ebenso wie Durs. Zu seinen Füssen lag Conval, ebenfalls tot.

Auch Dross hatte es nicht überlebt, aus seinem Herzen ragte das Schwert eines Empire-Kriegers.

Der einzige der drei Verräter, der noch am Leben war, war Drake. Er lag stöhnend auf dem Boden und in seinem Bauch klaffte eine Dolchwunde. Thor ging zu ihm hinüber, als Reece, O’Connor und Elden ihn grob hochzerrten. Er wimmerte vor Schmerzen und war kaum bei Bewusstsein, dennoch grinste er sie unverschämt an.

„Du hättest uns von Anfang an töten sollen“, zischte er und Blut tropfte aus seinem Mund. Er musste husten. „Du bist schon immer schrecklich naiv gewesen. Einfach dumm.“

Thors Gesicht wurde rot und er wurde nur noch wütender auf sich, dafür, dass er ihnen je vertraut hatte. Er kochte vor Wut, am meisten darüber, dass seine Naivität Conval das Leben gekostet hatte.

„Ich werde dich ein einziges Mal fragen“, knurrte Thor. „Antworte mir wahrheitsgemäß und ich werde dich am Leben lassen. Lüge mich an und du wirst deinen Brüdern folgen. Du hast die Wahl.“

Drake hustete mehrmals.

„Wo ist das Schwert?“, fragte Thor. „Und diesmal will ich die Wahrheit hören.“

Drake musste immer wieder husten, bevor er schließlich seinen Kopf heben konnte. Er blickte auf und sah Thor mit hasserfülltem Blick in die Augen.

„Im Nimmersee.”

Thor sah zunächst die anderen, dann Drake verwirrt an.

„Der Nimmersee?“

„Das ist ein bodenloser See“, mischte sich Indra ein und trat vor. „Auf der anderen Seite der Großen Wüste. Es ist der tiefste See, den man sich vorstellen kann.“

Thor sah Drake grimmig an.

„Warum?“, wollte er wissen.

Drake hustete erneut. Er wurde schwächer.

„Auf Befehl von Gareth“, keuchte er. „Er wollte, dass wir es irgendwo loswerden, von wo es nie wieder in den Ring zurückkehren würde.“

„Aber warum?“, hakte Thor nach. „Warum wollte er das Schwert zerstören?“

Drake sah ihm in die Augen.

„Wenn er es nicht führen konnte“, sagte Drake, „dann sollte es keiner tun.“

Thor sah ihn lange an und war sich schließlich sicher, dass er die Wahrheit gesagt hatte.

„Dann haben wir nicht viel Zeit“, sagte Thor und wandte sich um, um zu gehen.

Drake schüttelte den Kopf.

„Ihr werdet es niemals rechtzeitig schaffen.“

„Wir denken nicht wie du“, antwortete er. „Wir leben nicht, um uns selbst zu retten. Wir leben für die Ehre, für unseren Kodex. Und wir werden gehen, wo immer uns das hinführt.“

„Siehst du nicht, wo eure Ehre euch hingeführt hat?“, sagte Drake. „Selbst mit deiner Ehre bist du ein Narr, so wie die anderen. Ehre ist wertlos.“

Thor sah ihn grimmig an. Er konnte kaum glauben, dass er im selben Haus wie er groß geworden war, dass er seine gesamte Kindheit mit einem Monster wie ihm verbracht hatte. Thors Handknöchel wurden weiß, als er seinen Schwertknauf umklammerte und sich nichts sehnlicher wünschte, als ihn zu töten. Drakes Blick folgte seiner Hand.

„Tu es“, sagte er. „Töte mich. Bringe es ein für alle Mal zu einem Ende.“

Thor sah ihn lange an und hätte es nur zu gerne getan. Doch er hatte Drake sein Wort gegeben, dass er ihn nicht töten würde, wenn er die Wahrheit sagte. Und Thor stand zu seinem Wort.

„Das werde ich nicht tun“, sagte Thor schließlich. „So sehr du es auch verdient haben magst. Du wirst nicht durch meine Hand sterben, denn dann wäre ich nicht besser als du.“

Als Thor sich umdrehte, stürzte Conven mit einem lauten Schrei vor.

„Für meinen Bruder!“

Bevor auch nur einer von ihnen reagieren konnte, hob er sein Schwert und stieß es durch Drakes Herz. Verzweifelte Wut und Trauer waren in Convens Augen zu sehen, als er Drake in einer tödlichen Umarmung hielt und zusah, wie dessen Körper tot zu Boden fiel.

Thor sah auf ihn herab und wusste, dass der Tod durch seine Hand zumindest ein geringer Trost für Conven sein würde. Für sie alle. Doch es war zumindest etwas.

Thor ließ den Blick über die riesige Wüste vor ihnen schweifen und wusste, dass das Schwert irgendwo am anderen Ende war. Es schien, als würde eine ganze Welt zwischen ihnen und dem Schwert liegen.

Gerade als sie dachten, dass sie am Ende ihrer Reise angekommen waren, mussten sie feststellen, dass sie noch nicht einmal begonnen hatte.

KAPITEL DREI

Erec saß inmitten der anderen Ritter in der Waffenhalle des Barons in dessen Schloss, sicher hinter den Toren von Savaria aufgehoben, und alle waren sichtlich mitgenommen von der Begegnung mit den Kreaturen. Neben ihm saß sein Freund Brandt, der seinen Kopf in die Hände gestützt hatte, so wie viele der anderen auch. Die Stimmung war bedrückt.

Erec spürte es auch. Jeder Muskel in seinem Körper schmerzte vom Kampf mit den Männern des Lords und mit den Monstern. Es war eine der härtesten Schlachten seines Lebens gewesen, und der Baron hatte zu viele Männer verloren. Als Erec darüber nachdachte, bemerkte er, dass ohne Alistair, Brandt, die anderen und er jetzt tot wären.

Erec war voll Dankbarkeit ihr gegenüber – und noch mehr: Sie hatte das Feuer seiner Liebe neu angefacht. Er war fasziniert von ihr – er hatte immer schon gespürt, dass sie etwas Besonderes war, sogar dass sie eine gewisse Kraft ausstrahlte. Doch das, was heute geschehen war, war der Beweis. Er hatte das brennende Verlangen, mehr darüber zu erfahren, wer sie war und über das Geheimnis ihrer Herkunft. Doch er hatte geschworen, nicht neugierig zu sein – und er hielt immer sein Wort.

Erec konnte nicht abwarten, bis die Zusammenkunft vorüber war und er sie wieder sehen konnte.

Die Ritter des Barons waren schon seit Stunden zusammengesessen und hatten darüber diskutiert, was als nächstes zu tun war. Der Schild existierte nicht mehr und Erec versuchte immer noch, die Konsequenzen zu verstehen. Es bedeutete, dass Savaria nun anfällig für Angriffe von außen sein würde; und viel schlimmer noch, Boten waren in die Stadt gekommen mit Nachrichten von der Invasion von Andronicus‘ Armee, davon was in King’s Court und Silesia geschehen war. Erecs Mut sank. Sein Herz drängte ihn, zu seinen Brüdern bei den Silver zurückzukehren, um seine Heimatstädte zu verteidigen. Doch er war hier, in Savaria, wo das Schicksal ihn hingeführt hatte. Er wurde hier auch gebraucht. Die Stadt des Barons und ihre Leute waren immerhin ein wichtiger strategischer Bestandteil des Reiches der MacGils und mussten verteidigt werden.

Doch mit den neuen Berichten, dass Andronicus eines seiner Bataillone losgeschickt hatte, um Savaria anzugreifen, wusste Erec, dass Andronicus‘ Armee, die mehr als eine Million Mann stark war, sich bald bis in den letzten Winkel des Rings ausbreiten würde.

Wenn Andronicus mit einem Gegner fertig war, ließ er nichts zurück. Erec hatte die Geschichten von Andronicus‘ Eroberungen sein ganzes Leben lang gehört und er wusste, dass seine Grausamkeit ohne Gleichen war. Durch das einfache Gesetz der Zahlen war klar, dass die wenigen hundert Männer des Barons selbst einem einzigen Bataillon von Andronicus‘ Armee nahezu wehrlos gegenüber stehen würden. Savaria war dem Untergang geweiht.

„Ich sage wir kapitulieren“, erklärte der Berater des Barons, ein grauhaariger alter Krieger, der vornübergebeugt an einem großen rechteckigen Holztisch saß, verloren in einen Krug mit Bier starrte und ihn dann auf den Tisch schlug. Die anderen Krieger verstummten und sahen ihn an.

„Welche Wahl haben wir schon?“, fügte er hinzu. „Wir sind ein paar Hundert gegen eine Armee von einer Million Männern.“

„Vielleicht können wir die Stadt verteidigen, sie zumindest halten“, warf ein anderer Krieger ein.

„MacGil ist tot”, gab ein anderer Krieger zu bedenken. „Niemand wird zu unserer Hilfe kommen.“

„Doch seine Tochter lebt“, entgegnete ein anderer. „Und auch seine Männer. Sie würden uns nicht einfach hier im Stich lassen!“

„Sie können sich doch kaum selbst verteidigen!“, protestierte ein anderer.

Die Männer fingen an, wild zu diskutieren und drehten sich mehr oder weniger im Kreis.

Erec saß da, beobachtete alles und fühlte sich hohl. Ein Bote war vor wenigen Stunden gekommen und hatte die furchtbaren Nachrichten von Andronicus‘ Invasion gebracht, und – die Nachricht, die für Erec fast noch schlimmer war – dass MacGil ermordet worden war. Erec war so lange so weit von King’s Court fort gewesen, dass dies das erste Mal war, dass ihn Nachrichten erreichten – und es war, als hätte jemand ihm einen Dolch ins Herz gestoßen. Er hatte MacGil wie einen Vater geliebt und sein Verlust ließ ihn sich so unglaublich leer fühlen.

Stille breitete sich im Raum aus als sich der Baron räusperte, und alle Augen richteten sich auf ihn.

„Wir sind in der Lage unsere Stadt gegen einen Angriff zu verteidigen“, sagte der Baron. „Mit unseren Fähigkeiten und der Stärke dieser Mauern, können wir sie gegen eine Armee halten, die fünfmal so groß ist wie unsere – vielleicht sogar zehnmal. Und wir haben genug Vorräte, um eine wochenlange Belagerung auszusitzen. Gegen jede normale Armee würden wir siegen.“

Er seufzte.

„Doch das Empire hat keine normale Armee“, fügte er hinzu. „Wir können uns nicht gegen eine Armee wie diese verteidigen. Es wäre aussichtslos.“

Er machte eine Pause.

„Doch Aufzugeben ist auch nicht besser. Wir alle wissen, was Andronicus mit seinen Gefangenen macht. Es scheint mir, als müssten wir so oder so sterben. Die Frage ist nur, ob wir kämpfend oder sitzend untergehen. Ich sage, wir sterben kämpfend!“

Zustimmender Jubel brach im Raum aus. Erec konnte ihm nur recht geben.

„Dann bleibt uns nichts anderes zu tun“, fuhr der Baron fort, „als Savaria zu verteidigen. Wir werden nicht kapitulieren. Wir werden wahrscheinlich sterben. Doch wir werden es Seite an Seite kämpfend tun!“

Tiefe Stille breitete sich aus und sie sahen sich ernst an. Dann nickten sie. Trotzdem schien es so, als würde jeder einzelne verzweifelt nach einer anderen Lösung suchen.

„Es gibt einen anderen Weg“, sagte Erec schließlich in die Runde.

Er konnte spüren, wie sich alle Blicke auf ihn richteten.

Der Baron nickte ihm zu und erteilte ihm damit das Wort.

„Wir können angreifen“, sagte Erec.

„Angreifen?“, riefen die Männer überrascht aus. „Wir paar hundert Mann, diese riesige Armee angreifen? Erec, ich weiß, dass du furchtlos bist, doch bist du jetzt vollkommen verrückt geworden?“

Erec schüttelte todernst den Kopf.

„Was du nicht in Betracht ziehst, ist, dass Andronicus‘ Männer nie mit einem Angriff rechnen würden. Wir hätten die Überraschung auf unserer Seite. Wie du gesagt hast, wenn wir hier bleiben und versuchen, die Stadt zu verteidigen, werden wir sterben. Wenn wir angreifen, können wir viel mehr von ihnen töten. Und was noch viel wichtiger ist, wenn wir richtig angreifen, am richtigen Ort, können wir sie vielleicht aufhalten – oder sogar besiegen.“

„Besiegen?!“, riefen sie aus und sahen ihn fassungslos an.

„Wie stellst du dir das vor?“, fragte der Baron.

„Andronicus wird erwarten, dass wir hier sind, auf ihn warten und unsere Stadt verteidigen“, erklärte Erec. „Seine Männer werden niemals erwarten, dass wir ihnen an irgendeinem Engpass außerhalb der Stadttore auflauern. Hier in der Stadt haben wir den Vorteil der dicken Mauern – doch da draußen, auf dem freien Feld, haben wir das Element der Überraschung. Und Überraschung wiegt schwerer als schiere Stärke. Wenn wir einen natürlichen Engpass halten können, können wir sie alle zu einem Punkt hin lotsen, an dem wir angreifen können.

Ich denke dabei an die östliche Bergschlucht.“

„Die östliche Bergschlucht?“, fragte einer der Krieger.

Erec nickte.

„Es ist eine enge Schlucht zwischen zwei steilen Felswänden. Sie ist der einzige Pass durch die Berge von Kavonia, einen guten Tagesritt von hier entfernt. Wenn Andronicus‘ Männer zu uns kommen, führt der direkteste Weg durch die Schlucht. Anderenfalls müssten sie über die Berge wandern. Die Straße vom Norden her ist zu eng und zu sumpfig zu dieser Jahreszeit – er würde Wochen vergeuden. Und im Süden müssten sie den Fjord überqueren.“

Der Baron sah Erec voller Bewunderung an, kratzte sich am Kopf und überlegte.

„Vielleicht hast du recht. Andronicus muss seine Männer durch die Schlucht führen. Für jede andere Armee wäre das ein Akt höchster Hybris. Doch für ihn, mit seiner riesigen Armee, kann ich mir vorstellen, dass er es tun würde.“

Erec nickte.

„Wenn wir dorthin kommen, wenn wir vor ihnen dort sind, dann können wir sie überraschen und sie angreifen. Auf einer Position wie dieser, können wenige Männer Tausende in Schach halten.“

Die anderen Krieger sahen Erec mit einer gewissen Hoffnung und Bewunderung an, während der Raum in tiefer Stille lag.

„Ein mutiger Plan mein Freund“, sagte der Baron. „Doch du bist ja auch ein mutiger Krieger. Bist du schon immer gewesen.“ Der Baron winkte einen Diener herbei: „Bring mir eine Karte!“

Der Junge rannte aus dem Raum und kam durch eine andere Tür mit einer großen Pergamentrolle wieder herein. Er rollte sie auf dem Tisch aus und die Krieger versammelten sich um sie, um sie zu studieren.

Erec zeigte mit dem Finger auf Savaria auf der Karte und zeichnete dann mit seinem Finger eine Linie Richtung Osten bis zur östlichen Schlucht. Eine enge Klamm, von hohen Bergen umgeben, soweit das Auge reichte.

„Das ist perfekt“, sagte einer der Krieger.

Die anderen nickten und rieben sich die Bärte.

„Ich habe Geschichten gehört von ein paar Dutzend Mann, die Tausende an der Schlucht aufgehalten haben“, sagte ein anderer Krieger.

„Das sind Ammenmärchen“, sagte wieder ein anderer. „Ja wir haben das Überraschungsmoment auf unserer Seite. Doch was sonst noch? Uns wird der Schutz unserer Mauern fehlen.“

„Aber wir werden den Schutz der Felswände haben“, entgegnete ein anderer. „Diese Berge, das sind ein paar hundert Meter massiver Fels.“

„Nichts ist absolut sicher“, fügte Erec hinzu. „Wie der Baron sagte, wir können hier sterben, oder wir können da draußen sterben. Doch der Sieg wird unser sein, denn den Mutigen gehört die Welt!“

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