
Полная версия
Robert Blum
So schlimm stand es indessen nicht. Der Heerruf erging freilich erst gegen Ende October an die Getreuen und Blum folgte ihm sofort nach Frankfurt und Mainz. Er konnte dafür der Braut am 3. November von Leipzig nach seiner Rückkehr melden: „Was das Resultat meiner Reise betrifft, so hat dasselbe zwar nicht allen Wünschen entsprochen, aber doch die Erwartungen übertroffen. Es ist zu hoffen, daß bei der Einigkeit zwischen Verlegern und Redacteurs ein tüchtiges Werk zu Tage gefördert werde, wozu einstweilen rüstige Vorbereitungen getroffen werden. Gott gebe seinen Segen.“
Da später die literarisch-politische Unternehmung, die hier beschlossen und rüstig vorbereitet worden sein soll, auch nicht einmal dem Namen nach erwähnt wird, so ist es wahrscheinlich, daß alle die Stellen, die in der Correspondenz Blum’s mit seiner Braut auf ein journalistisches Unternehmen mit Süddeutschland deuten, einfach fingirt sind, und daß es sich bei diesem Unternehmen überhaupt nur darum handelte, eine werkthätige Vereinigung aller entschlossenen Liberalen Deutschlands zu Stande zu bringen. Da dieses Vorhaben nach damaligem Bundesrecht einfach hochverrätherisch war oder wenigstens mühelos als hochverrätherische Verschwörung angesehen werden konnte, so war bei jeder brieflichen Aeußerung über diesen Plan die größte Vorsicht geboten. Dieselbe Vorsicht und ähnliche Fictionen[33] wie hier Eugenie gegenüber, finden sich in allen Briefen Blum’s, welche diese geheime Verbindung betreffen. Was mich aber vor Allem veranlaßt anzunehmen, daß die Frucht dieser Reise nicht der Beschluß und die Vorarbeit für eine liberale Zeitung gewesen sei, sondern die Gründung einer festen Verbindung freisinniger deutscher Männer, vor allem der Abgeordneten, über ganz Deutschland, ist die Thatsache, daß von dieser Zeit an diese Verbindung besteht. Alljährlich treffen sich fortan Winter, Itzstein, Hecker, Johann Jacoby, Heinrich Simon (von Breslau), Robert Blum, Watzdorf, Todt u. A., bald auf Itzstein’s Gut Hallgarten im Rheingau, bald bei Blum in Leipzig, bald in Cassel &c., um gemeinsam die Pläne und Taktik der Genossen und aller liberaler Kammermitglieder in Deutschland für das nächste Jahr zu berathen[34].
Von da ab tritt Blum in ununterbrochene Correspondenz mit den Führern des Liberalismus in Deutschland. Für die Größe und Bedeutung der Aufgaben, die er schon damals in politischer und nationaler Hinsicht sich setzte, giebt daher dieser Briefwechsel mit seiner Braut überraschende Aufklärung.
Speciell der Brief Blum’s vom 3. November ist aber auch interessant wegen der Kulturbilder, die er bietet, sowohl über die damalige Reiseart wie über die Methode und Form, in welcher damals Politik gemacht wurde. „Meine Reise war wirklich mühsam. Nur von hier (Leipzig) bis Naumburg saß ich im Hauptwagen und in einer Ecke, dann ging es um Mitternacht von dort nach Jena in einem Kasten, der wahrscheinlich zu den Zeiten der Folter dazu benutzt wurde, den armen Opfern alle Rippen zu zerbrechen. In Jena war auch kein Rasttag. Von 6 Uhr Morgens an, wo ich ankam, war ich in Beschlag genommen; wir zogen von einem Orte zum andern, betrachteten die Umgegend, die Merkwürdigkeiten (die sieben Wunder Jena’s genannt) und besuchten die wissenschaftlichen und Wohlthätigkeitsanstalten, vulgo Wirthshäuser. Und als wir aus den letztern um Mitternacht von der heiligen Polizei verjagt wurden, öffnete uns eine freundliche Privatwohnung ihre glühweindurchwürzten Räume und hier weilten wir, bis der bestellte Postbeamte um 2 Uhr sagte: Marsch! Dann nahm mich ein eben so schöner und bequemer Wagen auf, in welchem ich nach Weimar gerädert wurde. Von dort aus genoß ich die Wonne der Beiwagen bis Frankfurt, ein treffliches Institut, welches die verpönten Turnanstalten ersetzen könnte; denn wer 8 Tage darin fährt, hat die stärkste Gliederprobe bestanden, die es in der Welt giebt. Und nun werden diese herrlichen Dinger blos stationsweise gegeben, und man wird alle 2–3 Stunden aus- und in einen andern Kasten eingepackt, was besonders in der Nacht höchst angenehm ist. So sah ich denn Frankfurt mit wirklich ungetrübter Freude und machte mir nachher bittere Vorwürfe darüber, daß ich im ersten Augenblicke nicht einmal die Erinnerung an den göttlichen Bundestag in meine frohen Empfindungen gemischt hatte. In Frankfurt ging nun das Jubelleben los. Zwei bekannte Voigtländer[35] grüßten mich gleich bei der Ankunft, Böhler’s Bruder hatte mich schon lange gesucht; mit einigen andern guten Literaten[36] gings nun zu Tische, wobei es wie am Rheine darauf abgesehen ist, zu versuchen, was ein Menschenmagen im äußersten Falle zu ertragen vermag. Dann ging’s fort auf die Promenade, Vergnügungsorte u. s. w., Abends zu Böhler, der uns ein förmliches Festmahl gab, zu dem er die Literaten, die Frankfurt aufzuweisen hat, eingeladen. Kurz, ich sage Dir, ein Leben wie im Himmel. – Freitags früh reisten wir nach Mainz ab, fanden aber in Hattersheim, einem kleinen Neste an der Straße, wo wir nur frühstücken wollten, eine so angenehme Gesellschaft, daß wir uns gefesselt fühlten und – es ist fast unglaublich – bis zum folgenden Tage gegen Mittag weilten und uns höchst angenehm unterhielten. Dann fuhren wir in großer Gesellschaft nach Mainz, begrüßten mit wahrer Seelenfreude den schönen, schönen Rhein und trennten uns von den neuen Freunden nach frohem – und im Gefühle des Scheidens auch trübem – Mahle und betrachteten dann Mainz. Nie im Leben habe ich Theil an einer Gesellschaft genommen, bei der eine solche Herzlichkeit, Innigkeit und Heiterkeit herrschte, wie bei dieser.“
„Bekennen muß ich, daß ich bei dieser Gelegenheit auch zuerst einen Anflug von Heimweh empfunden. Als ich den herrlichen Strom sah, noch mehr, als ich am andern Tage (Sonntags) mit dem Dampfschiffe bis Bieberich fuhr, dort die lieben Freunde weiter reisen lassen mußte und bedachte, daß ich binnen 10 Stunden in ihrer Gesellschaft bei meiner alten kranken Mutter, bei meinen Geschwistern und tausend der Erinnerung theuren Gegenständen sein könnte und nun doch den Rückweg antreten mußte – da erfaßte mich ein eigenes Weh, und nie hat mir das Müssen so tief in die Seele geschnitten, als in diesem Augenblicke. Ich mußte mich mit aller Kraft an Dich anklammern, um die wehmüthige Empfindung zu besiegen und nur allmählich, als Dein Wesen und Lieben mir klar und klarer hervortrat, sah ich wieder heiteren Blickes auf den geöffneten Rückweg.“
Genug an diesen Proben.
Eugenie kehrte am 21. December 1839 nach Leipzig zurück. Von da an bis April hört naturgemäß der Briefwechsel fast ganz auf. Weit häufiger und consequenter als dies aus den mitgetheilten Proben gefolgert werden könnte, dringt immer von neuem durch alle Glückseligkeit des neugewonnenen Liebesglückes Blum’s ruhige überzeugte Mahnung, daß er sein Heim nur gründe mit dem Vorbehalte, seine Schuld an das Vaterland abzutragen, sobald dieses rufe.
Er dachte wohl selbst kaum an diesen Vorbehalt, als am 29. April 1840 der Pastor von St. Thekla bei Leipzig seine und seiner Eugenie Hände, und die Hand ihres Bruders Georg mit der Hand der geistvollen Lina Böhme, zusammenfügte. Auch über dem kleinen Häuschen, in dem Blum mit seiner jungen Frau allein wohnte, dem letzten einstöckigen Hause, das zur „kleinen Funkenburg“ an der Frankfurter Straße in Leipzig gehört, und über dem großen Garten, der sich daran schloß, stand nicht eine einzige trübe Wolke ein ganzes Jahr lang und länger. Hier erlebte Robert Blum im Juni 1841 und im September 1842 die ersten Vaterfreuden. Hier sah er seine Herren Jungens mit dem Schäfer bis zum Thore ziehen, und hinter dem Hause auf der großen Wiese die Seiltänzer während der Messen anstaunen und zu den Aprikosenbäumen, die zu stark waren, um geschüttelt zu werden, sprechen: „Bitte bitte!“ Hier wohnte er noch, als sein Name weit über das Weichbild der Stadt hinausgedrungen war.
9. Wachsendes öffentliches Wirken
(1840–1844)
Das Jahr 1840 bezeichnet auch für das Königreich Sachsen, wie für Preußen durch die Thronbesteigung Friedrich Wilhelm IV., eine neue Epoche der politischen Entwickelung. In Sachsen bestieg in jenem Jahre kein neuer Fürst den Thron des Landes, aber ein neuer Geist erfüllte das Leben des Staates. Zum ersten Male trat hier vor Allem das Gefühl der Solidarität gesammtdeutscher Volksinteressen in der Bürgerschaft wie im Landtag lebendig hervor. Was 1837 bei der Vertreibung der sieben Göttinger nur von einigen Hunderten unverantwortlicher Bürger gewagt worden war: dem verletzten deutschen Verfassungsrecht gegenüber den unbeugsamen Rechtssinn des deutschen Bürgerthums zur Geltung zu bringen, dasselbe vertrat schon in dem am 10. November 1839 eröffneten Landtag der alte ehrenwerthe und maßvolle Veteran des Sächsischen Verfassungsrechtes, Eisenstuck, der in seiner Person eigentlich weit mehr den genügsamen Dresdner Localpatriotismus, als die schwungvolle Opposition des Voigtlandes und gar Leipzigs vertrat; Leipzig war und blieb für Eisenstuck vielmehr immer eine Quelle der Abneigung. Und dennoch befürwortete dieser vorsichtige maßvolle Mann bei Zusammentritt des Landtages den Antrag v. Dieskau’s „die Uebereinstimmung der Kammer mit dem Beschluß der badenschen Volkskammer über diesen empörenden Vorgang, gegen die Regierung aber die zuversichtliche Erwartung zu erklären, dieselbe werde die constitutionellen Rechte der Bundesstaaten beim Bundestage zu wahren wissen.“ Diesem Antrag, über den v. Watzdorf Bericht erstattete, trat die zweite Kammer einstimmig bei und richtete außerdem zwei andere Anträge von nationaler Bedeutung an die Regierung: auf Errichtung eines Bundesstaatsgerichtshofes und auf Veröffentlichung der Bundesprotocolle. Seltsamerweise erlangten diese beiden Anträge sogar die Zustimmung der ersten Kammer, während das Haus der Sächsischen Lords selbstverständlich die Einmischung des Volkshauses in den hannöverschen Verfassungsbruch als bundesverfassungswidrig[37] zurückwies. Die Regierung lehnte aber selbst die von beiden Kammern beschlossenen Anträge im Landtagsabschied ab: die Veröffentlichung der Bundesbeschlüsse, da diese „lediglich zur inneren Geschäftsordnung des Bundestags gehöre“ (!), die Befürwortung eines Bundesstaatsgerichtshofes, weil hierzu „im Hinblick auf die Verhältnisse Sachsens (!) ohnedies keine Veranlassung vorliege.“ Damit war rund heraus erklärt, daß die Regierung gemeindeutsche Angelegenheiten überhaupt nicht kenne, mindestens den Kammern nur gestatte, den engsten sächsischen Standpunkt an Deutsche Fragen zu legen.
Aber auch in innern Fragen zeigte sich die Regierung von einer bemerkenswerthen Beschränktheit des Gesichtspunktes, voll der größten Aengstlichkeit gegen die freiheitlichen Forderungen der Zeit. Die Verfassung von 1831 enthielt alle Keime zu gesunder freiheitlicher Entwickelung. Bis zum Jahre 1840 war es, wie gezeigt wurde, die Regierung, welche aus freiem Antrieb diese Keime förderte und pflegte. Nun auf einmal verrieth sie die entschlossene Absicht, jeden neuen Trieb und jede Entwickelung über das Gegebene und Vollendete hinaus zu unterdrücken. Dies offenbarte sich zuerst, als dem Landtag von 1839 das dem letzten Landtage versprochene Preßgesetz von der Regierung vorgelegt wurde. Die Kammer ernannte – so sehr war der Einfluß der Opposition schon gewachsen – den Wortführer der Liberalen, Carl Todt, zum Referenten über das Gesetz. Und Todt und die Preßgesetz-Deputation (Commission) schlugen so umfassende Aenderungen an dem zopfig-reactionairen Regierungsentwurfe vor, daß die Regierung vorzog, das ganze Gesetz zurückzuziehen. Mochte man das nun auch als ein Zeichen ihrer Schwäche ansehen, da sie den parlamentarischen Principienkampf scheute und mindestens in der zweiten Kammer einer Niederlage entgegensah, so beharrte sie doch ruhig auf ihrem Verbietungs-Standpunkt der freien Presse gegenüber und schien einen gleich überlebten Standpunkt einzunehmen auf einem anderen Gebiet, an welches sich mit einer uns heute kaum begreiflichen Erregung die Interessen aller Staatsbürger damals hefteten: auf dem Gebiete der Strafrechtspflege und des Strafprocesses. Sachsen hatte 1838 ein neues Strafgesetzbuch erhalten, welches, wahrhaft human und wissenschaftlich gearbeitet, leider das letzte große Denkmal der Regierungskunst Bernhard’s von Lindenau sein sollte. Weimar und Altenburg hatten dieses Gesetz ohne Weiteres bei sich eingeführt. Neben diesem wahrhaft modernen Gesetze aber stand in Sachsen im Strafverfahren der alte Inquisitionsproceß in widerlicher Blüthe, in allen seinen Schattenseiten nur verstärkt durch die unselige Zerrissenheit der Sächsischen Gerichtshoheit. Neben dem Staat schaltete in der Hand eines ungebildeten, verarmten Landadels die Patrimonialgerichtsbarkeit über Ehre und Freiheit der Gerichtseingesessenen. Längst hatte der Sächsische Liberalismus die Forderung erhoben, daß die ganze Strafrechtspflege nur vom Staat geübt werden dürfe, daß als Grundlage des Strafprocesses das Anklageverfahren, Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Processes anerkannt werden müsse. Die Fortgeschrittensten machten der Regierung sogar graulich durch das Verlangen nach Schwurgerichten. Allen diesen Verlangen setzte die Regierung bisher ein absolutes non possumus entgegen.
Ursachen und bewegende Fragen genug, um in weiten Kreisen des Volkes Interesse an politischen Dingen, ja Aufregung und Gährung zu erzeugen! Bis 1840 hatte das Sächsische Volk in politischen Dingen, namentlich in inneren Verfassungsfragen, fast überall im Stande paradiesischer Unschuld gelebt und die Fürsorge für sein Wohl der erleuchteten und wohlmeinenden Regierung überlassen, aus deren Händen es 1831 die Verfassung empfangen hatte. Nun aber hatte es vom Baume der Erkenntniß gegessen und sah bestürzt ein, daß sehr viel faul und verbesserungsbedürftig sei in dem geträumten Paradiese. Keiner hat diese Erkenntniß geschickter und rühriger gefördert, als Robert Blum.
Als nächster und willkommenster Anlaß zu einer großartigen Demonstration für die Freiheit der Presse und die gewaltige, unüberwindliche Macht des gedruckten Wortes bot zu Beginn des Jahres 1840 die Feier sich dar, welche Leipzig, der Centralsitz des deutschen Buchhandels, das Hauptquartier der deutschen Schriftstellerwelt jener Tage, für den 24. Juni 1840 vorbereitete, d. h. der vierhundertjährige Jahrestag der Erfindung der Buchdruckerkunst. Schon in seiner Stellung beim Theater – Blum war zu Anfang des Jahres erster Cassirer geworden und führte daneben das Secretariat fort – war Blum bei der Zusammensetzung des großen Vorbereitungscomité nicht zu umgehen; noch weniger vermöge seiner Stellung als Schriftsteller und Agitator. Die Protocolle über die Comitésitzungen, die Blum geführt hat, weisen nach, wie er hauptsächlich den politisch-nationalen und fortschrittlich-demonstrativen Charakter des Festes gegenüber dem ursprünglichen Project eines bloßen Zunftjubiläums nachdrücklich betont und endlich damit durchdringt. Die Austrittserklärungen der „Angstmichel“ des Comité, nachdem die Sache diese Wendung genommen, sind von erschütternder Komik. Blum und einem andern, später vielgenannten Mitgliede des Comité, dem späteren Oberbürgermeister Leipzigs, Koch, war es hauptsächlich zu danken, daß das Fest gefeiert wurde Leipzigs und Deutschlands würdig, als ein Fest der Gedankenfreiheit, mächtig zündend in den Gemüthern der Theilnehmer[38], so daß selbst der lederne Historiograph Leipzigs, Große, sich bei einem Rückblick auf das Fest zu der Erkenntniß aufschwingt[39], es sei in Ordnung gewesen, daß man es weder als Zunft- noch als Literatur- oder Kunstfest gefeiert habe, „denn die Erfindung der Buchdruckerkunst ist zum Auferstehungsmorgen der Literatur, zum Erlöser des Geistes geworden; ohne sie wäre die Reformation ohnstreitig in dem engen Augustinerkloster erstickt; Gutenberg ist ein Mann des deutschen Volkes und nicht blos der Krämer und Händler, die sich von seiner Erfindung nähren. So nahm das Volk das große Fest auf; es freute sich der Entfesselung des Geistes und nicht der Kunst, die Tausenden Brot bringt.“ Selbst Gottfried Hermann’s Festrede in der Aula verließ die bis dahin unausrottbare Gewohnheit aller akademischen Festreden Leipzigs, olympisch-langweilig zu sein, und schwang sich in klassischem Latein auf zu einem zürnenden Protest gegen jede Knebelung der Denkfreiheit. Das sinnige Festspiel im Theater war von Blum arrangirt.
Das nächste war, daß die zahlreichen Schriftsteller, die in Leipzig ihren Sitz hatten und die sich und ihre Arbeit durch das große Fest besonders gehoben fühlten, zu einem „Literatenverein“ zusammentraten. Der Verein begann bald nach dem Fest (Winter 1840/41) seine zunächst gesellige Wirksamkeit[40]. Blum gehörte zu seinen Gründern, von 1841 an zu dessen Vorstand. Vom Januar 1842 an nahm der Verein die Form an, in welcher er später viel Rühmliches wirkte für die Würde und Interessengemeinschaft des Schriftstellerstandes sowohl, als für die Freiheit der Presse und des geschriebenen und gedruckten Wortes und endlich für das Autorrecht. „Sein Zweck ist nicht ästhetischer Art“ sagt § 2 des Statuts vom Februar 1842, „sein Zweck ist nicht politischer Art – er wird über allgemeine staatliche Verhältnisse keine Gesammtmeinung aufstellen wollen. Sein Zweck ist ein moralischer“ (sagt § 4). „Gemeinsame Beachtung, Prüfung, Berathung und Entschließung hinsichtlich aller der Verhältnisse, welche die Ehre und die Interessen des Literatenstandes, der Literatur und der Presse angehen: das ist sein Zweck.“ § 5 machte den Mitgliedern zur Pflicht: „alle dahin einschlagenden Angelegenheiten, die den Vortheil und die Ehre der Literatur und der Presse betreffen, im Vereine zur Kenntniß und zur Sprache zu bringen, damit ein allseitiges Einverständniß hierüber möglich werde und nöthigenfalls die öffentliche Darlegung des Gesammtwillens erfolgen könne“. „Nachdruck, gesetzlicher und ungesetzlicher Zustand der Presse, Handhabung der Censur, diese drei Punkte wird seinerseits der Leipziger Literatenverein zu Gegenständen unausgesetzter Berathung und Entschließung machen.“
Die erste Mitgliederliste des Vereins führt schon 44 Schriftsteller, Professoren und Buchhändler auf, z. B. Prof. Biedermann, Robert Blum, Prof. Braune, Friedr. und Heinr. Brockhaus, A. Buddeus, Diezmann, Prof. Flathe, Georg Günther, Jul. Hammer, M. Held, Rob. Heller, Herloßsohn, Salomon Hirzel, J. P. Jordan, J. Kaufmann (den geistvollen Mitarbeiter der von Kuranda begründeten Grenzboten), Prof. Klotz, Adv. Koch (den späteren Bürgermeister), Gust. Kühne, Heinrich Laube, Albert Lortzing, Marggraff, Dr. Jul. Michaelis, E. M. Oettinger, Karl Reimer, Dr. Schletter, Fr. Steger, Prof. Theile, Dr. R. Treitschke, Dr. Weinlig (den späteren Minister), Prof. Weiske, Otto und Georg Wigand, Prof. Wuttke – und selbst den Censor Prof. Bülau! Im Herbst 1842 war die Mitgliederzahl schon auf das Doppelte gestiegen. Die Jahresberichte und Mitgliederverzeichnisse der kommenden Jahre zeigen, in welchem Maße sich dieser Verein aus ganz Deutschland Gelehrte, Buchhändler, Schriftsteller angliedert. So zu sagen über Nacht war er eine Macht geworden, die erste kraftvolle Organisation und Association des Schriftstellerstandes in Deutschland.
Noch wirkungsvoller für die unmittelbare Gegenwart war jedoch die vornehmlich von Robert Blum 1840 bewirkte Gründung des Leipziger Schillervereins. An den Jahresfesten des Vereins konnte die eigenthümlichste Begabung seines Gründers, die gewaltige Rednergabe Blum’s, ihre größten Triumphe feiern, da er es vorzüglich verstand, „diesen Schillerfesten durch eine künstliche Mischung des politischen mit dem poetischen Elemente einen immer frischen Reiz und eine nicht unwichtige Einwirkung, besonders auf den niederen Bürgerstand zu verleihen.“[41] Man braucht nur Blum’s zu den Schillerfesten gehaltene Reden[42] nachzulesen, um diesem Urtheil des Sächsischen Geschichtsschreibers durchaus beizutreten, der übrigens durchaus nicht allzu nachsichtig und liebevoll über Blum urtheilt[43]. Das erste Schillerfest fand am 9. November 1840 statt. Blum hielt die Festrede; schon in dieser ersten Rede erklärte er:
„Aber wie unendlich bedeutend auch die sittliche und poetische Größe Schiller’s sein mag: es giebt noch eine andere, in der neuesten Zeit vorzugsweise erkannte Seite seines Wesens, die ihn mit tausend Liebesbanden festkettet an die Herzen seiner Nation und ihn zum Muster und Vorbilde macht für die edelsten Bestrebungen der Vergangenheit, der Gegenwart und Zukunft: es ist dies seine historisch-prophetische Bedeutung, sein Kampf für Wahrheit, Völkerwohl und Freiheit. Werfen wir einen Blick auf den innigen Zusammenhang seiner Schöpfungen mit den Ereignissen seiner Zeit.“ Diese Betrachtung bildet den Kern der ersten Rede. Sofort wird natürlich der Schiller-Verein zu Leipzig in den reactionären Organen des Bundestages, Hannovers &c. verdächtigt, ein politischer Verein zu sein, Götzendienst zu treiben durch einen Tanz um eine alte Weste Schiller’s, die der Verein besitzt &c. Darauf antwortet Blum sehr scharf in seiner Rede zum Schillerfest 1842: „Im Aerger darüber, daß die Völker nicht mehr tanzen wollen nach den elenden Melodien dieser schlechten Musikanten, erfanden sie jenen Tanz. Die Verblendeten, die keuchend arbeiten um Sündenlohn an einem schmachvollen Werke, glaubten mit jenem Märchen den gewaltigen Ausbruch unserer Empfindungen übertäuben zu können, der sich kundgab, als wir uns der Heiligkeit geschworener Eide erinnerten[44] und des frevelhaften Spiels, das hin und wieder damit getrieben wird.“
Er wirft nun die Frage auf: „Was feiern wir am Schillerfeste?“ und beantwortet sie dahin: „Seit dem halben Jahrhundert, wo Schiller gelebt und gewirkt, haben wir einen weiten Raum durchlaufen: das Vaterland war zerrissen und zerstückelt durch den Eigennutz derer, die es zunächst hätten hüten sollen, und wir trugen das schmachvolle Joch der Fremdherrschaft; wir rüttelten wieder an unseren Ketten, zersprengten sie und setzten Gut und Blut an unsere Befreiung, an unsere Freiheit; wir empfanden schnöden Undank und grobe Täuschung, die schon entkeimende Frucht unseres Blutes wurde abgestreift vom Sturm der Willkür, der Gedanke und das Wort gefesselt und die begeisterte Vaterlandsliebe geächtet; wir suchten und fanden andere Bahnen zu neuem Wirken und ringen noch immer nach dem Verlorenen. Schiller hat uns begleitet auf dem ganzen weiten Wege, hat Jubel und Freude, Schmerz und Entrüstung, Muth und Ausdauer, Duldung und Ergebung, Kraft und Begeisterung, Mäßigung und Klugheit in unsere Seelen gehaucht… Der schwierige Weg ist zurückgelegt, vor uns liegt eine offene, eine ebene Bahn. Nicht weil unsere gerechten Forderungen befriedigt, die Güter uns gewährt sind, die wir prompt vorausbezahlten, sondern weil die Gesinnung, die sie erstrebt, so stark geworden im Vaterlande, daß sie unwiderstehlich ist; weil die Forderung so tausendstimmig laut geworden, daß man ihr nicht mehr Schweigen gebieten kann, weil man endlich erkannt hat, was uns Noth thut, um stark und frei zu werden. Was vor einem Jahrzehnt noch leiser Wunsch und tiefe Sehnsucht einzelner Herzen war, was ausgesprochen als Hochverrath galt, um deßwillen Hunderte in den Kerkern schmachteten, Hunderte dem Vaterlande den Rücken kehren mußten – es ist heute der ausgesprochene Wunsch, die laute Forderung jedes Ehrenmannes; es erschallt aus allen Gauen, aus jedem Herzen, aus jedem Munde; es erschallt selbst von den Festtafeln der Fürsten; ‚Ein einiges, großes, starkes Vaterland! Fest wie seine Berge‘[45]. Die Idee hat gesiegt; sie ist Fleisch und Blut, ist allmächtig geworden trotz aller Verfolgung und Unterdrückung, sie wird verwirklicht werden trotz aller Schranken und Widerstrebungen.“
Um die volle Wirkung solcher Reden auf die Zeitgenossen zu würdigen, muß man sich versetzen in die Tage, da sie gehalten wurden. Diejenigen, die damals jung gewesen und dem Redner zu Füßen saßen und heute in Ehren ergraut sind, haben dem Verfasser wiederholt erklärt, daß Worte von solcher Kühnheit, Kraft und patriotischer Klarheit bis dahin in Leipzig noch nicht vernommen worden seien. Durch diese Reden allein schon gewann Blum seit Beginn der vierziger Jahre den Ruf, der erste Redner Leipzigs zu sein. Aber nicht minder kühn, schneidig und klar führte Robert Blum den Kampf um die höchsten Güter der Nation in der Presse. Zunächst bediente er sich dazu der seiner Richtung verwandten Tagesblätter, vor Allem der schon genannten „Sächsischen Vaterlandsblätter“, die vornehmlich durch Blum’s Mitarbeiterschaft, unter der Redaction seines Schwagers Georg Günther, weit über Leipzig und Sachsen hinaus das Organ des nationalen Liberalismus jener Tage geworden sind. In diesem Blatte hat er unermüdlich die Forderungen, die Schwächen und Fehler der Zeit, namentlich die furchtbaren Mißgriffe und Sünden des damaligen geheimen und schriftlichen Strafverfahrens, den Fluch der Censur, die Rechte der Landtage gegenüber den Regierungen &c. zur Sprache gebracht. Denn noch dauerten die segensreichen Tage des Ministeriums Lindenau für Sachsen fort, noch hoffte Blum, manches Wort, das er freimüthig in den „Vaterlandsblättern“ niedergelegt, werde in Dresden an hoher Stelle gute Statt finden.