
Полная версия
Robert Blum
Wie tief Robert Blum die lebendige Erinnerung an die Frevelthat des Königs von Hannover und den Heroismus der Göttinger Sieben bewahrte, erhellt aus seinen Reden, Briefen und Schriften der folgenden Jahre. Als längst die öffentliche Theilnahme für das Ereigniß und seine Opfer erkaltet war, wies er immer von Neuem darauf hin. Auch das nächste Geburtstagsfest des Königs von Sachsen gedachte er zu diesem Zwecke zu benützen. Er hatte, wie gewöhnlich, den Theater-Festprolog verfaßt. „Es ist des Königs Fest“ heißt es da:
„Des Königs, der, als in den jüngsten TagenEin ferner Sturm das Völkerheil bedroht,Ein Königliches Wort nur durfte sagen,Das jeder Sorge, jeder Furcht gebot,Das seinen Namen weit hinaus getragenUnd anknüpft an der Zukunft Morgenroth,Das dem Verdienst, dem freien MännerworteEröffnet des Asyles heil’ge Pforte.“„Bezieht sich auf die Aufnahme der Göttinger Professoren,“ hat Blum in einer Anmerkung zum besseren Verständniß Eines Hohen Theater-Ober-Censur-Collegiums dieser Strophe hinzugefügt. Aber gerade diese Deutlichkeit der Anspielung brachte die Strophe zu Fall. Man war in Dresden in banger Sorge über Dahlmann’s Anwesenheit in Leipzig. Selbst der wackere freisinnige Minister Lindenau berief sich ihm gegenüber auf die 1832er Bundestagsbeschlüsse[22]. Nur Albrecht duldete man und stellte man an, da gegen ihn der welfische Rachezorn bei weitem geringer tobte, als gegen den Führer der Sieben. Unter solchen Umständen durfte natürlich die Regierung zu Königs Geburtstag nicht erinnert werden an ihre großen Worte, da die Armseligkeit ihrer Thaten bald aller Welt kund werden sollte.
Oben ist schon angedeutet worden, daß die Leipziger Messen Robert Blum auch in rege persönliche Verbindung mit hervorragenden, an öffentlichen Angelegenheiten lebhaft theilnehmenden Männern der Provinz brachten. Die zwanglose gesellige Form des Blum’schen Kreises, persönliche Beziehungen zu dem einen oder andern Mitgliede dieses Kreises führte nach und nach fast alle bedeutenderen Männer der Provinz, die in den Messen oder außerhalb derselben Leipzig berührten, in diesen Kreis: den wackeren Weber Franz Rewitzer aus Chemnitz, die rührigen Fabrikanten Böhler und Mammen aus Plauen im Voigtland, zahlreiche Buchhändler und Verleger aus ganz Deutschland, die Abgeordneten der Sächsischen Kammer Dieskau, Todt, später Braun und zahlreiche Andere, die in den kommenden Jahren eine nicht unbedeutende Rolle in der Geschichte ihres engeren und weiteren Vaterlandes gespielt haben. Mit ihnen allen fast hat Blum die persönlich in Leipzig geknüpften Beziehungen in regem Briefwechsel unterhalten und auf diese Weise stets ein treues, durch die Erweiterung seines Freundeskreises immer umfassenderes Bild von dem politischen Leben der Provinz erhalten.
Das Jahr 1837 sollte nicht scheiden, ohne die Wunde, welche die Untreue der Auguste Forster in Blum’s Herzen zurückgelassen, vollständig zu heilen und ihm das schönste Glück für die Zukunft zu verheißen. Schon im Sommer 1837 meldete er den Seinen nach Köln, daß er ein junges Mädchen kennen gelernt habe, das ihn mächtig anziehe. Im Frühjahr desselben Jahres war er durch einen Freund, Ferd. Mey, in dessen elterliches Haus in Leipzig eingeführt worden. Dieses Haus lag an der Dresdener Straße, unweit des äußeren Grimmaischen Thores, das vierundzwanzig Jahre zuvor die Königsberger Landwehr unter Friccius gestürmt hatte. Noch hafteten überall die Kanonenkugeln der Völkerschlacht in den Mauern der Häuser. Jenseits des Thores, wo das Mey’sche Haus zur Rechten lag, war damals fast Alles noch Garten. Mit der Rückseite stieß das Besitzthum an das üppig-grünende Heiligthum des Johanniskirchhofes. Wer konnte ahnen, daß auch der jungen Liebe, die dort emporkeimte, die Trauerweide des Friedhofes in so furchtbarer Nähe erwachsen sollte!
Ein achtzehnjähriges Mädchen (geboren 1. Mai 1819) war Adelheide Mey, als Robert Blum sie zuerst kennen lernte; in kleinbürgerlichem, leidlich wohlhabendem Hause, unter den Blumen und Bäumen des Vaters war sie aufgewachsen, ein Naturkind, schlicht, offen in allen Empfindungen und Gedanken, gleichgültig fast gegen alle tiefsten Zweifel des Menschenherzens, da keiner dieser Zweifel noch den Frieden ihrer Seele getrübt hatte, bis der geistvolle neue Freund leise tastend ihrem Glauben, ihrer Erkenntniß nachspürte. So zog ihr Wesen, ihre Erscheinung den Vielgeprüften mächtig an, gerade wegen des Gegensatzes ihrer Art und Entwickelung zu der seinen. „Jeder Schritt in das Leben war ihr neu, reizend,“ schreibt Blum später an seine Eltern, „es war mir vorbehalten, sie jeden dieser Schritte zu führen, und ihr freudiges Erwachen zu einer höheren Erkenntniß, zu einem geistigeren Lebensgenusse, war mein süßester Lohn. Auch erhob sie sich in geistiger Beziehung mit jedem Tage; ich sah sie gedeihen unter meiner Leitung wie eine sorgsam gepflegte Blume und freute mich so innig an ihrer immer reicheren Entfaltung.“
Sehr bald schloß sich der Bund der jungen Herzen. Die Eltern und Brüder der Braut waren der Werbung gewogen; der Vater liebte Blum wie seinen besten Sohn, und bis an Blum’s Ende hat der kreuzbrave schlichte Mann große Stücke auf den Schwiegersohn gehalten. Das Bild Adelheids steht vor mir in Lebensgröße; sie ist vom Maler Storck in Oel gemalt, in ihrem blaßblauen Brautkleide, das dunkle Haar kunstlos und kurz in Locken um die Stirn ausgehend, das braune Auge lebhaft, die Lippen üppig, Gesicht und Gestalt lieblich, aber in Nichts ungewöhnlich; doch Maler Storck war kein Schmeichler.
In der Nummer des Tageblattes und der Leipziger Zeitung vom 3. Februar 1838 war die Verlobung des Paares öffentlich angezeigt worden. Am 1. Mai 1839, dem neunzehnten Geburtstage Adelheids, widmete ihr Robert ein Gedicht, das beginnt: „Ein schöner Maitag gab Dir einst das Leben,“ und das endet mit der Frühlingshoffnung des Bräutigams, der in wenig Wochen Gatte werden sollte: „Und unser Leben wird ein Maitag sein.“ Ja – ein Maitag, ein kurzer Frühlingstag, in der That! Um in Leipzig heirathen zu können, mußte der Kölner Robert Blum zuerst in Sachsen staatsangehörig werden. Die einfachste Form hierzu war die Erwerbung eines Grundstückes. Am 20. April bucht er „Kaufgeld für das Haus und Kosten 126 Thlr. 6 Gr.“ Es war eine Breterbude in der Nähe Leipzigs. Am 21. Mai fand die Hochzeit statt. Da gab das ganze Theater dem beliebten Secretär Beweise seiner freundlichen Zuneigung in Versen, Gratulationen, Geschenken. Regisseur Düringer hatte sich in Dichtkunst gewaltig angestrengt. In der ersten Etage des Mey’schen Hauses wohnte das junge Paar seit der Hochzeit.
Die Mußestunden jener glücklichen Wochen füllte die Arbeit am Theaterlexicon, mit dessen Plan und Vorarbeiten sich Blum schon lange getragen hatte und das nun bald erscheinen sollte. Am 29. Juni 1838 hatten Blum, Herloßsohn und Marggraff mit dem Major Pierer in Altenburg und Carl Heymann „aus Berlin“ als Verleger, einen schriftlichen Verlagsvertrag über das Unternehmen abgeschlossen, das unter dem Titel „Allgemeines Theaterlexicon“ in drei Bänden von höchstens 75 Bogen in Duodez erscheinen sollte. Für den Druckbogen zahlten die Verleger drei Friedrichsd’ors; bei einem Absatz von zwei Dritteln der Auflage, die auf 3500 Exemplare bemessen wurde, sollte noch eine Nachzahlung von 14 Gr. pro Bogen stattfinden. Ursprünglich war statt Marggraff’s Dr. Carl Andree als Mitredacteur in Aussicht genommen. Andree hatte den Plan und die Vorarbeiten wesentlich fördern helfen. Aber seine Berufung nach Mainz hinderte ihn, an der Ausführung des ihm selbst lieben Planes mitzuwirken. Leider führte dieser Vorfall zu einem völligen Bruche mit Düringer, der sich eingebildet hatte, er werde an Andree’s Stelle in die Redaction berufen werden. Den gekränkten Biedermann trieb die Leidenschaft soweit, daß er zusammen mit dem Inspicienten des Leipziger Stadttheaters, Barthels, der nicht einmal orthographisch schreiben konnte, an einem Gegenwerke arbeitete, welches das Theaterlexicon Blum’s und seiner Freunde todt machen sollte. Dieser Plan ist freilich mißlungen. Blum’s Theaterlexicon darf noch heute als ein fleißiges, gründliches, seinen Stoff vollkommen beherrschendes, durchaus ehrenwerthes Werk bezeichnet werden, das zu der Zeit, wo es erschien, zweifellos eine wesentliche Lücke der Literatur ergänzte und auch heute noch für die Geschichte der Theater, namentlich die Theaterzustände vor vierzig Jahren, mit Nutzen gebraucht werden kann. Unter allen schriftstellerischen Arbeiten, die Blum hinterlassen, steht es in unsern Augen am höchsten, weil der Verfasser bei diesem Werke seinen Stoff am vollständigsten beherrschte – während das z. B. in seinem Staatslexicon durchaus nicht der Fall war – und am wenigsten Tendenz hineintrug, vielmehr rein sachlich und mit weiser Objectivität arbeitete. Auch kam dem Werke zu Gute die Mitarbeiterschaft einer großen Anzahl praktischer Kenner der Sache, in deren Herbeiziehung Blum unermüdlich war. Schon bei Abschluß des Verlagsvertrages mit Pierer und Heymann, der seit der Ostermesse 1838 allerdings in den Grundzügen schon verabredet war, hatte die Zahl der Briefe, die Blum in Sachen des Theaterlexicons an die Mitarbeiter geschrieben, bereits vierhundert überschritten.
Die Beziehungen zu Pierer und Heymann und eine lohnende Arbeit, welche Blum unerwartet im August übertragen wurde (die Durchsicht und Correctur eines Lexicons) machten es ihm möglich, nachträglich, gegen Ende August noch eine Hochzeitsreise anzutreten. Diese Reise, mit ihrer langen, achtzehnstündigen Postfahrt und den vielen Gastereien, welche die Freunde in Berlin boten, war bei dem Körperzustand der jungen Gattin ein starkes Wagniß, das leider in der verhängnißvollsten Weise enden sollte. Am 9. September 1838 schrieb Robert Blum darüber an seine „lieben Eltern.“
„Im Juli ersuchten mich unsere Verleger im Interesse unseres Unternehmens und auf ihre Kosten eine Reise nach Berlin zu machen, was ich auch zusagte. Meine Frau war theils ganz verstört, daß ich sie vier bis sechs Tage verlassen solle, anderntheils sprach sie den lebhaften Wunsch aus, mich zu begleiten; doch war sie so vernünftig einzusehen, daß dies bei unsern Verhältnissen nicht anging. Da führte mir der Zufall eine Arbeit zu, die sehr schwierig aussah, aber schnell vollendet sein mußte; ich nahm sie für vierzig Thaler an und vollendete sie in einer Woche Nachts. Dieser Verdienst, an den ich nicht dachte, den ich als gefunden betrachten mußte, veranlaßte mich, meiner Frau die große Freude zu machen, sie mitzunehmen. Mußte die Arme doch den ganzen Tag allein sitzen und ich konnte ihr, bei meinen vielen Arbeiten, so wenig Vergnügen machen. Heute würde ich untröstlich sein, wenn ich ihr diesen Wunsch versagt hätte. —
Am 20. August reisten wir froh und munter ab und Adelheid hatte eine unendliche Freude, als sie die pompöse, riesige Stadt sah. Dienstag und Mittwoch war sie ganz wohl und heiter, Donnerstag bekam sie ein leichtes Erbrechen, was wir jedoch ihren Verhältnissen und dem Umstande zuschrieben, daß sie Vormittags ein Glas Eis gegessen hatte; auch war sie zu Mittag ganz wohl und ließ sich sogar den Champagner trefflich schmecken. Freitags war sie unwohl, hatte Kopfschmerz, Erbrechen, keinen Appetit, und da wir Abends reisen wollten, so fragten wir einen Arzt, ob es nicht besser sei, die Reise um einen Tag zu verschieben. Dieser aber, als er hörte, daß wir von einem Gastmahl zum andern geschleppt worden waren, erklärte ihre Unpäßlichkeit für eine Magenüberladung, die sich von selbst verlieren würde, ehe wir den halben Weg zurückgelegt hätten, und hieß uns muthig reisen. So reisten wir denn Abends ab“ (25. August).
Die Krankheit der Frau wird nach der Ankunft in Leipzig, die am Sonnabend Mittag (26. August) erfolgte, immer schlimmer. Ein Arzt und außerdem Professor Braune werden gerufen. Durch energische Mittel wird das Fieber so weit gemildert, daß die Kranke sich bis Mittwoch (29. August) leidlich wohl fühlt. Gegen halb elf Uhr Nachts tritt eine Frühgeburt ein. Obwohl die Hebamme Alles für ungefährlich erklärt, schickt Blum „zum Hofrath Jörg, dem ersten Geburtshelfer Sachsens und hinsichtlich seines Ruhmes von ganz Deutschland, mit dem ich durch seinen Sohn, der mein innigster Freund ist, bekannt bin. Er erklärte, meine Frau wenigstens sehen zu wollen. Beim ersten Anblick nahm er mich bei Seite, erklärte mir, daß die Frau sehr krank sei, und ließ sich ihre Krankheitsgeschichte ganz genau erzählen, prüfte dann alle Recepte, billigte das Verfahren des Professor Braune und verschrieb vier verschiedene Arzneien. Der Hofrath blieb bis ein Uhr“ (Nachts den 30. August) „bei mir, gab selbst die erste Arznei, entließ die Hebamme, gab mir die genauesten Anweisungen und hieß mich jeden Athemzug bewachen. Als ich ihn begleitete und meine Frage wiederholte: ob die Sache lebensgefährlich werden können sagte er: ‚Es thut mir von Herzen leid, es Ihnen sagen zu müssen, aber es ist schon lebensgefährlich. Wenn sie ruhig bleibt, so haben wir Hoffnung; wird sie unruhig, so hat unsere Kunst ein Ende.‘ Mit welchem Gefühle ich mich nun an’s Bett setzte, könnt Ihr leicht ermessen, nie habe ich ängstlich Secunden und Athemzüge gezählt wie die folgende Stunde. Adelheid war ganz ruhig, nahm ihre Arznei und klagte nur zuweilen mit tiefer Schmerzensstimme: ‚Ach, Robert, mir ist’s sehr schlecht.‘ Gegen halb zwei Uhr schlief sie ein, das Herz schlug weniger stark und ein Hoffnungsblitz zuckte durch meine Seele. So dauerte es fort, die alte Mutter legte sich auf’s Sopha, ich, der ich drei Nächte nicht geschlafen hatte, fühlte mich sehr müde und legte mich um drei Uhr auf’s Bett auf Zureden der Wartefrau, der ich den Befehl gab, mich bei der geringsten Anwandlung von Unruhe, bei jedem stärkeren Athemzuge, zu wecken. Ich war wohl kaum eingeschlummert, als sie mich aufrief. Adelheid war erwacht, die Herzschläge wurden wieder heftig, der Puls zeigte Fieber, sie hatte heftigen Durst und wollte nicht ruhig liegen. Jetzt kannte ich mein fürchterliches Loos, und während mir das Herz brechen wollte, mußte ich mit der scheinbar größten Ruhe für sie sorgen. Gegen vier Uhr wurde das Fieber heftiger, die Unruhe krampfhaft, der Verstand entwich und nur ich war der leitende Faden in ihren Phantasien. Ich ließ Eltern und Brüder wecken, schickte eiligst zu allen drei Aerzten und hielt mit allen Leibeskräften mein leidendes Weib. Den Jammer der Mutter erkannte sie, ohne ihn zu verstehen. Vater und Brüder erkannte sie nicht mehr; mich umklammerte sie fest und bat um Schutz und Hülfe gegen wer weiß welche äußere Dinge; der Todeskampf schien die Gestalt äußerer Anfeindungen für sie angenommen zu haben. Um fünf Uhr kamen die Aerzte zusammen, deliberirten lange, verschrieben noch eine Arznei, legten Senfpflaster hin und wieder; leere Versuche, sie war hin! Um sechs Uhr kam der letzte Krampf, sie hatte Streit mit Jemand in der Theaterloge und drohte, ihren Mann zu rufen. Auf meine Frage, ob sie mich noch erkenne, schlang sie einen Arm heftig um meinen Nacken und sagte: ‚Ich heiße Karoline Blum und mein Mann heißt Robert!‘ Das waren ihre letzten Worte; die Pulse stockten plötzlich, sie hatte ausgelebt und ausgelitten! Das Herz schlug noch heftig bis gegen sieben Uhr, die Lippen zuckten convulsivisch, aber die Seele war entflohen; ein Nervenschlag hatte ihrem Dasein ein Ende gemacht.“
„Ich unternehme es nicht, Euch unsern Jammer zu schildern; wozu soll ich Worte machen über Dinge, die sich nicht beschreiben lassen. Meinen Verlust könnt Ihr selbst abschätzen in seinem ganzen ungeheuren Umfange. Von allen Aussichten, von allen Glücksträumen, die ich mir mit so vielen Mühen, Sorgen und Kosten erworben hatte, ist mir nichts geblieben: das ist die ganze Ernte von dem üppig prangenden Felde meiner Hoffnungen. Was ich im vorigen Jahre so sehnsüchtig zu verlassen wünschte, das öde, einsame, herzlose Junggesellenleben, ich werfe mich jetzt in dasselbe zurück, um den marternden Erinnerungen zu entfliehen, die in meiner zertrümmerten Häuslichkeit mich verfolgen. Ich muß mein schönes freundliches Logis verlassen, denn ich kann keine Ruhe und keinen Arbeitsmuth darin finden und doch muß ich arbeiten, viel, viel arbeiten, wenn ich die drückenden Nachwehen der entsetzlichen Woche verlöschen will… Ach, das Schicksal hat uns fürchterlich betrogen; nur den kürzesten Frühling hat es uns gegeben und dann ungerechter Weise den herbsten Winter folgen lassen. Doch ich will ja nicht klagen.“
„Sonntags den 2. September wurde Adelheid beerdigt; der traurige Fall hatte die Stumpfheit der Menschen ungewöhnlich aufgeregt und Theilnahme erweckt; Sarg und Träger vermochten kaum die Kränze zu fassen, die von allen Seiten geschickt wurden. Schaarenweise waren die Menschen gekommen, sie zu sehen. Ach, sie sah so friedlich still und lieb aus; ihre schönen Brautkleider hatte sie seit der Trauung nicht wieder angezogen, jetzt liegt sie darin im Sarge. Fürchterlicher Wechsel, einmal zur Trauung, einmal im Sarge! und in so kurzer Zeit. – Wir hatten nur drei Wagen angenommen, die der Leiche folgten; aber alle meine Bekannten kamen uneingeladen in eigenen Wagen und es wurde ein langer feierlicher Zug. Auf dem Gottesacker waren Hunderte von Menschen zusammen, das ganze Theaterpersonal stand um das Grab und empfing den Sarg mit feierlichem Gesange; Düringer[23] hielt eine vortreffliche Rede, ein erhebender Chor, von Stegmayer componirt zu diesem Zwecke, folgte darauf und der Geistliche, der uns getraut hatte, sprach den letzten Segen. Dann sank mein armes junges Weib in die Tiefe, aus der sie ewig nie wiederkehrt! Ich habe von alle dem fast nichts bemerkt, denn alle meine Sinne hafteten auf dem schwarzen Sarge und dem tiefen Grabe; aber ganz Leipzig sprach drei Tage lang von dieser Leichenfeier, wie selten eine gesehen wurde. Der oft verketzerte Schauspielerstand hat sich darin ein schönes Monument gesetzt… Es ist dies der bitterste Brief, den ich in meinem Leben geschrieben habe.“
Arbeit die Fülle fand Robert Blum in seinem tiefen Schmerze. Aber Trost gewährte auch sie ihm nicht. Vergeblich suchten die Freunde ihn zu zerstreuen. Bis zu Visionen steigerte sich sein aufgeregter Seelenzustand. Am 24. September und 1. October erschien ihm die Verstorbene und führte lange Gespräche mit ihm, die er niederschrieb[24].
Etwa acht Wochen nach dem Tode der Frau sandte er den Eltern und Schwestern kleine Andenken an die Geschiedene aus deren Nachlaß und schrieb dazu u. A.: „Damit sende ich Euch denn die letzten Zeichen meiner guten Frau und bitte Euch, sie nun nicht mehr erwähnen zu wollen, wie ich es auch nicht mehr thun werde. Ach, es ist sehr schmerzlich, daß man sich das einzige Ueberbleibsel eines grausam zerstörten Glückes, die Erinnerung, auch noch verkümmern muß; aber es ist nothwendig und heilsam. – Ich bin nun ausgezogen[25], wohne in der Nähe des Theaters mit freundlicher Aussicht auf die Promenade und habe freundliche Wirthsleute gefunden. Die Arbeit, deren ich in den letzten sechs Wochen sehr viel hatte, hat mich zerstreut und ich bin ziemlich ruhig. Nur wenn ich das Bild meines armen Weibes – doch ich will ja nicht mehr von ihr reden. – Meine Freunde bemühen sich, mich zu zerstreuen und führen mich häufig fast gewaltsam in Privatgesellschaften; dort bin ich allerdings ein trüber Genosse und wenn der weinfrohe Muth oft das Wohl von Weib und Kindern ausbringt, verkündet sich mein Unglück in unwillkührlichen Thränen; aber häufig fühle ich auch, daß mir die erheiternde Unterhaltung recht wohl thut und mir zu neuer Geschäftigkeit Lust und Muth gibt. Zu den Eltern gehe ich sehr oft, bringe einen Theil meiner freien Abende dort zu und damit wir uns nicht gegenseitig mit trüben Erinnerungen quälen, gebe ich (Schwager) Carl Unterricht im Französischen. So sind meine Tage ein reizloses Einerlei und fließen unersehnt und ungenossen dahin, wie ein seichter Bach. Mein Lexicon ist indessen soweit gediehen, daß in künftiger Woche der Druck des ersten Heftes[26] beginnt.“ In einer Nachschrift heißt es: „Ich lege Euch eine kleine Erzählung von mir[27] zur Unterhaltung bei. Frau R. hat mir einen ganzen Brief voll Glückwünsche geschrieben. Glück und ich!! Ach Gott!“
Wiederum einige Monate später schrieb er der Schwester Gretchen nach Köln, auf deren Vorschlag zu ihm zu ziehen und ihm die Wirthschaft zu führen: „Für den Fall, daß ich wieder heirathen sollte – und dieser Fall ist nicht unwahrscheinlich, da die Häuslichkeit so ganz mit meinen Neigungen übereinstimmt – wer bürgt Dir dafür, daß Du Dich mit meiner Frau verträgst?“ Und bei Aufzählung der Gründe, die ihn veranlaßt hätten, die Wohnung im Hause der Schwiegereltern zu verlassen, sagt er u. A.: „Es hätte mir den Anschein gegeben, als wollte ich mir bei den alten Leuten einen Theil der Erbschaft erschleichen, auf die ich durch den Tod meiner Frau keinen Anspruch mehr habe. Bei einer möglichen Heirath wäre es unendlich schwerer gewesen, mich von ihnen zu trennen, als jetzt. Auch hätten sie für Wohnung und Kost nichts genommen und ich kann mich nicht umsonst ernähren lassen u. s. w. Es ist somit besser, ich bin selbstständig und unabhängig und stehe doch mit den Eltern auf dem besten Fuß.“
8. Neue Hoffnungen. Eugenie Günther
(1839. 1840.)
Die „mögliche Heirath,“ welche Robert Blum in dem letzten Briefe an seine Schwester erwähnte, war im Frühjahr 1839 wenigstens soweit aus dem Gebiete eines bloßen hypothetischen Wunsches herausgetreten, als er bereits das Mädchen gefunden zu haben glaubte, das ihn seinem Ermessen nach allein trösten konnte über das so plötzlich vernichtete Liebesglück: das ihm voll ersetzen konnte die Liebe, die er verloren. Dieses Mädchen war die Schwester seines Freundes Dr. Georg Günther, Eugenie Günther.
Sie war geboren in Penig in Sachsen am 13. Februar 1810. Ihr Vater war dort Kattunfabrikant. Er war mit seiner zahlreichen Familie 1820 nach Prag übersiedelt, als technischer Leiter (Factor) einer dortigen Kattunfabrik, hatte sich mit Fleiß und Geschick auch dort zum selbstständigen Fabrikanten gemacht und hatte, als er 1834 starb, ein blühendes Geschäft hinterlassen. Der einzige Sohn Georg, der in allen Facultäten herumstudirt hatte, ohne bis zum Tode des Vaters es zu einer festen Existenz zu bringen, übernahm leider nach dem Willen des Vaters dessen Geschäft und führte es durch Geschäftsunkunde und gutgläubiges Menschenvertrauen binnen kurzer Zeit zum Bankerott. Er und die Schwestern opferten ihr ganzes ererbtes Vermögen, um den Bruch des Hauses den Gläubigern so schmerzlos wie möglich zu machen. Die Mutter folgte dem Vater schon nach zwei Jahren im Tode. Drei der Schwestern heiratheten. Mit seiner älteren Schwester Emilie und der jüngeren Jenny übersiedelte Georg Günther nach Leipzig, wo er, wie bereits erwähnt, in die Redaction der Leipziger Allgemeinen Zeitung bei Brockhaus eintrat.
Eugenie war gut erzogen und belesen, sehr lebhaften Geistes, voller Interesse für alle bewegenden Ideen der Zeit, eine schwärmerische Freundin von Naturschönheiten, von dem innigsten Gemüthsleben erfüllt. Sie war nicht groß, leidlich gebaut, lebhaft und anmuthig in ihren Bewegungen. Das dunkelbraune Haar war auf der Stirn gescheitelt und fiel in langen dichten Locken beinahe bis auf die Schultern; die Stirne schmal, die Nase charactervoll, etwas lang, doch nicht unschön. Der liebliche Mund zeigte, wenn er lächelte, zwei Reihen schöner Zähne. Das ganze tiefe Gemüths- und Seelenleben des Mädchens blickte aber aus den freundlichen braunen Augen. Sie sah weit jünger aus als neunundzwanzig Jahre[28].
Mit ihrem Bruder hatte Eugenie dem Hochzeitsfeste Robert Blum’s mit Adelheid Mey beigewohnt. Schon damals erschien ihr der bedeutende Mann nicht gleichgültig, und ein unbeschreibliches Gefühl, als ob sie ein theures Gut für immer verliere, drückte ihr Gemüth an seinem Hochzeitstage. Als Blum als Wittwer häufig das Haus ihres Bruders aufsuchte, mit dem Eugenie zusammen wohnte, und fast täglich mehrere Stunden in gemeinsamem Gespräch verstrichen, fühlte sie den Bann, den die Vollkraft des Characters, der Reden und Gedanken dieses Mannes auf sie ausübte, immer enger und fester die Freiheit ihrer Neigung und Empfindung umstricken, und um sich mit Gewalt aus diesen drückenden Fesseln zu befreien, trat sie vor ihren Bruder und beschwor diesen, Blum nicht zu trauen, er meine es nicht ehrlich mit ihm, könne es nicht ehrlich meinen[29]. „Der Bruder tobte und schimpfte auf mich,“ schreibt Eugenie später, und – Blum kam tagtäglich wie zuvor. Er kam anfangs nur um Zerstreuung zu finden im Freundesgeplauder – er fand mehr als das. Er ahnte in Eugenie mehr und mehr die Einzige, an deren Seite er wieder glücklich werden könne. Aber er barg diese leise Hoffnung, die ihm der Frühling 1839 brachte, still und verschwiegen in seinem Busen; weder Georg noch Eugenie erfuhren ein Wort. Nur der Klang der Stimme, nur die Augen hatten bis dahin gesprochen.